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Sitzungsberichte
der
philosophisch- philologischen und
historischen Classe
der
k. b. Akademie der Wissenschaften
zu ]\d[üncheii.
Jahrgang 1878.
JEh*8ter Band. ^ f^'
München.
Akademische Buchdiuckerei von F. Straub.
1878.
In Coniinissioii bei G. Franz.
As
12.2.
Uebersicht des Inhalts.
Die mit * bezeichneten Vorträge sind ohne Auszug.
Oeff entliche Sitzung zur Feier des 119. Stiftungstages der
Akademie am 28. März 1878.
Seite
V. Döllinger: Gedächtnissrede auf Alexandre Herculano de Car-
valho 158
V. Prantl: Nekrologe 18G
V. Giesebrecht: Nekrologe 194
Philosophisch-philologische Classe.
Sitzung vom 5. Januar.
Laubmann: Mittheilungen aus Würzburger Handschriften . . 1
*Lauth: üeber Busiris und Osyraandyas 20
Maurer: Die Freigelassenen nach altnorwegischem Rechte . . 21
Sitzung vom 9. Februar.
ünger: Zum Kalender des Thukydides 89
Sitzung vom 2. März.
Thomas: Bericht über die ältesten Besitzungen der Venezianer
auf Cypern 143
Trumpp: Beiträge zur Erklärung des Mufassal 197
Sitzung vom 4. Mai.
Unger: Diodor's Quellen in der Diadochengeschichte .... 368
Brunn: Die Sculpturen von Olympia. Zweite Reihe .... 442
IV
Historische Classe.
Sitzung vom 5. Januar.
Seite
*v. Döllinger: Ueber die Gefangennehmung und den Tod
Bonifacius' VIII 101
Sitzung vom 9. Februar.
*v. Löher: Ueber die Kämpfe Kaiser Friedrich II. auf Cjpern . 101
Würdinger: Ueber die Töpfer'schen Materialien für die bayerische
Kriegsgeschichte des 18. Jahrhunderts 107
Sitzung vom 2. März.
V. Hefner-Alteneck: Ueber den Maler, Kupferstecher und
Formschneider Jost Amman 133
*v. D ruf fei: Herzog Herkules von Ferrara und s^ine Beziehungen
zu dem Kurfürsten Moriz v. Sachsen und zu den Jesuiten 317
Sitzung vom 4. Mai.
*Heigel: Die Handhabung der Büchercensur in Oberbayern . . 471
Einsendungen von Druckschriften 102, 472
Sitzungsberichte
der
königl. bayer. Akademie der Wissenschaften.
Philosophisch-philologische Classe.
Sitzung vom 5. Januar 1878.
Herr Bursian legte vor:
„Mittheilungen aus Würzburger Hand-
schriften" von Herrn Laubmann.
I.
Ein acrostichisches Gedicht von Winfried-
Bon ifatius.
Dass Winfried-Bonifatius neben seiner bischöflichen und
apostolischen Wirksamkeit auch für die literarische Cultur
Deutschlands ungemein thätig war, bezeugt uns der Inhalt
zahlreicher Briefe von ihm und an ihn,^) in denen uns sein
lebendiges Interesse für Poesie und Metrik entgegen tritt,
bezeugen auch die noch erhaltenen grammatischen und me-
trischen Compendien, über welche C. Bursian, Sitzungsber.
1873, 457—460 gehandelt hat.
A. Ebert hat in seiner Gesch. d. Lit. des MA. I, 611
bis 616 in zusammenfassender Kürze die Verdienste des
1) Die neueste und beste Ausgabe des gesammten Briefwechsels gab
Jaffe in seinen Monumenta Moguntina (Bibliotheca rer. germ. Tom. III),
Berol. 1866.
[1878 I. Philos.-philol. Gl. 1.] 1
2 Sitzung der philos.-philol. Classe vom 5. Januar 1878.
Bonifatius um die weltliche Wissenschaft erörtert, während
C. Will, Regesten zur Gesch. der Mainzer Erzbischöfe I,
(1877) Einl. pag. II— XIII, die Literatur über Leben und
Schriften des Apostels der Deutschen sorgfältig zusammen-
gestellt hat.
Die meisten dieser Schriften sind erst seit wenigen
Jahrzehnten bekannt geworden. Das Compendium der
Grammatik hatAng. Mai(Class. auct. Tom. VII, 475 — 548)
im Jahr 1835 aus einem codex Vaticanus (Palat. n. 1746),
früher dem Kloster Lorsch gehörig , herausgegeben ; den
Abriss der Metrik (ohne den Namen des Verfassers
schon früher publicirt und bei Gaisford, Scriptores latini rei
metricae, p. 577 sqq. wiederholt) Aug. Wilmanns aus einer
gleichfalls Lorscher Handschrift (cod. Palatinus n. 1753) im
Rhein. Museum N. F. XXIII (1868), 403 sq. mitgetheilt.
Die Aenigmata, über die Th. Wright 1842 Nach-
richt gab, wurden von Giles zuerst unvollständig 1844 in:
Bonifacii opera II, p. 109 — 115, darnach vollständig, aber
ohne alles Verständniss, in den Anecdota Bedae, Lanfranci et
aliorum, London 1851, p. 18 — 24, 38 — 45, später aber,
unabhängig davon als ,,grösstentheils unedirtes Gedicht des
hl. Bonifacius" von C. P. Bock im Freiburger Diöcesan-Archiv
III (1868), 221 — 272, mit Erläuterungen herausgegeben.
Wir dürfen uns darum nicht wundern, im Folgenden
ein neues Gedicht des Bonifatius zu erhalten aus einer Per-
gamenthand Schrift der Würzburger Universitätsbibliothek,^)
s^c. X, signirt Mpth. f. 29.
Ich gebe zuerst (S. 4) die Handschrift so wieder, dass die
ganze Künstlichkeit der mühevollen Arbeit des Bonifaz
2) J. A. Oegg, Korographie von Würzburg I (1808), pag. 551, hatte das
Gedicht nicht übersehen, es aber, den Namen Vynfr et h nicht erkennend,
als wahrscheinlich von Lupus, einem Schüler des Rabanus Maurus, her-
rührend bezeichnet. Ich gebe kurz den übrigen Inhalt der Handschrift an.
Dieselbe besteht aus 2 verschiedenen Werken des Cassiodor und enthält :
Lauhmann: Mittheilungen aus Würzhurger Handschriften. 3
deutlich sichtbar wird, deren 38 Verse in distichischer resp.
hexametrischer Form am Schluss (S. 18 und 19) wiederholt
werden, und lasse Seite 6 die in der Handschrift auf der
Rückseite befindliche metrische Exposition sogleich in über-
sichtlicher Form und mit Ergänzung einer Lücke folgen.
I. ssec. X fol. 2 — 37^. Cassiodori Senatoris Institutionum diuinarum lec-
^ tionum liber primus. In der subscriptio heisst es: Cas-
siodorii Senatoris Institucionum diuinarum litterarum ex-
plicit liber primus. deo gracias. amen.
f. S?**— 39*. Incipit eiusdem liber secundus. deo gracias.
I. De gramatica.
Grammatica a litteris nomen accepit bis zum Schlüsse
des Capitels tractata dilatatur, und zwar, abgesehen von
einigen Schreibfehlern, ganz in der Redaction des codex
Bambergensis, von der die Mittheilung N. II im nächsten
Heft handeln wird; nur fehlt im cod. Wirceb. 29 die
Praefatio und hört das zweite Buch überhaupt mit dem
Capitel de grammatica auf.
f. 39. Incipit de arhore in paradiso posita. In ueteri testamento
id est genesis legimus dominum dixisse ad adam ex omni
ligno quod est in medio paradiso editis Multa super-
sunt de istis qusB dicendi sunt. Sed hora praeterit singula
dicere. Ne longitudo sermonis fastidium faciat auditoribus,
debitorem medico, dilacionem peto, sed uereor ne debitor
occurrat et auditor absenciam procuret.
f. 41. De quo supra. Incipit unde supra;
Deuitum (d. i. Debitum) curro soluere sermone. Sed pri-
stinos meos non inuenio creditores sie nee quod
adam peccauit deo inputamus.
f. 44. „Uersibus en iuuenis" etc., also das Gedicht, über das diese
Abhandlung geht.
f. 44*'. Metrische Erläuterung dazu.
II. f. 1. 74 (Vorsetzblätter s. X). Differentiarum ysodori iunioris spa-
nensis episcopi; Inhaltsangabe des 2. Buches, Text von
cap. XXXII-XXXVI (Migne LXXXIII, 90-93 = cap. 34-38),
nebst einer Notiz über die Chiffern im Commentar.
f. 2—73 ssec. XII: Magni aurelii cassiodori senatoris iam domino
praestante conuersi expositio centum quinquaginta psal-
morum: bricht f. 73 mit Psalm XXIII, 8 ab.
1*
Sitzung der philos.-philol. Clasße vom 5. Januar 1878,
üersibus en iuuenis dTxrant et carmina cantu
Ymnos namque del ymnica dicta uiri
Nisibus eximiis r e ixouantis carmina lector
Flumina namque p 1 u s jTrangere iudicii
Remina temporitous t o rquebit torribus & sub 5
Excelsi f a 1 11 omnia saocla diu
Tuta tenent iuste pariter tum tania scanctis
Hie dabitur reg± a u r e a Ix a c q u e p i i
Per c a e 1 i campos st ipabunt ;^ace tribunal
Regnantes laudant limpida regna simul 10
Impia perpetuae ut damnentur gaud±a uitae
Sordida ±n terris spernere gesta uiri
Cautü est "U.t numquam defleat supplicia o a s s u
Omnes
entiles
Regmlna ut perdant parit
Unus nemp e den
M ±rifico absoluens
Bildes in arte
XJictor
mpia orig o magog
r sub tartara t a^ u s i 15
saecula cuncta siJLi S
itiraa tradidit axixni
ua omnia saneta graca.u
nam
Da,psilis in pastis be
DeuLotis concede tib
0 m n ±potens genitor fac no
C a s "fc a suum resonans rec
0 deus 1 n s 0 1 i o i
N u m i xxa nainque tuum mon
Gentib ; in ua,stis
Edite in terris
Jesus XcristuS slcque ordinatacfu.
r nistua fata dicanc3La 20
cum laudibus ic3L tu
S tro in pectore p O n i
t orem ut lingua oantet
u dex regnator olimpi
S tränt per saecula n. o m e n 25
caelebrant et g;audia mira
saluasti secla rodemptor
Spiritus aethralem tibi laudem splendidus aptet
Subiciens hominom et perlustrans lumina terrae
Egregium regexxx gnatum praoconia faustum 30
Ruricolae iugiter dic^tnt cum carmine clara
Almoque feruens g^remio signaba,t a b i s a g
Totum quadrad±ens constjat sapientia iusti
Architenens altor qui side r Ck, clara gubernaS
Rurigenae praesta ul; certus solamina possit 35
Tradere per sacras scripliuras grammate doctor
Excerptus prisco piJLOrorum indaginis usu
Magna patri et proli cujacL flamine gratia dicam
Laubmann: Mittheilungen aus Würzburger Handschriften. 5
Notizen über meine Transscription der Handschrift.
Die Abkürzungen habe ich hier und auf der folgenden Seite sämmt-
lich aufgelöst; es sind die gewöhnlichen, z. B.
& V. 1, 5, 26, 29, 38 — namq; v. 2, 25 — näq; v. 4 -- nä v. 19 —
cäpos V. 9 — nepe v. 16 — cautE e v. 13 und dergleichen mehr —
oma V. 6 — oma scä v. 18 — sicq; v. 19 — p v. 36 — pdant v. 15
und dergl. öfter — parit v. 7 — iugit v. 31 — stipabt v. 9 — dabit'
V. 8 — damnent' v. 11 — ssecla v. 6, s^cula v. 16, sgc-/a v. 25, secia
V. 27, »"qd, duplad: = sequa diuisio, dupla diuisio u. s. w.
Zu den einzelnen Versen ist zu bemerken:
V. 15. Regmina "* pdant] ut von 1. Hand über der Linie.
V. 17. uitima] a ist unsicher: mehr darüber unten.
Zwischen v. 19 u 20 steht am Rand von der Hand des Schreibers:
est, das sich entweder auf v. 19 beziehen soll: namuictor Jesus
Xristus est oder auf v. 20, so dass es zu dapsilis in pastis
gehörte.
V. 20: hier hören die Distichen auf.
V. 26 hat die Hdschr. Tentib; aber das Acrostichon zeigt, dass es Gen-
tibus heissen muss.
cselebrant] des Metrums wegen ist celebrant zu lesen.
V. 27. Die Hdschr. hat sec-/a; da aber secula nicht in das Metrum passt,
ist ssecla zu schreiben.
V. 30 hatte der Schreiber zuerst pr^ geschrieben, dann aber, als er sah,
dass er e für das Mesostichon brauche, prae daraus corrigirt.
V. 32. Alraoq; habe ich wohl richtig in Almoque aufgelöst.
V. 37 hat die Handschrift prisco] o und i von 1. Hand.
Sitzung der philos.-phüöl. Classe vom 5. Januar 1878.
Fol. 44^
Nam prior pars circuii huius usque ad medium crucis
quibusdam pentametris intersertis decurrens pinguitur uer- .
sibus qui licet pedestri remigio tranent non tarnen heroici
nee omnino perfecti decursa esse noscuntur; praeter crucem 5
autem supradictam in circulo heroici uersus et perfecti decursant.
De syllabis.
Disyllabi.
pyrricbius fuga ex yj ^ seqna diuisio
spondeus jestas ex sequa diuisio lO
iambus parens ex u _ dupla diuisio
trocheus meta ex — ^ dupla diuisio
Trisillabi.
macula ex ^ ^ ^ dupla diuisio
ex
seneas ex dupla diuisio
erato ex ^ ^ — sequa diuisio
tribrachus
molosus
anapestus
dactilus menalus ex — ^ «>^ sequa diuisio
ampbibrachus carina ex '^ — "^ tripla diuisio
ampbimachrus insolse
bachius acbates
ex — u — sescupla diuisio
ex yj sescupla diuisio
antibacbius
/\
natura ex
Tetrasyllabi.
proceleumaticus auicula
dispondeus oratores
diiambus propinquitas
ditrocbeus cantilena
antispastus solonius
coriambus armipotens
ionicus minor diomedes
ionicus maior iunonius
peon primus legitimus
peon secundus colonia
peon tertius menedemus
peon quartus celeritas
epitritus primus sacerdotes
epitritus secundus conditores ex
epitritus tertius demostenes ex
sescupla diuisio
ex ^ ^ ^ ^ sequa diuisio
ex sequa diuisio
ex v^ — u — sequa diuisio
ex -- ^ — «^ sequa diuisio
ex V Kj sequa diuisio
ex — ^ <j — sequa diuisio
ex[ ^ ^ dupla diuisio
ex w yj dupla diuisio
ex] _ u u w sexcupla diuisio
ex yj — ^ ^ sexcupla diuisio
ex yj yj — yj sexcupla diuisio
ex yj yj y^ — sexcupla diuisio
ex v^ epitrita diuisio
u , epitrita diuisio
yj — epitrita diuisio
15
20
25
30
35
epitritus quartus fescenninus ex w epitrita diuisio
Laubmann: Mittheilungen aus Würzhurger Handschriften. 7
Varianten der Handschrift, Bemerkungen zu einzelnen
Stellen sowie über den Ursprung dieser Eintheilung der
Metra.
11 parens ex ^ '-' — codex.
17 dactib; codex.
19 amphimachrus] mach in ras. 1. man.
sescupla aus sesclupa corrig. von 1. Hand, ähnlich in v. 20.
diuisio] dium die Hdschr., aus Missverständniss der Abkürzung diu.
23 procleumaticus codex.
27 antispatus codex.
solonius] aus metrischen Gründen nach Donat und Isidor in Salo-
ninus zu emendiren.
28 coriambus] o in Rasur von b oder h.
29 — 31 die zwischen [ ] stehenden Worte fehlen in der Handschrift.
33 mennederaus 37 demonstenes 38 fiscennius codex.
2 pinguitur] ob diese Form für pingitur wohl möglich ist?
3 tranent] dies Wort kommt bei Bonifaz auch sonst vor: Aenigm.
V. 165, 298, 325.
3 sq. qui licet pedestri — noscuntur] hier verstehe ich wohl den Sinn,
aber die Worte können kaum richtig sein, und doch scheint
auch mit Einsetzung von non oder minime, also: qui licet
non pedestri remigio tranent, wenig geholfen.
4 decursa esse] kaum richtig: wiewohl ich nicht an der Passivform
Anstoss nehme; denn auch Aldhelmus Aenigm. lib. prolog.
V. 27 sagt:
»nigmata ritu
dactylico recte decursa:
also ist hier wohl decursi esse zu schreiben.
7 sqq. Der Abschnitt De syllabis bis Schluss ist gebildet nach
Donatus = H. Keil, Grammatici latini IV 369, 20 — 370, 26 (cf.
p. 425) und Isidor, Etymol. I 17, 23—27. Dorther wurden auch die
Beispiele für die Lücke zwischen ionicus minor und peon primus ergänzt;
die übrige Ausfüllung der sofort erkannten Lücke ergab sich beim
ersten Lesen von selbst. Die Frage, ob Bonifaz aus Donat oder Isidor
geschöpft hat, ist gleichgültig; Isidor selbst hat jedenfalls, wie die ganz
gleichlautenden Beispiele zeigen, Alles aus Donat genommen. Die Reihen-
folge der Versfüsse bei Gaisford, Scriptt. lat. rei metr., pg. 578 — 579
(= Rhein. Museum XXIII, 403 — 404) stimmt mit Isidor, unsere Auf-
zählung aber mit Donat überein. Vgl. Rabanus =: Migne CXI, 675.
Dass auch diese metrische Exposition zu dem Gedicht von Bonifatius
herrührt, also die ganze Seite, scheint nicht zweifelhaft, wenn man den
Vorgang des Aldhelmus beachtet, der als Einleitung und Nachschrift zu
seinem Aenigraatum liber in Form einer Epistola ad regem Acircium
eine vollständige Darstellung der lateinischen Metrik gibt. Warum
sollte Bonifatius nicht etwas Aehnliches gethan haben?
8 Sitzung der phüos.-philol. Classe vom 5. Januar 1878.
Acrostichon und Telestichon unseres Gedichtes bilden
zwei Hexameter:
üynfreth priscorum Duddo congesserat artem,
üiribus ille iugis iuuauit in arte magistrum
und diese nämliclien beiden Verse ergeben sich nochmals
aus der rechten und linken Seite des rhombusrA^förmigen
Mesostichons , während die Mitte des ganzen Gedichtes ein
Kreuz darstellt mit der Inschrift: Jesus Xristus; so zwei-
mal: von oben nach unten und Ton links nach rechts —
zum Theil also die nämliche Form, die sich bei H. Hagen,
Carmina medii sevi inedita, Bern 1877, pg. 215 und 221,
findet. *) Mit dem Kreuz aber hängt etwas Anderes zu-
sammen: Der Mittelpunkt des Ganzen ist Jesus Christus;
über dem waagrechten Kreuzbalken sind Distichen, unter
demselben lauter Hexameter.
Ob sonst noch in einem Gedicht Hexameter und Di-
stichen in solcher Verbindung vorkommen, weiss ich nicht;
doch macht mich E. Dümmler, der die Güte hatte den ersten
Entwurf dieser Abhandlung durchzulesen und eine Anzahl
trefflicher Bemerkungen beisteuerte, auf Alcuin's vita s. Wil-
librordi (Jaffe, Biblioth. VI, 39 — 79) aufmerksam, deren
erstes Buch in Prosa abgefasst ist, während das zweite aus
3) Von Vorgängern des Bonifatius in der Verfertigung acro-, meso-
und telestichischer Dichtungen sind hauptsächlich zu nennen Puhlilius
Optatianus Porfyrius und Venantius Fortunatus; kurz nach Bonifatius war
in ähnlicher Weise Eabanus Mauruy auf diesem Felde thätig.
Lucian Müller hat jüngst (Leipzig, beiTeubner, 1877) den Porfyrius
in trefflicher Bearbeitung neu herausgegeben, und während diese Blätter
in die Druckerei gehen, kommt mir ein ausgezeichneter Aufsatz des
nämlichen Gelehrten zu Gesicht, der in „Nord und Süd. Eine deutsche
Monatsschrift." IV. Band, Januar 1878, 10. Heft, Seite 84—99, unter
dem Titel „Ein römischer Dichter aus der Zeit des Kaisers Constantin*
eine genaue, erschöpfende und sehr interessante Schilderung aller Vers-
Icünsteleien seines darob aus der Verbannung zurückgerufenen Poeten gibt«
Laubmann: Mittheilungen aus Würzburger Handschriften. 9
12 Distichen (als Einleitung), etlichen hundert Hexametern
und 51 Distichen (als Schluss) besteht.
Die in den zwei acrostichischen Hexametern genannten
Personen Vynfreth und Duddus sind jedenfalls der Absender
und der Adressat des Gedichtes.
Ausdrücklich als Lehrer der Dichtkunst wird
Bonifatius gerühmt Ep. 95: *) Hanc itaque nuper metricse
artis peritiam domini nostri Bonifacii sub magisterio didi-
ceram; von seiner Beschäftigung mit Grammatik und Metrik
noch im Kloster Nhutscelle zeugt Willibald, vita s. Bonifacii,
cap. H:*) ita ut maxima demum scripturarum eruditione —
tam grammaticae artis eloquentia et metrorum medullata fa-
cundise modulatione, quam etiam historiae simplici expositione
et spiritalis tripertita intellegentiae interpretatione inbutus
— dictandique peritia laudabiliter fulsit.
Epist. 23®) sendet Lioba am Schluss ihres Briefes vier
Hexameter eigener Dichtung an Bonifatius „tuo auxilio
indigens", wie sie schreibt; und ep. 99 ^) schickt ein Un-
genannter, Schüler des Bonifaz, seinem Lehrer 20 Verse
und zwar „correctionis causa''.
Verse von Bonifatius selbst finden sich:
Epist. 9^) am Schlüsse des Briefes an Nithard, gereimte
jambische Hemistichien, deren neun den Namen des Adres-
saten als Acrostichon enthalten; ep. 10 am Ende, worüber
nichts weiter zu bemerken , und ep. 42 ') am Schlüsse des
Schreibens von Bonifaz an Papst Zacharias wegen des Bis-
thums Wirzburg (6 Hexameter). Dazu kommen dann die
4) Jaffe, p. 243 unten.
5) Jaffe, p. 435 med.
6) Jaffe, p. 84.
7) Jaffe, p. 247—249.
8) Jaffe, p. 52 sq.
9) Jaffe, p. 116.
10 Sitzung der philos.-philol. Classe vom 5. Januar 1878.
oben schon angeführten Aenigmata und als neuestes unser
Fund.
Soviel über Winfried als Lehrer wie als Dichter; wir
kommen jetzt zu dem Schüler, an den die neuentdeckten
Verse gerichtet sind.
Nun ist uns durch ein günstiges Geschick in dem Brief-
wechsel des Bonifaz ein Brief desselben an diesen Schüler
Dudd ^^) erhalten, dessen Inhalt sich mit dem unserer zwei
acro-, resp. telestichischen Hexameter nahezu deckt. * *)
Günstig trifft es sich auch, dass „Dud abbas" in einer Ur-
kunde vom Jahre 744 vorkommt (nach Jaffe, p. 97 not. 1,
bei Kemble, Cod. dipl. aevi Saxonici I, 111); in diese Zeit,
ob etwas früher oder später lässt sich kaum sicher bestim-
10) Wenn es in dem sogleich folgenden Brief in der Anrede heisst:
„Dilecto filio Duddo abbati", so ist Duddo Dativ zu dem Nominativ
Dudd oder Duddus; es ist also in der Ueberschrift statt Duddonem ab-
batem zu schreiben: Duddum abbatem. Auch im Index bei Jaffe steht
aus Versehen: Duddo abbas.
11) ep. 31 (Jaffe, p. 97 sq.): Dilecto filio Duddo abbati Bonifacius
qui et Wynfrethus seruus seruorum Dei optabilem in Christo caritatis
salutem.
Memorem te esse, fili carissime, desidero sapientis cuiusdam sen-
tentiae, qui dixit: Serva antiquum amicum; ut antiquse amicitiae, quam
in pueritia iam olim coepimus et seruauimus, in senectute non obliuiscaris ;
sed recorderis patris tui, iam nunc decrepiti et membris omnibus ad
viam uniuersse terrae uergentibus. Et licet parum doctus praeceptor
fuissem, tarnen tibi omnium deuotissimus, ut ipse testis es, esse studiui.
lUius ^euotionis memor, miserere iam senis Germanici maris tempesta-
tibus undique quassantibus fatigati; hoc est, ut orationibus ad Deum
fusis me sublevare studeas et in sanctis scripturis adiuuare; maxime in
sanctorum patrum spiritalibus tractatibus Rogo, ut
mihi in adiutorium diuinae scientiae partem tractatus super apostolum
Paulum, quae mihi deest, mittere digneris. Habeo enim super duas epistolas
tractatus, id est ad Romanos et ad Corintheos primara. Similiter ut
quicquid in sacro scrinio inueneris et mihi utile esse arbitreris et me
latere uel scriptum non habere aestimes, insinuare, sicut fidelis filius
licet rustico patri, et rescripta beatitudinis tuae dirigere dignare..
Laubmann: Mittheüungen aus Würshurger Handschriften, 11
men, mag auch der Brief und unser Gedicht zu setzen sein.
Unter einer Synode von 716 (Haddan & Stubbs, Councils
III, 301) findet sich Signum manus Duddan praepositi; doch
ist das für den unsrigen vielleicht etwas zu früh.
Nach Ebert, 1. 1. p. 582, bezeichnet sich Columban in
einem Acrostichon an Hunald in den Anfangsbuchstaben
selbst als den Schreiber; und im Prolog zu seinem Aenig-
matum liber nennt sich Aldhelmus sowohl mit Acro- als
auch mit dem gleichlautenden Telestichon als den Verfasser
des Ganzen:
Aldhelmus cecinit millenis uersibus odas.
Ein Zweifel also , dass unser Gedicht in Wirklichkeit
von Vjnfreth ist, ist kaum möglich ; doch will ich für alle
Fälle zu einzelnen unserer 38 Verse mehr oder weniger
ähnliche oder gleichlautende Stellen aus den Aenigmata
(Zählung nach Bock) geben.
Zu V. 1. Versibus en iuuenis durant et carmina cantu vergl.
man den Anfang des Räthsels Misericordia, v. 83:
Moribus en gemine uariis et iure sorores.
3. Nisibus eximiis = Aenigm. v. 104, cf. v. 125.
5. torribus — Aen. v. 106. 287.
9. tribunal = Aen. v. 162.
^' , , 1 . r= Aen. v. 358 : Limpida quo-
29. perlustrans lumma J
que modo perlustret lumina Titan (die Ein-
siedler Hdschr. hat perlustrant lumina [i. e.
sol et luna] terras).
11. perpetuse uitse =: Aen. v. 155.
15. sub Tartara trusi — Aen. v. 243; ähnlich v. 252,
297, 301 u. ö.
15. Regmina = Aen. v. 60, 87, 119, 266.
24. Olimpi = Aen. v. 93.
27. saluasti ssecla redemptor cf. Aen. v. 34: restaurat
secla redemptor.
12 Sitzung der philos,-philol. Classe vom 5. Januar 1878.
31. ruricolee = Aenigm. v. 142, 296.
iügiter = Aen. v. 58, 71, 98, 108,
118, 148, 286, 279, 337, 370 u. ö.
34. architenens — Aen. v, 33.
35. rarigense = Aen. v. 338, cf. epist. 31,
oben S. 10, not. rustico.
solamina — Aen. v. 342.
Es erübrigt mir noch , das Gedicht in Kürze kritisch
und exegetisch zu behandeln, wobei freilich des Dunkeln,
Ungewissen und Unverständlichen genug bleiben wird. *^)
Denn wenn Bock (1. 1. p. 252) schon bei den einfachen
Acrostichen der Aenigmata über den oft wenig entsprechenden
Inhalt, über die Schwerfälligkeit der Worte und Gedanken
klagt, was dürfen wir erst hier erwarten, wo der Dichter
durch Acro-, Tele- und doppeltes Mesostichon in jedem
Vers viermal in der Entwicklung seiner Gedanken gehindert
und durch schwere Fesseln zur Undeutlichkeit und Ge-
12) Sagt doch selbst Lucian Müller, a. a. 0. S. 97, von einem so
gewandten Dichter nnd so gewiegten Verskünstler, wie Porfyrius war,
Folgendes: „Fragt man nach dem ästhetischen Werth des Inhalts, so
begreift sich, dass von einem hohen Aufschwung derPhantasie
des Dichters, auch wenn er damit noch so reich begabt gewesen
wäre, keine Rede sein konnte. Die unzähligen Vers-, Wort- und
Buchstabenkünsteleien mussten in dieser Beziehung wie enge Schnür-
stiefeln wirken. Desto mehr ist es anzuerkennen, dass trotzdem mehrere
Stellen ganz gelungen sind, und das Ganze, mit nicht zu vielen Aus-
nahmen, nicht zurückbleibt hinter der gleichmässigen Mittelmässigkeit,
die in der römischen Poesie so zahlreich vertreten ist . , . Die Sprache . .
leidet natürlich nicht selten an Geschraubtheit, Dunkelheit sowie Wie-
derholungen von Wörtern und Gedanken, Alles Folge der technischen
Schwierigkeiten. Es sind deshalb auch in der neuesten Ausgabe
eine Anzahl unverständlicher Stellen stehen geblieben, und
ich habe einigen Grund zu glauben, dass die meisten derselben nie auf's
Reine gebracht werden dürften". Kann es eine bessere Rechtfertigung
des an Gewandtheit mit Porfyrius nicht entfernt zu vergleichenden
Bonifatius geben?
Laubmann: Mittheilungen aus Würzhurger Handschriften, 13
schraiibtheit verurtheilt war. Zwei seiner Verse müssen mit
g enden: lateinische Wörter fand er dafür nicht; also wurden
aus der Bibel Magog und Abisag genommen, und es ist
kein Wunder, dass gerade diese Verse nicht an allzu-
grosser Klarheit leiden.
V. 1 — 3 wird man construiren müssen: En iuuenis (als Vo-
cativ, Anrede an Dudd) uersibus et cantu durant car-
mina; namque lector (nämlich, lieber Leser) carmina
eins qui nisibus eximiis ymnos dei et ymnica dicta uiri
renouat.
Ob namque so richtig aufgefasst ist? ob uiri, das
man gerne dem ymnos dei entsprechend mit ymnica
dicta verbindet, nicht doch vielleicht zu renouantis zu
construiren ist? Wäre iuuenis (v. 1) Genetiv, zu car-
mina gehörig, so wäre damit auch die Verbindung
ymnos dei, ymnica dicta uiri sichergestellt.
V. 4—7. Dass statt des überlieferten remina vielmehr reg-
mina zu schreiben ist, scheint sicher; iuste, v. 7, ist
wohl in iusti zu verbessern. Aber was sollen nun die
Worte flumina iudicii bedeuten? E. Dümmler hat an
Fulmina gedacht, und es Hesse sich nun so construiren:
namque (nur anknüpfend) pius (= deus) torquebit
(wird schleudern) fulmina temporibus iudicii (zur Zeit
des jüngsten Gerichts) frangere (umzubrechen??) reg-
mina (die irdischen Reiche) torribus (durch Feuerbrände).
V. 7 — 10. Mit pariter beginnt der nächste Satz; für tania
ist taenia zu schreiben, für regi, wie Dümmler vorschlägt,
regni. „In gleicher Weise wird dann die goldene Binde
(d. h. der Schmuck) des Reiches, der Herrschaft, den
Heiligen hier schon verliehen werden: und in dieser
(mit dieser angethan) werden die Frommen in den Ge-
filden des Himmels in Frieden den Richterstuhl um-
drängen, und sie loben zugleich die Herrschenden und
die lichten Himmelsreiche' ^
14 Sitzung der philos.-philol. Classe vom 5. Januar 1878.
Jedenfalls ist pii noch Subject zu laudant, regnantes
aber Object dazu, ebenso wie limpida regna.
V. 11, 12 geben grossen Anstand. Die Freuden des ewigen
Lebens können nicht impia heissen und es ist noth-
wendig, einen Fehler anzunehmen. Perpetuo zu schreiben
und vita auf das irdische Leben und seine Freuden zu
beziehen wird deshalb nicht angehen, weil der Penta-
meter mit den Worten in terris offenbar einen Gegen-
satz bilden soll; also muss per petuse bleiben. Nur um
die beiden Verse nicht ganz unverständlich zu lassen,
schlägt Dümmler In pia und dominentur vor, „damit sie
gebieten über die frommen Freuden des ewigen Lebens"
(d. h. damit ihnen dies zu Theil wird), „sollen sie die
schmutzigen Werke auf Erden verachten", uiri wäre
als Subject zu nehmen , also ,,die Menschen". Aber
was soll der Infinitiv spernere? Uebrigens sehen die
Worte Impia und damnentur viel zu acht aus, und es
muss Anderen überlassen bleiben, einen befriedigenden
Heilungs versuch zu finden, der sich mit dem Metrum
verträgt. Ut damnentur könnte auch von dem folgenden
cautum est abhängen, wenn nur die nächsten Verse
nicht wieder unklar wären.
v.*13 — 15. impia origo Magog werden die Heiden genannt
als Nachkommen Magog's, des zweiten Sohnes Japhet's
(cf. Ezech. XXXIX, 6: et immittam ignem in Magog
et in bis qui habitant in insulis confidenter et scient,
quia ego Dominus). Weiter : Kann cassu vergeblich,
umsonst oder sonst etwas heissen? Kaum; ich gebe
aber das Wort nur ungerne auf, um mich Dümmler's
Vorschlag: casu anzuschliessen. Subject zu defleat ^')
13) lieber diese Synicese, sowie über lingüa, v. 23-, lassen sich die
Beispiele erst sammeln, wenn die Aenigmata des Bonifatius in dem ge-
reinigten Text, den Dümmler für die Monumenta Germaniae vorbereitet,
einmal vorliegen werden.
Laubmann'. Mittheilungen aus Würzburger Handschriften, 15
kann jedenfalls nur impia origo Magog sein, wiewohl
dann omnes gentiles, das Subject zu perdant, sehr
sonderbar eingeschoben ist. Wer will, kann auch
defleant schreiben: imp. origo M. würde dann Appo-
sition zu omnes gentiles.
„Dass das ruchlose Geschlecht des Magog niemals
seine Strafen (d. h. seine Vergebungen) beweint (be-
reut), ist durch seinen Fall vorgesehen, so dass alle
Heiden die Herrschaft verlieren und gleichmässig in
die Hölle hinabgestossen werden". Wer weiss etwas
Besseres ?
V. 16, 17. Diese zwei Verse sind wenigstens zu verstehen,
uitima, wie die Hdschr. hat, muss gebessert werden;
das zunächst liegende uictima geht, abgesehen von an-
deren Gründen, schon des Metrums wegen nicht; man
könnte an uentura (uetura) denken; näher liegt wohl
uitricia (oder vielmehr uictricia) oder uitalia ^*) zu
emendiren, bei denen die Anzahl der Striche immer die
gleiche ist wie bei der handschriftlichen Ueberlieferung.
mirifico amni absoluens bezeichnet die Taufe als Vor-
bedingung zum Eintritt in das Reich Gottes.
„Denn der einige Gott hat alle Welten (alle künftigen
oder alle erlebbaren Jahrhunderte) den Seinigen durch
die Taufe übergeben": dem Christenthum gehört die
Zukunft der Welt.
V. 18, 19 sind wieder schwieriger. Gehören die Worte
diues in arte sua noch zu dem Vorausgehenden? Was
heisst omnia sancta gradu? Wohl kaum „reich in seiner
Kunst macht er Alles heilig durch seinen Schritt".
Aber auch mit der Vermuthung „in arce sua, in seiner
himmlischen Burg" kommt man nicht weiter; und es
14) Vielleicht dass der "Vers Lucret. I, 202:
multaque uiuendo uitalia uincere saecla
dem Bonifaz aus einem metrischen Compendium bekannt war.
16 Sitzung der philos-philoL Classe vom 5. Januar 1878.
ist gewiss ebensowenig zusammen zu construiren: Nam
Jesus Christus uictor (est) sicque ordinat omnia sancta
gradu, „und so ordnet (regiert) er alles Heilige nach
seinem Range". Vielleicht liegt die Hülfe in der Aender-
ung eines einzigen Buchstaben.
V. 20, 21. Die Worte dapsilis in pastis könnte man noch
zum Vorausgehenden ziehen „freigebig in seinen Spenden".
Doch halte ich es für wahrscheinlicher, dass dapsilis
Vocativ ist, der sich in den folgenden Versen fortsetzt :
22. Omnipotens genitor, 24. 0 deus, 27. Edite in ter-
ris, 34. Architenens altor; also: concedebemis (ob Neben-
form zu uernis, von uerna oder b und v einfiach ver-
wechselt?) tibi deuotis tua fata cum laudibus dicanda.
„Reichlicher Spender, gewähre den Dir ergebenen
Dienern, dass sie mit Lobrühmen Deine fata (kaum in
facta zu corrigiren) verkünden".
Bis hieher waren die Verse allerdings, wie es in der
metrischen Erläuterung, f. 44'' (oben S. 6) heisst,
non omnino perfecti ; von jetzt ab geht es etwas besser.
V. 22 — 31. Omnipotens genitor, fac tu, id in pectore nostro
poni, ut casta lingua rectorem suum resonans cantet.
0 deus, in solio iudex, regnator Olimpi: namque nu-
mina tuum nomen per saecula monstrant et in gentibus
vastis mira gaudia celebrant. Edite in terris (Erd-
geborener, du hast die Welt erlöst), saluasti saecla re-
demptor : tibi Spiritus splendidus laudem aethralem aptet,
hominem subiciens et lumina (ob limina?) terrae per-
lustrans. Jugiter clara prseconia ruricolse (wohl =
Bonifatii) egregium regem, gnatum faustum cum carmine
dicant. Die nächsten zwei Verse sind wieder unklar.
V. 32, 33. Abisag ist die aus III. Regg. cap. 1 u. 2 be-
* kannte sunamitische Dirne, welche den alternden und
frierenden König David erwärmen und ihm dienen soll.
Von Dümmler darauf aufmerksam gemacht, dass nach
Laubmann: Mittheilungen aus Würzhurger Sandschriften» 17
Rabanus Maurus' Commentar zu den Büchern der Könige
( Migne Patr. CIX, 123 — 125) Abisag nach allegorischer
Auslegung die himmlische Weisheit bedeuten soll : ,,ut
significet calere sapieutiam et diuina lectione fernere",
was Raban aus einem jedenfalls auch dem Bonifaz be-
kannten älteren Kirchenvater habe, fand ich bald, dass
Rabanus nur den 52. Brief des Hieronymus (ad Nepo-
tianum = Migne, Patr. XXII, 527 — 530) ausgeschrieben,
der gewiss auch dem belesenen (cf. oben S. 10, not. 11)
Bonifaz nicht unbekannt war. — quadradiens ändert
Dümmler in ,,quod radians" ; vielleicht kommen wir
durch quo radians dem Richtigen noch näher. Bonifaz
hatte V. 31 von Vater und Sohn gesprochen: Abisag
bezieht sich wohl auf den Geist. ,,Et Abisag alrao
gremio feruens signabat totum, quo constat radians
sapientia iusti" = Und die almo gremio feruens Abisag
bezeichnete das Ganze ,, woraus die strahlende Weisheit
des Gerechten besteht" (oder quod constat: ,,was die
strahlende Weisheit des Gerechten ausmacht").
V. 34 — 36. Architenens altor, qui sidera clara gubernas,
praesta rurigense (i. e. mihi Bonifatio) , ut certus per
scripturas sacras solamina possit tradere.
V. 36. Grammate" Jdoctor excerptus prisco usu indaginis
puerorum kann wohl nur heissen: „meinem Beruf,
meiner Thätigkeit als Lehrer der Grammatik, gramraa,
und damit dem langgewohnten Umgang mit der Jugend
entnommen (man fühlt wohl aus den lateinischen Worten
etwas Wehmüthiges heraus) will ich grossen Dank
sagen dem Vater und dem Sohn sammt dem heiligen
Geist". Magna gratia ist nom. sing.
Zum Schlüsse will ich das ganze Gedicht hersetzen, wie
ich es zu restituiren versuchte ; möge es recht bald von all'
seinen Flecken und Mängeln gereinigt werden.
[1878. 1. Philos -philol. Ol. 1.] 2
18 Sitzung der philos.'philöl. Classe vom 5. Januar 1878.
Wenn es nicht von Wynfreth herrührte, würde man
freilich kaum so viel Mühe daran wenden mögen : aber er
verdient es und zumal von Wirzburg, das er dem Papste
zur Gründung eines Bisthumssitzes vorschlug.
Uersibus en iuuenis durant et carmina cantu,
Ymnos namque dei, ymnica dicta uiri
Nisibus eximiis renouantis carmina, lector.
Fulmina namque pius frangere iudicii
5 Regmina temporibus torquebit torribus et sub
Excelsi fatu omnia saecla diu
Tuta tenent iusti. Pariter tum taenia sanetis
Hie dabitur regni aurea hacque pii
Per cseli campos stipabunt pace tribunal,
10 Regnantes laudant limpida regna simul.
In pia perpetuae ut dominentur gaudia uitse,
Sordida in terris spernere gesta uiri.
Cautum est ut numquam defleant supplicia casu
Omnes gentiles, impia origo Magog,
15 Regmina ut perdant pariter sub Tartara trusi.
Unus nempe deus saecula cuncta suis
Mirifico absoluens uitalia (uictricia?) tradidit amni:
Diues in arte sua omnia sancta gradu
Victor nam Jesus Christus sicque ordinat actu.
20 Dapsilis in pastis, uernis tua fata dicanda
Deuotis concede tibi cum laudibus. Id tu
Omnipotens genitor fac nostro in pectore poni,
Casta suum resonans rectorem ut lingua cantet.
0 deus in solio iudex regnator Olimpi:
25 Numina namque tuum monstrant per saecula nomen,
Gentibus in uastis celebrant et gaudia mira.
Edite in terris : saluasti saecla redemptor ;
Spiritus aethralem tibi laudem splendidus aptet,
Subiciens hominem et perlustrans lumina terrae.
Laubmann: Mittheilungen aus Würzhur ger Handschriften. 19
30 Egregium regem, gnatum prasconia faustum
Ruricolaß iugiter dicaut cum carmine clara:
Almoque feruens gremio signabat Abisag
Totum, quod (quo?) radians constat sapientia insti.
Architenens altor, qui sidera clara gubernas,
35 Rurigen 3e prsesta, ut certus solamina possit
Tradere per sacras scripturas. Grammate doctor
Excerptus prisco puerorum indaginis usu
„Magna patri et proli cum flamine gratia" dicam.
Die oben Seite 8 med. angeführten Gedichte in. Hagen's
Sammlung , sowie viele der poetischen Erzeugnisse des
Optatianus Porfyrius, des Venantius Fortunatus (Mise. Hb. II,
4, 5. V, 7), des Magnentius Rabanus Maurus (de laudibus
sanctae crucis) unterscheiden sich formell darin von dem
oben gedruckten Gedicht des Bonifatius, dass sie die Form
eines Quadrates bilden d. h. jede Zeile ebensoviel Buch-
staben hat als das ganze Gedicht Zeilen, was die typo-
graphische Reproduction derselben sehr leicht macht; bei
Bonifaz hat die eine Zeile mehr, die andere weniger Buch-
staben.
Im 16. Jahrhundert hat Lambertus Rustenius,
Artium et Philosophiae Magister, 2 künstliche Gedichte
gefertigt , deren erstes Ära Crucis betitelt ist und aus
16 Distichen besteht, welche Golgatha mit 3 Kreuzen dar-
stellen, deren Inschriften voll von Künsteleien sind.
Das andere Gedicht ist ein Rosarium; der in grösseren
und kleineren Perlen dargestellte Rosenkranz sammt Kreuz
2*
20 Sitzung der philos.-philol. Classe vom 5. Januar 1878.
enthält die Worte Jesus Christus und den vollständigen
englischen Gruss.
Ich kenne von diesen Spielereien 2 Ausgaben : die eine,
colorirt, ex officina Aegidii Diest, Antverpiae. 1564; die
andere, im erläuternden Text ausführlicher, trägt die Be-
zeichnung: Parisiis, apud Annetum Briere.
Herr Lauth hielt einen Vortrag:
„Ueber Busiris und Osyraandyas''.
Derselbe wird in den „Abhandlungen" veröffentlicht
werden.
Sitzung vom 9. Februar 1878,
Herr Maurer trug vor:
„Die Freigelassenen nach altnor wegischem
Rechte/'
Zu den schwierigsten Abschnitten der altnorwegischen
Rechtsgeschichte gehört die Lehre von der Freilassung
und den Freigelassenen. Sehr eigen thümlich gestaltet
und ungewöhnlich reich gegliedert, hat der Stand der Frei-
gelassenen in der älteren Zeit augenscheinlich eine bedeut-
same Rolle gespielt; in die verschiedensten Rechtsgebiete
greift die Besonderheit seiner Stellung hinüber, und mit den
verschiedenartigsten Rechtssätzen und Rechtsinstituten kommt
darum in Berührung, wer die Rechtsverhältnisse dieses Stan-
des festzustellen unternimmt. Dazu kommt, dass die Un-
freiheit, und damit auch die Freilassung in Norwegen schon
frühzeitig ausser Gebrauch kam, und dass demzufolge unsere
Quellen uns von der Gestaltung des Freigelassenenstandes
kein lebensfrisches Bild mehr geben. Der letzte Unfreie,
den uns die Geschichtsqnellen nennen, ist BärSr skjöldr, wel-
cher im Jahre 1181 an der Seite K. Magnus Erlingsson's,
seines Herrn, erschlagen wurde ^), und die Abschaffung der
auf öffentliche Kosten alljährlich vorzunehmenden Frei-
lassungen, welche der heil. Olaf eingeführt hatte, durch eben
jenen K. Magnus bestätigt gleichfalls, dass am Schlüsse des
12. Jahrhunderts die Zahl der Unfreien im Lande nur noch
1) Sverris s., cap. 64, S. 166.
22 Sitzung der philos.-phüol. Glasse vom 9. Februar 1878.
eine geringe gewesen sein kann^). Unsere Rechtsbücher
aber, soweit sie überhaupt in ihren das weltliche Recht be-
handelnden Theilen erhalten sind, liegen uns nur in Bear-
beitungen aus dem 13. Jahrhundert vor, und es begreift sich
somit, dass gelegentlich der vielfachen Umgestaltungen,
welche sie durchzumachen hatten, bis sie zu ihrem der-
zeitigen Aussehen gelangten, gerade die auf die Freigelasse-
nen bezüglichen Bestimmungen gar vielfach in Zerrüttung
gerathen sein mögen. Endlich hat sich auch die Literatur
bisher nur wenig mit dem Stande der Freigelassenen befasst,
indem sie denselben immer nur gelegentlich der Besprechung
der Unfreien nebenbei mit in Betracht zog, und überdiess,
freilich mit einzelnen bemerkenswerthen Ausnamen, mehr
dessenjsociale Stellung als dessen Behandlung im Recht in's
Auge fasste. Sehe ich ab von ein paar älteren, mir nicht
zugänglichen Abhandlungen J. Hertzholm's^) und Fr. Th.
Hurtigkarl's^), dann von des schwedisch-finnischen Juristen
Matth. Calonius schätzbarer Schrift : De prisco in patria
servorum jure, welche zuerst in Gestalt von fünf Disserta-
tionen erschien (Abo, 1780, 84, 88, 91 und 93), dann von
Schildener nochmals herausgegeben wurde (Stralsund 1819),
endlich in des Verfassers Opera omnia, Bd. I, S. 129 — 344,
ebenfalls enthalten ist (Stockholm, 1829), welche aber ge-
rade da abbricht, wo der Verfasser im Begri fi^e war zu d'en
Freigelassenen überzugehen, so kommt H. F. J. Estrup,
Om Trseldom i Norden (Soröe 1823) noch als eine den
ganzen Norden umfassende Schrift in Betracht, von welcher
S. 106 — 25 hiehergehört; speciell für Norwegen aber sind zu
1) vgl. Gj es sing, in den Annaler, 1862, S 197—203, und 308,
dann meine Abhandlang über die Entstehung der älteren GulaMngslög",
S. 148—49.
2) Parerga de Servitute personali et reali; Hafnise, 1673.
3) De servitutis, quse inter majores nostros invaluit, indole; Hafnise,
1791,
Maurer: Die Freigelassenen nach altnorwegischem Rechte. 23
erwähnen: A. E. Eriksen, Om Trsoldom hos Skandinav-
erne,^) A. Gjessing, Tr^ldom i Norge,^) und Fr. Brandt,
Traellenes Retsstilling efter Norges ganile Love,^j welchen
Monograpbieen sich etwa noch R. Keyser, Norges Stats-
og Retsforfatning i Middelalderen, S. 289 — 95/) anreihen
lässt. Juristen sind von allen diesen Verfassern, wenn ich
widerum von Hertzholm und Hurtigkarl absehe, nur M.
Calonius und Fr. Brandt, und so will ich denn, zunächst
ihren Fussstapfen folgend, versuchen, wieweit es mir ge-
lingen möge, noch etwas mehr Klarheit in die juristische
Construction des altnorwegischen Freigelassenenrechtes zu
bringen.
Die Unfreiheit war nach norwegischem Recht ebenso
wie nach dem Rechte so vieler anderer Völker wesentlich
ein vererbliches Verhältniss , und konnte somit nur durch
einen förmlichen Freilassungsact beseitigt werden.
Das norwegische Recht kennt insbesondere keine zeitliche
Begrenzung der Sklaverei, wie solche das gotländische Recht
in dem Satze enthält, dass die Freilassung eintreten müsse,
sowie die Unfreiheit eine ^bestimmte Reihe von Jahren ge-
dauert hat; ^) aber freilich möchte man vermuthen, dass
auch dem gotländischen Rechte diese ganz abnorme Bestim-
mung nur aus dem mosaischen Sabbathjahre und Jubeljahre
zugeflossen sein möge,^) wie ja auch in das angelsächsische
1) In der Nordisk Universitets-Tidsskrift, Jahrgang VIII, Heft 3,
S. 1—61 (Christiania, 1861), und Heft 4, S. 83-110 (Upsala, 1862).
2) In den Annaler for nordisk Oldkjndighed og Historie, 1862,
S. 28-322.
3) In der Historisk Tidsskrift , I, S. 196—207; Christiania 1871.
4) Nach des Verfassers Tod erschienen in dessen : Efterladte Skrifter,
Bd. I, Ahth. I; Christiania, 1867.
5) vgl. Schlyter, Bd. XIII, s. v. mäli; Eriksen, S. 109— 10.
6) IL Mos., 21, 2—11; III. Mos., 25, 39 — 55; V. Mos., 15,
12-18.
24 Sitzung der phüos.-phüol. Classe vom 9. Februar 1878.
Recht dieses Sabbatjahr durch K. ^Elfred hereingebracht
wurde. ^) Der Kegel nach war es überhaupt ganz in den
freien Willen des Herrn gestellt, ob und wann er seinen
Sklaven freilassen wollte, und die verschiedensten Motive
und Bedingungen der Freilassung konnten sich dabei er-
geben ; insbesondere erfolgte diese bald unentgeldlich, indem
der Herr längeren treuen Dienst, oder auch eine einzelne hervor-
ragende Leistung seines Unfreien belohnen, oder durch ein sol-
ches Werk der Barmherzigkeit für sein eigenes Seelenheil sor-
gen wollte, bald gegen Entgeld, indem man den Verwandten
und Freunden des Sklaven, mildthätigen Wohlthätern, oder
auch ihm selber sich loszukaufen erlaubte. In den Ge-
schichfcsquellen werden, mehr freilich für Island als für
Norwegen, zahlreiche Beispiele derartiger Vorkommnisse er-
wähnt; aber auch die Rechtsquellen wissen ebensogut von
einer unentgeldlichen Freilassung,^) als vom Kaufen eines
Sklaven zum Zwecke seiner Freilassung ^) oder von einem
Loskaufe eines Sklaven durch sich selbst*) zu berichten.
Unter den Gesichtspunkt eines Freikaufs fallen übrigens
auch die Freilassungen , welche von Staatswegeu erfolgen.
Wenn der Heerpfeil Freie und Unfreie zur Vertheidigung
des eigenen Landes unter die Waffen ruft, erlangt jeder
Unfreie seine Freiheit, welcher im Kampfe einen Feind er-
legt, •^) ganz wie diess nach altdänischem Recht der Fall
gewesen sein soU;^) ausserdem galt aber auch die, angeblich
vom heiligen Olaf eingeführte, Vorschrift, dass alljährlich
zu bestimmter Zeit vom Dingverbande, und dann wider von
1) ^Ifredes dömas, Einleitung, §. 11.
2) Gl)L., §. 61.
3) FrJ)L., IX, §. 13.
4) GJL., §. 61; FrJL, IV, §. 55.
5) G1)L., §. 312.
6) Saxo Graramaticus, V, S. 228— 29; vgl. auch noch Jydske
Lov, III, 2.
Maurer: Die Freigelassenen nach altnorwegischem Rechte. 25
jedem einzelnen Volklande ein Unfreier auf gemeinsame
Kosten freigelassen werden sollte, eine Vorschrift, welche,
wie bereits bemerkt, erst durch K. Magnus Erlingsson ab-
geschafft wurde. ^) Dass zum Behufe dieser letzteren Frei-
lassungen, welche augenscheinlich an die Stelle früherer
Menschenopfer getreten waren, Sklaven aus gemeinsamen
Mitteln gekauft wurden, wird uns ausdrücklich gesagt; aber
auch in dem erstgenannten Falle muss wohl ebenso ver-
fahren worden sein, da man doch dem Herrn des mit der
Freiheit zu belohnenden Unfreien nicht zumuthen konnte,
dass er allein das für seine Belohnung erforderliche Opfer
bringe: für diesen Fall musste aber überdiess, da es sich
um die Freilassung eines individuell bestimmten Sklaven
handelte, dem Staate ein Expropriationsrecht gegenüber
dem Herrn dieses letzteren zugestanden werden, so dass
also in diesem Falle die Regel eine Ausname erlitt, vermöge
deren es im freien Belieben des Herrn stand, ob er seinen
Sklaven freilassen wollte ader nicht Noch in einem zweiten
Falle wird ein solches Expropriationsrecht gewährt, und
zwar in diesem einem Privaten, nicht dem Staate. Hat
nämlich ein freier Mann mit einer fremden Sklavinn ein
Kind erzeugt, und will dieses als das seinige anerkennen,
so soll er berechtigt sein, es um den Werth auszulösen,
welcher durch die Schätzung unpartheiischer Männer fest-
gestellt wird;^) diess eine Bestimmung, welche im schwe-
dischen^) und dänischen*) Rechte eine sogar noch weiter
reichende Parallele findet, soferne nach diesen das gleiche
Expropriationsrecht jedem Verwandten des Unfreien zu-
stand, welcher diesem die Freiheit zu verschaffen wünschte.
1) GJ)L, §. 4-5; FrJL., III, § 19.
2) Gl)L., §. 57.
3) WGL. I, Arft-serb., 22, und II, 31; ÖGL., ^rfl^ab, 17.i
4) SkäneL., 127; Andreas Sunonis, 77.
26 Sitzung der philos.-philol. Classe vom 9. Februar 1878.
Zu bemerken ist endlich noch, dass die G^L. auch eine
Ersitzung der Freiheit kennen , indem sie bestimmen , dass
der Unfreie, welcher volle 20 Jahre lang in Bezug auf die
Wahl seines Aufenthaltes , seine Verehelichung und seine
vermögensrechtlichen Verfügungen unbehelligt geblieben ist,
für frei gelten soll , wenn er sich anders für frei ausgeben
will.^) Diese Bestimmung erklärt sich aus der durchgreifen-
den Regel dieses Rechtsbuches, dass kein gezogenes Zeug-
niss über 20 Jahre hinaus vorhält,^) welcher in unserem
Falle die Folge gegeben wurde, dass nach Ablauf dieser
Frist von dem Freigelassenen kein Beweis seiner Freilassung
mehr verlangt werden konnte , vielmehr seiner durch den
langjährigen Besitzstand unterstützten Behauptung ohne
Weiters geglaubt werden musste. Die an sich nur eine
Beweisprsesumption bezweckende Regel hat also hier wie in
so manchen anderen Fällen zugleich materielle Wirkung er-
laugt, indem sie als Surrogat der Freilassung eine Ersitz-
ung der Freiheit entstehen Hess; vollends klar wird dieser
Sachverhalt, wenn man beachtet, dass die Fr{>L. umgekehrt
für eine Sicherstellung des Zeugenbeweises sorgen , indem
sie eine von 10 zu 10 Jahren zu widerholende Bekannt-
machung am Ding fordern,^) dafür aber auch von keiner
Ersitzung der Freiheit wissen.
Bezüglich der Form der Freilassung unterscheiden
die Gf>L. sowohl als die Fr{)L. zwei gesonderte Acte, deren
ersterer als das Geben der Freiheit (gefa frelsi) und deren
zweiter als das Halten des Freilassungsbieres (gera frelsisöl
1) G5L., §. 61 und 66.
2) vgl. meine Bemerkungen in der Kritischen Viertel Jahresschrift
für Gesetzgebung und Rechtswissenschaft, X, S. 398—400 (1868), und
E. Hertzberg, Grundtraekkene i den seldste norske Proces, S. 11 bis
12, (1874).
3) FrfL., IX, §. 12.
Maurer: Die Freigelassenen nach altnonvegischem Rechte. 27
sitt) bezeichnet wird ; die beiden anderen Rechtsbücher, die
B{>L. also und die E{>L., enthalten keine einschlägigen Be-
stimmungen, da von ihnen nur die das Christenrecht be-
treffenden Abschnitte erhalten sind über die eigentliche
Freilassung sprechen sich die FrI>L. nicht aus, ausser
etwa insoferne, als sie gelegentlich von einer Beweisführung
durch Zeugen in Bezug auf dieselbe wissen,^) und damit zu
erkennen geben, dass die Zuziehung von Zeugen bei dem
Acte üblich war ; die Gl>L. dagegen kenneu eine doppelte
Form desselben,^) indem sie den Unfreien entweder in die
Kirche führen, ihm hier ein Evangelienbuch auf das Haupt
legen , und dabei das befreiende Wort aussprechen , oder
aber ihn auf die ,, Kiste" setzen lassen, unter welcher letz-
teren man theils einen Reliquienschrein, ^) theils aber den
Kasten verstehen will, welcher hin und wider unter dem
Hochsitze (als hässetiskista) angebracht war.*) Für die er-
stere Auslegung würde der Ausdruck ,,kista" sprechen, da
„cista" im mittelalterlichen Latein wirklich den Reliquien-
kasten bezeichnet; indessen ist doch kaum anzunemen, dass
neben dem ,,leiÖa i kirkju" das ,,setja i kistu" als eine
zweite kirchliche Form der Freilassung bestanden haben
sollte, und ist somit eher zu vermuthen, dass der letztere
Ausdruck auf eine nationale Form des Actes zu beziehen
sei, als welche das Setzen auf den Hochsitz allerdings gelten
könnte. Die Haltung des Freilassungsbieres aber
regeln beide Rechtsbücher ziemlich übereinstimmend.^) Der
Freigelassene, welcher diesen zweiten Act vorgenommen
wissen will, hat zunächst eine gesetzlich bestimmte Quan-
titaet von Bier zu bereiten , nämlich mindestens „I>riggja
1) FriL, IV, §.56.
2) GJ)L, §. 61.
3) Estrup, S. 112, Anm. 2.
4) Gjessing, S. 263.
5) G]^L., §. 62; Frl)L., IX, §. 12; BjarkR, III, §. 166.
28 Sitzung der philos.-philol. Classe vom 9. Februar 1878.
sälda öl" nacli den G{>L., aber „niu msela öl" nach den
Fr{)L. ; ^) da 6 mselir auf das säld giengen , ^) betrug somit
das Quantum nach dem letzteren Rechtsbuehe nur halbsoviel
als nach dem ersteren. Da ein ,,{)riggja sälda öl" nach
beiden Rechtsbüchern bei der settleiSing üblich war,^) ein
ebensolches Mass Meths nach der älteren Edda beim Braut-
mahle vorkam , *) und nach dem Zeugnisse geschichtlicher
Quellen derselbe Betrag an Bier auch wohl den Göttern
gelobt wurde,-'') möchte man allenfalls vermuthen, dass das
grössere Quantum das ursprünglichere sein möge ; indessen
kommt doch anderwärts auch ein ,,ma3lis öl" ^) und ein
„tveggja msela öl" vor, ^) so dass die Möglichkeit nicht
ausgeschlossen ist, dass die verschiedenen Rechte in diesem
Punkte von Anfang an auseinandergegangen sein könnten.
Zu diesem Biere hat der Freigelassene sodann unter Zu-
ziehung von Zeugen den Freilasser einzuladen, und ihm bei
dem Gelage den Ehrenplatz einzuräumen; ausser ihm ist
noch eine bestimmte Zahl weiterer Gäste einzuladen, darunter
des Freilassers eigene Frau, und dürfen keine mit ihm ver-
feindete Personen geladen werden. Am ersten Abende des
Gelages hat sodann der Freigelassene seinem Freilasser den
Betrag von 6 Unzen als „leysingsaurar" anzubieten , und
dabei gleich die Wage bereit zu halten, um sie ihm zuzu-
wägen; ich wenigstens möchte unter den ,,skälir", in welche
l) Das Stadt' echt bietet die Variante „nüi nsetta (d. h. nätta) öl"
nach welcher Bier fiir eine 9tägige Gasten-i gefordeit wür e.
2)Landslög,Kaupab. §.29; nicht 3 mselir, wie Gjessing,
S. 266 annimmt.
3) GJ)L., §. 58; FrjL., IX, §. 1.
4) I»ryinskviÖ"a, 24,
5) FMS, II, cap. 154, S. 16; Flbk, I, §. 307.
6) GI.L., §. 6.
7) FrI)L., II, §. 21.
Maurer: Die Freigelassenen nach altnorwegischem Rechte. 29
die Zahlung zu legen war, lieber Wagschalen verstehen/)
als Becken, in welche das Geld geworfen worden wäre, um
dessen Güte am Klange zu prüfen.^) Nimmt nun der Herr
die angebotene Zahlung an, oder erlässt er sie dem Frei-
gelassenen, so ist damit die Sache abgemacht, und können
die einmal erlassenen nicht mehr nachgefordert werden ; ^)
erscheint er dagegen nicht beim Gelage, so hat der Frei-
gelassene den Ehrensitz für ihn frei zu halten, die gehörig
erfolgte Einladung desselben durch die beigezogenen Zeugen
zu constatiren, und nicht nur am ersten Abende vor jenem
Sitze seine Zahlung ganz ebenso anzubieten, wie wenn der
Herr anwesend wäre, sondern auch dieses Anerbieten am
folgenden Tage beim Mittagsmahle zu erneuern. Meldet
sich weder das erste noch das zweite Mal ein Bevollmäch-
tigter des Herrn zum Empfange des Geldes, so hat der
Freigelassene dieses so lauge aufzubewahren, bis der Herr
es ihm selber abfordert ; das Freilassungsbier aber gilt auch
solchenfalls als vollkommen richtig gehalten. Die Fr{>L.
lassen überdiess bei dem Feste einen Widder schlachten,
dessen Kopf abschneiden, und sodann den Herrn von dessen
Hals die ,,hälslausn", d. h. Halslösuug nemen, unter welcher
doch wohl nur eben jene Zahlung verstanden werden kann ;
beim Ausbleiben des Herrn fordern sie ferner, wie oben schon
bemerkt, eine von 10 zu 10 Jahren sich widerholende
{)ingljsing bezüglich der gehö'rigen Abhaltung des Bieres,
wogegen die G{>L. vermöge der ihnen bekannten Ersitzung
der Freiheit dieses Auskunftsmittels nicht bedürfen. Eine
Bekanntmachung der erfolgten Haltung des Freilassungs-
1) So auch Guä'brandr Vigfusson, h. v.
2) Letzterer Ansicht ist Gjessing, S. 267.
3) So scheint es nämlich verstanden werden zu müssen , wenn in
G5L., §. 1'29 die leysingsaurar zu den Vergabungen gerechnet werden,
die unwiderruflich sind.
30 Sitzung der phüos-phüol. Classe vom 9. Februar 1878.
bieres am möt, von welcher das Stadtrecht spricht, ^) hat
dagegen keine selbstständige Bedeutung, bietet vielmehr nur
den Vortheil, dass sie der Nothwendigkeit überhebt, von
Fall zu Fall diese beweisen zu müssen. Ich glaube hierauf
ausdrücklich aufmerksam machen zu sollen, weil nicht nur
die schwedischen und dänischen Rechte die volle Wirkung
der Freilassung von der Vorname eines Actes, oder doch
einer Bekanntmachung am Ding abhängig machen , ^) son-
dern auch das isländische Recht ein ausdrückliches ,,leiSa i
log" des Freigelassenen fordert, welches durch den Goden,
bei welchem dieser im Dinge war, in der Dingversammlung
vorzunemen war.')
Die Umständlichkeit, mit welcher die genannten beiden
Rechtsbücher die Haltung des Freilassungsbieres besprechen,
zeigt, dass sich an diesen zweiten Act ganz ebensogut wie
an den ersten bedeutsame rechtliche Wirkungen geknüpft
haben müssen, und dass somit diejenigen Leute, welchen zwar
die Freiheit gegeben worden war, welche aber ihr Frei-
lassungsbier noch nicht gehalten hatten, eines geringeren
Masses von Rechten genossen haben müssen als diejenigen,
welche auch diesen zweiten Act hinter sich gebracht hatten.
In der That bezeichnen zwar die Gl>L. sowohl als die Fr{)L.
und das ältere Stadtrecht den Angehörigen beider Classen
ganz gleichmässig mit dem Ausdrucke leysingr oder
leysingi, fem. lejsingja, welcher, von dem Zeitworte
leysa, d. h. lösen abgeleitet in der That für beide ganz wohl
passt ; aber sie unterschieden doch oft genug zwischen dem
leysingi ,,sä er gjört hefir frelsisöl sitt", und „sä er eigi hefir
1) BjarkR., II, §. 47.
2) vgl. Gjessing, S. 267-69, dann Nordström, Bidrag -tili
den svenska Samhälls-Författniagens Historia, I, S. 100, Anm., und
Stemann, den danske Retshistorie, S. 287 — 88.
3) Kgsbk., §. 112, S. 192; Festal)., cap. 43, S. 357-58.
Maurer: Die Freigelassenen nach altnorwegischem Hechte. 31
gjört frelsisöl sitt", und bemessen den Umfang der Rechte
ganz verschieden, welcher diesem und jenem eingeräumt
werden will. Wenn wir nun dem gegenüber in den B{)L.
sowohl als in den E{>L. von dem leysmgr oder leysingi als
einem Freigelassenen höherer Ordnung einen frjälsgjafi,
fem. f r j ä l s g j a f a , als einen Freigelassenen geringeren
Grades unterschieden sehen, und wenn wir überdiess auch im
älteren Stadtrechte einmal die frjälsgefa der leysingja an
die Seite gestellt,^) und in den Fr{>L. wenigstens noch ein-
mal in einer Capitelüberschrift den frjälsgjafi erwähnt finden,^)
so werden wir wohl berechtigt sein anzunemen , dass diese
Terminologie mit jener Scheidung eines zweifachen Frei-
lassungsactes zusammenhängen , und dass somit unter dem
frjälsgjafi der Freigelassene, der sein Freilassungsbier noch
nicht gehalten hat , unter dem leysingi aber der Frei-
gelassene, der solches gehalten hat, zu verstehen sein werde,
wogegen der regelmässige Sprachgebrauch der Gl>L. und
Fr{)L., vermöge dessen die Bezeichnung leysingi für beide
Classen gemeinsam verwendet wird, als ein erst später auf-
gekommener wird bezeichnet werden dürfen. In der That
erinnern die leysingsaurar und die hälslausn , welche ge-
legentlich des Freilassuno sbieres entrichtet wurden, an die
Bezeichnung leysingi, wogegen die sehr alterthümlich
gefasste Regel: „frjäls er hverr er frelsi er gefit, ef sä
gefr, er gefa ä,"^) oder: ,,{)ess skal hverr vera leysingi,
er frelsi gaf, ef sä gaf, er gefa ätti ,'* '^) ebenso bestimmt
an den Ausdruck frjälsgjafi anklingt. Jedenfalls liegt
kein Grund vor, mit Bischof Hannes Finnsson ^) und
1) BjarkR., III, §. 127.
2) FrJ.L, IX, §. 13.
3) Gl)L., §. 61.
4) FrJ)L., IX, §. 10.
5) Tentamen historico-philologicum circa Norwegise jus ecclesiasti-
32 Sitzung der philos-philol. Classe vom 9. Februar 1878.
Estrup ^) Hüter dem frjalsgjafi einen „libertus manumissus
e mera domini übertäte (lies liberalitate)/* und unter dem
leysingi einen „libertus qui se ipse pecunia e Servitute re-
dimit," zu verstehen, und ebenso liegt der Sprachgebrauch
des isländischen Rechtes völlig ab, welches als frjalsgjafi nie
den Freigelassenen, sondern immer nur den Freilasser be-
zeichnet. Die norwegischen Rechtsbücher bezeichnen diesen
letzteren ihrerseits immer nur als d r 6 1 1 i n n , d. h. Herr,
oder noch häufiger als skapdr öttinn, d. h. rechtmässiger
Herr, wobei das Wort skap in den Zusammensetzungen
skaparfi oder skaperfingi, skapboetandi und skap{>iggjandi,
skapl>ing, oder auch skapdauSi, skaplag, lediglich das Ord-
nungsgemässe und Gesetzliche des Verhältnisses hervorhebt ;
es ist völlig unbegründet, wenn Gjessing unter dem dröttinn
immer nur den Herrn eines Unfreien, unter dem skapdröttinn
dagegen den Patron eines Freigelassenen verstehen will , ^)
vielmehr wird der letztere abwechselnd mit beiden Aus-
drücken bezeichnet.^) In den dänischen und schwedischen
Rechtsbüchern dagegen tritt der Ausdruck frselsgivi, fraels-
giva wider lediglich als Bezeichnung der Freigelassenen auf,
und zwar ohne Unterscheidung der beiden Classen von
solchen, welche auch diese beiden Rechte sonst auseinander-
zuhalten wissen.*)
Das richtige Verständniss , und mehr noch die über-
sichtliche Darstellung der auf die Freigelassenen bezüglichen
Rechtsregeln wird schon dadurch sehr erschwert, dass nach
dem soeben Bemerkten zwei verschiedene Classen von solchen
ganz getrennt zu halten sind, während doch gerade die-
cum, quod Vicensium sive priscura vulgo vocant, S. 36 und 37, Anm.
68 und 69.
1) Estrup, S. 117.
2) Gjessing, S. 322.
3) z.B. GJ)L., §. 67.
4) siehe Schlyter, h. v.
Maurer'. l)ie Freigelassenen nach altnorwegischem Rechte. 33
jenigen beiden Rechtsbücher , welche uns allein einiger-
raassen vollständig erhalten sind, für beide eine und dieselbe
Bezeichnung brauchen, und nicht immer durch weitere Bei-
sätze zu erkennen geben, welche von beiden Classen sie an
jeder einzelnen Stelle im Auge haben. Eine weitere
Schwierigkeit liegt aber darinn, dass unter gewissen Vor-
aussetzungen die Wirkungen, welche sich sonst nur an die
Haltung des P'reilassungsbieres knüpfen , ganz oder theil-
weise auch eintreten können, ohne dass dieses gehalten
wurde, und dass insbesondere auch andere Rechtsacte als
ganz oder theil weise wirksame Surrogate für das Freilas-
sungsbier gelten; dass ferner an der eigen thümlichen Be-
handlung der Freigelassenen in gewissem Umfange auch
deren Nachkommenschaft Antheil nimmt, wobei gleichfalls
wider die Scheidung der Freigelassenen höherer und niederer
Ordnung scharf im Auge zu behalten ist ; dass endlich neben
der bisher besprochenen Terminologie anch noch andere
Standesbezeichnnngen vorkommen, bezüglich deren erst fest-
gestellt werden muss, welches ihre Geltung sei, und wie-
ferne sie sich mit den beiden Classen der Freigelassenen
irgendwie berühren. Es ist unter solchen Umständen
schlechterdings unmöglich, einen streng systematischen Gang
der Darstellung einzuhalten, und wird vielmehr nöthig, die
Erörterung der einzelnen massgebenden Stellen lediglich in
der Reihenfolge vorzunemen, vermöge welcher es am Sicher-
sten gelingen zu wollen scheint, in die vielfach verworrene
Materie Klarheit zu bringen. Am Schlüsse der Untersuch-
nng wird es sodann erst möglich werden, durch geordnetes
Zusammenfassen der gewonnenen Ergebnisse ebenmässige
Anschaulichkeit bezüglich der ganzen Lehre zu erzielen.
Was zunächst d i e Wi r k u n g e n der Freilassung betrifft,
so unterscheiden die B[>L. und E{>L. die beiden Classen der
Freigelassenen sehr deutlich als verschiedene Stände. Beide
Rechtsbücher weisen zunächst den verschiedenen Ständen
[1878 I. Philos.-philol. bist. Cl. 1.] 3
34 Sitzung der philos.-philol. Classe vom 9. Februar 1878.
ihre verschiedenen Begräbnissplätze auf dem Kirchhofe an,
und zwar in ziemlich gleichförmiger Weise Nach den B{>L.^)
soll der Kirchhof in 4 Abtheiluugen (fjörSungar) zerfallen,
und sollen die Landherren ,,im Osten der Kirche, und süd-
lich im Lande, unter der Dachtraufe," begraben werden,
dann die höldar, unter welchen hier nur die freigeborenen
Bauern verstanden werden können, mit ihren Kindern, jedoch
so, dass auch die Landherrn „i böndalegu" zu begraben
sind, wenn sie am Kirchhofe keinen Antheil haben ; dann
folgen die leysingjar und ihre Kinder, und hierauf die
frjälsgjafir mit den ihrigen, wogegen die Unfreien zunächst
an der Kirchhofmauer zu liegen kommen. Begräbt man
nun einen Unfreien „i frjälsgjafa legu'*, so hat man 6 aurar
Busse zu geben; begräbt man einen frjälsgjafi ,,i leysmgja
legu'\ so büsst man 12 Unzen; begräbt man einen leysingi
„i hauldslegu", so büsst man 3 Mark. Auffällig ist dabei
freilich, dass der Abtheilungen nur 4 sein sollen, während
doch 5 Classen von Leuten in denselben untergebracht
werden sollen. Man wird kaum , mit Estrup , annemen
dürfen, dass die Unfreien an der äusseren Seite der Kirch-
hofmauer, also ausserhalb des Kirchhofes, bestattet warden ; '^)
ich möchte vielmehr eher dafür halten, dass den Landherrn,
welche doch wohl nur ausnamsweise auf den gemeinen
Kirchhof zu liegen kamen, da sie gewiss mehrentheils
1) B])L. L §. 9; II, §. 18; III, §. 13. Die Texte II und III ge-
denken allerdings der frjälsgjafir und ihres Begräbnissplatzes zunächst
nicht; da aber auch sie hinterher dem Bussen androhen, der einen Un-
freien in der Abtheilung des frjälsgjafir, oder einen frjälsgjafi in der
Abtheilung der leysingjar bestattet, ist klar, dass insoweit nur ein
Schreib Verstoss vorliegt.
2) Estrup, S. 51. Gjessing, S. 290, Anm., bezeichnet diese
Deutung als eine irrige, lässt aber ungesagt, wie er sich helfen will,
da auch er die 4 Abtheilungen auf die lendirmenn, höldar, leysingjar
und frjälsgjafir bezieht.
Maurer: Die Freigelassenen nach altnorwegischem Rechte. 35
Patronatskirchen mit eigenen Familienbegräbnissen besassen,
und überdiess, wenn sie zur Zeit ihres Todes noch im
activen Dienste standen , ihr Grab in der Domkirche ihres
Bezirkes zu beanspruchen hatten, ^) nur ein bevorzugter
Platz innerhalb der böndalega, nicht eine eigene Abtheilung
eingeräumt war, und dürfte hiefür zumal auch der Umstand
sprechen, dass demjenigen keine besondere Busse angedroht
wird, der einen hold an dem den lendirmenn gehörigen
Platze begräbt. Eine ganz analoge Bestimmung über die
Vertheilung der Begräbnissstätten enthalten ferner die E{>L.,
nur dass in derselben von keiner für die Verletzung der
Vorschriften zu entrichtenden Busse gesprochen wird ; ^) dass
der zweite und jüngere Text dieses Rechtsbuches dabei die
frjälsgjafir und ihre Kinder auslässt, mag ausdrücklich be-
merkt werden. Weiterhin stufen die B|>L. auch das leg-
kaup, d. h. die für die Grabstätte zu entrichtende Gebühr,
in der Art ab,^j dass für die Leiche eines Landherrn, seiner
Frau und seiner Söhne, soweit sie noch Standesgenossen
ihres Vaters sind, 12 Ellen, für die Leiche eines höldborinn
ma6r 6 Ellen, für die des leysingjasons 4 Ellen, für die des
frjälsgjafi aber 1^2 Ellen zu entrichten sind, wogegen für
die Leiche eines Unfreien nur ein gewogener Pfenning ent-
richtet wird. Auch in dieser Richtung kennen die E|>L. wider
eine entsprechende Vorschrift, *) deren Text zwar einiger-
massen corrupt ist, aber doch die massgebenden Sätze noch
deutlich erkennen lässt; der Ansatz für den höldr muss
1) Hird'skrä, §. 21. Vgl. das unächte Privileg K Magnus Erl-
ingsson's, im Diplom. Island., I, nr. 39. S. 229, welches als Inter-
pretation sbehelf immerhin gebraucht werden darf,
2) EfL., I, §. 50; II, §. 39.
3) BtL., I, §. 12; II, §. 20.
4) EJ)L., I, §. 48; II, §. 37. Der von Gjessing, S. 291, ver-
suchten Deutung : üfrjäls =r frjälsgjafi , vermag ich mich nicht anzu-
schliessen.
3*
36 Sitzung der philos.-philot. Classe vom 9. Fehruar ISTS.
durcli Correctur auf 6 Ellen gebracht werden, während er
in Text I. deren 12, und in Text II. deren 7 beträgt, ^)
und für: „üfrjälsan psening vegen. firi anauÖgan. annan" in
Text I. ist zu lesen : „hälfa aSra aliii fyrir frjalsgjafa, paening
vegin fyrir änauSgan mann'', während in Text II. einfach
steht: „paening vegen firi anauSgan man", also der frjäls-
gjafi völlig ausgefallen ist, und ist wohl ,,iifrjälsan" nur als
Glossem zu ,,änau8gan mann" zu fassen, wogegen die vor-
ausgehenden Worte ausgefallen zu sein scheinen. Weiter-
hin setzen die Bf>L. die Busse wegen geschlechtlicher Kränk-
ung der Frau des höldr , der Tochter des leysingi , der
leysingja und der frjalsgjafa auf 6, 4, 8 und 1^/2 Mark
fest,^) während sie beide Classen von Freigelassenen in Be-
zug auf den Umfang, in welchem die blutige Rache wegen
des mit einer Angehörigen begangenen Unzuchtsvergehens
gestattet ist, einander gleich stellen, und nur von den Un-
freien einerseits und den Freigeborenen andererseits unter-
scheiden ; ^) die EJjL. dagegen enthalten keine einschlägige
Bestimmung. Beachtenswerth ist, dass sowohl bei der Un-
zuchtsbusse als beim Grabkaufe und bei der Busse wegen
widerrechtlicher Bestattung das Verhältniss des frjälsgjafi
zum leysingi und zum höldr ganz gleichraässig das von
1:2:4 ist, und beachtenswerth auch, dass die Kinder des
leysingi in Bezug auf das Begräbniss diesem selbst gleich-
gestellt, dagegen in Bezug auf den Grabkauf und die Un-
zuchtsbusse mit einem eigenen Ansätze zwischen ihn und
den Freigeborenen hineingeschoben sind.
In den G|>L. und FrI>L. dagegen wird hinsichtlich des
Begräbnisses auf den Unterschied der Stände überhaupt
keine Rücksicht genommen, und auch bezüglich des Grab-
1) Aus VI. wurde also dort XII, hier VIT.
2) BPL.. II, §. 14.
3) ebenda, §. 15.
Maurer: Die Freigelassenen nach altnorwegischem Hechte. 37
kaufes legen ihm die G{>L., deren ältere Redaction diese
Gebühr noch kennt, ^) während sie aus den Fr{>L. völlig ver-
schwunden ist, keine Bedeutung bei, ganz wie das isländische
Recht die Regel aufstellt : „leg skulu öU vera jafndyr, hvort
sem eru nserr kirkju eSa firr i kirkjugarSi" ; *) in anderen
Richtungen dagegen betonen auch jene beiden Rechtsbücher
die Verschiedenheit jener beiden Classen von Freigelassenen
sehr entschieden. Die G{>L. zunächst gewähren dem Frei-
gelassenen geringerer Ordnung noch kein freies Verfügungs-
recht über sein Vermögen, lassen ihn vielmehr nur bis zum
Betrage eines örtugr disponiren ; ^) sie gestatten ihm ferner
auch nicht das Recht der freien Verehelich ung, lassen viel-
mehr nur die mit Zustimmung seines Freilassers von ihm
eingegangene Ehe diesem letzteren gegenüber ihre volle Wir-
kung äussern, *) so dass der Freigelassene sein Freilassungs-
bier halten muss, wenn er „räSa kaupum sinum ok kvän-
fÖngum'' will ; ^) endlich steht ihm auch nur innerhalb des
Volklaudes, welchem er angehört, die freie Wahl seines
Aufenthaltes zu, und kann ihn der Freilasser heimfordern,
wenn er dessen Grenze ohne seine Erlaubniss überschreitet, ^)
sodass der Ausdruck ,,skira far sitt", sich die Fahrt klären,
geradezu für die Haltung des Freilassungsbieres gebraucht
werden kann. ^) Ueberdies fehlt den Kindern der Freige-
1) G5L., §. 23.
2) Kgsbk. §. 2, S. 9; älterer KrR, cap. 5, S. 28.
3) G5L., §. 56.
4) ebenda, §. 63.
5) ebenda, §. 61 und 62.
6) ebenda, §. 61 und 67.
7) ebenda, §. 66. Gj es sing hat bereits, S. 269, den Aus-
druck richtig in obiger Weise erklärt; nur hätte er sich dabei nicht
auf die Worte: ,ef bann fser sik eigi skirt", in den Fr iL., IX, §. 10
berufen sollen. Diese beziehen sich vielmehr auf das erfolgreiche Be-
stehen der ski'rsla, d. h. des Gottesurtheiles,
38 Sitzung der philos.'philol. Classe vom 9. Februar 1878.
lassenen geringerer Ordnung das Erbrecht, ^) und dass sie
selbst noch zum Hause ihres Freilassers gezählt werden,
ergiebt sich daraus, dass dieser sie bei der Mannzahl anzu-
sagen, und für sie in zweiter Linie einzustehen hat, wenn auch
der Mann zunächst aus eigenen Mitteln die Heerlast be-
streiten soll. ^) Ausserdem wird bei Besprechung der Werth-
grenzen, welche den Verfügungen der Weiber aus den ver-
schiedenen Volksclassen gezogen sind, nur der Frau des
Freigelassenen gedacht, welcher sein Freilassungsbier ge-
halten hat,^) was sich doch wohl daraus erklärt, dass die
Frau des Freigelassenen geringerer Ordnung, dessen eigene
Disposition sbefugniss schon so sehr beschränkt war, über-
haupt keine solche besass. Auffällig ist aber, dass bei der
Abstufung der zu beziehenden oder zu entrichtenden Bussen
zwischen den beiden Classen der Freigelassenen nicht unter-
schieden wird, so scharf sich sonst gerade in diesem Punkte
die Verschiedenheit der Stände auszuprägen pflegt. Da in
Fällen einer zu empfangenden Busse der leysingi stets halb
so hoch als der vollfreie Mann angesetzt wird, während der
leysingjasonr mit einer unorganischen Ziffer zwischen beide
eingeschoben erscheint,*) zeigt die Vergleichung der B|)L.
und E{)L., dass der Bussbetrag der höheren, und nicht der
der geringeren Freigelassenenclasse dabei massgebend ge-
worden ist; bei zu zahlenden Bussen freilich war das Ver-
hältniss das von 1:2:3,^) indem das Bestreben, die baugar
zu runden, den Sieg davongetragen zu haben scheint, und
bei den Werthgrenzen für die Dispositionsbefugnisse der
1) G5L., §. 65; vgl. §. 25, 63 und 106. Die litla erf* des §. 65
und 114 gehört nicht hieher, da sie auf Miteigenthum zu gesaramter
Hand leruht.
2) ebenda, §. 296.
3) ebenda, §. 56.
4) ebenda, §. 91, 198 und 200.
5: ebenda, § 185,
Maurer: Die Freigelassenen nach altnorwegüchem Rechte. 39
Weiber galt das Verhältniss von 2:3:6,*) wobei auch
wider die Abrundung der Werthgrenzen massgebend gewor-
den sein dürfte. Wenn aber bei der Bestimmung der Werth-
grenzen, innerhalb deren uneheliche Kinder mit Vergabungen
bedacht werden durften, unter dem lendrmaSr, hauld-
nia^r und böndi nur noch der leysingssunr , nicht aber
der leysingi selbst erwähnt wird,^) so muss dabei eine Coruptel
im Texte vorliegen ; die augegebenen Beträge von 6 Mark,
3 Mark, 12 Unzen und 6 Unzen zeigen die normale Ab-
stufung von 1:2:4:8, und muss somit bei dem leysing-
jasunr die (unorganische) Ziffer, und vor „6 aura" der leys-
ingi selbst ausgefalleu sein. — Minder deutlich und z. Th.
sogar entschieden abweichend sprechen sich die Fr{)L. aus.
Während sie an einer einzelnen Stelle nur das für die Ab-
stufung der Busssätze der vervschiedenen Stände geltende
Zahlenverhältniss (2:3) angeben, ohne dabei die für die ein-
zelnen Stände sich berechnenden Ansätze speciell zn nennen,^)
sehen sie an einer längeren Reihe von Stellen bei der Be-
stimmung der Bussen von jeder Scheidung zweier Classen
von Freigelassenen ganz ab;*) an einer, von den Verbal-
injurien handelnden Stelle aber, welche auch in das Stadt-
recht übergegangen ist, unterscheiden sie zwischen beiden
Classen,^) und wenn wider eine andere Stelle des Stadtrechtes
zwar bezüglich der ünzuchtsbussen nur einen einfachen
Bussbetrag angiebt,®) so deutet doch der Umstand, dass da-
bei die frjälsgefa neben der leysingja genannt wird, darauf
hin, dass in älteren Texten für beide verschiedene Bussen
eingesetzt gewesen sein dürften. Eine letzte Stelle des
1) ebenda, §. 56.
2) ebenda, §. 129.
3) FrjL., X, §. 34; BjarkR., III, §. 161.
4) Fr])L., IV, §. 49 und 53; X, §. 41 und 46; XIII, §. 15.
5) Fr5L., X, §. 35; BjarkR., III, §. 162.
6) BjarkR., III, §. 127.
40 Sitzung der philo.s -pJiilol. Classe vom 9. Februar 1878.
Stadtrechtes endlich erkennt allen Leuten in der Stadt vom
Landherrn herab bis zu dem Freigelassenen, der sein Frei-
lassungsbier gehalten hat, ganz gleichmässig eine Busse von
3 Mark zu, dagegen dem Freigelassenen, welcher dieses Bier
noch nicht gehalten hat, nur eine Busse von 6 Unzen, *) und
sie tritt damit allerdings mit mehrfachen anderen Stellen
in bestimmten Widerspruch ; an der entschiedenen Sonderung
der beiden Classen von Freigelassenen aber hält auch sie
immerhin fest. Aus der Höhe der Busssätze lässt sich für
dieses Rechtsbuch kein gesicherter Schluss ziehen, da das
Verhältniss von 2:3, v^elches widerholt als massgebend für
deren Abstufung bezeichnet wird,^) sich thatsächlich nicht
consequent eingehalten zeigt, wahrscheinlich weil die Ein-
schiebuug mehrfacher Zwischenstufen in die ältere Reihe
der Stände (reksl)egn und leysingjasonr) dasselbe undurchführ-
bar gemacht hatte, falls man nicht auf absolut unpraktische
Bruch theile kommen wollte. Weiterhin wird uns aber aus-
drücklich gesagt,^) dass der Sohn, welchen ein Freigelassener
mit einem freigeborenen Weibe, welches er nach erfolgter
Freilassung geheirathet hatte, noch vor der Abhaltung seines
Freilassungsbieres gewinnt, Niemandes Erbe zu nemen be-
rechtigt sei, und nur dieselbe Busse beziehe wie sein Vater,
während sonst die Söhne von Freigelassenen (höherer Ord-
nung) eine höhere Busse erhalten; wenn aber ein solcher
Mann als „borinn skauta ä meÖal" bezeichnet wird, so wollen
damit doch wohl die beiden für die Freilassung in Betracht
kommenden Acte als die beiden Zipfel des ganzen Vorganges
betrachtet werden, zwischen denen das Kind zur Welt ge-
kommen ist. Mit diesem Ausspruche stimmt aber überein,
wenn anderwärts gesagt wird, dass nur der Freigelassene
1) ebenda, II, §. 47; III, §. 97.
2) FrI.L, IV, §. 49; X, §. 34.
3) ebenda, IX. §. 15.
Maurer: Die Freigelassenen nach altnorwegischem Rechte. 41
seine Kinder beerbe, welcher sein Freilassungsbier gehalten
habe,*) oder dass derjenige von seinem Freilasser beerbt
werde, welcher dasselbe noch nicht gehalten habe. ^) Auch
in Bezug auf seine Freizügigkeit scheint der Freigelassene
beschränkt gewesen zu sein, solange er sein Freilassungsbier
noch nicht gehalten hatte, ^) und nicht minder in Bezug auf
seine vermögensrechtlichen Verfügungen, obwohl allerdings
die einzige Stelle, welche sich hierüber ausspricht,*) nicht
deutlich zu erkennen giebt, auf welche Classe von Freige-
lassenen sie bezogen werden wolle. Er unterliegt endlich
auch einem S chutzrcchte seines Freilassers , welches als
„vorn**, d. h. Vertheidigung bezeichnet wird,^) dessen Aus-
dehnung jedoch nicht klar ist.
Als eine weitere Art von Verpflichtungen, welche dem
Freigelassenen obliegen , siad aber auch die ^jpfjrmslir'''' zu
bezeichnen, bezüglich deren freilich erst noch zu untersuchen
ist, ob sie beiden Classen vou Freigelassenen oder nur der
einen von ihnen obliegen. Das Zeitwort tyrnia, von wel-
chem sich das Hauptwort {)yrmsl,^) welches übrigens fast
nur in der Pluralform ^yrmslir , fjyrmslur vorkommt , ab-
leitet, bedeutet schonen, schonend und achtungsvoll behandeln,
und bezeichnet somit das Hauptwort ein Verhältniss, welches,
gleichviel aus welchen Gründen , eine gewisse Rücksicht-
name oder Enthaltsamkeit fordert. In rein körperlichem
Sinne spricht z. B. der Königs spiegel von einem „vera
1 |jyrmslum eptir bloÖlat"^) als von dem Zustande der Scho-
nungsbedürftigkeit, in welchem man sich nach einem Ader-
1) ebenda, §. 11.
2) ebenda, §. 13.
3) ebenda, §. 10.
4) e b e n d a , XI, §. 23.
5) ebenda, IX, §. 10.
6) Die Singularform steht in der Ueberschrift des §. 11, ebenda.
7) Konüngssk.; §. 57, S. 140.
42 Sitzung der pkilos.-philol. Classe vom 9. Februar 1878.
lasse ?;u befinden pflegt ; in figürlichem Sinne dagegen ge-
braucht dieselbe Quelle den Ausdruck „{»yrnia lögum", *) die
ältere Edda ,,l>3U'ma eiÖiim",^) und ein isländisches Rechtsbuch
„{)yrma griSum^'^) für die ehrfurchtsvolle Beobachtung des
Gesetzes, Eides, Friedensgelöbnisses. Schon in einem der
heidnischen Zeit angehörigen Liede wird der Ausdruck
„{)yrma veum'*, die Heiligthümer achten, gebraucht;*) die
jüngeren Christenrechte aber brauchen den Ausdruck ,,l)yrma
kirkjum ok kirkjugörSum" für die Achtung des kirchlichen
Asylrechtes, ^; den Ausdruck ,,{)yrma retti heilagrar kirkju ok
IserÖra manna" in Bezug auf die der Kirche und ihren
Dienern geschuldete Ehrfurcht®), und den Ausdruck „mis{)yrma
klerk eÖa klaustrmanni", ,,mis{)yrma kirkjunnar goSs" für die
Mishandlung geistlicher Personen und widerrechtliche Ein-
griffe in das Kirchengut, wie denn auch der Begriff des sacri-
legium durch „mis{>ynnsl vigSs lutar" widergegeben wird.'^)
In dem Erlasse über die Bannfälle, welcher au der Spitze
des sog. Christenrechtes K. Sverrir's steht, spricht dieser
König sammt seinem Episkopate von „[)yrnislir pißr er menn
eiga gu6i at veita ok oss",*) und versteht darunter die Gott
und dem König geschuldete Ehrfurcht; die älteren Christen-
rechte aber gebrauchen bereits Ausdrücke wie ,,I)yrma dögum",
„{»yrmajölahelgi", ,,{)yrma frjädögum ok kristnum dorai värom''
von der kirchlich gebotenen Beobachtung der Feste und
Fasten,^) und andererseits wider Ausdrücke wie ,,vera i
1) ebenda, §. 36, S. 78.
2) Gripisspä, 47; Sigurd'arkv. III, 28.
3) Kgsbk., §. 114, S. 205; Vigslö^i, cap. 112, S. 166.
4) Häkonar ni äl, 18.
5) neuerer BjKrR., §. 7; neuerer GfKrR.. §. 15; Jons Krß.,
§. 12; Arna bps KrR, §. 6 und 8.
6) Arna bps KvR., §. 7.
7) ebenda; Jons KrR., §. 54.
8) Sverris KrR., §. 1.
9) GtL., §. 17 und 20; FrJL, II, § 34.
Maurer: Die Freigelassenen nach altnorwegischem Rechte. 43
l>yrmsliim viS konu",') „l>yrmast vi6 guSsifjar*' ,,{>yrma vi6
konu**2) von der Achtung der kirchlichen Verbote bezüg-
lich des Umganges mit Weibern innerhalb gewisser Grade
der Verwandtschaft, Schwägerschaft und Gevatterschaft, wie
denn auch der Köuigsspiegel in diesem Sinne sagt: ,,tynir
hverr fraendsemi viÖ annau , ok gjörisk sifjaspell, ok J)yrma
menn engum leytum'',') wogegen „f)yrma sifjum" in der
älteren Edda in etwas anderer Bedeutung, nämlich für die
Bewahrung der schwägerlichen Treue gebraucht steht.*) lu
änlicheni Sinne braucht ferner ein älteres Christenrecht den
Ausdruck: ,,[>yrmaz vid hjunskap" für die Enthaltung vom
ehelichen Zusammenleben,'^) und sagt ein altes Homilienbuch
von denen, die sich unnatürlicher Sünden schuldig machen:
„l>eir es eige {)yrma körlom heldr en konom et>a mis{>yrma kyc-
qvendom ferfeöttom'^^) Insbesondere wird der Ausdruck auch
für die Verpflichtungen gebraucht, welche ein Verhältniss
der Abhängigkeit und Dienstbarkeit einem Untergebenen
seinem Herrn sowohl als seinen Genossen gegenüber aufer-
legt. In diesem Sinne sagt z. B. das Dienstmannenrecht,^)
dass die gestir innerhalb ihres Verbandes alle diejenigen
,,l>yrmslur" zu beobachten haben, welche den hirSmenn inner-
halb des ihrigen obliegen, wobei es die Verpflichtung, sich
bei der gestastefna einzufinden, bei Tisch die gehörige Zucht
zu beobachten, und die Leiche verstorbener Genossen zu
Grabe zu geleiten, als dahin gehörig bezeichnet; in diesem
Sinne wird der Ausdruck aber auch auf die Verpflichtungen
angewandt, welche dem Freigelassenen gegenüber seinem
1) GtL., §. 24.
2) ebenda, §. 26.
3) Konüngssk., §. 36, S. 76.
4) Sigurd-arkv. III, 28.
5) El)L., I, § 4.
6) Homiliubok, S. 137 (ed. Wisen).
7) Hir^-skrä, §. 45.
44 Sitzung der pliilos.-philol. Classe vom 9. Februar 1878.
Freilasser obliegen. Es äussern sich aber die Gl>L. an einer
für die {)yrmslir in diesem Sinne classischen Stelle folgender-
massen: *) „Der Freigelassene soll {)yrmslir beobachten gegen
seinen Herrn. Er soll sich nicht betheiligen an Anschlägen
gegen dessen Vermögen noch gegen dessen Leben; auch
nicht im Gerichte ihm entgegentreten, er habe denn eine
eigene Rechtssache zn vertheidigen , die soll er ebensogut
gegen ihn vertheidigen wie gegen andere Leute ; auch nicht
in Worten sich mit ihm messen, und nicht Schwerdt noch
Speer gegen ihn zücken, und nicht in seiner Feinde Schaar
stehen, und nicht Zeugniss wider ihn geben, und nicht in
den Dienst übermächtiger Männer treten, er habe denn seine
Erlaubniss dazu, noch auch ein fremdes Gericht ihm gegen-
über besetzen. Thut er eines dieser Dinge, so soll er auf
den alten Sitz zurückkehren, auf welchem er früher gesessen
war, und mit Geldeswerth sich von demselben lösen; auch
hat er sein Vermögen verwirkt. Zwei sollen diese Oblie-
genheiten erfüllen, Vater und Sohn, gegen Zwei auf der
anderen Seite ; lässt sich aber der Sohn eines Freigelassenen
einen solchen Verstoss zu Schulden kommen, so verwirkt
er dadurch seinem Herrn gegenüber ebensoviel Geldwerth,
als sein Vater bezahlt hat." Es sind also wirklich wesent-
lich Verpflichtungen der Treue und der Ehrerbietung, welche
unter den {)yrmslir verstanden werden, und wir haben keinen
Grund, dem Worte in den Frl>L. eine andere Bedeutung
beizulegen , obwohl diese keine entsprechende Erklärung
über dessen Sinn enthalten; fraglich erscheint dagegen, auf
welche Classe von Freigelassenen die {)yrmslir zu beziehen
sind, ob auf diejenigen, welche ihr Preilassungsbier noch
nicht gehalten haben, wie diess Gjessing annimmt,^) oder auch
auf diejenigen, welche dasselbe gehalten haben, wie diess
1) GJ)L, %. QQ.
2) Gjessing, S. 278.
Maurer: Die Freigelassenen nach altnorwegischem Rechte. 45
Eriksen und Fr. Brandt, R. Keyser und P. A. Munch be-
haupten.^) Die Frage ist um so wichtiger, als von deren
Beantwortung, direct oder indirect, sowohl unsere Auffass-
ung des zwischen beiden Classen von Freigelassenen bestehen-
den Unterschiedes, als auch unser Verständniss einer Reihe
einzelner Quellenstellen sehr wesentlich bedingt wird. Die
Beschaffenheit der Quellen uöthigt mich aber, ehe ich zu
ihrer Erledigung übergehe, erst noch ein paar andere, auf
den Uebertritt aus der nideren Classe in die höhere bezüg-
liche Punkte klarzustellen, da ausserdem eine Beweisführung
in der ersteren Richtung kaum verständlich zu machen wäre.
Die G^L stellen es der Regel nach ganz dem Gutdünken
des Freigelassenen selbst anheim, ob und wann er sein
Freilassungsbier halten wolle; ^) nur bezüglich des
Sklaven, der sich selbst freikauft, schreiben sie vor, dass er
noch ein volles Jahr für seinen Freilasser arbeiten müsse, ^)
und wird diesem somit doch w^ohl auch die Haltung des
Freilassungsbieres insolange versagt gewesen sein. Solange
noch mindestens die Hälfte seines Werthes unbezahlt war,
durfte der Herr sogar trotz der erfolgten Freilassung deu
Rest mit Schlägen eintreiben , ohne dadurch ein Ge wette
an den König zu verwirken, was wir doch wohl dahin zu
verstehen haben, dass der Freigelassene solchenfalls von Rechts-
wegen als für den ausständigen Theil seiner Loskaufssumme in
Schuld haft genommen galt, während es bei einem geringeren
Betrage des Rückstandes eines besonderen Vorbehaltes des
Freilassers bedurfte, um ihn der Schuldhaft für denselben
zu unterwerfen.^) Auch die Fr[>L. kennen äuliche Bestim-
1) Eriksen, S. 56; Fr. Brandt, S. 204—5; R. Keyser, S.
293; Munch, II, S. 964—65.
2) G])L., §. 62.
3) ebenda. §. 61.
4) vgl meine Abhandlung : Die Schuld knechtschaft nach altnordi-
schem Rechte, S. 7—8.
46 Sitzung der phüos.-philoL Classe vom 9. Februar 1S78.
mungen. Darauf ist zunächst kein Wertb zu legen, dass
sie den Freigelassenen, der sein Freilassungsbier halten
will, anweisen, sich die Erlaubniss dazu von seinem Frei-
lasser zu erbitten ; ^) der Verlauf der Stelle zeigt nämlich,
dass der Act auch in dem Falle rechtsgültig vor sich gehen
konnte, da der Herr die erbetene Erlaubniss versagte, und
die Bitte war somit nur eine zu Ehren des Herrn ange-
ordnete Förmlichkeit ohne ernstliche Bedeutung. Dagegen
ist zu beachten , dass dem Freigelassenen , welcher sich als
selbstständiger Landwirth setzen will , die Haltung seines
Bieres schlechthin geboten werden zu wollen scheint,^) was
sich auch recht wohl erklärt, da die selbstständige Bewirth-
schaftung eines Hofes kaum mit den Beschränkungen ver-
einbar war, denen der Freigelassene geringerer Ordnung
in Bezug auf seine Freizügigkeit, seine vermögensrechtlichen
Verfügungen, u, dgl. unterlag; wenn dem gegenüber eine
andere Stelle die Landleihe in beschränkterem Umfange
auch diesem letzteren zugänglich sein lässt,^) ist dabei doch
wohl nur an ganz kleine Gutsparcellen zu denken. Nicht
zu übersehen ist ferner, dass dem Unfreien, der sich selber
loskauft, nicht einmal die Freiheit gegeben werden soll, ehe
er wenigstens seinen halben Preis erlegt hat, und dass im
Falle der Verletzung dieser Vorschrift der Freigelassene
zwar seinem Freilasser, aber nicht Andern gegenüber
bussberechtigt ist. *) Insoweit sind also die Fr{)L. noch
strenger als die G{>L.
So gross übrigens der Abstand zwischen beiden Classen
von Freigelassenen ist, so gilt doch die Haltung des Frei-
lassungsbieres nicht unter allen Umständen als
1) FrUj , IX, §. 12. In dem Satze: „nü vill skapdrottinn hans
leyfa honoin" ist augenscheinlich das „eigi" ausgefallen.
2) ebenda; auch BjaikR., HI, §. 166.
3) PrJ.L., XI, §. 2 J.
4) Ebenda, IV, §. 55.
Maurer: Die Freigelassenen nach altnonvegisehem Rechte. 47
erforderlich, um den Einzelnen aus der geringeren Classe
in die höhere aufsteigen zu lassen, und die in den Rechts-
büchern vorgesehenen Ausnahmsfälle sind für das Verständ-
niss der ganzen Lehre nicht ohne Bedeutung. Als un not big
bezeichnen aber zunächst die G[>L das Freilassungsbier in
dem Falle, da Jemand „fellr frjäls ä jörS".^) Es kann dar-
unter, zumal wenn man die änliche Ausdriicksweise eines
isländischen Rechtsbuches vergleicht,^) nur der Fall verstan-
den werden, da die betreffende Person zwar mit einer un-
freien Mutter erzeugt, aber vermöge einer inzwischen er-
folgten Freilassung dieser letzteren doch immerhin frei ge-
boren wurde, denn an den Sohn eines Freigelasseneu, auf
welchen der Ausdruck auch passen würde, darf nach dem
Zusammenhange der Stelle doch wohl kaum gedacht werden,
sofern diese im Uebrigen nur vom Freigelassenen selbst
spricht. An diesen Fall reiht sich sodann der andere an,
da ein unfrei Geborener freigelassen wurde, ehe er noch
3 Jahre alt war, und sofort als frei auferzogen wurde, ohne
dass eine Schuld auf ihn gelegt worden wäre.^) Die Ver-
gleichung zweier anderer Stellen des Rechtsbuches zeigt,**)
dass dabei an den {»yborinn sonr zu denken ist, d. h. an
den Sohn , welchen ein freier Mann mit einem unfreien
Weibe gewinnt, und welcher sodann schon in frühester Ju-
gend von seinem Vater oder den Verwandten seines Vaters
als solcher anerkannt und freigelassen wurde. Die beiden
bisher besprochenen Fälle haben Das unter sich gemein,
dass bei ihnen die Beziehungen des unfrei Erzeugten zu
einer freien Verwandtschaft, und dessen liberale Erziehung
von seiner frühesten Jugend auf in Anschlag gebracht wer-
den ; dagegen muss von einem ganz anderen Gesichtspankte
1) G1>L., §. 61.
2) Kgsbk, §. 229, S. 165: ok felli haiin änau^-igr ä jörd*.
3) Gt-L., § 6!.
4) ebenda, §. 57, S. 31 und §. 104.
48 Sitzmi'j der pliilob.-philoL Chisse vom 9. Februar 187 S.
aus die weitere Vorsclirift erklärt werden, dass auch der-
jenige Mann kein Freilasssungsbier zu halten braucht, welchem
der König die Freiheit schenkt.*) Mag sein, dass die Art.
wie der Freilasser bei dem Freilassungsbiere mitzuwirken
hat, für den König nicht recht passend erschien ; zumal aber
mochte der Gedanke massgebend geworden sein, dass die vom
König geschenkte Freiheit gleich von Anfang an als voll
und allseitig wirksam betrachtet werden müsse, und stellt
sich diese Vorschrift insoweit der andern an die Seite, das«
alle vom König gegebenen Gaben unanfechtbar sein sollen,'^)
und dass vom König als „heiÖfe*' oder ,,drekkulaun'' ge-
gebenes Land die Stammgutseigenschaft an sich tragen soll.^)
Wir werden übrigens wohl annemen dürfen , obwohl diess
nirgends ausdrücklich gesagt wird, dass die gleiche Bestim-
mung auch auf die vom Dingverbande oder von den ein-
zelnen Volkslanden Freigelassenen Anwendung gefunden
haben werde, denn einerseits wäre kaum abgesehen, wer
ihnen gegenüber die Rolle des Freilassers hätte übernemen
sollen, andererseits wird uns ausdrücklich gesagt, dass für
sie keine Heerlast zu tragen sei,*) was doch wohl auch das
Nichtvorhandensein eines Freilassen^ voraussetzt ; die 6 aurar^
welche die Dinggemeinde zum Behufe der Freilassung beizu-
steuern hat , während im üebrigen die Beschaffung des
Freizulassenden der Reihe nach den einzelnen Volkslanden
obliegt, dürfen demnach nicht, wie Gjessing will,'^j als leys-
ingsaurar aufgefasst werden, sondern lediglich als ein Bei-
trag zum Ankauf-tpreise des Sklaven, wobei auf die Bestim-
mung seiner Höhe allenfalls der Umstand eingewirkt haben
mochte, dass 12 aurar in der altern Zeit als der Durch-
1) GJ)L., §. 61.
2) ebenda, §. 129.
3) ebenda, §. 270.
4) ebenda, §. 298.
5) Gjessing, S. 198 und 267,
Maurer: Die Freigelassenen nach altnorwegischem Hechte. 49
scliuittspreis eines Sklaven (f)rselsgjöld) galten.^) Endlich, soll
aber auch der Freigelassene sein Bier zu halten nicht nöthig
haben, welchem sein Herr die Freiheit ,,skattalaust ok skulda''
gegeben hat ; ^) dabei wird man aber nicht nothwendig, wie
wohl geschehen ist,^) an eine unentgeldliche Freilassung zu
denken haben , sondern an jede Freilassung denken dürfen,
bei welcher der Freilasser , möge sie nun gegen Entgeld
oder unentgeltlich erfolgt sein , für die Zukunft auf jede
Abgabe und Dienstpflicht verzichtet hat, so dass also auch
der Loskauf eines Sklaven um seinen vollen Werth unter
den Begriff fällt, soferne nur Zug um Zug mit der Frei-
lassung der gesammte Preis baar bezahlt wurde Entscheidend
für diese Auslegung scheint mir, neben einer gleich nachher
zu besprechenden analogen Satzung der Fr{>L., dass der Ver-
zicht auf jede künftige Leistung insbesondere auch einen,
unwiderruflichen/) Verzicht auf die leysingsaurar enthält,
dessen Ablegung die Haltung des Freilassungsbieres denn
doch gegenstandslos machen musste. üebrigens wird von
demjenigen , welchem die Freiheit ohne Vorbehalt irgend-
welcher Leistung gegeben wurde, gesagt, dass er zwar seine
volle Freiheit in Bezug auf Verehelichung und Vermögens-
dispositionen erlange, aber doch den {)yrmslir seinem Frei-
lasser gegenüber unterworfen bleibe; da erst hinterher von
dem Freigelassenen des Königs und von dem in frühester
Jugend freigelassenen J>/borinn sonr gesprochen wird, und
zwar ohne solchen Beisatz, wird man anzunemen haben, dass
bei diesen beiden Kategorien von Leuten auch die {)yrmslir
wegfielen. Wirklich sagen von dem I>yborinn sonr die Frl)L.
ausdrücklich:^) „hann skal vi8 engan mann t)yrmaz'^, und
1) vgl. Gj es sing, S. 123—25.
2) G5L., §. 61.
3) vgl. Gjessing, S. 263.
4) Gt.L., §. 129.
5) FrjL., X, §. 47.
[1878 I. Philos.-philol. bist. Cl. 1.]
50 Sitzung der phüos.-pMloL Classe vom 9. Februar 1878.
überdiess würde, da sich bei ihm die Freilassung ohne Vor-
behalt irgendwelcher Dienste und Abgaben von selbst ver-
stand, sein Fall an unserer Stelle unmöglich neben dem des
„skattalaust ok skulda'' Freigelassenen gesondert aufgeführt
sein können , wenn nicht seinen eigenthümlichen Voraus-
setzungen auch eigenthümliche Wirkungen entsprochen hätten;
endlich erklärt sich auch vollkommen befriedigend , dass
beim Freigelassenen des Königs die allgemeine Unterthanen-
pflicht, und beim t)yborinn sour die Ver wandten pflicht kräftig
genug war, um jeden Gedanken an die {)yrmslir zurückzu-
drängen. Auffällig ist dagegen, dass der, ,,er frjäls fellr ä jörÖ",
mit dem ohne Vorbehalt Freigelassenen, und nicht mit dem
l)yborinn sonr zusammengestellt wird ; indessen ist doch aus
dem Zusammenhange der Stelle ersichtlich, dass die auf ihn
bezüglichen Worte ein späteres Einschiebsel sind, sodass die
doppelte Möglichkeit besteht, dass dieselben an den unrechten
Ort zu stehen gekommen wären, oder dass wenigstens bei
ihrer Einschiebung nur an die Worte: „{)ä {)arf sä eigi at
gera frelsisöl sitt", welchen sie zunächst folgen, aber nicht
an die weiter abstehenden Worte: ^6 skal bann vera i
I>yrmslum viS skapdrottin sinn" gedacht worden sei, und im
einen wie im anderen Falle würde sich annemen lassen, dass
auch dieser Kategorie von Leuten die Befreiung von den
f)yrmslir zu Theil wurde. Wenn aber nach dem eben Be-
merkten in den Fällen, in welchen der Eintritt eines Frei-
gelassenen in die höhere Classe von Rechtswegen und ohne
Haltung seines Freilassungsbieres sich vollzieht, das Mass
der Wirkungen dieses Eintrittes ein- verschiedenes ist, so
kann überdiess auch in jenen anderen Fällen, in welchen
der Uebertritt aus der niederen in die höhere Classe durch
einen Privatact vermittelt wird, eine änliche Verschiedenheit
in Bezug auf die dem Freigelassenen erwachsenden Rechte
vorkommen. Die Gl)L. sprechen nämlich den Satz aus :
„kaupa mä leysingi arf börnum sinum, ef I>eir ver5a sättir ä,
Maurer: Die Freigelassenen nach altnorwegischem Rechte. 51
{>ä er {)at jamnfullt, sem bann hafSi skirt far sitt", *) und
da der letztere Ausdruck, wie oben schon bemerkt wurde, ^)
doch nur auf die Haltung des Freilassungsbieres bezogen
werden kann , gestatten sie damit , dass durch besonderen
Vertrag der Eintritt einer einzelnen unter den mehrfachen
Wirkungen ausbedungen werden möge, welche sich sonst an
die Vorname jenes Actes zu knüpfen pflegen, während dessen
übrige Wirkungen von dem Vertrage unberührt bleiben. —
Weniger klar sprechen sich die Fr{)L. über die Ausnams-
fälle aus, in welchen die Haltung des Freilassungsbieres
überflüssig erscheint ; doch kennen auch sie immerhin einige
solche. Einmal nämlich sagen sie, wie oben schon bemerkt,
von dem {)^borinn sonr, der in frühester Jugend freigelassen
wurde, dass er Niemanden gegenüber den {)yrmslir unter-
liegen solle; ^) wenn dabei dieser Satz in verschiedener Wort-
fassung zweimal hinter einander widerholt wird, erklärt
sich diess doch wohl aus einer gleichzeitigen Benützung
zweier verschiedener Bearbeitungen des Rechtsbuches , wie
ähnliches öfter vorkommt. Weiterhin wird aber von dem
Manne, der eigens zum Zwecke seiner Freilassung gekauft
wurde, ebenfalls wider gesagt : ,,skal sä maSr vi6 engan mann
{»yrrnaz";"^) in diesem letzteren Falle wird ausdrücklich bei-
gefügt, dass das Erbrecht und die Alimentationspflicht des
Freilassers dem Freigelassenen gegenüber bestehen bleibe,
solange dieser sein Freilassungsbier nicht gehalten habe,
wogegen für den ersteren Fall die Analogie der Gl>L. wahr-
scheinlich macht, dass mit den {)yrmslir auch alle anderen
Zurücksetzungen weggefallen sein werden, deren Beseitigung
sich sonst an die Haltung des Freilassungsbieres knüpfte.
Vom Freigelassenen des Königs und von dem, der frei ge-
1) GJ)L., §. 66.
2) siehe oben S. 37.
3) Fr5L., X, §. 47.
4) ebenda, IX, §. 13.
52 Sitzung der phüos.'philol. Classe vom 9. Februar 1878.
boren, aber unfrei erzeugt ist, endlich von dem ohne Vor-
behalt von Diensten und Abgaben Freigelassenen sprechen
die Fr{>L. nicht; doch wird man aus diesem ihrem Schweigen
kaum Schlüsse ziehen dürfen, da ja eine änliche Behandlung
dieser Leute wie die in den G{)L. vorgesehene recht wohl
stillschweigend vorausgesetzt werden mochte. Um so häu-
figer erwähnt dagegen dieses Rechtsbuch des Abkaufens der
Folgen, welche sich an die unvollständige Freilassung knüpfen,
und des besonderen Vertrages, welcher solchenfalls als Sur-
rogat für die Haltung des Freilassungsbieres eintritt, und
gerade seine dessfallsigen Angaben haben für uns erhebliche
Bedeutung. Für den Abschluss dieses Vertrages brauchen
die Fr{»L. den Ausdruck : ,,kaupa {>ymrslur af ser ok van8er5",
oder vom Standpunkte des Freilassers aus gesprochen:
„selja t)yrmslur maS tryggSum" ; ^) sie besprechen den Fall :
„at frelsisöl hans var gjört eSa mältryggt", und den Frei-
gelassenen: „er frelsisöl sitt hefir gjört eSa keypt meS
tryggSum", ^) oder umgekehrt die anderen Freigelassenen:
„er eigi hafa keypt {>yrmslur af ser",^) und sie zeigen da-
mit recht deutlich, dass das Abkaufen der {)yrmslir in der
Regel als Ersatz für die Haltung des Freilassungsbieres
bezüglich aller ihrer Wirkungen galt, womit natürlich nicht
ausgeschlossen war, dass in einzelnen Fällen zwischen den
verschiedenen Wirkungen, welche diese zu äussern pflegte,
unterschieden, und nur ein Theil derselben vertragsweise
verwirklicht werden mochte. Zu demselben Ergebnisse
führen aber auch die Angaben über das Verfahren, welches
bei einem Streite über das Patronatsverhältniss einzuhalten
war. *) Behauptet der Kläger die „vorn", d. h. das Schutz-
recht über den Beklagten zu haben, während dieser ihm
1) Frl)L., IX, §. 14.
2) ebenda, §. 10 und 11.
3) ebenda, XI, §. 23.
4) ebenda, IX, §. 10.
Maurer: Die Freigelassenen nach altnorwegischem Rechte. 53
dieses Recht bestreitet, so hat Jener zunächst den ersten
Act der Freilassung zu erweisen, wogegen dieser sich dann
nur noch durch den Beweis der Haltung seines Freilassungs-
bieres, oder des Abschlusses eines diese ersetzenden Ver-
trages vertheidigen kann; gelingt aber dem Beklagten ein
solcher Gegenbeweis, so soll er auch sofort „ör {)yrmslum
vi6 {)ann mann" sein. Der Kläger also hat die Entstehung
des Patronatsverhältnisses durch die Freilassung, der Be-
klagte aber, falls diese Beweisführung gelungen ist, dessen
Beendigung durch das Freilassungsbier oder einen entspre-
chenden Vertrag zu erweisen, und das Gelingen dieses letz-
teren Beweises hat zur Folge, dass auch die ^yrmslir als
erloschen gelten. Auch hier also wird ein anderweitiger
Vertrag als vollgültiges Surrogat für die Haltung des Frei-
lasvsungsbieres betrachtet. Es kann übrigens kaum einem
Zweifel unterliegen, dass in dieser Zulassung eines ander-
weitigen Vertrages anstatt dieses letzteren Formalactes eine
spätere Neuerung zu erkennen sei, welche, indem sie die
verschiedenen an diesen letzteren sich knüpfenden Wirkun-
gen von einander zu trennen ermöglichte, nicht wenig zur
Zerrüttung des älteren Systems der ,,leysingslög'' beitrug.
Kehren wir nun nach dieser Abschweifung zu der oben
aufgeworfenen, aber nicht beantworteten Frage zurück,
welcher Classe der Freigelassenen die I>yrmslir oblagen, so
lässt sich sofort für die Frl>L. mit aller Bestimmtheit fest-
stellen, dass es lediglich die Freigelassenen geringerer Ord-
nung waren, welche von denselben betroffen wurden. Nur
unter dieser Voraussetzung erklärt sich nämlich, dass dieses
Rechtsbuch das Abkaufen der {)yrmslir als ein Surrogat für
die Haltung des Freilassungsbieres bezeichnen , oder von
dem , der den Bewei? der Haltung dieses letzteren geführt
hat, sagen kann, dass er „ör ^yrmslum" gegenüber seinem
Freilasser sei; nur unter dieser Voraussetzung auch, dass
unter Umständen sogar von einem Manne, der sein Frei-
54 Sitzung der phUos.-phüol. Classe vom 9. Februar 1878.
lassungsbier uoch nicht gehalten hat, gesagt werden kann,
dass er „vi8 engan mann J)yrmaz'' soll. Aber auch für die
Gl>L. scheint die Sache nicht anders zu stehen. Nur so
begreift sich nämlich , dass von dem in seiner frühesten
Jugend freigelassenen Sklavinnensohne die G{)L. sagen können,
er brauche kein Freilassungsbier zu halten , während die
Fr|)L. erklären, dass er ,,vi8 engan mann Pyrmaz" solle, oder
dass es von dem ,,skattalaust ok skulda'* Freigelassenen
heisst, er brauche zwar kein Freilassungsbier zu halten, um
in Bezug auf Verehelichungsrecht und Vermögensdisposi-
tionen völlig frei zu werden, solle aber dennoch (po) den
I>yrm.slir unterworfen bleiben.
Sofort erhebt sich aber eine zweite Schwierigkeit. Eben
jene von den I>yrmslir handelnde Stelle der G[)L., welche
oben übersetzt wurde,*) legt solche nur dem Freigelassenen
selbst und seinem Sohne auf; andererseits aber spricht eine
weitere Stelle desselben Rechtsbuches dem Freilasser und
seiner Nachkommenschaft an dem Nachlasse des Freigelas-
senen und seiner Nachkommen ein Erbrecht zu , welches
beiderseits bis zum neunten Grade reicht,^) und auch
die Frl^L. sprechen von einem bis zum neunten Grade sich
erstreckenden Erbrechte , während sie zugleich die I>yrmslir
bis zum vierten Grade reichen lassen.^) Nach beiden
Rechtsbüchern konnten also die {>yrraslir, wenigstens unter
gewissen Voraussetzungen und innerhalb gewisser Grenzen,
über die Person des Freigelassenen hinaus auf seine Nach-
kommen sich vererben , während die ihnen gegenüber-
stehenden Rechte des Freilassers in derselben Weise auf
dessen Nachkommen übergiengen; nach beiden Rechtsbücheru
blieben aber auch nach Beseitigung der |)yrmslir noch
immer gewisse weitere Rechtsfolgen der Freilassung übrig,
1) G5L., §. 66; s. oben S. 44.
2) ebenda, §. 106.
3) Frl)L, IX, §. 11.
Maurer: Die Freigelassenen nach altnorwegischem Eechte. 55
welche sich im Hause des Freilassers sowohl als des Frei-
gelassenen noch auf eine weitere Reihe von Generationen
vererbten. Nach beiden Seiten hin sind die einschlägigen
Quellenstellen so wichtig, und zugleich so schwer zu ver-
stehen, dass sie einer genaueren Betrachtung schlechterdings
bedürfen. Es wird aber zunächst in den GfL., nachdem
das verwandtschaftliche Erbrecht bis zu den Nachgeschwister-
kindern, herab unter 13 fortlaufenden Nummern besprochen
worden war, mit den Worten fortgefahren ^) : „Her skyrir
um leysings erfS. Nu er hin fjügrtända leysings erfS. hana
skal taka til niunda knes. fyrr en undir konong gange.
]3egar leysings sun tekr efter faSur sinn, fä take hverr
efter annan. Nu verSr {»ar aldauSa arfr i leysings kyni. ok
er engi sä maör er {>ar er i erfSa tale vi8 hann. er andaSr
er ör leysings kyninu. ^a skal hinn er ör skapdröttens
kvisl er. taka til niunda knes fyrr en undir konong gange.
p6 at sä se hinn ätte er andaÖr er frä leysingjanom.*' Die Stelle
unterscheidet zunächst das Erbrecht auf Grund der Ver-
wandtschaft von dem auf Grund der Freilassung, und setzt
beiden wider den Anspruch des Königs auf die herrenlose
Erbschaft entgegen; sie bestimmt ferner, dass dieser An-
spruch des Königs erst dann zum Zuoje kommen solle,
wf»nn im gegebenpii Falle keines jener beid<^n Erbrechte be-
gründet sei. In gleicher Weise lä«!st die Stelle das ver-
wandtschaftliche Erbrecht dem auf die Freilassuntr bpyriin-
deten vorgehen, und somit dieses letztere erst dann Platz
greifen, wenn die ganze Nachkominen«;chaft des Freigelas-
senen ausgestorben ist; sie setzt aber für das Erbrecht
dieser letzteren voraus, dass des Freigelassenen Sohn seines
Vaters Erbe neme , d. h dass der Freigelassene selbst
sein Freilassungsbiei- gehalten, oder doch durch anderweitigen
Vertrag seinen Kindern das Erbrecht verschafft habe, und
1) G5L., § 106.
56 Sitzung der phüos.'philol. Classe vom 9. Februar 1878.
sie lässt somit den anderen Fall unbesprochen , da diess
nicht geschehen war. Ist nun aber die ganze Nachkommen-
schaft des Freigelassenen ausgestorben, so soll das Erbrecht
auf Grund der Freilassung bis zum 9. Grade reichen, und
zwar beiderseits, so dass also die Nachkommenschaft des
Freilassers bis zum 9. Grade die Nachkommenschaft des
Freigelassenen bis zu demselben Grade beerbt, und zwar
wird dabei , wie die letzten Worte der Stelle zeigen , der
Freigelassene selbst, und somit natürlich auch der Freilasser
selbst mitgezählt, so dass beiderseits der 8. Nachkomme in
gerade absteigender Linie der letzte Erbende, beziehungs-
weise Beerbte ist. iEnlich , aber in mancher Beziehuug
noch deutlicher, sprechen sich die Fr{>L aus , ^) und lauten
deren Worte folgendermassen : „Um {jyrmsl ok erfSir leys-
ingja. Leysingja sett ero 4. menn i pyrmslnm. en hinn
5. er ör l)öat eigi se keyptr. En leysingi sä er frelsisöl
sitt hefir gjört eSa keypt me5 tryggSum. sä skal taka arf
sunar sins ok döttor ok leysingja sins hins friSja. En
synir leysingja skulo taka 6. manna arf. föSor ok möÄor
ok sunar ok döttor ok bröSor ok systor ok leysingja sius
hins 7. Svä skal sunr leysingja taka ok sunarsunr ok I)ess
sunr I>eir er svä taka ok svä döttir ok systir sem sunr ok
bröSir ef ^eir ero eigi til. ok svä skal hvärt l>eirra hyggja
fyrir öSru. En I)egar {>ä 6. menn liÖr, I>a hverFr aftr undir
skapdröttinn arf v an öll til niunda knes ok svä fyrir hyggja
ef I)ess I>arf." Es sollen also nach dieser Stelle die l)yrmslir,
solange sie nicht abgekauft oder durch die Haltung des
Freilassungsbieres beseitigt sind, neben dem Freigelassenen
selbst auch noch 3 Graden seiner Descendenz obliegen, näm-
lich wie im Folgenden gesagt wird , dessen Sohn , Enkel
und Urenkel, wogegen der Sohn dieses letzteren von den-
selben von Rechtswegen frei wird, auch wenn eine vertrags-
1) Fr])L., IX, §. U.
Maurer: Die Freigelassenen nach altnorwegischem "Rechte. 57
weise Beseitigung solcher Abhängigkeit nicht stattgefunden
hat ; wenn demnach gesagt wird , dass 4 Personen den
t)yrmslir unterliegen, und erst die 5te von ihnen frei werde,
so ist dabei, wie iu der obigen Stelle der G{)L., der Frei-
gelassene selbst mitgezählt. Weiterhin bespricht aber die
Stelle auch noch den anderen Fall, da der Freigelassene
sein Freilassnngsbier gehalten, oder sich von dessen Haltung
freigekauft hat, und sie gesteht für diesen Fall dem Frei-
gelassenen selbst seinen Kindern gegenüber ein Erbrecht
zu, welches ihm oflPenbar in jenem anderen, zuvor be-
sprochenea Falle nicht zukommen sollte, wie diess in der
That nach den obigen Auseinandersetzungen sich von selbst
versteht; sie räumt ferner den Kindern des Freigelassenen
nicht nur ihren eigenen Kindern , sondern auch ihren
^Eltern und Geschwistern gegenüber ein Erbrecht ein, und
verfährt ebenso bezüglich der Enkel und Urenkel des Frei-
gelassenen, während sie zugleich dem Freilasser und seiner
Nachkommenschaft ein eventuelles Erbrecht gegenüber dem
Freigelassenen und seinen Nachkommen für den Fall ge-
währt, dass erbberechtigte Personen innerhalb des Ge-
schlechtes dieses letzteren nicht vorhanden sein sollten. Die
Sache stand demnach so, dass die Zurücksetzungen, denen
sich der Freigelassene geringerer Ordnung ausgesetzt sah,
und zu denen ausser den l)yrmslir auch die Entziehung des
Erbrechts u. dgl. gehörte , sich von Rechtswegen nach den
G{)L. noch auf den ersten, nach den Fr{>L. aber noch auf
die 3 ersten Grade seiner Descendenz erstreckten, wogegen
nach den G{>L. dessen Enkel, nach den Fr|>L. aber der Sohn
seines Urenkels von denselben ohne Weiters frei wurde,
und eben damit sofort in den Kreis der freien Geschlechter
einrückte. Aber dieselbe Wirkung konnte bereits vor dem
Ablaufe der betreffenden Anzahl von Generationen dadurch
erzielt werden, dass von dem Freigelassenen sein Freilas-
sungsbier gehalten, oder ein dasselbe ersetzender Vertrag
58 Sitzung der phüos.-philol. Classe vom 9. Februar 1878.
mit dem Freilasser geschlossen wird ; docli bleibt, gleichviel
ob das Freilassangsbier gehalten oder nicht gehalten wird,
ein subsidiäres Erbrecht des Freilassers und seiner Nach-
kommenschaft für den Fall bestehen, dass im Geschlechte
des Freigelassenen selbst erbberechtigte Personen nicht vor-
handen sein sollten , und dieses subsidiäre Erbrecht reicht
nach beiden Rechtsbüchern ganz gleichmässig bis zum 9.
Grade. Auf das Erbrecht beschränkt sich übrigens die fort-
dauernde Beziehung zwischen beiden Häusern nicht; viel-
mehr ist auch von einer ,,fjrirhyggja'' die Rede, unter
welcher wir, nach der Überschrift einer anderen Stelle zu
schliessen, ^) zunächst die Verpflichtung zur Versorgung
dürftiger Angehöriger, vielleicht aber überdiess auch noch
die Berufung zur Vormundschaft über minderjährige zu
verstehen haben. Auch die G{>L. wissen von einer gegen-
seitigen Alimentationspflicht, welche zwischen den Häusern
des Freilassers und des Freigelassenen besteht; ich will in-
dessen ihre Erörterung sowohl als die einiger erbrechtlicher
Fragen mir auf später versparen, da sie ihre besonderen,
für's Erste noch^ nicht wohl zu bewältigenden Schwierig-
keiten bietet. Vorerst möchte ich vielmehr noch einige
die Nachkommenschaft der Freigelassenen betreffende Fragen
erledicjen , um hiedurch di*^ Prüfung jener schwierigeren
Zweifelspnnkte vorzubereiten.
Widerholt wird von einem Vorzuge gesprochen, welcher
dem Sohne des Freigelassenen seinem Vater gegenüber zu-
komme, und als leysingja«;onr wird derselbe dabei be-
zeichnet, ohne dass dabei zumei-^t angedeutet würde, welche
Classe von Freigelassenen damit in Bezug genommen wer-
den wolle. Die Bj>L. lassen zwar, wie oben schon bemerkt
wurde, die leysingia börn auf dem Begräbuissplatze der levs-
ingjar, und die frjälsgjafa börn auf dem der frjälsgjafar be-
1) Frl-L, IX, §. 25; vgl. auch §. 13, ebenda.
Maurer '. Die Freigelassenen nach altnorivegiscliem Hechte. 59
erdigen, *) und stellen auch hinsichtlich der blutigen Rache,
welche wegen der Kränkung von Weibern genommen wer-
den darf, die frjälsgjafar, leysingjar und leysingjasynir unter
sich ganz gleich ;*) aber in Bezug auf den Betrag des Grab-
kaufes,^) dann in Bezug auf die Höhe der ünzuchtsbusse *)
stufen sie alle drei Classen unter sich ab , w^obei nicht un-
bemerkt zu lassen ist, dass der frjälsgjafi, leysingi und höldr
unter einander in dem normalen Verhältnisse von 1:2:4
stehen, wogegen sich der leysmgjasonr mit einem abnormen
Ansätze in die Bussskala zwischen die beiden letzteren hinein-
schiebt. Ganz ebenso steht die Sache auch nach den E{)L.,
■•ndera auch diese zwar auf dem Kirchhofe die leysingjar mit
ihren Kindern und die frjälsgjafar mit den ihrigen je in
einer gemeinsamen Abtheilung beerdigen lassen, ^) aber in
Bezug auf den Betrag des legkaup den leysingjason vom
leysingi unterscheiden, und dem ersteren einen unorganischen
Ansatz zwischen dem letzteren und dem höldr anweisen.^)
In diesen beiden Rechtsbüchern kann natürlich unter dem
besonders aufgeführten leysingjason nur der Sohn eines
Freigelassenen höherer Ordnung verstanden werden, da sie
ja die Bezeichnung leysingi auf diesen beschränken ; minder
sicher ist dagegen die Auslegung bei den Gt>L., welche an
einer Reihe von Stellen dem leysingjason gleichfalls einen
eigenen Busssatz zwischen dem leysingi und d^m böndi ein-
räumen, ^) ohne sich in dieser Beziehung auszusprechen.
Man wird indessen darauf Werth legen dürfen , dass eine
andere Stelle desselben Rechtsbuchs, welche die Werthgrenze
1) BDL., I, §. 9; II, §. 18; III, §. 13.
2) ebenda, II, §. 15.
3) ebenda, I. § 12; II, §. 20.
4) ebenda, II, §. 14.
5) E))L., I, §. 50; II §. 39.
6) ebenda, I, §. 48; II. §. 37.
7) Gl)L., §. 91, 185, 198, 200.
60 Sitzung der philos.-philol. Ölasse vom 9. Februar 1878,
bespricht, bis zu welcher die Weiber der verschiedenen Volks-
classen über Vermögenstheile verfügen dürfen, ausdrücklich
das Weib des Freigelassenen, welcher sein Freilassungsbier
gehalten hat, dem Weibe seines Sohnes gegenüberstellt,^)
und man wird überdiess auch hieher ziehen dürfen, dass die
Kinder zweier Freigelassenen, welche beide ihr Freilassungs-
bier noch nicht gehalten haben , nach wider einer andern
Stelle als ,.jafnrettismenn viS föSur sinn" bezeichnet werden,^}
also keine höhere Busse beziehen sollen als die ihres Vaters;
dass auch nach diesem Rechtsbuche nur dem Sohn des Frei-
gelassenen höherer Ordnung ein grösserer Bussbezug als
der seines Vaters zugestanden sein konnte, dürfte sich aus
beiden Angaben immerhin folgern lassen. In den Fr{)L.
endlich wird gleichfalls nicht selten dem leysingjason eine
höhere Busse zugewiesen als dem leysiiigi selbst , ^) und
wenn das Gleiche an einigen anderen Stellen dieses Rechts-
buches nicht der Fall ist,*) so mag sich diess auf eine Un-
vollständigkeit, oder selbst auf eine blose Verderbniss des
Textes gründen. ^) Wer dabei unter dem leysingjasonr zu
verstehen sei, wird uns freilich auch wider nicht gesagt;
indessen scheint die Vergleichung zweier Stellen des älteren
Stadtrechtes in dieser Beziehung zur wünschenswerthen Auf-
klärung zu verhelfen, während sie zugleich auch noch in an-
derer Richtung sehr willkommene Aufschlüsse bietet. Die eine
von diesen, welche in den FrI>L keine vollständige Parallele
findet, bestimmt:^) ,,ef leysingja manns fyrirliggr ser eSa
frjälsgefa, {)ä er hon sek viS skapdröttinn sinn 3 mörkom.
1) ebenda, §. 56.
2) ebenda, §. 63.
3) Frl)L., X, §. 35 und 46; XIII, § 15.
4) ebenda, IV, §. 49 und 53; X, §. 41.
5) Letzteres gilt z. B. von X, §. 41, wie die Vergleichung von
§. 46 ebenda zeigt.
6) BjarkR., III, §. 127; vgl. etwa Prl)L, IX, §. 16.
Maurer: Die Freigelassenen nach altnorwegischem Rechte. 61
jafnt hinn fjorSa sem hinn fyrsta*' ; die zweite aber, welcher
eine bereits angeführte Stelle der Fr{>L. , welche nur einer
geringen Emendation bedarf, vollstäudig parallel geht, *)
gewährt zunächst ,,leysingja syni mörk'\ mit dem Beifügen :
,,ok svä hinn {)ri5i taki mörk'*, während sie erst hinterher
auf den Freigelassenen selbst eingeht, und diesem 6 oder
nur 4 aurar zuweist, je nachdem er sein Freilassungsbier
gehalten hat oder nicht. Die letztere Stelle kann nun
sicherlich nur auf den Sohn eines Freigelassenen höherer
Ordnung bezogen werden, da ja eine Bevorzugung des
Sohnes eines Freigelas;;>enen niederer Ordnung vor dem Frei-
gelassenen höherer Ordnung unmöglich angenommen wer-
den kann; zugleich aber lässt eben diese Stelle deutlich er-
kennen , dass die Bezeichnung ,,leysingjasonr" auf 3 ver-
schiedene Grade bezogen wurde , welche im Bussbezuge
einander gleich, und alle drei höher als der leysingi selbst
angesetzt waren. Die erstere Stelle dagegen ist minder
sicher zu deuten. Klar ist zwar, dass auch sie 4 Grade
unter einer Bezeichnung zusammenfasst, und in Bezug auf
die zu entrichtende Basse einander gleichsetzt ; nicht minder
klar ist ferner, dass sie den Freigelassenen selbst in diese 4
Grade miteinrechnet, und gerade von ihm deren gemeinsame
Bezeichnung hernimmt, während jene vorher besprochene Stelle
den leysingi in ihre 3 Grade nicht miteinbezieht, und auch
nicht von ihm, sondern von seinem Sohne deren gemein-
same Benennung entlehnt. Schwierigkeiten macht nur, dass
die Stelle die Freigelassene, von welcher sie bei ihrer Zähl-
ung ausgeht, zugleich als leysiugja und als frjälsgefa be-
zeichnet, und dass sie auch sonst nicht erkennen lässt, ob
sie von einer Freigelasseneu geringerer oder höherer Ord-
nung oder von beiden zugleich sprechen will ; indessen ist
doch zu bedenken, dass im drönter Recht der leysingjasonr
1) BjarkR, III, §. 162j PrJ)L., X, §. 35.
62 Sitzung der philos.-phüol. Classe vom 9. Februar 1Q7S.
in der Busse hölier angesetzt zu werden pflegt als sein Vater,
und dass somit die Gleiehstelluug von 4 Graden auf den
leysmgi und seine Nachkommeu nicht passt, wie denn auch
die zweite Stelle deren nur 3 zählt, und den leysingi selbst
auslässt, wogegen von den Kindern des Freigelassenen ge-
ringerer Ordnung in den G{>L. ausdrücklich gesagt wird,
dass sie „jafnrettismenn vi5 fö6ur sinn" seien. So dürfte die
Stelle sich immerhin nur auf die frjälsgefa beziehen, und
mag ja sein, dass die Erwähnung der leysingja erst in die-
selbe hineinkam, als jene erstere Bezeichnung ungewöhnlich
geworden war ; unter dieser Voraussetzuug ergiebt sich aber
folgender Schluss. Einerseits werden der Sohn, Enkel und
Urenkel des Freigelassenen geringerer Ordnung mit diesem
selbst in der Busse gleichgestellt, und darum auch mit dem
ihm gebührenden Namen ,,frjalsgjafi'' bezeichnet, und ledig-
lich als der erste bis vierte Mann unterschieden, wogegen
des Urenkels Sohn, weil ,,ör {)jrmslum", nicht mehr der
gleichen Behandlung und Bezeichnung unterliegt; anderer-
seits zählt man vom Freigelassenen höherer Ordnung ab
ebenfalls noch 3 Generationen welter, jedoch ohne den
Stammvater selbst mit einzurechnen, und man wendet auf
diese 3 Generationen ebenfalls wider eine einheitliche Be-
zeichnung mit bioser Numerirung der einzelnen Grade, und
einheitlicher Behandlung in Bezug auf den Busssatz an, nur
dass diese Bezeichnung, eben weil der Freigelassene selbst
nicht mit eingerechnet wurde, nicht ,, leysingi", sondern
,,leysingjasonr" lautete. Die ersten 4 Generationen von
der Freilassung ab , den Freigelassenen selbst mit einge-
rechnet, bildeten also, die Nichthaltung des Freilassungs-
bieres und den Nichtabschluss eines diese vertretenden
Vertrages vorausgesetzt, die den {>yrmslir und so manchen
anderen Beschränkungen unterworfene, und zugleich in der
Busse erheblich geringer angesetzte Classe der frjälsgjafar,
innerhalb deren keine weitere Abstufung galt, sodass also
Maurer: Die Freigelassenen nach altnorwegischem Bechte. 63
der vierte Mann ebenso behandelt wurde wie der erste; da-
gegen trat der fünfte Mann von Rechtswegen als leysingi
in die höhere Ordnung über, und unterliegt samrat seinem
Sohne, Enkel und Urenkel nur noch einerii subsidiären Erb-
rechte des Freilassers und seiner Nachkommenschatt , wo-
gegen sich innerhalb dieser Gruppe bereits ein beschränktes
Erbrecht auf Grund der Verwandtschaft einfindet, und zu-
gleich der Bussansatz sich steigert. Aber wenn hiernach die
5te bis 8te Generation von der Freilassung abgerechnet zwar
auch noch in gewisser Beziehung als eine einheitliche Gruppe
zusammengefasst und den vollfreien Leuten entgegengesetzt
werden kann, so herrscht in ihr doch nicht derselbe Grad
von Einheitlichkeit wie in jener ersteren. Einerseits näm-
lich steht dem Sohne des leysingi ein erweitertes Erbrecht
zu im Vergleiche mit dem des leysingi selbst, während das
des Enkels und Urenkels dem des Sohnes gleich ist; an-
dererseits ist der Sohn auch in der Busse hoher angesetzt
als sein Vater, während der Enkel und Urenkel auch in
dieser Beziehung dem Sohne gleichsteht, und so erklärt sich,
dass die 6te bis 8te Generation unter dem gemeinsamen
Namen der leysingjasynir dem leysingi selbst gegenüberge-
stellt werden konnte. — Noch über den gewöhnlichen leys-
iiigjason hinaus erscheint, beiläufig bemerkt, der l^yborinn
sonr begünstigt. Die Fr[)L. sprechen ihn von den {>yrmslir
frei, und gewähren ihm den Anspruch auf eine Busse, welche
nur um ein Drittel geringer ist als die seines freigeboreneu
Vaters, während die von ihm mit einer freigeborenen Mutter
erzeugten Kinder sogar gleiches Recht mit ihrem Gross-
vater haben , also als freigeboren gelten sollen ; ^) nach den
G{)L. aber ist der {)yborinn sonr vollends „jafnrettismaSr
viÖ föSur sinn", und kommt „til alls rettar'',^) d. h. er wird
1) FrJL., X, §. 47.
2) GJ)L, §. 57 und 104.
64 Sitzung der phüos.-philol. Classe vom 9. Februar 1878:
selbst bereits dem Preigeborenen in Bezug auf seine Busse
gleichgestellt. Dieses Vorkoramniss steht indessen zu iso-
lirt, und ist zu eigenthümlich geartet, als dass es für die
Construction des Freigelassenenrechtes im Ganzen verwerthet
werden könnte ; um so bedeutsamer ist dagegen eine andere
Reihe von Thatsachen, welche in sehr auffälliger Weise
unser Thema beleuchtet. Die Fr{)L. lassen einerseits das
bauggildi und andererseits das nefgildi bis zum 3. gleichen
Grade der Seitenlinie reichen, ^) also genau soweit, als die
aus 3 Graden der Descendenz erwachsende Verwandtschaft
reichen kann, und wenn zwar die Gt>L. die baugar nur bis
zum 2. gleichen Grade geben und nemen lassen, so fehlt
es doch nicht an Anhaltspunkten, welche auch für sie eine
ursprüngliche Erstreckung beider Verwandtschaftskreise bis
zu jener weiteren Grenze wahrscheinlich erscheinen lassen.
Dieselben Frl»L. bezeichnen ferner den Freigelassenen ge-
ringerer Ordnung mit seinem Sohne, Enkel und Urenkel
als ,,leysiugs sett", d. h. die Verwandtschaft eines leysingi, ^)
woraus sich, wenn wir diesen letzteren Ausdruck in seinem
engeren und ursprünglicheren Sinne nennen dürfen, ergeben
müsste, dass der leysingi selbst mit seinem Sohne, Enkel
und Urenkel als Verwandtschaft eines Vollfreien zu bezeichnen
wäre. Die G[>L. sodann gebrauchen für die vollfreien Leute,
wo immer es gilt, sie den Freigelassenen gegenüber nach-
drücklich als solche zu bezeichnen, den Ausdruck „astt-
borinn^', d. h. zu einem Geschlechte geboren,') und die Fr{>L.
legen dem Manne, der vollfrei (ärborinn) zu sein behauptet,
während ein Anderer ihn als seinen Freigelassenen in An-
spruch nimmt , den Beweis auf, dass bereits 4 seiner Vor-
fahren in gerade aufsteigender Linie frei gewesen seien.*)
1) Fr])L., VI, §. 2 und 4, und 7—8.
2) ebenda, IX, §. 11; siehe oben S. 56.
3) G5L., §. 63, 71 u. 198; aber auch FrjL., IX, §. 16 u. öfter.
4) Frl)L., IX, §. 10.
Maurer: l)ie Freigelassenen nach altnorwegischem Rechte. 65
Man wird nun aus diesen verschiedenen Aussprüchen den
Schiuss ziehen dürfen, dass eine ,,aett" erst dann angenom-
men wurde, weun ein volles banggildi und nefgildi vorhan-
den war oder doch vorhanden sein konnte, und dass erst
dann , wenn aus der Descendenz eines frjälsgjafi eine leys-
ings aett erwachsen war, seine ferneren Nachkommen zu
leysingjar, und erst dann, wenn aus der Descendenz eines
leysmgi eine arborins aett erwachsen war, dessen fernere
Nachkommen zu arbornir menn oder a^ttbornir menn im
strengsten Sinne des Wortes werden konnten. Man wird
zur Verstärkung dieses Schlusses auch noch die Parallele
des Stammgüterrechtes heranziehen, und geltend machen
dürfen, dass nach einer Bestimmung der G|)L. das Land
als ,,ö8ar^ galt, welches der Grossvater dem Grossvater hin-
terlassen hatte, *) was freilich an einer anderen Stelle des-
selben Rechtsbuches dahin ausgelegt wird, als ob damit der
Nachweis von 5 , nicht 4 Ahnen gefordert würde, welche
nach einander und vor dem jetzigen Inhaber das fragliche
Gut besessen hatten , ^) während die Fr[)L. umgekehrt nur
den Nachweis von 3 im Besitze gewesenen Ascendenten
fordern, sodass der derzeitige Besitzer der vierte ist.^) Wie
hier Land dadurch zum Stammgute wird, dass es lange
genug vom Vater auf den Sohn vererbt, um in der Nach-
kommenschaft des ersten Erwerbers ein volles Geschlecht,
d. i. 3 Grade in absteigender Linie von jenem abwärts,
oder 3 Grade in der Seitenlinie vom letzten Besitzer weg-
gezählt entstehen zu lassen, so wird dort aus dem frjälsgjafi
durch das Erwachsen einer gleichen Zahl von Graden ein
leysingi , und aus dem leysmgi wider ein vollfreier Mann.
Aus dieser tieferen Begründung des üeberganges vom frjäls-
1) GI.L., §. 270.
2) ebenda, §. 266.
3) Fr>L., XII, §. 4.
[1878 I. Philos.-philol. bist. Cl. 1.]
66 Sitzung der philos.-philol. Classe vom 9, Februar 1878.
gjafi zum lejsingi, und von diesem zum Vollfreien ergiebt
sicli aber auch, dass die Beschränkung der {)yrmslir auf
Vater und Sohn, wie sie in den G{>L. auftritt, kaum alten
Rechtens sein kann, wie denn auch nach diesem Rechtsbuche
ebensogut wie nach den Fr{>L. die leysings erfS bis zum
9. Knie reicht; ursprünglich wird vielmehr wohl auch im
Bezirke des Gulal>inges die Unterwerfung unter die I)yrmslir
bis zum Urenkel des Freigelassenen geringerer Ordnung ge-
reicht haben, und in jener Beschränkung derselben auf dessen
Sohn eine spätere Milderung des Rechts zu erkennen sein.
Dass aber das Verschwinden der Folgen des Freigelassenen-
standes mit dem Ablaufe einer bestimmten Anzahl von
Generationen recht wohl neben der oben aus den G{)L. nach-
gewiesenen Ersitzung der Freiheit seine Stelle finden konnte,*)
erklärt sich ganz befriedigend aus der Verschiedenheit der
Voraussetzungen, an welche hier und dort die bezeichneten
Rechtsfolgen geknüpft sind. Die Ersitzung der Freiheit,
wenn man sie überhaupt so nennen will, setzt nicht nur
die ausdrückliche Behauptung des angeblichen Freigelassenen
voraus, dass er sein Freilassungsbier vor mindestens 20
Jahren gehalten habe, sondern auch den Beweis, dass er wäh-
rend dieser ganzen Zeit in Bezug auf Freizügigkeit, Ver-
ehelichung und Verfugung über sein Vermögen der vollsten
Freiheit sich erfreut habe; dagegen vertrug sich das Er-
löschen der Zurücksetzungen, welchen der frjälsgjafi unter-
lag, durch den Ablauf der 3. Generation seiner Descendenz
vollkommen wohl mit dem Zugeständnisse, dass die 4 Ahnen
des ,, fünften Mannes" eben diesen Zurücksetzungen noch
unterlagen.
Durch das Bisherige dürfte nun die Erörterung der-
jenigen Fragen ermöglicht sein, deren Besprechung oben
noch vorbehalten bleiben musste; es handelt sich aber da-
1) vgl. oben S. 26.
Maurer: Die Freigelassenen nach aUnorwegischem Rechte. 67
bei zunäcbst um das Versfcäiidniss einer Reibe von Stellen,
welche von der rechtlichen Behandlung der Freigelassenen
reden, ohne dabei anzugeben, welche Classe von solchen sie
im Auge haben. So wird z. B. gesagt,*) dass die Anname
eines Schuldknechtes regelmässig am Ding zu erfolgen
habe , jedoch dann auch in jeder beliebigen anderen Ver-
sammlung erfolgen könne, wenn es sich nur um „leysings
börn" handle. Weniger Umstände sollen also mit den Kin-
dern von Fr(?igelassenen gemacht werden, als mit den Kin-
dern besser gestellter Leute ; das kann aber auf beide Classen
von Freigelassenen ganz gleichmässig bezogen werden, da
auch deren höhere Classe hinsichtlich der allgemeinen Stan-
desrechte den Freigeborenen nachstand, und da gerade die
G{>L., denen jene Vorschrift entlehnt ist, bezüglich der Buss-
sätze u. dgl. zwischen beiden Classen nicht unterscheiden,
wird doch wohl auch unser Satz auf sie beide zugleich be-
rechnet sein. — Nach den Gf)L. soll ferner für die mit
einer Freigelassenen begangene Unzucht deren Herr eine
Busse von 6 Unzen erhalten , und wenn sich eine Freige-
lassene mit einem Unfreien vergeht, soll sie in die Schuld-
knechtschaft ihres Herrn verfallen wie die Freigeborene,
und zwar diese um den Betrag von 3 Mark , in die des
Königs ; ^) nach den FrI>L. aber und dem Stadtrechte ist
die Sache ebenso geordnet, nur dass hier noch ausdrücklich
bemerkt wird , dass die von der Freigelassenen verwirkte
Busse, für welche sie in Schuldhaft gehen soll, ebenfalls
3 Mark beträgt, wogegen jene Busse von 6 Unzen von
ihrem Concumbenten zu erlegen ist.^) Nun ist oben be-
reits dargethan worden, dass die einschlägige Stelle des
Stadtrechts sich nur auf die Freigelassene niederer Ordnung
1) GDL., §. 71.
2) ebenda, §. 198.
3) PriL., IX, §. 16; BjarkR., III, §. 127.
5*
68 Sitzung der pMlos.-philol. Classe vom 9. Februar 1878.
beziehen kann, obwohl ,,leysmgja eSa frjälsgefa'' in ihr
neben einander genannt werden ; da ferner in der Stelle
der FrI)L. sofort die Worte folgen : ,,en ef settborinn maSr
tekr leysmgja manns, ^ä er hon sek viS skapdrottin sinn
3 merkr, en börn {>eirra ör {>yrmslum", so muss auch an
ihr eine Freigelassene vorausgesetzt werden, die noch i Jjyrms-
lum , also geringerer Ordnung ist , und in der That weist
auch der Zusammenhang ebendahin, in welchem der Bezug
der Unzuchtsbusse mit dem Verehelichungsrecht steht. —
Nach den Gf>L. soll ferner die Freigelassene gleich einer in-
ländischen Sklavinn für einen von ihr begangenen Dieb-
stal im ersten Falle ein Ohr, im zweiten Falle das zweite
Ohr, und im dritten Falle die Nase verlieren, dann aber
als „stüfa ok nüfa" ruhig weiter stelen dürfen. ^) Auch in
diesem Falle wird man wohl nur an Freigelassene niederer
Ordnung denken dürfen, da für deren höhere Classe die an-
gedrohte Behandlung doch wohl zu hart wäre. — Weiter-
hin kommt aber auch noch eine Reihe von Stellen in Be-
tracht, welche die Alimentationspflicht betreffen,
und sie zumal sind es, welche ernsthafte Schwierigkeiten
bereiten. Es besprechen aber die G{)L. zunächst die Ver-
pflichtung des Freigelassenen, seinen Patron zu alimentiren,
wenn auch in eigenthümlichem Zusammenhange. Sie nennen
nämlich unter den Vergabungen, welche unter allen Um-
ständen aufrecht gehalten werden sollen, zwei mit der Frei-
lassung zusammenhängende, indem sie zunächst sagen:
„mannfrselsi skal hallda, nema peim liggi vi8 hei eSa hüs-
gängr; {)ä skal hann taka fostrlaun af hanom, ef hann
galt eigi verS sitt", und hinterher noch die ,,leysingsaurar,
6 aurar" beifügen.*) Die Stelle unterscheidet damit ganz
richtig zwischen den beiden für die Freilassung in Betracht
1) G])L., §. 259.
2) ebenda, §. 129.
Maurer: Die Freigelassenen nach altnorwegischem Eechte. 69
kommenden Acten, und bringt beide unter den Gesicbts-
punkt einer Vergabung, was natürlich voraussetzt, dass der
erste Act unentgeldlich vollzogen, und dass beim zweiten
auf den Bezug der leysingsaurar Verzicht geleistet worden
war. Im ersten Theile der Stelle, der hier alHnn in Be-
tracht kommt, handelt es sich also um einen Sklaven, der
„skattalaust ok skulda" freigelassen war, und somit seine
Verehelichungs- und Vermögensdispositionsbefugniss erlangte,
ohne eines Preilassungsbieres zu bedürfen , übrigens aber
den [jjrmslir unterworfen blieb, und von ihm wird gesagt,
dass seine Freilassung nicht angefochten werden dürfe, son-
dern dass der Freilasser nur, wenn er in die äusserste Noth
gerathe, von ihm ,,föstrlaun" beanspruchen dürfe, d. h. eine
Vergeltung für die ihm gewährte Verpflegung. Unter dem
letzteren Ausdruck, welcher noch an einer zweiten, gleich
zu besprechenden Stelle desselben Rechtsbuches ^) und über-
diess auch im isländischen Rechte vorkommt,^) wird ledig-
lich eine Gegenleistung verstanden werden dürfen , welche
der Freigelassene zur Vergeltung des Unterhaltes zu machen
hat, den ihm der Freilasser vordem gereicht hatte, ganz
wie unter den barnföstrlaun, welche unser Rechtsbuch gleich-
falls zu den unanfechtbaren Vergabungen rechnet,^) der für
die Erziehung eines Kindes gegebene Lohn zu verstehen ist;
ob der Betrag dieser Vergeltung dabei ein für allemal be-
stimmt, oder erst je nach den Umständen von Fall zu Fall
zu bestimmen war , mag dahingestellt bleiben , immerhin
aber ergiebt sich soviel, dass dem Freigelassenen eine sub-
sidiäre Alimentationspflicht seinem Freilasser gegenüber oblag,
und macht nur der Umstand Schwierigkeiten, dass es sich
im gegebenen Falle um einen Freigelassenen handelt, der
1) ebenda, §. 66.
2) Ömagab., cap. 24—25, S. 279—82.
3) GI>L., §. 129 und 270.
70 Sitzung der philos.-philoh Classe vom 9. Februar 1878.
noch 1 {»yrmslum , aber doch im üebrigen gehalten ist wie
wenn er sein Freilassungsbier bereits hinter sich hätte.
Man wird indessen kaum fehl gehen, wenn man annimmt,
dass die Verpflichtung beide Classen von Freigelassenen ganz
gleichmässig traff, da ja die Ff)L. umgekehrt auch noch eine
subsidiäre Alimentationspflicht des Freilassers der höheren
Classe derselben gegenüber kennen ; ') dass aber die Alimen-
tationspflicht einen Sklaven nicht trifft, welcher sich selber frei-
gekauft hat, ist sehr natürlich, da ein solcher in seiner Loskaufs-
summe bereits das Gegengeld für Alles bezahlt hat , was
der Herr an ihm gethan hatte. Um so schwieriger ist aber
die Auslegung einer auderen Stelle, welche zwar zunächst
die Yerehelichung der verschiedenen Arten von Freigelassenen,
und die rechtliche Stellung der Kinder, welche aus ihren
Ehen hervorgehen, in sehr casuistischer Weise bespricht,
dabei aber auch auf die Alimentationspflicht zu sprechen
kommt, welche umgekehrt dem Freilasser seinem Freige-
lassenen und dessen Kindern gegenüber obliegt. '^J Die Stelle
behandelt zuerst den Fall, da ein Freigelassener ein Weib
vollfreien Standes heirathet, und unterscheidet dabei, je
nachdem derselbe sein Freilassungsbier bereits gehalten hat
oder nicht. Hat er es gehalten, and wird die Ehe bei Leb-
zeiten beider Gatten getrennt, so sollen die Kinder zunächst
alle der Mutter folgen ; stirbt diese sodann vor dem Yater,
so sollen dieselben zu diesem zurückkehren, und von ihm
alimentirt werden, bis sein gesammtes Vermögen aufgezehrt
ist; ist es endlich soweit gekommen, so sollen die Kinder
wider an das „bessere Geschlecht" zurückfallen, d. h. von
den Verwandten der Matter alimentirt werden, wogegen der
Vater seinem Freilasser anheimfällt. Wenn dagegen der
Freigelassene sein Freilassungsbier nicht gehalten hat, fallen
1) FrJ)L., IX, §. 11 und 13.
2) G1)L., §. 63.
Maurer: Die Freigelassenen nach altnorwegi6chem Eechte. 71
die Kinder unter allen Umständen der Mutter und ihrer
Verwandtschaft anheim, wie auch die Ehe getrennt werde.
Insoweit sind die massgebenden Gesichtspunkte ziemlich
klar. Hat der Freigelassene sein Bier nicht gehalten, so
erscheint seine Ehe als eine widerrechtlich eingegangene,
und können aus ihr ebendarum keine rechtlichen Verpflicht-
ungen für den Freilasser erwachsen ; in diesem Falle müssen
also die iu der Ehe geborenen Kinder schlechthin ihrer
Mutter und deren Angehörigen zur Last fallen, da der
Patron ihnen gegenüber keine Verpflichtungen hat, und auch
nicht zu dulden braucht, dass zu ihren Gunsten das Ver-
mögen seines Freigelassenen angegrifi*en werde. Hat da-
gegen der Freigelassene sein Bier gehalten , und ist somit
seine Ehe rechtsgültig eingegangen, so hat zwar die inten-
sivere Stärke des verwandtschaftlichen Bandes gegenüber
dem Patronate, und die grössere Leistungsfähigkeit der voll-
freien Verwandtschaft ein stärkeres Heranziehen der Mutter
und ihres Hauses zur Alimentationspflicht zur Folge, aber
doch nur so, dass auch der Vater und dessen Patron daneben
nicht ganz frei ausgehen. Auffällig ist freilich, dass die
Casuistik unserer Stelle in ihrer ersten Hälfte nicht er-
schöpfend ist; indessen genügen doch die in ihr und ander-
wärts aufgestellten Regeln vollkommen, um auch die nicht
ausdrücklich vorgesehenen Fälle mit Sicherheit erledigen zu
lassen. Stirbt nämlich bei einer unter Lebenden getrennten
Ehe der Freigelassene höherer Ordnung zuerst, so fallen die
Kinder selbstverständlich der Mutter zur Last, sovreit nicht
der ihnen anfallende Nachlass des Vaters zu ihrem Unter-
halte hinreicht; wird die Ehe dagegen durch den Tod ge-
trennt, so wird doch wohl nach Analogie einer unten noch
zu besprechenden Stelle der Frf)L. *) die Regel zum Zuge
kommen, dass die Kinder mit ^/3 dem Vater und mit Vs
\) FrI.L., IX, §. 11.
72 Sitzung der philos.-philol. Classe vom 9. Februar 1878.
der Mutter zur Last fallen, nur dass diese Kegel selbstver-
ständlich dahin wird ergänzt werden müssen, dass die Kin-
der auch in diesem Falle von dem Momente an völlig der Mutter
anheimfallen, da das väterliche Vermögen vollständig auf-
gezehrt ist. Da nämlich die Gj>L. bei der Ausscheidung
der Antheile beider Ehegatten am gemeinsamen Vermögen
jenen Massstab ebensogut festhalten wie die Fr{>L./) lässt
sich doch wohl annemen, dass sie denselben auch wie diese
bei der Vertheilung der Kinder für den Fall der Trennung
der Ehe durch den Tod zur Anwendung bringen wollten,
welcher Fall ja ausdrücklich als nicht unter die Regel ihres
§. 63 fallend bezeichnet wird, und mochte dieses Falles
an unserer Stelle nur darum nicht ausdrücklich gedacht
worden sein , weil sich seine Entscheidung ohnehin aus an-
derweitig genugsam bekannten Rechtsgrundsätzen zu ergeben
schien. Einer Erklärung dürfte endlich auch noch bedürfen,
dass der umgekehrte Fall an unserer Stelle unerwähnt bleibt,
da ein vollfreier Mann eine Freigelassene heirathet; auch in
dieser Richtung dürfte indessen die Vergleichung der Frl>L.
Aufklärung schaffen. Diese lassen nämlich solchenfalls das
Weib dem Patrone 3 Mark entrichten, also die gewöhnliche
Unzuchtsbusse, wie sie ihr für den Fall ihrer Mitschuld ob-
lag; *) aber sie fügen sofort bei, dass die Kinder „ör t)jrmslum"
sein sollen , was doch wohl heisseu will, dass die Ehe als
gültig anerkannt bleibt, sodass also ein Freigeborener gegen
Erläge von 3 Mark an ihren Patron in Norwegen ohne
Weiters jede fremde Freigelassene heirathen konnte, ganz
wie er auf Island jede fremde Sklavinn um den Betrag von
12 Unzen sich kaufen konnte, um sie als seine Concubine,
oder nach späterem Recht als seine Frau zu haben. ^) Ver-
wickelter werden nun aber die Bestimmungen unserer Haupt-
1) G5L., §. 53 und 64.
2) FilL., IX, §. 16.
3) Kgsbk., §. 112, S. 192; Festa{>., cap. 4^, S. 358.
Maurer: Die Freigelassenen nach altnorwegischem Fechte. 73
stelle, sowie dieselbe zu dem anderen Hauptfalle übergeht,
da ein Freigelassener eine Freigelassene heirathet, und zwar
nicht nur darum , weil sich solchenfalls die Standesverhält-
nisse sehr verschieden gestalten können, jenachdem der Manu
der höheren oder der geringeren Classe von Freigelassenen
angehört, und die Frau mit ihm gleichen oder ungleichen
Standes ist, sondern auch darum, weil je nach Umständen
auch noch ein positives Eingreifen des einen oder anderen
Patrones in die Gestaltung der Verhältnisse denkbar ist.
Am Einfachsten steht die Sache noch, wenn beide Ehegatten
völlig gleichen Standes sind, und für diesen Fall schreibt
unsere Stelle zunächst vor,^) dass, wenn beide Eheleute ihr
Freilassungsbier gehalten haben, auch ihre Kinder sie beide
beerben, „aber wenn sie verarmen, so sind sie Grabgangs-
leute; man soll auf dem Kirchhofe ein Grab graben, und
sie da hineinsetzen , und da sterben lassen ; der Herr aber
soll das herausnemen, welches am Längsten lebt, und das
nachher ernähren''. Noch ein zweites Mal geschieht in dem
Rechtsbuche der grafgängsmenn Erwähnung , nämlich ge-
legentlich der Vertheilung der Heerlast , ^) und galt die
Regel, dass sie bei dieser nicht mitein zurechnen seien, falls
nicht etwa der Patron die auf sie verwendeten Verpflegungs-
kosten als Schuld auf sie legte, und damit also deren seiner-
zeitigen Ersatz ins Auge fasste. Die Worte unserer Haupt-
stelle lassen allerdings zweifelhaft, ob unter den Grabgangs-
leuten nur die Kinder der Freigelassenen, oder zugleich auch
diese selbst zu verstehen seien; indessen möchte ich, der
gewöhnlichen Meinung folgend,^) mich für die erstere Deu-
tung entscheiden, da ja die Stelle ausserdem nicht von einem
einzigen Patrone sprechen könnte, vielmehr die beiden Patrone
1) GI)L., §. 63.
2) Gl)L., §. 298.
8) vgl Estrup, S. 119; Gjessing, S. 279j Eriksen, S. 57;
Fr. Brandt, S. 171,
74 Sitzung der philos.-phüol. Classe vom 9. Februar 1878.
der beiden iElteru zur Tragung der Alimentationspfliclit
heranzuziehen wären. Dagegen möchte ich unter den ,,börn''
der Freigelassenen nicht blos deren Kinder im engeren
Sinne, sondern deren sämmtliche Nachkommen bis zum
8ten Grade einschliesslich verstehen , da die Alimentations-
pflicht des Patrones doch wohl ebensoweit reichte als dessen
Erbrecht, und wird man andererseits das harte Recht, wel-
chem der Ausdruck grafgäugsmenn seine Entstehung ver-
dankt, nicht als ein im 13. Jahrhundert noch in Übung
stehendes , sondern nur als eine aus grauer Vorzeit über-
lieferte Antiquitset,^) wenn nicht gar blos als einen drasti-
schen Ausdruck des Satzes betrachten dürfen, dass die dem
Patrone obliegende Alimentationslast keine rechtlich schlecht-
hin unbegrenzte sein solle. Übrigens lässt noch eine weitere
Stelle der Gl>L. , mit dem Obigen völlig übereinstimmend,
recht klar erkennen , dass die Alimentationspflicht des Pa-
trones auch dem Freigelassenen höherer Ordnung selbst
gegenüber jedenfalls nur eine sehr eventuelle war. .Sie sagt
nämlich, '^J dass die Kinder eines Freigelassenen, welcher sein
Freilassungsbier gehalten, oder vertragsweise aus dem stren-
geren Abhängigkeitsverbande sich losgekauft hat, für ihre
verarmten j$]ltern zn arbeiten haben, so lange diese letzteren
leben, ohne doch auch noch auf später hinaus in Schuld
genommen, oder für den Ersatz weiterer Verpflegungskosten
haftbar gemacht werden zu können ; dass sie aber , wenn
sie nicbt für ihre ^Eltern arbeiten wollen, auch ,,föstrlaun"
zahlen und davongehen mögen. Unter diesen fostrlaun werden
hier doch wohl die Kosten des Unterhaltes der ^Eltern zu ver-
stehen sein, und geht demnach die Bestimmung dahin, dass die
Alimentationspflicht in erster Linie auf den Kindern ruhen
1) vgl. Osenbrüggen's Ausführung über „das jus primse noctis",
in seinen Deutschen Rechtsalterthümern aus der Schweiz, S. 86 — 96.
2) G5L., §. 66.
Mauren Die Freigelassenen nach altnonvegischem "Rechte. 75
soll, was aucli ganz billig ist, da diese unter den gegebenen
Voraussetzungen aucb ihre iEltern zu beerben berechtigt
sind ; nur soll den Kindern nicht mehr zugemuthet werden,
als was sie durch den Ertrag ihrer Arbeit bei Lebzeiten
der Altern erschwingen können, während ihnen andererseits
verstattet wird, gegen volle Deckung der gesammten Alimen-
tationskosten sich von der Verpflichtung, (im Hause des
Patrons? oder der Altern?) zu arbeiten, loszukaufen. Erst
wenn die Kinder die volle Alimentation ihrer Altern nicht
zu bestreiten vermögen, oder wenn solche etwa nicht vor-
handen sind, kann somit auf die Verpflichtung des Patrones
zurückgegriff'en werden. Unsere Hauptstelle *) behandelt
aber auch den umorekehrten Fall, da zwei Freigelassene
einander heirathen, welche beide ihr Freilassungsbier noch
nicht gehalten haben. In diesem Falle sollen die aus der
Ehe erwachsenden Kinder Standesgenossen ihres Vaters
sein, also wie dieser zu den Freigelassenen geringerer Ord-
nung gehören, und wird von ihnen überdiess gesagt: ,,da
sollen sie arbeiten für den Alten und die Alte, und wenn
eines von ihnen davon ziehen will, soll es an seiner Statt
3 Mark erlegen'*. Dass solche Kinder ihre Altern nicht
beerben , wird hier zwar nicht ausgesprochen, ist aber aus
anderen Stellen bekannt, ünerörtert bleibt auch die andere
Frage, wieweit solche Kinder dem Patrone gegenüber alimen-
tationsberechtigt und alimentationspflichtig waren, und lässt
sich in dieser Beziehung höchstens die Vermuthung aus-
sprechen, dass ihre Lage diessfalls dieselbe gewesen sein möge
wie die ihrer ^Eltern, deren Standesgenossen sie ja waren.
Ausgesprochen wird dagegen, dass solche Kinder ihren
eigenen iEltern gegenüber, denn nur diese können unter
„karl ok kerling'' an unserer Stelle verstanden werden,
alimentationspflichtig sein sollen, obwohl sie dieselben nicht
1) ebenda, §. 63.
76 Sitzung der pküoa.-phüöl. Classe vom 9. Februar 1878.
beerben, jedoch allerdings mit der Beschränkung, dass sie
sich von dieser Verpflichtung jederzeit durch Erläge von
3 Mark frei machen können. Man darf diese Zahlung nicht
mit den fostrlaun der vorhin besprochenen Stelle in Ver-
bindung bringen. Allerdings wird einmal demjenigen, wel-
cher einen ihm vertragsweise übergebenen Pflegling ohne
die ihm gebührende Verpflegung lässt, eine Zahlung von
3 Mark auferlegt, und dabei beigefügt, dass das Gleiche
von Jedem gelte, der einen von ihm zu Versorgenden un-
verpflegt lasse ; ^) aber diese Zahlung von 3 Mark enthebt
den Pflichtigen nicht seiner Verpflichtung, und ist somit
nicht als ein ^Equivalent der Verpflegung, sondern als eine
zu dieser hinzukommende Busse aufzufassen. Überdiess wird
anderwärts das für die dauernde Ernährung eines ,,6magi"
eben noch zureichende Capital auf 4 Mark berechnet , *)
sodass also die fostrlaun, wenn sie überhaupt auf einen ein
für allemal bestimmten Betrag angesetzt werden wollten,
jedenfalls auf mehr als 3 Mark veranschlagt werden mussten.
Dagegen wird man sich daran erinnern dürfen, dass unser
Rechtsbuch den Altern verstattet, ihre Kinder bis zum Be-
trage von 3 Mark in Schuld zu geben, d. h. bis zum Durch-
schnittswerthe eines gewöhnlichen Sklaven,') und zugleich
zu berücksichtigen haben, dass der Patron sogar den graf-
gängsmenn gegenüber berechtigt war, den Betrag seiner
Alimentationskosten als Schuld auf sie zu legen ; *) von
diesem Gesichtspunkte aus betrachtet enthält aber unsere
Bestimmung lediglich den Satz, dass die Kinder der Frei-
gelassenen niederer Ordnung bis zu jenem Betrage ihren
JEltern, und weiterhin dem Patrone, welcher diese ihre
1) G]>L, §. 70.
2) ebenda, §. 115.
3) ebenda, §. 71; vgl. meine Abhandlung über: Die Schuld-
knechtschaft nach altnordischem Rechte, S. 4.
4) G5L., §. 298.
Maurer: Die Freigelassenen nach altnorwegischem Bechte. 77
iEltern eventuell zu alimentiren hatte, schon von Rechts-
wegen verhaftet waren, ebendarum aber auch durch Erläge
dieses Betrages sich von ihrer Haftung loskaufen konnten.
Endlich zieht aber unsere Hauptstelle auch noch die Fälle
in Betracht , in welchen die Eheleute zwar beide Freige-
lassene sind , aber in Bezug auf ihr Freilassungsbier sich
ungleich verhalten ; *) gerade diese Fälle sind aber für die
Auslegung die schwierigsten. Hat zwar die Frau ihr Bier
gehalten, aber der Manu nicht, so sollen die Kinder beiden
Altern gegenüber gleichmässig des Erbrechtes entbehren.
Hat dagegen der Mann sein Bier gehalten, aber die Frau
nicht, so sollen die Kinder dennoch Beiden gegenüber erbbe-
rechtigt sein, wenn der Patron der Frau auf seine Anwart-
schaft auf die Erbschaft (von) verzichtet. Hat endlich der
Herr des einen Theils in die Ehe gewilligt , der Herr des
anderen Theiles aber nicht, so hat der nicht consentirende
Patron die Wahl, wie er sich zu der Sache stellen will,
und er kann demnach, wenn es sich um eine fette Erbschaft
handelt, dieselbe für sich beanspruchen, dagegen im Verar-
mungsfalle sich die Alimentationspflicht vom Leibe halten.
Es leiden diese Bestimmungen, wie man sieht, an grosser
UnVollständigkeit, indem die Haltung oder Nichthaltung
des Freilassungsbieres, die Ertheilang oder Nichtertheilung
des Heirathsconsenses Seitens des Patrons bei nicht ge-
haltenem Biere, endlich dessen Verzicht oder Nichtverzicht
auf seine Erbansprüche neben einander in Betracht gezogen,
aber keineswegs alle aus der Combination dieser verschiedenen
Factoren sich ergebenden Möglichkeiten auch wirklich be-
sprochen werden. Der letzte der 3 aufgestellten Sätze
spricht aber eine sehr klare, und auch bezüglich ihrer Be-
gründung sehr verständliche Regel aus. Er setzt natürlich
den Fall voraus, da die beiden Eheleute ihr Freilassungs-
1) ebenda, §. 63.
78 Sitzung der 'ph'äos.-ph'dol, Classe vom 9. Februar 1878.
bier nicht gehalten haben, soferne ja nur nnter dieser Vor-
aussetzung auf die Ertheilung des Eheconsenses Seitens ihrer
Patrone etwas ankommen konnte, und er will solchenfalls
dem nicht conseutirenden Patrone die Wahl lassen , ob er
die Folgen seiner Cousensvervveigerung ziehen oder nicht
ziehen wolle; dieser kann somit, da die Ehe ohne seinen
Consens eingegangen ist, den aus ihr erwachsenen Kindern
ihr Erbrecht bestreiten und den Nachlass ihres parens für
sich selbst in Anspruch nemen, — er kann aber auch die
Eheleute behandeln, wie wenn er seinen Consens zu ihrer
Ehe ertheilt hätte, und sich somit von der drückenderen
Alimentationspflicht frei machen, welche ihn Freigelassenen
niederer Ordnung gegenüber au und für sich träfe. Damit ist
stillschweigend aber auch gesagt, dass der Patron, welcher
seinen Eheconsens ertheilt hat, den aus der Ehe erwachsenden
Kindern ihren Anspruch auf den Nachlass des betreffenden
parens nicht bestreiten darf, und dass er andererseits im
Verarmungsfalle für die Verpflegung sei es nun der Kinder
oder des betreffenden parens aufkommen muss ; haben dem-
nach die Patrone beider Altern consentirt, so sind die Kin-
der beiden J^]ltern gegenüber erbberechtigt, und haben beide
Patrone nicht consentirt, sind die Kinder keinem ihrer Altern
gegenüber erbberechtigt. Der erste der drei ausgesprochenen
Sätze dagegen stellt für den Fall , da die Ehefrau ihr Bier
gehalten hat, der Ehemann aber nicht, die Regel auf, dass
die Kinder Beiden gegenüber nicht erbfähig sein sollen, wobei
natürlich stillschweigend vorausgesetzt wird, dass der Patron
des letzteren nicht etwaseinen Eheconsens ertheilt hat; dem
Vater gegenüber sich von selbst verstehend , o 1er doch
höchstens insoferne auffällig, als hier nicht wie in dem
soeben besprochenen Falle der Wahl des Patrons anheim-
gestellt wird, ob er den Kindern ein Erbrecht zugestehen
wolle oder nicht , erscheint diese Regel der Mutter gegen-
über allerdings bedenklich, und sie wird dieses noch in er-
Maurer: Die Freigelassenen nach altnorwegischem Rechte. 79
höhtem Masse durch den sofort folgenden zweiten Satz,
welcher stillschweigend voraussetzt, dass auch in dem um-
gekehrten Falle, da der Mann sein Bier gehalten, die Frau
dagegen das ihrige nicht gehalten hat , die Kinder an und
für sich beiden /Eltern gegenüber erbunfähig sind , jedoch
ausdrücklich bemerkt, dass sie beiden gegenüber erbfähig
Averden , wenn der Patron der Frau auf sein Erbrecht ver-
zichtet. Es scheint , dass man durch diese Unterscheidung
der hervorragenden Stellung des Mannes in der Ehe llech-
nung tragen wollte; streng construirbar dürften jedoch die
zu solchem Behufe getroffenen Bestimmungen nicht sein.
— Ungemein schlicht und einfach nemen sich dieser ebenso
spitzfindigen als verworrenen Casuistik der G[>L. gegenüber
die einschlägigen Bestimmungen der Fr[jL. aus; sie lauten : ^)
,,en ef leysingi tekr konu, hvärt sem hann tekr lejsingju
eSa ärborua, ^ä hverfa 2. lutir bseSi gsezlu ok arfs undir
fö6ur ok undir skapdröttinn hans, en |jri6jüngr undir mö5ur,
ok {)au ör {)yrmslum, er til mö5ur hverfa, ef hon er är-
borin". Darnach sollen also, wenn ein Freigelassener
heirathet , dessen Kinder zu '^/3 ihm und seinem Patrone
zufallen, dagegen zu ^3 ^^'^ Mutter, und zwar sowohl was
das Erbrecht als was die Verpflegung betrifft. Diese Regel
wird ganz gleichmässig zur Anwendung gebracht , möge
nun die Mutter gleichfalls eine Freigelassene, oder aber
vollfreien Standes sein. Die Bemerkung endlich, dass die
der Mutter zufallenden Kinder von den l>y.rmslir frei werden
sollen, wenn sie selbst vollfrei ist, zeigt einmal, dass die
Theilung auf die Kinder selbst und nicht blos auf die Kosten
ihrer Verpflegung sich beziehen sollte, und lässt weiterhin
erkennen, dass die ganze Vorschrift sich zunächst auf Frei-
gelassene niederer Ordnung bezog , womit natürlich nicht
ausgeschlossen ist , dass sie auch auf Freigelassene höherer
1) FriL., IX. §. 11.
80 Sitzung der philos.'phüol. Classe vom 9. Februar 1878.
Ordnung analoge Anwendung finden mochte. Der für die
Vertheilung der Kinder aufgestellte Massstab war aber der-
selbe, welcher von den Frt)L sowohl als von den G{>L. für
die Betheiligung der Ehegatten am gemeinsamen Vermögen
festgehalten wurde, soweit nicht etwa vertragsweise ein An-
deres ausbedungen war, ') und ist demnach die Meinung der
Bestimmung zweifellos die, dass die Kinder als Last des
Vermögens nach demselben Massstabe vertheilt werden sollten
wie das Vermögen selbst.
Nachdem nunmehr die Rechte und Pflichten der beiden
Classen von Freigelassenen besprochen worden sind, kann
sofort an die Deutung zweier bisher noch unbesprochener
Ausdrücke herangetreten werden, welche mit der Unterschei-
dung dieser beiden Classen zusammenzuhängen scheinen, und
deren richtige Deutung die bisherigen Angaben über diese
einigermassen zu vervollständigen verspricht, der x\usdrücke
{»yrmslamenn nnd vänarmenn nämlich, welche übrigens
beide ausschliesslich den FrJ)L. und dem älteren Stadtrechte
angehören. Unter den Pyrmslamenn wird man schon von
Vornherein geneigt sein diejenigen Leute zu verstehen,
welche ,,i l>yrmslum" zu einem Herrn stehen , und die ge-
nannten Rechtsbücher bestätigen in der That diese Ver-
muthung. Wenn nämlich die Fr^L. unter den Leuten, die
nicht über einen Mann zu Gericht sitzen dürfen, dessen
{)yrmslamenn nennen, ^) so wird man sich daran zu er-
innern haben, dass die Gf)L. zu den f)yrmslir, welche der
Freigelassene geringerer Ordnung seinem Freilasser gegen-
über zu beobachten hat, auch die Verpflichtung zählt: „at
setja eigi dom annarra ä moti honum". Wenn ferner die-
selben Fr{>L. den König anweisen,^) wenn er gegen Jemanden
1) ebenda, XI, §. 6 u. 8; G))L., §. 53 u. 64.
2) Prl)L., X, §. 14; vgl. GlL., §. 66.
3) Fr].L., IV, §. 4; XV, §. 1.
Maurer: Die Freigelassenen nacli altnonoegischem Rechte. 81
wegen Landesverratlis klagen will, mit der Klagestellung
feinen Standesgenossen des Angescliuldigten zu beauftragen,
der zur hir6, d. h. Dienstmannschaft gehört, jedoch für den
Fall, dass die Klage gegen leysingjar oder gegen I>yrmslamenn
geht, ihn ermächtigen, die Klageführung einem Bauernsohne
zu übertragen, falls ein solcher in der hir6 zu finden ist,
so werden dabei nicht nur die leysingjar und die f)yrmsla-
menu gemeinsam als Leute geringeren Standes den freige-
boreneu Bauern gegenübergestellt, sondern sie werden auch
unter sich unterschieden, da die Zusammenstellung beider
Ausdrücke doch nicht wohl tautologisch gemeint sein kann.
Bei Besprechung der Verbalinjurien schiebt ferner dasselbe
Rechtsbuch die mehrfach besprochene Regel, dass alle Leute
ihre Busse ,,silfrmetit" erhalten sollen, mit Ausname der
{)yrmslamenn, ein, nachdem zuvor die Bussbeträge des höldr,
ärborinn maSr, reks{>egn und leysmgjasonr angegeben wor-
den waren, aber ehe noch die Ansätze für die Freigelassenen
selbst besprochen sind ; ^) die Vermuthung liegt nahe, dass
dieser Ort für die Einschiebung darum gewählt wurde, weil
gerade hier die Grenze zwischen den {)yrmslamenn und den
übrigen Freien lag, und dass die Besprechung des Freige-
lassenen, der sein Freilassungsbier gehalten hat, nur darum
hinter statt vor das Einschiebsel zu stehen kam , weil um
der Vereinfachung des Ausdruckes willen von beiden Classen
der Freigelassenen in einem Satze gehandelt werden wollte.
Wenn im Stadtrechte nach Besprechung der verschiedenen
Busssätze, welche beiden Classen von Freigelassenen zu-
kommen, der Satz folgt : ,,en {>yrmslamenn allir skulu {)yrmazt
vi6 skapdröttinn sinn jafnt i kaupängi sem i heraSi'V) so
kann derselbe doch wohl nur auf die kurz zuvor bespro-
chenen Freigelassenen geringerer Ordnung bezogen werden.
1) FrJL., X, §. 35; BjarkR., III, §. 162.
2) BjarkR., II, §. 47.
[1878 I. Philos.-philol.-hist. Cl. 1.]
82 Sitzung der philos.-philol. Classe vom 9. Februar 1878.
Endlich die Bestimmung, dass vagabundirende Bettler, welche
keine I>yrmslamenn sind, für den Fall, dass sie arbeitsfähig
und somit nicht zum Betteln gezwungen sind, in eine Busse
von 3 Mark verfallen und für diesen Betrag in Schuldhaft
genommen werden sollen,^) findet ihre Erklärung ebenfalls
wider ganz naturgemäss unter der Voraussetzung, dass der
f)yrmslama8r als ein Freigelassener geringerer Ordnung auf-
zufassen ist, dessen Versetzung in die Schuldhaft mit den
Rechten unvereinbar ist, welche dem Patrone ihm gegen-
über zustehen, während zugleich die Alimentationspflicht
und Schutzgewalt eben dieses Patrons die eigene Verschul-
dung des Mannes im gegebenen Falle ausscbliesst. Man
wird gegen diese Schlussfolgerung nicht einwenden dürfen,
dass an ein paar weiteren Stellen, welche einer soeben er-
wähnten Angabe sich anschliessend aussprechen: ,,at silfr-
metinn skal arborins manns eyrir allr i mannhelgi , nema
{>yrmslamanna'',^) ,,en silfrmetit er ärborinna fe, en sakgilt
f)yrmslamanna fe",^) die ärbornir menn den I>yrmslamenn
in einer Weise gegenübergestellt werden, welche, wenn der
Gegensatz als ein erschöpfender genommen werden will,
auch den leysingi, den leysingjason, und sogar den reks^egn
zu diesen letzteren zu zählen nöthigen würde; es scheint
vielmehr dabei ein ungenauer Gebrauch der Bezeichnung
ärborinn maSr vorzuliegen, von welchem sich auch sonst
Spuren nachweisen lassen.*) Beachtenswerth bleibt aber die
in Bezug auf die Busszahlung aufgestellte Regel, welche da-
durch nur in ein helleres Licht gerückt wird, dass bezüglich
einzelner Bussfälle umgekehrt gesagt wird: „en {>at skal
Vera allt silfrmetit", ^) oder auch : „ok sakgilt allt , nema
1) Fr])L., X, §. 39; BjarkR., III, §. 163.
2) Fr5L., IV, §. 45.
3) ebenda, X, §. 46.
4) z. B. ebenda, IX, §. 10.
5) ebenda, IV, §. 49.
Maurer: Die Freigelassenen nach altnonvegis ehern Hechte. 83
lögfest se'V) ^i« ^gl- ^^- ^'^i^ wissen nämlicli aus den Ge-
schichtsquellen, dass bereits zu K. Magnus Erlingsson's Zeit
der sakgildr eyrir nur noch halbsoviel galt als der silfr-
metinn eyrir; ^) die Verschiedenheit der bei beiden Classen
von Freigelassenen anzuwendenden Berechnungsweise hat
somit zur Folge, dass die Busse des Freigelassenen geringerer
Ordnung bei gleicher Angabe ihres nominellen Betrages
effectiv stets nur halb so hoch sich beläuft als die Busse
der Freigelassenen höherer Ordnung.^) Mag sein, dass es
damit zusammenhängt, wenn bei den Bussangaben der Fr{)L.
zumeist die beiden Classen der Freigelassenen nicht mit
gesonderten Ansätzen bedacht werden ; zu der mehrfach
ausgesprochenen Regel, dass die Busssätze der verschiedenen
Stände im Verhältnisse von 2:3 ansteigen sollen,^) würde
diese Anname freilich wenig passen. — Die vdnartnenn wer-
den nur an zwei Stellen der Fr{)L. genannt. Das einemal
wird bei Erörterung der Frage, wie der Patron sein Recht
gegenüber dem Freigelassenen niederer Ordnung zu verfolgen
habe, wenn dieser sich seiner ,,vörn" zu entziehen sucht,
und zwar unmittelbar nachdem ausgesprochen worden war,
dass der sachfällige Freigelassene sein ganzes Vermögen
und eine Busse von 3 Mark verwirkt habe, und in Schuld-
haft zu nemen sei, bis er die letztere abverdient habe,
sofort beigefügt, dass es ebenso ,,um vänarmenn" zu halten
sei ; ^) die zweite Stelle aber bestimmt, dass der Schiffsherr,
welcher ein Weib ausser Lands bringt , „er vänarmaÖr
manns er, eSa leysingja manns", dafür dem Herrn dieses
Weibes 12 Unzen büssen, und alles Gut ersetzen müsse,
1) ebenda, XIII, §. 15.
2) Heiraskr. Magnüss s. Erlingssonar, cap. 16, S. 792;
Fagrsk., §. 26.8, S. 179, u. dgl. m.
3) vgl. Gjessing, S. 293.
4) siehe oben, S. 39—40.
5) FrjL., IX, §. 10.
6*
84 Sitzung der philo s.'plülol. Classe vom 9. Februar 187S.
welches die Freigelassene erweislichermassen besessen hatte. ^)
Hiernach ist klar, dass unter den vänarmenn Leute za ver-
stehen sein müssen, deren Stellung sich mit der der Frei-
gelassenen einigermassen berührt, und welche zumal wie
diese durch die Rechte eines Herrn in der Freiheit ihrer Be-
wegung einigermassen beschränkt sind, während sie doch an-
dererseits Vermögen besitzen und verwirken mögen. Ich kann
hiernach nicht mit Joh. Fritzner und GuSbrandr Viorfüsson an
einen Bettler, Almosenempfänger oder zu verpflegenden Armen
denken, obwohl Redensarten wie ,,ganga ä van", „gänga meS
vänarvöl", „bera vänarvöl" allerdings eine solche Deutung
nahe legen; ebensowenig möchte ich aber auch mit Gjessing,
welcher sich am Einlässlichsten mit dem Ausdrucke befasst
hat, ^) diesen auf die Schuldknechte oder auf die Austrägler
beziehen , sondern , einer anderen von dem Letzteren ge-
wiesenen Spur folgend, glaube ich in denselben lediglich
die höhere Classe der Freigelassenen erkennen zu sollen.
Im isländischen Rechte wird der Ausdruck arfvän, was auch
seiner Etymologie völlig entspricht, schlechtweg für die
Anwartschaft auf eine Erbschaft gebraucht ; ^) in den Frt)L.
aber steht derselbe einmal speciell für das eventuelle Erb-
recht, welches dem Freilasser und seiner Nachkommenschaft
gegenüber dem Freigelassenen und seiner Descendenz bis
zum 8ten Grade einschliesslich zusteht,*) und in den G{>L.
wird in diesem letzteren Sinne sogar einmal das einfache
,,von" gebraucht.^) Hiernach mochten als vonarmenn recht
wohl diejenigen Freigelassenen sammt ihrer Nachkommen-
schaft bezeichnet werden, welche ,,6r f)yrmslum" sind, und
somit nur eben noch einem subsidiären Erbrechte ihres
1) ebenda, §. 16.
2) Gj es sing, S. 256—60.
3) z. B. Kgsbk., §. 123, S. 236; ArfaJ., cap. 10, S. 200-201.
4) PrI.L., IX, §. 11.
5) G5L., §. 63.
Maurer: Die Freigelassenen nach altnorwegischem Beeilte. 85
Freilassers und seiner Descendenz nuterliegen; wird doch
auch in einem schwedischen Rechtsbuche der Ausdruck
„BGgha van til fostra" für das Recht eines Herrn an seinem
Unfreien gebraucht , und von Schlyter gerade aus des
Ersteren Anwartschaft auf dessen Erbe erklärt.^)
Kurz zusammengefasst ist das Ergebniss der bisherigen
Untersuchung folgendes. Die sämmtlichen norwegischen
Provincialrechte unterscheiden zwei Classen von Freige-
lassenen. Der geringeren Classe von solchen fehlt die volle
Freizügigkeit , die Verehelichuugsbefugniss , die freie Ver-
fügung über das eigene Vermögen , sowie das gegenseitige
Erbrecht unter den ^Eltern, Kindern und Geschwistern; sie
unterliegt ferner den als |>yrmslir bezeichneten Verpflich-
tungen gegenüber dem Freilasser und seiner Nachkommen-
schaft, sowie einer Schutzgewalt desselben, während sie zu-
gleich in Bezug auf Wergeid und Busse, dann in einer
Reihe von anderen Beziehungen, in welchen sich die Ab-
stufung der Stände geltend zu machen pflegt, entschieden
zurückgesetzt erscheint. Die höhere Classe derselben ist
dagegen von den {)yrmslir sowohl als der vorn befreit, ge-
niesst der Freizügigkeit, Verehelichuugsbefugniss und des
freien Verfüguugsrechtes über ihr Vermögen, sowie eines
Erbrechtes, welches allerdings auf den ersten Grad der Ver-
wandtschaft beschränkt ist; sie unterliegt aber noch einem
subsidiären Erbrechte des Freilassers und seines Hauses,
welchem hinwiderum auch eine subsidiäre Alimentationspflicht
entspricht, und steht in Bezug auf die Standesrechte zwar
auch noch den vollfreien Leuten nach, aber doch entschie-
den über die niedere Classe der Freigelassenen emporgerückt.
Die BJjL. und E^L. bezeichnen dabei die Freigelassenen
niederer Ordnung als frjälsgjafar , und die Freigelassenen
höherer Ordnung als leysingjar, während die G{)L. und Fr{)L.,
1) vgl. Schlyter', s. v. van.
86 Sitzung der philos.-phüol. Classe vom 9. Februar 1878.
sowie das Stadtreclit die letztere Bezeiclmung für beide
Classen brauchen ; doch deuten einzelne Spuren in den Fr{)L.
und im BjarkR. darauf hin, dass jene erstere Terminologie
früher auch im Drontheimischen üblich gewesen war, und
hier kommt überdiess auch wohl die Bezeichnung {)yrmsla-
menn für die geringere, und die Bezeichnung vanarmenn
für die höhere Classe der Freigelassenen vor. Der Unter-
schied zwischen beiden Classen beruht dabei nach den G{>L.,
FrJjL. und dem BjarkR. darauf, dass die niedere Classe aus
den Freigelassenen besteht, welche ihr Freilassungsbier noch
nicht gehalten haben, die höhere dagegen aus denen, w^elche
dasselbe gehalten haben; jedoch gehört zu der ersteren
Classe auch noch der Sohn, oder sogar der Sohn, Enkel
und Urenkel des ursprünglich Freigelassenen, wogegen
dessen Enkel, beziehungsweise Urenkel auch ohne Haitang
eines Freilassungsbieres in die höhere Classe übertritt, und
zu dieser höheren Classe zählt sodann noch die weitere
Descendenz bis zum 8ten Grade einschliesslich, sodass erst
mit dem 9ten Grade der beiderseitigen Nachkommenschaft
die Beziehungen zwischen dem Hause des Freilassers und
dem Hause des Freigelassenen völlig erlöschen. Dem gegen-
über lassen die Bt)L. und El>L. nicht erkennen, auf welche
Momente sich bei ihnen die Scheidung beider Classen stützte,
wenn sie auch andeuten, dass auch bei ihnen die Zugehörig-
keit zu denselben in gewissem Umfange auf die Nach-
kommenschaft des Freigelassenen sich erstreckte; als wahr-
scheinlich wird indessen immerhin bezeichnet werden dürfen,
dass auch in der östlichen Hälfte des Reichs die Verhältnisse
beider Classen änlich geordnet gewesen sein werden wie in der
westlichen. Nicht verkennen lässt sich übrigens, dass in den
Gl>L. und Fr{)L. die Scheidung der beiden Classen sich nicht
mehr mit derselben Schärfe ausgeprägt zeigt, wie in den
B|>L. und Ef>L., soferne die niedere Classe dort bereits mehr-
fach mit der höheren verschmolzen erscheint; doch scheint
Maurer : Die Freigelassenen nach altnorwegischem Rechte. 87
sich die Gleichstellung beider zunächst auf die Punkte be-
schränkt zu haben, welche die Standesrechte als solche be-
trafen, während das Verhältniss des Freigelassenen zu seinem
Freilasser von ihr noch unberührt blieb, und mag gerade
hiemit das Aufkommen der von dieser letzteren Seite her-
genommenen Bezeichnungen {>yrmslamenn und vänarmenn
zusammenhängen. Endlich entwickelt sich aber auch noch
innerhalb der höheren Classe eine Bevorzugung der leys-
mgjasjnir vor den lejsingjar selbst, welche, durch die un-
organische Beschaffenheit der den ersteren zugestandenen
Bassbeträge als Erzeugniss einer späteren Zeit gekennzeichnet,
auch ihrerseits ein Streben nach allmäliger Annäherung der
Freigelassenen an die Freigeborenen erkennen lässt.
Sitzung vom 9. Februar 1878.
Der Classensekretär legte eine Abhandlung des Herrn
F. G. ünger vor:
„Zum Kalender des Thukydides.'^
Zwei in den Sitzungsberichten für 1875 von mir ver-
öffentlichte Abhandlungen; Zur Zeitrechnung des Thukydides
(I, 28 ff.) und Der attische Kalender während des pelopon-
nesischen Krieges (II, 1 ff.) , sind mittlerweile in Bursians
Jahresbericht über die Fortschritte der classischen Alter-
thumswissenschaft von Holm (Jahresb. über Sicilien 1875.
n, 88), Alfr. Schoene (Jahresb. über Thukydides 1875. I,
855) und Volquardsen (J. üb. griechische Chronologie 1876.
I, 412) einer Beurtheilung unterzogen worden ; zugleich hat
U. Köhler in seiner trefflichen Bearbeitung der attischen
Inschriften amtlichen Charakters aus dem IV. — I. Jahrh.
(Corp. inscr. att. II, 1. 1877) das urkundliche Material
derart verbessert und vermehrt, dass die Chronologie auch
der vorhergegangenen Zeit dadurch erheblich gefördert wird.
Ich halte es für nothwendig, die Ergebnisse chronologischer
Untersuchungen , sofern dieselben allgemeiner , principieller
Natur sind und von ihrer Annahme oder Verwerfung die
Behandlung auch anderer als der zunächst besprochenen
Fragen abhängt, selbst einer endgiltigen Entscheidung mit-
zuzuführen und sie entweder nach bestem Gewissen zu
Unger: Zum Kalender des Thukydides, 89
stützen und aufrecht zu halten oder begangenen Irrthum
offen einzugestehen, und erlaube mir daher hier vorzulegen,
was ich in beiden Beziehungen zu sagen habe.
In dem ersten der beiden Aufsätze wird die Ansicht
durchgeführt, dass Thukydides den Anfang seiner Kriegs-
jahre und Sommersemester nicht, wie man bisher glaubte,
an die Naturzeit des Ueberfalls von Plataia, mit welchem
der peloponnesische Krieg anhob, und an den Frühlings-
eintritt (mit welchem jener Ueberfall gar nicht einmal zu-
sammentraf), sondern an das Kalenderdatum desselben, Ende
Anthesterion, angeknüpft hat. Nach moderner Zeitrechnung
würde das natürlich keinen Unterschied ausmachen; die
griechischen Monate waren aber, wie bekannt, nach dem
Laufe des Mondes gerichtet, der Neumond sollte auf den
ersten Monatstag treffen und da das gemeine Mondjahr 354
oder 355, das dreizehnmonatliche oder Schaltjahr aber 384
Tage hielt, so mussten die Monatstage in jedem Jahre auf
einen andern Zeitpunkt des Natur- und Sonnenjahres fallen,
der viertletzte oder letzte Anthesterion also sein zeitliches
Verhältniss zum Frühlingsanfang mit jedem Jahre wechseln.
Dieser Grundgedanke des ersten Aufsatzes hat, wenn wir
die Uebereinstimmuüg der drei Berichterstatter dahin aus-
legen dürfen, allgemeine Billigung gefunden.
Es mag befremden, wenn andrerseits der Anfang des
Wintersemesters für Thukydides nicht auch auf ein kalen-
darisches Datum, sondern auf Naturzeit, die Herbstnacht-
gleiche, gelegt wird, und Volquardsen hat denn auch ernste
Bedenken gegen solche Inconsequenz geäussert: es werde,
glaubt er, auf eine nochmalige genauere Prüfung ankommen,
ob nicht die Annahme sich rechtfertigen lasse, dass der
Geschichtschreiber im Gemeinjahr 6 und im Schaltjahr
6V2 Monate auf jedes Semester gerichtet habe. Es ist nicht
recht deutlich, ob dieser Annahme die verlangte genauere
Prüfung vorausgegangen ist oder ob letztere anzustellen mir
90 ISitzung der philos.-philol. Classe vom 9. Februar 1878.
zugemuthet wird. In jenem Falle wäre es gut gewesen die.
Elemente der Prüfung gleich mitzutheilen ; in diesem darf
ich erinnern, dass die verlangte Probe schon gemacht und
Zeitr. d. Thuk. p. 69 vorgelegt ist. Im zwölfmonatlichen
Jahr würde das Wintersemester bei kalendarischer Epoche
desselben am Ende Metageitnion begonnen haben ; aber so-
wohl 418 als 413 v. Chr. begann es erst in der Mitte des
nächstfolgenden Monats Boedromion , also mindestens 6V2
anstatt 6 Monate nach dem Anfang des Sommersemesters
und Kriegsjahrs. Wie Thukydides zu jener Inconsequenz
gekommen und womit sie zu entschuldigen ist, habe ich
a. a. 0. auseinandergesetzt; die Gleichheit der beiden Se-
mester im Ungefähren und durchschnittlich bleibt gewahrt:
denn das Sommersemester beginnt theils mit theils kurz
vor theils bald nach der Nachtgleiche, dem Frühlingsanfang
des Thukydides, im Durchschnitt also um dieselbe. Der
früheste Jahres- und Sommersanfang fällt 28 Tage vor der
Gleiche (414 v. Chr.), der späteste 14 Tage nach ihr
(im J. 430).
Den bürgerlichen Tag beginnt Thukydides, wie ich an
der Geschichte des Untergangs der sicilischen Expedition
zu zeigen gesucht habe, mit Sonnenuntergang ; nach Plinius
und Censorinus war das allgemein attische Rechnung und
sie entspricht, wie das gleiche Verfahren der Araber und
Hebräer, dem Umstände, dass die ganze Zeitrechnung au
den Lauf des Mondes geknüpft war. Holm belehrt mich,
dass im Süden die Nacht viel schneller auf den Sonnen-
untergang folgt als in meiner Uebersetzung von f-iixQi oipe
Thuk. 7, 83 (Zeitr. d. Thuk. p. ^^: bis zum Eintritt der
Nacht) vorausgesetzt wird und verwirft darauf hin meine
ganze Tagrechnung. Diese steht und fällt aber nicht mit
meiner irrigen Auffassung jener Stelle und Volquardsen hat
treffend bemerkt , dass die Uebersetzung : „bis tief in die
Nacht" ebenso statthaft ist.
Unger: Zum Kalender des ThuJcydides. 91
Dadurcli dass der Gescbichtschreiber das Kriegsjahr
und Sommersemester zu Ende des Monats Anthesterion an-
fangen, in vielen Fällen aber zugleich erkennen lässt, ob
dieses Datum dem Frühlingsanfang d. i. der Nachtgleiche
vorausgeht oder nachfolgt, gewinnen wir neue Aufschlüsse
über die Naturzeit und Dauer der einzelnen Kalenderjahre
und damit ein Correctiv der von Redlich, E. Müller und
Boeckh aufgestellten Entwürfe des attischen Kalenders jener
Zeit. Dies ist die Grundlage , auf welcher ich in dem
andern Aufsatze diesen Kalender wiederherzustellen suche,
und demselben wird der Boden entzogen , wenn der ent-
schiedene Protest , welchen Volquardsen gegen die von mir
aus den Erwähnungen des Frühlings oder ihrem Fehlen bei
Thukydides gezogenen Schlüsse einlegt, begründet ist. Bei
näherem Zusehen findet sich jedoch, dass Volquardsen meine
Darlegungen missverstanden und Ansichten bekämpft hat,
welcbe ich gar nicht aufgestellt habe, nämlich die, dass
Thukydides, wo er am Beginn des Jahres den Zusatz «,w«
t(7) 7]qi oder afta to) iqQt aq%o^ieviü mache, den Frühlings-
eintritt früher setze als den Beginn des Kriegsjahres und
Sommersemesters und, wo jener Zusatz fehle, später.
Die erste dieser zwei mir zugeschriebenen Behauptungen:
der Zusatz von ccfxa %u) v^ql (aQxof.i6vcü) beim Jahresanfang
des Thukydides deute auf Eintritt des Frühlings vor Anfang
des Kriegsjahres hin, involvirt eine Ungereimtheit und es
wundert mich, dass Volquardsen nicht, anstatt durch Bei-
spiele diesen meinen angeblichen Irrthum zu widerlegen,
einfach auf die Thatsache hingewiesen hat, dass die Er-
wähnung des Frühlingsanfangs in solchen Fällen eben beim
Anfang des Kriegsjahrs und Sommersemesters und nicht
vielmehr im Wintersemester angebracht ist. Auf p. 32 ff.
meiner Arbeit über die Zeitrechnung des Thukydides, wo
diese Behauptung stehen soll, sage ich nichts dergleichen;
die dahin bezügliche Stelle lautet p. 32: „zou e7ttyLyvo(.ievov
92 Sitzung der philos.-phüol. Classe vom 9. Februar 1878.
d-lqovg bezeichnet bloss : im Laufe des neuen Jahres. Hieraus
folgt, dass der eigentliche Anfang des neuen Soramers und
Jahres in diesen Fällen" — nämlich wo CLf-ia. 2ro> rjQi («^/o^6Vw)
hinzugefügt ist — ,,der Frühlingsnachtgleiche (wenn auch
8, 61, vgl. p. 29, nur sehr kurze Zeit) vorausgegangen war.'*
Da Frühlings Anfang, wie Volquardsen mit mir annimmt,
bei Thukydides mit der Nachtgleiche zusammenfällt und
das für die bezeichneten Fälle von mir wirklich behauptete
Vorausgehen des Jahresanfangs vor der Frühlingsnachtgleiche
gerade das Gegen th eil von dem angeblich von mir ausge-
sagten früheren, vor Jahresanfang erfolgten Eintritt des
Frühjahrs ist, so erhellt mit Evidenz, dass Volquardsen meine
Ansicht in ihr gerades Gegentheil verkehrt hat.
Wie dieses Quidproquo entstanden ist, erkennt man
aus dem Citat, welches gegen mich in's Feld geführt wird:
es ist gerade das , welches ich selbst an der so eben aus-
geschriebenen Stelle angeführt habe. Am schlimmsten,
sagt V., stehe meine Sache Thuk. 8, 61, wo ccf-ia tw tjql
Evd^vg aQyo(.dv(i) am Beginn des Kriegsjahres beigefügt sei,
nach meiner Lehre aber der Eintritt des Frühjahrs diesem
vorausgegangen sein niüsste. Der viertletzte Anthesterion
(mein Datum des thukydideischen Jahranfangs) falle bei mir
wie bei Boeckh im J. 412 auf den 5. oder 6. März, aber
nach der richtigen, von mir selbst Zeitr. p. 29 gegebenen
Rechnung seien von der Wintersonnwende bis zu diesem
Jahranfang mehr als 90 Tage, also eine weit über den
6. März hinausführende Zeit vergangen ; meine Theorie der
thukydideischen Jahresrechnung sei demnach nicht mit
Boeckhs, sondern nur mit Redlichs Fixirung von Ol. 91,4.
413/2 und 92, 1. 412/1 vereinbar. So Volquardsen, in dessen
Ausführung alles richtig ist, mit Ausnahme eines einzigen
aber wesentlichen Punktes: Thukydides spricht 8, 61 vom
Frühlingsanfang des J. 411, nicht 412, und vom Ende nicht
des neunzehnten Kriegsjahres, wie V. meint, sondern des
ünger: Zum Kalender des Thukydides. 93
zwanzigsten; von ersterem war Thuk. 8, 7 die Rede. Vol-
qnardsen hat das Ende des neunzehnten Kriegsjahres, welches
auf deu 5. oder 6. März 412 fällt (Att. Kai. p. 50), mit
dem des zwanzigsten verwechselt; dieses und der Anfang
des 21. Jahres entfiel (Att. Kai. p. 51) auf den 24. März
411, der Frühlingsanfang aber auf den 26. März 411, also,
wie ich erklärt habe, nur wenige Tage später. Mit der
falschen Prämisse fallen natürlich auch die Folgerungen,
welche daraus auf die Fixirung von Ol. 91, 4 und 92, 1
gezogen werden ^).
Die andere mir zugeschriebene und als unrichtig ange-
fochtene Behauptung : wo die Formel af^ia reo ? ql (ccQxoixhcp)
am Anfang des Jahres fehle, sei der Beginn des Frühlings
sicher erst nach dem des Kriegsjahres erfolgt, stimmt un-
gefähr mit Zeitr. p. 35 a. E. überein, wo ich (die Stelle
muss ausgeschrieben werden, weil es sich um richtige Auf-
fassung der Worte handelt) Folgendes sage : „Hat in diesen
drei Fällen das Fehlen der Formel af,ia fjQi a()xof-ievip bei
Erwähnung eines am Anfang des Kriegsjahres stattgehabten
Ereignisses seinen Grund darin , dass das Jahr schon vor
dem Eintritt des Frühliugs begonnen hatte , so'* u. s. w.
Es war aber erstens zu beachten, dass ich diesen Satz auf
gewisse Fälle eingeschränkt, gleich nachher p. 36 andere
aufgeführt habe in welchen Thukydides den Frühlingseintritt
in dem vorhergehenden Wintersemester erwähnt, und dess-
wegen nicht aus dem Fehlen jener Formel beim Sommers-
und Jahresanfang auf einen erst nach diesem erfolgten Ein-
tritt des Frühlings geschlossen werden darf; in der Allge-
meinheit, welche der Satz bei V. bekommen hat, habe ich
ihn nicht ausgesprochen. Davon abgesehen, halte ich ihn
1) Vom 25. Dezember 412 bis zum 24. März 411 sind 89 Tage ; dazu
kommen 2 (oder etwas mehr) Tage bis an (oder in) den Anfang des
Frühlings, und die Unbestimmtheit des Ausdrucks: um die Wintersonn-
wende gestattet am Anfang noch mehrere Tage hinzuzufügen.
94 Sitzung der phüos.-philol. Classe vom 9. Februar 1878.
aufrecht und wenu Volquardsen ihn bekämpft, so geschieht
es nur dadurch , dass er an die Stelle der bestimmt und
unmissverständlich ausgesprochenen Worte: „Bei Erwähnung
eines am Anfang des Kriegsjahres stattgehabten Ereignisses"
den Ausdruck: ,,am Anfang des Jahres" setzt und diesen
nun wider alles Erwarten so behandelt, als sei er gleich-
bedeutend mit dem Anfang der Jahrbeschreibung. Ein Er-
eigniss aus dem Anfang des Jahres wird immer auch am An-
fang der Jahresgeschichte stehen, aber nicht umgekehrt wird
der Anfang einer Jahrbeschreibung auch jederzeit ein solches
Ereigniss verzeichnen, aus dem einfachen Grunde, weil der
Geschichtschreiber oft aus den ersten Monaten des Kriegs-
jahres nichts Nennenswerthes zu melden hatte. Gerade von
dieser Art aber sind die zwei Beispiele, mit welchen V.
obigen Satz widerlegen will. Das eine ist Thuk. 2,71 tov
(5' htiyiyvo^evov d^eqovg ol [IsXoitovvrjOLOL v.al oi ^vj.if.iaxoi
lg (Äev Trjv y^TTixi^v ovy, eoeßaXov, loTQaxevoav (5' hcl JlXa-
raiav. Das erste Ereigniss dieses Kriegsjahres, der Zug
gegen Plataia, fiel, wie die Erklärer (vgl. Classen z. d. St.)
bemerken, in den Juni, alöo zwei Monate nach dem Anfang
des Jahres und einen Monat nach Frühlings Ende ; der viert-
letzte Anthesterion Ol. 87, 3 entspricht dem 8. April 429
(nicht dem 9. April, s. Att. Kai. p. 11 Anm. 7) und die
Grenze zwischen Frühling und Sommer bildete der Früh-
aufgang der Pleiaden vor Mitte Mai. Zu dem andern Bei-
spiel : 3, 89 Tov S' sfciyiyvof^evov d^iqovg IleXoTtoivriOLOt y,al
01 ^v^(.La%OL (A.e%()L (.liv rov loi)(.iov r^XO-ov cog ig Tt]v ^^ttiktjv
ioßalovvTEg habe ich Att. Kai. p. 19 ausdrücklich bemerkt,
dass in die Nähe dieser Jahresepoche (7. April 426, nicht
wie Volquardsen mich rechnen lässt, 12. April) kein nennens-
werthes Ereigniss fiel, und das erste nennenswerthe d. i. vom
Geschichtschreiber einer Nennung gewürdigte , der Zug an
den Isthmos, ist von mir Att. Kai. p. 16 und 49 ungefähr
in den Mai gesetzt worden : da hier ebenso wie in dem erst-
Unger: Zum Kalender des Thukydides, 95
genannten Beispiel zu tov erciyiyvoixtvov d^lqovQ nicht evd^vg
gesetzt ist, so habe ich dieses Ereigniss als ein nicht am
Anfang des Kriegsjahres stattgefundenes betrachtet. Von
meiner Seite war also , wie mir scheint , genug geschehen,
um Missverständniss zu verhüten.
Auf Grund der Schlüsse, welche die Angaben über das
Verhältniss des Frühlings zu dem kalendarischen Datum des
Ueberfalls von Plataia und der Kriegsjahrepoche an die Hand
geben, habe ich dieses Att. Kai. p. 10 fg. auf den viert-
letzten Anthesterion bestimmt, mit der Bemerkung, dass es
auch der drittletzte gewesen sein könne. Nachdem der gegen
diese Schlüsse erhobene Widerspruch sich als unbegründet
erwiesen hat, kann auch der mit diesem zusammenhängende
Vorschlag, zu Boeckhs Datum des Ueberfalls, dem letzten
Anthesterion zurückzukehren, nicht angenommen werden.
Der Einwand , dass bei meinem Ansätze Thukydides seine
Jahre nach einem bestimmten Monatsdatum berechnet und
doch dasselbe nicht genannt haben würde, trifft auch den
Ansatz Boeckhs , bei welchem Volquardsen das Datum in
den Worten IIvd-oÖMQOv ezi reGoagag f.i^vag aqxovTog ^d-7]-
vaioig Th. 2,2 vorzufinden glaubt. Dann würden wir ja den
1. Elaphebolion, nicht den letzten Anthesterion als das Datum
ansehen müssen, was gegen Th. 2, 4 relevrcovrog tov firjvog
la yiyv6(,isva riv streitet. Letzterer Ausdruck lässt von
Hause aus die Wahl zwischen mehreren Tagen (Att. Kai.
p. 10) und jener an sich ganz triftige Einwand Volquard-
sens trifft zu, welchen Schlusstag des Anthesterion mau auch
immer aufstelle: er fällt dem Geschichtswerke selbst zur
Last und es ist keine andre Erklärung für diese Versäumniss
aufzufinden als dieselbe, welche auf den auffallenden, von
Thuk. 5, 20 ff. begangenen Widerspruch über die Zeit seiner
Jahrepoche und auf so viele andere Unebenheiten anzuwenden
ist: seinem Werke fehlt nicht bloss der Schluss, sondern
die letzte Hand überhaupt, es ist nicht einheitlich redigirt.
96 Sitzung der philos.-phüol. Glasse vom 9. Februar 1878,
Eine andere Frage ist, wie man sich den so bestimmten
Ausdruck reooaQag jurjvag erklären soll, Angesichts der That-
sache, dass in Wirklichkeit mindestens ein Tag über vier
Monate gewesen ist. Da es Thukydides ein Leichtes ge-
wesen wäre, Gxeddv oder einen ähnlichen Ausdruck hinzuzu-
fügen, so muss man hierin wohl eine Eigenthümlichkeit
seines Sprachgebrauchs erkennen. Ebenso scheinbar bestimmt
spricht er an den anderen Stellen, v/o Monate in Cardinal-
zahlen angegeben sind: 2,65 UeQiKlrjg STreßlco Svo Iri] %at
fÄTJvag t^; 5,25 s^l e§ ttr^ Kai furjvag öeKa ajttoyj^vto ^.ir^
Inl Trjv exaze^cüv yrjv orgarevoaL ; 6,21 jurivcov TeooaQcov tcov
X£if.iEQivwv \ 7,87 eSlöoGav exaGToj eicl oxtw (.ir^vag kotvXtjv
vöaTog YML ovo xozvXag oItov. Niemand wird ernstlich be-
haupten, dass die hier genannten Monate keinen Tag zu
viel oder zu wenig gehabt haben und von den vier Winter-
monaten ist es gewiss, dass genauer 4\'2 oder 3V2 zu sagen
gewesen wäre ^). Wo es ihm um grössere Bestimmtheit des
Ausdrucks zu thun ist, gibt er bloss Tage an, beschränkt
aber diese Zählungs weise auf die Zehner : 2,57 rmlqag
TEGGaQaxovra jualiGTa ev t^ yfj ttJ läxTi'/.fj eyevovTO ; 4,39
XQOvog 6 GvfÄftag syeveTO eßdo^r^v-ovra '^f.ieQat xat ovo ; 7,87
TjfXEQag Ißöo^r^yiovza rivag Sir^TriS^rjGav ccS^qool; 8,44 iqGvxcc-
^ov rnxeqag oydorjytovra ; vgl. 1,60. 2,19.
Ein erquicklicheres Thema als diese nothgedrungene
Auseinandersetzung mit den an sich wohlgemeinten Ein-
wendungen eines achtbaren Gelehrten ist die Betrachtung
der Ausbeute, welche der neu erschienene Band der Inscrip-
tiones atticae liefert. Das Hauptergebniss bilden neue Auf-
schlüsse über die Einrichtung und Einführungszeit des von
2) Vom 10. November (Frühuntergang der Pleiaden) bis zur Friih-
lingsnachtgleiche am 26. März; rechnete Thukydides den Vorfrühling
{tiqos £ocq) als besondere Jahreszeit, so erstreckte sich ihm der eigent-
liche Winter bis zum 23. Februar (Att. Kai. p. 41).
Vnger'. Zum Kalender des Thukydides.
97
Meton gescliafFenen 19 jährigen Schal tcy kl us. Ich stelle im
Folgenden sämmtliche Archontenjahre der makedonischen
Zeit nach olympischer und nach moderner Datirung zu-
sammen, deren Eigenschaft als Geraein jähr von 12 oder als
Schaltjahr von 13 Monaten nunmehr urkundlich feststeht,
und vereinige sie in zv^ei metonische Cyklen. Da der erste
metonische Cyklus Ol. 87,1. 432 v. Ch. begann und 19 Jahre
umfasste, so war Ol. 110,4. 337/6 v. Ch. das erste Jahr des
sechsten und 115,3.318/7 das erste des siebenten Cyklus.
I
110,4.337 Gemeinjahr
115,3.318
II
111,1.336
4.317
III
2.335
116,1.316
iV
3.334
2.315
V
4.333 Schaltjahr
3.314 Schaltjahr
VI
112,1.332 Gemeinjahr
4.313
VII
2.331 Gemeinjahr
117,1.312
VIII
3.330 Schaltjahr
2.311
IX
4.329 Gemeinjahr
3.310 Gemeinjahr
X
113,1.328
4.309
XI
2.327
118,1.308
XII
3.326
2.307
XIII
4.325 Gemeinjahr
3.306 Gemeinjahr
XIV
114,1.324
4.305
XV
2.323 Gemeinjahr
119,1.304 Gemeinjahr
XVI
3.322 Schaltjahr
2.303 Schaltjahr
XVII
4.321
3.302 Gemeinjahr
XVIII
115,1.320 Schaltjahr
4.301
XIX
2 319
120,1.300
Aus der Zeit zwischen 403 und 337 v. Chr. sind Ur-
kunden mit Kalenderdaten , welche Aufschluss über den
Charakter einzelner Jahre geben, nicht vorhanden; umge-
kehrt gibt es zwar solche aus der Zeit nach 300, aber das
Jahresdatum lässt sich wegen Mangelhaftigkeit oder gänz-
[1878. I. Philos.-philol.-hist. Cl. 1.] 7
98 Sitzung der pMlos.-philol. Classe vom 9. Februar 1878,
liehen Fehlens des nöthigen Archontenverzeichnisses nicht
fest bestimmen. Die obenstehender Zusammenstellung zu
Grund gelegten Inschriften waren grossentheils schon früher
bekannt und Boeckh hatte aus ihnen bereits den Schluss
gezogen, dass Metons Cyklus im Jahre 330 v. Chr. zur
Einführung gekommen ist. Vorsichtiger wird man sich
dahin ausdrücken , dass der neunzehnjährige Schaltkreis
spätestens 325 v. Ch. an die Stelle des achtjährigen getreten
ist. Da 111,4.333 dreizehn Monate hatte, so müsste bei
fortdauernder Geltung der Oktaeteris anch 113,4.325 ein
Schaltjahr gewesen sein ; es war aber ein Gemeinjahr. Ein
solches ist auch 118,3.306, während die oktaeterisch ent-
sprechenden 114,3.322 und 112,3.330 den Schaltmonat ge-
habt haben, und 115,1.320 hatte dreizehn, aber das zweimal
acht Jahre spätere 119,1.304 nur zwölf Monate. Die Okta-
eteris hat also zu dieser Zeit in Athen nicht mehr bestanden
und dass die neunzehnjährige Schaltordnung an ihre Stelle
getreten ist, bestätigt sich an der Gleichartigkeit sämmtlicher
um 19 Stellen auseinander liegender Jahre, deren Charakter
festgestellt ist: wie 333/2 so ist 314/3, wie 322/1 so 303/2
Schaltjahr ; als Gemeinjahre stehen einander gegenüber 329/8
und 310/9; 325/4 und 306/5; endlich 323/2 und 304/3.
Als wesentlich neues Ergebniss ist zwar nur eines
zu verzeichnen, es darf aber als höchst wichtig angesehen
werden. In dem von Emil Müller aufgestellten Entwurf des
metonischen Cjklus, welchen ich als den neuesten und besten
der vorhandenen der Vergleichung mit der Oktaeteris zu
Grund gelegt habe (Att. Kai. p. 5 ff.), wird Jahr XIII als
Schaltjahr und XIV als Gemeinjahr behandelt; die epigra-
phischen Erhebungen der jüngsten Zeit lehren aber^ dass
das umgekehrte Verhältniss stattgefunden hat^): Ol. 113,4
3) Auch Aug. Mommsens Entwurf und der von Ideler und Boeckh
angenommene DodweH'sche behandeln Jahr XIII und XIV nicht anders
Unger: Zum Kalender des Thukydides. 99
325/4 V. Ch. war Gemeinjahr (Inscr. att. II, 1.82 Nr. 179),
ebenso Ol. 118,3. 306/5 v. Ch. (Inscr. att. II, 1. 104 sq.
Nr. 247 und 246). Aus diesem überraschenden Befund ist
eine Reihe von Folgerungen zu ziehen.
Zunächst wird der Satz hinfällig, welchen E. Müller
mit aller Energie und mit Gründen verfochten hat , welche
schlagender Natur zu sein schienen: dass Metons attisches
Jahr nie vor der Sonnwende begonnen habe. Wenn, wie
angenommen werden muss, Jahr XIII des ersten Cyklus mit
dem 4. Juli (oder einem der zwei umgebenden Julitage)
420 V. Chr. begonnen hat, so entfällt, da ihm nunmehr
bloss 354, nicht 384 Tage zukommen, der Anfang von XIY
auf den 23. Juni (bei Müller auf 23. Juli), also 5 Tage
vor der Sonnwende. Wie Müllers Argumenten zu be-
gegnen und wie der ganze Cyklus zu gestalten ist, kann
hier nicht auseinandergesetzt werden; vorläufig handelt es
sich nur um die Ergebnisse, welche mit der Frage nach dem
Kalender des Thukydides zusammenhängen.
Boeckhs Annahme, dass die achtjährige Schaltordnung
mindestens bis zum letzten von Thukydides behandelten
Jahre 92,2.411 in Athen bestanden habe, wurde gegen E.
Müller, nach welchem sie kurz vorher ausser Kraft gesetzt
worden wäre, im Att. Kai. p. 30 ff. bestätigt. Jetzt lässt
sich zeigen, dass die Oktaeteris noch mindestens dreissig
Jahre länger gegolten hat. Die meisten Finsternissdata
griechischer Astronomen im Almagest des PtolemaioS" sind
auf die 76jährige Periode des Kallippos gestellt, welche
aus Metons 19 jährigem Cyklus hervorgegangen war und
mit Ol. 112,3.330 anfieng ; nur die drei ältesten, aus Ol.
99,2.383 und 99,3.382 genommenen Data werden, was ihr
als Scaliger-MüUer und wenn der von Petau-Biot aufgestellte das Rich-
tige trifft, so ist desswegen kein Gewicht darauf zu legen, weil fast
alle andere Schaltjahre in demselben falsch gestellt sind.
7*
100 Sitzung der philos.-phüol. Classe vom 9. Februar 1878.
Jahr betrifft, ia anderer Weise bezeichnet und zwar nicht,
wie man nun erwarten sollte, als Jahr XII und XIIT des
dritten, Ol. 96,3.394 beginnenden metonischen Cyklus son-
dern nach den treffenden attischen Archonten. Schon dies
konnte auf die Yermuthung führen, dass zur Zeit der Beob-
achtung der neunzehnjährige Schaltkreis Metons noch nicht
eingeführt war. Dies wird jetzt dadurch bestätigt , dass
Ol. 99,3.382 bei Meton ein Gemeinjahr gewesen ist, während in
Wirklichkeit, wie aus den Daten des Almagest bekannt ist,
dasselbe vielmehr zu den Schaltjahren gehört hat. Die
Oktaeteris ist demnach zwischen 381 und 325 v. Chr. ab-
geschafft worden.
In der Zeit des archidamischen Krieges war die ein-
malige Ausmerzung eines regelmässigen Schaltmonats im
attischen Kalenderwesen ein dringendes Bedürfniss geworden;
während Redlichs Entwurf der Oktaeteris darauf keine Rück-
sicht nimmt, hat Boeckh die Vornahme der AusmerzuDg
gegen das Ende jenes Krieges wahrscheinlich gemacht und
im Att. Kai. p. 33 ff. ist sie nachgewiesen und zugleich
gezeigt worden, dass die Reihenfolge der Gemein- und
Schaltjahre, welche Boeckh unverändert beibehält, jetzt eine
andere geworden ist, als sie vor der Correction gewesen
war. Dies wird nunmehr durch den so eben nachgewiesenen
Umstand, dass OL 99,2.383 Gemeinjahr und 99,3.382 Schalt-
jahr in der Oktaeteris gewesen sind, in willkommener Weise
bestätigt : die um vier Oktaeteriden entfernten Jahre 91,2.415
und 91,3.414 haben in meinem Entwurf denselben Charakter
wie jene, während bei Boeckh und Redlich keines von beiden
dreizehn Monate hält.
Noch wichtiger ist die besprochene Berichtigung des
neunzehnjährigen Schaltkreises für die Zeiten, in welchen
derselbe amtliche Geltung gehabt hat ; sie bietet einen sicheren
Anhalt zur Jahrbestimmung der Archonten aus der Zeit von
300 V. Ch. an, für welche uns kein zusammenhängendes Yer-
ünger: Zum Kalender des Thukydides. 101
zeichniss derselben mehr zu Gebot steht, und es Hesse sich
z. B. zeigen, dass für 293—284 v. Ch. fast alle Archonten
anders zu stellen sind als bisher geschehen ist. Dies nachzu-
weisen soll bei einer anderen Gelegenheit versucht werden.
Historische Classe.
Sitzung vom 5. Januar 1878.
Herr v. Döllinger hielt einen Vortrag:
„Ueber die Gefangennehmung und den
Tod Bonifacius' YHI".
Sitzung vom 9. Februar 1878.
Herr v. Löher hielt einen Vortrag:
„lieber die Kämpfe Kaiser Friedrich's II.
auf Cjpern".
Derselbe wird in den „Abhandlungen" veröffentlicht
werden.
102 Einsendungen von Druckschriften.
Yerzeichiiiss der eingelaufenen Büchergeselienke.
Vom Verein für Geschichte der Deutschen in Böhmen in Prag :
a) Mittheilungen. Jahrgang XVI. Nr. 1. 2. 1877. 8".
b) Der Ackermann aus Böhmen. Herausgegeben von Job.
Kniescheck. 1877. 8^
Vom historischen Verein von Oherpfalz in Begensburg :
Verhandlungen. Bd. 32. Stadtamhof 1877. 8®.
Von der Gtesellschaft für Pommersche Geschichte in Stettin:
35. Jahresbericht, vorgetragen am 13. Mai 1868. 1869. 8^.
Vom 7c. statistisch-topographischen Bureau in Stuttgart:
a) Württembergische Jahrbücher für Statistik und Landes-
kunde. Jahrg. 1877. 1877. 8 '^
b) Die Alterthümer in Württemberg von E.V. Paulus. 1877. 8'^
Von der archäologischen Gesellschaft in MosJcau:
Drewnosti Trudy (Archäolog. Arbeiten) Tom. 7. 1877. 4^.
Von der B. Äceademia dei Lincei in Born:
Atti. Anno 275. 1877 — 78. Transunti Vol. II. 1878. 4^.
Vom Comite Boyal d'histoire nationale in Turin:
Historise patrise monumenta. Tom. XVII. Codex diplomaticus.
Ecclesiensis, Aug. Taur. 1878. Fol.
Einsendungen von Druckschriften. 103
Von der südslavischen Akademie der Wissenschaften in Agram:
a) Rad. Knjiga 40. 1877. 8^
b) Korijeni s rijecima od njih postalijemu hrvatskom ili
srpskom jeziku napisao Gj. Daniele'. 1877- S'*.
Von der scMesischen Gesellschaft für vaterländische Cultur
in Breslau:
54. Jahresbericht f. d. J. 1876. 1877. 8^.
Von der Je. preuss. Akademie der Wissenschaßen in Berlin:
a) Corpus inscriptionum grsecarum. Vol. IV. 1877. Fol.
b) Abhandlungen aus dem Jahre 1876. 1877. 4".
c) Corpus inscriptionum latinarum. Vol. V. Pars. 2. 1877. Fol.
Von dem k. h. Hauptconservatorium der Armee in München:
Katalog über die im k. b. Haupt - Conservatorium der Armee
befindlichen gedruckten Werke. 4. Supplement. 1877. 8^.
Von der Gesellschaft für bildende Kunst und vaterländische
Alterthümer in Emden:
a) Verzeichniss der Gemälde in der Sammlung der Gesell-
schaft. 1877. 8^
b) Verzeichniss der Alterthümer in der Sammlung der Ge-
sellschaft. 1877. 8^
c) Katalog der Bibliothek der Gesellschaft. 1877. 8^
Vom akademischen Leseverein in Graz:
10. Jahresbericht f. d. J. 1877. 1877. 8^
Von der Accademia delle Scienze delVIstituto di Bologna:
Rendiconto delle Sessioni. Anno 1876 — 77. 1877. 8.
Von der Universität in Upsala:
üniversitets Avsskrift. 1876. 8^.
104 Einsendungen von Druckschriften.
Von der Boyal Society in Edinburgh:
Proceedings. Session 1870 — 71. 1871. 8^
Von der Historical Society of Pennsylvania in Philadelphia:
The Pensylvania Magazine of History and Biography. Vol. I.
1877. 8^
Von der Historisch Genootschap in Utrecht:
a) Werken. Nieuwe Serie Nr. 25. 1877. 8^
b) Eegister op de onderwerpen behandeld in de Chronijk, Be-
richten en den Codex diplomaticus. 1877. 8^.
Vom Institut national in Genf:
Bulletin. Tome XXII. 1877. 8^
Von der k. Akademie der Wissenschaften in Kopenhagen:
a) Memoires. Classe des Lettres. Vol. V. 1877. 4^.
b) Oversigt over det Kgl. Danske Videnskabernes Selskabs.
Forhandlinger 1 aaret 1877. 1877. S^.
Von der North- China Branch of the Royal Asiatic Society in
Shanghai :
Journal. New Series Nr. X u. XI. 1876—77. 8^
Vom Institut des langues orientales du Ministere des affaires
etrangeres in St. Petersburg:
CoUections scientifiques I. II. 1877. 8®.
Von der American philölogical Association in Baltimore:
Proceedings of the 9. annual Session, held in Baltimore, July
1877. Hartford 1877.
Einsendungen von Drucl:schriften. 105
Vom Herrn Friedrich von Brnrenlacli in Wien:
a) Herder als Vorgänger Darwin's. Berlin 1877. 8''.
b) Gedanken über die Teleologie in der Natur. Berlin.
1878. 8^
Vom Herrn C. J. ScMyter in Lund:
Glossarium ad Corpus juris Sueo-Gotorum antiqui. 1877- 4^.
Vom Herrn Franz Bücheier in Bonn:
a) Oskisclie Bleitafel hsg. von F. Bücheler. Frankfurt a. M.
1877. 8^
b) De cippo Abellano qusestio epistolica. 1877. 4^.
Vom Herrn Jides Oppert in Baris:
La Chronologie de la genese. 1878. S*^.
Vom Herrn Giuseppe de Leva in Padua:
a) In morte di Vittorio Emanuele II primo rö d'Italia. Venezia
1878. 8^
b) Del movimento intellettuale d'Italia ne' primi secoli del
medioevo. Venezia 1877. 4^.
Vom Herrn Franz Hoffmann in Würzhtirg :
Philosophische Schriften. Bd. 5. Erlangen 1877. 8^
Vom Herrn Ch. Schoehel in Paris:
La plus ancienne carte generale d'Amörique. 1877. 8^.
Von den Herren J. Oppert imd J. Menant in Baris:
Documents juridiques de l'Assyrie et de la Chald^e. 1877. 8®.
Sitzungsberichte
der
königi. bayer. Akademie der Wissenschaften.
Historische Classe.
Sitzung vom 9. Februar 1878.
Herr Würdinger macht Mittheilungen :
,, lieber die Topf er'schen Materialien für
die bayerische Kriegsgeschichte des
18. Jahrhunderts.
Bei dem Versuche, die in einer den Sammlungen des
historischen Vereines von Oberbayern angehörigen Hand-
schrift: „dem Tagebuche des Freireiters Franz Cura/^
eines Musterbildes dieser Gattung Krieger, in welchen allein
noch der persönliche Muth des deutschen Landsknechtes
mit dem Hange nach Abenteuern , in diesem Falle auch
mit Begeisterung für das Vaterland und den Landesfürsten
verbunden war, enthaltenen, in die Jahre 1741 — 1745 fal-
lenden Kriegsthaten, in den Rahmen der allgemeinen Kriegs-
geschichte einzufügen, traten mir in Beziehung auf die
Kriegsführung, den Zustand der Heere und die politischen
Verhältnisse eine Reihe von ungelösten Fragen entgegen,
deren theilweise Beantwortung ich aul Grund von gleich-
zeitigen, noch nicht oder nur wenig benützten Quellen
[1878. I. Philos.-philol.-hist. Gl. 2.] 9
108 Sitzung der hisior. Classe vom 9. Februar iSVB.
versuchen wollte. Ich benützte zu diesem Zwecke besonders
das im Haupt-Couservatorium der bayer. Armee befindliche
,, Journal von der kaiserlichen Campague anno
1744 vom Monat Mai an'', welches das Tagebuch des
kaiserlichen Feldmarschalls Seckendorf enthält, und
unter andern interessanten Detailnachrichten auch den Nach-
weis liefert, dass Kaiser Carl VIT. in Dachau bei seiner
Rückkehr nach Bayern das Commando der im Lande stehen-
den Franzosen, Hessen, Pfälzer neben dem seiner eigenen
einheimischen Truppen am 21. Oktober übernahm und das-
selbe bis zum 20. November führte, sowie eine im Privat-
besitze Sr. Majestät des Königs von Bayern sich befindende
Sammlung von Urkundenabschriften und Auszügen, welche
Schriftstücke aus den Jahren 1700 — 1745 umfasst, und von
einem Herrn Dr. Friedrich Töpfer gefertigt wurde. In
seiner Eigenschaft als gräflich törringischer Beamter erhielt
Töpfer von seiner Gutsherrschaft den Auftrag mit Hilfe
des reichen Familienarchives eine Geschichte der Familie
und deren Besitzungen, besonders aber eine Lebensbeschrei-
bung des bayer. Ministers und Feldmarschalls Graf Ignaz
V. Törring zu fertigen. Die Resultate seiner Forschungen
über die Besitzungen veröffentlichte Töpfer in der Form von
Monographien in den Bänden 8 und 9 des oberbayerischen
Archives für vaterländische Geschichte, während die weitere
Aufgabe die Biographie unvollendet und ungedruckt blieb,
und nur bei Gelegenheit einer Preisbewerbung bei der histori-
schen Commission der Akademie der Wissenschaften von dem
Verfasser zur Vorlage gebracht wurde. Die zur Verfassung
letzteren Werkes benützten Urkunden, die grösstentheils aus
dem törringischen, theilweise aus dem Staatsarchive in Paris
zu stammen scheinen, vereinte Töpfer theils als vollständige
Abschriften, theils als Auszüge in eilf Bänden, die von
S. M. dem Könige Maximilian IL erworben wurden. Er
fertigte aber später auch noch eine zweite Sammlung in
Würdinger : Töpfer* sehe Materialien f. d. hayr. Kriegsgeschichte etc. 109
13 Bänden, welche die erste vielfach ergänzen, so enthält
diese im Band IV die Berichte des kaiserlichen Gesandten
Emanuel v. Törring am Berliner Hofe 1741 ; Band VIII
die Correspondenz des Kaisers mit Seckendorf 1743; IX
des Kaisers mit dem Marschall Noailles 1743 ; X des Kaisers
mit Seckendorf, Törriüg 1744; XI Briefe über die Kriegs-
ereignisse 1744 bis zum Füsseuer Frieden; XII Memoire des
Marschall Belle Isle, wie auch die übrigen Bände mit
weiteren Schriftstücken bereichert sind.
Die Abschriften der Urkunden, von denen ich mehrere
mit bereits durch den Druck veröffentlichten verglich, sind
correct, und nur zu bedauern, dass bei keiner derselben
der Aufbewahrungsort des Originals angegeben ist. Das
System, nach dem Töpfer die Urkunden ordnete, nämlich
nach Persönlichkeiten, nicht nach der Zeitfolge, und auch
hier wieder manches einem andern Verfasser angehörende
Schriftstück einfügend, ist für den Benutzer der Sammlung
sehr zeitraubend. Ein sehr grosser Theil der Urkunden
war bis jetzt unbekannt, oder doch noch nicht veröflPentlicht,
und bietet die Sammlung für die Staats- und Kriegs-
geschichte Bayerns, für die Regierungsperioden der Kurfürsten
Max Emanuel und Carl Albrecht reiche Schätze dar. Aus
verschiedenen Andeutungen des Sammlers lässt sich vermuthen,
dass die wissenschaftliche Durchforschung des bisher dem
Zutritte noch nicht geöffneten gräflich törringischen Archives
eine Masse Material zu Tage fördern würde, das für die
Geschiebte Bayerns, auf dessen Geschicke mehrere Mitglieder
des Hauses Törring bedeutenden Einfluss übten, von hoher
Bedeutung wäre, indem in ihm nicht nur die Familienpapiere,
sondern auch ein grosser Theil der während der staats-
männischen Thätigkeit der Betreffenden erlaufenen Staats-
acten hinterlegt zu sein scheinen.
Bei einer oberflächlichen Durchsicht der Sammlung
erscheinen mir als für die Bearbeitung der bayrischen
9*
HO Sitzung der histor. Classe vom 9. Februar 1878.
Kriegsgescliicbte im 18. Jahrhundert besonders geeignet:
im 1. und 2. Band für die Zeit bis zur Schlacht von Höch-
städt (12. August 1704) die Correspondenzen des bayrischen
Kurfürsten Max Emanuel mit den Commandanten der fran-
zösischen Hilfstruppen, den Marschällen Bouffleur, Catinat,
Villars, Tallard, Marcin, 14 Briefe des Kurfürsten über
seinen Zug nach Tirol 1703, die sämmtlichen Dispositionen
zur üeberrumplung von Ulm. Nicht minder ergiebig ist
für die Jahre 1705—1715, den Aufenthalt in den Nieder-
landen, der Schriftenwechsel des aus dem Stammlande
vertriebenen Fürsten mit den Marschällen Bouffleur, Vendome,
Berwyk, d'Uxelles, der ebenso die Ereignisse in der Statt-
halterschaft, als am Rheine, wo der Kurfürst 1710 com-
mandirte, umfasst. Ein merkwürdiges Schriftstück ist die
Aufzeichnung Max Emauuels über eine Unterredung, die er
zu Namur am 23. Mai 1712 mit dem von Oesterreich an
ihn abgeordneten Grafen Löwenstein pflog. — Die Bände
3 11 enthalten die Regierungszeit Carl Alberts, die Vor-
bereitungen zum österreichischen Erbfolgekrieg, wie zur
Kaiserwahl, die Berichte über die Stärke der kaiserlichen
wie der französischen Hilfstruppen, dann über kriegerische
Begebenheiten in Bayern wie in Böhmen besonders für
die Jahre 1741 — 1743. Von hervorragendem Interesse
sind die Originalberichte über die Eroberung von Prag 1741,
die Begebenheiten an der Enns, und die damit zusammen-
hängende Einnahme von Linz 1742, die Kriegsereignisse
um Schärding und Braunau, die Unternehmungen des kais.
Feldmarschall Seckendorfs an der Isar und am Inn 1743.
— Die lediglich nach österreichischen Quellen gearbeitete
Darstellung dieses Krieges in verschiedenen Jahrgängen der
österreichischen militärischen Zeitschrift und Arneths: Maria
Theresias erste Regierungsjahre, lassen sich durch Benützung
der töpferischen Sammlung nach vielen Richtungen hin
ergänzen und aufklären. Vom Jahre 1744 an sind es nur
Würdinger : Töpfer'sche Materialien f. d. bayr. Kriegsgeschichte etc. 111
noch einzelne Berichte des kaiserlichen Generalquartiermeisters
Mouleon und die Briefe des Königs von Preussen, welche
erhebliches Neues bringen. Das unerquickliche Verhältniss,
das zwischen dem Reichsoberhaupte, der zugleich General-
lieutenant des Königs von Frankreich war, und als solcher
unbedingten Gehorsam verlangen zu können glaubte, und
den französischen Marschällen, deren Widerwillen gegen
Unterordnung und Zusammenwirken mit den kaiserlichen
Truppen durch besondere Instructionen aus Paris gestärkt
wurde, und die mehrern Theils dem Kriege an der Donau
abhold waren, findet in den Correspondenzen des Kaisers
mit den Marschällen reiche Illustration, nicht minder ihre
Wahrheitsliebe, wenn man die Berichte des Marschall Maille •
bois mit denen des ihm beigegebenen kaiserlichen General-
adjutanten Seysel d'Aix vergleicht. Das Wenige was gut
geplant war, ging an dieser Uneinigkeit zu Grunde. Zu
diesen Uebelständen kam noch die Beschaffenheit des kaiser-
lichen Heeres, die wir am besten aus einem Briefe kennen
lernen, den König Friedrich IL von Preussen von Anspach
aus am 17. September 1743 an den Kaiser richtete, und
in dem er den Eindruck den eine von ihm abgehaltene
Revue auf ihn machte, kund giebt: ,,Am Sollstande fehlen
„bei 8000 Mann, die gemeinen Soldaten sind gut und vom
„besten Willen beseelt, aber bei der Mehrzahl der Offiziere
,,sei die Erbärmlichkeit gross, und es ist nothwendig, dass alle
,, alten und unwissenden, sowie zum Dienste nicht geeigneten
,,aus dem Heere entfernt werden. Man müsse dem Marschall
„Seckendorf mehr freie Hand lassen, dass er statt der un-
„tauglichen, geeignete Kräfte bekäme, denn ohne die könne
„er mit der Armee unmöglich etwas Tüchtiges leisten."
Was der grosse Kriegsmeister mit kurzen Worten andeutet,
finden wir in den Berichten Seckendorfs an den Kaiser
von dem Augenblicke au, wo er von dem in militärischen
Dingen völlig unwissenden Marschall Törring das Commando
112 Sitzung der histor. Classe vom 9. Februar 1878.
übernimmt, und es genügen schon einige Stellen aus dessen
Berichten vom 28. August und 11. September 1742, um
beurtheilen zu können, wie wenig mit einer solchen Armee
zu erreichen war, zugleich aber auch, wie es ähnlich auf
Seite der Oesterreicher ausgesehen haben muss, die es nicht
wagten mit entscheidenden Schlägen ein solches Heer nieder-
zuwerfen, das schon in seiner Zusammensetzung den Keim
der Unfähigkeit in sich trug. — Die sogenannte reguläre
Armee bestand aus geworbenen Söldnern, die entstandenen
Lücken wurden durch feindliche Deserteure, ja selbst durch
zum diesseitigen Dienst gezwungene Gefangene, nur theilweise
durch einheimische, den wenig geübten Landfahnen entnom-
mene „Knechte^' ausgefüllt. Aus einem anderen Theil der
Landfahnen, einer seit dem 16. Jahrhundert bestehenden
Einrichtung, deren Hauptleate Beamte waren, die nicht
in das Feld rückten , und die in Ernstfällen nur von
Laudlieutenants , früheren Unteroffizieren , commandirt
wurden, bildete man Milizregimenter, ein dritter endlich,
und dieser ist der einzige, welcher sich in diesem Kriege
unter selbst gewählten Führern trefflich bewährte, und im
Partheigängerkriege den Feinden grossen Abbruch that,
wurde zur Vertheidigung der Pässe, Furten, sowie zum
Schutze gegen die Marodeurs verwendet Während die
regulären Söldner sich im Kampfe gegenseitig möglichst
glimpflich behandelten, war der Kampf der Landfahnen,
denen meist die räuberischen Panduren und Kroaten gegen-
überstanden, ein erbitterter, auf des österreichischen Heer-
führers Bärenklau Befehl, wurden sie nicht als Soldaten
angesehen, erhielten keinen Pardon, oder wurden, wenn
sie in Gefangenschaft fielen, dem Henker mit abgeschnittenen
Ohren und Nasen überliefert. — Die Führer dieser Armee
erwarben ihre Stellen durch Kauf und man nahm weder auf
Kenntnisse und Brauchbarkeit, noch auf Nationalität Rück-
sicht. Aus Italien, Frankreich, Polen scheint den Namen
Würdinger : Töpfer' scJie Materialien f. d. hayr. Kriegsgeschichte etc. 113
nach die Mehrzahl derselben gekommen zu sein, der bayerische
Adel ist nur sehr wenig vertreten, es mag aber diess weniger
im Mangel an patriotischem Sinne, als in dem Umstände
gelegen sein, dass schon unter Max Emanuel die höchsten
Stellen im Heere und am Hofe an Ausländer verliehen
wurden, wie denn auch unter den 20 Regimentsinhabern zur
Zeit Carl Albrechts vom bayerischen Adel nur die Törring,
Preysing und Holnstein, dagegen 9 Ausländer vertreten
waren. Ebenso schädlich wirkte die stete Bevorzung,
welche unerfahrne jange Leute aus dem höheren Adel vor
braven ausgedienten Offizieren genossen. Über dieses Con-
tingent berichtet nun der Feldmarschall: In seiner Kriegs-
kasse, in die monatlich 100,000 Gulden fliessen sollten, seien
dermalen nur 2237, den Hessen und Pfälzern allein sei er
bereits über 5000 Gulden schuldig, seine Soldaten hätten
seit einem Monat, die Offiziere seit 2 und 3 Monaten
keinen Sold erhalten. Die Hälfte des Fussvolkes sei ohne
Schuhe, die Reiter, wenn sie wirklich Pferde besässen, ent-
behren der Sättel und Montur, oft auch der Waffen; von
dem P., dem man das Geld zum Kaufe von Pistolen
und Carabinern mitgegeben, wisse er gar nicht wo er hin-
gekommen ; bei dem Proviantwesen gehe es auch nicht ohne
Unterschleife ab, man möge doch endlich den von ihm
vorgeschlagenen in Leitung des Verpfiegswesens wohl er-
fahrenen N. anstelleo. Krankheiten und Desertion, die
hauptsächlich durch den Mangel an regelmässiger Verpfleg-
ung hervorgerufen würden, hätten seine Armee so herunter-
gebracht, dass er kaum die nöthigen Posten besetzen könne.
Er habe jetzt (September 1742), nachdem er Straubing
besetzt und gegen Kelheim rücken wolle, nur 1 Bataillon
Infanterie und 3 Grenadier-6ompagnien bei sich, dagegen
an Generälen den Feldmarschall - Lieutenant Schön, die
Generale Minucci, ' Gabriely, Baron Preysing, Prinz von
Hildburghausen und Baron Zievel, den General Graf Prey-
114 Sitzung der histor. Classe vom 9. Februar 1878.
sing habe er in die Garnisonen Donau aufwärts geschickt, er
bewähre sich dort gut; den General Morawitzky, der sich
dem Kaiser zu Füssen werfen wolle, bitte er beurlauben zu
dürfen. Er brauche einen tüchtigen Reiter führer, deswegen
habe er den Saint Germain, den man überall hin verwenden
könne vorgeschlagen, auch den Gschray mit seiner Frei-
compagnie angenommen, er habe ja viele Offiziere; bei der
Cavallerie, die nie in dieser Waffe gedient hatten, und kaum
selbst reiten können, die Offiziersstellen bei Lechansky- und
Ferrari-Husaren könne man gar nicht besetzen, viele Offi-
ziere verstehen gar nicht deutsch, und wenn man die Soldaten
darüber beredet, dass sie sich nicht gut schlagen oder gar
desertiren, so reden sie sich damit aus, dass sie ihre Offiziere
gar nicht verstünden. Man möge doch den Civilbeamten
befehlen, dass sie die Aushebung aus den Landfahnen besser
betreiben, der Baron Löwenthal in Amberg thue gar nichts,
schicke nicht einmal die Pferde für die Artillerie, so dass
man die Geschütze aus Mangel an Bespannung fast stehen
lassen müsse. Er wolle Sr. Majestät auch nicht verhehlen,
dass wegen Allem dem die Subordination in manchen Regi-
mentern schlecht sei, und ganze Haufen des Landvolkes,
da sie weder Geld noch Kost, weder Kleider noch Waffen
hätten, nach Hause liefen. Ausserdem entschuldigt sich
der Feldmarschall bei Sr. Majestät, dass er diessmal deutsch
berichte, er habe keinen Secretär bei sich, der das Schreiben
in das Französische übersetzen könne, und für seine Person
wichtigeres zu thun. — So sah es im Reichsheere zu der
Zeit aus, in der der jugendliche König von Preussen mit
seinen wohlgeordneten Truppen die Siege bei Mollwitz und
Cotusitz errang, und für sich Schlesien gewann.
Um einen Einblick in das reiche in der Topf er'schen
Sammlung gebotene Material zu bieten, erlaube ich mir
den Inhalt der Bände nach ihrer Reihenfolge mit den jetzi-
gen Ueberschriften folgen zu lassen.
Würdinger : Töpfer'sche Materialien f. d. hayr. Kriegsgeschichte etc. 115
1. und 2. Band.
Gorrespondenz von und an Kurfürst Max Emanuel
1700-1714.
Einem Berichte des bayerischen Gesandten am spanischen
Hofe d. d. Madrid 8. Dezember 1700 folgen pag. 7—25
die detaillirten Instructionen zur Ueberrumplung von Ulm
(9. September 1702), pag. 27 — 35 die Correspondenzen des
Marschall duc de Bouffleurs mit Kurfürst Max Emanuel
vom 27. Januar 1701 bis 29. Mai 1702; p. 37 — 48 Briefe
des Marquis Puissegur an den Kurfürsten d. d. Brüssel
17. März bis 13. April 1702; p. 49 — 54 Berichte des
Marschall Catinat an den Kurfürsten Max Emanuel vom
28. August bis Oktober 1702, sowie die darauf erfolgenden
Briefe dieses Kurfürsten an den Marschall; p. 54 — 59
Correspondenz zvrischen dem churfürstlich geheimen Secretär
V. Reichard mit dem französischen Gesandten am bayerischen
Hofe de Ricous im September 1702 ; Briefe eines Hrn. v. Puy-
zieulx an den Kfst. September und Oktober 1702; p. 60 — 67.
General Weiquel (Vequel) an den Kfst. d. d Ulm, Januar
1703; p. 67—79 Correspondenz des Marschall Tallard mit
dem Kfst. M. Em. , beginnend im Lager zu Sontheim
7. April 1703— Augsburg 24. Juli 1704; p. 81—93 Corresp.
des Marschall Villars mit dem Kfst. M. Em. 27. Sept. bis
19. Nov. 1702; p. 93 — 135 die Briefe Max Emanuels au
Villars beginnend mit 6. Januar 1703. Sie behandeln ein-
gehend die am 10. Mai vollzogene Vereinigung der französi-
schen und bayrischen Armee bei Riedlingen, den Krieg in
Tirol (Juni und Juli), den Rückzug der Bayern aus diesem
Lande, den Aufenthalt des Kfst. M. Em. in Mittenv^ald
(13. Juli— 21. August), dessen Rückkehr nach München
(29. August); p. 137. Berichte des Commandanten von Ulm
General du Bourg 30./31. August 1703; p. 139 Max Ema-
nuel an Monasterol. 20. Oktober 1703; p. 143 Marschall
116 Sitzung der histor. Classe vom 9 Februar 1878.
Bouffleur an den König von Frankreich d. d. du Quesnoy
11. September 1709; p. 147 — 271 Fortsetzung der Corre-
spondenz des Marschall Yillars in ununterbrochener Reihe
vom 28. September 1702—19. September 1703; p. 273 bis
305 Kfst. Max Emanuel an den Marschall Graf Marcin
19. Dezember 1703 — 27. April 1704; p. 309-— 314 Berichte
des Genera] lientenant Comte de Gace vom 1. September
1702—22. April 1705, sowie 3 Schreiben des Kfst. M. Em.
an diesen General; p. 314—336. Correspondenzen des Mar-
schall Villeroy mit M. Em. 12. Mai 1705—6. Juli 1706;
p. 337 — 349 Correspondenz des Kurfürsten mit Marschall
Vendome vom 20. April 1706 — 11. Juli 1708, an sie schliesst
sich ein nicht datirter Brief des Königs von Frankreich an,
in dem sich dieser bei Vendome über die üebergriffe des
Kurfürsten in den Niederlanden beklagt, worauf ergänzende
Briefe Vendomes für 1706—1708 folgen; p. 349—371,
eine ununterbrochene Reihe von Berichten des Marschalls
Berwick über die Kriegsbegebenheiten in den Niederlaudeu
vom 1. Mai 1708— Juli 1712, p. 371—385 Briefe des Kfst.
M. Em. an diesen Marschall (24. Juli — 1. September 1708
v^on Langenkandel aus datirt) bis zum 10. September 1710
reichend; p. 385-391 Berichte des Marschall Duc de Har-
court vom Juli bis 13. September 1711; p. 391 — 395 Ant-
worten des Kurfürsten ; p. 395 — 403 Correspondenz des
Marschall d'Uxelles vom 15. März— 14. Juni 1712; 403 bis
418 Berichte des Glt. comte de Bourg d. d. Lauterburg
5.-20. Juli 1708, d. d. Weissenburg 16.— 28. September
mit Entgegnungen des Kfst. M. Em.; p. 419—425 Auf-
schreibungen des Kfst. M. Emanuel über eine Unterredung,
die er mit dem Grafen von Löwenstein am 23. Mai 1712
zu Namur hatte. ^) p. 425 zwei Briefe des Königs von
Spanien aus dem Jahre 1707; p. 427—483 Schreiben des
1) Anmkg. 1. Im Anhange veröffentlicht.
Würdinger : Töpfer' sehe Materialien f. d. bayr. Kriegsgeschichte etc. 117
Kurfürsten an den König von Spanien vom 8. Januar 1707
bis 27. Oktober 1709; p. 485 --496 Correspondenz des Kur-
fürsten mit dem König von Spanien vom Januar 1710 bis
25. Januar 1714; p. 497—503 enthalten endlich Schrift-
stücke verschiedener Verfasser für die Jahre 1714 und 1715,
besonders Correspondenzen des General du Bonrg mit Mal-
knecht, dem bayr. Marschall Arco, dem Kanzler Voisin;
2 Briefe des Prinzen Eugen ; einen des Kaisers an den Kur-
fürsten von der Pfalz vregen verzögerter Räumung der
Oberpfalz.
3. Band.
Eigenhändige Briefe des Kurfürsten Carl Albrecht von
Bayern an den Grafen Ignatz von Toerring 1737—1741.
Sie enthalten in 143 Stücken ausser den offiziellen
Berichten des Grafen, der vom Jahre 1737 —1739 bayerischer
Gesandter am französischen Hofe war, und den Antworten
des Kanzlers ünertl, die Privatcorrespondenz des Kurfürsten
mit dem Grafen, in der ausser den wichtigsten selbst vor
dem Kanzler geheim gehaltenen Unterhandlungen, wie denn
aus einem Briefe Carl Albrechts d. d. 13. Juli 1737 her-
vorgeht, dass ünertl den vollen Umfang der mit Frankreich
geschlossenen Verträge von 1726 und 1733 nicht kannte,
auch Ereignisse aus dem Privatleben des Fürsten behandelt
sind. Die Briefe Törrings beginnen Seite 99 mit der
ihm beim Abgange nach Paris 1737 ertheilten geheimen
Instruction, die im Bande TV durch zwei an den Cardinal
Fleury gerichtete Beglaubigungsschreiben vom 22. Mai und
8. Juli 1737 ergänzt wird. Den Schluss des Bandes bildet
ein Schreiben des Kurfürsten an den Grafen Seinsheim
d. d. München, 18. Januar 1738.
118 Sitzung der histor. Classe vom 9. Februar 187 8.
4. und 5. Band.
Gorrespondenz des Kurfürsten Carl Älhrecht von Bayern
{Kaiser Carl VII.) mit 1) dem König Ludwig XV. von
Frankreich, 2) dem Cardinal Fleury 1726— 1742.
Nach fünf conventionellen Briefen des Königs von
Frankreich 1726 1729, folgen von Seite 3 — 51 nach Jahr-
gängen geordnet, mit dem 17. Jänner 1741 beginnend theils
in voller Abschrift, theils im Auszuge die zwischen Lud-
wig XV. und Carl Albrecht gewechselten Schriftstücke,
denen sich nach dem Tode des Kaisers, bis zum Frieden
von Füssen auch noch einige des Kurfürsten Max III. an-
schliessen. Auf Seite 53 beginnt der umfangreiche Schriften-
wechsel zwischen Carl Albrecht und dem Cardinal Fleury mit
einem Briefe des letzteren d. d. Marly 17. Jänner 1727, und endet
p. 462 mit einem Briefe des Genannten an Kaiser Carl VII.
d. d. Issy 25. Dezember 1742, also kurz vor dem Tode
Fleurys. Von p. 35 — 77 Briefe des Cardinais an den Kurf.
von Bayern vom 17. Jänner 1727—10. Jänner 1740; p. 77
bis 105 die des Kurfürsten an den Cardinal vom 2. Sep-
tember 1726—8. Juli 1737, welche sich dann von p. 105
bis 279 vom 29. Oktober 1740—16. Dezember 1742 fort-
setzen. P. 283 — 303 die Vorschläge Fleurys an den Kur-
fürsten d. d. Versailles 9. Juni 1737. Von p. 337—463
die Correspondenz Fleurys vom 17. Dezember 1740 — 25. De-
zember 1742. Den Schluss des Bandes bilden 3 Briefe
des bayrischen Gesandten in Paris Baron Spon aus dem
Jahre 1742, 1743 an den Grafen Törring (Siehe Band XI).
Die geheimen diplomatischen Verhandlungen und Verträge
zwischen Frankreich und Bayern werden durch diese Akten-
stücke vielfach bereichert.
Würdinger : Töpfer' sehe Materialien f. d. haijr. Kriegsgeschichte etc. 119
5a. Band.
Briefe des Marschall Belleisle an den Kurfürsten Carl
Albrecht von Bayern und den Marschall Graf Ignaz von
Törring vom Jahre 1741.
Er enthält auf 126 Seiten die vom Marschall Belleisle,
der die doppelte Eigenschaft eines französischen Gesandten
zur Kaiser wähl mit der eines designirten Commandanten
der französischen Hilfstruppen in Bayern zu verfolgen hatte,
von Prankfurt aus in dem Zeiträume vom 1. August bis
18. November 1741 an den Kurfürsten von Bayern und
dessen Marschall Törring gerichteten Briefe, Berichte über
die Unterhandlungen v^egen der Kaiserwahl, die Allianzen
mit Preussen, Sachsen und Pfalz, über die beabsichtigte
Vertheilung der österreichischen Erblande, wie nicht minder
den Feldzugsplan, der nach einem Schreiben vom 1. August
bereits in Nymphenburg festgesetzt worden war, im Allge-
meinen, sowie nach Beginn des Krieges über die Details
desselben, und verschiedene Rathschläge über die Kriegs-
operationen in Oberösterreich und Böhmen. Mit Seite 127
beginnen die Schreiben des Kurfürsten Carl Albrecht, und
des Grafen Törring an Marschall Belleisle, die den Zeitraum
vom 2. April — 17. November 1741 umfassen. Für die Ge-
schichte des Feldzuges bieten viel Material die Schreiben
des Kurfürsten vom 10. September an, wo derselbe bereits
das Obercommando in Schärding übernommen hat, bis zu
dem im Lager bei Müncheck am 17. November abgesendeten.
Ihnen folgen von Seite 201 — 211 die CojTespondenzen Tör-
rings, sowie drei Briefe des Kaisers an den an der Donau
im Jahre 1742 commandirenden Herzog von Harcourt, und
zum Schlüsse ein Schreiben des Grafen von Sachsen an
Törring d. d. Nieder- Altaich 18. August 1742 mit einem
Vorschlag für die Dislocation der kaiserlichen Truppen,
und die Art, wie man sich der Stadt München und der
Positionen an der Isar wieder bemächtigen könne.
120 Sitzung der histor, Ctasse vom 9, Februar 187 S.
6. Band.
Correspondenz des Marschall Duc de Broglie, Armeebefehls-
haber der französischen Hilfsarmee mit dem Kaiser Carl VII.
und den kaiserlichen Feldmarschällen Törriny und Sechendorf
1742-1743,
Die Berichte Broglies siud vom 7. Januar 15. Oktober
1742 aus Böhmen, vom 17 November an, zu welcher Zeit
der Marschall in eine Stellung an der Isar vorrückte, aus
Bayern datirt, und enden mit dem Schreiben d. d. Donau-
wörth 24. Juni 1743, in dem er dem in Augsburg sich
aufhaltenden Kaiser bekannt giebt, er wei de, ohne auf dessen
Einspruch Rücksicht zu nehmen Bayern mit den französi-
schen Hilfsvölkern verlassen. Die übrigen Schriftstücke des
1. Abschnittes (p. 1 — 143) enthalten lediglich Correspondenzen
mit dem Kaiser, den Marschällen Törring und Seckendorf,
besonders Bitten letzterer um Unterstützung bei Operationen,
Verabredungen zu gemeinschaftlichen Unternehmungen, die
aber ßroglie fast immer zu verzögern und zu vereiteln sucht.
P. 143 — 151 folgen verschiedene Beilagen zu diesen Schrift-
stücken. Mit Seite 151, beginnen die Briefe des Kaisers und
seiner beiden Marschälle an Broglie, sie umfassen den Zeit-
raum vom 3. Jänner 1742 — 25. Juni 1743. Besonders,
kennzeichnend für das zwischen dem Kaiser und dem fran-
zösischen Marschall bestehende Verhältniss sind die Schreiben
des ersteren vom 30. Mai — 24. Juni (p 204-217) und die
Instruction für den General Piosasque, den der Kaiser zu
Broglie sandte (p. 206). Den Schluss des Bandes (p. 222
bis 233) bilden Briefe eines französischen höheren Offiziers,
die dieser vom 2. Mai — 1. Juni von Straubing, von da bis
25. Juni von Ingolstadt aus an verschiedene Persönlichkeiten
richtete. — Auser vielen Ausweisen über die Stärke der
kaiserlichen und französischen Truppen, Dislocationen der-
selben liegen dem Bande auch zwei Pläne über die Aufstel-
lung der Batterien bei der Belagerung von Eger bei.
Würdin ger : Töpfer^ sehe Materialien f. d. hayr. Kriegsgeschichte etc. 121
7. Band.
Varia über die Feldzüge 1741 — 1742.
Seite 1 — 10 Schreiben des Marschall Belleisle an den
Kurfürsten Carl Albrecht d. d. Versailles 25. Juli 1741,
in welchem die näheren Abmachungen über die Stärke,
Verpflegung und die Zeit des Eintreffens der französischen
Hilfstruppen in Bayern, die von den übrigen AUiirten zu stel-
lenden Truppen, sowie über einen allgemeinen Kriegsplan
getroffen werden. Diesen folgt p. 11 — 25 die briefliche
Darstellung eines höheren bayerischen Offiziers der Kriegs-
ereignisse des Herbstes 1741 in Oberösterreich und Böhmen
einschliesslich der Eroberung von Prag, p. 25 — 35 Memoire
der an der Enns commandirenden Generale Segur und
Minucci an den König von Böhmen d. d. Linz 19. Dezem-
ber, wie sie sich beim Eintreten eines Angriffes zu verhalten
hätten, mit den darauf erfolgten Resolutionen; eine Instruc-
tion Carl Albrechts vom Januar 1742 für die nunmehr in
Linz befindlichen beiden genannten Generale; ein eingehen-
der Bericht eines bayrischen Offiziers über die Vorfälle au
der Enns vom 30. Dezember 1741 bis zur Capitulatiou von
Linz; p. 37 und 38 deutsche Auszüge aus den im XI. Band
enthaltenen Briefen des General Grafen Piosasque aus Böh-
men (3.— 17. Dezember 1741); 39—43 Berichte des fran-
zösischen General-Quatiermeisters von Mortaigne an den
Kurfürsten von Bayern vom 2. November 1741 — I.Januar
1742, sie sind bezeichnend für die zwischen den Marschällen
Belleisle und Broglie herrschende Gereiztheit; 43 — 47 das
Tagebuch des Führer der bayerischen Avantgarde, Oberst
Girard des kurf. Garderegiments vom 28. Oktober— 22. No-
vember 1741. An die nun, p. 57, folgenden Standesaus-
weise über die Stärke der 3 bayrischen Corps bei Schärding,
Rosenheim und in der Oberpfalz (1. September 1741), der
französischen Hilfstruppen, über Geschütze und Munition,
schliessen sich Meldungen Törrings an den Kurfürsten vom
122 Sitzung der histor. Classe vom 9. Februar 1878.
Oktober — Dezember 1741, (^. 68) ein Gutachten des P.
Elegius aus Tabor über das Testament Ferdinand I., mehrere
Memoires, Operationspläne, worunter ein Entwurf des General
Mortaigne vom 14. April 1741 an: Seite 93—95 enthalten
einen Bericht über eine mit dem König von Preussen am
19. und 20. Januar 1742 zu Dresden abgehaltene Conferenz.
8. und 9. Band.
Correspondenz die Kriegshegehenheiten 1742 — 1745.
Auf die Kunde von den Unterhandlungen, welche des
Friedens wegen zwischen Preussen und Oesterreich im
Juni 1742 statt hatten, sendete der Kaiser den Feldmar-
schall Heinrieh von Seckendorf zuerst nach Dresden, um
sich den ferneren Beistand der Sachsen zu sichern, dann
später nach Berlin. Die Berichte des Marschalls über die
Unterhandlungen mit Sachsen, die zu Meuselwitz und Dres-
den vom 11. — 30. Juni geführt wurden, sowie die darauf
bezüglichen Erlasse des Kaisers bilden von Seite 5 — 15 den
Eingang des Bandes. Ihnen folgen (p. 21 — 28) die Instruc-
tion des Marschalls für sein Verhalten am Berliner Hofe
(10. Juli) ergänzt durch weitere Weisungen bis zum 4. August
und (p. 28—35) der Bericht des Marschalls über den Ver-
lauf seiner Sendung vom 31. Juli. Mit Seite 37 beginnen
die Berichte des Feldmarschalls aus dem Lager von Platt-
ling (24. August), und erstrecken sich auf den Rückzug
nach Regensburg, die Trennung von der französischen Armee,
die im September nach Böhmen zog, dann die selbstständigen
Operationen Seckendorfs an der Isar und am Inn, die Ein-
nahme von Landshut (p. 104), Burghausen (p. 127), Braunau
(p 130) bis zu dem im Dezember vollzogenen Einrücken
in die Winterquartiere. Sie sind sämmtlich an den Kaiser
gerichtet. Ihnen folgen von Seite 155 — 202 Seckendorfs
Correspondenzen mit dem Grafen Törring und Anderen,
Würdinger: Töpfer^ sehe Materialien f. d. bat/r. Kriegsgeschichte etc. 123
beginnend mit einem Standesausweis, aus dem zu entnehmen,
dass im August 1742 die kaiserliche Armee statt der Soll-
stärke von 40,550, nur eine solche von 13,830 Mann besass,
zu denen noch 7250 pfälzische und hessische Mannschaften
kamen, (197 — 202) Befehle des Kaisers und Törrings für
Seckendorf. Beilagen zu obiger Correspondeuz , und der
Schriftwechsel zwischen Seckendorf und Broglie vom 23. No-
vember— 16. Dezember finden sich von p. 202 — 230. Die
Correspondenzen des französischen General es Maillebois mit
dem Kaiser, Feldmarschall Seckendorf, Blondel, dem Grafen
von Sachsen und Anderen umfassen (p. 233—287) die Zeit
vom 4. August 1742 — März 1743. Sie sind meist nur in
Auszügen gegeben, und stimmen nicht immer mit denen des
kaiserlichen Generaladjutauten Seyssel d'Aix, welcher dem
französischen Marschall beigegeben war überein. P. 314
beginnt ein Tagebuch des Commandanten von Braunau
General Minucci über die Kriegsereignisse, Befreiung und den
Entsatz der ihm untergebenen Festung vom 27. November
bis 16. Dezember 1742. Den Schluss des Bandes Seite 321
bis 352 bilden die Berichte des kaiserlichen Generalquartier-
meisters Mouleon an den Kaiser und den Grafen Törring
mit dem 17. September 1742 beginnend und April 1745
endend, mit Skizzen über die Befestigungen von Ingolstadt
und Straubing.
10. Band.
Correspondenz des Kurfürsten Carl Älhrecht von ayern
{Kaiser Carl VII.) mit dem König Friedrich IL t i
Preussen 1741-1745,
107 Briefe Friedrich des Grossen aus dem Zeiträume
vom 24. Januar 1741 — 14. März 1745. An Carl Albrecht
als Kurfürst sind 17, als König von Böhmen 5, als Kaiser
72 gerichtet; als weitere Adressaten erscheiuen die Feld-
[1878 I. Phüos.-philol.-hist. Cl. 2.] 10
124 Sitzung der histor. Classe vom 9. Februar 1878.
marschälle Graf Törring und Seckendorf, Marschall Belleisle,
Marschall Schmettau, der französische Gesandte am preus-
sischen Hofe Marquis Vallori, Cardinal Fleury, Comte de
Baviere, der Markgraf von Anspach, Lord Hyndfort, Baron
Wetzel, Plotho, dann zweimal der Kurfürst Maximilian HL
von Bayern. Seite 11 — 13 Brief der verwittweten Kaiserin
Elisabeth an den Prinzen Ferdinand von Preussen und dessen
Antwort vom 11. resp. 14. September 1741 ; p. 31 Friedrichs
Feldzugsplan vom 20. Februar 1742, p. 74 Beurtheilung
des kaiserlichen Heeres unter Feldmarschall Seckendorf. —
Im directen Zusammenhange mit den vorhergehenden stehen
die nun (p. 97—193) folgenden 82 Briefe an den König
von Preussen mit dem 29. Januar 1741 beginnend, im April
1745 schliessend. 72 Stücke sind von Carl Albrecht, 4 vom
Kurfürst Maximilian IIL, die übrigen von Belleisle, dem
englischen Unterhändler Hyndfort, dem Marschall Seckendorf,
Comte de Baviere, Cardinal Fleury. — Die Correspondenz
behandelt hauptsächlich die Allianz zwischen Bayern und
Preussen , die gemeinschaftlichen Kriegsoperationen und
diplomatischen Verhandlungen. Wichtig sind mehrere Nach-
richten über den ersten schlesischen Krieg, die mit den in
Friedrichs histoire de mon temps enthaltenen Angaben in
Widerspruch stehen.
11. Band.
Correspondenz der bayrischen Gesandten Graf von la Rosee
und Baron Spon in Berlin an Feldmarschall Törring et
vice versa 1742—1744.
Der Band beginnt (p. 1 5) mit einem Schreiben des
Gouverneurs von Strassburg Marechal de Broglio d. d.
26. August 1740 an den französischen Gesandten v. Blondel
iu Frankfurt, und berichtet über einen Besuch, den König
Friedrich von Preussen im strengsten Incognito m Strassburg
Würäinger : Töpfer'' sehe Materialien f, d. hayr. Kriegsgeschichte etc. 125
gemacht hatte. Ihm folgen (5 — 18) die Correspoudenz des
Ministers Graf Törring mit dem kaiserlichen Gesandten
am preussischen Hofe Chevalier de la Rosee vom 30. Okto-
ber 1742 — 13. Juli 1743, au welchem Tage dem la Rosee
die Ernennung seines Nachfolgers Baron de Spon bekannt
gegeben wird. Seite 19—39, die Gesandtschaftsberichte
La Rosees an Törring. Seite 41—53 Correspoudenz Törrings
mit dem neuernannteu Gesandten Freiherrn von Spon vom
9. September 1743 -17. Februar 1745, Seite 55 — 102 Ge-
saudtschaftsberichte Spons, und zwar zuerst von seinem
Aufenthalte in Paris d. d. 9., 11. März, 8. April, dann
vom 2. September 1743 — 16. März 1745 aus Berlin. Ausser
zuverlässigen Aufschlüssen über die politische Lage enthalten
die Berichte manche Einzelnheiten über die Person Fried-
rich IL, seine Minister, seinen Hof, und unter andern auch,
über Voltaires Aufenthalt in Potsdam. — Den weitern
Inhalt bilden die Briefe des Grafen Carl Piosasque (p. 103
bis 111), der am 17. September 1738 den Vertrag wegen
eines bayrischen Hilfscorps zum Türkenkriege mit dem
Wienerhofe abschloss, und während des Feldzuges als Ma-
rechal de Camp die bayrische Cavallerie commandirte. Sie
beginnen in Wien mit 22. September 1738, bringen d. d.
Semlin 30. Juli 1739 einen sehr interessanten Bericht über
das unglückliche Gefecht bei Krotzka (22. Juli) und enden
mit seiner Rückkehr nach Bayern 25. Juli 1740. Ueber
seine weitere kriegerische Thätigkeit geben seine aus Böhmen
3. bis Ende Dezember 1741 an Törring erstatteten Berichte
Aufschluss. Er starb im Jänner 1742 im Lager bei Pisek.
Aufschlüsse über die militärischen Verhältnisse zur Zeit des
unglücklichen Treffens bei Braunau bieten die Berichte des
Commandanten von Braunau, des Capitain der Leibgarde
Graf Joseph Piosasque de Non vom 8. — 15. Januar 1742
(p. 121 — 127). Den Schluss (p. 127 — 135) bilden zwei
ausführliche Relationen, eine officielle und die eines fran-
10*
126 Sitzung der histor. Classe vom 9. Februar 187 S,
zösischen Offiziers über die Erstürmung der Stadt Prag
(26. November 1741).
Beilage aus Band I.
Idee^) sur le discours que m'a tenu le Comte de Leuenstein
ä Namur le 23. de May 1712^
qui etoit en substance: que la cour de Vienne etoit fort
portee pour le mariage entre mon fils le P*''' Electoral et
TArchiducbesse, fille ainee de l'Empereur Joseph; que c'etoit
en cette vue, qu'on avoit tant de soins de son education,
et qu'on le faisoit servir sur le meme pied, que Tetoient
les Archiducs d' Antriebe et les fils des Empereurs; que pour-
tant l'intention de la cour de Vienne etoit, que je ne rentre
Jamals en Baviere et que mes dits etats soient restitues au
P''^ Electoral, c'est ä dire la Haute et la Basse Baviere, sans
le Haut-Palatinat, qui resteroit avec l'Arcbidapiferat et ses
prerogatives et rangs ä l'Electeur Palatin. Sur cette Idee
le C. de Leuenstein a propose, comme une pensee ä lui-
meme, pour expedient de me donner a la paix les Pais-bas
ä vie, sur le pied, que Varchiduc s'accorderoit la dessus avec
les Etats Generaux de Hollande, si je cedois la Baviere au
P°^ Electoral, comme il est dit plus baut, m'assurant, que la
succession de Tarchiduc, s'il n'a pas d'enfants, venoit aux
deux arcbiduchesses, fiUes de l'Empereur Josepb, et que les
Facta Familiae de la maison d'Autricbe portoient, que le
dernier arcbiduc, se trouvant sans succession, pouvoit dis-
poser en faveur des fiUes de sa maison, selon qu'il le trouve
convenir.
En cette supposition ma pensee est, que :
1° L'archiduc declare la fille ainee de l'Empereur Josepb
son heritiere universelle de tous ses royaumes et etats.
2^ Qu'elle soit mariee ä mon fils aine, le Prince Electoral,
') Eigenhändiger Aufsatz des Kurfürsten Max Emanuel.
Würdinger : Töpfer' sehe Materialien f. d. hayr. Kriegsgeschichte etc. 127
par consequent lui et ses desceudants appeles ä cette
succession de la maison d'Autriche.
3^ Poiir mieux consolider et etablir cette succession, la
seconde fille de TEnipereur Joseph, epouse mon second
fils le Duc Philippe, lequel avec sa succession succe-
deroit au P*"^ Electoral en cas, que celui-ci n'eut pas
d'enfants.
4^ En faveur de ces mariages je nie contente de renoncer
la Baviere au P''^ Royal, qui en sera mis en possession
avec la dignite d'Electeur et la restitution de tout ce,
que j'ai possede avant la guerre, hormis le Haut-Pala-
tinat et l'Archidapiferat avec son rang et prerogatives,
qui rester oit ä TElecteur Palatin regnant aujourd'hui
et ä ses descendants en ligne directe: au defaut de
quoi le dit Haut-Palatinat et l'Archidapiferat retour-
neront au P""^ Electoral, c'est ä dire ä celui, qui sera
Electeur regnant de Baviere.
5^ J'aurai pour moi les Pays-bas en tout son entier et
en piain souverainete selon, qu'on en conviendra au
congres d' Utrecht tant pour les frontieres que la garde
des places et garnisons.
6^ La souverainete et possession des Pays-bas sera pour
ma vie duraute, apres quoi, si l'archiduc a succession,
les Pays-bas seront ä la maison d'Autriche, excepte
les deux places et provinces de Luxerabourg et Namur,
lesquelles resteront au P*''' Electoral ou ä l'Electeur regnant
en Baviere jusques ä ce que le haut Palatinat lui soit
restitue, et qu'il soit entierement dedommage des pertes
que cette guerre a cause ä la maison de Baviere dans
les etats de Baviere. II sera pourtant au choix de
l'Electeur regnant, quand le cas arrivera de la mort de
l'Electeur Palatin d'aujourd'hui sans succession, comme
il est explique ä l'article 4""^, de ravoir le Haut-Pala-
tinat ou de garder les deux provinces et places de
128 Sitzung der histor. Gasse vom 9, Februar 1878.
Luxembourg et de Namur, bien entendu, qiie de l'une
ou autre fa90ii l'archidapiferat et le rang de premier
Electeur secularier reviendra toujours ä l'Electeur
reguaiit en Baviere apres la mort de l'Electeur Palatin
Sans succession.
7^ Le Roi d'Espagne me cedera le royaume de Sicile en
pleine propriete et droit, pour moi et mes descendants,
ä Texclusion pourtant de mon premier fils, qui sera
Electeur de Baviere; ainsi mon heritier dans le dit
Royaume de Sicile sera mon second fils , le duc
Philippe, qui aura epouse l'arcliiduchesse d'Autriche
deuxieme fille de l'Empereur Joseph.
8® Que l'Archiduc employe son credit, offices et assistance,
pour qu'un de mes fils soit elu Coadjuteur de mon
frere l'Electeur de Cologne, tant ä l'archeveche de
Cologne qu'ä l'eveche de Lieche,
9^ Que l'Archiduc ne s'oppose point, si le Grand-Duc
de Toscane vouloit appeller un de mes fils ä sa suc-
cession, et donne plutot les maius de son cote pour
un pareil etablissement d'un de mes fils.
10^ Que l'Electeur Palatin, en faveur de la cession, que
lui fait ma maison du Haut-Palatinat et Archidapi-
ferat, s'oblige d'appuyer de tout son pouvoir la negotia-
tion pour l'etablissement d'un de mes fils ä la succession
du Grand-Duc de Toscane, et que Madame l'Electrice
Palatine n'y joigne pas seulement ses bons offices,
mais cede lä dessus ses pretentions, si eile en avoit,
ä mon fils destine ä cette succession, puisque sur cela
eile n'a pas d'enfauts ä y placer.
WünUnger : Töpfer' sehe Materialien f. d. hayr. Kriegsgeschichte etc. 129
Baisons, pour lesquelles les allies äevroient entrer äans Videe
que je propose^ particulierement la maison d'Autriche et la
Bepuhlique de HoUande, qui sont ceux, qui sopposent le plus
ä mes droits et interets.
La maison d'Autriche veut soutenir le ban de l'Empire
coiitre moi et par lä m'oter l'Electorat et empecher mon
retour dans mes etats de Baviere pour toute ma vie, et pour
satisfaire ä l'article de la capitulatioii, faite ä Fraucfort, ä
l'election de l'arcliiduc, son dessin est, de mettre mon fils,
le P*'^ Electoral, en possession de mes dits etats de Baviere.
Par les propositions, que je projette, je donne pleine
satisfaction au dessin de FArchiduc, et celle, que je demande
pour moi est sans aucun prejudice ä la maison d'Autriche,
de plus fondee sur une equite entiere. Je me contente des
Pays-bas pour ma vie durante, quoique la cession du Roi
d'Espagne me les donne en plein droit et ä mes descen-
dauts. Si FArchiduc a succession, les Pays-bas reviennent
ä la maison d'Autriche, laquelle sans cette succession est
eteinte. Si non, ils restent de meme ä son heritiere pre-
somptive, qui est l'archiduchesse, sa niece. Ainsi de quel
cote qu'on tourne la chose, je n'ai la jouissance des Pays-
bas que pour ma vie, et en effet tel cas, qni arrive, la
maison d'Autriche n'en est privee, que pour ce temps lä.
Si ma gloire et ma naissance exige, que j'aie une dignite
et rang dans le monde, ayant cede celui que j'avois avec
mon patrimoine, ce n'est pas ä la maison d'Autriche que
je le demande, mais au Roi d'Espagne, qui possede le
royaume de Sicile, dont je propose la cession.
Les propres convenances, que la maison d'Autriche
trouve en cette idee, sont considerables, et avant tout le
bien et l'avantage de notre religion, etant certain, que si
l'Archiduc n'etablit pas la succession au defaut de la sienne
propre, que la religion est en grand danger tant dans
l'Empire que dans les Pays-bas. La maison d'Autriche ei
130 Sitzung der histor. Classe vom 9. Februar 1878.
parii toujours si zelee pour la religion, qu'il n'est pas croyable,
que rArchicluc voulut l'exposer aux evenements dangereiix
dont eile est menacee au susdit cas.
Je sais que l'Arcliiduc, Tlmperatrice, sa mere, aussi
bien que ses sujets, inclinent pour le mariage de mon fils
avec TArchiducliesse, connoissant ses qualites personnelles,
desquelles selon que j'en suis iDforme, ils sont tres satisfaits.
II est eleve entre leurs mains, imbu de leurs maximes et des
sentiraents, qu'ils lui ont voulu inspirer.
II n'en est pas de meme des autres Princes, qui sont
en age et en passe d'epouser TArchiduchesse. Le P''^ Elec-
toral de Saxe, fils du Roi Auguste de Pologne, est eleve
Lutherien et Test encore sans qu'il y aie la moiudre appa-
reuce, qu'il cbange la religion, ä quoi sa mere et les Etats
de Saxe s'opposent fortement; le dit Prince est dejä d'un
age oü l'heresie a pris racine, ainsi que je ne crois pas,
qu'il puisse etre prefere ä mon fils.
Le prince de Piemont est appelle ä la succession d'Es-
pagne et ce ne seroit pas eviter une nouvelle guerre par
ce mariage si l'Archiduc venoit ä mourir sans enfants, puis-
que Ton viendroit dans le cas que les pays hereditaires de
la maison d'Autriche et la couronne Imperiale pouvoient
tomber sur la meme tete avec la monarchie d'Espagne.
L'education du Prince de Piemont est bien differente
pour la maison d'Autriche ä celle que l'Archiduc fait donner
ä mon fils, les coutumes et manieres sont aussi fort opposees
ä Celles qu'ont toujours eues les Princes d'Autriche et de
Baviere. Par toutes ces raisons et beaucoup d'autres, que
je ne dit pas ici, je laisse ä juger, lequel de ces trois Princes
convient le mieux ä la maison d'Autriche.
Je joins ä cela encore un motif, qui doit porter l'Archi-
duc au double mariage avec mes fils, qui est celui de bien
placer et etablier les deux Archiduchesses, ses nieces, ce qui
est aussi difficile ä trouver en ce temps-ci, et le pis-aller
Würdmger : Töpfer^ sehe Materialien f. d. hayr. Kriegsgeschichte etc 131
de ces denx Princesses par les dits mariage est, que ruiie
sera Electrice de Ba\iere et l'autre Reine de Sicile.
Quant ä la Republique de Hollaude, les priucipales
raisons, qu'elle allegne, ponr s'opposer que la cession des
Pays-bas faite en ma faveur aie son effet, sont : Que je n'ai
pas la puissance de les soutenir et que quelque precaution
que la dite republique puisse prendre, pour la purete de sa
barriere et frontiere, eile ne sauroit empecber, que moi ou
mes successeurs ne prenions un parti contraire ä son interet,
quand l'occasion se presenteroit favorable, laquelle pendant
mon regne j'embrasseroit avec plaisir, quand je pouvrois
m'unir avec la France, persuades comme ils sont de l'attache-
ment, que j'ai pour eile.
Ils considerent la chose tout autrement du cote de
r Au triebe, laquelle ils regardent toujours opposee aux inte-
rets et ä l'agrandissement de la France et en etat par sa
propre puissance de soutenir les Pays-bas et d'entrainer par
Tavantage, que lui donne la couronne Imperiale, tout l'Em-
pire en sa faveur en une guerre, quand meme eile ne seroit
que pour ses interets particuliers, comme on a eu l'exemple
en cette guerre- ci. Ce projet ne detruit pas seulement cette
crainte et ce raisonnement des Hollandois, mais le met aussi
ä couvert d'une guerre, qui seroit infailliblement leur perte,
si TArchiduc (ayant les Pay-bas) venoit ä mourir sans suc-
cession.
Les Pays-bas m'etant donne pour ma vie durante et la
succession reglee en faveur de la maison d' Antriebe, sui-
vant ce projet, l'Arcbiduc ne peut que les regarder et defendre
comme ses propres etats, et c'est sur ce pied la que les
Hollandois aussi bien que la maison d' Antriebe peuvent
prendre leiirs suretes avec moi. La maison d' Antriebe
consiste ä present dans la seule personne de l'Arcbiduc, qui
n'a point de succession. S'il ne la regle pas pendant sa
vie au defaut de la sienne, la guerre est infaillible et eile
132 Sitzung der histor. Classe vom 9. Februar 1878.
ne peut etre, que funeste ä la republique d'Hollande. Si
TArchiduc est le maitre des Pays-bas l'Empire se divisera,
et ne sera occupe que pour la couronne Imperiale, ainsi
la Hollande ne trouvera ni assistance ni allies de ce cote-
lä. L'Angleterre a de bonnes raisons, ponr ne s''en pas
meler, et si eile le feroit, le cas d'ä present fait voir, que
ce ne seroit pas en faveur de la dite republiqae de Hollande.
Je conclue donc, que Ton remedieroit ce par le double
mariage aux conditions proposees dans ce projet.
L'Angleterre jusqu'a present n'a rien voulu faire en
ma faveur, toachant les Pays-bas, pour le menagement,
qu'elle a eu pour TArchiduc et les Hollandois. Par ce
projet cette consideration doit cesser et je crois, que si le
cas venoit, que le Roi Tres Chretien trouvoit ä propos de
la proposer ä la Reine d'Angleterre, eile le trouveroit assez
fonde en raison, pour s'employer ä y faire entrer l'Archiduc
et les Hollandois.
Comme le Systeme de l'Empire n'est change en rien
par ce projet, on ne trouvera aucune Opposition de la part
des Electeurs, et Princes de l'Empire.
Le Pape ne peut rien souhaiter de plus solide pour le
bien de la religion et comme Prince en Italic, lui aussi
bien que les autres Etats et Princes d'Italie ne seront pas
facbes que la Sicile et la Toscane ne soient pas ä la mai-
son d' Antriebe, qai sans cela se trouve dejä si puissante en
Italic.
Sitzung vom 2. März 1878.
Herr v. Hefner-Alteneck trug vor:
„lieber den Maler, Kupferstecher und
Pormschneider Jost Amman."
Wer die Geschichte der zweiten Hälfte des 16. Jahr-
hunderts in Bezug auf Deutschland und die Schweiz studirt
und behandelt , und sich dabei nicht nur allein auf die
Thatsachen geschichtlicher Ereignisse im Frieden und Krieg,
im Geistlichen und Weltlichen , was wohl die Hauptsache
bleibt, beschränken will , sondern dem es darum zu thun
ist, auch die ausser! ichen Erscheinungen, welche mit dem
Seelenleben der Menschen in Verbindung stehen, oder viel-
mehr der Ausdruck desselben sind , kenneu zu lernen , als
z. B. : die Bildnisse geschichtlicher Personen , die Trachten
aller Stände, die kulturgeschichtlichen Einzelnheiten, die
Geschmacksrichtung in allem Bilden und Schaffen u. s. w.,
für den existirt nur ein Künstler, welcher als vollgültiger
Ausdruck seines Zeitalters durch beispiellosen Fleiss, Viel-
seitigkeit und Schärfe der Auffassung ein so umfassendes
und ausgiebiges Material geliefert hat, wie die Geschichte
kein zweites Beispiel aufweisen kann.
Jost Amman, geboren zu Zürich 1539 aus einer an-
gesehenen Bürgersfamilie daselbst stammend ; von da zog er im
134 Sitzung der histor. Classe vom 2. März 1878.
Jahre 1560 nach Nürnberg, wo er auch im März 1591 starb.
Im Todtenregister ist er eingeschrieben ,,Der Ersam Jobst
Amnion Kunstreiser, unter der Vesten, in der obern Schmidt-
gassen." Das ist Alles, war wir von seinen Lebensverhält-
nissen wissen.
Von ihm gilt im vollsten Masse, was seiner Zeit
unser König Ludwig I. von dem Geschichtschreiber Lam-
bertus aas Aschaffenburg sagte „von ihm wissen wir We-
nig, durch ihn aber sehr Viel."
Er war Zeichner, Oel- und Aquarellmaler, Kupferste-
cher, Radirer, Formschneider und Glasmaler.
Sein Name stünde in der deutschen Kunstgeschichte
oben an, wenn seine ungeheure Arbeitskraft und sein pro-
duktives Talent nicht zu sehr von den Kunstindustriellen
in Anspruch genommen und ausgebeutet worden, und ihm
Zeit und Ruhe geblieben wäre, seine Werke mehr durchzu-
bilden und das zu machen, was man in unseren Tagen
akademische Studien nennt.
Es waren vorzüglich die Verleger und Buchdrucker,
welche seine Thätigkeit zu Illustrationen ihrer Werke so
zusagen mit Beschlag belegten, auch manche hervorragende
Gelehrte jener Periode bedurften seiner Holzschnitte und
Kupferstiche, um das in ihren Werken klar zu machen,
wozu ihre Worte nicht ausreichten. Es waren auch viele
hohen Herrn, welche durch Amman ihre Bildnisse, ihre
Macht und Herrlichkeit in Krieg, auf der Jagd, in Tur-
nieren und ihren Hoffesten verewigt wissen wollten. Aber
eben dadurch hat Amman seinen Blick und seine Auf-
fassungsgabe vorzüglich für alle Erscheinungen seines Zeit-
alters und seiner Umgebung geübt und für Historiker eine
besondere Bedeutung erlangt, und nur von diesem Gesichts-
punkte aus glaube ich an dieser Stelle die Aufmerksamkeit
auf ihn lenken und seine Bedeutung hervorheben zu dür-
fen. Wollte ich seine Werke einzeln anführen und nach
V. Hefner- Alteneck : Jost Amman. 135
ihrer Bedeutung würdigen , so könnte ich einen starken
Band darüber schreiben.
Jost Ammans Werke, insoferne sie im Druck erschie-
nen und aufzutreiben waren, (denn es werden noch bestän-
dig neue aufgefunden) beschreibt Dr. Andreas Andresen in
seinem „Deutschen Peintre-Graveur , Leipzig 1864 I. Bd."
mit grosser Sorgfalt. Im Vorworte spricht er auch das
aus, was ich längst fühlte, indem ich schon mit dem Jahre
1826 begann, Ammans Werke zu sammeln, nämlich, dass
das ausserordentliche Material, welches dieser Künstler für
Geschichtskunde bietet , noch nicht von Ferne zureichend
gewürdigt und benützt ist.
Auf die geschichtliche Bedeutung der Werke dieses
Künstlers einzugehen, oder auch die Werke desselben, welche
in Zeichnungen und Gemälden als Unica bestehen , zu be-
schreiben, lag ausser dem Zwecke, welchen Andresen in
seinem Peintre-Graveur verfolgte.
Um nur annähernd eine Vorstellung seines enormen
Fleisses und seiner Vielseitigkeit zu geben, will ich hier
versuchen, eine Anzahl seiner Werke, welche im Druck er-
schienen und besonderes Interesse für Geschichtsforscher
bieten, wenn sie gleichwohl schon beschrieben, vorzuführen,
dann im Allgemeinen erwähnen, was der Künstler an Zeich-
nungen und Malereien lieferte, welche nur als Unica bestehen
und nie vervielfältigt oder beschrieben wurden, und unter
letzteren nur ein Beispiel hervorheben, um zu zeigen, was man
schon an ihm allein für Geschichtskunde entnehmeu kann.
Dass Jost Amman, wiewohl selbst Formschneider,
nicht alle seine, auf mehrere Tausend sich belaufende Zeich-
nungen selbst in Holz schneiden konnte , ist natürlich.
Auf die meisten seiner Werke setzte er sein Monogramm
I. A. , und hat er sie auch in Holz geschnitten , so fügte
er häufig die Abbildung des Instrument chens bei, mit wel-
chem er geschnitten, was dann so viel als ,,sculpsit" hiess,
136 Sitaung der histor. Classe vom 2. März 1878.
auch brachte er öfter bei seinen Monogrammen den eigen-
thümlich geformten Dolch der Schweizer an, was dann so-
viel sagte als: „J. Amman der Schweizer."
Unter den Bildnissen, welche Amman lieferte, sind
für uns folgende als die wichtigsten zu bezeichnen.
In Kupfer gestochen oder radirt:
Stephan Bathori, Fürst von Siebenbürgen.
Caspar de Coliguy, Admiral von Frankreich.
Jacobine de Coligny, seine Gemahlin.
Sigmund Feierabend, Buchhändler in Frankfurt a/M.
Wenzel Jamnitzer, Goldschmied und Mathemathiker.
ür. Martin Luther als Mönch zu Erfurt und als Pro-
fessor in Wittenberg.
Dr. Martin Luther auf dem Todtenbette.
Johann Neudörffer, Schreib- und Rechnen meister.
Hans Sachs.
63 Bildnisse französischer Könige.
78 Blätter. Die bayerischen Fürsten.
Bildnisse in Holzschnitt:
Johann Aventin (in dessen bayerischer Chronik.)
Herzog Christoph von Württemberg.
Veit Dietrich (in dessen Summarien. Nürnb. 1567.)
Sigmund Feierabend.
Joh. Wolfgang Freymann, Dr. med.
Leonard Fronsperger, Verfasser des Kriegsbuches.
Die beiden Ritter Georg und Caspar von Frundsberg.
Markus Fugger.
Georg Herzog von Sachsen.
Wenzel Jamnitzer.
Georg Lauterbeck, Regen tenbch. 1579.
Adam Lonicer.
Marthin Luther.
Martin Luther mit 6 Freunden zu Tisch sitzend.
Theophrastus Faracelsus.
V. Hefner- Alteneclz : Jost Amman. 137
Erasmus Sarcerius, Theolog.
Georg Ludwig, Freiherr v. Seinsheim.
Andreas Tiraquellus. Dr. jur.
Leonardus Tbarneisser zum Thurn.
Die Bibel v. Jahr 1564 mit 133 Holzschn.
Die Bibel v. Jahr 1571 mit 136 Holzschn.
D. Evangelistenbilder v. 1571 mit 93 Holzschn.
D. Evangelistenbilder v. 1587 mit 80 Holzschn.
Die biblischen Figuren v. 1579 mit 78 Holzschn.
Das Passional, u. Apostel v. 1570 mit 7 Holzschn.
Biblisches Handbüchlein v. J. Brentius v. 1573 mit
30 Holzschn.
Luthers Tischreden 1573 mit 20 Holzschn.
Melanchthons Epigramme 1583 mit 20 Holzschn.
Theatrum Diabolorum 1569 mit 40 Holzschn.
Geistliches Kreuterbuch v. W. Sarcerius m. 23 Holzschn.
Plutarch, 1580; 48 Holzsch.
Titus Livius mit 136 Holzschn.
Barlandis Geschichte der Grafen von Holland mit
36 Holzschn.
Aventins bayerische Chronik mit 12 Holzschn.
Appians bayerische Landtafeln.
Ammans Antheil daran erst 1567 Rahmenornamente,
bayer. Wappen etc. etc.
Die Moscovitische Chronik 1579 mit 16 Holzschn.
Die Chronik v. Venedig 1584 mit 85 Holzschn.
Die Ungarische Chronik 1581 mit 34 Holzschn.
Das Heldeobuch 1590 mit 30 Holzschn.
Die berühmten Frauen des Boccaccio mit 47 Holzschn.
Terenz mit 6 Holzschn.
Reinecke Fuchs mit 56 Holzschn.
Die Bambergische Halsgerichtsordnung 1580 mit 22
Holzschn.
Das Turnierbuch mit 45 Holzschn.
138 Sitzung der histor. Classe vom 2. März 1878.
Leonh. Fronspergers Kriegsbuch mit 62 Holzschn.
— — zweiter Theil dess. mit 227 (incl. Wiederhol.)
— — dritter Theil dess. mit 342 Holzschn.
Das Wappen und Stammbuch 1579 mit 167 Holzschn.
Künstler- und Handwerkerbuch mit 132 Holzschn.
Dieses Buch, welches auch in neuerer Zeit durch viel-
fache Copien verbreitet wurde, bietet nach vielen Richtun-
gen und besonders für Geschichte der Industrie und Tech-
nik reiches Material.
Trachtenbuch der katholischen Geistlichkeit 1585 mit
102 Holzschn.
Das Frauen Trachtenbuch mit 122» Holzschn.
H. Weigels Trachtenbuch mit 125 Holzschn.
Das Kartenspielbuch mit 55 Holzschn.
Das Stamm- und Gesellenbuch mit 32 Holzschn.
Das Kunst- und Lehrbüchlein mit 107 Holzschn.
Das Thierbuch mit 107 Holzschn.
Das Jagdbuch mit 74 Holzschn.
Fugger, von der Gestüterei mit 39 Holzschn.
Kunstreiche Figuren der Reiterei mit 97 Holzschn.
Indem ich somit nur eines Theiles seiner Arbeiten,
welche für den Druck verfertigt, in Bibliotheken und
Sammlungen gelangten, gedachte, muss ich noch erwähnen,
dass er auch eine Unzahl von Holzschnitten für ganz ge-
wöhnliche industrielle Zwecke fertigte, welche öfter zu
seinen besten Arbeiten gehörten, aber grösstentheils im Ge-
brauche und Laufe der Zeit verloren gingen , und nur hie
und da als üuica und Seltenheiten auftauchen.
So z. B. fertigte er für Schachtelmacher viele Holz-
stöcke, mit deren Abdrücken die runden oder ovalen Deckel-
flächen und die Seitenwände überzogen, mittelst Schablonen
schlecht colorirt und dann gefirnisst wurden. In gleicher
Weise wurden seine Holzschnitte für aus Holz gedrechselte
Schüsseln verwendet, auf welche man Brod oder sonstige
V. Hefner- AUeneck: Jost Amman. 139
trockene Esswaaren legte, oder sie in den Nürnberger
Schauküchen aufstellte. U. A. hat unser bayerisches Na-
tionalrauseum , wie das Germanische Museum in Nürnberg
Manches derart aufzuweisen. Ausser den unzähligen Ent-
würfen und Zeichnungen zur Ausschmückung von Werken
der Architektur, Prachtsälen, Triumphbogen, Decorirungen
bei den Turnieren, besitzt fast jedes Handzeichnungscabinet
der Welt eine grössere oder kleinere Anzahl von Entwürfen
(„Vorzeichnungen") für Glasmaler, wiewohl der überwiegend
grössere Theil derselben natürlich durch den Gebrauch in
den Werkstätten zu Grunde ging ; meistens sind dieselben
klar und bestimmt, in alle Einzelheiten eingehend, mit der
Feder gezeichnet und ausgetuscht. In der Regel stellen die-
selben nach Schweizerart das Wappen des Bestellers mit
seinem oder auch seiner Hausfrau Bildniss in ganzer Figur
dar, von Renaissance- Ar chitectur und allegorischen Figuren
umgeben.
Betrachten wir solche Entwürfe des Meisters, bei wel-
chen die Heraldik eine Hauptsache bildet, im Zusammen-
hang mit dem schon erwähnten grösseren und kleineren
Holzschnitt-Stammbuch und seinen vielen in Miniaturmalerei
ausgeführten Stammbäumen, wie z. B. den der Patricier-
Familie Pfinzing von Henfenfeld in Nürnberg mit reicher
Landschaft, 150 reich costümirten Bildnissfiguren und un-
geheurer Masse von Wappenvögeln und Laubwerk, und
einzelnen Stammbuch-Blättern, so haben wir ein voll-
ständiges Bild der schwungreichen und aufs Feinste styli-
sirten Heraldik ihrer letzten Blüthezeit, wie wir es auf
keinem anderen Wege finden können.
Um noch einen Beweis der fabelhaften Thätigkeit
dieses Künstlers zu geben, erwähnen wir unter seinen vielen
ähnlichen Werken der Miniaturmalerei den Krönungs-
Festzug Kaiser Maximilian IL in dem Handzeichnungscabinet
zu München, zwar nur 40 Cm. hoch, aber 30 Meter lang.
[1878 I. Philos.-pMlol.-hist. Cl. 2.] 11
140 Sitzung der histor. Classe vom 2, März 1878.
Derselbe enthält mehrere hundert Personen aus den ver-
schiedensten Ständen und Nationalitäten zu Pferd und zu
Fuss in solcher Genauigkeit , dass man nicht nur die ver-
schiedensten Charactere der Gesichtszüge, sondern auch alle
Einzelnheiten, die Stickereieu, die Ornamentirung in Schmuck,
Waffen, Pferdegeschirren etc. erkennt.
Eines der merkwürdigsten Werke Ammans ist das 1,08
hohe und 1,26 breite Miniaturgemälde, welches ein Turnier
(vielmehr Stechen oder Gestecli) darstellt, welches Patricier
auf dem Marktplatz vor der Frauenkirche zu Nürnberg im
Jahre 1561 hielten.
Dasselbe zeigt auf seinem ursprünglich schwarzen
Rahmen in goldener Schrift die Erklärung, welche lautet :
„Den Tritten Martii als da war, fünfzehnhundert
,, sechzig ein Jar, Ein löbliche geselschafft hatt. Solch
,,gstech gehalten in der statt, Nürenberg auf dem
„marckt so frey, Wie es hie Contierfet, dabey Gewesen
„sein volgende gschlecht. Wurde erkent also zu recht,
„Das den Dank erlangt lobesan, Moritz fürer der
„kühne man, Die andern stecher waren die, Philip
„Gauder vn~d sunst alhie , Matthes Löffelholtz , Chri-
„stoff Scheurl, Endres Schmittmer, Balthasar Christoff
„Gugel, Philip Lux, Wilhelm Traner, Wie nun das
„gstech voleut vd aus, Ward gehalten auf dem Rat-
,,hauss. Ein herrlicher ehrlicher Tantz, zuvor hat
„g'habt den gsellen krantz, Gabriel Baumgartner, den
„er. Aufsetzt dem Gabriel Tucher. Solch Ritterspiel
„durch die gene~t Ist so in Lob vn~d freudt vollendt.^'
Dieses Werk zeigt die Eigenthümlichkeit der letzten
Art von solchen Ritterspielen in der Ausführlichkeit, dass
man nicht zweifeln kann, der Künstler, welcher selbst
Augenzeuge war, legte einen Werth darauf, der Nachwelt
eine Erklärung über die Einzelheiten und Vorbereitungen
solcher Stechen zu hinterlassen.
V. Befner-Altenech: Jost Amman. 141
Man sieht daselbst nicht nur das gewöhnliche Rennen
oder Stechen, wie wir es in manchen Turnierbüchern fin-
den , sondern auch , wie der Patricier in dem enorm
schweren Stechzeug uoch nicht festgeschraubt, so dass er
noch Arme und Hals ein wenig bewegen kann, auf an das
Pferd gestellte Stufen empor geführt und auf den Sattel
gehoben wird, während der Waffenmeister die Lanze mit
dem Krönling und der Brechscheibe bereit hält, und einem
Anderen, welcher bereits auf dem Pferde sitzt, vom Waffen-
meister die Schrauben angezogen werden , damit die Har-
nisch theile fest au einander schliessen und unbeweglich wer-
den , und wie im dritten Akte einem zu Pferde , von der
linken Seite, und dem andern, von der rechten Seite ge-
sehen, durch den Waffenmeister die Lanze in den Vorder-
haken an der Brustplatte von oben nach unten, und in
den weit nach hinten hinausstehenden Haken von unten
nach oben eingelegt wird, während im vierten Akte zwei
Gegner im Aufeinanderrennen begriffen sind. Die Patricier
führen dabei ihre Wappenfarben, heraldische Bilder und
Helmzierde, was nicht immer bei Turnieren der Fall war ;
ein Jeder hat zwei Waffenmeister in schv/arzer Kleidung
zu Pferde und 4 Schalksnarren (Prügelknechte) in seiner
Farbe und seinem Abzeichen bekleidet bei sich — letztere
treiben verschiedene Possen und sind beim Aufsetzen auf
das Pferd und bei dem Aufheben nach etwaigem Falle be-
hülflich. Die Schranken dieses ritterlichen Spieles, von
welchem ein zuschauender Türke gesagt haben soll ,,für
Ernst zu wenig und für Spass zu viel" sind von einer
kaum übersehbaren Masse von Zuschauern umgeben, Männer
und Frauen aus allen Altersklassen und aus den verschie-
densten Ständen, welche uns durch ihre Characteristik,
Trachten etc. ein vielseitiges Bild jenes Stadtlebens und
Zeitalters vor Augen führen. Dieses reichhaltige Bild wurde
durch die betheiligten Patricier als Andenken für das
11*
142 Sitzung der histor. Classe vom 2. März 1878.
Rathhaus zu Nürnberg bestimmt, — und ich erwarb es
vom Antiquar Herdegen daselbst im Jahr 1862 für das
königliche Kupferstich- und Handzeichnungscabinet in
München.
Möge aus dieser meiner nur allgemein gehaltenen Dar-
stellung der Wirksamkeit dieses Künstlers entnommen wer-
den, wie vieles Material für Detailstudien in der Kultur-
geschichte jener wichtigen Ausgangsperiode des 16. Jahr-
hunderts aus seinen Werken genommen werden kann.
Herr von Druffel hielt einen Vortrag:
„Hß^'zog Herkules von Ferrara und seine
Beziehungen zu den Kurfürsten Moritz
von Sachsen und zu den Jesuiten*',
welcher in einem späteren Heft zum Abdruck gelangt.
Sitzung vom 2. März 1878.
Philosophisch-philologische Classe.
Herr G. Thomas besprach:
,, Einen Bericht über die ältesten Be-
sitzungen der Venezianer auf Cypern."
Die ansehnliche Bibliothek der *^Fondazione Quirini
Stampalia' in Venedig bewahrt auch eine nicht unbeträcht-
liche Sammlung von Handschriften; die meisten derselben
beziehen sich auf die politische und innere Geschichte der
Republik ; Abschriften von Relazionen, Auszüge aus Senats-
und Raths - Beschlüssen , Gesetze, Capitulare von Kunst-
handwerken , Chroniken und anderes verdient sicher die
Prüfung.
Eine merkwürdige Handschrift ist der Codex No. 190
aus dem 13. Jahrhundert, in Pergament 4^. Dieselbe stellt
gleichsam ein Memoriale dar über die Dinge in Syrien
und die Ver h ältnisse der Venezianer daselbst im
12. und 13. Jahrhundert, von welchem man annehmen
möchte, dass es von einem Mitbetheiligten geschickt und
kundig angeordnet worden ist.
Den Kern dieses geschichtlichen Denkbuches bildet der
Bericht des Marsilius Georgius, Bajulus von Syrien,
zur Zeit des Dogen Jacob Theupolus (1243), welchen wir
im zweiten Theil des Urkundenbuchs von Venedig (Fontes
rerum Austriacarum t. XIII) p. 351 — 398 zum erstenmal
vollständig veröffentlicht haben und welcher seitdem, nament-
lich von Herrn Dr. Hans Prutz in seinem Buche ,,aus
Phönicien" gut ausgenützt worden ist.
144 Sitzung der phüos.-phüol. Classe vom 2, März 1878.
Dem Bericht selbst aber — im Codex fol. 15 — 41 —
geht eben hier noch anderes voraus. Zuerst auf fol. 1
folgendes Rubrum :
In nomine domini nostri Jesu Christi, anno eiusdem
M. CG. XL. 11^^ indictione XV'^, mense Junii eo tempore
cum civitatem Tyri recuperavimus a nostris inimicis Longo-
hardis qui tenehant eam. ad hec in posterum memorie com-
mendatur, Ideo nos Marsilius Georgius haiidns in Syria
Venetorum^ iussu domini ducis Jacohi Teupoli fecimus re-
digi in puhlicam scripturam ea que Veneti in toto regno
Jerosolimitano, tarn in civitate Tyri quam in omnihus aliis
civitatihus et locis, secundum quod per nos scivimus et etiam
inquirere potuimus per anticos nostros qui in Syria de-
morantur. ad hec ut valeat per quoscunque sciri ut que
habemus, valeant cum deo et iusticia retineri. et quod nohis
longo tempore violenter est acceptum., possit recuperari a
detinentibus malo modo.
Diesem Rubrum, welches für die Chronologie des Mar-
siliusischen Berichtes einen neuen Anhalt bietet — das
Datum anno 1242 für den ersten Bericht — folgt dann im
Codex mit der Aufschrift „Incipit ystoria et Privilegium'^
ein Auszug aus dem französischen Texte des Wilhelm
von Tyrus, fol. 1 — 14, und zwar lib. XII cap. 23. 24
und lib. XIII cap. 1 — 14; diesen Auszügen sind — fol. 3— 7 —
die Privilegia Warmundi a. 1123 et Balduini
a. 1125 eingefügt, gerade wie bei Wilhelm von Tyrus
selbst; vgl. unsere Ausgabe im Urkundenbuch von Venedig
(Fontes rerum Austriacarum t. XII) 1. No. XL. XLI.
Hieran reiht sich fol. 15 — 41 die Relation des Mar-
silius Georgius, wie wir dieselbe herausgegeben haben, nur
mit dem Eingang : ,, Incipit ystoria ad hoc ut quilibet*' etc."
(vgl. p. 354 1. 2 unseres Textes).
Ohne allen Hinweis wird dann dem Marsilius fol. 41
das "^Privilegium Johannis de Ibelino, Bcriti do-
Thomas: Aelteste Besitzungen der Venezianer auf Cypern. 145
Diini^ V. J. 1221 angeschlossen, welches im Urkundenbuch
B. 2, p. 230 vorliegt.
Alle diese Texte, von uns nach dem berühmten Liber
Albus herausgegeben, wurden sorgfältig mit dieser älteren
Abschrift verglichen und nicht ohne erklecklichen Erfolg.
Endlich aber — nnd dieses ist ein Novum von beson-
derem Werthe — enthält der Codex auf den letzten Blät-
tern einen Bericht über die ältesten Besitzungen
der Venezianer auf der Insel Cypern.
Ob er wohl auf eben jenen patriotischen Marsilius
Georgius zurückzuführen ist? Die Behandlung der Sachen
und die Einleitung sprechen dafür. Einen bestimmteren An-
halt gäbe es, wenn man wüsste, welcher Balian von Ibelin
gemeint ist, dessen unten an einer Stelle Erwähnung ge-
schieht. Keinesfalls möchte ich für die Zeit der Abfassung
des Berichtes nach seinem ganzen Inhalt über das Jahr 1277
herabgehen ; in diesem Jahre wurden die Verhältnisse der
Venezianer mit Syrien, d. h. mit Tyrus und mit Cypern
wiederum in ein besseres Geleise gebracht. Den hieher ge-
hörigen Vergleich zwischen Jacob Contareno, dem Dogen
von Venedig und Johann von Montfort, Herrn von Tyrus,
gibt unsere Sammlung B. 3 No. CCCLXIX p. 150-159;
die Bestätigungsurkunde vom J. 1278 habe ich erst bei
meinem letzten Aufenthalt im Venezianer Archiv aufgefun-
den, und zwar in einer Sammlung, wo man selbe kaum
suchen würde.*) lieber die Geschichte jenes Jahres wäre
übrigens Mas Latrie histoire de l'ile de Chypre I p. 460 zu
vergleichen.
Der Bericht selbst weist darauf hin, was Venedig auf
Cypern besessen habe und noch besitze. Die Republik hatte
sich, wie anderswo, so hier Freiheit im Handel und Wandel,
*) Es erscheint nicht unstatthaft und ist sicherlich manchem
erwünscht, wenn ich hier diesen Nachtrag zur Kenntniss
146 Sitzung der jahilos.-philoh Classe vom 2. März 1878.
eigene Gerichtsbarkeit und Selbstverwaltung zu versebaffen
gewussst. Die Venezianer hatten ihr Fontego und ihren
Consul. Man ersieht aus dieser Schrift, v^^ie gut es die
Venezianischen Ansiedler verstanden , sich des Grunds und
Bodens für den Einzelbedarf, für die Gemeinde, für die
lateinische Kirche zu bemächtigen.
Diese Besitzungen vertheilten sich im wesentlichen auf
Nimis,^) d. h. Limassol, und Nicosia; wenige treffen auf
Paphos (Baffo).
1) Diese Abkürzung ist einzig. Die Stadt selbst, neueren Ur-
sprungs, hiess Neapolis (Neapoleos) bei den Griechen, nachher Ne-
bringe, soweit es mit Rücksicht auf den oben angeführten
Vergleich erforderlich ist.
Confirmatio conventionis inter Johannem de Monteforti
et Yenetos.
a. d. 1278 die 3. m. Madii.
Pacta Ferrariae archivi Veneti fol. 76*.
,,Nos lacobus Contarenus dei gracia etc. Notum faci-
mus tenore presentium universis quod cum nostro minori
et maiori consilio in sala maiori nostri palacii in maiora
congregati, consilio more solito congregato, nostro et ipsius
nostri comunis Veneciae nomine laudamus approbamus et
confirmamus et ratificamus restitutiones et pacta per egre-
gium virum Johannem de Monteforti dominum Tyri et
duarum partium Tyri factas et facta nobilibus viris Alber-
tino Maaroceno, de nostro mandato Venetorum baiulo in
Accon et in Tyro et in tota Syria et Andrea Fuschareno
et Phylippo Cornaro, eiusdem baiuli consiliariis et cum
ipsis vice et nomine nostro et comunis Venecie et recep-
tiones per eos factas a dicto Johanne de omnibus posses-
Thomas: Aelteste Besitzungen der Venezianer auf Cypern, 147
Neben den Venezianern erscheinen Pisaner, Genuesen,
Provenzalen, Templer, Johanniter als Grundherren. Wie
man sich, wenn es galt, in Besitz stellte, das zeigen u. a.
die Vornahmen ""per vim\
Der Bericht ist für die Orts- und Culturgeschichte der
Insel im 13. Jahrhundert nicht ohne Belang; auch für den
Wortschatz der Sprache fällt mancher Gewinn heraus. Die
Handschrift selbst — so gleichmässig dieselbe dem Auge
erscheint, ist durch viele und eigenthüraliche Abkürzungen
m es SOS, Limisso, Limassol; Lamazira bei Willebrand von Ol-
denburg; Nimocium, Nymocine, civitas Nymociensis lateinisch.
sionibus, bonis, dricturis et iurisdictionibus, tarn intra civi-
tatem Tyrensem quam extra etc.'' quae leguntur in con-
ventionis primo capitulo, tom. III. (Fontium XIV) p. 151 — 152
lin. 1 ,,pertinentiarum" — tum pergit:
,,et etiam alia omnia et singula inita et firmata ....
que continentur in instrumento inde scripto per Bartho-
lameum de Firmo imperiali auctoritate notarium , buUato
bullis pendentibus plumbeis dominorum patriarche lerusalem
et magistrorum hospitalis S. Johannis et militie Tempil et
prefati Johannis et sigillo cereo pendenti dicti Albertini
baiuli Venetorum. quod factum fnit sub anno dom. a nati-
vitate millesimo ducentesimo septuagesimo septimo, indictione
quinta, die kalendarum Julii.
Ad cuius rei firmitatem perpetuam et evidenciam ple-
niorem presentes litteras fieri fecimus et bulla nostra plumba
pendenti iussimas communiri ac per manura Conradi nostri
et curie nostre cancellarii mandavimus roborari, currente
anno ab incarnacione dom. nostri Jesu Christi millesimo
ducentesimo septuagesimo octavo , indictione sexta , mense
Madii die tercio intrantis.
Ego Corradus «^
148 Sitzung der histor. Clas^ vom 2. März 1878.
nicht leicht zu lesen , abgesehen von den Barbarismen der
damaligen Zeit (besonders im Gebrauch des Aceusativs statt
des Nominativs und in Verwechslung des Genus) und von
dem Missverstäudniss des Abschreibers; vorzüglich steht man
bei den Namen der Personen und noch mehr der Orte
manchmal vor Räthseln. Eine wiederholte Durchsicht hat
zwar vieles geklärt, anderes musste in Zweifel gelassen
werden; die Sprache zu verbessern fällt dem Leser nicht
schwer.
Mas Latrie hat in seinem emsigen und reichen Werke
den Besitz der Venezianer im 15. Jahrhundert hinlänglich
erörtert, für diese frühere Zeit fehlt es an Vergleichen;
auch aus der *^Chorograffia et breve historia universale dell'
Isola di Cipro . . . per Fr. Steffano Lusignano di Cipro delF
Ordine de' Predicatori^ Bologna 1573 kann nur einzelnes
erläutert werden.
Beducinnis ad niemoriam presentihus et futuris facientes
scrihi in Jwc presenti volumine ca que condam antiqiiitus
Veneti et comiine Venetiariim hahuenmt uel hahent et eis
pertinuerunt in insida CIPRI: in primis hahuerunt integram
libertatem in omnihus reliis et mercimoniis, eundo stando
et redeundo, et cur i am liberam in iusticiis, introitihus^ iuris-
dictionibus et iudiciis faciendis sine alicuius contrarietate,
et ea omnia que pertinent et pertinere possunt principalibus
et specialihus dominis terre.
In primis ecciesie S. Marci episcopatus NiMis quam
fecerunt Vitalis Beräm, cur Bert, Dominicus Bert, ^) omnes
2) Die drei Brüder Vitalis, Aurius (so nach anderen Stellen zu
lesen) und Dominicus trugen wohl den Familien-Namen Bertram oder
Bertrand; die Schreibung ist, wie man sieht, verschieden abgekürzte
auch weiter unten.
Thomas: Aelteste Besitzungen der Venezianer auf Oi/pern. 149
fratres, et Leonardas Fuscariuus. habet zardinum unum qui
reddit in anno bizantios L. stationes vj. in platea liij"" justa
mare et ij in plathea et iiij"" stationes cum ij domibns, que
fuerunt Orlandi, et ibi morabatur , et terra tanta que fuit
Georgi Zirini, in qua terra sunt domus xi]. et redditum
accipit ecclesia et pauperum bospitalis, que fuit dicti Georgii
Zirini. et Sanctus Johannes prope ubi baptizantur. Tstam
dictam maiorem ecclesiam fuit. ^) Jo. Aüg. et domos
quas tenebantur et arcbidiaconi, qui sunt in campo ccclesie,
omnes fuerunt cathalati *) Veneciarum. La gastina ^) que
fuit etiam Johannis Aüg. ubi erant domos et possessiones,
quas episcopus omnes fecit destrui in quam efficitur mess (sie).
Item Sanctus Georgius est de episcopatu supra dicte
ecclesie. terra ipsius ecciesie cum tota sua pertinentia fuit
Uiuiano Bono.
Item habitatio tota Templariorum NiMis ciuitatis
fuit Leonardi Fuscarini et Marci Lazari et Angeli, que
omnia üeri fecerunt et duo zardini qui sunt extra ciuitatem
in parte Oriente fuerunt Vitalis Betrara supradicti et doini-
nantnr modo a Templariis, que fuit suo patrimonio.
Item, aliud zardinum tenetur a Templariis , quod
fuit Manuelis Rossi. iacet in parte oecidente, qui fuit sui
patrimonii.
Item domus hospitalis tenet zardinum unum, qui iacet
in magistro. ubi est unum palmerium, quod fuit Vitalis
Bethrandi.
Item in terra S. Nicolai que est apud supra scriptum
zardinum qui tenetur a Grecis ^ fuit de Viuiano Bono.
3) fecit?
4) Wohl xaraXlccxrai , si korämen unten nochmals vor ; und ein-
mal auch werden cambiatores angeführt.
5) gastina hat im mittelalterlichen Latein mehrere Bedeutungen:
ursprünglich wohl locus desertus s. vastatus, solitudo; dann
terra inculta; ferner ager pascuus; endlich praediura.
150 Sitzung der phüos.-philoh Gasse vom 2. März 1878.
Item ista in cepto (sic)domorum UenetorumcmiisiiisNimis
curia nna, que fuit Johannis Balbi et iusta dictam curiam
est alia curia, que fuit Johannis Derimi, que sunt in occi-
dente et iusta dictam curiam possessio Dominici Coustantini
et uacuantur. tota ista possessio adtinet de iure maritali.
Item domus, que tenentur a Filipo Dare usque a dicto
Docheri, fuerunt Sancto Marco . . . Vomreri et Micheli Vomreri
et Manuelis patris quondam presbiteri pizoli fuerunt de
iure paterno.
Item insula una, ubi sunt domus xij. fuit Michaeli Li-
noti et mina.
Item curia una, que fuit termina iusta Dominicum
Constantinum, teuetur a milite condam Symeonis Bafii et
la gastina de Manuele Rosso euacuatur, iacet in occidente.
Item curia de Durio ^) Augustino cum omnibus suis
domibus, que iacet in parte occidente.
Item domus Uiuiani Bononi tenetur a Genuensihus.
Item domus, que fuit Aurij Albini rex fecit fieri fon-
tego et tenetur adhuc pro fontego.
Item curia que fuit Octo Marosin, ubi fuerunt domus
vj. in parte occidente.
Item curia, que tenetur a Pisanis <, fuit Dominici
Damori et Martinis Zancaroli.
Item possessio Henri ci Venerii, sunt domus tres. mo-
rantur in occidente et possidet Ualpertius justa dicti Henrici.
Item possessiones Frigerii Dente tenentur a rege.
Item possessio uxoris condam Johannis Floriani tenetur
a filio Alberti Smeloni. ')
Item stationes vj. que fuerunt Dominici Alberigo et
Stefani fratris eins, tenentur a domino Sythies.^) que fue-
runt de iure paterno.
6)Aurio?
7) Sermeloni?
8) Sythiensi?
Thomas: Äelteste Besitzungen der Venezianer auf Cypern. 151
Ttem in alia curia cum domo qiie fiierunt dicti Do-
minici Alberigi et i. zardinum in curia, morantur niilex
Asaldus que fuerunt de iure paterno.
Item curia de Michaelis Pladoni et alia de Vitali
Venerio.
Item stationes lij. que sunt deleoste et sunt in plathea
et iusta est curia que fuit Dominici Geni.
Item domus Vigo Zeui cum una curia et i. zardinum
iacet in occidente.
Item medietatem domorum, que fuerunt de Marchesano
et alia medietas, que fuit Rugerii Semiteculi et medietatem
unius zardini. sunt extra ciuitatem , que fuerunt de iure
maritali.
Item zardinum, quod tenet Uastulongo. tamen illius
zardini fuit Ueneiorum.
Item zardinum, quod fuit Aurium Bethram, Georgius
de Seta tenet modo.
Item aliud zardinum iusta predictum zardinum fuit de
domo Benum. (?) modo tenet Jofredus millex, que fuit de
iure maritali.
Item Stephanus Zirinus habuit domos in plathea que
reddunt bizantios cc. in anno, hec omnia iacent in parte
in occidente: que omnes fuerunt de iure paterno.
Item in parte Oriente domus, quae fuerunt Johannis
Michiel, modo tenet Jacobus de Hospitale, que fuit de iure
paterno.
Item stationes inj. que sunt super terram Uenetorum
et etiam dicte stationes posite antea in cambium fuerunt
de Ueneciis,
Item domus una cum duabus stationibus fuerunt de
Uenetiis iusta dictas stationes et nominatas supra scriptas.
Item terra, que fuit Stefenisi, generi Stefani Zirini,
dominatur et tenetur a Constantino Colocato , que fuit de
iure maritali.
10)
152 Sitzung der philol.-phüol. Classe vom 2. März 1878.
Item domus, que fueruut Marci Lazari, Templum domi-
natur, posiie iusta mare in Oriente.
Item domus üitalis üenerii cum duabus stationibus te-
il entur a Provinzalibus et aliis tribus stationibus que fuerunt
dicti Uitalis üenerii. teneutur a filia Uassilengo; que fuerunt
de iure maritali.
Item Aurius Beräm habuit stationes x. in duabus cu-
riis. tenentur a dicta filia Uasilengi.
Item terra que fecit fieri domos S. Älemane^ fuit Jo-
hannis Girardi Veneti.
Item domos que fuerunt Georgii Zirini, tenet filia de
rege.
Item terra que fuit Cauatorta, accepit rex et fecit fieri
furnum super ipsam terram.
Item domus una, que fuit Pessu Panigo iusta dictum
furnum.
Item domus Dominici Armani modo tenet Hugu de
Clara Pisanus et Lapisoe cum tribus domibus.
Item domus, que fuerunt Dominici Zirini, posite a la-
boraria, tenentur modo a Templariis.
Item possessiones , que sunt justa possessionem dicti
Dominici Zirini, que fuerunt Citoli, tenentur a Templariis.
Item domus que fuerunt Rugenoni, a codam Grifone. ^)
Item domus quas tenet dominus Raubarata millex.
medietas illius domi fuit de üeneciis^ Dominici Pascali.
Item domus que fuerunt Petri Michaelis et Johannis
Michaelis, tenet modo Dominicus Aura (sie).
Item domus, que habet Thesererio, fuit Flocan (?) Gra-
donico et modo tenet Michaelis Natalis et Marcus Natalis
fuerunt principes illius domi.
9) „Griffones Gallis Graeci Byzantini imperii oliiu dicti'
Ducange.
10) Das Pergament dieser Zeilen ist abgerieben.
Thomas: Aelteste Besitzungen der Venezianer auf Cypern. 153
Item donius Marini Silvestri tenet Georgius Lobalio
episcopatus.
Item domus , que fuerunt Dadomo Martinazo teuet
modo Johannes de lospitali milex.
Item domus, que fuerunt presbiteri Mathei Ueneti,
euacuantur.
Item curia Marci Marceil i cum omnibus suis haben ciis
rex accepit et dedit mihti cuidam et sie alienauerunt.
Item domus, que fuerunt sororis domini Georgii Zi-
rini, iuxta Steni Marubiani dominantur et tenentur a pres-
bitero quodam Grifone.
Item iuxta dictas domos alia soror dicti Dominici Zi-
rini habuit domum, que teuetur a filio Leonardi piscatori.
Item domus Michaelis, catallacti ^^) Ueneti^ tenentur
a Johanne Dabedone.
Item domus cum una magna curia habentibus v. domos
intus que fuerunt Petri de Canale, filii Geruasii de Canale
et unum zardinum cum xxiiij. domibus.
Item zardinum unum cum una fossa et cum toto ci-
miterio fuit medietas una Uitalis Berän et alia medietas
Nemiti Sigorani, tenetur a quodam Lobardo Fisano.
Item balneum, quod fuit üenetoriiin, tenetur a Filippo
de greco milite. reddit omni anno M. bizantios.
Item terram, quam fecit Vicentius zardinum, fuit üe-
netorum.
Item unusquisque zardinus reddit in anno bizantios C.
H I
hec omnia fuerunt patrimonio uel matrimonio se man au
proprio concosto (sie). ^^)
Item cassale Monachroli^ quod tenetur hospitalis^ fuit
de Uiuiano Bono. habuit pro denaro ab uxore sua.
11) vgl. oben Note 4.
12) Hier liegt wohl ein Eigennamen verborgen und eine Besitz-
änderuug : proprio conquisitu s. conquestu?
154 Sitzung der philos.-phüol. Classe vom 2. Man 1878.
Item cassale, quod uocatur Pirigo, qnod tenent fratres
alhi, fuit Johannis Michaelis ex parte patris sui.
Item Sanctus Georgius cum uno cassale, uocatur Auuo
lopistrico de poUpani, tenetur a fratribus alhis^ fuit de Ne-
mizo Uenetico.
Item Agronda pastrio,*^) quod fuit Geruasii da Canale,
de suo iure episcopatus tenet.
Item domus Templariorum tenet Ägerhniso domos
campos et zardiuos que omnia faerunt de Zitoli. hec habuit
de parte uxoris sue.
Item domos campos zardinos omnes residuos de casali
G&remisso^ quod habent domus Templariorum^ fuerunt do-
mini Bartholomei Signoli que omnia emit suis monetis.
Item ij molendini qui sunt in Geremiso , fuerunt de
Petro Zirini et Marci Stati et modo tenentur a Templariis.
Item Vitalis Gradonicus babuit in dicto cassale Gere-
miso duas uincas plantatas , tenentur a Templariis , que
fuerunt de propriis suis inuenta.
Item Jobannis Michael habet Achiläi unum pastreto et
tenetur a ospitali et alium pastreto, qui fuit dicti Johannis,
in eodem casali tenetur a ospitali., habuit ex parte uxoris sue.
Item Sanctus Constantinus et Sanda Cruce de Meso-
chipi de Aurio Cauatorta Ueneto et ipse edificare fecit pre-
dictas ecclesias.
Item zardinus, qui fuit de Marco de Marchimino Ue-
tieto, modo Johannis de hospitali.
Item zardinus qui tenetur per Nicolam scribanum. terra
ipsa fuit Uenetorum.
13) Dieses Wort, welches sich unten in mancherlei Gestalt wieder-
holt: pastreo, pastreum, pastreta, pastretia, pastreto
(pastretho), pastretio weist auf den Stamm pasco-pastum zu-
rück und bezeichnet, wie noch andere Formen des gleichzeitigen La-
teins: einen Weide- oder Wiesenplatz, pascuum, pratum, ager
pascuus.
Thomas: Aelteste Besitzungen der Venezianer auf Cypern. 155
Item aliud zardinum quod stat iusta supra scriptum
zardinum, tenet filia Sidonis Ruberto de Mala, terra fuit
Üenetorum.
Item unum pastrio, quod fuit ALnerigi Sabatini, modo
tenet dominus ßalianus de Bilino. **)
Item pastretio, quod fuit de Beneuenuto Sigorano, tenet
Johannes Dormithia.
Item unum pastreo de Loga, quod fuit Bartholomei
Signoli, tenet modo Johannes de Gafarat.
Item Palothia que fuit Geruasii de Canale. tenet modo
Johannes de Palothia milex.
Item duo pastrethia que sunt Älaperemilia, que fuerunt
de Aurio Venerio et de Michiele fradello, modo tenet do-
minus Stacius Leze.
Item Sandus Johannes qui fuit Aurii Albini, Johannes
Preuetanus tenet modo.
Item Sancta Coronata que fuit Gervasü in Canali,
modo tenet Beneuenuto Trecopulo.
Item unum pastreo iusta Fensore^^^) quod de Michaele
catalato, modo tenet domus Templariorum.
Item Tyrocinium, quod est casale, fuit de Manuel Roso,
tenet ospitale.
Item unum pastreo Äthrechonio, fuit de Leonardo
Foscarini, tenet hospital.
Item pät est cambiatorum , ^ ^) habuit unum pastreum
Athechonio quod tenet hospitale.
Item lo pastreo quod fuit de Dominico Zirino, quod
est Äthrachonio, tenet domus Gasöl.
Item alium pastretho posito in Trachonio^ quod fuit
Dominici Pascalis, modo tenet hospitale,
14) Eine genealogische Tabelle der Herrn von Ibelin hat Wilken,
Geschichte der Kreuzzüge I, S- 21 der Beilage.
15) Fesore , sie.
16) vgl. oben Note 4.
[1878. I. Philos.-philol.-hist. Cl. 2.] 12
156 Sitzung der philos.-phüol. Classe vom 2, März 187 S.
Item Sancta Bachide ^ que fuit de Rnberta Michaeli,
modo tenet dominus Bethrano daper (i. e. daperius).
Item casale Saudi Änchidini^'^) quod fuit Dominici
Pascalis, tenet modo Fuszerius Trecopuli.
See sunt possessiones Venetorii^n Wicosienses.
In primis Sanctus Nicolaus de NicosiA cum tota sua
pertinentia fuit Uenetorum merchatornm de controbenio.
Item domus qua moratur rex Cipri, fuit domini Leo-
nard! Sabatini, quam ipse fecit fieri suis bonis.
Item domus domini Jobannis Sabatini, tenet Raimundo
balester per uim.
Item Arnuldus balesterius tenet per uim unum pala-
cium cum curia, que fuit domini Johannis Sabatini.
Item domus Nicolai Feli. tenetur a quodam Grifone
qui fecit aquUas.
Item Nicolaus Cirinus habuit duos molendinos et unam
pastrea que omnia tenet Uiglielmus de Cafara, que fuit de
sponsala uxoris sue.
Item Marcus Matus üenetus habuit domos, quos tenet
modo äuu' Corner gerius hesyesse^ que fuerunt de sponsala
uxoris sue.
Item domus Martini pillizarii Ueneti, alienatus habuit
de sponsala uxoris sue.
Item pastreta una Ängelagia^ que fuit Johannis Michiel,
tenet modo rex.
Item pastreta una, que fuit Leonardi Sabatini, Ämise
Chilesi^ rex tenet modo.
Sanctus Nicolaus de Baffo cum omnibus suis pertinen-
17) i. e. Akindyni.
Thomas: Aelteste Besitzungen der Venezianer auf Cypern. 157
ciis fuit Uenetiarum et domum unam que fuit Johannis
Pistelli.
Item domus et possessio Andree Ramengo de Baffo,
fuerunt eiusdem Andree.
Item Marcas Marcellus habuit a sollt o uineas domos et
unum presol; ^^) tenetur a uillanis.
Hec omuia et alia plurima sunt cum insula Cipri que
per singula denotare nequimus, sed hec tarnen ad memoriam
reconduximus.
Item Johannes Michael habuit uineas et domos et
presär in casale solito. tenentur omnia a domino Pechramo
garperio.
Item dominus Bethramo carperius tenet X. zarete de
uinea, que sunt in loco qui uocatur Mälea, fuerunt de
Georgio Zirini.
Item Magasa casale pathreta una cum molendino uno.
uineas in zardinum, que omnia sunt aliminata et fuerunt
Aurij Betrani, modo tenet dominus Balianus, dominus
Beriti.
Item casale quod uocatur Fellendria ^^) una pastreta
que fuit de Nicheta Michaeli, tenet rex modo.
Item molendinum et zardinum Petri Sabatini que sunt
Ätrimichino^ modo tenet dominus Joannes de Antiochia per uim.
Qui scripsit scrihat semper cum domino uiuat
Viuat in celis Jacdbus de frairago in nomine felix.
18) Bald unten presar; entspricht dem griechischen ngoariXios
{riQoaeiXog) und bedeutet einen der Sonne ausgesetzten Platz, eine Ter-
rasse, zum Trocknen der Früchte, Trauben u. dgl.
19) Dieses Casale erwähnt SteflFano Lusignano chorograffia fol. 19.
12
Oeffentliche Sitzung der k. Akademie der Wissen-
schaften
zur Feier des 119. Stift ungstages
am 28. März 1878.
Der Herr Präsident v. Döllinger trug vor:
„Gedächtnissrede auf Alexandre Herculano de
Car valho."
Unsere Akademie pflegt, wenn sie die jährliche Feier
ihres Stiftungstages begeht, vor Allem derjenigen Männer
zu gedenken, welche durch Gleichheit des Strebens und
durch unsere Wahl im Leben ihr angehört haben, im Jahres-
lauf aber durch den Tod ihr entrissen sind. Diessmal nun
handelt es sich um den Verlust eines Mannes, welcher in
höherem und ungewöhnlichem Maasse unsere Beachtung in
Anspruch nimmt, und es wohl verdient, dass wir uns ein-
gehend mit ihm und seinen Leistungen beschäftigen, ob-
wohl er in weiter Entfernung, am äussersten Südende Eu-
ropa's gelebt und gewirkt hat, und obwohl seine Schriften
einer in Deutschland sonst kaum gekannten Literatur an-
gehören. Er verdient es , denn wunderbar vielseitig war
seine Begabung, reich und unerschöpflich seine geistige
Zeugungskraft, Grosses hat er für Literatur und Wissen-
schaft geleistet, seinem Volke aber ist er auch für kommende
Zeiten ein leuchtendes Vorbild geworden, gleichwie er ihm
an seinen Schriften einen unvergänglichen Schatz der Selbst-
erkenntniss und der Bildung hinterlassen hat.
V. JDöllinger: Gedächtnissrede. 159
Alexandre Herculano de Carvalho , gestorben den
13. September 1877 ; geboren zu Lissabon den 28. März 1810.
Noch vor seinem 20. Jahre ging er nach Frankreich, er-
fuhr dort die ersten Eindrücke der Juli-Revolution und der
grossen durch sie bewirkten Umwandlung, und kehrte 1832
zurück, um als Soldat in das Heer Don Pedro's einzutreten
und den Bürgerkrieg mitzumachen, der zur Umgestaltung
Portugals in einen coustitutionellen Staat den Grund legte.
Was der junge Mann damals erlebte, sah und vollbringen
half, das ist entscheidend geworden für seine Denkweise
und sein Streben, und darum ist ein Blick auf PortugaPs
Lage, wie sie vor einem halben Jahrhundert war, unerläss-
lich. Dreimal hatte die Nation mit Anspannung aller Kräfte
und mit Englischer Hilfe die französische Invasion zurück-
geworfen und Napoleon's Joch abgeschüttelt. Aber der
Friede von 1815 brachte dem unglücklichen zertretenen
Lande keinen Trost, keinen Aufschwung. Ackerbau, Ge-
werbfleiss, Handel waren im tiefsten Verfalle oder wie ver-
nichtet, das zahlreiche Heer stand ausser allem Verhältniss
zu der Bevölkerung, mit dem Monopol des Brasilischen
Handels hatte Portugal die Hauptquelle seines Reichthums
verloren. Die Verbinduug mit den übrigen überseeischen Pro-
vinzen war unterbrochen; da Hof und Adel in Brasilien sassen,
war das Land zur Dependenz seiner Colonie herabgesunken.
Bald erfolgte die gänzliche Losreissung Brasiliens, und nun
war zwar der Hof wieder im Lande, aber welch' ein König,
dieser Johann VI., der hinfällige Sohn einer wahnsinnigen
Mutter, der verachtete Gatte eines verworfenen Weibes, un-
umschränkter Monarch und doch machtlos. Und zu dem
Allen lasteten noch die Missbräuche und Verkehrtheiten
einer fast dreihundertjährigen Missregierung auf diesem
Lande, so dass auch die beste und weiseste Verwaltung nicht
ohne eine tiefgehende Umgestaltung hätte Hilfe schaffen
können. Nur wenn es zu einer solchen Regeneration kam,
160 OeffentUche Sitzung vom 28. März 1878.
konnte Portugal seine natürlichen Hilfsquellen entwickeln;
erfolgte diese nicht, so wurde ein langsames Hinsiechen in
kläglicher Verkümmerung unvermeidlich sein Loos.
Nur von oben herab, nur vom Monarchen selbst konnte
diese Regeneration Portugals ausgehen, und diesen Dienst
leistete Johann's VI. älterer Sohn, Don Pedro, nach des
Vaters Tode seinem Lande; er gab ihm eine Verfassung,
die wirklich lebensfähig war, wiewohl auch sie anfänglich
von der Mehrheit des Volkes zurückgestossen ward. Es
folgten vier Jahre absolutistischer Reaction, und die Frage :
die Charte oder despotische Monarchie, verwuchs mit dem
Hader der beiden Brüder um die Thronfolge.
Da ereignete sich eine der wunderbarsten Begebenheiten
dieses Jahrhunderts. Don Pedro landete von Terceira aus
mit einem kleinen Heerhaufen von nur 7500 Mann, setzte
sich in Oporto fest, und nahm den Kampf auf mit seinem
Bruder, der über ein vorzügliches, erprobtes Heer von mehr
als 60000 Mann verfügte , der gestützt und gehoben war
durch Alles was dort Macht und Einfluss besass, durch die
Kirche, den Adel und die Volksmassen, der sich im Voll-
besitz aller Hilfsquellen des Landes befand.
Dieser Kampf endigte nach 15' Monaten mit dem voll-
ständigen Siege der Pedroisten, der Einführung der von Don
Pedro als Regent octroyirten Charte und der Thronbesteigung
seiner Tochter Maria. Don Pedro's Heer war in dieser Zeit
stets gewachsen , so dass es gegen Ende des Bürgerkrieges
bis auf 60000 Mann sich vermehrt hatte, während die Armee
seines Bruders trotz der religiösen vom Clerus genährten
Begeisterung, trotz der ihnen täglich gegebenen Versicherung,
dass sie für die Sache Gottes föchten, wie Schnee vor der
Sonne zerschmolzen war.
Herculano hat in einer seiner kleineren Schriften dieses
Phänomen erklärt. Bis zum Jahre 1833 war der Libera-
lismus in Portugal eine gehaltlose Comödie, ebenso reich an
V. DölUnger: Gedächtnissrede. 161
phrasenhafter Rhetorik als arm an .politischem Verstand.
Aber zwei Männer — Herculano nennt sie zwei Riesen —
Don Pedro und sein Minister Mousinho de Sylveira, schufen
die Grundlage , auf welcher heute noch das constitutionelle
Portugal steht, jener als tapferer, entschlossener Krieger und
Feldherr, dieser als Gesetzgeber. Nicht durch das was
Mousinho Neues schuf, ward er der Gründer der heutigen
Staatsordnung — dazu ward ihm die Zeit nicht gelassen — •
sondern indem er die feudalen Bande lösend die Landbe-
völkerung entlastete, so dass die Gesetze vom 16. Mai,
30. Juli und 13. August 1832 wie ein dreimal wiederholtes
Erdbeben wirkten, und Portugal sich zum erstenmal rühren,
seine Glieder gebrauchen, seine Kräfte verwerthen konnte.
Damit war dem Absolutismus der Boden unter den Füssen
weggezogen.
Die Franzosen hatten das schöne Land verwüstet und
verarmt zurückgelassen, und der Bürgerkrieg hatte die all-
meine Zerrüttung, das Chaos, wie es schlimmer dort wohl
nie gewesen, vollendet. Jetzt erst, als unter der Königin
Maria und der von ihrem Vater gegebenen Verfassung ein
Zustand ruhiger Besinnung und freien Aufathmens eintrat,
konnte eine Literatur in dem schwer heimgesuchten Lande
sich wieder bilden. Mit jugendlicher Begeisterung trat
Herculano in die begiunende Bewegung der Geister ein.
Derselben Sache, für die er als Soldat gestritten, wollte er
nun mit seiner Feder dienen. So schrieb er, 26 Jahre alt,
,,die Stimme des Propheten", und hier im Gewände des
alttestamentlichen Prophetenstils , in diesem Erguss einer
zornigen, strafenden Beredsamkeit nimmt sich die ohnehin
so schöne und klangvolle portugiesische Sprache ungemein
vortheilhaft aus. Damals hatte ein Aufstand der sogenannten
Septembristen die Herstellung der demokratischen Verfass-
ung von 1820 erzwungen, um die Chartisten von der Re-
gierung zu verdrängen , der Kriegsminister war ermordet
worden , und Herculano's Unwille wandte sich gegen eine
162 Oeff entliche Sitzung vom 28. März 1878.
Partei, welche in ihrer Selbstsucht die erst kürzlich so
theuer erkauften Errungenschaften gefährdete, und das der
ruhigen Entwicklung so bedürftige Land in die Zuckungen
des Bürgerkrieges zurückzuschleudern drohte. Indess äussert
er in einer 30 Jahre später zur neuen Ausgabe geschriebenen
Einleitung: nach so vielen Erfahrungen und Enttäuschungen
müsse er über die hyperbolischen Invectiven, die er darin
gehäuft, selber lächeln.
In dieser früheren Lebensperiode erscheint Herculano
noch nicht als Gelehrter und Forscher ; er redigirte bis zum
Jahre 1843 eine belletristisch-politische Zeitschrift, Pano-
rama, er gab unter dem Titel: ,,Die Harfe des Gläubigen"
eine Sammlung religiöser Gedichte heraus. Bald darauf
aber begann er seine umfassenden historischen Forschungen
und rüstete sich, der Geschichtschreiber seines Vaterlandes
zu werden, und hier ist es , um die Stellung und die
Leistungen des Mannes zu würdigen, unerlässlich, zwei Dinge
näher in's Auge zu fassen : einmal die Beziehungen Portu-
gals zu anderen Nationen, und dann die Anschauung der
Nation von ihrer eigenen Geschichte und die dadurch be-
dingten Anforderungen an den Darsteller dieser Geschichte.
Drei Völker sind es, mit welchen die Portugiesen seit
Beginn ihres Staatswesens in nähere Berührung gekommen
ßind, und welche einen mächtigen oder entscheidenden Ein-
fluss auf die Geschicke und die Sinnesweise dieses Volkes
erlangt haben oder auch noch immer besitzen: Spanier,
Engländer, Franzosen.
Was die Spanier betrifft, so hat die nahe Stammes- und
Sprachverwandtschaft, die Charakterähnlichkeit, die Gleich-
heit der Bildungsstufe und Sinnesweise doch nicht gehindert,
dass das kleinere Volk gegen den grösseren, stärkeren Nach-
bar Jahrhunderte lang bittere Feindseligkeit nährte. Man
hatte soviel Druck, so schwere und nie ersetzte Verluste
von diesem Nachbar erlitten, man fürchtete so sehr, doch
V. DölUnger: Gedächtnissrede. 163
noch von ihm verschlungen zu werden. Die Zeiten und
Ereignisse, die den Portugiesen ah die glorreichsten galten,
sind gerade jene, in denen sie die Castilianer besiegten und
ihrer Herrschaft sich entrissen. Die Gedächtnisstage dieser
Siege haben sie längst schon als nationale Freudenfeste zu
begehen geliebt, und die sechzig Jahre der Spanischen
Herrschaft (1580 — 1640) nennen sie noch heute die Zeit
der Gefangenschaft. Und noch jetzt ist in Portugal Spa-
nische Literatur die am wenigsten beachtete, und sitzt
wenigstens in den Grenzgebieten der Hass noch so tief,
dass ein deutscher Wanderer (Willkomm) meiut, beide Na-
tionen würden sich, wenn sie einmal ungehindert übereinan-
der herfallen könnten, mit Wohllust morden.^)
In Spanien ist nun aber, auch schon seit 1640, die
Ansicht allgemein: nur wenn die Halbinsel wieder ein ein-
ziges staatliches Ganzes bilde, wenn Portugiesen und Spanier
wieder zusammengehörten, könne Spanien sich wieder zu
früherer Macht und Blüthe erheben. Man nennt das Stre-
ben, die Agitation zu Gunsten dieser Verschmelzung Iberis-
mus. Die Spanischen Staatsmänner haben schon im vorigen
Jahrhundert es als Axiom aufgestellt , dass die Trennung
nur als etwas Vorübergehendes zu betrachten sei, dass
man der Vereinigung der beiden Kronen auf einem Haupte
vorarbeiten . müsse. ^) Erst in diesen Tagen wieder hat der
beredteste der Spanier, Castelar, in der Kammer zu Madrid
der beiden Wunden, die sich nicht schliessen wollen, mit
Trauer gedacht, nämlich Gibraltar's und des getrennten
Portugals, und seine Hinweisung auf die Nothwendigkeit,
dass die lusitanische Küste mit ihren drei Strommündungen
1) Willkomm, zwei Jahre in Spanien und Portugal. 1847,
III, 296.
2) Baumgarten's Geschichte Spaniens zur Zeit der französischen
Revolutioa. 1861, S. 229.
164 Oeff entliehe Sitzung vom 38, März 1878.
wieder spaniscli werde, ist von der Kammer mit einem Bei-
fallssturme aufgenommen worden.
Der Bund mit England bestellt nun schon nahe an
500 Jahre; er begann, als König Jobann I., der Gründer
der neuen Dynastie von Avis, mit dem dortigen Königs-
bause verschwägert, sich dieser Stütze gegen das übermächtige
Castilien bediente. Seitdem erprobte sich England in ent-
scheidenden Momenten als eine starke verlässige, wenn auch
nicht uneigennützige Schutzmacht; nur mit seiner Hilfe
hat das kleine Land dem Spanischen, dem Französischen
Joche sich zu entziehen vermocht, nur ihm verdankt es,
dass es seit der Napoleonischen Invasion keinen äusseren
Feind mehr ernstlich zu fürchten hatte. Einmal freilich,
als die Armee völlig Englisch geworden und Beresford im
Namen des in Brasilien weilenden Königs despotisch herrschte,
da zerbrach die Revolution von 1820 dieses als nationale
Schmach und Erniedrigung empfundene Joch. Doch das
ist nun, wenn nicht vergessen, doch beiderseits verziehen
und durch spätere Wohlthaten von England gesühnt.
Nun sind aber die beiden Völker durch Stamm, Sprache,
durch Denken und Fühlen, durch Sitte und Religion so sehr
von einander verschieden, dass trotz der engen politischen
Verbindung doch ein geistiger oder moralischer Einfluss
des an höheren Gütern so reichen britischen Volkes auf das
ärmere Volk am Tajo und Duero nie stattgefunden hat.
Diesen Einfluss besitzt nur die Führerin der lateinischen
Völker, Frankreich, besitzt ihn in Fülle, und die Portugiesen
der höheren und mittleren Stände richten sich nach Paris,
wie die Moslems nach Mekka. Frankreich entlehnt ist die
Gesetzgebung, die Verwaltung, die Rechtspflege, das Heer-
wesen, Wissenschaft und Literatur der Neuzeit. Französisch
nur wird in Lissabon und Oporto gesprochen, französische
Bücher sind es, welche die dortigen Bibliotheken füllen,
und mancher Portugiese zieht vor, sein Buch französisch zu
V. DölUnger: Gedächtnissrede. 165
schreiben. Es ist diess die Folge jenes zweihuudertjälirigen
terroristischen Druckes und Zwangsystems, durch welches
Kirche und Königthum vereint Bildung und Literatur im
Lande niederhielten und erstickten. War doch Portugal
das einzige Land in ganz Europa, welches von der Refor-
mation so völlig unberührt blieb, dass dort auch nicht ein
einziger Mann, der für die reformatorischen Ideen gezeugt
oder gelitten hätte, genannt werden kann. Die Nation
blieb überhaupt vom Europäischen Geistesleben gründlich
abgeschieden, sie verdankte es nur den politischen Verwick-
lungen und dem Bündnisse mit England, dass man sich von
Zeit zu Zeit auf ihre Existenz besann und sie auch einiger-
massen als ein Culturvolk gelten Hess. Als dann aber
unter Pombal's eisernem Regiment plötzlich neben der In-
dustrie auch Literatur und selbst Wissenschaft im Lande
wieder erwachen und aufblühen sollten, da griff man, um
die eigene Nacktheit zu verhüllen, nach dem reichen fran-
zösischen Vorrathe , Uebersetzungen Pariser Producte sind
seit einem Jahrhundert in Menge erschienen, wobei sich
denn nicht verkennen lässt, dass bei der sehr kleinen Zahl
klassischer Nationalwerke diese massenhafte Importation aus
der Fremde den portugiesischen Styl verschlechtert , ihn
trockner, farbloser, zur Wiedergabe von banalen Wendungen
und Gemeinplätzen besser geeignet gemacht hat.
Hiemit ist nun auch grossentheils schon die Stellung,
die Herculano in der Literatur seines Landes einnimmt,
näher bezeichnet. Der Iberismus ist ihm fremd ; mit Spa-
nischer Literatur scheint er, soweit aus seinen Schriften
sich urtheilen lässt , sich nur wenig beschäftigt zu haben.
Freilich hat auch die frühere Spanische Literatur nach
Cervantes ausser ihrem dramatischen Reichthum nur wenig
zu bieten, das einen Nichtspanier anziehen könnte, da eben
die beiden Reiche der Halbinsel dem gleichen Geistesdrucke
unterlagen, Er hat es aber auch, soviel ich sehe, vermieden,
166 Oe/fentliche Sitzung vom 28. März 1878.
über die an Spanien sich knüpfenden Fragen sich zu äussern,
würde aber sicher eine Unterordnung seines Vaterlandes
unter den grösseren Nachbar als ein schweres nationales
Missgeschick beklagt haben. Mit der französischen Literatur
zeigt er sich vertraut, mehr aber noch mit der deutschen,
der philosophischen, historischen und poetischen. Er weiss
sehr wohl, dass die literarische Abhängigkeit die Portugiesen
dahin gebracht hat, auch ihr politisches Leben genau nach
französischem Vorbild zu gestalten und sich die Geissei einer
Centralisation zu flechten, die den Menschen in jedem Mo-
mente von der Wiege bis zum Grabe bevormundend, hem-
mend, quälerisch begleitet, und keine spontane Lebensbe-
wegung im Volke aufkommen lässt. ^) Um so höheren Werth
legt er auf das ßündniss seines Landes mit England. Wenn
je, sagt er, mein Volk aufhören wollte, Bruder und Freund
des Englischen Volkes zu sein , so müsste es zuerst die
Kirche S. Maria de la Victoria niederreissen, jenes zur Er-
innerung an den von Portugiesen und Engländern zusammen
erfochtenen Sieg von Aljubarotta (1385) errichtete Denkmal,
und auf den Ruinen desselben und über den Gebeinen des
besten Königs, den wir gehabt, Johann's L, müsste der
Herold der Zwietracht verkünden , dass der vierhundert-
jährige Bund erloschen sei.^)
Wenn nun Herculano es unternahm , die Geschichte
seines Vaterlandes zu schreiben, so wusste er wohl, dass
kein Volk in ganz Europa mit einem so stolzen Selbstge-
fühl auf seine Vergangenheit blickt, als das Portugiesische.
Theil weise nicht ohne Berechtigung : in hundertjährigem
Kampfe haben sie ihr Land den Mauren abgerungen, haben
sich dann siegreich gegen das stärkere Castilien behauptet,
sind zuerst hinüber nach Afrika gegangen, sind mit ihrem
1) Opusculos, tomo II: Questoes publicas, p. 236.
2) Opusculos, 11, 289.
V. DölUnger : Gedächtnissrede, 167
Prinzen Heinricli dem Seefahrer bis zum Senegal, hierauf
unter Bartolomeo Diaz bis zur äussersten Spitze Afrika's
vorgedrungen. Als dann ihr Vasco de Gama das Cap um-
schifft hatte, drängte in rascher Folge eine Entdeckung und
Eroberung die andere. Ganz Afrika ward mit einer Kette
von Stationen und Handelsplätzen umsponnen ; in Indien
ward Goa erorbert, Ceylon, Java, die Molukken besetzt,
selbst an China's Küste eine Niederlassung gegründet.
Waren auch die Indischen Erwerbungen auf einige Küsten-
plätze beschränkt, in der Ferne schienen sie doch ein grosses
Reich, welches zu unbegrenzten Erweiterungen Aussicht ge-
währe. Und wirklich besass ja Portugal damals den Welt-
handel und die Herrschaft der Meere, war Lissabon eine
Zeitlang die erste Handelsstadt in Europa, der kleine Staat
in Asien so geachtet und gefürchtet, dass auf einer Per-
sischen Landkarte Portugal als die Hauptstadt der Franken
bezeichnet war. Als nun auch noch Brasilien hinzukam,
war Portugal freilich zu schwach, zu menschenarm und
staatlich zu wenig entwickelt, zu mangelhaft organisirt, um
auf die Dauer so gewaltigen Anforderungen genügen , so
ungeheuere Besitzungen in drei Welttheilen behaupten zu
können. Da indessen der Zusammenbruch der ganzen Herr-
lichkeit doch erst nach der Niederlage von Alcacer und mit
der Spanischen Thronfolge nach Sebastian's Tod eintrat,
so sah die Nation eben nur in jenem einen Afrikanischen
Unglücksschlag und noch mehr in der ohnehin verhassten
Spanischen Herrschaft die Ursache ihres traurigen Nieder-
ganges und tiefen Falles. Wehe dem Portugiesen, der es
gewagt hätte, an die schweren Missgriffe und argen Frevel
zu mahnen, welche frülie schon mit den heroischen Thaten
und glänzenden Eroberungen Hand in Hand gingen. Das
Volk war und ist noch immer mehr geneigt, rückwärts
schauend seine Vorfahren wie verklärt im Heiligenscheine
unverschuldeter Trübsal sich vorzustellen, als in ernster
168 Oe ff entliehe Sitzung vom 28. März 1878.
Anspannung der Kräfte an der Verwirklichuiig eines erreich-
baren Masses von Macht und Wohlstand zn arbeiten.
Fumos, ja näo somos (wir waren einst, jetzt sind wir nichts)
sagt noch in unseren Tagen Almeida Garrett, der vorzüg-
lichste Dichter der Nation seit Camoens, und dieses Wort
tönt nun schon durch Jahrhunderte fort, und hat früher in
der so tief gewurzelten und zähen Erwartung des wieder-
kehrenden Sebastian's als eines politischen Nationalmessias
phantastisch sich ausgesprägt. *)
So ist nun aber der Nationalruhm , die unbefleckte
Glorie des Portugiesenthums ein Götze geworden, dem vor
Allem die schlichte geschichtliche Wahrheit zum Opfer
fallen muss. Der Historiker soll, wenn er nicht als Feind
der Nation und der Kirche verfolgt werden will, geschehene
Dinge verschweigeu , soll nicht gescheheue Dinge berichten,
soll der Kritik, wo sie unbequem wird, entsagen, und da,
wo Schweigen unmöglich wäre, wenigstens beschönigen.
Ein Beispiel : die Portugiesen sind es , welche durch ihre
Könige und durch den päpstlichen Stuhl sich haben ermächtigen
lassen, Muhammedaner und Heiden, Mauren und Neger zu
Sklaven zu machen. Papst Nikolaus V. ertheilte im Jahre
1455 zuerst diese Vollmacht, Calixtus HI. bestätigte sie,
und Alexander VI. hat dann den Spaniern für ganz Amerika
dasselbe Recht, die Indianer zu Sklaven zu machen, ver-
liehen.^) Daraus ist die Vertilgung ganzer Völker, daraus
der auch heute nach den beharrlichsten Anstrengungen Eng-
lands noch nicht ganz unterdrückte Sklavenhandel mit
seinen unsagbaren Gräueln und der Hinopferung ungezählter
Millionen von Menschenleben entstanden. Das Volk fand
1) Vgl. die Revista Iberica, Madrid, 1862, 11, 80.
2) Die Bulle Nikolaus V. in dem Quadro elementar das relagoes
polit. de Portugal, pelo Visconde de Santarem e Rebello da Silva,
Lisboa 1866, t. X, p. 55. Ueber die Bullen Calixtus III. und Alexan-
der VI.; vgl. Solorzuno, de Indiarum jure, 1, 640 und 717.
V. DÖlUnger: Gedächtnissrede. 169
bald das Sklaveiilialfcen so bequem, dass im Jahre 1535,
wie der Niederländer Cleynaerts von Lissabon meldet, es
dort mehr Sklaven als Freie gab. ^) Die Folge war, dass
jedes Handwerk und jede Arbeit theils Fremden, theils
Sklaven überlassen wurde, der Portugiese aber unter dem
hinzutretenden Einflüsse der Menge von Feiertagen und des
Vorbildes von Schaaren müssiger Ordensgeistlichen die Ar-
beit als etwas Unehrenhaftes, das Betteln dagegen als ehren-
voll zu betrachten sich gewöhnte, wie denn heute noch die
unglaubliche Trägheit des Volkes jedem Fremden sofort beim
Eintritte in das Land auffällt. Und noch andere Ringe
hängen an dieser verhängnissvollen Kette hier wie in
Spanien : die Masse des unbebauten Landes und der nun
schon so lange am Marke des Königreichs zehrende Scha-
den: das Defizit. Der Sklavenhandel, von Portugiesen be-
trieben, hat nun an vier Jahrhunderte schon fortgewährt,
seit 1814 nicht mehr im Namen und unter dem offenen
Schutz der Regierung, wiewohl noch im Jahre 1837 der
Minister Vasconcellos öffentlich erklärte, er sei dem Reiche
unentbehrlich. Jüngst hat nun freilich einer der Minister
in der Kammer erklärt, die Regierung habe sich hohe Ver-
dienste um die Abschaffung der Sklaverei erworben, unter-
dess aber wird, wie von Oporto aus verlautet, der Sklaven-
handel noch immer im Afrikanischen Binnenlande von
Portugiesen betrieben.^) Man sieht aber, die Zeit ist noch
immer nicht gekommen, in der ein Geschichtschreiber oder
Staatsmann dort es ungestraft unternehmen könnte, seinem
Volke einen Spiegel seiner Thaten mit offener Hinweisung
auf Ursachen und Wirkungen vorzuhalten. Herculano hat
es denn auch, soweit ich seine Schriften kenne, vermieden.
1) Annaes das sclencias e lettras, publ. pela Academia real das
sciencias, 1857, t. I, p. 315.
2) Allgem. Zeitung, 1877, 839.
170 Oeff entliehe Sitzung vom 28. März 1878.
dieses böse Gescliwür zu berühren , so nalie ihm auch die
Veranlassung dazu j^c^legt war, und so kühn und offen er
auch sonst den Finorer auf die Wunden seines Landes zu
logen pflegt.
Nun aber jene Fabeln, jene vom Selbstverherrlichungs-
triebe ersonnenen Ausschmückungen und Legenden — ^ sie
wuchern in der portugiesischen Geschichte so reichlich, und
vorzüglich sind es die Anfänge des Reiches, welche unter
den Händen der nüchternen Kritik, wie sie Herculano in
seinem Hauptwerke geübt hat, ihres traditionellen Aufputzes
verlustig gehen. Das grosse Werk der Cistercienser Bernardo
Brito und Brandao, mit der Fülle von Fabeln und unächten
oder im Interesse nationaler Vorurtheile verfälschten Ur-
kunden, das indess immer als die feste Grundlage der Lan-
desgeschichte galt, ist durch die neue Darstellung unseres
Autor's auf die Stufe einer zwar sehr unzuverlässigen aber
doch noch brauchbaren Materialiensammlung herabgedrückt.
Die Schlacht von Ourique , welche als die Geburtsstunde
der Monarchie gilt, war, wie Herculano zeigt, weder so
grossartig noch so folgenreich, als späterer Patriotismus
sie gemacht hat; die Ausrufung Alfonso's zum Könige auf
dem Schlachtfelde erscheint bei ihm als eine spätere Er-
findung. Den populären, auf eine erdichtete Urkunde gestützten
Lieblings-Mythus, welchem zufolge Graf Alfons vor der
Schlacht durch eine göttliche Offenbarung aus dem Munde
Christi selbst belehrt wurde, dass Portugal nach himmlischem
Rathschluss ein für immer göttlicher Gnade theilhaftiges
Volk und Königreich sein und sein Geschlecht bis in's
sechszehnte Glied es beherrschen werde — Herculano hat
das Alles auch nicht der Erwähnung werth gehalten. Und
so hat er auch die Cortes von Lamego, deren Text noch
im Thronstreit zwischen der Königin Maria und ihrem Oheim
Don Miguel als Staatsgrundgesetz angerufen wurde, still-
schweigend zu den Todten geworfen, obgleich noch Schäfer,
V. Döllinger: Gedächtnissrede. 171
dessen Werk Herculano selber für die beste Geschichte
Portugals erldärt, sie preiszugeben sich nicht entschliessen
konnte. ^)
Schon in der Vorrede hatte Herculano erklärt : Patrio-
tismus könne den Dichter begeistern und dem Styl Farbe
geben, für den Historiker aber sei er ein schlechter Be-
rather. Er hat das wohl nicht so allgemein verstanden, als
es klingt, er wusste sicher, dass es gerade die Liebe ist,
die den Blick schärft und der Darstellung Wärme und Leben
verleiht, auch hat er sich stets im Leben als warmen Pa-
trioten erwiesen ; aber jenem falschen Patriotismus gegen-
über , der dort den Wahn und die Lüge nicht antasten
lassen will, weil sie für politische und kirchliche Interessen
nützlich seien, hatte er Recht.
Der Rückschlag erfolgte sofort, und Herculano musste
es schmerzlich empfinden, welch ein gefährliches Werkzeug
historische Kritik und Forschung in einem Lande sei, wo
eine künstlich gemachte Tradition mit noch immer mächtig
vertretenen Interessen verwachsen ist. Er hatte gezeigt,
dass das alte Lusitanien und das heutige Portugal weder
geographisch noch ethnologisch sich decken, dass die heutigen
Portugiesen ein Mischvolk von Leonesen und Mauren oder
Saracenen seien; Portugal, führte er aus, sei erst im 12.
Jahrhundert in einem Winkel von Gallicien ohne allen Ein-
fluss der früheren politischen Theilungen entstanden, und
habe dann das saracenische AI - Gharb allmälig sich ange-
gliedert. Dabei ist zu erinnern, dass die Gallicier, Gallegos,
in Portugal sehr zahlreich und zugleich, weil sie die von
den Portugiesen verschmähten Arbeiten verrichten, verachtet
sind. Zu diesem Attentat gegen die Nationalehre des auf
1) Brandao, der diese mit Geschick verfertigte Fiction zuerst ver-
öffentlicht hat, that diessdoch nur mit einer Entschuldigung, die erkennen
lässt, dass er selber im Grunde nicht an deren Aechtheit glaubte.
[1878. I. Philos.-philol.-hist. Cl. 2.] 13
172 Oeff entliehe Sitzung vom 28. März 1878.
seinen Viriathus stolzen Portugals kam noch ein anderes:
er hatte den Antheil, den deutsche Kreuzfahrer an der Er-
oberung Lissabons genommen , gebührend hervorgehoben,
und so geschah, dass in der Provinz Alemtejo in einer
Denkschrift gegen das abgetretene Ministerium auch der
feilen Feder eines Historikers gedacht wurde, welcher die
portugiesische Nationalität verächtlich machen wolle. ^) Schlim-
meres noch stand bevor: Wie er in einer späteren Schrift
nicht ohne Humor berichtet, erhoben sich Ankläger in
Menge gegen ihn : er habe mit seinem Buche ein grosses
Aergerniss gegeben , es sei antipatriotisch , gottlos , blas-
phemisch, lutherisch, er selber habe sich den Fremden ver-
kauft, sei ein Manichäer, ein Ikonokiast, ein Hochverräther
und Feind der vaterländischen Ehre. Ich hätte, sagt er,
als ächte Quellen der Geschichte anerkennen sollen die
Pöbelsagen, die frommen Betrügereien, die Illusionen des
Aberglaubens, die nationalen Vorurtheile, die Erzählungen
alter Weiber. Ich hätte, scherzt er, mittels der Geschichte
zeigen sollen, dass jeder Portugiese soviel werth sei als drei
Spanier und zwei Franzosen oder Engländer.
Wenn nun schon diese Schmähungen und Verdächtig-
ungen dem reizbaren Manne den erwählten Beruf verleideten,
so kam noch ein Ereigniss, in welchem er eine persönliche
Kränkung sah , hinzu , ihn vollends zu entmuthigen. Die
Akademie , deren Präsident Herculauo war , hatte die Ent-
hebung ihres Sekretärs beantragt , dessen Gebahren seit
Jahren den Unwillen der Gesellschaft erregt hatte; die Re-
gierung aber ernannte den Mann zum Vorstand des Reichs-
archivs, der sog. Torre de tombo. Nun hatte Herculano
mit Beihilfe anderer Mitglieder der Akademie die Heraus-
gabe der Portugiesischen Geschichtsquellen nach dem Muster
1) Zu der Note zum Monge de Cister , Lisboa 1848 , II, 272 ff.
und in der advertencia zum 4. Bd. der historia de Portugal.
V. Döllinger: Gedächtnissrede. 173
der deutschen Monumenta unternommen; die Urkunden be-
fanden sich grösstentheils in diesem Archiv, und so war
Herculano und der Fgrtgang des grossen Werkes plötzlich
abhängig geworden von dem Wohl- oder Misswollen eines
Mannes, den sie von sich ausgestossen hatten. Da legte er
die Präsidentschaft der Akademie nieder und erklärte, die
begonnenen historischen Werke nicht fortführen zu wollen.
So ist denn sein Hauptwerk nur bis zum vierten Band
gediehen, und umfasst wenig mehr als Ein Jahrhundert
der Portugiesischen Geschichte. Es ist indess ohngeachtet
der Anfeindungen durchgedrungen, verbreitet in 4000 Exem-
plaren in drei Auflagen — ein für dortige Verhältnisse ausser-
ordentlicher Absatz.*) Wer dort stimmfähig ist, äussert
sich in hoher Anerkennung von Herculano's grundlegenden
und mustergültigen Leistungen, wie diess namentlich Re-
bello da Silva , der beste Kenner der portugiesischen Ge-
schichte unter den Lebenden, thut.
Bald nach dem 1. Bande seines grossen Geschichts-
werkes hatte Herculano ein anderes Werk unternommen,
das denn freilich geeignet war, die durch das Frühere ge-
weckte Erbitterung noch beträchtlich zu steigern. Es ist
diess eine dreibändige Geschichte der Einführung und der
ersten zwanzig Jahre der Inquisition in Portugal, zu wel-
cher er die Quellen, Tausende von Processakten , die Cor-
respondenz zwischen dem Könige und den Päps'ten, die
Instructionen und Briefe der königlichen und päpstlichen
Agenten, in der Bibliothek zu Ajuda, deren Vorstand er
war, vorfand. Er hat damit Klarheit und Gewissheit in
ein bisher vielfach dunkles und arg entstelltes Gebiet ge-
bracht, aber freilich eine Klarheit, wie wenn die Laterne
des Häschers plötzlich ihr Licht in eine Räuberhöhle und
ihre blutigen Orgien würfe.
1) Diese Angaben hat F. de Silva im Diccionario A. v. Harculano.
13*
174 Oeff entliehe Sitzung vom 28, März 1878.
Ehe die hier enthüllten Vorgänge bekannt waren, hatte
Southey im J. 1811 die Portugiesische Inquisition definirt
als eine Association zur Verbrennung von Personen ') wegen
wirklicher oder vorgeblicher Jüdischer Meinungen oder Ge-
bräuche, um sich ihres Vermögens zu bemächtigen. Hercu-
lano's Buch hat die Wahrheit dieser Definition bestätigt,
aber es hat noch vieles Andere an den Tag gebracht : vor
uns entrollt sich eine verhängnissvolle Kette von Fanatis-
mus, Heuchelei, Habgier, Bestechlichkeit und Grausamkeit,
welche die Bezeichnung: drama de flagitios (Drama von
Schandthaten) die der Verfasser selbst seiner Darstellung
gibt, vollkommen rechtfertigt. Was bisher nicht bekannt
war, das ist insbesondere der spannende wechselvolle Verlauf
der Verhandlungen mit E,om , wo die unglücklichen Neu-
christen durch immer fortgesetzte Geldspenden einige Milde-
rungen oder Bürgschaften gegen das mörderische Process-
verfahren zu erwirken suchten, der König aber endlich als
der Meistbietende bei Paul HI den Sieg davontrug, und eine
Bulle erlangte, welche die gräuelvolle Thätigkeit des Glau-
benstribunals für zwei Jahrhunderte festigte.
Einem Manne von so dichterischer Begabung wie Her-
culano sie hatte, lag es nahe, sich auch im historischen Roman
zu versuchen , und die Stoffe dazu der vaterländischen Ge-
schichte zu entlehnen. Ohne Zweifel hat ihn Walter Scott's
Vorbild dazu ermuntert, wie denn nur durch den Einfluss
des grossen Schottischen Dichters diese Gattung des Romans
auch in Deutschland, England, Frankreich eine so weite
Verbreitung gewonnen hat.
Nun befindet sich aber unter allen den Namen, die
hier zu nennen wären, kein einziger Historiker von Beruf,
denn wenn wir von Xenophon absehen, der neben seinen
beiden geschichtlichen Werken auch einen historischen Ro-
1) Quarterly Review, I, 287.
V. DölUnger: GedäcMnissrede. 175
inaD , die Cyropädie geschrieben hat, so wüsste ich von
ächten Geschichtschreibern nur noch Sismondi anzuführen,
dessen Julia Severa aber auch nicht den bescheidensten Er-
wartungen entspricht. Salvandy's trefflicher Don Alonso
war bei seinem Erscheinen zu nahe an die Gegenwart heran-
gerückt, um als historischer Roman zu gelten.
So steht also Hercuhmo in der Literatur allein. Kein an-
derer hat die strenge historisch-wissenschaftliche Darstellung
mit dem Flug und Schwung der Dichtung so zu vereinigen
gewusst ; er der gründliche Historiker hat es wirklich ver-
standen, in seinen Romanen nicht etwa blos aus geschicht-
lichen und antiquarischen Notizen zusammengeknetete Fi-
guren, sondern Gestalten von Fleisch und Blut, die doch
in der richtigen Beleuchtung ihres Zeitalters stehen , vorzu-
führen. Weniger freilich in seinem, von Heine in's Deutsche
übersetzten ,,Eurich'', denn für den Sturz des Westgothen-
reichs durch die Saracenen , welcher hier dargestellt wird,
sind die Quellen viel zu dürftig, um ein historisch treues
Bild von dem damaligen Zustande des christlichen Spaniens
zu ermöglichen. Glücklicher gewählt und besser gelungen
ist sein zweiter Roman „Der Cisterciensermönch" , welcher
sich mit der Epoche der Portugiesischen Geschichte unter
König Johann I. am Beginne des 15. Jahrhunderts beschäftigt.
Hier fliessen die Quellen viel reichlicher und der Zeit-
punkt ist einer der glänzendsten und beweguugsvollsten in
der Portugiesischen Geschichte. Damals wurde die Unab-
hängigkeit des Reiches durch den Sieg über Castilien be-
festigt , die folgenreiche , nie mehr zerrissene Verbindung
mit England eingegangen, der Anfang zu den Afrikanischen
Eroberungen gemacht. Aber Herculano's Phantasie scheint
unter dem Eindrucke seines langen Studiums der Inquisitions-
acten gestanden zu sein, denn sie neigt sich der Schilderung
der finsteren Abgründe des menschlichen Herzens zu , und
so bietet die Katastrophe in beiden Romanen, vorzüglich im
176 OeffentUche Sitzung vom 38. Man 1878,
Cistercienser, ein entsetzlich grauenvolles Bild. Gleicbwohl
gab die durchgreifende Wirkung, welche das Buch in
der Heimath hervorbrachte, sich alsbald durch die grosse
Zahl der seitdem erschienen Romane kund , die Alle aus
der Landesgeschichte geschöpft und sich Herculano zum
Vorbild genommen haben. Unter ihnen werden die Dich-
tungen von Rebello da Silva, von Marreca und Andrade
Corvo als besonders gelungen bezeichnet.
Herculano war für die Ehre, für die Wohlfart seines
Volkes in tiefster Seele erglüht. Dennoch hat er den Ver-
such, dem Gemeinwesen auch im politischen Leben zu dienen,
nur einmal gemacht, und sich dann für immer von der
parlamentarischen Thätigkeit zurückgezogen. Selbst als ihn
im J. 1862 die Regierung zum Pair des Reichs und zum
Grosskreuz des Ordens von S. Tiago ernannte, lehnte er
beides ab. Wiederholt wurde ihm ein Mandat für die Kammer
angeboten; er aber erwiederte: als er einmal ein solches
angenommen , da habe er bald erkennen müssen , dass er
einer Illusion unterlegen sei ; bussfertig habe er seine Kleider
vom Schmutz gereinigt , sein Antlitz gewaschen , und sich
aus der Politik heraus in den Schooss der sittlichen Welt
geflüchtet. Seine Empfindungen waren eben dieselben, wie
die, welche um die gleiche Zeit der Spanische Minister-
Präsident in der Kammer zu Madrid aussprach : „Ich kann
in dieser mephitischen Atmosphäre nicht leben, wo Seele
und Gedanke jeden Augenblick in der Erbärmlichkeit per-
sönlicher Interessen und Intriguen versinkt, wo die gehäuften
Enttäuschungen schliesslich jeden Glauben zerstören." *)
Hatte doch Herculano nur in den 15 Jahren von 1836 bis
1851 nicht weniger als 17 Aufstände erlebt, und sind doch
dort Kabinetskrisen , Ministerwechsel, Kammer-Auflösuugen
1) Edgar Quinet: Mes vacances en Espagne. Oeuvres completes,
IX, 43 ff.
V. Döllinger: Gedächtnissrede. 177
und Neuwahlpn so sehr an der Tagesordnung, dass ein
Kabinet, welches sein Dasein auf 12 bis 14 Monate bringt,
schon für langlebig gilt. Und dabei handelt es sich zum
allermeisten nicht um Principien, nicht um ernste über Wohl
und Weh des Landes entscheidende Fragen, sondern um die
Interessen von Parteien oder vielmehr von Coterien, die es
nicht einmal zur Bedeutung einer politischen Partei bringen.
Wie denn die Jagd nach Ehrenstellen und die Begierde nach
äusseren Auszeichnungen nirgends so weit getrieben wird,
wie in Portugal.
Wie er keiner Partei angehöre, sagt Herculano einmal,
so bekämpfe er auch keine. Chartismus und Septembris-
mus, die so lange mit einander um die Herrschaft gerungen,
seien ohnehin bereits zwei auf dem Kirchhof der Geschichte
begrabene Leichname. Gegen die drei Factionen, die nach
jenen bis auf die Gegenwart abwechselnd die Regierung be-
sessen oder Opposition gemacht haben, die Regeneratoren,
die Historiker nnd die Progressisten, verhielt er sich gleich-
falls indifferent, Wohl musste auch er in tiefster Seele
sich gekränkt fühlen, als im Mai 1870 ein für die ganze
Nation so scbmachvolles Ereigniss eintrat, als der Herzog
von Saldanha einige Regimenter zur Meuterei verführte, in
den Palast seines Königs eindrang, und ihm trotz des Pro-
testes der beiden Kammern seine Ernennung zum Minister-
Präsidenten abtrotzte, — bald darauf aber, wie die Wahlen
gegen ihn ausfielen , als Botschafter mit enormem Gehalte
sich nach England senden Hess. In einer kurz darauf er-
schienen Schrift äusserte er, er vermeide es auch nur in
Gedanken sich mit den öffentlichen Zuständen zu beschäf-
tigen; es mache ihn zu traurig.
Allein tiefer und schmerzlicher noch als diesen acuten
Ausbruch der auf der ganzen Halbinsel einheimischen Krank-
heit der Soldaten-Meuterei empfand Herculano das chronische
Leiden des gesammten staatlichen und socialen Lebens,
178 Oeff entliche Sitzung vom 28. März 1878.
Er hat in einer seiner Schriften mit beredten Worten
die Schäden und Gebrechen seines Landes geschildert. ^)
Oben an steht ihm die herrschende Gallomauie, die natür-
liche Folge des früheren Geistesdruckes, der jede Erörterung
politischer Materien, jede Bildung einer Literatur über Staats-
wesen unmöglich gemacht hatte, so dass als das alte System
zerfallen war, die Portugiesische Geistesarmuth Gedanken,
Kenntnisse, Einrichtungen von Frankreich entlehnen musste.
Damit aber hielt auch die Centralisation der Verwaltung
ihren Einzug, in der Herculano das schlimmste Uebel, den
Tod alles socialen und politischen Lebens, das Absterben
der vom Absolutismus noch übrig gelassenen Reste munici-
paler Selbstverwaltung erkannte. Er schildert , wie auch
dort das Volk, der Selbsthilfe entsagend, von der Regierung
alles hoffe und fürchte, Alles, auch das Unmögliche von ihr
verlange und sie dann verwünsche. Er zeichnet noch manche
Schattenseiten, namentlich das elende Volks-Schulwesen, das
eine offizielle Lüge sei.
Sobald indess Herculano aus der trüben Gegenwart in
die Vergangenheit, die Zeiten vom 16. Jahrhundert bis zum
Beginn des jetzigen blickte, musste er doch zugeben, dass
damals ein moralischer Verfall, eine Corruption selbst in den
sittlichen Vorstellungen geherrscht habe, weit schlimmer,
als Alles was heute dem Beobachter missfallen und Besorgniss
erregen kann. Portugal sei doch glücklich daran, meint er,
dass solche Zustände, wie sie noch zu Pombal's Zeiten ge-
wesen, unmöglich mehr zurückkehren könnten.^)
1) In der Carta aos Eleitores de Cintra im Jahre 1858, in den
Opusculos, II, 227 ff.
2) In der Schrift Mousinho da Silveira, der einzigen französisch
von ihm geschriebenen, Opusculos, 11, 214, sagt er von der Zeit Pom-
bals (1750—77): cette epoque de decadence morale, pire cent fois que
le relächement actuel, et dont le retour est devenu maintenant ira-
possible. Malouet, der damals als Gesandtschafts-Secretär in Lissabon
V. Döllinger : Gedächtnissrede. 179
Den Wählern von Cintra, die ihn eingeladen, sie in
der Kammer zu vertreten, rieth er in einem merkwürdigen,
durch die anschauliche Schilderung der Landeslage lehrreichen
Schreiben , eine Kirchthurmwahl vorzunehmen, d. h. einen
mitten unter ihnen lebenden verständigen Mann zu wählen,
und ja nicht einen Redner oder Agitator von selbsterwähltem
politischen Berufe; nur auf diesem Wege werde man endlich
zur wahren Freiheit, der Verwaltung des Landes durch das
Land gelangen.
Tiefe Schatten, spärliche Lichter, das ist der Eindruck
vom Zustande Portugals, den Herculano's politische Schriften
in der Seele zurücklassen, und auch den Spaniern ist es
aufgefallen, dass Portugiesische Staatsmänner über ihr Volk
und dessen Aussichten entmuthigter und hoffnungsloser sich
äussern, als die Spanischen über das ihrige.
Im Jahre 1866 äusserte er in seinem ersten Schreiben
über die Civilehe, er habe keine Hoffnung für das Land
seiner Geburt und glaube nicht an dessen Zukunft. Was
ihn so entmuthigte und pessimistisch stimmte, war der
Mangel sittlicher Kräfte in den höheren leitenden Stän-
den , der Verfall des durch Immoralität auch physisch ver-
kommenen Adels, die Bestechlichkeit der Beamten, der Bil-
dungsmangel und die Missachtung des darbenden Klerus,
der Geist der Meuterei in der Armee. Schwer freilich wiegen
diese Dinge in der Wagschale, in der die Geschicke der Völker
gewogen werden. Aber Herculano wusste doch auch, was
Alles in die andere Wagschale gelegt werden muss; dass
die Monarchie, gehoben durch die Tüchtigkeit, Mässigung
und Verfassungstreue der drei Könige aus dem Hause
weilte und die Zustände des Landes sorgfältig studirte, sagt darüber:
Tout ce qu'on pouvait dire alors de ce pays se reduirait ä peu ou point
d'industrie, point d'instruction, mauvais gouverneraent, mauvaises moeurs,
peuple miserable et degrade par la superstition et par un despotisrae
Ignorant. Memoires, 2e edition, Paris 1874, I, 17.
180 Oejf entliehe Sitzung vom 28. März 1878.
Koburg voll Lebenskraft ist; dass Portugal frei ist von
der Feindschaft verschiedener Stände oder Volksklassen
gegen einander ; dass wenn auch in den beiden Hauptstädten
des Landes, Lissabon und Porto, anarchische Elemente vor-
handen, doch die grosse Masse des Volkes politisch gesund und
dem Königthum ergeben ist. Herculano hatte wiederholt, das
Land durchwandernd und studirend, sich überzeugt, dass das
Landvolk, durch die Revolution von 1833 entlastet^und freier
Bewegung zurückgegeben, unermesslich gewonnen, dass
durch die in Folge dieser Revolution erfolgte Abschaffung
der todten Hand und besseren Vertheilung des Grundbesitzes
das Proletariat sich wesentlich vermindert habe; er erlebte
auch noch die Aufhebung der Majorate. Auf das ge-
fährliche Streben einer weit verbreiteten Partei, die Wohl-
thaten und Rechte, die das Jahr 1833 der Nation gebracht,
ihr allmälig wieder zu entreissen, weiset Herculano mehr-
mals sorgenvoll und warnend hin. Dass sie ihre Absicht
erreiche, hat er nicht für möglich gehalten ; aber er scheint
gefürchtet zu haben, dass der jedenfalls in die Länge sich
ziehende Kampf die sittlichen und physischen Kräfte der
Nation erschöpfen , und dann am Ende doch Portugal von
Spanien verschlungen werde, obwohl dieses an gleichem oder
noch schlimmerem Siech thum leide.
Noch bleibt uns , indem wir Herculano's vielseitige
Geistesthätigkeit überblicken , eine Seite derselben zu be-
trachten, die religiös-kirchliche. Die Schriften, in denen
er seine Ueberzeugung über die diesem Gebiete angehörigen
Fragen ausspricht, sind mit besonderer Energie der Gedanken
wie des Styles geschrieben und unverkennbar haben hier
Einsicht und Wille, lebendiges persönliches Glaubens-
bewusstsein und patriotische Aufregung zusammen einen
höheren Wärmegrad der Rede erzeugt. Herculano war auf-
richtig gläubiger Christ, wie er sich schon in den Gedichten
seiner Jugendjahre als solcher zu erkennen gab; er ist es
V. DölUnger: Gedächtnissrede. 181
auch stets und bis zu seinem Tode geblieben. Als Historiker,
als Christ, als Bürger Portugals befehdete er das System,
das ültramontanismus heisst, uud das gerade dort ein so
schlimmes Andenken hinterlassen, dem Lande so viel Blut
und Geld gekostet, so schmerzliche materielle und geistige
Opfer auferlegt hatte. Ihm schwebte vor die Erinnerung
an die Cruzada und ihr Tribunal, an die CompositionsbuUe
und deren entsittlichende Wirkungen, an das Unwesen der
Ritterorden, deren reiche Pfründen , die Commanderien, mit
Pfarrzehnten ausgestattet, dem Luxus des Hofes und der
Günstlinge dienen mussten, während der darbende Seelsorger-
klerus von dem gleichfalls nothleidenden Volke ernährt
werden musste. Auch hat er daran erinnert, dass ehedem
der Klerus an allen Räubereien und Erpressungen des könig-
lichen Fiskus sich betheiligt habe. Pius IX. hatte im Jahre
1862 ein Schreiben an die Portugiesischen Bischöfe erlassen,
welches auch in diesem Lande den Klerus zum Kampf gegen
die staatliche Ordnung aufzurufen bestimmt war, wie es
dem in Rom seit 1850 erwählten Systeme entsprach. Je-
dem Staatsgesetze, welches mit irgend einem Kirchengesetz
in Widerspruch stehe, sollten die Bischöfe den Gehorsam
versagen, und das Volk belehren, dass es im Conflikt von
Staats- und Kirchengesetzen nur den letzteren zu gehorchen
hätte. Hätten die Bischöfe damit Ernst gemacht, so wäre
wohl ein religiöser Bürgerkrieg dort ausgebrochen, denn
auch dort wie in allen Culturländern ist eben die Verfassung
and der gesammte sociale Zustand unvereinbar mit dem
päpstlichen Kirchenrecht. Zudem hatte der Syllabus, wie
Herculano hervorhebt, die Grundlagen auch der Portugie-
sischen Staatsordnung so gut wie die anderer Nationen ver-
dammt.
So wirkte, noch ehe die Vaticanischen Dekrete er-
schienen waren. Vieles zusammen, Herculano als einen grund-
sätzlichen Gegner der Römischen und einheimischen Hierarchie
182 Oeffentlichc Sitzung vom 38. März 1878.
erscheinen zu lassen, um so gefährlicher, als er, wie das
ganze Land wusste, ein ernst religiöser, französischem In-
difFerentismus und Skepticismus durchaus fremder Mann
war. Schon hatte der Streit über die Vorgänge vor und
nach der Schlacht von Ourique, der nicht weniger als 25
Pamphlete erzeugte , ^) Bedeutung uud Gestalt eines für und
gegen die Kirche geführten Kampfes angenommen, und Her-
culano half dazu, indem er seiner Vertheidigungsschrift den
Titel gab; ,,Ich und der Klerus" (Eu e o Clero). Es scheint
nun kaum verständlich, wie die Frage, ob gewisse Ereignisse
des zwölften Jahrhunderts geschehen oder nicht geschehen
seien, einen so dogmatischen Charakter annehmen und als eine
Lebensfrage der portugiesischen Religion behandelt werden
konnte. Die Sache hat ihren Grund in den eigenthüm-
lichen Verhältnissen Portugals. Die grosse Macht und der
Reichthum des dortigen höheren Klerus gründeten sich auf
die Vorstellung, dass dieses Volk und Reich speziell von
Gott zur steten Führung des Glaubenskampfes auserwählt,
seine Wohlfahrt und Grösse an die treue Erfüllung dieses
Berufes geknüpft seien. Jene Fabeln waren ersonnen wor-
den , um den Glauben an diesen göttlichen Beruf und den
unbedingten Gehorsam gegen die Kirche einzuprägen, wel-
cher die religiöse kriegerische Begeisterung der Nation zu
nähren und ihr die Ziele anzuweisen obliege. Je ungün-
stiger nun die Ereignisse der jüngsten Zeit für den Klerus
sich gestaltet hatten, je grösser gerade dort der Verlust
der Kirche an Besitz und Autorität war, desto tiefer war
die Erbitterung gegen den Historiker, der so kalt und vor-
nehm mit diesen kostbaren, lange trefflich erprobten Legen-
den aufgeräumt hatte.
Herculano hatte als Mitglied der mit dem Entwurf eines
1) Sie sind alle aufgeführt in dem Diccionario Bibliografico Por-
tuguez von J. P, da Silva, Lisb. 1859, II, 243.
V. DölUnger : Gedächtnissrede. 183
Civilgesetzbiiches betrauten Commission mit Rücksicht auf
die zahlreichen in Portugal ansässigen nicht katholischen
Ausländer Sorge getragen, dass die fakultative Civilehe darin
Aufnahme fand. Diess zog ihm neuerdings Angriffe zu ;
man hielt ihm entgegen , die katholische Religion sei laut
der Charte Staatsreligion, folglich auch ihr Ehegesetz Staats-
gesetz, demnach stehe eine Civilehe auf portugiesischem
Boden selbst mit der Verfassung in Widerspruch. Hercu-
lano vertiefte sich in diese Frage, liess erst vier Sendschreiben,
dann drei Hefte ,, Studien" darüber erscheinen, ^) und führte
unter anderm darin aus, dass die Gegner die Andersgläu-
bigen zu einem Akt, nämlich der priesterlichen Trauung
zwingen v^ollten, der dann in den Augen der Katholiken
die Profanation einer heiligen Handlung, eine der Religion
zugefügte Beschimpfung sei. Seine Schriften scheinen über-
zeugt zu haben, denn am 1. Juli 1861 erklärte ein Gesetz
die Gültigkeit der Civilehe für alle Nichtkatholiken.
Wer Herculano's Gesinnungen kannte, wusste zum
Voraus, wie er die Dekrete des Vaticanischen Concils auf-
nehmen werde. Ihm dem gläubigen Christen und gründ-
lichen Historiker erschienen sie als ein furchtbarer Frevel,
ein Bruch mit der überlieferten Lehre, eine Veränderung
der Glaubenslehre, während früher stets die Unwandelbar-
keit des Dogma als die wesentlichste Eigenschaft der Ka-
tholicität gegolten habe. Er hat denn auch einige Monate
nach dem Schluss des Concils in einer Flugschrift ^) in
seiner beredten und tief einschneidenden Weise sich darüber
verbreitet, welch ein Gräuel und Aergerniss ihm diese Ver-
fertigung neuer Glaubensartikel sei, wie sie Pius IX. unter
Anleitung des Jesuiten aufgebracht habe. Er forderte die
1) Estudios sobre o casamento civil Lisboa 1866, Serie 1—3.
2) A suppressäo das conferencias do Casino 1871, in den Opus-
culos, I, 255 ff.
184 Oeif entliehe Sitzung vom 28. März 1878.
Regierung auf, den Beschlüssen und neuen Lehren jede
staatliche Anerkennung zu versagen, denn sie zerstörten die
Continuität der Kirche , die doch gerade durch den Wort-
laut des die katholische für die Staatsreligion erklärenden
Artikels gefordert werde. Ich weiss nicht, ob diese Sqhrift
Einfluss geübt hat auf die Entschliessungen der Staatsge-
walt, aber Thatsache ist, dass die Regierung in diesem Sinne
gehandelt hat, die Vaticanischen Dekrete bis zur Stunde
vollständig ignorirt und ihnen jede Geltung in den Ge-
bieten, wohin der Arm des Staates reicht, verweigert.
Im Jahre 1873 Hess Herculano noch zwei Theile seiner
kleinereu Schriften erscheinen, seitdem aber verstummte er.
In der Vorrede äusserte er : heftige Stürme hätten viele
Jahre hindurch das Schifflein seines literarischen Lebens
umhergeschleudert, bis es endlich in dem ruhigen und
glücklichen Hafen des Schweigens und der Dunkelheit sich
vor Anker gelegt habe. Zurückblickend auf seine schrift-
stellerische Laufbahn gesteht er, der Ungestüm seines Wesens
habe ihn wohl mitunter verlockt , seine Ideen mit über-
mässiger Energie darzulegen und zu vertheidigen , aber
gerade dieses leidenschaftliche Feuer möge seinen Schriften
das Wohlwollen erworben haben, dass ihnen so reichlich,
selbst von gegnerischer Seite zu Theil geworden. Im Juni
1876 schrieb er mir, er habe sich für seine alten Tage in
die Einsamkeit zurückgezogen , lebe auf dem Lande, fern
von der politischen und literarischen Bewegung seines Lan-
des, von der grossen Welt nahezu vergessen, nur in lite-
rarischen Kreisen gedenke man seiner noch.
Das steht jetzt schon fest, dass es seinen zahlreichen
Gegnern mit all ihren Streit- und Schmähschriften nicht
gelungen ist, auch nur Eine Feder aus den Schwingen seines
Ruhmes zu reissen. Er hat nicht nur den Grund gelegt
und den Anfang gemacht zur allein richtigen Auffassung
und Darstellung der Geschichte Portugals, sondern er hat
V. Döllinger: Gedächtnissrede. 185
aucli für sein Volk die historische Wissenschaft überhaupt
auf eine unvergleichlich höhere Stufe erhoben. Sein zwölf
Jahre jüngerer Freund und Schüler Rebello da Silva, gleich
ihm Verfasser historischer Romane und ernster Forscher
und Geschichtsschreiber, ist in des Meisters Fussstapfen ge-
treten, hat bereits in dessen Geist einen wichtigen Abschnitt
der Portugiesischen Geschichte, die Zeit der Spanischen
Herrschaft dargestellt, setzt das grosse Urkunden werk des
Visconde von Santarem fort , und hat überdiess schon fünf
Bände einer neuen Sammlung von Briefen und Aktenstücken
geliefert, in welcher auch die Dokumente, auf welche Her-
culano seine Geschichte der Inquisition gebaut, abgedruckt
sind. Der allzufrühe seinem Reiche entrissene König Don
Pedro V. hat, da die einzige Landesuniversität Coimbra
trotz ihrer fünf Fakultäten Lehrstühle der humanistischen
Wissenszweige nicht errichten konnte oder wollte, aus eigenen
Mitteln im Jahre 1859 eine Fakultät für Geschichte, Philo-
sophie, klassische Studien und Literatur gegründet, und
Rebello da Silva bekleidet einen dieser Lehrstühle. So ist
denn wohl dafür gesorgt, dass Herculano's hohes Verdienst
um sein Volk und Land nicht vergessen und nicht verdunkelt
werde, dass vielmehr seine Geistesarbeit dem dortigen jün-
geren Geschlechte als ein reiches Pfund, damit zu wuchern,
dienen werde — vorzüglich, wenn dort die Erkenntniss auch
praktisch durchdringt, dass es die Volksschule ist, welche
auch die Leistungen in den höheren Wissenschaften bedingt.
186 Oeffcntliche Sitzung vom 28. März 1878.
Der Classensecretär Herr v. Prantl erwähnte in Kürze
die im abgelaufenen Jahre verstorbeuen Mitglieder der philos.-
philol. Classe, nemlich die auswärtigen Mitglieder Johann
Erik R y d q u i s t und Emmanuel Roulez, und das
correspondirende Mitglied Karl Freiherr von Estorff
Wegen vorgerückter Zeit wurde das Nähere der hiemit
folgenden Druck- Veröffentlichung vorbehalten :
Johann Erik Rydquist,
geboren am 20. October 1800 in Göteborg, wo sein Vater
Secretär des Collegiums der Bürgerschaftsältesten und der
Handels- Societät war, sollte sich dem Kaufmannsstande
widmen und brachte auch ein Jahr in einem Handlungshause
zu, war aber von einer unüberwindlichen Neigung zum
Studium beseelt und erreichte, nachdem es ihm gegönnt
war, diesem Zuge zu folgen, durch ungeheueren Fleiss nach
einjähriger Vorbereitung das Ziel, i. J. 1820 die Univer-
sität Upsala zu beziehen, wo er bis 1826 juristischen Stu-
dien oblag. Da ihm die Wahl eines praktischen Berufes
nicht zusagte, trat er 1827 als zweiter Amanuensis an der
Bibliothek zu Stockholm ein, wo er 1843 zum ersten Ama-
nuensis, 1851 zum Vice-Bibliothekar und 1858 zum Biblio-
thekar vorrückte. Jm Jahre 1865 nahm er seinen Abschied,
nachdem er bereits seit 1840 von einem schweren Nerven-
leiden heimgesucht war und öfteren Urlaub hatte erbitten
müssen. Am 19. December 1877 raifte ihn der Tod hinweg.
Bewegter und wechselvoller als das schlichte äussere
Leben verlief seine literarische Entwicklung. Im Anfange
seiner Studienzeit hatte er in einer mehr schöngeistigen
Richtung mancherlei kritische Aufsätze, metrische üeber-
V. Prantl: Nekrolog auf Joh. Erik Uydquist. 187
traguDgeu aus dem Griechischen und auch einzelne eigene
Gedichte veröffentlicht, worauf Uebersetzungen aus Thomas
Moore und aus Novalis folgten, sowie er auch Washington
Irving's Geschichte von New -York ins Schwedische über-
trug. Bereits 1827 erhielt er für seine scharfsinnige und
gründliche ,, Abhandlung über die schönen Künste der Vor-
zeit im Vergleiche mit denen der Gegenwart" die kleine
goldene Medaille der schwedischen Akademie, welche auch
die Druckveröffentlichung dieser Arbeit veranstaltete, (1829
im 12. Bande der Verband hin gen). Rydquist übernahm
dann (1828 — 32) die Redaction der vielgelesenen Wochen-
schrift ,,Heimdall'' und bethätigte sich dort, sowie (1833 f.)
in der Zeitschrift des schwedischen Literatur - Vereins in
literarischer und Kunstkritik; 1835 veröffentlichte er eine
historisch - topographische Beschreibung des Stockholmer
Thiergarteus, und 1836 wurde seiner ,, Abhandlung über das
älteste Schauspiel des Nordens" von der Akademie der höchste
Preis ertheilt (gedruckt in der Zeitschrift ,,Skandia'\ Bd.
VII, 2, und im 19. Bande der Verhandlungen der Akademie).
Mit staatlicher Unterstützung unternahm er 1836 — 37 eine
grössere Reise nach Dänemark, Deutschland, Belgien, Frank-
reich und Italien; von der begonnenen Beschreibung dieser
Reise ist nur der erste, Deutschland betreffende Theil er-
schienen (1838), welcher von der scharfen Beobachtungs-
gabe des Verfassers Zeugniss gibt. Im Jahre 1839 widmete
Rydquist dem (am 30. Juni) gestorbenen Dichter und Theo-
logen Olof Wallin (Erzbischof und Procanzler der Univer-
sität, in Upsala) ein Gedenkbild , und zur selben Zeit hatte
er sich in publicistische Kämpfe eingelassen, indem er nicht
nur in einer anonymen Brochüre über die schwedischen Civil-
beamten sich mit rücksichtloser Schärfe geäussert hatte
(1838), sondern auch eine in conservativem Sinne gehaltene
politische Streitschrift über einzuführende Veränderungen
der Verfassung Schwedens veröffentlichte (1840, 2 Hefte).
[1878. I. Philos.-philol.-hist. Cl. 2.] 14
188 Öeft entliche Sitzung vom ^8, März 1878.
In dem gleiclien Jahre aber (1840) fand er schliesslich
den Boden, auf welchem seine wissenschaftliche Leistungs-
fähigkeit zu ihrer vollen Entfaltung geführt wurde, indem
er sich zu einer Thätigkeit tiefen und bleibendsten Gehaltes
wendete. Durch sein damals beginnendes nervöses Leiden
an das Zimmer gefesselt beschäftigte er sich mit den alt-
nordischen Handschriften der Bibliothek und gelangte so
zu einer ruhmwürdigen Beschäftigung mit dem Gebiete der
germanischen Philologie , in welcher bezüglich des Schwe-
dischen immerhin noch eine fühlbare Lücke auszufüllen
war, während gleichzeitig durch die Veröffentlichung der
,,Scriptores rerum Suecicarum" und durch S<3hlyter's be-
langreichste Arbeiten das Interesse für schwedische Sprache
und Geschichte geweckt worden war. Eine erste Frucht
seiner mehrjährigen ernstesten Studien gab Rydquist in
seiner Antrittsrede als Mitglied der Stockholmer Akademie
(2. Juni 1849) „lieber die Ziele und Mittel historischer
Sprachforschung" (gedruckt im 20. Bande der Verhandlungen
der Akademie, und später in 2. Auflage 1863), worin er
nach dem Urtheile der Fachkundigen in unübertrefflicher
Klarheit unter steter Vergleichung der schwedischen Dialekte
und der übrigen nordischen Sprachen nachwies, wie Vieles
in Lautlehre, Wortbildungs- und Wortbeugungs-Lehre ge-
leistet werden könne, und hiebei eine wahre Meisterschaft
in Behandlung grammatischer und lexikologischer Fragen
bethätigte. Bald hernach (1850) erschien das erste Heft
seines umfassenden Hauptwerkes „Svenska spräkets lagar",
dessen 1. Band 1852 vollendet war, worauf 1857 der 2.,
1863 der 3., 1868 — 70 der 4. und 1874 der 5. Band folgte
In dieser umfangreichen Leistung hat Rydquist, — wie uns
von sachverständiger Seite mitgetheilt wird — , durch mühe-
vollste Untersuchungen in abgeschlossener Darstellung der
Formenlehre eine Gesammtgeschichte der schwedischen
Sprache von ihren ältesten verfolgbaren Zeiten bis zur
V. Prantl: Nekrolog auf Joh. Erik Bydquist. 189
Gegenwart kritiscli durchgeführt, und geleitet von feinem
Sprachgefühl und angewöhnlichem Scharfsinne, sowie begabt
mit dem Talente einer klaren lesbaren Darstellung, alle
Vorzüge vereinigt, welche man von einer bahnbrechenden
Arbeit auf so schwierigem Földe beanspruchen kann, und
ein Werk geschaffeu , welches für lange Zeit die Grundlage
der nordischen Linguistik bleiben wird. Ausserdem hielt
er in der Akademie (1849) eine Gedächtnissrede über Ber-
zelius' Leben und Wirken und veröffentlichte (1869) ausser
einer polemischen Schrift über die schwedische Orthographie
und einer Biographie des literarisch strebsamen Hofmar-
schalles Bernhard von Beskow auch die vortreffliche Ab-
handlung „Licht und Trugschein in der Welt der Sprache"
(gedruckt im 39. Bande der Verhandlungen der schwedischen
Akademie, sowie separat 1865), worin er auf die richtigen
Wege und auf die Irrwege der Linguistik imter besonderer
Berücksichtigung üblicher dilettantenhafter Bestrebungen
hinwies. Hierauf folgte noch (1870) ein Aufsatz über das
Wörterbuch der schwedischen Akademie (gedruckt im 45.
Bande der Verhandlungen). Rydquist war Mitarbeiter ver-
schiedener Zeitschriften und Mitglied mebrerer in- und aus-
ländischer gelehrter Körperschaften ; unserer Akademie ge-
hörte er seit 1871 an. (S. Nr. 1 des Jahrgangs 1878 der
Stockholmer Ny illustrered Tidning).
Jos. Emmanuel Ghislain Ronlez,
geboren am 6. Februar 1806 in Nivelles (Provinz Brabant)
als Sohn eines Notars, studirte zunächst in dem College
seiner Vaterstadt und bezog hierauf 1822 die Universität
Löwen, wo er sich mit glänzendem Erfolge der Philologie
widmete, so dass er bereits 1825 eine Verwendung als
Lehrer am College zu Mons' fand, von wo er 1828 nach
14*
190 OeffentUche Sitzung vom 28. März 1878.
Löwen zurückkehrte, um dort zu promoviren. Nun erhielt
er ein Reisestipendium in das Ausland und studirte vorerst
in Heidelberg unter Creuzer und Bahr (auch Bonn besuchte
er vorübergehend), dann 1829 in Berlin, wo er bei Böckh,
Bekker, Lachmann, Hegel, Ritter und Tölken hörte, hierauf
1830 in Göttingen unter Ottfried Müller, Bissen und
Heeren. Bald nach seiner Rückkehr ins Vaterland wurde
durch die Revolution die Regierung gestürzt, welche bis
dahin sein Talent unterstützt hatte, und er musste sich nun
abwartend verhalten. Doch bereits gegen Ende d. X 1831
ergingen an ihn gleichzeitig zwei Anträge, nemlich einer-
seits nach Paris als Mitarbeiter am Thesaurus linguae graecae
umzusiedeln, und andererseits eine Lehrstelle am Athenäum
zu Gent anzutreten ; letzteres Angebot nahm er an, beschloss
jedoch nebenbei Jurisprudenz zu studiren, um bei der Un-
sicherheit seiner Stellung sich eine unabhängige Existenz
als Advokat zu begründen, und so erwarb er auch (1834)
die juristische Doctorwürde. Seine Besorgnisse aber er-
wiesen sich als unnöthig, denn schon 1835 wurde er als
ausserordentlicher Professor an der neu organisirten philo-
sophischen Fakultät der Universität Gent angestellt und
hierauf 1837 zum ordentlichen Professor befördert. Seine
dortige Lehrthätigkeit erstreckte sich auf einen aufPallend
weiten Umkreis, nemlich auf Logik, römische und griechische
Literaturgeschichte, Archäologie, römische Rechtsgeschichte
und Alterthümer, Encyclopädie der Jurisprudenz und neuere
politische Geschichte. Jm Jahre 1846 und wieder 1857—64
war er Rector der Universität und 1849 wurde er Mitglied
eines neu eingerichteten Studienrathes und Inspector der
Mittelschulen, sowie Mitglied der Prüfungscommission; die
ihm angebotene Stelle eines General-Tnspectors des Studien-
wesens schlug er aus, um seinem Lehramte obliegen zu
zu können, neben welchem er seit 1867 auch die Stelle
eines Directors der Classe des lettres der Brüsseler Akademie
V. PrantI: Nekrolog auf Jos. Em. Roulez. 191
bekleidete. Wankende Gesundheit nöthigte ihn 1873 sich
in den Ruhestand zurückzuziehen, und am 18. März des
heurigen Jahres starb er. — Seine äusserst fruchtbare
literarische Laufbahn ( — die sämmtlichen Schriften finden
sich angeführt im Almanach der Academie royale de
Bruxelles, 1875 — ) begann er mit einer Abhandlung ,,De
Carneade'' (1825), worauf eine „Commentatio de vita et
scriptis Heraclidis Pontici'^ (1828) und „Observationes
criticae in Themistii orationes" (1828) folgten; dann gab
er die bei Photius erhalteneu Fragmente des Ptolemäus
Hephästion heraus (1834) und begleitete das Werk des
Baert ,,Sur les campagnes de Cesar dans la Belgique*' mit
Anmerkungen (1833). Abgesehen von Publicationen, welche
durch seine Vorlesungen veranlasst waren (ein französischer
Auszug aus SchöU's griechischer und Bähr's römischer
Literaturgeschichte und ein „Programm du cours d'anti-
quites romaines") gab er in dem ihm eigenthümlichen
Forschungsgebiete eine sehr geschätzte Leistung in ,,Choix
de Vases peintes du Musee de Leyde" (1854); es lag nem-
lich überhaupt sein eigentliches Verdienst in den zahl-
reichen (weit über hundert) Abhandlungen verschiedenen
Umfanges, welche theils in den ,,Memoires" theils in den
„Bulletins** der Brüsseler Akademie oder in den „Annales
de riustitut archeologique" erschienen. Dort nemlich ei'-
örtert^er eine Fülle einzelner Fragen betreffs mythologivscher
Erklärung der Vasenbilder oder bezüglich der römischen
Alterthümer Belgiens oder auch prähistorischer Forschungs-
gegenstäude in einer Weise, dass er nach dem Urtheile der
Fachkundigen als ein Hauptvertreter der Archäologie in
Belgien gilt, welcher nicht nur das Interesse für diese Stu-
dien rege erhielt, sondern auch selbst sich mit gesundem
Sinne in soliden Leistungen bethätigte, welche frei von
phantastischen Auswüchsen vielfache Förderung der Forsch-
ung mit sich brachten uijd auch vermittelnd zwischen dem
192 Oeffentliche Sitzung vom 28. März 1878.
deutsclien und dem belgischen Betriebe der Archäologie
wirkten. In gleicher verdienstlicher Weise lieferte er auch
verschiedene Aufsätze in mehrere Zeitschriften Deutschlands
und Belgiens. Die warme Anerkennung, welche er fand,
ist dadurch bezeugt, dass ihn die Academie des Inscriptions
und ausser der Brüsseler die Akademien zu Turin, Neapel,
Rom, sowie die Gesellschaft der Wissenschaften zu Göttingen
unter ihre Mitglieder aufnahmen ; unserer Akademie gehörte
er seit 1853 an.
Karl Freiherr von Estorff,
welcher unserer Akademie seit 1857 als correspondirendes
Mitglied angehörte, stammte aus einer im Bardengau (in
der Provinz Hannover) begüterten Familie und wurde am
21. Dezember 1811 auf dem Gute Veerssen bei Uelzen ge-
boren. Er hat das Verdienst in dem wissenschaftlichen
Gebiete, welches heutzutage als prähistorische Forschuug
bezeichnet wird und bekanntlich seit mehreren Jahren einen
hohen Aufschwung nahm, bereits in einer Zeit bahnbrechend
gewirkt zu haben, in welcher man gemeiniglich viele Dinge,
welche jetzt als wichtige Funde gelten, entweder unbeachtet
liegen liess oder höchstens als unverstandene Raritäten
aufbewahrte. Nachdem Freiherr von EstorfiF sich während
einer längeren Reihe von Jahren mit Aufspürung und Sich-
tung zahlreicher Fundgegenstände beschäftigt hatte, ver-
öffentlichte er i. J. 1846 das dankenswerthe Werk ,, Heid-
nische Alterthümer der Gegend von Uelzen im ehemaligen
Bardengau mit 16 Tafeln und einer archäologischen Karte",
worin er die Ergebnisse seiner mit Scharfblick und Ge-
schmack geführten Untersuchung prähistorischer Alterthümer
niederlegte und dabei nicht vergass, auf die Nothwendigkeit
einer möglichst allgemeinen Vergleichung derartiger Gegen-
V. Prantl: Nekrolog auf Karl Freiherr von Erstorff. 193
stände hinzuweisen, für deren Classification und Termino-
logie er seinerseits erspriessliclies leistete. Von einer län-
geren wissenschaftlichen Reise, welche er zu gleichen Zwecken
in das südliche Europa unternommen hatte, zurückgekehrt,
veranlasste er in den Sommern 1853 und 1854, dass eine
grosse Anzahl der Antiquitäten des Bardengaues, welche in
Gefahr waren, durch Eisenbahnbauten oder dergleichen zer-
stört und verschleudert zu werden, gesammelt und aufbe-
wahrt wurden, und 1862 machte er die ganze mehrere
Tausende enthaltende Sammlung dem Staate Hannover zum
Geschenke. Abgesehen von Beiträgen, v.Llche er in ver-
schiedene Zeitschriften, z. B. besonders in das Correspon-
denzblatt der Gesphichts- und Alterthumsvereine Deutsch-
lands lieferte, wurde er durch Desor's an Justus v. Liebig
gerichtete Abhandlungen „Aus Sahara und dem Altlas"
veranlasst, sich gegen die darin ausgesprochene Keltomanie
zu erklären, und so veröffentlichte er in der ,, Allgemeinen
Zeitung" (Sept. 1868) seinen „Brief an Professor E. Desor"
(derselbe erschien in 2. Aufl. mit Vorwort von Professor
A. Sprenger, Bern 1876), worin er den germanischen Ur-
sprung der sog. Dolmen oder Hünengräber vertheidigte und
in seine Untersuchung auch viele in Algerien gemachte
Funde beizog , daneben auf die Nothwendigkeit einer Bei-
hilfe sowohl seitens der vergleichenden Anatomie als auch
seitens der Sprachkuude hinweisend. Seit dem Frühjahre
1876 hatte er nach häufigem Wechsel seines Aufenthaltes
sich in Bern niedergelassen , woselbst er in Folge einer
chirurgischen Operation am 8. Oct. 1877 starb. (Ueber
Störungen der düsternsten Art, welche durch ihn in sein
Familienleben eingerissen waren, s. „Gartenlaube", 1875,
S. 472 u. 1876 S. 376).
194 Oeffentliche Sitzung vom 28. März 1878,
Der Classensecretär Herr v. G i e s e b r e c bt verwies
bezüglicb eines der verstorbenen Mitglieder gleichfalls auf
die liiemit folgende Druck-Veröffentlichung:
Die historische Classe hat ausser ihrem ordentlichen
Mitgliede, Alexander Herculano de Carvalho, ein
hiesiges ausserordentliches Mitglied verloren, den Landtags-
Archivar und k. Regierungs-Director Pleikard Stumpf,
der seit dem Jahre 1852 der Akademie angehörte.
PI. Stumpf vrnrde am 6. September 1807 zu Bamberg
geboren, wo damals sein Vater, der 1820 verstorbene Re-
gierungsdirector Andr. Seb. Stumpf, angestellt war. Durch
den veränderten Wirkungskreis des Vaters kam PI. Stumpf
früh nach Würzburg, besuchte dort das Gymnasium und
die Hochschule und setzte später das Studium der Juris-
prudenz auf der hiesigen Universität fort. Tm Jahre 1837
wurde er als Archivactuar in Würzburg angestellt und ge-
wann sich in seiner amtlichen Thätigkeit bald solche Aner-
kennung, dass ihn sechs Jahre später die beiden Kammern
Bayerns zum Landtagsarchivar wählten. In dieser Stellung,
die er bis zu seinem Tode bekleidete, hat er sich die Hoch-
achtung und Liebe der Mitglieder beider Kammern in hohem
Grade zu erwerben gewusst. Seine Verdienste sind von
höchster Stelle wiederholen tlich durch Orden und Ranger-
höhungen gewürdigt worden.
Stumpf lag in seinen Mussestunden mit Vorliebe hi-
storischen Studien ob, die sich vorzugsweise auf die Landes-
geschichte bezogen. Unter den Früchten dieser Studien
sind besonders bemerkenswerth die beiden grösseren Werke :
,, Bayern, ein geographisch-statistisch-historisches Handbuch
(München 1852)" und ,, Denkwürdige Bayern. Kurze Le-
bensbeschreibungen verstorbener verdienter Männer, die in
den Landesgebieten des jetzigen Königreichs Bayern ge-
V. Giesebrecht : Nekrolog auf PleiJcard Stumpf. 195
boren oder durch längeren Aufenthalt ihm angehörig waren
(München 1863)." Das letztgenannte Werk war veranlasst
durch einen Preis , welchen der hochselige König Maximi-
lian II. auf Antrag der historischen Comraission unserer
Akademie für Biographien berühmter oder verdienter Bayern
im Jahre 1860 aussetzen Hess. Stumpf legte den Plan zu
einem Bayerischen Plutarch der Commission vor, welche
demselben ein Accessit zuerkannte. Auf Grund dieses Plans
hat dann Stumpf das durch patriotische Wärme ausge-
zeichnete Werk ohne weitere Mitwirkung der Commission
ausgearbeitet und veröffentlicht.
Stumpf war ein thätiges Mitglied des historischen Ver-
eins von und für Oberbayern ; au den Arbeiten der Aka-
demie hat er sich wenig betheiligt. Sein Tod, der hierselbst
am 15. Juli vorigen Jahres erfolgte, erweckte in weiten
Kreisen lebhafte Theilnahme.
[1878. I. Philos.-philol.-hist. Cl. 2.] 15
Sitzungsberichte
der
königl bayer. Akademie der Wissenschaften,
Philosophisch-philologische Classe.
Sitzung vom 2. März 1878.
Herr T r u m p p legte vor :
„Beiträge zur Erklärung des Mufassal."
Das Mufassal des gelehrten Zama^sari gehört unstreitig,
mit dem Kitäb des Sibavaih (dessen Ausgabe wir bald er-
warten dürfen), zu den ersten cl assischen Werken der
arabischen Grammatiker (aus der Schule von Basrah) und
bezahlt reichlich die Mühe eines eingehenden Studiums. Es
ist concis und bietet doch eine reiche Fülle des gram-
matischen Stoffes, ja es behandelt mit einer gewissen Vor-
liebe gerade solche Puncto, die zu den dunkelsten (für
Nicht- Araber) gehören. Daran erkennt man leicht, dass
der Verfasser selbst ein Nicht -Araber (Perser) *) gewesen
1) Er stammte aus dem Dorfe (sj) y-^iJ^V in f\yy^
(Persisch: /ärizm mit xjjjow .1.) und heisst daher ^^wCiv^JI .
Sein eigentlicher Name ist y^ ^ ^y^ ^J.J jv^LäJI yi\ .
k
[1878. 1. Philol.-philos.-hist. Cl. 3.] 16
198 Sitzung der phüos.-phüol. Classe vom 2. März 1878.
ist, der erst das Arabische sich angelernt und aus Enthusias-
mus für diese Sprache lange Zeit unter den Arabern (in
Bagdad und Makkah) gelebt hat. Aus diesem Umstände
erklärt sich bis auf einen gewissen Grad die Schärfe und
Genauigkeit seiner grammatischen Arbeiten : denn ein
Fremder, der sich in eine andere Sprache gänzlich hinein-
arbeitet, so dass er darinnen lebt und webt, fasst dieselbe
gewöhnlich viel schärfer nach ihrem ganzen Baue und ihren
Eigenthümlichkeiten auf, als ein Eingeborner, der sich seine
Muttersprache nicht in diesem Grade zu objectiviren pflegt,
wenn er sich nicht schon mit einer fremden Sprache ein-
gehend beschäftigt hat und dadurch zur Erkenntniss des
eigenthümlichen Wesens seiner Muttersprache gelangt ist.
Es ist darum nicht zu verwundern , wenn wir die besten
grammatischen Werke über die arabische Sprache und die
besten Qur'än-Commentare gebornen Persern verdanken , die
auch in der Lexicographie vorzügliches geleistet haben, ob-
schon wir bedauern müssen , dass sie darüber ihre eigene
vortreffliche Muttersprache hintangesezt haben. Den ein-
gebornen arabischen Grammatikern klebt, wie man so häufig
Gelegenheit hat zu bemerken, hauptsächlich der Mangel an,
dass sie keine fremde Sprache, nicht einmal eine der ihnen
zunächst liegenden semitischen Sprachen zu erlernen pflegten
und darum auch von ihrem beschränkten Horizont aus keinen
Vergleich ziehen konnten, der sie über manche Eigenthüm-
lichkeiten oder dunkle Puncte ihrer eigenen Sprache sofort
aufgeklärt hätte.
Zama;{sari (geb. a. H. 467, f 538) hat nach Ibn X^alli-
kän drei grammatische Werke verfasst , das J..*äax> , das
-^J^j! (ein 'Auszug aus dem Mafassal , von dem De Sacy
in seiner Anthol. gram. ar. den dritten Abschnitt über|die
Trumpp: Beiträge zur Erklärung des Mufassal. 199
Partikeln publicirt hat) *) uucl ^^1 ^^ oii^JI^ 4>>.aJI,
von dem bis jetzt nocli nichts weiter bekannt geworden ist.
Sein Hauptwerk, das Mufassal, soll er im Anfang des Monats
Ramadan a. H. 513 (a, Ch. 1119 — 20) begonnen und im
Anfang des Muh'arram 515 (a. Ch. 1121 — 2) vollendet
haben.
Es ist ohne Commentar nur schwer verständlich , be-
sonders da so manche Verse nur bruchstückweise citirt sind;
es ist daher ein grosses Verdienst, dass Dr. Jahn die
Herausgabe des umfassenden Commentars von Ibn Ya?is
dazu unternommen hat, was das Werk uns erst recht zu-
gänglich macht.
Ibn Ya^is (geb. zu Halab a. H. 553 (a. Ch. 1158),
f 643 (a Ch. 1245) ist ein durchaus selbstständiger Cora-
mentator, der sich nur lose an den Text des Mufassal hält
und häufig seinen eigenen Weg geht. Er fügt viele werth-
voUe Ergänzungen hinzu, ist aber auf der einen Seite viel
zu breitspurig und auf der andern wieder zu knapp, da er
manches überspringt, über was man recht gerne eine Be-
lehrung hingenommen hätte. Das hohe Lob, das ihm Ibn
A'allikän ertheilt (dass unter allen Commentaren keiner dem
seinigen gleich komme) scheint mir darum etwas zu hoch
gegriffen, da nach meiner Erfahrung sein Commentar mit
der klaren und bündigen Erklärung der Alfiyyah durch Ibn
?Aqil nicht wetteifern kann. Es ist oft recht mühsam sich
durch seine langen und nicht selten hausbackenen Exposi-
tionen hindurchzuwinden, die viel conciser und darum auch
klarer hätten gegeben werden können.
1) Eine ganze Ausgabe des _,v>«»^l wäre sehr erwünscht und
eine Erleichterung für das Verständniss des Mufassal.
16
200 Sitzung der philos.-philol. Classe vom 2. März 1878.
So reichhaltig im ganzen auch das Mufassal ist, so
sind doch darin manche wichtige Puncte übergangen. Es
i-st daher höchst lehrreich das grosse, spätere grammatische
Werk aus der Basrischen Schule, die Alliyyah des Ibn Mälik
(f a. H. 672) mit dem gelehrten Commentar des Ibn ^Aqil
(ed. Dietericij damit zu vergleichen, wodurch manches er-
gänzt oder in ein helleres Licht gestellt wird. Ibn Mälik
und sein Commentator erwähnen zwar, so weit icli mich
erinnern kann, Zama;^sari nie mit Namen noch eines seiner
grammatischen Werke , obschon sie Sibavaih und andere
ältere Grammatiker oft genug citiren ; es ist jedoch kaum
anzunehmen, dass ein so berühmter und fruchtbarer Schrift-
steller ihnen unbekannt gewesen sein könne. Der Grund
davon ist wohl nur der, dass sie sich mit Zama;(sari
in Einklang wussten und darum kein Grund zur Polemik
vorlag und dass zu jener Zeit der Auctorität eines Sibavaih,
Al-a/fas (des mittleren), Al-asma^i etc. gegenüber die von
Zamaxsari noch zurückstand. Wie dem aber auch sein
möge, beide Werke ergänzen einander vortrefflich und bilden
zusammengenommen ein Compendium der arabischen Syntax,
das für das Studium dieser einzigartigen Sprache die besten
Mittel darbietet, zumal die Alfiyyah durch die üebersezung
Dieterici's leicht zugänglich gemacht worden ist.
Wir haben daher im nachfolgenden überall in den
Anmerkungen auf die Alfiyyab Rücksicht genommen, wo
solches zur Aufhellung des Textes förderlich schien.
Trumpp: Beiträge zur Erklärung des Mufassal. 201
Uebersezung des Mufassal.
Ina Namen Gottes des Barmlierzigen, des Gnädigen !
0 mein Herr, las^e es gelingen und vollende es aufs beste!
(Vorrede.)
Ich lobe Gott, dass er micli gemacht hat zu einem der
Gelehrten der arabischen Sprache und dass er mir einge-
prägt hat Unwillen um der Araber willen *) und Eifer (um
sie), und dass er es mir nicht zugelassen hat, dass ich ge-
trennt würde von den besten ihrer Unterstüzer und ab-
gesondert, und dass ich mich anschlösse an den zusammen-
gelaufenen Haufen der Smübiten ^) und mich abseits wandte,
und dass er mich bewahrt hat vor ihrer Ansicht, die ihnen
nichts darbietet ausser das (Pfeil-)Schiessen mit den Zungen
der Verwünschenden und das schnelle Stossen mit den
Lanzenspizen der Durchbohrenden; und an den vortrejff-
lichsten der Vorangehenden und Nachfolgenden ^) richte ich
1) 2U v_A^i^ } zürnen , unwillig sein um jemandes willen , wenn
er am Leben ist, und mi v^^^it , wenn er todt ist.
2) sixjyXMK" , eine Secte, welche die Araber raissachteten und die
*^ über sie stellten.
3) ^.o-iJt, zunächst von Pferden bei einem Wettrennen ge-
braucht, dasjenige, welches dem vorangehenden unmittelbar folgt (dessen
Kopf an dem Hinterheil , ^^ , des vorangehenden ist). Nach Ibn
Ya*i§ steht ^j^x-l^o-^JI^ ^^xfibLw.Jt figürlich für: ^j^ä.^L ^j^L^I
/TvaAüÜI ^^yOf (der beste) der ersten und lezten von den Arabern und
Nicht- Arabern.
202 Sitzung der philos.-philol. Classe vom 2. März 1878.
die besten Gebete der Betenden, an Muh'^ammad, der um-
geben ist von den grossen ^) und den selbstständigen Stäm-
men von den Söhnen ?Adnän's , ^) der herkommt von dem
Stamme Qurais in der Mitte ihres ausgedehnten Landes, der
gesandt ist zu dem Schwarzen und dem Rothen ^) mit dem
erleuchteten arabischen Buche ; und für seine Familie , die
guten, bitte ich Gott um Gnade, und ich rufe ihn an gegen
die Leute, die mit ihnen in Streit und Feindschaft leben.
Und vielleicht sind diejenigen, welche die arabische Sprache
herabdrücken und ihren Werth mindern , und herabziehen
wollen ihren Leuchtthurm, den Gott erhöht hat, insofern '*)
er den besten seiner Gesandten und das beste seiner Bücher
nicht unter seine nicht-arabischen Geschöpfe, sondern unter
seine Araber gesezt hat, nicht fern von den Su?übiten, in-
dem sie dem klarsten Recht offen widerstreiten und ab-
weichen von dem geraden Pfade; und das was Verwunder-
1) [VÄ.U.Ä. PI- von Ä4.^Ä» , ein arabischer Stamm, der (Oj-laj ,
oder Unterstämme umfasst, während Lä.^ (PI. sLi^J) ein selbst-
ständiger Stamm für sich ist; es gibt deren fünf.
'r " "
2) j^üt\£ , ein Urahne des Propheten. Ihn Ya?i§ führt den
Stammbaum Muh'aramads bis auf ?Adnän zurück , der von den Söhnen
Ismaels sein soll. Von »Adnän bis auf Israael j-^ioch fehlt die Linie.
Die Genesis 25, 13 sqq. führt 12 Söhne Ismaels auf, die Fürsten über
ihre Stämme geworden sind.
3) Unter dem Schwarzen wird der Araber, und unter dem Rothen
der Nicht-Araber verstanden.
4) Ibn Ya»i§ sagt, dass »caxä. von ^yXjcii abhänge; in diesem
Falle müsste es durch „während" übersezt werden. Es ist aber ein-
facher, wenn man hier cy^Ä. statt des gewöhnlichen o».j^ ^JWO
fasst, da dies dem nächsten Zusammenhang ^m besten entspricht
I
\
Trumpp: Beiträge zur ErJdärung des Mufassal. 203
uug hervorruft ist der Umstand, dass sie sich in wenig
Billigkeit und in einem Ueberraass von Ungerechtigkeit und
Dahinlaufen aufs geradewohl befinden, und das darum, dass
sie keine der islamitischen Wissenschaften, die Jurisprudenz,
die GrandbegrifFe der Religion ^), die Wissenschaft der Exe-
gese und der historischen Nachrichten finden ausser ihr
Bedürfniss für die arabische Sprache ist evident und un-
eutfernbar, und aufgedeckt und nicht zu verschleiern ; und
dass sie die Rede über die wichtigsten Capiteln der Grund-
begriffe der Jurisprudenz und ihrer Fragen auf die Wissen-
schaft der grammatischen Flexion gebaut sehen und die
(Qur'än-)Erklärungen voll von Ueberlieferungen von Siba-
vaih und Al-a/fas und Al-kisäi und Al-farrä' und andern
der basrischen und küfischen Grammatiker, und dass man an
den Orten aus denen man die Aussprüche ^) deducirt (und
erläutert), bei ihren Worten Hilfe sucht, und dass man sich
an die Säume ihrer wörtlichen und figürlichen Erklärung
anklammert.
Und in dieser Sprache ist ihre ^) Mittheilung über die
Wissenschaft und ihre Unterredung, ihr Unterrichten und
ihr Disputiren, in ihr tröpfeln ihre Federn auf das Papier,
in ihr schreiben ihre Richter die Rescripte ihrer Entscheid-
ungen und Urtheile. Sie sind also eingekleidet in die
arabische Sprache, wohin sie immer reisen, sie lassen nicht
ab von ihr, wohin sie sich immer wenden, sie drücken auf
sie,*) wo sie herumwandern.
1) So erklärt Ibn Ya^^is das Wort ^%S hier. Es ist, was wir
Dogmatik nennen, systematische Entwicklung der Grundbegriffe der
Religion.
2) I. e. des Quräns und der Sunnah.
3) I. e. der Gelehrten.
4) L.^A.Ä J.^, wörtlich: (sie sind) eine Last auf ihr (cf. Qur.
16, 78), d.h. sie hängen sich an sie, wie ein Gewicht, lassen nicht
von ihr.
204 Sitzung der phüos.'phüol. Classe vom 2. März 1878.
Dann läugnen sie *) um das zwei- und dreifache von
diesem ^) ihre Vortrefflichkeit und schaffen weg ihre Su-
periorität, sie wenden sich ab von ihrer Werth- und Hoch-
schäzung und untersagen sie zu lernen und zu lehren, sie
zerfleischen ihre Haut und essen ihr Fleisch; sie handeln
also darin nach dem gangbaren Sprüchwort: die „Gerste
wird gegessen und getadelt''. Sie behaupten , dass sie sie
entbehren können und dass sie mit ihr nichts zu than
haben. Wenn also das richtig ist, was ist dann ihr Zu-
stand? Sie geben nicht gänzlich auf die Wortkenntniss und
die Flexion, sie hauen nicht ab zwischen diesen zwei und
V
ihnen (den Su?ubiten) die Verbindungen, so dass sie von der
Erklärung des Qurän die Spuren beider verwischten und
von den Principien der Jurisprudenz den Staub beider ab-
wischten , dass sie nicht redeten von der Ausnahme : denn
^ WM«0 Ö ^ ^
1) Das "sie* geht auf ^TwJtXJf JJü zurück. Zama/ääri versteht
wohl darunter hauptsächlich seine eigenen Landsleute, die Perser, welche
die Superiorität der arabischen Sprache nicht anerkennen wollten , ja
sogar anfiengen, das eingedrungene Arabische wieder aus ihrer Sprache
auszumerzen (Shähnamah).
2) Es ist fraglich, wie der Ausdruck »iJlJj uftXftLij ^^ zu
verstehen ist. Nach dem Commentar des Ihn Yang bedeutet («jixÄLoJ
das zwei- und mehrfache, weil es in diesem Sinne nur im Plural ge-
braucht wird, wie er bemerkt; ^^ würde dann in der Bedeutung der
Multiplication stehen. Der Sinn wäre dann : sie läugnen um das zwei-
und dreifache mehr, als was von der Vortrefflichkeit und Noth wendig-
keit der arabischen Sprache gesagt worden ist, etc. Da nach Lane
(p. 1792) LjixcLdJ» auch = oLä.öI ist, im Sinne von „Zwischen-
raum zwischen den Linien eines Buches", so könnte viJÜj i—ixÄLoj ^^
auch bedeuten: „in den Zwischenräumen von diesem", d. h. während
sie das, was von der arabischen Sprache gesagt worden ist, nicht ver-
peinen können, so läugnen sie doch dazwischen hinein etc.
Trumpp: Beitröge zur ErJclärung des Mufassal. 205
das ist Syntax, und vom Unterschied zwischen dem üeter-
minirten und Indeterminirten : denn das ist Syntax; von
der Determination der Gattung und der Determination des
Bekannten: denn diese beide sind Syntax; von den Par-
-55'.
tikeln, wie*^ , o, aö , dem Läni des Besitzes, dem Mim
der Theilung und den ihnen ähnlichen; von der Auslassung
und der Verschweigung ; von den Capiteln der Abkürzung
und der Wiederholung; von der Ehescheidung (ausgedrückt)
durch das Verbalnoineu und das Nomen ageutis; ^) von dem
Unterschied zwischen ,j| und ,jl , lc>|^ und ,Jmq und UJ.3
und ähnlichen, deren Erwähnung zu weitläufig wäre: denn
diese alle gehören zur Syntax. Und warum haben sie nicht
für thöricht erklärt die Meinung des Muh'ammad bin Al-
h*^asan as-saibäni , über den sich Gott erbarmen möge ! in
Betreff dessen was er niederlegte in dem Buche der Schwüre :
,,und warum bedienen sie sich nicht in den Unterrichts-
sizungen und in den Disputation scirkeln einer fremden
1) Ibn Ya^is bemerkt dazn, dass wenn Jemand sage: (JJL^b ool ,
80 sei die Frau von ihm geschieden, auch wenn er das nicht beabsich-
tigt habe; gebrauche er aber das Verbalnomen und sage: ^^^Lb oJl ,
so finde die Scheidung nur nach seiner Intention statt, sei noch keine
giltige, obschon andere es auch anders fassen. Ueber den Gebrauch der
Verbalnomina im Sinne eines JxLftJI ^m} macht Ibn Ya*i§ die wohl
zu beachtende Bemerkung, dass sie entweder durchaus unverändert
bleiben, ohne Rücksicht auf die Zahl und das Geschlecht des Substan-
tivs, dem sie zur Qualification dienen (und dies sei das bessere), oder
dass sie in den Dual und Plural gesezt werden (z. B. JtXß ,
206 Sitzung der philos.-philol. Classe vom 2. März 1878.
Sprache? Dann mögen sie zusehen, ob sie der Wissenschaft
eine Schönheit und einen Glanz lassen und ob die distin-
guirten Leute den gemeinen Leuten gleich stehen ; ob sie
zum Gegenstand des Hohns werden für die Spötter, und
zum Gegenstand des Gelächters für die Zuschauer. So ist
es. Denn die Flexion ist nüzlicher als die Brechungen des
Stabes *) und ihre schönen Spuren sind zahllos wie der
Kies. Und wer Gott nicht fürchtet in seinem geoffenbarten
Buche und es also wagt die Erklärung desselben anzu-
fassen, während er die Wissenschaft der Flexion nicht ver-
steht, der reitet ein blindes Kamel und schlägt den Boden
wie ein kurzsichtiges Kamel."
Und er sagt: ,,was ist eitles Reden und Erdichten und
Schwazen , während das Wort Gottes frei davon ist; und
das ist die Leiter, die aufgestellt ist zur Wissenschaft der
Erklärung, die Kunde gibt von den schwierigen Puncten
des Qur'äns, die einsteht für die Darlegung seiner schönen
Eigenschaften, die betraut ist mit der Ausgrabung seiner
Minen; und wer davon also abhält ist wie der, der die
Wege des Guten versperrt, damit sie nicht begangen werden,
und wie der, der in Betreff der Wege zu demselben (i. e.
dem Guten) die Absicht hat, dass sie verabscheut und ver-
lassen werden."
Es hat mich fürwahr angetrieben das Bedürfniss der
Muslim für die Kenntniss der Rede der Araber, und mein
Mitgefühl und meine Ergebenheit gegen meine Genossen,
die Mitarbeiter in der Philologie, zur Abfassung eines
Buches über die Flexion, das die Gesammtheit der Capitel
(derselben) umfasst, wohl angeordnet ist, sie (die Capitel)
zu dem fernen Ende auf dem nächsten Wege bringt, und
2) „Nüzlicher als die Brechungen des Stabs" ist ein arabisches
Spruch wort, weil aus jeder Brechung des Stabes ein neuer Nuzen resul-
tiren soll. S. Ibn Yans, p. 17.
Trumpp: Beiträge zur Erklärung des 3Tu,''as.^aI. 207
ihre Eimer auf die leichteste Weise mit Wasser füllt. So
habe ich also dieses Buch verfasst, das betitelt ist: kitäbu-
Imufassal, über die Bildung der Flexion, eingetheilt in vier
Theile
I. Theil : über die Nomina.
IL Theil: über die Verba.
III. Theil: über die Partikeln.
IV. Theil: über das Homonyraum. *)
Ich theilte ab einen jeden dieser Theile und behandelte
jede Abtheilung davon besonders , so dass jedes Ding zu
seinem Ursprung zurückkehrt und an seinem Standorte
steht, und nicht reservirte ich mir etwas in dem was ich
darinnen zusammen stellte von den vielfachen Nuzau Wend-
ungen, und was ich (wie Perlen) au einander reihte von
den zerstreuten Edelsteinen, mit einer nichts vermissen
lassenden Redekürze, und einer nicht anwidernden Heraus-
hebung der Hauptpunkte, aufrichtig berathend die welche
von ihm (dem Buche) lernen wollen.
Ich hoflPe, dass ich von ihnen ernten werde die zwei
Früchte eines erhörten Gebets und eines schönen Lobes, und
Gott, dessen Herrschaft erhaben ist, ist der Herr der Hilfe
zu jedem Guten und der Stärkung, und reichlich darreichend
die Förderung in demselben und die rechte Leitung.
§ 1. (Einleitung).
5^ ^ G - -
lieber die Bedeutung von iU^> und f»^5 .
ä^aXII ist das Wort, *) das hinweist auf einen ein-
9 ^^ O
1) ^Äxc^JI, statt: iui du'Xi^JI , ein Wort, in das sich
verschiedene Bedeutungen theilen.
0 o^
1) Cf, Alf. y. 8. 9. Com. ia^J ist Ausdruck im allgemeinen
208 Sitzung der phüos.-phüol, Classe vom 2. März 1878.
zelnen Sinn dnrcli die conventioneile Bedeutung des Wortes,
und das ist ein GattuDgsnomen, das drei Arten in sich be-
greift, nämlicli das Nomen (fv^*^!^!)? <ias Verb um (JjtiJI)
und die Partikel (^^1). Die Rede (der Saz , jl^öl)
ist das aus zwei Wörtern zusamraengesezte, von denen eines
an das andere angelehnt wird, und das ist nicht ausführbar
ausser bei zwei Nominibus, wie du sagst: Zaid (ist) dein
Bruder, und: Bisr ist dein Genosse; ^) oder bei einem Verb
und einem Nomen, wie du sagst: es schlug Zaid, und: es
gieng Bakr ; ^) dies nennt man einen Saz. ^)
I. Theil.
§2.
Von den Nominibus.
Das Nomen (jVA«yi) ist dasjenige, was auf einen Sinn
9- o.
(»JbJii ein einzelner Ausdruck), der die Rede f*^^), das Wort und
die Wörter {(J<.^ und iljii^) , das Gebräuchliche und Ungebräuch-
liche in sich begreift.
1) Dies sind Nominalsäze (iU^^wl 'iJ^4^) und zwar der erste
6,9.
ein reiner Nominalsaz, da sein Xabar ein JooL^ ^' ist, das kein
verborgenes Pronomen in sich schliesst.
2) Dies sind Verbalsäze (iitjüjii äJUä..) bestehend aus einem Verb
9
und einem sichtbaren JläÜ , oder Activsubject.
3) xig*^ ist jeder Saz, habe er einen abgeschlossenen Sinn oder
Trumpp: Beiträge zur Erklärung des Mufassdl. 209
in sich selbst ^) hinweist, entblöst von der Verbindung (mit
der Zeit) ^). Ihm kommen besondere Eigenschaften zn,
nämh'ch: die Möglichkeit als Subject (eines Sazes) zu stehen,^)
das Vortreten der Partikel der Determination (i. e. des Ar-
tikels), der Genetiv, das Tanvin, die Annexion.
§3.
Zu den Nominibus gehört das Nomen der Gattung.
Und das ist was beigelegt wird (als Bezeichnung)
einer Sache und jeder, die ihr gleicht. Man theilt es eia
in 1) Nomen concretum \^'fr^ |V^U' und 2) Nomen ab-
stractum (Nomen der Idee, (^'*Ji^ jv^wl). Beide theilt man
wieder ein 1 ) in das Nomen, das kein Qualificativ ist (reines
Substantiv) und 2) in das Nomen, das ein Qualificativ ist.
ö , -
Das Nomen, das kein Qualificativ ist, ist z. B. 0<^\
6-"- 6 " ® o -
(Mann), |j*^vi (Pferd), *1ä (Wissenschaft), J^^ (Unwissen-
heit), und das Qualificativ ist wie z. B. v^- 7 (reitend),
0 ji 9 > o- 9- o >
U*JLä. (sitzend), (»^-^^ (verstanden), v4-ojo (im Sinne be-
halten).
nicht; Jj<S^ dagegen ist in der Terminologie der Grammatiker nur
der vollständige Saz.
1) Zum Unterschied von den o^yÄ.
2) Zum Unterschied vom Verhura , das mit einem Zeitbegriff ver-
bunden ist.
3) 2uj| JoUw^l , das auf welches praedicativ bezogen wird, das
Subject, JOLwwL«JI das Praedicat.
210 Sitzung der j^hüos.-philol. Classe vom 2. März 1878.
§4.
Zu den Nominibus gehört der Eigenname.
Und das ist das, was einer Sache speciell beigelegt
wird ohne das sich anzueignen, was ihr gleicht. Es muss
nothwendigerweise ein Nomen sein , wie tX.^\ und y^xs^ ,
oder eine ^-f^^ , ^) wie ^y^ yi' und r^y^ r»' ? oder ein
s-j^ÄJ (Beiname), ^j wie &nj (Flasche) und xü* (trockene
Gurke).
Man theilt ihn ein in einfachen und zusammen-
gesezten, in übertragenen (tropischen) und im-
provisirten.
Der einfache ist wie tXJS und ^r*^j cler zusam-
mengesezte ist entweder ein Saz, wie ö>^ ^y^ (sein
Hals glänzte) und L-ti iajü' (er trug Unheil unter seinem
Arm) ^) und Laä. ^5n(> (er worfelte Getreide), und iPü^-i*
6-t.' yf i^ ,0 »-0
1) Äjuo ist ein Zuname, der mit ^f , *f , ^^^' , äaj! oder
> o
v.:>«;^ zusammengesezt ist. Auch von Thieren gebraucht.
2j Der ^_^ kann ein Spizname (yo) sein, oder ein Ehren-
name. Er muss immer nachstehen , wenn er mit einem Namen ver-
bunden ist. Alf. V. 74, Com.
3) Nach Ibn Ya*i§ soll er eine Schlange unter seinem Arm ge-
tragen haben. Solche Zusammensezungen werden ^^t^Lw^! nwOw«
(praedicativum compositum) genannt.
Trumpp: Beiträge zur Erklärung des Mufassah 211
V^«w (ihre zwei Locken waren grau\ und tX:?VJ wie in
dem Verse des Dichters:
,,Ich wurde benachrichtigt, dass meine mütterlichen
Oheime, die Bani Yazid ^) tyrannisch handeln gegen
uns, es ist ein Geschrei über sie." (7^;^
Oder kein Saz, (sondern) zwei Nomina, die als Ein
Nomen gesezt werden, ^) wie v^v.XJtX*x> , vLIa-Iäj , ) ^j^r*"^ '
Äj^iaÄJ ; oder ein oLö.x) und x^Jj^ oLäx> , wie oLax) cXaä ,
"" 11° ^ ' " « . - " >
(j^^^-üül ^v-«', und die äxa> .
Der übertragene Eigenname besteht aus s^chs Arten:
1) ein von einem Nomen concretum übertragener Eigen -
name, wie >^J' (Stier), tX^f (Löwe); 2) ein von einem
• 1 ""
Nomen abstractum übertragener wie (>-wii (Vortrefflichkeit),
(j^üj^ (Geben, Gabe, von ij^ij ; 3) ein von einem Qualificativ
übertragener, wie: (wLä (richtend) und äJoü (schenkend);
> -
1) Hier als Saz: der Vermehrer, wesshalL Jov nicht flectirt
wird. Ibn Yang sagt , die richtige Lesart sei joyj' ,
2) Ein solcher Eigenname wird ein mixtum compositum genannt
3) Man kann auch diese Formen indeclinirbar auf Path' sezen, wie
viuA*j , ^ w5 ^^cXä/o ; oder man kann v^j J.äj , ^^yA y^LS^
sagen, s. Alf. V. 70—78, Com.; die Nomina propria auf ^L>• dagegen
sind indeclinabilia.
212 Sitzung der phüos.'philol. Classe vom 2. März 1878,
4) übertragen von einem Verbum, sei es Perfect, wie:
j^ (von y¥^ , schnell sein in einem Geschäft) und
v«aa**ä5 (von v«a.a«a5 , laufen), oder Imperfect , wie >^X.xS
(von v-A.Xft) und j^^, (von >^), oder Imperativ, wie
v:>.4.^^ in der Rede des Hirten:
„Er rief einen salüqischen (Hund), der die Nacht
(dort) war, und brachte die Nacht mit ihm zu in der
Wüste Ismit (des Schweigens), indem auf ihren
Rücken *) Krümmung war/* ^) (iaxA*o)
Und U* Jol in der Rede des Hu^ailiten : ')
„(Ich wusste, dass die Wohnpläze, wie Scripturen der
Dintenfässer, die der Inmyaritische Schreiber schreibt)
im Zustande von Atriqä (des Kopfhäugens und
Schweigens) waren , veraltet *) an den Zelten , aus-
genommen das ^umäm-Gras und die Stäbe." (v-jsLjüJo)
5) Uebertragen von einem Laute (^cy^J, wie ä-o ,
> *
1) \::/»^jc\ ist nämlich femininum.
, ff -ß
^) 3*1 Läo^^I ^ ist ein nominaler H'älsaz, der die Stelle der
ÄA^ vertritt. Also — in der Wüste Ismit mit ihren gekrümmten
Hügelrücken.
3) Der Verfasser ist nach Ihn Ya^iä V*:?}*^ 5^' •
4) Die Lesart im Mufassal und in Ihn Ya^i§ Com. ^:yljJlj ist
unrichtig, da es H'al ist; dagegen kann nach Ihn Yang A^ und ätL^
(lezteres sftX.Aj^L als Mubtada*, dessen Xabar ausgelassen ist) gelesen
werden.
Trumpp: Beiträge zur Erklärung des Mufassal. 213
und das ist ein Spizname von ?Abdu-llali ibnu-lli'äri^ bin
Naufal. 6) üebertragen von etwas Zusammengeseztem, was
wir schon erwähnt haben.
Der improvisirte (Eigenname) ist zweierlei Art :
regelmässig und anomal. Der regelmässige^) ist
wie jjLÄk^, jjfw^x, ^IJ-^-ä., (j*»jiÄi und oi^LiÄ., und der un-
S-cc G-o- G-ro-
regel massige ist wie v-a.^ ^) und v^P^ und N^^l^yo und
5^^ 3^ und ä^Ai^ . *)
§ 5. (Cf. Alf. V. 75.)
Wenn bei einem Manne ein nicht annectirter Name und
ein Beiname zusammentreffen, so wird sein Name au seinen
Beinamen annectirt, man sagt also: das ist Sa?id von einem
Ranzen, und: Qais von einer trockenen Gurke, und: Zaid
von einer Flasche.^) Wenn (aber) der Name annectirt
oder eine Kunyah ist,^) so richtet sich der Beiname nach
1) Regelmässig genannt, weil er andern analogen Bildungen
entspricht.
2) v^^A^ (eigentlich Inf.) ist unregelmässig für ■_^<y .
3) s\«jCo statt des regelmässigen jjvbsjo
4) 5«j^ statt des regelmässigen x^ä. .
5) Die küfischen Grammatiker erlauben in diesem Falle auch die
Go ' =
Apposition, wie : \ S i^J^Ju» \d^ . I^as ist immer der Fall , wenn
der Eigenname durch den Artikel definirt ist.
6) Nach der Alfiyyah (V. 75), wenn der eine der beiden kein Einzel-
wort ist. Neben der Apposition ist aber auch der Nominativ und
Accusativ gestattet, indem man im ersteren Falle «JD ^^^ t i""*
lezteren dagegen ^JLaI supponirt.
[1878. I. Philos.-philol.-hist. Cl. 3.] 17
214 Sitzung der phüos.'philol. Classe vom 2. März 1878.
dem Nomen ; man sagt also : das ist ?Abdu-llali , (die)
Flasche, und: das ist Abu Zaid, (die) trockene Gurke.
§ 6. (Cf. Alf. V. 72. 73.)
Und sie benennen was sie in Besiz nehmen und mit
was sie umgehen , ihre Pferde und Kamele und Schafe
und Hunde und andere (Thiere) , mit Eigennamen,
von denen ein jeder auf ein specielles Individuum an-
gewendet wird, durch den sie es erkennen, wie die Eigen-
namen bei den Menschen, z. B. ^^y^i > ) ^J^^ ? ) fvitV^ , )
^UJx,*) ih^ und ä-Ljc, ) ^'^, v*-^^- ^)
§ 7.
(Fl. Beitr. II, p. 287; De Sacy, I, § 593.)
Und was nicht in Besiz genommen und mit was nicht (so)
umgegangen wird, dass man einer Unterscheidung zwischen den
1) — -5^1 (krumm) Epithet und der Eigenname eines berühmten
Hengstes bei den Arabern der Heidenzeit Seine Nachkommen wurden
iU^y^yi Juil genannt.
2) Ebenfalls Name eines berühmten Pferdes (schlank).
3) Name eines berühmten Kamelhengstes (weit an der Seite des
Mundes).
4) Name eines Kamels; die Form ^^UJLß findet sich weder in
Lane noch im Muh'itu-lmuh'it ; der leztere hat ^^LJlx (sowie auch
Lane), mit der Bedeutung: ein schlankes, überragendes Kamel.
5) Eigennamen für zwei bösartige Ziegen. iiuL^ wird speciell
auf ein Schaf (»Li) angewendet. Cf. Alf. V. 72. 73, Com. (äJUp
6) ij'>4-*öj Hundsname; v^Lww^j , Name einer Hündin.
Trumpp: Beiträge zur Erklärung des Mufassal. 215
einzeln en bedürfte, wie die Vögel, die wilden Thiere und die
Reptilien der Erde und andere, so dient in der Tliat der
Eigenname davon zur Bezeichnung der ganzen Gattung, ^)
kein Theil ist dadurch näher als der andere. Wenn du
^ . - 'f
also sagst : (j^' >■> ^' (Name eines Vogels , mit schwarz
und weissem Gefieder) und iblt> ,jjf^ (Rabe) und iUUwf
(Löwe), und XjUj (Fuchs), und SvÄj ^l (eine schlimme
-r » "
Schlangenart = Pfeilssohn), und (3^ ^-^^ (Schildkröte), so
ist es , wie wenn du sagen würdest : die Gattung, welche
von der und der Eigenschaft ist. Und von diesen Gat-
tungen ist das, was einen Gattungsnamen hat. Und der
Eigenname ist wie : iX^J^^ und iULwf (der Löwe), und
v^UjiaÜ und äJLaj (der Fuchs). Und das, von dem
kein Name bekannt ist, ausser der Eigenname, ist z. B.
\j6yÄjo ,j.j| (das Wiesel), und jj^v^* 5^^ (Kellerassel). Sie
sind auch dabei verfahren wie bei der Benennung der
Menschen, haben also der Gattung einen Namen und eine
Kunyah gegeben und heissen den Löwen aUL*;! 2) und
vij|vLil ^j| , und den Fuchs iÜuLS* und jj^x-üf «.jI , und
" ^ » , - - -- d^ "
die Hyaene ^:^Lo.ä. 3) und yoLt *| , und den Scorpion
üy^ und Jäj v£; ]♦' • Es gibt welche , die einen Namen
1) Der Eigenname zerfällt nämlich in den Eigennamen der Person
und den Eigennamen der Gattung ((jwJLä. i^Ju^; (joi^ i*-^ ) •
2) Doch auch mit dem Artikel: iüoLw«^l .
3) Eigentlich PI. von w^S^ , grossbauchig.
216 Sitzung der phüos.-pldlol Classe vom 2. März 1878.
haben, aber keine Kunyah, wie fwCi* für die männliclie
Hyaene; ^) und was eine Kunyah hat, aber keinen Namen,
ist wie J^K-? ^^' (ein Vogel, der verschiedene Farben an-
nimmt), und »v^-yö ^! (ein Vogel roth am Bauch, schwarz
am Kopf, den Flügeln und dem Schwanz, an den übrigen
Theilen roth), und ^^; r»^ (der männliche Affe, im Dia-
lecte von Yaraan), und j^;^^ A (ein Vogel, schwarz, aber
weiss an der Basis des Schwanzes, den er viel bewegt).
§ 8.
Sie haben dabei auch die Nomina abstracta wie die
Nomina concreta behandelt ; so benennen sie die Lobpreisung
(^jM^uw^jJI) mit (jL^^ j ^) den Tod (iLy.JI) mit y;*'^
1) Die weibliche Hyaene heisst ^Lii* und süts». , weil sie sich
mit ihrem Kothe beschmuzt. Die Form Jljti ist eigentlich ein ira-
perativischer Infinitiv (indeclinabiliter gesezt), der auch dazu gebraucht
wird, eine ideale Persönlichkeit auszudrücken, die auf weibliche Wesen
angewendet wird. Diese Form wird meist im Vocativ gebraucht, wie
nL^ oder X^ Lj , das Laster! um etwas Hässliches oder Schlechtes
auszudrücken, doch auch ohne Anruf, als reiner Eigenname. S. Alf.
V. 672, 673, Com. Die Tamimiten gebrauchen die Form JLii und
decliniren es schwach. S. Alf. V. 672. 673, Com. und de Sacy, Anth.
p. <\\i , L. 4. Ew. I, p. 221. Fleischer, Beiträge etc., III, p. 131.
2) ^L^^ wird als ein *X^ angesehen; es ist ein Verbal-
nomen, das schwacli flectirt wird (und nur im Acc. vorkommt, abhängig
von einem ausgelassenen Verbum) ; seine ursprüngliche Bedeutung ist :
Trumpp: Beiträge nur Erklärung des Mufassal. 217
(Trennerin) ^) und ^^s ^} (Mutter eines Geiers), die Schlau-
lieit UcXäJIJ mit jjlAw^f (eigentlich: arglistig, als männ-
1 ich er Daemon gedacht), und das kommt vor im Dialect der
Banü Fahm:
„Wenn sie die Arglist zu Hülfe rufen, so sind ihre
Grauen mehr voran zur Arglist als ihre bartlosen
Jungen/' (J^^-^)
Und davon benennen sie einen Schlag (Tritt) mit dem
Fuss auf den Rücken eines Menschen mit ,^L.^^> *l (Mutter
' CS-
des Arglistigen), und die Frömmigkeit mit üy? , -) die Schlech-
tigkeit (s>.^i!) mit >Ls? , die Gesammtheit (xaIwI) mit
f?y)> wie in dem Verse:
,,(Und wenn ein irrender Mensch von Tanü/ eine
Qasidah macht, in der ein Anstoss vorkommt), so wird
sie mir ganz zugezählt." (J^j^io)
Und sie sagen in Betreff der Zeiten: ich begegnete
ihm diesen Morgen (s^tXi-), früh an diesem Morgen (»v^),
und: heute ein wenig vor Tagesanbruch fy^j, und: in der
bestimmten Zeit (xJ^j^s)- ^)
Gott von aller Unvüllkommenheit ausnehmen (^sj>yXxi\). In der Poesie
kommt es auch mit Tanvin vor (üL^^), was entweder dem Vers-
zwang zugeschrieben wird oder einer intendirten Indetermination.
> > - G j -
1) ^^5.*^ ist Femininum; (^«.ji^ dagegen ist vollständig flec-
> (j"
tirbar und masculinum, als Nomen für li^jj-^-JI .
2) S. Alfiyyah; V. 81, Com. am Ende.
3) Diese Zeitnomina werden wie Eigennamen behandelt und un-
218 Sitzung der philos.-phüol. ülasse vom 2, März 1878.
Und sie sagen in Betreff der Zahlen: (die Zalil) sechs
(itLu/) ist das Doppelte von drei, und: vier ist die Hälfte
von acht. ^)
§ 9.
Und zu den Eigennamen gehören die Formen, nach
denen gemessen wird, wie du sagst : das ^X*i , dessen Fe-
mininum Joii ist, und das J.*il, als Adjectiv, werden
schwach flectirt, und das Formmass von it^s-b und ^^^l
ist das iUjii und das Jjtif^ . ^)
vollständig declinirt (cf. Alf. V. 670, Com.) ; dadurch werden sie deter-
minirt und auf eine bestimmte Zeit angewendet. So wird auch
liji^ im Sinne von iUxÄJ! gebraucht, z. B. diXjJ tX.Ju iüUi iüjüü ,
„ich begegnete ihm die Zeit nach der Zeit was IbnYa-?iä (p. 44, L. 21)
durch ^jN^il jJu ^jJ^I erklärt, gleichbedeutend mit (^»tXjJt,
von Zeit zu Zeit, hie und da. Werden diese Nomina als Indeter-
minata gebraucht, so werden sie vollständig flectirt.
1) Die Zahlen (auf s) werden auch als eine Art von Gattungs-
Eigennamen behandelt und daher wie Nomina propria schwach
flectirt, wenn sie den Zahlbegriff in abstracto ausdrücken. Nach Ibn
Ya^is (p. 4h, L. 2) kann diese Idee auch durch den Artikel ausgedrückt
werden, z. B iU-wwJ! ^j^ &;LAjL!I, „drei ist die Hälfte von sechs,"
indem die Determination durch den Artikel den Gattungs-Eigen-
namen gleichkommt. Doch kann dadurch auch auf vorher genannte
Dinge zurückgewiesen werden.
2) Diese Formmasse, welche alsSubstantiva betrachtet werden
(nach Ibn Yan§ Com. p. 45, L. 14: xa^ ^ks. a-w! xJyXxi L.gjdwU))
werden ebenfalls zu den Eigennamen gerechnet und darum schwach
flectirt. Es können jedoch auch Fälle eintreten, wo sie als Nomina
Trumpp: Beiträge zur Erklärung des Mufassal. 219
§ 10.
Und manclimal wird einer der Namen, die allen zu-
kommen, auf einen der damit Benannten vorherrschend an-
gewendet und wird ein Eigenname von ihm durch über-
wiegenden Gebrauch , wie z. B. y-^ ^j^* , (j^y^ ^' »
i^yXMUQ j^l ; (diese Nomina) werden vorwiegend von den
?Abdu-llah^) gebraucht mit Ausschluss derer, die ausser
ihnen Söhne ihrer Väter sind. Ebenso wird y^'f^ lO^'
vorwiegend gebraucht von ?Abdu-llah, mit Ausschlus eines
andern von den Söhnen von r^ V' > und ^J^x^\ ^\ ,
pt v^ ^\ und ^J^^ \^} werden überwiegend gebraucht ^)
indeterminata stehen, und dann stark (mit Tanvin) flectirt werden,
z. B. Oy.o.AJ J) iiLa^ (J.?^- <-^'*^^ ^1 "^^^ J^^^^ Af^al, das ein
^ - i* S > >
Ädjectiv ist, wird schwach flectirt." Hier nöthigt ^^ dem jL*il die
Indetermination auf, wie überhaupt ein jeder Eigenname, wenn er in-
determinirt gefasst wird, stark flectirt wird (Alf, V. 672, 673, Com.).
Wörter nach der Form Jk*if , wenn sie Noraina indeterminata sind,
können stark flectirt werden, wie JjCil (ein grüner Specht), cjut
(Name eines Vogels), weil sie, ohschon sie eine Verbalform haben, doch
keine Adjectiva sind (Alf. V. 653—55). ^
1) Das nähere über diese Namen siehe bei Ibn Yans Com. p. f H
Der Plural ^üOLAÄ ist wie von einem supponirten Singular J Jul& aus
gebildet.
2) Die Nomina propria werden hier als Wort im allgemeinen
(ä4.A.^) betrachtet, daher das Femininum iUili darauf bezogen ist.
220 Sitzung der phüos.-philol. Glasse vom 2. März 1878.
von 4>->W. , ) tXj^ und y^^f so dass keiner ihrer Brüder
darunter vermutliet wird. (Cf. Alf. V. 111. 112.)
§ 11.
Vor einige der Eigennamen tritt das Läm der Deter-
mination;^) dieses ist zweierlei Art: 1) ein nothwendiges,
und 2) ein nicht nothwendiges.
1) Das nothwendige kommt vor in Worten wie
*ä!I für die Plejaden (^:>r^l) ? und ^3***aJI und in den
gemeinen (Nominibus), die überwiegend in Gebrauch ge-
kommen sind (als Eigennamen) ; siehst du nicht, dass beide,
auf diese Weise durch das Lsm determinirt, zwei Nomina
sind für jeden Stern, den der Anredende und der Angeredete
kennt und für jeden Bekannten, der durch den Blitzstrahl
getroffen würde. Dann kam |WSÜI überwiegend in Gebrauch
für die Plejaden, und ^^juoj\ für Xuvailid bin Nufail bin
?Amr bin Kiläb. Das Läm also in den beiden und die
die Annexion in (j^K ^^ und ^S ^^\ sind sich darinnen
gleich, dass beide nicht weggenommen werden können.
1) Yazidu heisst (HjloJI ^^\ , der Sohn des durch einen Don-
nerschlag von Sinnen gekommenen, weil sein Vater JUii ^^ tX-S>*.^
von einem Blitzstrahl getödtet worden war.
2) i^Äjoüdl (»y, i.e. der Artikel, so genannt, weil einige Gram-
matiker (besonders Sibavaih) das Alif des Artikels nur als J1.O5JI oiJI
betrachten, als eigentlichen Bestandtheil desselben also nur das Läm
annehmen.
Trumpp: Beiträge zur Erlclärung des Mufassal. 221
Ebenso ,jIvJ4\JI (der Nachfolgende) , *) [J^y-^^ (der
Hinderer), 2) ^U^l (der Hohe),^) und Lj JÜI , weil sie über-
wiegend in Gebrauch gekommen sind für die Sterne , die
abgesondert sind von dem , was durch vJt> , jjjLa , vil*^
und 8^ JiJf qualificirt wird. *) Und was nicht bekannt ist
als Derivativum von dieser Gattung, das wird dem ange-
schlossen, was bekannt ist.
2) Das nicht nothwendige kommt vor in Worten
wie OpLiI, (j*.UiJI , wiiajl , JwiiJI und i^iJI, und in
1) Eigentlich ein iü,^ (Adjectiv), ein Stern, der zwischen den
Plejaden und dem Orion (i|v*.i) steht und den Plejaden nachfolgt.
2) ^-yw*;! ist der Stern Capella; er soll den Dabaran hindern,
sich mit den Plejaden zu vereinigen.
3) Der Stern Arcturus.
4) Diese (ursprünglichen) Adjective werden nicht allgemein an-
gewendet, obschon sie dem Sinne nach mit wjI«^ , (SjLä und dLcLww
zusammenfallen, weil sie eine specielle Beziehung angenommen haben
und durch ihren Bau von den andern Derivativa abgesondert sind, in-
dem Adjectiva, je nach ihrer äusseren Form, eine specielle Bedeutung
0 o S ^ 0 ö^ j
erhalten können, z. B. JlXä , J-?tN^ ? Jt>Lt . üjo ist das Di-
minutiv von ^^jv-J (fem. von ijUt->J, „zahlreich oder viel besizend"
(als ob es von dem Subst. i^yi (Menge) abgeleitet wäre). — Zu den
Nominibus, in denen der Artikel erforderlich ist, rechnet Ibn Yan§
z. B. die Wochennamen, wie : iUJbül , der dritte Wochentag = Diens-
tag (ohne Tanvin und Femin. s. Alf. V. 770, com.), iüijv j!| der vierte
Wochentag = Mittwoch.
222 Sitzung der philos.-philol. Glasse vom 2. März 1878.
solchen, die ursprünglich ein Qualificativ oder ein Verbal-
nonien sind. ^)
§ 12.
Und manchmal wird der ICigenname durch einen von der
damit benannten Classe von Leuten (näher) erläutert, darum wird
er, wegen der Erläuterung, wie 0^^ und (j^>-9 (als indeter-
minirLes Gattungsnomen) behandelt ^) und man wagt sich
an seine Annexion und die Vorsezung des Lam (i. e. des
Artikels) ; 3) man sagt Mudar von der rothen (Kuppel),
Rabi?ah von den Pferden, und Anmär von den Schafen.
Ein Dichter sagte:
,,Am Tage des Sandhügels trat unser Zaid auf den
Kopf eures Zaid mit einem yamanischen blinkenden
(Schwerdt), scharf auf den beiden Seiten." (J^^)
Und Abu-nnajm sagte:
„Die Wächter der Pforten entfernten die Mutter des
?Amr von ihrem Gefangenen auf ihre Schwäche hin."
Und ein anderer sagte:
1) Bei Worten dieser Art kann man den Artikel sezen oder weg-
lassen, je nachdem man die ursprüngliche Adjectivbedeutung oder die
Eigenschaft als Eigennamen vorwiegen lassen will. Die Verbalnomina
dieser Art sind dann auch als Adjectiva zu betrachten; darum darf
nicht jedes Verbalnomen hieher gerechnet werden. Cf Alf. V. 109. 110.
2) In diesem Falle kann das Nom. propr. auch das ^yj^
-AX^Uu! annehmen, wie: äÄjK aj^o! lj^ , ich habe manchen
Ibrahim gesehen.
3) Die Alfiyyah (V. 107. 108) hält den Artikel bei Eigennamen
dieser Gattung für pleonastisch und aus dem Verszwang hervorgegangen.
Trumpp: Beiträge zur Erklärung des Mufassal. 223
,,Ich sah denValid,^) den Sohn des Yazid, gesegnet,
fest ist sein Nacken in den Krümmungen (i. e. schwie-
rigen Geschäften) des Ä'alifats." (J.j^)
Und Al-a;(tal sagte:
„Es war von ihnen gewesen ein Thürhüter, und
Ibn Ummihi, Abu Jandal und Zaid, der Zaid der
Schlachtfelder." {S^.y^)
Und von Abü-l-?abbäs (ist es überliefert) : wenn Männer
im allgemeinen (als Masse) erwähnt werden , so ist der
Name jedes einzelnen von ihnen ,,Zaid"; man sagt zu ihnen:
,,was ist also zwischen dem ersten und dem letzten Zaid?"
und: „Dieser Zaid ist edler als jener Zaid/' und das kommt
selten vor.
§ 13.-
Und jeder in den Dual oder Plural gesezte Eigen-
name wird durch den Artikel determinirt , ^) ausser Worte
wie: (jLjül (zwei gegenüberliegende Berge, von denen der
eine mit dem andern verbunden ist) und jjUjUx (zwei
gegenüberliegende Berge), und oLiv^ (ein bekannter Ort
bei Makkah) und ^Li^ol.^)
1) lN-j^J^JI hat den Artikel nach derselben Regel wie y^jL^xJ! ;
Jo«jJ! dagegen steht im Sinne von Joyj .
Zu beachten ist, dass wenn ein Nora, propr. in die Annexion tritt
oder mit dem Artikel versehen wird, es vollständig flectirt wird, auch
wenn es sonst nach der schwachen Declination geht. Cf. Alf. V. 43.
De Sacy, Anthol. gr. p. ^v, L. 8, sqq.
2) Der Eigenname wird durch die Sezung in den Dual und Plural
naturgemäss indeterminirt ; soll er darum als determinirt festgehalten
werden, so rauss der Artikel davor treten.
3) Cf. Alf. V. 42, Com.
224 Sitzung der phüos.-philol Classe vom 2. März 1S78.
Es sagte (ein Dichter):
„Und vor mir starben die beiden /älid, ^Amid von
den Banü JahVän und Ibnu-lmudallal."
Er meint xälid bin Nadiah, und yß\id bin -Qais bin
Almudallal. Und man heisst Ka^b bin Kiläb, und Ka?b bin
Rabi?ah, und ?Amir bin Mälik bio Ja?far, und ^Amir bin
Attufail, und Qais bin ^Annäb, und Qais bin Hamzah :
^UäXDI , und ^jL/oÜlI( , und ^LaaaxäJI .
Es sagte (ein Dichter):
„Ich bin Ibn Sa?d, der edelste der Sa?d." (j^))
Und in ein-er Ueber liefer au g von Zaid bin i9^äbit, dem
Gott gnädig sei, (heisst es) : jene Muh*^ammad mit Verstand.
Und sie sagen: der Talh'ah der Talh'^ah, and Ibn Qais
(der Mann der) Ruqaivyät. ^) Ebenso (sagt man (im Dual)
jjUxjLw^I (die zwei Löwen) und (im Plural) c^LoLaa/^I
(die Löwen), und was dem ähnlich ist.
§ 14.
G r > ' - M ' ' ?
Und yj-jVJ und kJXi (der, die so und so), und y^\
^, ., ii
(j^i (der Vater von so und so), und iij^i J (die Mutter
von der so und so), sind Metonymien für die Namen der
Menschen und ihre Beinamen. Auch haben sie erwähnt
dass, wenn sie statt der Eigennamen der Thiere einen
metonymischen Ausdruck gebrauchen, sie (denselben) den
Artikel vorsezen;^) sie sagen also: jj^aJI und iw^Lail (der
die so und so).
1) Er soll an eine Anzahl Frauen verheirathet gewesen sein, die
alle &xi\ hiessen.
2) Nach Ibn Ya-?is, weil die Thiere in der Determination unter
der Würde der Menschen stehen.
Trumpp: Beiträge zur Erklärung des Mufasaäl. 225
Was aber ^5^ und »«^ (Sache) betrifft, so dienen sie
zu metonymischen Ausdrücken für Gattungsnomina.
Zu den Arten des Nomens gehört:
Das Flectirte (v/^0-
§ 15.
Obschon die Rede über das Flectirte geeignet ist, mit
Rücksicht darauf, dass das Nomen und das Verbum an der
Flexion Theil nimmt, im vierten Theile zu stehen, so
rechtfertigt doch das Vorkommen zweier Ursachen sie in
diesen Theil zu verweisen. Die eine Ursache ist, dass ur-
sprünglich das Recht der Flexion dem Nomen zusteht,
während sich das Verbum dabei dem Nomen nur aufdrängt
wegen seiner Aehnlichkeit (mit dem Nomen). Die zweite
Ursache ist, dass nothwendigerweise die Kenntniss der
Flexion für den, der durch die übrigen Kapitel watet, vor-
ausgeschickt werden sollte.
§ 16.
Das flectirbare Nomen ist dasjenige, dessen Endung
sich abwandelt in Folge der Verschiedenheit der (gram-
matischen) Rectoren der Wortform oder (nur) dem locus
grammaticus nach,^) durch einen Vocal oder Consonanten.
Die Abwandlung der Wortform nach durch einen Vocal
findet also statt in jedem Worte, dessen Flexionsconsonant
(i.e. Endradical) stark ist oder dem ähnlich, 2) wie du
1) Siehe meine Einleitung in das Studium der arabischen Gram-
matil:er, § 6.
2) Er meint damit Worte mit einem finalen • oder (^ , deren pen-
ultima vokallos ist, wie: jyc , /c^ ? ^^^^ solche, deren finales «
oder f^ verdoppelt ist, wie: «tX^ , ^aw*.5 .
226 Sitzung der philos.'phüol. Classe vom 2. März 1878.
sagst: es kam der Mann (JȊ.JI), und: ich sah den Mann
rj»Ä. Jl), utid : ich gieng an dem Mann vorüber (J.ä. Jü).
Und die Abwandlung der Wortform nach durch einen Co n-
soüanten (findet statt) an drei Stellen: in den sechs
Nominibus in der Annexion,^) z. B: es kam zu mir
sein Vater (Sj-?')? i"^d sein Bruder (»^^'j? und ihr Schwieger-
Vater (üö^-»a.j, und seine Sache (s^P>J, und sein Mund
(8^), und ein Besitzer von Vermögen (JU ^o) ; und : ich
sah seinen Vater (sbl) und: ich gieng vorüber an seinem
Vater (aüol), und so die übrigen. Und bei ^> , wenn es
an ein Pronomen annectirt ist, sagst du: es kamen zu mir
die beiden (L4iö^>), und: ich sah die beiden (U^^A^);
und nach ihrer Weise (oder Definition) sagst du im Dual
und Plural: es kamen zu mir zwei Muslime (jjU-Lw«<))
und: Muslime (PI. ^^-♦-LA^vo), und: ich sah zwei Muslime
(jJ.x#-L*ax>J und: Muslime (^j.>j*Aa«-« ), und: ich gieng vor-
über an zwei Muslimen {^/^^Xm^} und: an Muslimen
Und die Abwandlung des flectirbaren Nomens dem
1) Wenn sie nicht an das ^ der I. Person annectirt sind (cf. Alf.
V. 31, Com.) und im Singular stehen. Im Dual, Plural und in der
Diminutivform \yerden sie dagegen mit Vocaleu flectirt. — Zwei andere
Flexionsweisen dieser Wörter im Singular werden Alf. V. 29. 30. Com.
erwähnt.
2) Im Dual und Plural wird nur ä, ai, ü und i als eigentliche
Casusendung angesehen. S. meine Ausgabe der Ajrümiyyah, § 14, sqq.
Trumpp: Beiträge zur Erklärung des Mufassal. 227
locus grammaticus nach kommt vor in Worten wie Lä*J|
und (^tX*Aw und ^^^uJ! im Nominativ und Genetiv, w^äh-
rend es (das lezte) im Accusativ wie ^nI^I ist (also :
§ 17.
Das flectirbare Nomen besteht aus zwei Arten: eine
Art nimmt die Vocale der Flexion mit dem Tanvin an, wie
tX.j\ , J^s und wird das stark Flectirte (o*..o.a4jIJ
genannt; von der (zweiten) Art wird der Genetiv und das
Tanvin abgetrennt wegen der Aehnlichkeit mit dem Verbum
und es wird mit Fath*^ vocalisirt an der Stelle des Genetivs,
wie: 4X4Ä.I (Gen.) und {j^jy^ (Nom. iXf^l und (j^^vo),
ausser wenn es annectirt wird oder ihm das Lsm der
Determination (i. e. der Artikel) vorangeht. Und man
nennt es ,, nicht stark flectirt" (o^-^^äa^JI vxc) und
der Ausdruck ^^^.X^-X^J! begreift beide (Arten) in sich; *)
und manchmal nennt man das stark Flectirte (jX^^I (das
sehr feststehende).
§ 18.
Und das Nomen wird von der Flexion mit Tanvin ^)
abgehalten, wenn dabei zwei von neun Ursachen zusammen
treffen oder eine wiederholt wird; und diese sind: (1) die
Qualität als Eigenname und (2) das Femininum, das der
1) Siehe darüber meine Ajrumiyyah p. 24.
2) lieber OwoJi s. meine Ajr. p. 23.
228 Sitzung der philos -philol. Classe vom 2. März 1878.
Wortforra nach inhärirt,^) oder (auch bloss) dem Sinne
nach, in Worten wie C>\jum und ii^Jb ; und (3) die Verbal-
form, welche ihm (dem Verbum) überwiegend zukommt in
Worten wie J^»il, denn es kommt mehr bei ihm (dem
Verbum) vor als beim Nomen , ^) oder welche ihm (dem
Verbum) speciell zukommt, in Worten wie Vr^J wenn
damit ein Eigenname bezeichnet wird; ^) und (4) die Qua-
lität als Adjectiv in Worten wie >4.ä.!; ) und (5) die
Ab weichung von der (ursprünglichen) Form zu einer
' " ' 'Mä-
andern in Worten wie v4X und ^d>Xj* ; ^) und (6) dass es ein
Plural ist, von dessen Form kein Singular vorkommt,
wie 4Xä.Lm.x> und ^s^L^a^o , ausgenommen die Worte, deren
1) Dieses Femininum ist wohl zu unterscheiden von dem, welches
das Masculinum von dem Femininum trennt. Das leztere heisst das
zufällige {y^Xsti^) und ist vollständig flectirbar. — Es gehört
dazu, dass ein solches Femininum ein Nomen proprium sei, bezeichne es
ein männliches oder weibliches Wesen. Cf. Alf. V. 664—66.
2) Cf. Alf. V. 668.
3) Cf. Alf. V. 668, c. com.
4) Dadurch ist die Form Jjiil ausgenommen, die ihr Femini-
num auf t bildet, denn diese sind stark flectirt. Cf. Alf. V. 652.
5) Die Abweichung (JJulII) findet nur in der Wortform statt,
> - >
nicht in der Bedeutung, w^x ist nur eine andere Wortform für
^Ix . Die Form vd>j\j' (i>LÄ.! , cü, etc.) ist ein Beschreibewort,
das sich nur mit einem indeterminirten Nomen verbinden kann ; es steht
6 S
statt Äj'^' Xi*^', etc. Cf. Alf. V. 656—7.
Trumpp: Beiträge zur Erklärung des Mufassal. 229
Endradical schwach ist wie )^)-^ ^ denn im Nominativ
und Genetiv geht es wie \jo\3 , und im Accusativ wie
ujsl^ (also (^nI^ä-), *) und ^ä-Lo^ und J^j^I^w, in der
Supposition Plural von >.^^ und &Jl^v-w . 2) Und (7) die
Zusammensezung in Worten wie v-> vXjlXxxj , ^aXju . ' ;
Und (8) dass es ein Fremdwort ('^-^) ist, was speciell bei
Eigennamen der Fall ist>) Und (9) das Alif und Nun, die
1) Cf. Alf. V. 659, c. com.
? ^ -
2) Jo.lyA« ist nach Sibavaih und andern Grammatikern ein per-
sisches Wort (J«JLjÄ), das arabische Wortform (wie Jo^lxi' etc.)
angenommen hat. Cf. Alf. V. 660 Beide Nomina haben Singular-
bedeutung. Die Singularbedeutung von yÄ-Ld^. erklärt Ibn Ya^Ts
mit Hinweis darauf, dass auch Menschen- und Städte-Namen im Plural
9 — j -^^ ^
vorkommen , wie k,.J%S , ^^jf J^^JI .
S o- 9 ^->
3) Es muss übrigens ein sogenanntes \St^ <~^^>^ (mixtum
compositum) sein (i. e. iUL^Ä. yxi). iw Gegensaz zum ^i^U^^uj* v-a5 yo
(oder praedicativen Compositum), das ein Saz ist. Cf. Alf. V. 662.
4) Besteht das Fremdwort aus mehr als drei Eadicalen, (wie
I*A;elol), so wird es schwach flectirt, wenn es ein fremder Eigenname
(und als solcher determinirt) ist. Ist es aber in der fremden Sprache
kein Eigenname, sondern nur in der arabischen, oder in beiden Sprachen
indeterminirt, so wird es stark flectirt, wie A.^ (Pers. i»KJ) Die
fremden Eigennamen mit drei Eadicalen werden stark flectirt, sei der
mittlere ruhend (wie ^%^) oder mit Vocal versehen wie ^Jui . Cf. Alf.
[1878. 1. Philos.-philol.-hist. Cl. 3.] 18
230 Sitzung der philos.-philol. Classe vom 2. März 1878.
ähnlicli sind den beiden Auf des Femininums ^) in Worten
wie (jl^-Cu;, j ^U^jSj ausser dass der Dichter, wenn er
(durch das Versmass) gezwungen wird , sie *) stark flectirt.
Eine einzige Ursache jedoch verhindert keineswegs (die
starke Flexion) ^) und das, an was sich die küfischen Gram-
matiker halten in Betreff ihrer erlaubten Verwehrung in
der Poesie, ist kein sicherer Grund.
Und das, was eine von zwei oder mehrere Ursachen
(der Verwehrung der starken Flexion) hat, ist die Eigen-
schaft als Eigenname ; bei der Indetermination ist also seine
Regel die starke Flexion, wie du sagst: manche SuJäd
und Qatäm, weil es ohne Ursache oder auf Einer Ursache
bleibt,^) ausgenommen Worte wie >4äi: denn darüber
V. 667. (Verbessere darnach Wright, arab. Gram. I, p. 275, c. «; als
Fem. dagegen ^Jüij,
1) Das Alif und Nun sind zwei Incremente und gleichen darum
den zwei Alif des Femininums in Worten wie -^K »^ .
2) Aus dem Beispiel geht hervor, dass nur diejenigen adjecti vischen
Bildungen auf änu gemeint sind, die ihr Femininum nicht auf t bilden,
sondern auf a, wie ^^'v^«*«, Fem. ^J5<jm . Die Form ^ jVjii ,
die das Fem. auf ^ü^^Jti bildet, wird stark flectirt, wie ^JJlxjm ^
Fem. iüUl^. Cf. Alf. V. 651.
3) Beim Eigennamen, der nach der Form ^^^ii gebildet ist,
tritt die schwache Flexion wegen der Form und wegen der 2U.4JLc ein.
4) D. h. alle die angeführten neun Classen.
5) Es müssen also, wenn ein Nomen schwach flectirt werden soll,
immer zwei von den neun angeführten Ursachen zusammentreffen; die
weitere Ausführung s. in Wright's Arab. Gram. I, p. 279.
6) Der Eigenname verbindet sich nämlich (nach Ibn Ya*i§) mit
I
»
Trumpp: Beiträge zur Erklärung des Mufasml. 231
herrscht eine Meinungsverschiedenheit zwischen Al-a^fas und
dem Verfasser des Buchs (i. e. Sibavaih).^) Und das drei-
radicalige Nomen prop. mit mittlerem ruhenden, in dem
G '
zwei Ursachen vorhanden sind, wird stark flectirt, wie ^^
und isy , in der gewählten Sprache, die dem Qurän eigen
ist, weil das Sukün eine der beiden Ursachen bekämpft;^)
sechs Ursachen der Verwehrung der starken Flexion: 1) x^.^]! , wie
J.AÄ4-cül^ . 2) JjLftJI ^\^ , wie Jo wj . 3) JjoJI , wie w4.fi: .
4) Das Increment von ^\ , wie ^Cit . 5) v^xSOJI , wie dQjij .
6) viy-xJüJ! , wie sy*.^ . Im Eigennamen als solchem ist die Deter-
mination inbegriffen; fällt nun diese weg, so fehlt eine der Ursachen
und das Nomen hat nur noch Eine Ursache, die in Wirklichkeit eigent-
lich keine Ursache mehr für die schwache Flexion ist Aehnlich ist es
auch bei andern Nom. prop., in welchen drei und mehr Ursachen zu-
sammentreffen, da mit der Indetermination auch die andern Ursachen
dahinfallen. Cf. Alf. V. 672, 673, c. com.
1) Nach dem Com. des Ihn Ya^is verwehrt Sibavaih die vollstän-
dige Flexion dieser Worte, auch wenn sie, nachdem sie in Nom. prop.
übergegangen sind, indeterminirt gebraucht werden, wegen ihrer Aehn-
lichkeit mit ihrem Zustand vor ihrer Anwendung als Nom, prop. (oder
wie Ibn *Aqil, Com. zu Alf. V. 658 — 55 sagtj im Hinblick auf ihren
Ursprung). Al-ajfas dagegen spricht ihnen die vollständige Flexion zu,
^wenn sie als Nom. prop. indeterminirt gebraucht werden. Das Mufassal
leigt auf die Seite Sibavaih's, ohne den Streit endgiltig zu entscheiden.
2) Wie dies geschieht, wird nicht näher angedeutet. Auch Ibn
'a'Jis sagt nur: „und einige flectiren es manchmal stark, weil es durch
LS Sukün seines mittleren Radicals leicht wird, als ob die Leichtigkeit
line der beiden Ursachen bekämpfte." Ibn Ya^is unterscheidet hier
läher die Nom. prop. fem. mit drei Radicalen, deren mittlerer ruhend
st; diese kann man stark oder schwach flectiren, wie d<^(^ und tXÄt>,
loch ist das letztere das gebräuchlichere. Bei dem Nom, prop. masc.
lagegen, deren mittlerer Radical ruhend ist, findet, wenn sie fremden
18*
232 Sitzung der philos.'phüol. Classe vom 2. März 1^7 8.
und einige behandeln sie nach der Regel, flectiren sie also
nicht stark; der Dichter fasst beide (Arten der Flexion)
zusammen in seinem Worte :
„Nicht bedeckte sich Da?d mit dem überflüssigen
Theil ihres Schleiers *) und nicht liess sie sich tränken
aus den Melkkübeln." (^yj^MJjo)
Und was dasjenige (Nom. prop.) betrifit, in welchem
eine Ursache mehr ist (als zwei), wie »Ui und ^^, so ist
s >
in diesen beiden das was in ^^ ist, mit dem Zusaz des
Femininums, man braucht also nicht auf die Verwehrung
seiner starken Flexion hinzuweisen.
Und die Wiederholung (der Ursache) kommt vor in
Worten wie ^y^ und i» j^P und tXÄ>Lwux> und ^3oUax> .
Die Bildung mit einem Buchstaben des Femininums, der
sich nicht in einem Falle ablöst, und die Form, der kein
Singular entspricht, wird als ein zweites Femininum und
als ein zweiter Plural behandelt. *)
Ursprungs sind, das Gegentheil statt, indem ihre schwache Flexion
nicht gebilligt wird. Zama;^§ari macht keinen Unterschied zwischen
Nom. prop. fem. und masc.
1) D. h. sie gebrauchte keinen zu grossen (überflüssigen) Schleier.
2) Cf. Alf. V. 649, Com. Das an der Stelle von zwei Ursachen
stehende ist also das verkürzte und das gedehnte Alif des Femininums
(weil in diesen das Alif mit der Wortform zusammenschmilzt), und der
Plural der das äusserste Ende erreicht hat (also die Formen JoLi ,
Jljljii und der Plural der Quadrilitera etc.)
I
Trumpp: Beiträge zur Erklärung des Mufassäl. 233
§ 19.
Die Rede von den Gestaltungen der Flexion
des Nomens (i. e. von den Casus).
Diese sind der Nominativ ( /*^y ' ) > der Accusativ
(v^.«äaJI) und der Genetiv ( v^O? indem ein jeder von ihnen
ein Hinweis auf einen (bestimmten) Sinn ist. DerNomina-
tiv also ist der Hinweis auf das handelnde Subjeet (iUlÄUJI);
und das active Subjeet ist nur eines.*) Was aber das
Mubtada' und sein Xabar betrifft, und das Xabar von ,j^
und seinen Schwestern, und von y, das zur Verneinung
der (ganzen) Gattung dient, und das Nomen von l^ und
y, die ij*^ gleichgestellt sind, so werden sie dem Activ-
Subject angehängt (i. e. analog behandelt), weil sie ihm
ähnlich sind und nahe kommen. ^)
1) Ein Verbum, sei es transitiv oder intransitiv, kann natur-
gemäss nur Ein Activ- Subjeet haben (stehe dieses im Singular, Dual oder
Plural), da es nur von Einem Subjeet etwas aussagen kann; das was
sich ein Verb unterordnet, ist iLl,oi (accessorischer Bestandtheil des
2) Das Mubtada* und sein Xabar müssen beide im Nominativ
stehen. Das Xabar von ^^! und seinen Schwestern (i. e. ^^f , ^o ,
^jJ3 , JüJ und v:iuJ), sowie von ^ (zur Verneinung der Gattung)
muss im Nominativ folgen. Das Nomen von Lo und ^ (c^^) (und
bisweilen auch von dem negativen ^o' ) steht im Nominativ, sein Xabar
dagegen im Accusativ, wenn diese im Sinne von ^jj^jj gebraucht
234 Sitzung der philo s.-philol. Classe vom 2. 3Iärz 1878.
Und ebenso ist der Accusativ der Hinweis auf die ob-
jective Unterordnung (xII^JtAJO- Das Object ist fünferlei
Art: (1) das absolute Object,^) (2) Das (eigentliche) Object
(oder objective Complement des Verbums, äj J^-Äi^JI), (3)
das (adverbiale) Object der Zeit- oder Ortsbestimmung (das
im KSinne von 3 steht, daher Äxi J^jiäJI = o JaJI), (4) das
Object des Mitseins (das, in Verbindung mit welchem ge-
handelt wird, ifjuo JyiAjI), 2) ^nd (5) das Object des Mo-
tivs (xl JytA^JI oder auch &^l ^ JyiAjl). Und der
Zustandssaz fjtilj; und die Specificatiou (yx>j4JJi), und
das in den Accusativ gesezte Ausgenommene, und das A'^abar
bei der Kategorie von ,j(^ , und das Nomen bei der Kate-
gorie von jjj^ , und das durch ^ , das zur Verneinung der
Gattung dient, in den Accusativ Gesezte, und das Xabar
von Lx) und ^ , die dem {j*^ gleichen, werden an das Ob-
ject (in der grammatischen Behandlung) angehängt.
Und der Genetiv ist der Hinweis auf die Annexion.
werden. Man reiht sie an das JxU an, weil sie, wie dasselbe, immer
in Nominativ stehen müssen,
1) S. meine Ajrüm. § 67. Es ist das meistens das aus dem vor-
angehenden Verbum abgeleitete und in den Accusativ gesezte ^Jk^^Ävo,
das entweder zur Bestätigung dient, oder die Art und Weise oder die
Zahl anzeigt.
2) Es ist das nach 1 (dem in diesem Falle die Bedeutung „mit"
gegeben wird) in den Accusativ gesezte Nomen,
Trumpp: Beiträge zur Erklärung des Miifassal. 235
Was aber die Apposita ^) betrifft, so fallen sie in ihrem
Nominativ, Accusativ und Genetiv unter die Regeln der
Worte, denen sie apponirt werden, indem die Rection des
(grammatischen) Rectors über die beiden Arten sich gleich-
massig ergiesst; und ich werde alle diese Gattungen mit
der Hilfe Gottes und der Gnade seines Beistandes der Ord-
nung nach getrennt behandeln.
Erwähnung der Worte, die im Nominativ stehen
(müssen).
Das Activ-Subject.
§ 20.
Das Fä^il (oder Activ-Subject) ist dasjenige, dem das
an dasselbe Angelehnte,^) sei es ein Verbum oder ein ihm
ähnliches (Nomen) , *) durchaus vorangestellt wird , wie du
1) Die ^jUj> sind viererlei Art: 1) ooLUI (das Qualificativ);
2) Ljiia*JI (die Anfügung) und zwar ,oLuJI v-^kf (die erklärende
Anfügung, asyndetiseh) und (^J^w**JLJI v^lic (die Anfügung der An-
reihung durch die zehn conjunctive Partikeln); 3) cXx5ydl (die Cor-
roboration), und 4) JjuJj (das Permutativ). S. meine Ajrüm. § 53, sqq.
2J ^üJI^ l\^aw.4.JI , wörtlich : das, an was angelehnt wird, ist hier
das, auf welches das Verbum bezogen wird (also das Subject) ; JOUw^^JI
ist das was angelehnt wird, i. e. das active Verbum; oLLww^II die
Anlehnung des Verbs an sein Activ-Subject, i. e. die Beziehung zwischen
Praedicat und Subject.
3) Unter diesen Nominibus versteht man das JxLäJI ^jm I ,
das J^jtAjl ^\ und die Eigenschaftswörter, die dem JkrLftJI ^j^\
der Construction nach) ähnlich sind. Cf. Alf. V. 467, sqq.
236 Sitzung der phüos.-phüol. Classe vom 2, März 1878.
sagst: es schlug Zaid, und: Zaid, es schlägt sein Knabe
(Sclave), und: schön (ist) sein Gesicht. Ihm kommt von
rechtswegen der Nominativ zu, und das was es in den No-
minativ sezt, ist das, was an dasselbe angelehnt wird (i. e.
das Verbum). Und die Regel ist, dass es dem Verb folge,
weil es gleichsam ein Theil von ihm ist. Wenn ihm also
etwas anderes vorgesezt wird, so ist es der Absicht nach
nachgesezt, und darum ist es erlaubt zu sagen: es schlug
seinen Sclaven Zaid, und es ist verboten zu sagen: es
schlug sein Sclave den Zaid. ^)
§ 21.
Das pronominale (Fä?il) ist in Betreff der Anlehnung
an dasselbe wie das offenbare Nomen; du sagst: ich habe
geschlagen, und : wir haben geschlagen, und : sie (m.) haben
geschlagen, und: sie (fem.) haben geschlagen; und: Zaid,
er hat geschlagen. Du intendirst also in v>-^ ein Fä?il,
und das ist ein Pronomen, das auf Zaid zurückweist, ähn-
lieh dem „t", das auf ül und oil zurückweist in oowo ül
und y^:^y^ <o.jl • ^)
1) Der Grund ist, dass das Pronomen suff. seinem Juuuo , auf
das es sich bezieht, nicht vorangehen darf. Die Alfijyah (V. 241) er-
laubt jedoch eine solche Construction, während Ibn *Aqil in seinem Com-
mentar sie bekämpft. Der im Texte angeführte Saz ist jedoch ganz
richtig, wenn sich das Suff. 5 auf das in »^wo verborgene jLftLi
bezieht.
2) Das J^frLi ist zweierlei Art: 1) v.^Ij>ö , ein offenbares Nomen,
und 2) w4«<a;o, ein Pronomen. Dieses leztere ist wieder entweder
J^^oÄAXi (getrenntes = absolutes Pronomen), oder J..oJt/o (angehängtes,
Trumpp: Beiträge zur Erklärung des Mufasml. 237
§ 22.
Zu den Fällen, in denen das Fa?il (durch ein Pro-
nomen) im Sinne behalten wird , gehört deine Rede : er
schlug mich und ich schlug den Zaid. Du behältst (durch
ein Pronomen) im ersten das Nomen von dem im Sinne,
der dich schlug und den du schlugst, unter der Bedingung
der Explication (desselben), weil, da es deine Absicht war
in dieser Rede, Zaid als Fä^il und Object zu sezen und du
desshalb die beiden Verba auf dasselbe hinwandtest, du dich
einmal mit der Erwähnung desselben begnügen konntest,
und da es nothwendig war, das eine von beiden eine Rec-
tion darauf ausüben zu lassen, so liessest du die Rection
dem, welchem du es unmittelbar folgen liessest. ^) Hieher
und zwar p«jw>e, im Nominativ stehendes). Das leztere kann wieder
\^ü (offenbar, wenn die Person zu Tage tritt, wie in oowoj sein,
oder yXXjMjo (verborgen wie in uj>..o , oowo). Cf. meine Ajrum.
§ 41. 42.
1) Es handelt sich hier um den sogenannten Conflict in der
Rection, (Jl^jÜI 3 c\LüJIJ, welchen die Alfiyyah als ein eig-enes
Capitel behandelt, was immerhin practischer ist, da es sich dabei nicht
allein um das JxU , sondern auch um das J*.«jlo handelt. Man
gebraucht diesen Ausdruck, wenn zwei Regens sich auf Ein Rectum
hinwenden, indem sie demselben vorangehen. Eins von den zwei Re-
gens regiert das sichtbare Nomen, während das andere rectionslos ge-
lassen wird und nun das Pronomen des sichtbaren Nomens regiert. Jedes
der beiden Verba kann das sichtbare Nomen regieren; die Basreuser
und Küfenser sind nur darüber uneinig, welches der beiden Verba für
die Rection geeigneter sei , indem die Basrenser das zweite Verbum
dazu für passender erklären, weil es dem Jy^juo näher stehe, die
Küfenser dagegen das erste, weil es vorangehe. (Alf. V. 278. 279, sqq.)
238 Sitzung der phüos.-pMlol. Classe vom 2. März 1878,
gehört das Wort von Tufail, welches Sibavaih citirt hat
(Metrum Jj^)-
„(Dunkelbraune, tief rothe, als ob [eine Gold-
farbe] auf ihren Hüften) flösse, und sie auf dem
Leibe bekleidet wären mit einer Goldfarbe." ^)
Und ebenso ist es, wenn du sagst: ich schlug (ihn)
und es schlug mich Zaid ; du sezest es (das Fs?il, i. e. Zaid)
in den Nominativ, weil du es dem folgen lassest, was in
den Nominativ sezt (nämlich dem Verb Vr**^ ™it seinem
Object ni), und du lassest aus das Object des ersten (Ver-
bums) indem du es entbehren kannst; und demgemäss
lassest du immer das nächste (Verb) die Rection ausüben.
Du sagst also: ich schlug und es schlugen mich deine
Leute (viU^'J. Sibavaih sagt: und wenn du die Rede
nicht mit dem lezten (Verbum) in syntactischen Einklang
bringen würdest, würdest du sagen: ich schlug, und sie
schlugen mich , deine Leute x^kioyi , im Accus, als J^4Jix>
des ersten Verbums).*) Und das (nämlich dem lezten
1) In dem citirten Verse von Tufail regiert das zweite Verbum das
[jyj^XA (i.e. y^Joo lovj, ußd das erste Verb, das sich ebenfalls
auf ^^jjsüd<A r^y bezieht, ist rectionslos gelassen (denn wenn es re-
gieren würde, müsste es ^„^jj&i)<jo ^yS in den Nominativ stellen als
sein JltU), es regiert nur das Pronomen , das auf dasselbe zurück-
weist und das es virtualiter in den Nominativ stellt (als sein JxU),
da es in ^-r^ verborgen ist.
2) Nach Alf. V. 280. 281, Com. muss dasjenige Regens, das
rectionslos gelassen wird, das Pronomen des sichtbaren Nomens
Trumpp: Beiträge zur Erklärung des Mufassal. 239
Verbum die Rection zukommen zu lassen) ist die gewählte
Ausdrucksweise , welche die Offenbarung anwendet. Gott,
der über alles gepriesen, sagte (Qur. 18, 95): bringet
(es) mir, damit ich das flüssige Eisen darüber giesse; und:
nehmet, leset mein Buch (Qur. 69, 19). Und dies ist die
Ansicht unsrer basrischen Genossen.
Und manchmal wird die Rection dem ersten (Verbum)
zugetheilt und das ist selten. Hieher gehört die Rede des
?Umar bin abi rabnah: (J^j^b)
„(Da sie nicht abrieb die Zähne mit dem Holz eines
Aräkah-Baums) so wurde ausgewählt das Holz eines
Ish^il-Baumes, mit dem sie sie dann abrieb."
Dies (nämlich dass das erste Verbum die Rection haben
sollte) behaupten die küfischen Grammatiker.
Gemäss den beiden Lehrweisen sagst du : „es standen
auf (UU*) und es sezten sich f tVjw) deine beiden Brüder," und :
„es standen auf (»»Li') und es sezten sich (Ijjii*) deine beiden
Brüder."
Es gehört (aber) nicht das Wort des Imru'u-1-qais :
„(Wenn ich also nach einer sehr geringen Subsistenz
trachten würde), so würde mir, ich trachte jedoch
nicht (nach Besiz), wenig Besizthum genügen" (Jj^ic)
zu der Gattung, mit der wir es zu thun haben, da
regieren, weil das Fa-?il unter allen Umständen ausgedrückt werden
muss. Regiert also das erste Verbum das J«-».juo, und das zweite
nicht, so muss am zweiten das Fa^il, welches das auf das Oy4*^
zurückweisende Pronomen ist, je nach Zahl und Geschlecht desselben
ausgedrückt werden. Also hier ^jjjwO (mit Beziehung auf den Col-
lectivbegrifF von ^aiJs).
240 Sitzung der philos.-phüol. Classe vom 2. März 1878.
dabei das zweite Verbuin sich nicht zu dem hinwendet , zu
dem sich das erste wendet. ^)
Zu dem, dessen (Fä?il) man (durch ein Pronomen) im
Sinne behält, gehört ihre Rede: „wenn es sich morgen er-
eignen wird, dann komm zu mir,'* d. h. wenn das, wovon
wir handeln, sich morgen ereignen wird. ^)
§ 23.
Und manchmal kommt das Fä?il vor, während das
Verb das es (i. e. das Fä?il) in den Nominativ sezt, im Sinne
behalten wird ; man sagt : wer hat (es) gethan ? Da sagst
du: „Zaid", indem du cUi im Sinne behältst.^) Hieher
gehört auch das Wort Gottes, des erhabenen und glorreichen :
„Preis wird ihm dargebracht in ihnen am Morgen und
Abend, Männer (preisen ihn)" (Qur. 24, 36), bei dem, der
das ^ (in ^-i^*^) mit Fath liest; die Erklärung wäre also :
es preisen ihn Männer (J^»►^ w ^-jwwwoj. Und hieher gehört
der Vers des Buches (Metrum: J^^)-
„Beweint soll werden Jazid, einer der wegen eines
Streites niedergeschlagen ist (und einer der eine Gunst
erfleht darum dass Unglücksfälle ihn ins Verderben
1) Der Grund ist der, dass s..JLJbl , nach dem Zusammenhang,
sich nicht auf JL^JI ^Two JuJU bezieht, sondern auf Besiz (dULo).
2) Dies hängt mit dem Vorangehenden nur in so fern zusammen,
als das Fä^il von ^^1^ nicht näher bezeichnet wird, sondern aus dem
Zusammenhang erschlossen werden muss.
3) Cf. Alf. V. 229.
Trumpp: Beiträge zur Erklärung des Mufaasdl. 241
stürzten ^)'*, d. h. es soll ihn beweinen einer der nieder-
geschlagen ist.
Und das in den Nominativ gesezte Wort in ihrer
Rede: „ist Zaid herausgegangen?"^) ist das Fä^il eines im
1) So lautet der vollständige Vers, wie ihn Ibn Ya*i§ in seinem
Com. p. 97 anführt.
2) Es handelt sich hier um Partikeln, die dem Verbum speciell
zukommen (JlaaJL) (jaJCiä?). Diese sind die Adverbia interrogativa
I und Jjo , (über deren speciellen Gebrauch s. De Sacy, Anthol. gram.
p. 259), die Adverbia negativa Lo und ^ (cf. Alf. V. 258. 259, c. com.
und De Sacy, Gram. II, § 343), viAjyÄ., wenn es nicht mit Lo ver-
bunden ist, die Conditionalpartikeln ^1 und «J, sowie ^Üc , für-
wahr, gewiss, und U-^ , so oft auch immer (De Sacy, Gram.
II, § 340), wozu im Commentar der Alfiyyah (zu V. 229) auch |(3l
gezählt wird. In diesen Fällen kann das Nomen (sei es Subject oder
Object) von seiner ihm gebührenden Stelle nach dem Verbum verrückt
und vor das Verbum gesezt werden, so dass das Verb seine unmittel-
bare Rection auf dieses Nomen verliert und nur sein Pronomen regieren
kann , was man JUlX^f nennt , s. darüber Alfiyyah , V. 255, sqq.
Die Grammatiker supponiren in diesen Fällen ein Verb vor dem so vor-
angestellten Nomen, welches gewöhnlich das ausgelassene erschliesse
-. c -^
(was sie ^^S nennen). Diese Auslassung des Verbums vor dem von
seiner Stelle verrückten Nomen wird als eine nothwendige bezeichnet
(cf. Alf. V. 229, c. com.), woraus klar hervorgeht, dass diese Erklärungs-
weise nur eine Pedanterie der Grammatiker ist.
In BetreiF von | und Jkjo ist noch zu bemerken, dass die meisten
Grammatiker, wenn | vor ein Nomen tritt, den Saz als ItXÄJUo und
242 Sitzung der philos.-phüol. Classe vom 2, März 1878,
Sinne behaltenen Verbums, welches das sichtbare (Verb)
erschliesst, und ebenso im Worte Gottes: „und wenn einer
der Polytheisten dich um Schuz anfleht" (Qur. 9, 6), und
in dem Verse der H^amäsah: ,,wenn der schwache feig ist;" *)
und in einem Spruch wort der Araber: „wenn mich eine
mit einem Armbande beohrfeigt hätte." ^) Und das Wort
Gottes: ,,und wenn sie geduldig gewesen wären" (Qur. 49, 5)
steht im Sinne von o>o' y ^ (zz: und wenn es festgestanden
yxis». (das auch ein Verbum sein kann) fassen, obgleich einige auch
hier vor dem Nomen ein Verbum supponiren wollen , dies jedoch nicht
zugeben, wenn JjD gebraucht wird, aus dem Grunde, weil Jjß
als Fragepartikel beschränkter sei als I und auch manchmal eine andere
Bedeutung habe (nämlich die von Jö , und sogar im Sinne einer Ne-
gation gebraucht werde). Gegen Wright, Arab. Gram. II, p. 332, ist
noch zu bemerken, dass Säze wie: c^Lx) Jov Jjß also wohl erlaubt
sind, gemäss den vorangehenden Erläuterungen und der ausdrücklichen
Bestätigung des Mufassal. "
1) Der ganze Vers der H'amäsah ist in Ibn Yans Com. und Frei-
tags Ausgabe der H'amäsah, p. 5 zu lesen; er lautet:
„Wenn der Schwache feig ist, dann fürwahr wird aufstehen eine harte
Schaar mit Zorn (zur Vertheidigung des Rechtes)." Das Metrum ist
2) nLa« ^b , eine, die ein Armband trägt, das Abzeichen der
Freien (^=: S>ä.J.
Trumpp: Beiträge zur Erklärung des MufasRal. 243
hätte); und Lieber gehört das Sprüchwort: „wenn nicht in
Gunst gehalten, so lasse (ich) nicht nach," d. h. wenn du
keine unter den Weibern hast, die in Gunst steht, so bin
ich nicht nachlassend (sie zu erlangen). ^)
§ 24.
Das Mubtada und Xabar.
Die beiden sind die Nomina ^) die entblöst sind zum
Zweck der praedicativen Beziehung, wie du sagst: „Zaid
(ist) weggehend.^' Der Sinn von „Entblössen*^ (tV>^) ist,
dass man beide von den (grammatischen) Rectoren frei
macht, welche sind ,jD , ^\ und oy^^Ä. und ihre Schwe-
1) Das Sprüchwort wird verschieden erklärt und demgemäss auch
verschieden gelesen. Supponirt man als Verb J^5^l, so muss als
wAÄ. von ^jl^: iüJaÄ. und iiUJI gelesen werden. Ihn Ya^is erklärt
xj.O>->^ und xaJI nach dem Formmass von iULuii , was jedenfalls
hier besser passt, als die Erklärung Lane's (s. unter iUJI), der es als
Substantiv fasst. Der Muh'itu-1-muh'it führt zwar das Sprüchwort an,
9-; ^
spricht sich jedoch nicht näher über die Form von äjJI aus.
2) iJüCx^jf (elliptisch statt &j IJolmJI, das, womit angefangen
wird) ist jedes Nomen, das den Saz beginnt. Es kann ein Substantiv
(Pronomen absei.) oder Qualificativ [ysL^l) sein, das leztere jedoch nur
dann, wenn ihm ein Fragewort oder eine Negation voransteht,
auf die es sich stüzt (wobei das Fragewort durch eine Partikel oder ein
Nomen, und die Negation durch eine Partikel oder durch das Verb
\jtjj^ ausgedrückt sein kann). Das Mubtada* kann jedoch auch ein
244 Sitzung der philos.'philol. Classe vom 2. März 1878.
stern , ^) weil diese , wenn beide (i. e. das Mubtada' und
Xabar) nicht von ihnen frei sind, mit ihnen ein Spiel
treiben und ihnen das Verharren im Nominativ wegnehmen.
Und bei dem Entblösen wird nur das zur Bedingung ge-
macht, dass dies von wegen der praedicativen Beziehung
geschehe, weil wenn beide nicht zum Zweck der praedica-
tiven Beziehung entblöst würden, sie unter die Kategorie
der Laute fallen würden, denen es zukommt zum Anruf
verwendet zu werden, ohne flectirt zu sein, weil die Flexion
nicht am Plaze ist ausser nach der Verbindung und Zu-
sammensezung (der Worte).
Und der Umstand, dass beide entblöst sind zum Zweck
der praedicativen Beziehung, ist das was beide in den No-
sogenanntes u^y/o ^»mA sein, meistens ein Verb verbunden mit ^f
und Lo , das in diesem Falle einem »tX.«£uo gleichgesezt wird (cf. De
Sacy, Gr. ar. II, § 952). Das Mubtada selbst ist zweierlei Art: 1) ein
Mubtada mit einem Xabar, 2) ein Mubtada mit einem Fä*il, das die
Stelle des Xabar vertritt.
1) Diese fasst man unter dem Namen •^^^yXi\ (die welche das
Mubtada' abrogiren) zusammen. Es sind Verba und Partikeln. Von
den Verbis gehören hieher: 1) ^^1^ und seine Schwestern, 2) v_>.a*o».
(jT^) und seine Schwestern; 3) die Verba des Beinaheseins (t>l^ ,
^-M*Ä etc.), welche das Mufassal hier nicht erwähnt (s. dagegen die
Alfiyyah V. 164, sqq.)
Von den Partikeln gehören hieher: 1) Lo und seine Schwestern
(!^, viy und ^[, s. Alfiyyah V. 158, sqq.); 2) ^ zur Verneinung
der Gattung; und 3) ^\^ und seine Schwestern.
Trumpp: Beiträge zur ErJdärung des Mufassal. 245
minativ sezt,^) weil es dem Sinne nach beide zusammen auf
einmal erfasst , in Anbetracht dessen , dass die Anlehnung
nicht möglich ist ohne zwei Seiten , (nämlich) ein An-
gelehntes und eines, an das angelehnt wird. Und dem
ähnlich ist, dass die Idee der Vergleichung bei jjO , da sie
ein Verglichenes und etwas womit verglichen wird, erfor-
dert, auf beide Theile Rection ausübt. Und die Aehnlichkeit
beider mit dem Fä:fil beruht darin, dass das Mubtada ihm
dadurch ähnlich ist, dass auf dasselbe praedicativ bezogen
wird,^) und das Xabar dadurch, dass es der zweite Theil des
Sazes ist.
§ 25.
Das Mubtada' ist zweierlei Art : es ist ein d e t e r -
minirtes, und das ist die Regel, und ein indeterminirtes
Nomen, entweder qualificirt, wie in dem Worte Gottes:
„fürwahr ein glaubiger Sclave'' (Qur. 2, 220), oder nicht
qualificirt, wie in ihrer Rede: ,,ist ein Mann in dem Hause
oder eine Frau?" und: „nicht ist einer besser als du,''
und: ,, etwas Schlimmes machte knurren den mit einem
1) Dies ist die Lehre Sibavaih's und der meisten Basrenser, dass
das Mubtada' als solches im Nominativ steht, weil es von jedem wört-
lichen Regens frei sein muss, und dass das Xabar durch das Mubtada*
in den Nominativ gesezt wird. Sie statuiren übrigens für das Mubtada'
ein ;^yXxjo JooLä , ein ideelles Regens, das eben darin bestehen soll,
dass es von jedem wörtlichen Regens frei ist ! üebrigens darf das Mub-
tada ein wörtliches Regens haben, wenn dies pleonastisch oder dem
ähnlich ist (cf. Alfiyyah, V. 117, c. com.).
2) Das Fä?il und das Mubtada* sind beide Subjecte, denen etwas
attribuirt wird (iuJf JOL-waXj), nur ihre Stellung im Saze ist eine
verschiedene.
[1878. 1. Philos.-philol.-hist. Cl. 3.] 19
246 Sitzung der phüos.-philol, Classe vom 2. März 1878.
Hauer versehenen (Hund)," und: „unter meinem Haupte
ist ein Sattel," und: „auf seinem Vater ist ein Panzer." *)
§ 26.
Das Xabar ist zweierlei Art, ein Einzelwort und
ein S a z. Das Einzel wort ferner ist zweierlei Art : frei von
dem Pronomen und es enthaltend, wie: „Zaid ist dein
Sclave", und „^Amr geht weg", ^j
1) Die Regel ist, dass das Mubtada determinirt sei. Indeter-
minirt kann es nur dann sein, wenn es einen vollständigen Sinn
gibt. Die Alfiyyah, V. 125 — 127, und Ibn *Aqil im Commentar dazu
praecisirt dies näher dahin, dass dies in 6 Fällen statt finde: 1) Wenn
0 >o- 2, -
das Xabar ein Owio oder ein ^jv^j y^ sei und dem Mubtada'
voranstehe (vergleiche die zwei lezten Beispiele im Muf.). 2) Wenn
dem Indeterminirten ein Fragewort vorangehe (cf. JjJI ^^ J^J).
6 - ^ ^
3) Wenn dem Indeterminirten eine Negation vorangehe (cf. Jcä.! Lo).
4) Wenn es ein Qualificativ bei sich habe (cf. j^woyo tX-J^j«
5) Wenn es eine Rection (auf das nachfolgende Wort) ausübe (kein
Beispiel davon im Muf.) 6) Wenn es annectirt ist (ohne Beispiel im
Muf.) Diese 6 Fälle sind (nach dem Comm. zur Alfiyyah auf 24, ja
auf 30 und mehr Fälle gesteigert worden, worunter sich auch der findet,
dass das Indeterminirte im Sinne der Beschränkung genommen sei,
wie bei ^i^ , wo der logische Sinn sei: ^^ ^1 wißj Lo . Vergl. auch
dazu Ibn Yä*i§, p. 104.
2) Die Alfiyyah, V. 121, c. com. erläutert dies näher dahin, dass
das Einzelwort, wenn es ein JuoLä- (unabgeleitet) ist, kein Pronomen
in sich begreift (obschon einige Grammatiker dies behaupten); ist es
2 - *- j
dagegen ein (äJCww^ (Particip act. und pass, und das verbalartige
Adjectiv sowie das Elativ), so begreift es ein Pronomen in sich, wenn
es nicht ein sichtbares Nomen in den Nominativ sezt;
Trumpp: Beiträge zur ErTdärung des Mufassal. 247
Der Saz besteht aus vier Arten; (er ist) Verbalsaz,
Nominalsaz , Bedingungssaz und Ort- und Zeitsaz , wie :
(ad 1) „Zaid, gegangen ist sein Bruder"; (ad 2): ?Amr, sein
Vater (ist) weggehend" ; (ad 3) : „Bakr, wenn du ihm geben
wirst, wird er dir danken"; (ad 4): „Xälid (ist) in dem
Hause". ^)
§ 27.
In dem Saze, der als X'abar dient, muss nothwendiger-
weise eine Erwähnung vorkommen, die auf das Mubtada'
sich zurückwendet; wenn du sagst: ^^dJ 3, so ist der
Sinn davon : L^>wi ^.ääawI (er verweilt darin). ^) Und manch-
I
thut es dies, so involvirt es kein Pronomen (darnach ist De Sacy, Gr.
ar. II, p. 518, Note 1 zu rectificiren), weil dieses sein Fä?il ist und ein
Verb und die verbalartige Sifah keine zwei Fä^il in den Nominativ
d - " >
sezt. Das ^^JJuÄjo dagegen, das nicht eine Verbalbedeutung bat,
schliesst kein Pronomen in sich^ wie die Nomina instrumenti, des Orts
und der Zeit, e. q. ^Lxixi , ^^y^•
1) Wenn das Xabar ein oüi? ist oder ein im Genetiv stehendes
Wort (wie JjJI ^), so sind sie von einem noth wendiger weise aus-
gelassenen abhängig. Die Grammatiker erlauben hier entweder ^^o
CS--
oder JijJjJ zu suppliren. Im ersteren Falle ist dann das Xabar ein
Einzelbegriff, der durch das o^-b näher specificirt wird, im lezteren
ein Saz. So die Alfiyyah V. 123 c. com. und Ihn Yan§ im Com. Ver-
gleiche auch das erste Beispiel im folgenden Paragraphen.
CJ —
2) Das was hier auf das Mubtada' zurückweist, ist das in väÄaw!
- >
verborgene Pronomen ^ .
\ 19*
248 Sitzung der philos.'philol. Classe vom 2. März 1878.
mal ist das Zurückweichende bekannt, so dass man sich
seiner Erwähnung entschlagen kann , ^) wie z. B. wenn sie
sagen: „der Weizen, die Tonne (davon) um sechzig (Dirham),"
und: „das Schmalz, zwei Man (davon) um einen Dirham," ^)
und im Worte Grottes: „wer geduldig ist und vergibt, für-
wahr dieses (von ihm) ^) gehört zum festen Vorsaz der
Dinge (Qur. 42, 41).'^
§ 28.
Es ist erlaubt, das Xabar dem Mubtada' vor-
anzustellen, wie du sagst: ein Tamimite (bin) ich,"
und: „verhasst ist der dich hasst," und wie Gott sagt:
„gleich (ist) ihr Leben und ihr Sterben (Qur. 45,
20)," und: „es ist ihnen gleich, ob du sie ermahnst
oder nicht ermahnst (Qur. 2, 5),'* *) der Sinn (des lezten
1) Wenn das Xabar als Saz das Mubtada dem Sinne nach repro-
G ^
ducirt, so ist kein Pronomen als ^oJ\s zwischen beiden nöthig, wie:
^ajwää. ^JUI öU'i (cf. Alfiyyah, V. 119; 120). Ist dies aber nicht
der Fall, so muss der Saz ein Pronomen enthalten, das ihn mit dem
Mubtada' verbindet. Wo übrigens die Verbindung klar zu Tage liegt,
kann das Pronomen auch weggelassen werden.
2) Vergleiche dazu Alfiyyah, V. 119; 120 c. com., wo dasselbe
Beispiel angeführt ist.
3) Hier supponirt Ihn Ya*i§ (p. 116, 4) und auch Baidävi (sub
versu) KkiO , um dadurch auf das Mubtada' \jq zurückzuweisen.
4) Die Alfiyyah, V. 128 c. com. spricht sich ebenfalls ganz all-
gemein dahin aus, dass die Voranstellung des Xabar erlaubt sei, wenn
dadurch keine Undeutlichkeit entstehe. Es kommen mit Bezug auf die
Stellung des Xabar überhaupt drei Fälle in Frage: 1) Die Möglich-
keit der Vor- oder Nachsezung desselben. 2) Die Nothwen-
digkeit der Nachstellung desselben. 3) Die Nothwendigkeit
der Voranstellung desselben. Hier handelt es sich um den ersten
Fall. (Cf. De Sacy, Gr. ar. II, § 994.)
Trumpp: Beiträge zur Erklärung des Mufasml, 249
Sazes) ist: es ist ihnen gleich das Ermahnen und Nicht-
ermahnen. ^)
Als nothwendig wird die Voranstellung ^) des-
selben betrachtet in Säzen, in denen das Mubtada' als in-
determinirt vorkommt und das Xabar als oUä ^) (Orts-
oder Zeitbestimmung), wie du sagst: „im Hause (ist) ein
Mann." Was aber (die Worte) anlangt, wie : „Frieden über
dir!'' und: „wehe dir!" und was von Anwünschungen
diesen beiden ähnlich ist,^) so werden sie in ihrem Zu-
^»55 1 > 9 o
1) D. h. ^^ji\tXj|f etc. steht hier als J^^ «vwl.
2) Die Alfiyyali (V. 131—135, c. com.) statuirt dabei 4 Fälle:
1) Wenn das Mubtada' indeterminirt und das Xabar ein Owb oder
G > o- S,
%»w^« xLä. ist (wie in dem Beispiele im Text). 2) Wenn das Mub-
tada' ein Pronomen umfasst, das auf etwas im Xabar zurückweist.
3) Wenn dem Xabar die erste Stelle gebührt (wie bei den Fragewörtern
^jof , ^^AxS , ic^J • ^) Wenn das Mubtada' beschränkt ist (durch
CS
^1). Zu 2) und 4) werden im Muf. keine Beispiele erwähnt.
3) Zama/gari gebraucht das Wort oüo im weiteren Sinne, so
9 o- S, -
dass das \^y^ ^ y^ darin inbegriffen ist.
4) In Säzen wie viUXc *^aw und dU Jül bleibt das Mub-
tada* an seiner Steile, obgleich es indeterminirt und sein Xabar ein
9 Jo- 2, -
s.w^^ xLä» ist. Dies ist jedoch nur erlaubt in Wunschsäzen
S'l ü ^ 9 - ^ G o
(iuwÄ4>lj, weil da Worte wie J^m^ und Jol (dem locus grammaticus
nach) im Accusativ stehen (= viJLJL& L^^^), in welchem Falle sie
einem Verbalausdrucke gleichkommen = dUulx xAJI ^Xmj , dL j^
250 Sitzung der philos.-philol. Glasse vom 2. März 1878,
stände gelassen, da sie (eigentlich) im Accusativ stehen, in-
dem sie auf die Stufe des Verbums (dem Sinne nach) herab
gerückt werden; und in Säzen wie: „wo ist Zaid?'' und:
„Avie befindet sich ?Amr?" und: „wann (findet) der Kampf
(statt)?''
§ 29.
Und es ist erlaubt das eine von den beiden aus-
zulasseH.
Zur Auslassung des Mubtada* gehört die Rede
dessen, der nach dem Neumonde ausschaut (und ausruft):
,,der Neumond, bei Gott!" und deine Rede, nachdem du
einen Wohlgeruch gerochen hast: „der Moschus, bei Gott!"
Oder wenn du Jemand gesehen hast und dann sagst:
„?Abdu-llah, bei meinem Herrn !" ^) Und hieher gehört der
Vers des Al-muraqqis (Metrum J««(^):
„(Möge Gott nicht fern machen das Umgürten der
Waffen und die Einfälle berittener Schaaren), wenn
das Heer sagt: (da sind) Kameele."
Zur Weglassung des Xabar gehört der Ausdruck:
„ich gieng heraus, und siehe da der Löwe !" ^) und die Rede
von ^u-rrummah (Metrum J^^) :
idUl, und da dem Verb die erste Stelle im Saze zukommt, so
bleiben sie (um dieser ihrer supponirten Verbalbedeutung willen) an
ihrem Orte. So Zama;^§ari und Ihn Ya?i§. Dies ist jedoch nur eine
künstliche Deutelei. Der Grund ist offenbar der, dass auf |»jVaw und
So
Jl>* der Hauptnachdruck liegt, und darum steht das Xabar nach den-
selben.
1) Diese Fälle sind so zu ergänzen : J^.^1 IJüC , dLI^JI yS^ ,
2JJI J^i ^1^-
2) Hier ist als Xabar woIä. oder J«^*jo zu ergänzen. S. AI-
Trumpp: Beiträge zur ErJclärung des Mufassal. 251
„Also o Gazelle des weichen Saudbodens zwischen
Juläjil und zwischen dem Sandhügel ! bist du (es) ^) oder
die Mutter des Sälim?''
Und das Wort Gottes: J^v«^ r^•*^ lässt die zwei
Erklärungsweisen zu , d. h. entweder : ,,also meine Sache
ist schöne Geduld/' oder: „schöne Geduld ist besser (ge-
ziemender).*' ^)
Als (nothwendig) wird erfordert die Auslassung des
Xabar in Säzen wie: „wenn nicht Zaid (gewesen wäre), so
wäre es so und so gegangen," weil der Nachsaz seinen
Plaz ausfüllt (i. e. darauf hinleitet). ^)
Und zu dem, in welchem das Xabar ausgelassen wird,
weil etwas anderes seinen Plaz ausfüllt, gehören Säze, wie:
„stehen die beiden Zaid?" *) und: „mein Schlagen den Zaid,
fiyyah V. 136. 137 c. com. und Ibn Yaüs, p. 115 (der auch andere
Auffassungsweisen anführt).
1) Nach \::j^\\ muss hier aLuJaJI ergänzt werden.
2) S. Wright, arab. Gr. II, p. 286. Rem. 6. Ibn »Aqil im Com.
zu V. 141 (am Ende) will hier das Mubtada als nothwendig ausgelassen
betrachten, wenn das Xabar ein Masdar sei, das die Stelle des Verbums
® - G o - c -
vertritt. Er erklärt daher diese Worte durch: JUc^ä. yjyo ^yiyc ,
Die Qur anstelle ist 12, 18.
3) Nach cXjn j) J ist i^ys>yjo oder w^Lä. als Xabar zu er-
gänzen. Ibn fAqil (im Com. zu Alf. V. 138 — 141) bemerkt dazu, dass
in diesem Fall die Wegnahme des Xabar nothwendig sei, wenn es ein
allgemeines Sein (LäJUauo Üä^j ausdrücke, sei es aber ein be-
schränktes, so könne man es sezen oder weglassen; leite aber nichts
darauf hin, so müsse es erwähnt werden.
4) Dies ist nur eine andere Auffassungsweise Zama/gari's. *oü>l
G
ist Mubtada und ^|(X>-J| ist ein JlcU , das die Stelle des Xabar
252 Sitzung der philos.-phüol. Classe vom 2, März 1878.
wenn er steht' ^ (=i ich schlage den Zaid, wenn er steht) ; ^)
und: ,,ich trinke meistens (wörtlich: das meiste meines
vertritt. S. Alfiyyah, V. 113 — 155, c. com. Es ist also in Wirklichkeit
das Xabar nicht ausgelassen, sondern nur durch das JläU ersezt, da
jvSU'l nothwendigerweise als Mubtada' gefasst werden muss. (Vergl. die
Anra. 2 zu S. 243.) Auch Ihn Yang fasst die Sache so auf. Com.
p. 117, L. 11. 12.
1) Die Alfiyyah V. 138 — 141 und Ihn ?Aqil im Commentar dazu
bebandelt diesen Punct etwas ausführlicher. Das Xabar wird noth-
wendigerweise ausgelassen, wenn das Mubtada' ein Maadar ist und nach
ihm ein H'äl steht, der die Stelle des Xabar vertritt, ohne als Xabar
gelten zu können. In dem angeführten Beispiele ist /^Jy-o Mubtada*,
das an das Pronomen der ersten Person annectirt ist, !jo\ ist das
von v^w^ abhängige io ^yxsuo^ und Uo U* ist H'al. Die Frage
ist nun, was das JLil v,^ä.Lö sei? ItXj) könne es nicht sein,
denn sonst könnte UoU' nicht die Stelle des Xabar ausfüllen, da es
dann noch zur ^JL^ des Masdar gehören würde. Denn das Regens
von Ijov ist ^Y^ j und was den jLiI >^„j,ssXj>o regiert, regiert
auch den JLä. zugleich. Desshalb, sagt Ihn Ya*i§ und Ihn ?Aqil, muss
der H'äl UoLs von dem Pronomen eines supponirten Verbums ab-
hängen und das eigentliche Xabar ist ^^ mit einem supponirten
joLo) oJb (Ijl^ für das Futurum, und 31 für die Vergangenheit,
im Sinne von ,j«X>, ^^ ^\jy^). Dass das Verb ^(^ (als iwü»)
obgleich es das Regens für den H*äl ist oder sein soll, sammt 16 1 oder
jl ausgelassen sein soll, ist doch sehr fraglich. Weder Ibn Ya?iä noch
Trumpp: Beiträge zur Erklärung des Mufassal. 253
Trinkens) den dünnen Brei im gestandenen Zustande ;'* *)
mid : „das beredteste von dem, was der Amir ist, (ist) wenn
er steht (= der Amir ist am beredtesten, wenn er steht) ;" ^)
und ihre Rede: „jeder Mann mit seinem Handwerk (oder
Landgut)/^ ^)
Ibn ^Aqil führen einen Beweis für die Zulässigkeit dieser Auslassung an,
die sich sprachlich kaum wird begründen lassen. Das unregelmässige solcher
Säze liegt eben in dem Gebrauche des Masdar, das sowohl eine Verbal-
als Nominalbedeutung in sich begreift, mit Ausschluss des ZeitbegriflFes ;
i o
o -^
^y^ kann darum =: \::/^y^ , als auch = v^j^^l sein. Wir
werden sie daher am leichtesten als einfache Verbalsäze fassen, so dass
dann Ijov als Jlil v_a^Lo steht, was weitaus das natürlichste ist.
Da aber die arab. Grammatiker pedantisch nur die äussere Wortform
im Auge behalten, so werden sie zu solchen künstlichen Deuteleien
getrieben.
1) Das dem Masdar Annectirte folgt der Regel des Masdar.
2) ,j*kX.j Lo wird als J^yo s(Xo.x) betrachtet, so dass es für
^jyoill ^J^ v^ia:^! steht. Löst man nun das Masdar in das Verbum
finitum auf (= ^jl^ oder USU j-axi^I _^.ksl mjjXj), so bedarf es
nicht der Ergänzung UjU ^^ 16t und L^oU* ist ein von wyo^l
abhängiger H'äl,
3) Das l vor ^Ux^^ ist das sogenannte aUA*JI • !• , das Väv
des Mitseins. Die Grammatiker lösen diesen Saz auf durch : J.ä-5 Ji^
^^Xj^yÜA ÄAÄA^ 5 , indem sie ^ü.wü^ als Xabar suppliren. Dies
wird jedoch von andern bestritten, indem sie (mit Recht) behaupten,
dass der Saz auch ohne ein supponirtes Xabar vollständig sei (Jeder
Mann (ist) mit seinem Handwerk = hängt an seiner Beschäftigung oder
seinem Landgute). Cf. Ibn ^Äqil's Com. zu Alfiyyah V. 138—141,
254 Sitzung der philos.-phüol. Classe vom 2. März 1878.
§ 30.
Und manclimal kommt das Mubtada' und das Xabar
als zwei determinirte Nomina zusammen vor, wie du
sagst: „Zaid ist der weggehende/' und: „Allah ist unser
Gott," und: „Muh^^ammad ist unser Prophet/' Und hieher
gehört auch deine Rede: ,,du bist du," *) und die Rede des
Abu-nnajm :
,,Ich bin Abu-nnajm, und meine Dichtung ist meine
Dichtung." (Metrum 'j^))
Und hier ist die Voranstellung des Xabar nicht er-
laubt, sondern welches von den beiden (determinirten No-
mina) du voranstellst, das ist das Mubtada'.^)
§ 31.
Und manchmal kommen für das Mubtada* zwei und
mehr A'abar vor. Hieher gehört deine Rede: „das ist süss-
sauer," und das Wort Gottes: „er ist der Vergebende, der
Liebevolle, der Herr des Thrones, der Glorreiche, der thut
was er will" (Qur. 85, 14— 16). 3)
§ 32.
Wenn das Mubtada^ die Idee der Bedingung invol-
virt, so darf o vor sein Xabar treten. Und dieses (Mub-
1) Der Sinn ist: Du bist der alte.
2) Cf. Alfiyyah, V. 130. 131 c. com.
3) Die Grammatiker sind über diesen Punct nicht ganz einig.
Einige wollen die Mehrheit des Xabar nicht erlauben ohne Verbindungs-
" > o ^
Partikel (^ «^^ Owä.). Andere (wie die Alfiyyah und das Mufassal)
erlauben dies, gleich viel ob zwei Xabar im Sinne von Einem stehen
(wie y>d>ol.Ä. y^ = yo) oder nicht. Andere behaupten, dass das
Xabar nicht in der Mehrzahl vorkomme, ausser wenn die beiden Xabar
im Sinne eines einzigen stehen, sonst müsse die Verbindungspartikel
eintreten ; komme so etwas ohne Verbindungspartikel vor, so müsse ihm
ein anderes Mubtada' supponirt werden. Cf. Alfiyyah, V. 142, c. com.
IVumpp: Beiträge zur Erklärung des Mufassal. 255
tada') ist zweierlei Art, das Relativ um ^) und das quali-
ficirte Nomen indeterminatum, wenn die Silah
oder die Sifah ein Verb ist oder ein oüb, wie das Wort
Gottes : ,, Diejenigen, die ihre Besizthümer als Almosen ver-
1) Dazu g-ehört jedoch, dass das Relativ mit seiner Silah allgemein
(äjÜw) sei und nicht speciell einem einzelnen zukomme (^ya^)^
damit es die Idee der Bedingung ausdrücken könne; denn nur als
rt (7 ^^ (als vages) involvirt es eine l9.«uj und Er*^ , wenn zugleich
seine äJLo ein Verb oder ein oüs (worunter auch das \^>^% )V.ä.
begriffen ist , weil dabei immer , nach dem vorangegangenen , ein Verb
supplirt werden muss) ist, weil die Bedingung immer auf ein'.Verb ge-
etüzt sein muss. Ebenso verhält es sich mit einem qualificirten Nomen
indeterminatum; denn das äJo gleicht in der Vagheit fj^L^I) dem
JyOmjo , und seine 'iJua der iJLo desselben. Dazu bemerkt aber
Ibn Ya^i§ (p. 123, L. 22), dass wenn in einer solchen ^JLo oder gJoa
neben der Bedingung auch schon eine Apodosis (xlyÄ.) enthalten sei,
man vor das Xabar nicht mehr o sezen dürfe, weil die Bedingung
nicht zweimal beantwortet werde.
Was aber die Sezung oder Nicht-Sezung des o vor das Xabar in
den im Texte erwähnten Säzen betrifft , so soll nach Ibn Ya^is der
Unterschied der sein, dass o die unmittelbare Consequenz der Be-
dingung ausdrücke, während das Xabar ohne o als nicht unmittelbar
aus der vorangegangenen Bedingung resultirend hingestellt werde. So
scharfsinnig dies aussieht, so ist es doch nicht richtig, denn wenn die
Bedingung im Verb liegt, so muss auch die Apodosis von der durch
das Verb gesezten Bedingungserfüllung abhängen. Wir können daher
seine Correctur Zama/gari's nicht hinnehmen.
256 Sitzung der philos.-philol. Classe vom 2. März 1878.
wenden bei Nacht und bei Tag, insgeheim und öffentlich,
die haben ihren Lohn bei ihrem Herrn" (Qur. 2, 275), und
wie sein Wort : „was ihr an Reichthum besizet, das ist von
Gott'' (Qur. 16, 55), und wie du sagst: „jeder Mann der
zu mir kommt, oder im Hause ist, der bekommt einen
Dirham." Wenn also o^ oder Jju vor (die erwähnten
Mubtada') tritt, so steht nach allgemeiner Uebereinstimmung
^^ nicht (vor dem Äbar), und wenn ^ji vor sie tritt, so
ist (über die Zulässigkeit von o vor dem Xabar) eine
Meinungsverschiedenheit zwischen Al-a^fas und dem Ver-
fasser des Buches (Sibavaih). ^)
1) Wenn vor das erwähnte J^ayo oder s Jo die Partikeln
(J* ? (J* ) jjo , ouy , Joü und ^jXj , zu stehen kommen,
welche das Mubtada' in den Accusativ, das Xahar dagegen in den No*
minativ stellen, so lehrt Sibavaih, dass die vier Partikeln ^jl^, v,:>JJ ,
J^äJ und ^oJ^ es nicht gestatten, dass das o vor das Xabar trete,
weil sie nicht nur die Wortform, sondern auch die Bedeutung (des
Sazes) verändern; denn diese Partikeln nähern sich in ihrer Bedeutung
dem Verb und lassen die Idee einer Bedingung und Apodosis nicht zu.
^j! und ^j! jedoch lassen die Sezung von o vor dem Xabar zu, da
diese zwei Partikeln wohl die Wortform (des Mubtadä*) verändern, aber
e5 . ^^\
nicht den Sinn (des Sazes). Al-a/fa§ dagegen will auch bei ^jj^ (und ^)
den Gebrauch von o nicht gestatten, da sie wie ihre Schwestern Rec-
tion ausüben. Nach den Qur*änstellen jedoch, die Ihn Ya*i§ citirt (cf.
Qur. 46, 12; 3, 20; 62, 8.), ist die Lehrweise Sibavaih's gerechtfertigt,
während Al-a/fa§ das o in diesen Stellen als pleonastisch wegerklärt.
In der Alfiyyah ist der Inhalt dieses § nicht behandelt.
Trumpp : Beiträge zur Erklärung des Mufassal. 257
Das Xabar von jj^ und seinen Schwestern.*)
§ 33.
Dieses ist das in den Nominativ gesezte (Wort) in
Säzen wie: „fürwahr Zaid ist dein Bruder," und: „vielleicht
ist Bisr dein Genosse." Nach der Ansicht unserer (der
basrischen) Genossen wird es durch die Partikel in den
Nominativ gesezt, weil sie dem Verbum darin gleicht,^)
dass sie sich an Nomina anschliesst, und dem Mädi des-
selben darin, dass sie indeclinabel auf Fath*^ steht. Das
durch sie in den Accusativ Gesezte wird also an das Object
angeschlossen, und das durch sie in den Nominativ Gesezte
an das Fä?il, und deine Rede: „fürwahr Zaid ist dein
Bruder" wird auf gleiche Linie gestellt mit dem Saze: „es
schlug den Zaid dein Bruder" und (deine Rede): ,,als ob
iAmr der Löwe wäre" auf die gleiche Linie mit dem Saze :
„es tödtete den ?Amr der Löwe." ^) Nach der Ansicht der
1) Es sind das im Ganzen die sechs Partikeln: ^] ^ ^f , ^jJü,
oJJ , JjJ und ^1^ .
2) Wegen ihrer Aehnlichkeit mit dem Verbum werden diese Par-
tikeln JL^^L 2L^-Lä^! Owä.^1 genannt.
3) Diese Aehnlichkeit ist eine rein äusserliche und der Vergleich
hinkt daher. Auch die Bemerkung des Ibn Ya?i§, dass das Mafeül vor-
angestellt werde, um dadurch diese Partikeln vom eigentlichen Verbum
zu unterscheiden, trägt nichts zur Erklärung dieser Construction bei.
Die ursprüngliche Construction dieser durch die erwähnten Partikeln
(specieü ^^\ und ^|) eingeleiteten Säze war, Mubtada' und Xabar in
den Accusativ zu stellen, wie sie noch bei Dichtern vorkommt, was der
ursprünglichen Bedeutung von ^\ und ^jl vollkommen entspricht.
258 Sitzung der philos.'pküol. Classe vom 2, März 1878.
küfischen Grammatiker wird es (das Xabar) in den Nomi-
nativ gesezt durch das, durch was es in den Nominativ
gesezt wird in deiner Rede: „Zaid ist dein Bruder;"^)
und die Partikel übt darauf keinerlei Rectionskraft aus.
§ 34.
Und alles das, was über das Xabar des Mubtada' er-
wähnt worden ist in Betreff seiner Arten und Zustände und
Bedingungen , ^) gilt von ihm (hier), nur dass es nicht
erlaubt ist es voranzustellen, ausser wenn es als o Jo vor-
kommt, wie du sagst: „fürwahr im Hause ist Zaid," und:
„vielleicht ist bei dir ?Amr," und in der Offenbarung
(kommt vor) : „fürwahr zu uns ist ihre Rückkehr, dann für-
wahr liegt uns ob die Abrechnung mit ihnen'' (Qur. 88,
25. 26). 3)
Später trat diese Bedeutung mehr in den Hintergrund und das Xabar
wurde daher wieder in den Nominativ gesezt.
Siehe meine Abhandlung über ^\ und ^^f (Silzungsber. der k.
b. Acad., Mai 1877, p. 123), wo jedoch statt: „die basrischen", „einige*
zu lesen ist.
1) D. h. eben durch das Mubtada'- Verhältniss. Die Ansicht der
küfischen Grammatiker ist, was den späteren Sprachgebrauch anlangt,
jedenfalls richtiger, da ,^1^ etc. keine Rectionskraft auf das Xabar mehr
ausübt. In der älteren Sprache verhielt es sich, nach dem in der vor-
angehenden Anmerkung bemerkten anders.
2) Die oLloI beziehen sich darauf, dass das Xabar t^yAxi oder
äJL«^ ist, die Jl«^k.| , dass es üiyXjo oder HyXJ ist, die isolww,
dass ein JoLc vorhanden sein muss, wenn das Xabar ein Saz ist.
3) Die Alfiyyah, V. 126, c. com. führt dies weiter aus. Die Vor-
oder Nachstellung des Xabar ist erlaubt, wenn es ein Owb oder
Trumpp: Beiträge zur Erklärung des Mufas.ml. 259
§ 35.
Auch wird (das Xabar, wenn es ein oüö ist) aus-
gelassen in Säzen wie: „fürwahr Vermögen," und: „für-
wahr ein Sohn," und: „fürwahr eine Anzahl," d. h. „für-
wahr ihnen ist Vermögen," etc.^) Und es sagt ein Mann
zum andern: „habt ihr Jemand? fürwahr die Leute sind
gegen euch (ein feindlich gesinnter Haufen)." Darauf sagt
er: „fürwahr Zaid/' und: „fürwahr ?Amr," d. h. „fürwahr
uns ist" etc. Und es sagte Al-'a^sä:
,, Fürwahr Absteigen und Weiterziehen, und fürwahr
Stillstand (dann) auf der Reise, wenn sie vorüber-
gezogen sind." (Metrum ^y^Juo)
s^y^^ ^Lä. ist, weil die Sprache gerne solche Saztheile in die Mitte
stellt, ja sogar das oLdi« von seinem iuJI oLo-« dadurch trennt.
Noth wendig ist aber die Voranstellung, wenn sich auf das o*Jo ein
Nomen durch ein angehängtes Pronomen bezieht, oder wenn das Nomen
indeterminirt, das Xabar dagegen determinirt ist. Das
von dem Xabar Regierte darf dem Nomen (dem eigentlichen Mub-
tada') nicht vorangestellt werden, auch nicht wenn es ein o*.iö oder
)>/^i )^ '''•
1) Dies ist hauptsächlich der Fall, wenn eine Frage vorausgegangen
ist, welche das Xabar enthielt, so dass man es in der Antwort nicht
zu wiederholen nöthig hatte, oder wenn es aus dem Zusammenhang
sich von selbst versteht. Die Grammatiker sind indessen betreffs der
Auslassung des Xabar verschiedener Meinung. Die ßasrenser behaupten,
dass dies bei einem xijjuo und »Jo gleich statthaft sei, während
die Küfenser dies nur bei einem ä^jo erlauben wollen. Al-farrä wollte
die Auslassung nur zugestehen, wenn ^^} wiederholt werde. Nach dem
angeführten Beispiele indessen haben die Basrenser Recht.
260 Sitzung der philos.'philol. Classe vom 2. März W78.
Und du sagst: „fürwahr ausser ihnen Kamele und
Schafe," ^) d. h. sind uns." Und es sagte (Ru'batu):
„0 dass die Tage der Jugend wiederkehrten!"
(Metrum 'y^)) Das heisst: „o dass uns!" etc. ^)
Und hieher gehört das Wort des eUmar bin ?abdu-
baziz an einen Quraisiten, den er angieng mit (=z auf
Grund) einer Verwandtschaft : „also fürwahr das ;" dann er-
wähnte er sein Verlangen. Darauf sagte (jener) : „vielleicht
das," d. h. also fürwahr das ist verificirt," und: „vielleicht
wird dein Verlangen realisirt." ^) Als nothwendig wird er-
achtet die Auslassung des Xabar in dem Saze: „o dass ich
wüsste!" *)
1) Es ist am eiufachsten als Nomen von ^^1 , ^L^l und sLa«
ZU fassen und wXJt als Praeposition (oder JLä. , wie Ibn Ya?is will)
= UöLa*;; doch kann auch Lijj^ das Nomen von ^1^ sein und
^^1 und ^Li ein 'wu^' dazu
2) Auch Ibn Ya^iä will zum Xabar das supponirte uJ machen
und fasst darum LxÄkl.^ als fl*äl zu ^yoJI aGI . Dies ist jedoch
nicht nöthig, da »oo^J , nach dem, was wir S. 257, Anm. 1 u. 3 be-
merkt haben, sowohl sein Mubtada' als auch sein Xabar in den Accu-
sativ stellen kann. Es braucht in diesem Falle dann auch keine Aus-
lassung von LjÜ als eigentlichen Xabars angenommen za werden.
3) Ibn Ya»i§ bemerkt dazu, dass es der Analogie mehr angemessen
wäre, hier vor ^J|6 beidemal als Xabar dU zu suppliren , obgleich der
Sinn derselbe sei.
4) Ibn Ya?i§ erwähnt verschiedene Erklärungsweisen, -die erste
(der er den Vorzug gibt) ist, dass es statt ot^f /c-*-^ stehe;
Trumpp: Beiträge zur ErJclärung des Mufassal. 261
Das Xabar von ^, das zur Verneinung der Gat-
tung dient.
§ 36.
Dieses ist in der Rede der Leute von Hijäz ^) (z. B.) :
„Kein Mann ist vortrefflicher als du," und: „Keiner ist
besser als du/' und die Rede H'ätim's (Metrum h^^^^):
f 9 "
•.x-til sei also das eigentliche Xabar, für das das Masdar (^>Xmj
eintrete, und das Nomen von v:i^ sei das ^ in ^^y*-^ j das seine
Stellvertretung übernehme. Die dritte ist, dass das Xabar ausgelassen
sei, ähnlich wie in dUuOyS^^ Jo\ ^*J , wo nach J^jv als Xabar
i>ySb^».jQ oder ^^Lä. supplirt wird. Die zweite ist, dass der Saz nach
.-y*^ an der Stelle des Xabar stehe.
1) Nach Ibn Ya«ä stellen die Leute von Hijäz das Xabar heraus,
so dass die Rection (von ^1) darin zum Vorschein kommt, während die
Banü Tamim dies nicht thun. Dieses ^ sezt das Mubtada' in den Ac-
cusativ, das Xabar dagegen in den Nominativ, beide jedoch müssen
indeterminirt sein. Das Nomen von ^1 kann annectirt sein, oder
dem Annectirten ähnlich (wie in dem|Verse von H''ätim)> oder ein Einzel-
wort. Steht dieses leztere im Singular (und nicht im Dual oder Plural),
so wird es als ein mit ^ zusammeugeseztes Wort betrachtet (ähnlich
wie j.xLc Ä-WW.+Ä.), und daher als unflectirt auf Fath*^ stehend, ob-
gleich sein Casus grammaticus der Accusativ ist, wie dies aus dem
Plur. sanus und dem Dualis erhellt. Die Küfenser und einige basrische
Grammatiker behaupten daher, dass dieses a der Flexionsvocal des
Accusativs sei.
[1878. 1. Philos.-philol.-hist. Cl. 3.] 20
262 Sitzung der phüos.-philol. Classe vom 2. März 1878.
„Kein edler von den Söhnen bekommt einen Morgen-
trunk."
Dies lässt zwei Erklärungsweisen zu; die eine ist, dass
er dabei seinen Täitischen Dialect für den Hijäziscben auf-
gebe; und die zweite ist, dass er ^yj<^a.jo nicht als Xabar
hinstelle, sondern als ksl^ , die in lieber einstimmung steht
mit dem locus grammaticus von ^ mit seinem Negirten. ^)
Es (das Xabar) steht im Nominativ ebenfalls durch
die Partikel, weil ^ nach derselben gemessen wird, nach
dem Mass von jjj^ , mit Rücksicht darauf, dass es sein
Gegentheil ist und sich, wie dasselbe, an Nomina an-
schliesst. ^)
§ 37.
Und die Leute von Hijäz lassen es (das Xabar) oft
aus und sagen also: „es gibt keine Leute," und: „kein Be-
sitzthum," und: „keinen Schaden" (= es schadet nicht),
und: „keinen freigebigen ausser ?AlT," und: ,,kein Schwert
1) Der locus gram, von ^ mit dem von ihm Negirten ist eigent-
lich der Nominativ, da beide zusammen virtuell das Mubtada' repräsen-
tiren. Siehe meine Ausgabe der Ajrüm. p. 106, 2; Muf. p. 35, 1. 15,
sqq. Alfiyyah V. 201. Gegen die Erklärung Zama/sari's an dieser
Stelle, s. § 37, Anm.
. r c: .
2) D. h. jJ wird in diesem Fall ganz wie die Partikel ^^1 be-
handelt, indem ^1 zur Bejahung, ^ aber zur Verneinung dient j beide
treten vor ein Mubtada' und Xabar, indem sie das Mubtada' in den
Accusativ (denn auch beim Nomen von ^ ist die ursprüngliche Stellung
der Accusativ, obgleich das Einzelwort im Sing, als indeclinabile auf
Fath' betrachtet wird), das Xabar aber in den Nominativ stellen.
Trum'pp: Beiträge zur Erklärung des Mufassal. 263
ausser >LääJI ^6 .'' Hieher gehört aucli das Glaubens-
bekenntniss, und sein Sinn ist: ,,es gibt keinen Gott in
Wirklichkeit ausser Allah." Und die Banü Tamim kennen
es gar nicht in ihrer Rede. ^)
Das Nomen von Lo und ^ , welche (j^ ähnlich sind.
§ 38.
Das ist wie du sagst: „Zaid ist nicht weggehend," und:
„Kein Mann ist vortrefflicher als du." ^) Und ihre Aehn-
lichkeit mit (j^ besteht in der Negation und darin, dass
sie dem Mubtada' und Xabar vortreten, ausser dass L« mehr
in die Aehnlichkeit mit ihm (i. e. ij^) eintritt, weil es
1) Die Alfiyyah V. 205 sagt, dass die Auslassung des Xabar von
^1 allgemein ist, wenn bei dessen Wegfall das Intendirte klar ^hervor-
tritt. Dem fügt Ibn ^Aqil im Commentar noch bei, dass in diesem
Falle der Ausfall des Xabar bei den Tamimiten und Ta iten nöthig sei,
während es bei den Hijzaiten erlaubt sei. Eine absolute Auslassung des
Xabar nimmt demnach Ibn 9Aqil bei den Tamimiten und Tä'iten nicht an,
wie es Zama/sari behauptet ; dagegen spräche auch der citirte Vers (§ 36)
(wenn von H'ätim), wo es sehr gezwungen wäre, —yx/o^ als nJua von
I^jw5^^l zu fassen. Ibn ?Aqil, welcher diesen Vers auch citirt (Com. zu
Alf. V. 205) folgert daraus das gerade Gegentheil. Ibn Ya?i§ gibt
zwar (p. 132) beide Erklärungsweisen zu, stimmt aber Zama/gari darin
nicht bei, dass der erwähnte Vers von H'ätim sei, da Al-jarrai ihn dem
^^J^ÖJ dem Huiailiten, zuschreibe. Auch Ibn?Aqil erwähnt den Namen
deä Verfassers nicht, noch auch die Jü:^!«^ zur Alfiyyah.
2) Das Xabar kann jedoch mit v«^ auch im Genetiv stehen. Alf,
V. 161, c. com.
20*
264 Sitzung der philos.-phüol Classe vom 2. März 1878.
speciell der Negation des Gegenwärtigen zugetheilt wird
und darum tritt es zugleich vor das Nomen determinatum
und indeterminatum. Man sagt also : ,,Zaid geht nicht
weg," und: ,, Keiner ist vortrefflicher als du." Und ^ tritt
nur vor das Nomen indeterminatum; man sagt also: ,,Kein
Mann ist vortrefflicher als du," und man darf nicht sagen :
„nicht (^) ist Zaid weggehend." Und der Gebrauch von
y im Sinne von (j**«^ kommt selten vor; hieher gehört der
Vers des Buches (Metrum J-<D, und zwar J«ij.>oj:
,,Wer auch sich abwendet von seinen (i. e. des
Krieges) Feuern — ich also bin der Sohn des Qais,
es ist kein Verlassen des Plazes (von meiner Seite)." ^)
Erwähnung der Worte die imAccusativ stehen.
§ 39.
DasabsoluteObject
ist das Masdar. Es wird so benannt, weil die Handlung
von ihm ausgeht. Und Sibavaih nennt es (das Masdar)
' "-» ' " ''"1
viJtX^i (Ereigniss) und ,jütXs.| (idem), und manchmal nennt
er es J.JLftJI (die Handlung). Und man theilt es ein in
1) Der Vers ist aus der H'amasah, I, p. 250. Tabrizi zu dem
Verse sagt, dass die Erklärung dahin gehe, dass -^f^J statt des Ac-
cusativs — lyJ stehe, um des Verszwanges willen, Sibavaih (und nach
ihm Zama/sari) dagegen fasst hier jf im Sinne von (»«.aJ und hält das
Xabar für im Sinne behalten (= j^JoLc). Näheres über die Rection
von Li, !^l {^*3 und Jjl) siehe Alf. V. 158, sqq.
Trumpp: Beiträge zur Erklärung des Mufassal. 265
9 - o >
(V^-yo (vages), wie: ,,icli schlug ein Schlagen/' ^) und
<:/3yjo (zeitlich bestimmt), wie : ,,ich schlug ein einmaliges,
zweimaliges Schlagen. ^)
§ 40.
Und manchmal wird mit dem Verb etwas anderes als
sein Masdar verbunden, nämlich das, was in der Bedeutung
desselben steht. Und dieses ist zweierlei Art, eiu Masdar
oder etwas anderes als ein Masdar.
Das Masdar ist (wieder) zweierlei Art : ein solches,
welches dem Verbum in seiner Ableitung (von der Grund-
form) entspricht, wie in dem Worte Gottes: ,,Und Gott
hat euch von der Erde hervorsprossen lassen" (Qur. 71, 16),
und: ,, Trenne dich (von der Welt) zu ihm hin'' (Qur. 73,
8) ; ^) und ein solches , das ihm darinnen nicht entspricht,
wie du sagst: ,,ich sass (^:i>tXAij ein Sizen (I^w^Aä-)'', und:
ich hielt ab (o^aaaaä.) ein Abhalten (üü.xj).'*)
Und das Nicht-Masdar ist wie du sagst: ,,ich schlug
ihn verschiedene Arten des Schiagens," ^) und : ,,was für
1) Es wird so genannt, weil es nur zur Verstärkung oder Be-
kräftigung der Idee der Handlung dient, ohne derselben ein neues
Moment (der Qualität oder Quantität) beizufügen.
2) Dies ist das Nomen vicis (üyjo (V-^vf) nach dem Formmass
«Xxs , welches die Idee der )L^ (oder Quantität) hinzufügt und da-
durch die Handlung näher bestimmt.
3) Hier ist nur das gleichbedeutende Masdar einer anderen Verbal-
form gebraucht.
4) In diesen zwei Beispielen entspricht das Masdar dem Verbum
nur der Bedeutung, nicht dem Verbalstamme nach.
5) ^y^\ ^jjo LäLjI steht = lx.y.Ävo L>^^ oder LalÄi^ ,
ein verschiedenes Schlagen.
266 Sitzung der phüos.'phüol Glasse vom 2, März 1878.
ein Schlagen!'^*) Und hieher gehören (die Ausdrücke):
„er trat den Rückzug nach hinten an," ^) und: er hüllte
sich in das Obergewand indem er es von der rechten über
die linke Schulter warf," ^) und: „er sass nach der kauern-
den Weise," weil sie gewisse Arten des Umkehrens, des
Einhüllens und des Sizens sind; und hieher gehört auch
(der Ausdruck) : „ich schlug ihn mit einer Peitsche." *)
1) Das Mufassal hat hier die zwei Ausdrücke : ^^wo ^\ und
(I " I -es.
y^y/6 UjI , die wir in der deutschen Uebersezung nur einmal wieder-
gegeben haben, da sie dem Sinne nach identisch sind. ^\ (als äa^)
wird auch im Sinne der Verwunderung gebraucht. Steht das Nomen,
dessen ksuc es ist, indeterminirt, so stimmt es im Casus mit
ihm überein, ist es dagegen determinirt, so kann es nur als JLä. (im
Accus.) folgen, da es, an sich selbst indeterminirt, nicht mit einem
determinirten Nomen übereinstimmen kann. Ist das Nomen selbst
aber ausgelassen, so steht es in dem Casus, in welchem das Nomen
stehen müsste, wenn es gesezt wäre, j^l , im Sinne der Verwun-
derung, steht nur im Sing. masc. (als ein Neutrum) und wird
s *
einem indeterminirten Nomen annectirt. Gleichbedeutend mit ^1
ist U->l , indem durch die Anfügung von Lo seine Bedeutung nur
etwas verallgemeinert wird, ohne dass seine ßection aufgehoben würde.
Der Saz: ^^wO ,^} iiX^yo ist aufzulösen durch: ü«»o ^v^
^y-^ (^» , ich schlug ihn ein Schlagen, was von einem Schlagen !
2) i^üL^-äJI, eine gewisse Art des Rückgangs nach hinten.
3) ^U^l J^Ca^I steht statt: ^U^JI i^-CccJi ^^4-^1, er
hüllte sich ein nach der Weise von etc.
4) Nach Alfiyyah V. 289, c. com. kann auch das Instrument
Trumpp: Beiträge zur Erklärung des Mufasml. 267
§ 41.
Und die Masdar, die diircli im Sinne behaltene Verba
in den Accusativ gesezt werden , sind von dreierlei Art :
(1) ein solcher, bei dem die Herausstellung und die Ver-
bergung seines (regierenden) Verbums im Gebrauch ist;
(2) ein solcher, bei dem die Herausstellung seines Verbums
nicht im Gebrauche ist, und (3) ein solcher, der durchaus
kein Verbum hat; und diese drei enthalten einen Wunsch
und keinen Wunsch. Die erste Art also ist, wenn du zu
einem von seiner Reise Ankommenden sagst: „beste An-
kunft," und zu dem, der in seinen Versprechungen nicht
Wort hält: „Versprechungen des ^Urqüb,'' und zu einem
Zornigen: der Zorn der Pferde gegen die Zügel." ^) Und
(ÄJ^I) stellvertretend für das Masdar eintreten. Ibn -^Aqil erklärt da-
her diesen Saz durch: Jc^mj <^y^ Ä^jy^ä, indem das oLä>o aus-
gelassen und das äaJI oLdx) an seine Stelle gesezt wurde. Ibn
Yans dagegen erklärt es durch: ic^.ww.JL i^Jy^o xÄjy^, indem
io«.*w^JLj dem locus grammaticus nach eine iüua zu &jw^ sei;
dann werde das \^y^oyjo (i. e. i^j».^) ausgelassen und die &^o an
seine Stelle gesezt. Die Praeposition falle dann aus und das Verbum
werde transitiv und seze Jö«.a*JL in den Accus., und die Transitivität
gäbe den Hinweis auf das Instrument. Dieser weitschweifigen Erklärung
ist die des Ibn ^Aqil jedenfalls vorzuziehen.
" " "^
1) Hier supplirt man beim ersten Beispiel oxijö , beim zweiten
^AJ'tVc • , und beim dritten c>.A^.t ] das hinzuzudenkende Verb ist
das Kegens des Masdar. Nach Ibn Ya^i§ Angabe jedoch gebrauchen
einige Araber in diesen Fällen auch den Nominativ und sagen;
268 Sitzung der phüos.-pJiilol. Classe vom 2. März 1878.
Lieber gehört ihr Ausdruck: „eine Furcht, die besser ist
als Liebe?'' d. h. ,,soll ich mich vor dir fürchten eine
Furcht die besser ist als Liebe?"
Die zweite Art ist deine Rede: „ein Tränken!" und:
„ein Beschirmen!" „ein Vereiteln!'^ und: „ein Verstüm-
meln!" und: „ein Verwunden!" und: „ein Unglück (über
ihn)!" und: „Fluch über ihn!" und „Verwünschung (über
ihn)!"^) Und: „ein Loben," und: „ein Danken, kein Ab-
läugnen (der Wohlthat)," und: ,,ein Wundern," und: „ich
thue das und Ehre (für dich) nnd Erfreuung," und: „ja
und Ergözen des Auges," und: ,,ich thue das nicht, nicht
nahe daran sein noch daran denken," und : „ich würde ge-
wiss dieses thun, und gegen (deinen) Willen und mit Ver-
achtung (deiner)." ^)
-«'-JO- -6^,0-
AtXü^ j-^Ä. etc., im Sinne von *JJüo wcä. viLo» Jö , so dass dann
ÄtX.Ä/0 5-A.^ diis Xabar eines ausgelassenen Mubtada* ist.
1) Die Regel ist, dass das Regens des Masdar nothwendig weg-
genommen wird, wenn das Masdar das Verbum finitum vertritt. Dies
ist der Fall, wenn das Masdar einen Im perativ, Prohibitiv oder
Wunsch implicirt. uüIa« steht also statt: äJUI cILä^ , Ulc^
statt : iJJI iJLis , i^Axis^ statt : iJUf ^aj^ä. , LäJcä. statt :
xAj! vilÄtXö., IJiÄ statt: \Ji^ jsjj] 5wä£. , Lav«.j statt: ^UwLjI
Lavo iüU!, ftX.*j statt: lt\jtj aX:] 5 Jou! , und ebenso: Lä^
statt : Lft^ iüJ] isJi^] (möge Gott ihn [vom Glück] entfernen!).
Cf. Alf. V. 292, c. com. In allen diesen Fällen jedoch ist auch der
Nominativ erlaubt^ wie: viJU ^äa« .
2) Selten ist die Auslassung des Regens des Masdar upd die
Sezung des Masdar an seine Stelle, wenn damit eine Aussage gemacht
werden soll, die der Redende von sich macht. In den aufgezählten
Truwpp: Beiträge zur ErUärung des Mufassal. 269
Und liieher gehören (Ausdrücke wie): ,,dii nur ein
Reisen, Reisen," und: ,,du nur Tödten, Tödten," ^) und:
,,du (reisest) nur wie ein Eilbote ," und : ,,du nur das
Säzen steht also IcX^ä. etc. im Accus, durch ein noth wendigerweise im
Sinne behaltenes Verbuin , auf dessen Bedeutung das Masdar hinweist,
also ltX.».Ä. = äJJI J.4-Ä.I ; \y^^ = lwXl*i SyX^f ; Ll^ =
Ll# v#l; ix)L^^ Ä}^ Jiil = 'd\y< ^y^\^ . üeber
((^j^ÄJ*ljiJ und (..».jiwA'x^.JtJ* ist noch besonders zu bemerken, dass
das Substantive sind , die an der Stelle des Masdar stehen (man sagt
auch ^^^.xt iUjü und ^üü und j^>jä r»^)- ^^^ ursprüngliche
Redensart ist: Lu^ 'tX-^ vi:;».4JÜ , indem Iaxc als y^x^J steht.
■^vJLß. «»Ijü würde demgemäss = ^^j^ »»üü si>4JÜ stehen = ich bin
(darüber) ergözt ein Ergözen des Auges. Anders der Muh'it, welcher es
durch dUJotJ üouül vilJ j Jüiil erklärt, was auch zulässig ist, wie
man zu äx>(w5 das Verb j»^| supplirt. \d^jS *^ — Jk*i! ol^l ^j
ich bin nicht daran es zu thun. U-^)5 erklärt Ihn Ya-fis durch:
Ux> ifcXxÄj viUiwÄl, ich erniedrige dich dadurch, dass ich es thue,
ein Erniedrigen; U-^) kann aber auch „gegen (deinen) Willen" be-
deuten, wie man sagt: X^s. iJlii, „er that es gegen (seinen) Wil-
^ ^^ ^^ i>
len." Ljf«.;»« = üf«.^ iu dUx5öl • , ich mache dich dadurch ver-
ächtlich.
1) Das Regens des Masdar wird ausgelassen, wenn das Masdar auf
ein Nomen concretum (/^wxc. (V^f) bezogen ist und von demselben
etwas aussagt. Das Masdar muss in diesem Falle wiederholt oder
(durch ü^t und Ujt) beschränkt sein. Diese Construction dient
270 Sitzung der phüos.-philol. Classe vom 2. März 1878.
Schlagen der Leute," *) und: „du (trinkst) nur wie die Ka-
meele trinken.'' Und hieher gehört das Wort Gottes : ,,also
darnach entweder Güte (gütiges Losgeben) oder Loskaufung"
(Qur. 47, 5). ^) Und hieher gehört (der Ausdruck) : „ich
gieng vorüber, und siehe, er hatte eine Stimme wie die
Stimme eines Esels ;'' ^) und: ,, siehe er hatte ein Geschrei
dazu, um anzudeuten, dass etwas oft oder viel geschehe (Ibn Yans). Die
Auflösung von Lxa« Uxa« oJI Ui! ist also: i^km vAwwwo viol Uil,
du thust nur (immer) reisen;" y>j-^ i^t noth wendig ausgelassen, da
das Masdar an seine Stelle getreten ist. Bei der Beschränkung
braucht das Masdar nicht wiederholt zu sein, da darin schon eine Ver-
stärkung liegt, welche die Wiederholung vertritt. Man kann jedoch in
Säzen dieser Art auch den Nominativ gebrauchen, wie: ^xaw j)| ooI Lo
y.KMj ; der Sinn ist dann jedoch nur : w^^ v«^ä.Lo ^I ojI Lx> , und
die Idee der Vielheit oder Aufeinanderfolge fällt weg. (wx^ als No-
minativ wird dann l\L^ gebraucht, wie man auch sagt: J<Xd (J^sj-
1) D. h. du schlägst nur die Leute. Es könnte aber nach Um-
ständen auch bedeuten: du schlägst wie die Leute schlagen.
2) Die Alfiyyah V. 293 führt dies weiter aus, indem sie bestimmt,
dass das Regens des Masdar nothwendig ausgelassen werden müsse, wenn
es (i. e. das Masdar) das Resultat des Vorangegangenen einzeln darlege.
Die logische Restitution ist nach Ibn Ya^is : Uol • LLo l«^4>J' ;j' ^^
gftXi LöIJls jjI; ähnlich auch Ibn ^Aqil im Com. zu diesem Verse.
3) Die Alfiyyah (V. 297) bestimmt dies näher dahin, dass das
Regens des Masdar weggenommen werde, wenn mit dem Magdar eine Ver-
gleichung intendirt werde nach einem Saze, der logisch das Fa^il
implicire, indem das Masdar die Stelle des Verbum finitum vertritt;
^^•«o nj ist also = i:i>««o.J. Ibn Ya^i§ will A^^ ^<^yc auch als
Trumpp: Beiträge zur ErJclärung des Mufassal. 271
wie eine ihres Kindes beraubte (Frau)/' und: „siebe er
hatte ein Zerstossen, wie du mit dem Stämpfel das Qilqil-
Korn *) zerstossest."
Und hieher gehört (das Masdar), das eine Bestätigung
ist entweder für etwas anderes, wie du sagst: ,,das
ist ?Abdu-llah in Wahrheit," und: ,,in Wahrheit, nicht
fälschlicherweise;"^) und: ,,dies ist Zaid, im Gegensaz zu
H*al fassen, abhängig von einem ausgelassenen (c^^^j L^a^xj oder
!^Avo , was jedenfalls eine künstliche Deutelei ist.
1) Das Qilqilkorn wird als schwarz und sehr hart beschrieben;
es ist nicht zu verwechseln mit dem Pfefferkorn (jLäJLi), obschon es
(nach Ibn Ya^i§) das gemeine Volk fälschlicherweise JiiJLi ausspricht.
2) Die Alfiyyah (V. 295. 296) und der Commentar des Ibn *Aqil
dazu sagt, dass das Regens des Masdar nothwendig ausgelassen werde,
wenn das Masdar sich selbst oder etwas anderes bestätige. Das sich
selbst bestätigende Masdar ist dasjenige, welches den vorangehenden
Saz so bestätigt, dass kein anderes Masdar daneben zulässig ist; das
etwas anderes bestätigende dagegen ist dasjenige Masdar, welches nach
einem Saze steht, der sowohl die Idee des Masdar als auch die eines
andern zulässt. Man supplirt dabei aus dem Verbalnomen das Verbum
flnitum, also vor Lää. : (^ä! , ich bestätige als wahr. Ibn Ya?i§ sagt,
dass (nach den in Mufassal gegebenen Beispielen) dem bestätigenden
Masdar auch der Artikel vorgesezt werden dürfe, weil z. B. (^JÜ
nicht alsH'äl gefasst werden könne, da es determinirt sei; die Alfiyyah
bestätigt dies V. 289, c. com. und führt dort ein Beispiel eines durch
den Artikel determinirten dS^A >tN.*^ax? an. Lane (II, p. 608) jedoch
sagt, dass in (^il der Artikel in derselben Weise gebraucht sei,
wie in der Phrase: ^JloiJI L.gJLwJ, und führt für diese Erklärung
die Auctorität Sibavaih's und des Täj al-*arüs an. In iJfjjJI L^JLwnI
272 Sitzung der phüos.-philol. Classe vom 2. März 1878.
dem, was du sagst," V) und: „das ist die Rede, nicht (sage
ich = führe ich) deine Rede ;" ^) und : „ist es dein Ernst,
dass du nicht das und das thust ?" ^)
Oder für sich selbst, wie du sagst: ,,ich schulde
ihm tausend Dirhara eingestandenermassen ;" *) und die
Rede Al-ah'vas:
„Führwahr ich schenke (vergebe) dir, dass du dich
(von mir) wendest, und fürwahr (ich schwöre)
aber steht (nach Muf. p. 28 L. 7 v. ii.) cJLjlII als H'al, und obgleich
deterrainirt wird es durch 'iS Jüsuo interpretirt. Es ist also sehr fraglich,
ob J^LJf y tÖ^t (<las leztere als i^jüac durch *3) als «tX..«a>o
dSyjc gefasst werden rauss. Viel einfacher wäre es, dazu das Verb
J^'l zu suppliren : ,,icli spreche die Wahrheit nicht die Unwahrheit."
- s
1) Ihn Yaüs erklärt diesen Saz durch wj^^ Las». Jk.j\ Ijuß
JjÄJi' Lo. Er nimmt an, dass Lää. (als ^s^yOyA) ausgefallen sei, zu
dem L-o Y^ die iüuo bilde. Wir hätten hier somit eine doppelte
Auslassung. Es dürfte auch hier einfacher sein J*i>| zu suppliren, da
in diesen elliptischen Säzen doch ein Verbum zu erstatten ist, und
- o —
yjLC kein bestätigendes Masdar sein kann.
2) Hier supplirt Ibn Yans selbst vor viJU«.5 : J*i*l. Der Sinn
ist nach ihm: ich rede wahr, nicht falsch.
3) 'ijd^S wird von Ihn Yans durch : Ij^ä. dU6 Jc^l erklärt.
" " "s
Ändere Auffassungen dieser Phrase siehe in Lane sub voce J^.
4) S. Alfiyyah, V. 295. 296, c. com., wo derselbe Saz erklärt ist.
Ow£ ist ein Substantiv (Anerkennung) im Sinne von s^IoCä!. Die
Eestitution ist also: Lil^JCt! OvXcI.
Trumpp: Beiträge zur Erklärung des Mufasml. 273
einen Eid, ich neige mich (zu dir) trotz dem dass du
dich (von mir) abwendest." (Metrum : J^o j.
Und das Wort Gottes: „als Werk Gottes'* (Qur. 27,
90), und: ,,als Verheissung Gottes" (Qur. 80, 5), und: ,,als
Vorschrift Gottes für euch" (Qiir. 4, 28), und : ,,als die Re-
ligion Gottes" (Qur. 2, 132), und wir sagen: ,,(der Ausruf):
Gott ist grösser (als alles ausser ihm), als Einladung zur
Wahrheit." ^) Und hieher gehört, was als Dual vorkommt
und das (sind Ausdrücke wie): ,, deine Gnadenbezeugungen
(erflebe ich), ^) und : „Verweilungen bei dir (im Gehorsam)
und Hilfeleistungen für dich," ^) und: ,,im Wechsel mit
1) In allen diesen Ausdrücken, wie xiJf «a.o, ^JUI Jlc*,
xiJf ^Iä5^, iJÜI ÄÄA^, (^il S^4>, werden *'*JL^ etc. als
OSpo ^i\j>ajo gefasst, von einem aus dem Zusammenhang zu supplir-
enden Verbum abhängig gedacht.
2) Nach Sibavaih (und Ihn Ya-?i§) soll der Dual in diesen Worten
nicht im stricten Sinne stehen, sondern im Sinne der Vielheit (eins um das
andere). Man sagt neben dLxjLAÄ. auch im Singular: ^^k L dloLlÄ..
Der Sinn ist nach Ibn Yasfiä: ^^yJ^:^ tX«J LLa^ ilh^^-
3) Ibn ?Äqil im Com. zu Alf. V. 397. 398 erklärt duuJ durch
iUU'l tXjL5 *iLoUs.| J<£. iüöUl ein Stehen in deinem Gehorsam nach
^ • ^ • • ^ ^^
einem Stehen, d. h. wiederholtes Stehen. Aehnlich auch Ibn Yan§:
'iyA i>ij 'iyii Lg-^J^ iuUl^ viUcUo ^£, Lol.J ; vibtX*^
erklärt er durch: 5tX£L.w^ tX*j »tXxLwwo, eine Hilfeleistung nach
einer andern (in oder für die Sache Gottes; falsch Dieterici: Glück-
spendung). Beide Wortformen sind *tX,«a^, die durch ausgelassene Verba
in den Accusativ gesezt sind, welche aus dem Zusammenhang zu ergänzen
274 Sitzung der phüos.-phüol. Classe vom 2. März 1878.
dir , " ^) und : „dein sclinelles (aufeinanderfolgendes) Ab-
schneiden." ') Und hieher gehört , was nicht flectirt wird,
sind. dlxjJ kommt nur in dieser Annexion vor ; bei ^0 kommt auch
hie und da das Pronomen der dritten Person vor yjkxjj)^ selten ist es
an ein sichtbares Nomen annectirt (cf. Alf. Com. zu V. 397. 398, und
Hamäsah' p. va^, erster Vers, mit dem Com.; an beiden Orten werden
auch die verschiedenen Ansichten der Grammatiker über die Ableitung
c. c5-r
von ^J discutirt, womit zu vergleichen ist, was Ibn Ya*i§ p. ff},
L. 19 sagt.
1) Die Wortform dl>JI«t> vergleicht Ibn Yans mit dUjLÄ.
( = dljJ«.Ä., „um dich herum"); JljO wäre demgemäss ein Substantiv
wie JI«.Ä., im Sinne eines Verbalnomens = &J«ljk.xJ, im Wechsel herum-
gehen lassen. Wenn Ibn Ya?is sagt, dass dUJ|lt> an der Stelle eines
H al stehe = ^TwjJ^ftXÄ^ (es wechselseitig thuend) , so ist dies wohl
dem Sinne, aber nicht der Wortform entsprechend. Das Pronomen
suif. in viLJ«(> tritt schon ganz zurück, und diese Wortform bedeutet
jetzt ohne Rücksicht auf das Subject des Sazes „wechseis weise."
2) dLj54>! Jijj> erklärt Ibn Ya(?i§ durch tXiß Jol> ! Jüö , ähnlich
der Muh'it durch »h3 tX*J \jüa£ * Die Kraft des Pronom. suffix.
ist auch in dieser Wortform nunmehr erloschen.
lieber die augenscheinliche Dualform dieser Worte ist noch zu
bemerken, dass sie aller Wahrscheinlichkeit nach ein alter Status constr.
des Plurals ist, was auch die arab. Grammatiker herausgefühlt haben.
Wir haben im Hebräischen im Plural des Stat. constr. i— , im Syrischen
ai, und dieselbe alte Endung begegnet uns auch noch im Aethiopischen
bei den Präpositionen, wie JP"AA»s (mesl-e), im Arabischen z. B. vil^-Lc ,
Trumpp: Beiträge zur Erklärung des Mufassal. 2,75
wie: „(icli thue dar) die höchste Vollkommenheit Gottes," ^)
und: ,,(ich suche) den Schuz Gottes,"^) und: „bei deiner
Anerkennung die ewige Existenz Gottes,"^) und: ,,bei
deiner Anerkennung der Beständigkeit Gottes.'^ ^)
Und die dritte Art ist wie: „Gestank und Niederlage
(für ihn! d. h. möge er schmählich unterliegen!), und:
so dass wir kaum fehlgehen, wenn wir Formen wie viJLAjJ unter diese
Categorie subsumiren.
1) jmL:S\^ kommt nur im Accusativ (als schwach flectirt, wie
ein Eigenname) vor , sei es annectirt oder nicht annectirt ; nur in der
Poesie nimmt es bisweilen ein Tanvin an. Seine eigentliche Bedeutung
ist nach Ibn Ya^is : sVl w>JI . xj^a^JI (Gott für frei von allen Un-
voUkommenheiten erklären).
2) Erklärt durch: I3ljtx) xJÜLj j-xl (ich suche Schuz bei Gott).
Auch jLä;o (oder s3L*X)) kommt nur im Accusativ vor.
3) Diese Phrase wird verschieden erklärt. Ibn Yans löst sie auf
r. £, ^
durch: iJUf w^-pLs viA.jLwl, so dass w^x im Sinne von *.-«j4JU
stünde. Andere Erklärungen siehe bei Lane sub voce y^ .
4) Dies ist die Erklärung von Ibn Yans, der diese Phrase durch:
s:i^LaaJLj ^JÜ( dLft^«j umschreibt. Nach ihm kommen beide Aus-
drücke nur beim Schwüre vor. Der Muh'it dagegen führt auch die
weitere Erklärung an, dass es im Sinne von: äJÜI viJLi'^^x (ich bitte
Gott um die Verlängerung deines Lebens) stehen könne, so dass es dann
kein Schwur, sondern ein conciliatorischer Wunsch sei = xJJI ^i\xs,
möge Gott mit dir sein und dich bewahren! Auch ä-UI ^^.^-c wird
durch einige dahin erklärt, dass es „möge Gott dein Leben verlängern"
bedeute.
276 Sitzung der phüos.-phüol, Classe vom 2. März 1878.
„Scl^ande (Schrnuz) (über ihn)!"^) und: „ach du Armer!''
und : ,,welie dir!*'
§ 42.
Und manchmal werden auch Nomina, die keine Verbal-
nonfiina sind, nach dieser Weise behandelt, und diese sind
zweierlei Art, Substanzen, wie sie sagen: ,, Staub und
Steine,"'') und: ,,ein Bein für deinen Mund," und Quali-
ficative, wie sie sagen: „gesund und zuträglich!" *) und:
„bei dir Schuz suchend,"^) und: ,, (bleibst du) stehend,
1) iJö ist nur ein Schallwort zu 'ij,\ . Einige von diesen Worten
sind keine Verbalnominia, sie werden jedoch nach der Aehnlichkeit der-
selben behandelt.
2) Die logische Restitution ist nach Ibn Ya*i§: ijüj dl^jiiol
JF JOL^ • Wr^*) i^aöge dir Gott Staub und Steine zu essen geben! Das
regierende Verbum wird hier entfernt, weil dies nur ein anderer Aus-
druck für oJ JuLs* • ^^cXj vci^jo , „mögen deine beiden Hände voll
" -^
Staub sein und an die Steine angeklebt werden," ist.
3) Die logische Restitution ist nach Ibn Ya*is: viJU3 viU vi>^'
L— Jjjo Li-juLJO , „möge sich dir dieses als gesund und zuträglich er-
weisen," so dass L^XA^O als H'äl steht.
4) Dies wird durch: db IjoLfc öy^\ erklärt. lieber liXjLt
sind die Grammatiker uneins; yjwl^*J| «.^t fasst ItNoLc als Stell-
vertreter des Masdar I jLxt , weil der H'äl hier nichts wesentliches
hinzufüge, also nuzlos sei; andere dagegen, wie Sibavaih, fassen es als
9 w
H'al, weil der H'äl auch als ein bestätigender (tX5^) vorkomme.
(Lane sub voce joLc schreibt dagegen Sibavaih die umgekehrte Er-
Trumpp: Beiträge zur Erklärung des Mufassäl. 277
während sich die Leute schon gesezt haben?" und: „(bleibst
du) sizend, während die Reisegesellschaft schon aufge-
brochen ist?''
§ 43.
Und aus dem Verschweigen des Masdar kommt
deine Rede: „?Abdu-lläh, ich glaube es, geht fort." Du
» 2 -
sezest » als Pronomen für das (ausgelassene) ^j-^ , als ob
du gesagt hättest: „?Abdu-lläh, ich hege meine Meinung,
geht fort," ^) und was vorkommt in der Bitte, die auf den
Propheten zurückgeführt wird: ,,und mache es zum Erben
von uns," lässt nach meiner Ansicht zu, dass es auf dieses
(Verschweigen des Masdar) bezogen werde. ^)
klärung zu). Ibn Ya^i§ macht jedoch dabei aufmerksam, dass in diesen
Fällen das den H'äl regierende Verbura nur dann verschwiegen werden
dürfe, wenn der H'al eine Anschauung implicire, die darauf hin-
weise, d. h. wenn aus der Sachlage das Verb, das den H'äl regiert, sich
von selbst ergibt.
1) Die Alfiyjah (V. 211 — 213) fasst dieses Verhältniss anders auf.
^^Jb nämlich kann rectionslos stehen, wenn es in der Mitte oder am
Ende eines Sazes vorkommt; steht es aber am Anfange eines
Sazes, so muss es nach den Basrensern immer regieren. Regiert es
nicht direct sein Object, so theilt man ihm das Pronomen der Sach-
läge jmLu^JI v^S»-^) ^^ ^^^^ supponirt es. Diese Erklärung ist ent-
schieden der von Zama/gari vorgeschlagenen vorzuziehen.
2) Die Ansicht Zama/äari's gründet sich darauf, wie auch in dem
voranstehenden Beispiele (iUidl j, dass, wie die Alfiyyah V. 289, c. com.
dies näher ausführt, das Masdar auch von seinem Pronomen
vertreten sein könne, so dass 2jijt£»l ~ J^-*^' (>*^' [steht.
(Wenn das Pronomen das tV5^ sJ^j^jo vertritt, so restituirt Ibn
[1878. I. Philos.-philol.-hist. Cl. 3.] 21
278 Sitzung der phüos.-phüol. Classe vom 2. März 1878.
§ 44.
Das objective C omplemen t. ^)
Das objective Complemeut ist dasjenige, auf welches
die Handlung des Activ-Subjects fällt, in Säzen wie: „es
schlug Zaid den ?Amr,'' und : „ich gelangte zu der Stadt/'
*Aqil denselben mit dem ArtikeL was offenbar das richtigere ist,
während Ibn Ya-?iä in seinem Com. p. 153, L. 11 nur ^x^ sezt). Da
aber Jjiä. ein doppeltes Object regiert, so müsste in diesem Falle das
erste Object supplirt werden, welches Ibn Ya-?iä durch Lj^Lwaxf thut,
indem ^AJ^\ nur das Praedicats-Object sein kann. Dervolle Saz nämlich lau-
tet nach Ibn Yans : LüU^^I Lo \jiXj^\ y UäUawL |v4-^^ Lotx«!^,
„Gott, lass uns unsere Ohren und Augen geniessen, so lange Du uns
leben lassest, und mache (unsere Gliedmassen) zum Erben von uns!"
Der Sinn ist : lasse mich im Genüsse meiner Ohren und Augen, so lange
ich lebe, sie mögen mich dann nach meinem Tode beerben! Die Sache
wäre ganz klar, wenn statt ^JL*:^! .* X a i*^| stehen würde. Weil aber
das Pronomen suff. s sich nicht auf LläL^-wI und UsLojI beziehen
kann, so muss eine andere Erklärung desselben versucht werden. Ibn
Ya-^is (dem die Erklärung von Zama/äari offenbar nicht ganz zusagt)
will das Pron. suff. 5 auf ein zu supplirendes cLcx>^l beziehen, was
aber keineswegs passt. Da das ^jLufcJI y^^ hier nicht in Frage kommen
kann, so ist es vielleicht besser, 5 mehr ad sensum zu construiren (etwa
im Sinne von ^sl^mj und ^^y^£L^j wodurch die vorgeschlagenen künst-
lichen Erklärungen wegfallen würden.
1) &j dySÜL^S (wörtlich: das, an welchem gehandelt wird) ist das
eigentliche Object oder der Objects-Accusativ, das wir darum das ob-
jective Complement der Handlung nennen.
Trumpp: Beiträge zur ErJdärung des Mufasaai. 279
Und dieses (i. e. das ^ J^ax)) ist dasjenige, was die tran-
sitiven Zeitwörter von den intransitiven unterscheidet ; ^)
und es ist eins und darüber bis auf drei, gemäss der Er-
klärung derselben, die du an seinem Orte erhalten wirst,
wenn es Gott gefällt. Und es kommt vor im Accusativ
durch ein verschwiegenes Regens, dessen Herausstellung im
Gebrauche ist oder dessen Verschweigung noth wendig ist.
§ 45.
(Das objective Complement), das in den Accusativ
gesezt wird durch das, dessen Herausstellung
im Gebrauche ist.
Dieses ist wenn du zu einem, der anfängt die Leute zu
schlagen, oder der sagt : „ich schlage den schlechtesten der
Menschen,'' sagst: ,,den Zaid," mit Verschweigung von
„schlage," und zu dem, der seine Erzählung abbricht:
1) Nach Ihn ?AqiI Com. au Alf. V. 267 ist das transitive Verb
dasjenige, welches sich mit seinem Object ohne Praeposition verbin-
det, das intransitive dagegen dasjenige, welches nur durch eine Prae
Position sich mit seinem Object verbindet, oder das gar kein Object hat.
Das transitive Verb heisst d^juiA (übergehend) «i>U (auf etwas fallend,
so besonders bei den küfischen Grammatikern), und v»L^ (sich zu etwas
anderem wendend) ; das intransitive j* ^^l (das beim Activ-Subject stehen
bleibende), woli' (das zur Erreichung des Objects unfähige), oder auch:
JotXx) yxß , und J.Ä» OysJ Jk.ÄÄx> . Das Zeichen des transitiven Ver-
bums ist, dass damit das Suffix s verbunden werden kann, welches auf
etwas anderes als das Masdar hinweist: denn das Suffix, das sich auf
das Masdar bezieht , kann mit trans. und intrans. Verba verbunden
werden (z. B. iüUi* A-^\ — A^^ c^-tJJj- Auch Ibn Ya^is in
seinem Com. p. 153, L. 2 v. u. macht auf diesen Punct aufmerksam.
21*
280 Sitzung der philos.-phüol. Classe vom 2, März 1878.
„deine Erzählung!'* und zu dem, von dem Handlungen der
Geizigen ausgegangen sind : „alles das aus Geiz ?'' mit Ver-
schweigung von ,,gieb," und: „du thust."
§ 46. ,
Und daher kommt es, wenn du zu Jemand, von dem du
vermutliest , dass er nach Makkah zu gehen beabsichtigt,
sagst: „nach Makkah, beim Herrn der Ka?bah/' und zu
Jemand, der einen Pfeil gerichtet hat: „die Scheibe, bei
Gott;" und zu denen, die nach dem Neumond ausschauen,
wenn sie ausrufen: Gott ist grösser (als alles) „den Neu-
mond bei Gott!" Du verschweigst dabei tXj^J und v«>>-»äj )
und »;^"«aj' . Und zu dem , der einen Traum gehabt hat :
„etwas gutes und was erfreut, und etwas gutes für uns
und etwas schlimmes für unsern Feind," d. h. hast du ge-
sehen; und zu dem, der von Jemand spricht: „dessen
würdig," d. h. du hast erwähnt einen , der dessen würdig
ist. ^) Und davon kommt seine Rede (Metrum ^dx-g^) :
,,Du wirst sie gewiss nicht sehen, auch wenn du
sorgfältig betrachten würdest, ausser (indem du siehst)
auf den Scheiteln ihres Hauptes eine wohlriechende
Sache" 3)
d. h. und du siehst von ihr etc.
1) Zu jj^LbwftJI kann neben v«^.»äj> (er triflft) auch nachUm-
^ ^^
ständen i^^Lol (er hat getroffen) supplirt werden.
2) Wenn man statt ^Ij Ji^l : aSsfA sagt, so bezieht sich das
Suffix auf ein zu subintellegirendes ^jJI, wie Ihn Yang mit Recht be-
merkt.
3) Wegen des Accus. LuJo kann der Saz IS L^j^ ^| nicht
Trumpp: Beiträge zur Erklärung des Mufassal. 281
Und davon kommt ihr Ausdruck: „wie heute einen
Mann," mit Verschweigung von „habe ich nicht gesehen."
Aus sagte: (Metrum J^o)'
„Etwas Gesuchtes noch Gesuchsteller *) wie heute (habe
ich nicht gesehen)."
§ 47.
Sibavaih sagt: „und dieses sind Beweise, die man von
den Arabern hört; sie sagen: „o Gott, eine Hyäne und
einen Wolf!" Und wenn du sie fragst, was sie (damit)
meinen, so sagen sie: „o Gott, bringe zusammen bei ihnen
(den Schafen) eine Hyäne und einen Wolf!" Und es hörte
Abu-1/attäb einen Araber, zu dem gesagt worden war:
„warum habt ihr euren Ort verdorben V" sagen: „die
Knaben, mein Theuerster!" 2) d. h. tadle die Knaben!
Und es wurde zu einem von ihnen gesagt : „ist nicht an
einem Orte so und so eine Wassergrube?" Da sagte er:
„Ja, Wassergruben," d. h. ich kenne daselbst Wasser-
gruben.
als Nominal -h'älsaz gefasst werden, was sonst das natürlichste wäre,
wenn v^^jd^ stehen würde; es muss also aus Ijöwj* : j^o ergänzt
werden, wodurch er zu einem Verbal-h'älsaz gemacht würde. Es scheinen
also hier, des Verszwanges wegen, zwei Constructionen zusammenge-
flossen zu sein.
6 ". r- ® H r
1) v.^Xb ist Plur. pauc. von v^AjUb .
2) ^L) oder ool ^^Lj ist eine elliptische Redensart statt:
^o v:i*.JtXi , mögest du mit meinem Vater losgekauft werden ! Weil
diese Redensart zu einer Interjection wurde, so Hess man das Verbum
nachgerade weg. Da der Sinn der Phrase (ich gebe meinen Vater als
Lösegeld für dich) der ist, „du bist mir theurer als mein Vater,"
so könnten wir sie am einfachsten durch „mein Theuerster" übersezen.
282 Sitzung der philos.-philol. Classe votn 2. Blärz 1878,
§ 48.
(Das objective Complement), das in den Accusativ
gesezt wird durch das, dessen Verschweigung
n 0 1 h w e n d i g ist.
Hieher gehört das Angerufene, weil da, wenn du sagst:
„o ?Abdu-lläh !" gleichsam sagst: „o, ich wünsche oder
meine den ?Abdu-lläh.'' Dieses (Verbum) wird jedoch aus-
gelassen wegen des häufigen Gebrauches, und Ls tritt als
Permutativ dafür ein. Es muss noth wendiger weise in den
Accusativ gesezt werden der Wortform oder dem locus gram-
maticus nach. Der Wortform nach wird es in den Accu-
sativ gesezt, wenn es annectirt ist, wie ?Abdu-lläh, oder
ihm (darin) ähnlich ist, wie du sagst: ,,o (du der du)
besser bist als Zaid!" und: „o (du, der du) den Zaid
schlägst!" und „o (du), dessen Sclave geschlagen wird!''
und: ,,0 (du), dessen Bruders Angesicht schön ist!"^) und:
„o (du) Drei und dreissig!"^) oder wenn es indeter-
1) Nach der Alfiyyah V. 471 — 73 sind nach dem Com. des Ibn
?Aqil (unter dem fünften Punct) die drei Formen hier möglich : h'asanun
vajhu abin, h'asanun vajha ahin, und hasanu vajhi abin. De Sacy,
r. - - -J
Gram. II, p. 199 fahrt die Form i^^t a^l ^j.aaaä. J^s unter
denen an, die zwar zugelassen aber selten im Gebrauche seien, die Form
dagegen: \^J3\ Xä^* ^^y^.^ d^) bezeichnet er als eine gute, während
Ibn Ya-?i§ den Nominativ ^^^l| }s^l für minder gut betrachtet als den
Accus, ^^j)! ^lÄ►5 , da die erste Form ein JoLfc bedürfe (also is^l
■& "
&joljj doch steht dies keineswegs fest.
2) (jyCAo'« 'ijiX3 als Ein Eigenname gefasst. Zu dem, was
y I - s 5 0-
dem Annectirten ähnlich ist, gehörtauch ein ^vJ • P^-y^ als Ganzes
Trtinipp: Beiträge zur Erklärung des Mufassäl. 283
miuirt ist, *) wie in der Rede (des Dichters ?Abdu-
„Also o Reiter, ^) wenn du mit (ihnen) zusammen-
triffst, so benachrichtige (meine Genossen von Najräu,
dass kein Wiedersehen mehr ist.") (Metrum J«.-?^)
Dem Locus grammaticus nach wird (das Ange-
rufene) in den Accusativ gesezt, wenn es ein determinirtes
Einzelnomen ist, wie du sagst: „o Zaid!''^) und: „o
genommen. Cf. Alf. V. 579 c. com. Ist jedoch ^^yXXü^ ein angereihtes
(^••.A^^AX> ) Nomen prop., so kann es nach Ihn Ya^i§ im Nominativ oder
im Accus, folgen ; die Alfiyyah jedoch (V. 587, c. com.) stellt die Regel
auf, dass ein angereihtes determinirtes Einzelnomen ohne „al" (Artikel")
auf jvo stehen müsse , und nur dann , wenn es mit dem Artikel ver-
sehen ist, in den Nominativ oder Accusativ treten dürfe. Demgemäss
wäre daher nur ^«JC-ilo*« zulässig, nicht der Accusativ. Das Beispiel,
das Ihn Ya9i§ anführt, beweist nichts, da in dem Saze c-jw^l* Jon Lj
das ^Vaa^a^ mit dem Artikel versehen ist.
1) Ein indoterminirtes Einzelnomen, das nicht näher intendirt ist
(im Gegensaz zu dem intendirten indeterminirten Nomen, wie Jä^n L)
tritt im Anruf in den Accusativ, weil es nicht als gegenwärtig be-
trachtet wird.
2) Ein unbestimmter, nur der Phantasie des Dichters vorschwe-
bender ßeiter.
3) Das (V^ von t\j\ etc. gilt als indeclinabile, da es stricte als
Object im Ä^ccusativ stehen sollte. Die Art und Weise wie Ihn Ya?is
diese Indeclinabilität zu beweisen sucht, ist wenig einleuchtend. Das
_ — »ö —
Munada soll indeclinabile werden, weil es an die Stelle eines yK£.
j^vx!».Ä4,J( (nomen indeclinabile) trete, indem es statt des Pronomens
284 Sitzung der philos.-phüol. Classe vom 2. März 1878.
Knabe^)!" und: „o du Mann!'\^) oder wenn vor ihm das
Läm des Hilferufs oder der Verwunderung steht/) wie (der
Dichter) sagt (Metrum oUAi>):
' „Herbei zur Hilfe unser ?Attäf und Riyäh' !'*
Und wie sie sagen: „o das Wasser!'^ und: ,,o die
Unglücksfälle!'' Oder wenn es ein beklagtes ist, wie du
sagst: „Ach der Zaid!''*)
(cio! etc.) stehe; die Indeclinabilität des Pronomens aber sei noth-
wendig. Das Tanvin aber ist im Anrufe wohl nur desshalb abgeworfen
worden, um mit desto grösserem Nachdruck die Stimme auf die erste
Silbe legen zu können.
1) *^Lc ist ursprünglich ein indeterminirtes Nomen, es wird aber
determinirt durch die Anrede, so dass der Artikel entbehrlich geworden ist.
2) Als eigentliches Munädä wird ^\ angesehen, und La entweder
O— J o —
als pleonastisch (cf. Alf. V. 588. 589, c com.) oder als äaaaj Owä«;
J^ Jl , als ÄÄ*o von ^\ , ist der eigentliche Gegenstand des Anrufs«
S. meine Ajrüm p. 111, Anm.
3) J wird zur Bezeichnung dessen gebraucht, bei dem Hilfe ge-
sucht wird (^u cjLäÄmmJIJ und J zur Bezeichnung dessen, gegen
den Hilfe gesucht wird (^üLÄ.'^,ÄJ c^LiÄ^LiJ!}. Werden mehrere zu
Hilfe gerufen, so wird, wenn ü nicht wiederholt wird, mit J (statt mit
j) fortgefahren. J wird auch bei der Verwunderung gebraucht, indem
das, worüber man sich verwundert [kXa v..j^2äJL«j|j, wie das ^LiXvwuo
construirt wird, weil es gewissermassen personificirt wird; doch kann
man hier auch J anwenden, indem das, worüber man sich verwundert,
gleichsam als das »j oLäJua*^ betrachtet wird.
4) Bei der Klage (§ 55) wird gewöhnlich die Interjection |* vor-
Trumpp: Beiträge zur Erklärung des Mufassal. 285
Die Apposita des Angerufenen.
§ 49.
Die Apposita *) des Angerufenen , das mit Damm ver-
sehen und nicht unbestimmt ist, werden, wenn sie für sich
stehen (und nicht in Annexion) in üebereinstimmung ge-
bracht mit seiner Wortform und seinem locus grammaticus,
wie du sagst: „o du langer Zaid!'*^) und: „o ihr Tami-
miten alle!'' ^) und: „o Knabe Bisr!"*) und: „o ?Amr und
gesezt, L nur dann, wenn keine Verwechslung mit einem nicht Be-
klagten zu befürchten ist (Cf. Alf. V. 573; 574 c. com.). Gewöhnlich
wird dem Nom. prop. (und dem Nomen determinatum : denn nur vor
diesen zweien kann \l stehen cf § 55) in der Klage noch die Endung
f — (in Pausa sl — j angehängt, (vor welcher die Endvocale abgeworfen
werden), weil der Ton der Stimme auf ihr gedehnt ruht (im Gegensaz
zum eigentlichen Vocativ).
Die Wegnahme der Interjectionspartikel ist weder bei dem Be-
klagten, noch bei dem um Hilfe Angerufenen gestattet (noch auch beim
Vocativ, wenn er durch ein Pronomen ausgedrückt ist, wie 0LI U)
Cf. § 56.
1) Unter den .%i\yi sind hier zunächst verstanden die ^tft^,
cXa^o' und ^yuJI ^.diaÄ . Sie müssen im Accus, stehen, wenn sie
annectirt und nicht mit dem Artikel versehen sind.
2) Die ÄÄ-o : J^^äJI kann mit seinem o«-oyo (i. e. JcjO der
äusseren Wortform nach übereinstimmen und steht dann im Nominativ,
oder dem locus grammaticus nach (welcher beim Munädä der Accusativ,
als J*.XÄ^, ist), und steht dann im Accusativ.
3) jj«.*4Ä.! ist i\jSyj zu |VX4J* ü , desshalb jj^u^l o<ler
^■x.tt»r^l nach derselben Regel.
4) Broch hat in der Ausgabe des Mufassal yM vocalisirt und
286 Sitzung der phüos.-phüöl. Classe vom 2. März 1878.
Al-h%ri^!''i) und es wird (im Qur'äu, 34, 10) gelesen:
,,(o ihr Berge, wiederholet mit ihm das Lob Gottes) und
o ihr Vögel!'' (x»A.iail), mit Nominativ und Aceusativ; aus-
genommen (von dieser Regel) ist das Permutativ und
von den angereihten Worten solche wie: ,,Zaid und ?Amr,"
denn ihre Regel ist die Regel des Munädä selbst. Du sagst
(demgemäss): ,,o Zaid, Zaid!" oder: ,,o Zaid und ?Amr!"
nur mit r%.4. Und ebenso: „o Zaid oder ?Arar!" und: „o
Zaid, nicht ?Amr!" Und wenn sie annectirt werden, so
steht der Aceusativ, wie du sagst: ,,o Zaid mit langem
Haupthaar!" und wie (der Dichter) sagt (Metrum Jo^io j :
„0 Zaid, Bruder des Varqä'u, (wenn du ein Blut-
zwar ganz mit Recht nach dem Zusammenhang ; Jahn dagegen in seiner
9
Ausgabe des Ibn Ya*i§ waJxj , weil er den Commentar missverstanden
hat, der die Sache hier ganz richtig darstellt. Denn in dem Vers, den
Ibn Ya?is hier (p. 164, L. 4) citirt, muss das zweite w^aj ebenfalls
y^ai gelesen werden als ,o^.>j^' <-Ahc. zu dem ersten y,o.J , mit
dessen Wortform es im Einklang steht. Ibn Ya*i§ sagt ja ausdrücklich,
man lese hier ^oi und fw,o.J (als (jLxxJf oUa^j sowie wO j , als
Permutativ. Dies bestätigt vollkommen die Alfiyyah indem sie V. 586
sagt, dass nur das Permutativ, sowie das (^^.awJJI ^^Iiä, wie ein
selbstständiges Munädä behandelt werde. Dafür führt 'noch Ibn *Aqil
im Com. das Beispiel an : Jo\ J.ä»x ü o Mann , (nämlich) o Zaid !
(falsch Dieterici: yä rajulu zaidun). Vergl. auch: Näru-lqirä, p. 282,
L. 8 sqq.
1) Das Angereihte muss mit ^ stehen, wenn es ein determinirtes
Einzelwort ist ohne den Artikel; hat es aber den Artikel, so ist der
Nominativ und Aceusativ erlaubt.
\
Tnimpp: Beiträge zur ErTdärimg des Mufassal. 287
rächer bist, so haben sich dargeboten Seiten des
Rechtes, also streite!)"
Und: „o Xälid selbst!'' und: „o ihr Tamimiten alle!'' *)
und: ,,0 Bisr, Genosse des ?Anir!" und: „o Sclave Abu
?Abdu-'lläh !" und: „o Zaid und ?Abdu-'llsh."
§ 50.
Und die Beschreibung durch ^^\ und &Ajf ist wie die
Beschreibung durch andere Worte, wenn diese beiden nicht
zwischen zwei Eigennamen stehen. Wenn sie also (so)
stehen, so lässt man den (End-)Vocal des ersten Wortes
dem Vocale des zweiten folgen, wie sie das bei ^^jI ^^^
i id.
^yjQ) thun. "^) Du sagst: „o Zaid, Sohn unseres Bruders!"
und: „o Hind , Tochter unseres Oheim!" und: „o Zaid,
Sohn des ?Amr!" und: „o Hind, Tochter des ^Äsirn!"^)
1) Wenn das »AlS mit einem Pronomen des Angerufenen ver-
bunden ist, so kann das Pronomen entweder in der dritten Person
stehen (mit Rücksicht auf die Wortform des sichtbaren Nomens, das als
solches in der dritten Person steht), oder in der zweiten (mit Rücksicht
auf die Gegenwart des Angeredeten). S Näru-lqira, p. 282 L. 6 v. n.
und Ibn Yang p. 165, L. 22.
2) Bei diesen zwei Worten findet eine zurückwirkende Vocal-As-
sonanz statt; man sagt also im Genetiv: ,vajm ^ y^' ) ^^^- U-^J' i
3) Die Regel ist: Steht wjf nicht nach einem Eigennamen oder
folgt ihm kein Eigenname so muss das Munädä mit Damm stehen wenn
stark flectirt. ^^\ behält in diesem Falle sein Alif und steht, weil
G-o
annectirt, im Accusativ. Ebenso wird iUji (nur in Annexion) und (selten)
" G o 0-0
o gebraucht. Steht aber ^j.jf und iUjI zwischen zwei Eigennamen
G "
288 Sitzung der philos-phüol Classe vom 2. März 1878.
Sie sagen auch, wenn sie nicht im Anrufe stehen und
man damit beschreibt: ^^das ist Zaid, der Sohn unseres
Bruders," und: ,,Hind, die Tochter unseres Oheims," und:
das ist Zaid, der Sohn des ?Amr," und : „Hind, die Tochter
des ?Äsim. Und ebenso (steht) der Accusativ und Genetiv. *)
Wenn sie also nicht (damit) beschreiben, ^) so wird (beim
voranstehenden Nomen prop.) nur das Tanvin gesezt. Im
Verszwang erlauben sie auch bei der Beschreibung (durch
diese) das Tanvin, ^) wie (der Dichter) sagt (Metrum 'y=?'))''
„Ein Mädchen von Qais, dem Sohne des 0alabah."
G t-,
ohne Trennung zwischen dem Munada und ^^lundiiLol) so steht das
Munädä entweder mit Damm oder mit Fath*, indem man es mit der
0 o
Wortform des folgenden Wortes in Uebereinstimmung bringt. ^j\ ver-
liert in diesem Falle immer sein Alif, während es ijj] durchaus beibe-
hält. Das Mufassal erwähnt nur die leztere Construction. Siehe dagegen
6 o
Alfiyyah, V. 580. lieber einige Ausnahmen bei ^^1 vergl. Wright
Gram. I, p. 22, Rem. 6.
1) Die Eegel ist, dass die stark flectirten Nom. prop. ihr Tanvin
abwerfen, wenn ihnen unmittelbar ^jj und iüjf, annectirt an ein
folgendes Nora. prop. , als mJjs folgen. Ibn Ya?i§ erklärt auch dieses
Damm als cUjI )L^ (als zurückwirkende Vocal- Assonanz) , weil das
Nom. prop. mit dem folgenden ^^ ^ ("ivh* ^^^O gleichsam zu einem
Nomen zusammenschmelze. In den Fällen aber, wo ^.jf sein Alif be-
hält, und in Folge davon keine Verschmelzung mit dem vorangehenden
Nom. prop. eintritt, behält auch dieses, wenn stark flectirt, sein Tanvin.
2) D. h. wenn ^\ nicht als mj3 zu dem vorangehenden Nom.
prop., sondern als Praedicat steht; in diesem Fall behält es auch
sein Alif bei.
3) Wird gegen die allgemeine ßegel das Tanvin bei den voran-
Trumpp: Beiträge zur Erklärung des Mufassal. 289
§ 51.
S ^
Und das angerufene Vage sind zwei Worte i^f und das
s ^
Demonstrativ (13). ^^1 also wird durch zwei Dinge quali-
ficirt, durch das, in welchem sich der Artikel befindet, in-
dem zwischen beide das Wort, welches die Aufmerksamkeit
auf etwas hinlenkt, eingeschoben wird, und durch das De-
monstrativum , wie du sagst: ,,o Mann!*'^) und: „o du
da!" Es sagte ^ü-rrumah (Metrum J^^i») •
„0 du da, dessen Seele die Leidenschaft tödtet (wegen
einer Sache, welche die Schicksale aus seiner Hand
entfernt haben)."
Und das Demonstrativ wird nicht qualificirt ausser
durch das, in welchem sich der Artikel befindet, wie du
sagst: „0 du Mann da!" und: „o ihr Männer da!" *)
gehenden Nom. prop. gesezt, so behält auch ^^wj! sein Alif bei, wie
aus dem Beispiele zu ersehen ist.
s , o , i^
1) Als das eigentliche Munäda wird das iv-^-yo : j^f betrachtet,
an welches sich die iUjuJ O^ , i. e. Üß als kJLo« (Verbindung
oder Ueberleitung) anschliesst; das nachfolgende Nomen wird als jsJuo
betrachtet, die mit dem Artikel stehen muss, weil sie das eigentlich
durch den Anruf Intendirte ist und darum determinirt sein muss. Als
G ■ i*
«jÜ> muss sie im gleichen Casus mit ^1 stehen, i. e. im Nominativ.
Doch erlaubt Al-mäzini auch den Accusativ, J^ J( L^l L) . Die In-
terjectionspartikel ü kann davorstehen oder auchf wegfallen. Statt eines
determinirten Nomens kann nach L^l auch \b oder das Relativ
H^jJl mit seiner ^JLo eintreten. Cf. Alf. V. 588. 589.
2) Man sagt JkiJI Ij C und Jä-JI I4Ü b (denn die Aus-
290 Sitzung der philos.-phüol Classe vom 2. März 1878,
Und Sibavaih citirt von Xuzaz ibn Lau^än (den Vers,
Metrum J^Kj:
„0 Genosse*), der du mager ausgestattet bist^) in Be-
treflF des (starken) Kamels, (des Reitsattels und der
Geräthe und der Decke)."
Und von ?Ubaid (Metrum JsXjI^J :
„0 du, der du uns erschreckst durch das Tödten deines
Scbaich's!"
Und du sagst bei Worten, die keine ^^^ sind : ^) ,,o
So- ^ o-
du da, Zaid!" (tXj\ und ^S^\) und: „o ihr beide da, Zaid
lassung der Interjectionspartikel U vor einem Demonstrativura wird von
den meisten Grammatikern verboten, obschon sie hie und da vorkommt,
cf. Alf. V. 588. 589). Da jedoch f jjü (und | j) auch ohne }sJu£> im
Vocativ stehen kann, so ist nach \(XS^ U (und wohl auch nach Il> U,
obschon Ibn Yan§ dies nicht speciell erwähnt, cf. Com. p. 170, L. 1
sqq.) auch der Accusativ zulässig (dem Locus grammaticus nach), wie
J^lpl IJ^ LI.
1) ,^Lo L) j Abkürzung statt : v^>ä.LaO G .
2) jj/jwÄ*JI ooLdJI ist eine uneigentliche Annexion, statt eines
yjuw^J \ das regierende Wort muss darum, wenn es determinirt sein soll,
mit dem Artikel versehen sein. Die küfischen Grammatiker wollen hier
jjjgyüul ^x)l^ lj> (fj als Accus, von Jo) lesen, weil sie sich an
dem ^evyfxa stiessen.
3) D. h. die ein (^La^JI »wftkÄ oder ein JtXj sind. Das
^LxAjf t^IsÄ kann, wie schon bemerkt worden ist, im Nom. und Acc.
stehen.
I
Trumpp: Beiträge zur Erklärung des Mufassal. 291
und ?Arar!" (Nom. und Accus.); und du sagst: „o du da,
(nämlich) der mit dem herabhängenden Haupthaar !'' auf
Grund des Permutativs.; *)
§ 52.
Und nicht wird im Anruf gebraucht (ein Nomen), in
dem sich das Alif und Nun befindet, ausser ä-ÜI allein, weil
die beiden sich nicht von ihm trennen, wie sie sich nicht
von (^-ssx " ^) trennen , da sie ein Substitut für das Hamzah
in i^l sind. ^) Und es sagt (ein Dichter, Metrum v»^^)'
„Deinetwegen, o du, die du mein Herz unterjocht
hast, während du geizest mit der Vereinigung (mit
mir, dich) von mir (ferne haltend)."
(Der Dichter) hat es (i. e. ^aJI L) ähnlich wie tdJ^ U
gebraucht, und dies ist anomal.'*)
^- , " ^ s - -
1) Ist die ^^L>yJI ^^ia^ , so wie das Jjo annectirt, so müs-
sen sie im Accusativ stehen.
2) Ueber jl^Jf z= IjyÜI s. § 11.
3) Nach Ibn Ya^is ist die ursprüngliche Form &j!^f| ; daraus ent-
steht, durch Unterdrückung des Hamzah ( <Jt.j^,kf^) xJUI , und durch
Insertion des ersten Alif in das zweite iJJI . Ob aber der Artikel als
Substitut für das unterdrückte Hamzah betrachtet werden kann, ist eine
andere Frage. Im Vocativ kann man, mit Hamz der Trennung und
Verbindung sagen: äLI Lj und üif ü. Cf. Alf. V. 583. 584. Be-
steht jedoch ein Eigenname aus einem Saze, so ist nach der Alfiyyah
(1. c.) der Artikel beim Vocativ die Eegel.
4) Nur in der Poesie wird bisweilen, des Verszwanges wegen, ü
mit dem Artikel des angerufenen Nomens gebraucht. Ibn Ya?is führt
292 Sitzung der philos.'philoh Classe vom 2. März 1878.
§ 53.
Und wenn das Angerufene wiederholt wird im Zu-
stande der Annexion, so kommen dabei zwei Construc-
tionsweisen vor ; die eine ist, dass beide Nomina zusammen
in den Accusativ *) gesezt werden, wie Jarlr sagt (Metrum
isju^o):
„0 ihr Taimiten, ihr Taimiten vom (Stamme) ?Adi,
ihr habt keinen Vater!"
Und wie einer seiner Söhne sagt (Metrum V^j) •
„0 Zaid, Zaid von den vortrefflichen, abgemagerten
Kamelen!"
und die zweite, dass das erste (Munadä) mit Damm ver-
sehen wird.
§ 54.
Und sie sagen bei einem Nomen, das an das Yä der
ersten Person annectirt ist, „o mein Knecht!'* (^x)Xi b
und (5^^^ Lj und ^^^ b und Lo^Lc L>); und in der
Offenbarung (kommt vor): „o meine Diener, fürchtet also
den Vers an : ^'^mLoXÜI Lo den anch Ibn »Aqil im Com. zu Alfiyyah
V. 583. 584. citirt hat.
1) Die Grammatiker erklären dies verschieden. Sibavaih ist der
Ansicht, dass das erste Nomen eigentlich an das nach dem zweiten
Nomen stehende annectirt und das zweite Nomen zwischen das oLd>e
und iüJI oLd/o eingeschoben sei, was höchst unwahrscheinlich ist.
Al-mubarrad dagegen ist der Ansicht, dass das iuJI oLdxJ des ersten
Nomens weggelassen worden sei, da es mit dem ajj] oLo^ des
zweiten Nomens identisch sei und dieses darauf hinweise. Viel wahr-
scheinlicher ist es, dass auch hier eine rückwärts wirkende Laut-Asso-
nanz statt findet, wie in § 50 gelehrt worden ist.
Triimp'g: Beiträge zur Erklärung des MufasaaL 293
mich!'^ (Qiir. 39, 18) und es wird (auch) gelesen: ;5^L^£ L>.
Und man sagt: „o mein Herr, gehe an mir vorüber!" und
in der Pausa : sLn L und sLo^ä U . i) Und das Tä in
^1
^1 L> (o mein Vater!) und v:>-^l L (o meine Mutter!) ist
ein Tä Feminini, das für das Yä gesezt wird; siehst du
nicht, dass sie es in der Pausa in Ha verwandeln? (i. e.
kit ü, ^T L).^)
Und sie sagen: „o Sohn meiner Mutter !'' und „o Sohn
meines väterlichen Oheims!"^) Es sagte Abu-nnajm (Me-
trum y^;) •
1) Die Alfiyyah V. 592 führt auch noch die Form Julä L> an, die
hier nicht erwähnt ist.
2) Das „t" in oi^jI erklärt Ihn Yai^is als eine Steigerung des Bc-
griffs wie in der Form iU^Ä ; demgemässs könnte dann das finale
„i" wohl das Pron. suff. der ersten Person sein. Statt: »ool ü sagt
man auch ool o , c:ax>I b (Alf. V. 594) und Lüf L , LLol L> ,
und in Pausa auch: sUül ü und sUCyol ü. Nach Yunus sollen auch
die Formen ^^t L und j»| L> vorkommen-
3) Das Mufassal führt hier drei Formen an : ^x)l ,^1 L , L>
-»I j^l und -»I ,^1 ü , ebenso wenn ^jt an jv^ annectirt ist.
Die Alfiyyah jedoch, V. 539 c. com. bestreitet die Form ^1 ^j| L
und will nur die zwei andern gelten lassen und zwar nur bei diesen
zwei Constructionen, was jedoch nicht richtig ist; Ibn Ya*i§ führt auch
noch eine vierte Form an: Col wjf L und LZc ^^jI L . Aehnlich
wie ^jf in Annexion mit ^\ und aa scheint auch v;>^j construirt
[1878. I. Philos.-philol.-hist. Cl. 3.] 22
294 Sitzung der phüos.-phüoL Classe vom 2. März 1878.
„0 Tochter meines väterlichen Oheims, tadle- (mich)
nicht und schlafe!"
Sie sezen die beiden Worte wie Ein Wort. ^)
§ 55. .
Bei dem Beklagten (oder Betrauerten) ist es unum-
gänglich nothwendig ihm Q ^) oder 1^ vorzusezen, während
es dir frei steht, an das Ende (des Wortes) ein Alif anzu-
hängen. Du sagst also: „ach der Zaid!'* (s'^Xjs f^ oder
<X>\ 1^ J , und das Ha , das .sich nach dem Alif anschliesst,
dient speciell zur Pause, mit Ausschluss der fortlaufenden
Rede. ^) Und es hängt sich dieses (finale Alif) an das
worden zu sein, wie aas dem folgenden Vers erhellt. Bei anderen Wort-
verbindungen jedoch muss die regelmässige Construction eintreten, d. h.
wenn ein Munädä an ein anderes Nomen mit dem Suffix der ersten
Person annectirt wird, so muss das Yä sichtbar hervortreten.
1) Diese Bemerkung kann sich nur auf die beiden Formen Lj
*l j^jI und Lol ^j| U beziehen. Durch den häufigen Gebrauch
dieser Worte sind sie gleichsam zu einem Compositum zusammenge-
schmolzen, so dass der Endlaut des ersten Wortes den Endlaut des
zweiten durch eine fortlaufende Laut- Assonanz nach sich gezogen hat,
wie dies im Türkischen sich zu einem festen Geseze ausgebildet hat.
2) Vergleiche jedoch dazu p. 284 Anm. 4, dass U bei dem Be-
klagten nur dann gebraucht werden darf, wenn keine Verwechslung mit
dem Nichtbeklagten stattfinden kann.
3) Ibn Ya^is holt in seinem Com. noch nach, was hier nicht
erwähnt ist, wie es sich nämlich verhalte, wenn das Beklagte mit
einem Pronomen suffixum verbunden sei. Er führt beim Pronomen
der ersten Person die folgenden Formen an ': -»^i !• , ^/*^£ !•
Lo^Lfc !• (in Pausa sUo^Lc l.j; ^v^^ä L und Lavo^Lc !• ; ^«^^^ U
ist nur eine andere Schreib v^ise für Lx)^Lc- !• . Bei den übrigen Pron.
Trumpp: Beiträge zur Erldärung des Mttfassal, 295
xSJl oLax>; man sagt also: „ach der Fürst der Gläubigen!"
Und nach der Ansicht Al-xaliFs hängt es sich nicht an das
Qualificativ, man sagt also nicht: ,,ach der gescheidte Zaid!"
und nach der Ansicht von Yünus hängt es sich an dasselbe.
Und bei der Klage wird nur ein bekannter Name *)
gebraucht; man sagt also nicht: „ach ein Mann!" und nicht
hält man für unschön den Ausdruck: „ach um den, der
den Brunnen Zamzam gegraben hat!" weil es statt-: „ach um
? Abdu-lmuttalib ! ' ' steht.
§ 56.
Die Wegnahme der Interjectionspartikel von dem, durch
welches nicht (^t beschrieben wird, ist erlaubt. Gott hat
(im Qurän 12, 29) gesagt: „o Joseph, wende dich ab von
diesem!" und er (Moses) sagte (Qur. 7, 139): „o mein Herr,
lass mich (deine Herrlichkeit) sehen , damit ich zu dir auf
schauen mag". Und du sagst: ,,o Mann!" ,,o Frau!^' und:
,,0 du der du nicht aufhörst wohlzuthun, thue mir wohl !"
Und nicht wird sie weggenommen von dem, durch welches
(^l beschrieben wird; du sagst also nicht: d^) und liXiO'')-
suif. wird nur der Endvocal gedehnt und mit dem Hä der Pausa geschlos-
sen, wie sKxj^Lt L , ÄxXlo^Lc. L »«-^XJ^i L etc Die Verhältnisse
sind also im wesentlichen dieselben, wie beim Vocativ, wesshalb sie
wohl Zama/sari nicht besonders erwähnt hat.
1) Es darf also kein unbestimmtes noch vages Nomen sein, im
Gegensaz zum Vocativ.
2) (^1 ist ein vages Nomen ( |V^X) ) und muss darum, wenn es
bestimmt werden soll, eine 2(,Jua zu sich nehmen, die entweder ein
durch den Artikel bestimmtes Nomen, oder ein ihm ähnliches ^.^j^
22*
296 Siztung der pJiilos.-phüol. Classe vom 2. März 1878.
Und anomal ist ihr Ausdruck: „werde Morgen, o Nacht!"
und: „kaufe dich los, o Erdrosselter!" und: „lass die Augen
sinken, o Karä!" ^) und: „o Mädchen, forsche nicht nach
meiner entschuldbaren Lage !" — und nicht von dem zur
Hilfe Gerufenen noch von dem Beklagten; dagegen wird
ihre Weglassung erfordert bei rv^-UI , weil das Mim als Sub-
stitut dafür eintritt. *)
§ 57.
Und in ihrer Rede kommen Ausdrücke vor nach der
Weise des Anrufs , während dadurch die specielle Hervor-
hebung beabsichtigt ist, nicht der Anruf. ^) Das ist wenn
(wie ItXiO) ist. Fällt nun ^| (welches das eigentliche Oj..oyo ist)
weg (und mit ihm die xaaJo ui^-ÄJ, so muss ein Ersaz dafür ein-
treten, und dieser ist U. Die Alfiyyah (V. 575; 576. c. com.) drückt
dies so aus, dass die Wegnahme der Interjectionspartikel vor einem De-
raonstrativum und einem Gattungsnoraen (^juwa^^ a,a«Ij so selten
sei, dass die meisten Grammatiker sie verbieten. Steht aber L>^ so ist
der Artikel nach § 52 nicht mehr zulässig.
1) Iw5^ ist nach Lane (sub voce iVJbf) das Männchen von
^f.jj , eine Rebhühner Gattung; Ibn Ya'^is dagegen hält es für ein
(V-V^y von ^J\^^,
2) Doch kommt in der Poesie auch a-äJÜ! Lj vor. S. Ibn Yan§
Com. p. 181, L. 13, und Alfiyyah V. 583; 584 (Com.)
3) Diese Specification (;joLaÄisi.f3 findet nur statt mit Beziehung
auf ein vorangehendes Pronomen der ersten und zweiten Person,
nicht aber der dritten. Da kein Anruf beabsichtigt ist, so darf darum
auch nie die Interjectionspartikel L> gebraucht werden. Die nachfolgende
Trum'pp'. Beiträge nur JßrJclärung des Mufassdl. 297
sie sagen: „was mieli betrifft, so werde ich so und so han-
deln, der Mann da" und: „wir werden so und so handeln,
die Leute da", und: „o Gott, vergib uns, die Schaar da."
Sie sezen (^f mit seiner xi-o als Hinweis auf die Speci-
fication und nähere Erläuterung und meinen mit dem Mann
und den Leuten und der Schaar nur sich selbst, und nicht
sezen sie dafür ^) als Deckwort ul and i^^ und das in Lü
liegende Pronomen, als wie wenn gesagt worden wäre:
„was mich betrifft so werde ich handeln, specialisirt unter
den Männern durch jenes", und: „wir werden handeln als
specialisirt unter den Leuten" , und : vergib uns , die wir
specialisirt sind unter den Schaareu."
Und von dem, was nach dieser Weise geht, ist ihre
Rede: „fürwahr wir, die Schaar der Araber, werden so und
so handeln", und: ,,wir, die Familie von N. N., sind frei-
gebig", und: „fürwahr wir, die Schaar der Armen, haben
nicht die Mittel zur Grossmuth" , ausser dass sie hier das
Vortreten des Artikels gestatten und also sagen: ,,wir, die
Araber, sind die gastfreundlichsten unter den Menschen
gegen Gäste", und: „in dir, Gott, erhoffen wir (alle)
gute Gaben^', und : ,, deine absolute Vollkommenheit (preise
ich) , den grossen Gott". ^) Und hievon kommt ihr Aus-
Specification durch ^^1 und seine «Juo ist ein Mubtada'^ dessen yxi>.
ausgelassen ist, etwa im Sinne von tXj.f w^o x^^^tX+if J^ül, und
da der vorangehende Saz vollständig ist, so steht sie logisch im Sinne
eines H'älsazes, wesshalb auch Zama;^§ari sie so umschreibt.
1) Nämlich für ^f und seine xLo .
2) Auch diese Gattung der Specification ist nur nach einem Pro-
nomen der ersten oder zweiten Person erlaubt. Sie hat keine Aehn-
lichkeit mit dem Anruf, da sie immer mit dem Artikel versehen ist,
298 Sitzung der philos.'phüol. Classe vom 2, März 1878.
druck: ^) „Lob (sei) Gott, dem preiswärdigen'% und: „die
Herrschaft (kommt zu) Gott, der der Herrschaft würdig ist",
und es kam zu mir Zaid, der schlechte, gemeine." Und es
wird (im Qur^än, 111, 4) gelesen: ,, die Trägerin des Brenn-
holzes", und: „ich gieng vorüber an ihm, dem armen und
elenden." Es kommt auch indeterminirt vor in der
Rede des Hudailiten (Metrum ^XäXjo):
„Und er zieht sich zurück zu Weibern ohne Halsschmuck
und mit zottigem Haar und säugend, wie Hexen."
Und das ist das was man Accusativstellung heisst auf
Grund des Lobes und des Vorwurfs und des Mitleids.
§ 58.
Zu den Eigen thümlichkeiten des Anrufs gehört das
Tarxim, *) ausser dass die Dichter, des Verszwanges wegen,
Der Accusativ der Speeification ist abhängig von einem nothwendiger-
weise ausgelassenen Verbum tXj J oder ^^äI oder (j^oJCä-I (ich eigne
mir speciell zu). ^
1) Diese Gattung von Speeification ist von der vorangehenden in
einzelnen Puncten wesentlich verschieden, wie dies die Alfiyyah V. 518,
c. com., ausführt. Es handelt sich hier um die Abtrennung des «oJÜ
von seinem ^cijyiJwo ; steht das \::^jü zum Lobe —J^^Jj oder Tadel
(»•LXij oder zum Mitleid (|V=:.w.aJ), so kann es im Nominativ oder
Accusativ stehen, mit nothwendiger Auslassung von yS^ oder ,-a^I;
steht es aber zur Speeification allein, so kann yi oder ^rl auch
heraustreten. — Das Mufassal erwähnt nur die Accusativsezung als die
gewöhnlichere Construction.
2) f^^yi bedeutet ursprünglich (::^yaJ\ (^J-xi'o (die Verdün-
nung des Lautes), als grammatischer terminus technicus : die Wegnahme
der Endbuchstaben eines Wortes beim Anruf.
Trumpp: Beiträge zur ErJclärung des Mufassal. 299
auch bei Worten, die niclit im Vocativ stehen, die End-
buchstaben wegfallen lassen. ^) Für dasselbe gelten gewisse
Bedingungen. Die erste ist, dass das Nomen ein Eigen-
name sei; die zweite, dass es ni cht annec tirt sei;
die dritte, dass es kein Beklagtes noch zu Hilfe-
gerufenes sei; die vierte, dass seine Zahl über drei
Buchstaben hinausgehe. Ausgenommen davon ist das
Nomen, an dessen Ende sich ein Tä des Femininums be-
findet : denn es wird bei diesem nicht zur Bedingung gemacht,
dass es ein Eigenname sei, und dass es die Zahl von drei
Buchstaben überschreite. Man sagt (mit Beziehung auf
Nomina feminina) : ^) „o Tadlerin!^' und: ,,o Mädchen,
forsche nicht!" und: ,,o Schaar, komme heran!" und: „o
Schaf, bleibe beim Hause!'*
Was aber ihren Ausdruck; o Genosse (^L^ L?) und:
„0 Kara , schlage die Augen nieder !" betriift, so gehören
sie zu den Anomalien. ^)
Und das Tar%im ist eine Abschneidung am Ende des
Wortes, nach der Weise einer willkürlichen Elision. Dann
wird das abgeschnittene entweder als feststehend supponirt
1) Cf. Alfiyyah, V. 619, wo im Com. als ein Beispiel dieser Art
JLc ^.j ^-«My-^ (statt dULo) angeführt ist.
2) Die Regel ist also: alle Nomina fem, können im Anruf das „t"
abwerfen. Ebenso alle Nomina prop. mit der Femininendung t, be-
zeichnen sie männliche oder weibliche Wesen und seien sie drei- oder
vierbuclistabig.
3) Bei ^^L.o ü liegt die Anomalie darin, dass es wie ein Nom.
prop. behandelt ist, während es ein sJo ist; bei 1^5^ noch überdies
darin, dass es, wenn es von mU^^ verkürzt ist, iS lauten sollte.
Der Wegfall der Interjectionspartikel liesse sich dadurch erklären, dass
das Wort schon die Eigenschaft eines Nora. prop. angenommen hat.
300 Sitzung der phüos.-philol. Glasse vom 2. März 1878.
und das ist das gewöhnliclie, oder das, was übrig geblieben
ist (nach der Abschneidung) wird als ein Nomen für sich
selbst gesezt und dann so behandelt, wie man die übrigen
Nomina behandelt. Man sagt also nach der ersten Weise:
^Lä L (— ^^{^ L) und: ^yö 1:3 ( " d^SyS^ ^}j und:
yjk3 ü (= (>y^ U) , und ^-o Ls, wenn einer ^J^■? heisst;
und nach der zweiten Weise: \^ b, und: (Jjv^ Lj, und:
f^*^ L) und ^J b . ^)
Das am Ende verkürzte Nomen ist nothwendigerweise
entweder ein Einzelnomen oder zusammengesezt.
Ist es ein Einzelnomen, so sind bei ihm zwei Be-
handlungsweisen zulässig; die eine ist, dass von ihm Ein
1) Das Damm von »Lä^ und i»yi^ ist ein neu hinzugetretenes
Damm indeclinabile des Anrufs, als ob der Stamm vLä. und iVy^
wäre. Demgemäss würde bei ^^3 und «Jü die Form j^' und *Jb
entstehen. Diese Form aber ist in der arabischen Nominal-Flexion nicht
zulässig, sondern das ., dem ein Damm vorangeht, wird in ^ ver-
wandelt und das Damm in Kasr, wie man im Plural von iii^ : Jjf
(statt yid]) bildet. Fällt die Nunation weg (wie im Vocativ), so sagt
man jjf . Ebenso also ^^ L etc. Cf. De Sacy, Gram. I, § 211.
— Nach dieser Regel kann man auch von it^JL^wjo (Nom. prop. masc.)
|vA..waX» L oder *J.Ay^ L sagen. Wenn jedoch das Tä fem. den
Unterschied zwischen dem Masc. und Fem. bezeichnet, so darf man im
Tar/im die Endung „u" nicht anwenden, man kann also von 2l«JL^^<«
nur aXwwuo b sagen. S. Alf. V. 618.
Trmnpp: Beiträge zur ErUärung des Mufassal. 301
Buchstabe abgeschnitten werde, wie ich erwähnt habe, und
die zweite, dass von ihm zwei Buchstaben abgeschnitten
werden, und diese sind zweierlei Art, entweder zwei Aug-
mente (^ Servilbuchstaben) im Sinne eines einzigen, wie
diejenigen, die an den hinteren Theilen von iU^v! und
^'^vXJ und ;jUaä und j^äJ^ stehen , oder ein gesunder
(starker) Buchstabe, vor dem eine Dehnung steht, und das
kommt vor in Worten wie \y.^£LXjo , ^Uä und ^j-^S.^^ . )
Und wenn es zusammengesezt ist, so wird das lezte
der beiden Wörter vollständig abgeschnitten; man sagt also:
1) Die Alfiyyah (V. 612. 613 c. com) praecisirt diese Regel dahin,
dass mit dem Endbuchstaben zugleich der vor ihm stehende weggelassen
werde, wenn er ein weicher, ruhender Servilbuchstabe ist und der vierte
oder darüber. Man sagt also : j^jm\ G , v^juUb ü , \jqJjo ü ,
viJLwkX) U . Ist aber der vorlezte kein Servilbuchstabe (wie in AÄrS?),
noch weich (also ein Doppellaut wie in ^y£.yi), noch ruhend (wie in
»•-o), noch der vierte (wie in tXx^), so darf er nicht abgeschnitten
werden. Man sagt also Uiä? b , ^^ L , yjJ L , ^ L .
Ist der vorlezte ein Diphthong, so erlaubt Al-farrä' und Al-jarmi auch
die Form Cwi Ij und ^j ^«^ ü (von (^J^w^j* Ihn Ya?i§ (Com.
p. 189, L. 20) behauptet, dass man von sj^mj -^ nach Massgabe von
^LÄ. L , auch Hau L (statt yKMj L) sagCH könne ; demgemäss
müsste man auch von ^^J^js^yJi. \ ^Jy^^ L) sagen können. Es scheinen
indessen die beiden lezten Formen nur eine Consequenzenmacherei zu
sein, da andere Grammatiker nichts davon erwähnen.
302 Sitzung der philos.-philol. Classe vom 2. März 1878.
o^ ü , v4X L> , v^AA« ü und &^4.i=^ o bei v.«aj c:^ ,
tXj^s-*-c, ä^j^aaaa; und dem, der v-cc^£^ x^^A^-^ä^ heisst; was je-
doch Nomina propria anlangt , wie U^ iajU und s v^ (^' vJ ,
so wird nicht abgeschnitten. ^)
§ 59.
(Auslassung des Angerufenen).
Und manchmal wird das Angerufene ausgelassen;
man sagt also: „o, wehe demZaid!" im Sinne von: „o ihr
Leute ^) (oder: o meine Leute), wehe dem Zaid!" Und von
den Versen des Buches (ist) (Metrum: iixA«.j):
„0 , der Fluch Gottes und aller Völker ^) und der
1) Die mixta composita (^Ä.yo v,^5 yXi) werfen beim Tar/im
0 > "- ö .
den zweiten Theil ab, wie dies auch bei der Bildung des K^y^^jo a.aw!
der Fall ist; das ;^oLLwI ^.^yX^ (der aus einem Saz bestehende
Eigenname) dagegen bleibt unverändert. Ibn Mälik (Alf. V. 614) will
zwar auch hier das Tar/im gestatten, sich auf die Auctorität des Siba-
vaih stüzend, der dies von den Arabern berichtet habe. Allein Ihn *Aqil
bestreitet dies, sowie auch Ibn Ya^ig, und darum ist dies, so lange es
nicht sicher belegt ist, abzusezen.
2) Ibn Ya*i§ statuirt, dass U auch als muJJi O-ä. für sich
stehen könne, so dass es nicht nöthig ist, in diesen Fällen eine Elision
des Munädä anzunehmen. Dafür spricht auch der Ausdruck: o-aJ L>
o
{^>jXm , „0 dass ich wüsste!" Cf Wr. II, p 99 (Rem. h.)
3) Der Text des Mufassal bietet -»jjj^f und ^j^iLaJI im No-
minativ; Ibn Ya-?i§ erwähnt jedoch, dass auch der Genetiv gelesen
werde (aber wohl nur um die Schwierigkeit wegzuräumen). Liest man
Trumpp : Beiträge zur Erklärung des Mufassal. 303
Rechtschaffenen sei über Sani?an, als Nach-
bar!*'i)
Und in der Offenbarung (Qur. ?) : „wohlan, o betet an!"
§ 60.
(Die Warnung).
Und zu dem was in den Accusativ gesezt wird durch
das, dessen Verschweigung nöthig ist, gehört deine Rede
bei der Warnung: ,,dich und den Löwen !" d. h. hüte dich
dem Löwen entgegen zu treten , und : „den Löwen, damit
er dich nicht tödte!" Dem ähnlich ist: „deinen Kopf und
die Mauer !*' und : ,,o Mäzin, deinen Kopf und das Schwert !"^)
Und man sagt: „mich und das Uebel!'^ und: ,,mich und
dass einer von euch nicht auf den Hasen schiesst!" ^), d. h.
entferne mich von dem üebel und entferne das Uebel von
mir! und: entferne mich von dem Anblick, dass auf den
Hasen geschossen wird und entferne sein geschossen werden
von meiner Gegenwart und meinem Anblick ! und der Sinn
ist, das Schiessen auf den Hasen zu verwehren. Und davon
kommen her die Ausdrücke: „deine Sache und die Pilger-
farth !', d. h. deine Sache mit der Pilger farth steht bei dir ;
und: „einen Mann und ihn selbst!" d. h. lass ihn mit sich
selbst! und: „deine Leute und die Nacht!" d. h. eile zu
den Nominativ, so ist es nach Ibn Ya^is eine Constructio ad sensum, da
iJJI äaÜ so viel wie äJJI ia*J ist.
1) ^A zur Bezeichnung des y^^ .
2) Wird die Person, die gewarnt wird, und die Sache oder Per-
son, vor der gewarnt wird, zugleich genannt, so müssen sie durch •
verbunden werden. Nur in der Poesie wird die Conjunction des Vers-
zwanges wegen ausgelassen.
"•' "^ ^ t " " " " \^t
3) <-JtX^ ^j! l im Sinne von ^Sd^c:>\ ocX^ • (»5S?i •
304 Sitzung der phüos.-philol. Gasse vom 2. März 1878.
ihnen vor der Nacht! Und davon kommt der Ausdruck:
,, deine Entschuldigung!'' d. h. bringe deine Entschuldigung
vor ! ^)
Und hievon ist: „dieses und nicht deine Behaup-
tungen!*' d. h. nicht halte ich deine Behauptungen (für
wahr); und ihr Ausdruck: „die beiden und die Datteln!"
d. h. gib mir! und: „jede Sache und nicht das Schmähen
eines Freigebornen!" d. h. befasse dich mit jeder Sache
aber unternehme nicht die Schmähung eines Freigebornen!
Und davon kommt ihr Ausdruck : „enthalte dich (davon),
(thue) eine schickliche Sache !" weil, nachdem er gesagt hat
,, enthalte dich", man weiss, dass es in syntactische Ueber-
einstimmung gesezt ist mit einer Sache, die dem verbotenen
entgegengesezt ist. Gott hat gesagt (Qur. 4, 169): „ent-
haltet euch (davon), (es ist) besser für euch!'*^) Und sie
sagen: „lass dir es genug sein (und thue) was für dich
1) vJiXc, sowie st>Lfc, das was oder der welcher entschul-
digt; also ^JwJcXä oder üJx^Lc wörtlich: das was dich eiitschul-
G . -
digt. Einige Grammatiker fassen dagegen vJ Jcä als Maadar nach der
G -
Form Jwuü auf (so Sibavaih und nach ihm Ihn Ya^is), da sie be-
haupten, dass diese Form auch bei andern Verbis, als denen die einen
Laut impliciren, vorkomme.
2) Dies wird nach Ihn Ya*i§ auf dreierlei Weise erklärt. Ent-
weder supplirt man (nach Sibavaih und Al-/alil) «Jol • (und thut),
oder man hält (nach Al-kisai) iwj^ für das Praedicat eines aus-
gelassenen ^jl^ (= jvXJ IIaä. iL^Jo!^! ^Xl) ^^0, oder (nach
Al-farra ) als mit dem vorangehenden in Verbindung stehend als Sifah
eines ausgelassenen Maadar (— aX) 1^X2*. eLgJüt l«-^Jül).
Trumpp: Beiträge zur ErMärung des Mufassal, 305
besser ist", und: „(räume den Ort der) hinter dir ist (und
begib dich) an einen, der für dich geräumiger ist!'* *)
Und hieher gehört der Ausdruck: „wer bist du mit
Rücksicht auf Zaid?" d. h. dass du den Zaid erwähnest,
oder den Zaid erwähnend, ^j Und hieher gehört (der Be-
willkommnungsgruss) : ,, einen geräumigen Ort, Verwandte,
weiches Land!'' d. h. du hast erreicht Geräumigkeit, keine
Enge, und bist gekommen zu Verwandten, keinen Fremden,
und du hast deinen Fuss gesezt auf einen weichen Land-
strich, keinen harten^); und: ,,wenn du zu mir kommst,
so (kommst du) zu Verwandten der Nacht und Verwandten
des Tags" , d. h. fürwahr du kommst zu Verwandten von
dir bei Nacht und bei Tag. *)
§ 61.
Und sie sagen: ,,den Löwen! den Löwen!" und: „die
Mauer, die Mauer!" und: ,,den Knaben, den Knaben!"
wenn sie Jemand warnen vor einem Löwen und einer dem
Einsturz drohenden Mauer und dem Treten eines Knaben.
Und hieher gehört: ,, deinen Bruder, deinen Bruder!" d. h.
halte dich an ihn I und: „den Weg, den Weg!" d. h.
räume ihn! Und wenn ein solcher Ausdruck doppelt ge-
fasst wird, so ist die Verschweigung seines Regens noth-
wendig, und wenn er allein steht, so ist es nicht noth-
wendig. ^)
1) So erklärt diese Phrase Ibn Ya^is.
2) Dies sagt man zu einem Manne der Zaid heisst aber nicht die
Eigenschaften des bekannten Zaid besizt.
3) Vergleiche damit Genesis 24, 25.
4) D. h. zu Leuten, die dir wie Verwandte sind und dich demge-
mäss behandeln werden.
5) Dieselbe Regel gilt auch, wenn zwei Accusative durch • mit
einander verbunden sind, wie im vorangehenden §; steht aber nur Ein
Accusativ, so kann das regierende Verbum herausgestellt werden.
306 Sitzung der phüos.-philol, Classe vom 2. März 1878.
§ 62.
(Die Verschweigung des Regens, unter der Bedingung,
dass es [nachher] herausgestellt werde). ^)
Und zu dem, was in den Accusativ gesezt wird durch
das, dessen Verschweigung nothwendig ist, gehört das, in
dem sein Regens verschwiegen wird auf die Bedingung hin,
dass es (nachher) herausgestellt werde , ^) in deiner Rede :
,,den Zaid, ich schlug ihn'^ , wie wenn du gesagt hättest:
,,ich schlug den Zaid, ich schlug ihn,'' nur lassest du das
Regens nicht sichtbar hervortreten, indem du dich mit seiner
(nachfolgenden) Erschliessung begnügst. Es sagte ^u-rrumm-
ah (Metrum: Jo^):
„Wenn du den Neffen des Abu Müsa, den Biläl,
erreicht haben wirst, dann ^) möge zwischen deinen
zwei Gelenken der Schlächter mit einem Beile stehen!''
Und hieher gehört: ,,den Zaid, ich gieug an ihm vor-
über", und: „den ?Amr, ich begegnete seinem Bruder",
und: „denBisr, ich schlug seinen Sclaven", mit Verschwei-
gung von : *^ich stellte auf meinen Weg , und 'ich hatte zu
thun mit' , und : 'ich behandelte verächtlich\ *) Sibavaih
1) Dies nennt man auch : J*.4jl*JI ^j-c JooLäJI JLxÄawI , das
Beschäftigtsein des Eegens, so dass es sich mit dem (vorangehenden)
Rectum nicht befassen kann. S. Alfiyyah, V. 255, sqq.
2) Die meisten Grammatiker sind der Ansicht, dass das verschwie-
gene Verbum, wenn auch nicht immer der Wortform, so doch dem Sinne
nach mit dem sichtbaren Verbum übereinstimme. Die Küfenser dagegen
lehren, dass das Nomen durch dass nachfolgende Verbum in den Accu-
sativ gestellt werde (und beides zugleich regiere, das Nomen und das
Pronomen).
3) ui steht hier im Nachsaz vor einem Verbum finitum, weil es
einen Wunschsaz einleitet.
4) In diesen drei Beispielen kann das nachfolgende Verbum seiner
Wortform nach nicht als Regens für den vorangestellten Accusativ be-
Trumpp : 13eiträge zur Erklärung des Mufassal. 307
sagt: der Accusativ ist gut arabisch, aber der Nominativ
ist besser. ^)
Ferner siehst du, dass der Accusativ gewählt und
(oder) nothwendig ist.
Gewählt ist er an zwei Orten: der eine ist, dass
trachtet werden. Im ersten Beispiele ist oo mit ^ construirt, man
» O f
muss daher ein sinnverwandtes Verbum wie ^ci> y^. , oder wie im Texte
^-ÄJwio ^Ä v:>jiji:5». suppliren. In den zwei anderen Beispielen ist der
vorangestellte Accusativ logisch das iuJI oLäx) von • | und J^kh ,
das nachfolgende Verbum kann also nicht unmittelbar auf denselben
bezogen werden. Die vorgeschlagene Erklärung des Mufassal ist zu
künstlich; es ist weit einfacher den Accusativ als eine Art Accusativus
absolutus zu fassen , der der Emphase wegen vorangestellt wird, wobei
der Redende den weiteren Verlauf des Sazes noch nicht klar vor Augen
hat; also =: was betrifft, was anbelangt. In grammatischer Hinsicht ist
es gleichgiltig, ob das Pronomen suffixum, das den vorangestellten Ac-
cusativ aufnehmen muss, mit dem Verbum verbunden oder von ihm ge-
trennt ist durch eine Praeposition oder durch eine Annexion
1) In den angeführten Beispielen ist der Accusativ und Nominativ
des iU£. J«jLCw.4jf möglich, aber der Nominativ wird für besser ge-
halten, weil in diesem Falle nichts zu suppliren ist. Denn in dem Bei-
spiele: 2üiJy^ Jo\ , ist dann J^jv Mubtada und ^üü*.AO ist sein
Xabar. — Es können beim JUlX^I überhaupt folgende Fälle vor-
kommen, wo 1) der Nomina tiv, 2) der Accusativ nothwendig
ist; 3) wo beide Casus stehen können, jedoch der Nominativ oder 4)
der Accusativ gewählter ist; 5) wo beide Casus gleichmässiger-
weise gestattet sind.
Hier hätten wir es also mit 3) zu thun. Nach der Anschauung
der arabischen Grammatiker ist ein solcher Saz seiner äusseren Form
nach perfect, wir aber würden in solchen Fällen den Nomin inativ als
einen Nominativus absolutus betrachten, da er logisch von dem Sazge-
füge abgerissen ist, wie der Accusativus absolutus.
308 Sitzung der philos.-pMlol. Classe vom 2. März 1878.
dieser Saz (der das äaä J^i^o Jf enthält) mit einem Verbal-
saz durch eine Conjunction verbunden wird, wie du sagst:
„ich begegnete den Leuten, sogar dem ^Abdu-llah begegnete
ich", und : „ich sah den ?Abdu-llah und gieng an Zaid vor-
über', und in der Offenbarung (Qur. 76, 31): „er lässt in
sein Erbarmen eingehen, wen er will, und den üebelthuenden
hat er peinliche Strafe zugemessen", und dem ähnlich ist
(Qur. 7, 28) : „eine Anzahl hat er recht geleitet und einer
Anzahl ist mit Recht der Irrthum zuerkannt. *)
Was nun das anbelangt, wenn du sagst: ,,Zaid (<X)0,
ich begegnete seinem Vater, und was den ?Amr betrifft
{iy4^)j ich gieng an ihm vorüber", so verschwindet der Un-
terschied in der Superiorität zwischen dem Nominativ von
?Amr und seinem Accusativ, weil der erste Saz ein Saz
mit zwei Gesichtern ist. ^)
1) Der Grund für die Accusativstellung ist der, dass nachdem im
vorangehenden Saze das Nomen anf das Verbum gebaut (resp. dadurch
in den Accusativ gesezt) worden war, die Harmonie zwischen den beiden
Säzen es verlangt, dass auch das nachfolgende Nomen in den Accusativ
gestellt werde. So erklärt es Sibavaih, De Sacy, Anthol. gram. p. 157,
L. 11, sqq., wo auch dieselben zwei Citate aus dem Qur'än als Beispiele
angeführt sind.
2) Dies ist also ein Fall, wo beide Casus gleich massiger weise ge-
stattet sind (5), wenn nämlich der erste Saz ein ^^wx^^» ui>!t> ist.
o ^ o > . . ör" f
Ein i^x.gÄ.5 ^ö aUL4.Ä». ist ein Saz^ der aus einem Nomen als
Mubtada', und einem Verbalsaz als seinem ^i* besteht. (Alf. V. 262,
c. com.) In diesem Falle kann das ^UÄ J*jLCi».4JI im Nominativ oder
Accusativ stehen, im Nominativ mit Rücksicht auf den Anfang (das
Mubtada), und im Accusativ mit Rücksicht auf das Ende (das Verbum)
des vorangehenden Sazes. Nicht zu übersehen ist, dass in einer jeden
Trumpp: Beiträge zur Erklärung des Mufassal. 309
Kommt daan nach dem ^ etwas vor, was die Rede auf
die Mubtada'- Stellung hinwendet, wie du sagst: „ich be-
gegnete Zaid, und was den 9Amr betrifft, so war ich an
ihm vorübergegangen", und : ,,ich begegnete Zaid, und siehe
da ?Abdu-llah, es schlug ihn ^Amr", so kehrt der erste Zu-
stand zurück, wie er zuvor war. *) Und in der Offenbarung
(Qur. 41, 16) kommt vor: „und was den Stamm 0amüd be-
grifft, so haben wir sie recht geleitet", und man liest auch
den Accusativ (Öamüda). ^)
Und der zweite (Ort) ist, dass (der Saz) an einem
Orte vorkomme, der mehr dem Verbum zukommt^) und
V A ^^^ volt> iuU.Ä' ein Pronomen (offenbar oder verborgen) vorhan-
den sein muss, das den Zusammenhang mit dem Mubtada' vermittelt
9 ^
luid wenn offenbar, Jb.^L heisst, welches nur in einzelnen, an sich
klaren Fällen ausgelassen werden darf.
1") D. h. wie wenn ihm kein Saz vorangegangen wäre.
2) Lol und Iti)! sind keine Verbindungspartikeln, sondern schnei-
den den Saz nach ihnen ab von dem was vorangeht, so dass es ist, als
ob ihnen kein Saz vorangienge; der Nominativ ist daher nach ihnen
gewählter. Die Alfiyyah (V. 261, im Com.) drückt dies so aus, dass
wenn zwischen der Conjunction (s»ftiöL*JI) und dem Nomen eine Tren
nung eintrete, so stehe das Nomen ^ als ob ihm nichts vorangegangen
3) Oder wie es Ibn ^Aqil (Com. zu Alf. V. 261), ausdrückt, der
meistens dem Verbum unmittelbar vorangeht. Die Fragepartikel pflegt
unmittelbar vor einem Verbum zu stehen ; folgt ihr kein Verbum son-
dern ein Nomen im Accusativ , so wird ein Verbum supplirt , welches
das nachfolgende Verbum herausstellt. Darum ist hier der Accusativ
gewählt, obgleich der Nominativ auch zulässig ist. Ebenso verhält es
sich, wenn das nachfolgende sichtbare Verbum im Passivum steht. Doch
sind hier zwei Fälle zu unterscheiden. Der erste ist , wenn ein Verb
ein doppeltes Object sich unterordnet, z. B. J^y^Ji a^y^ö er schlug
r" o -- .. - >
ihn mit der Peitsche; im Passivum müsste dies lauten is^^wvJ! <^y^S
[1878. I. Philos.-philol.-hist. Cl. 3.] 23
310 Sitzung der phüos.-phÜol. Classe vom 2. März 1878.
das ist das, dass er nach einer Frag ep artikel stehe, wie
du sagst: ,,den ?Abdu-llah,' hast du ihn geschlagen?" Und
dem ähnlich ist: ,,die Peitsche, wurde mit ihr Zaid ge-
schlagen?" und: das Ledertuch, wurde das Fleisch auf ihm
gegessen?" und: „den Zaid, bist du an ihn gebunden?"
und : „den Zaid, wirst du über ihm hochmüthig behandelt?"
und: ,,den Zaid, bist du nach ihm benannt?"
(oder ioj-wJü ^•-Jwao). Wird nun das Verb von seinem Object ab-
gewendet und dasselbe vorangestellt, so bleibt ^«.^jl im Accusativ
stehen, da das Verbum nur Ein Subject in den Nominativ stellt, und
js^ weist durch das Pronomen suff. (als -bjfx) auf }cy^l\ zurück
und steht daher virtuell ebenfalls im Accusativ. Aehnlich verhält es
sich mit ijl%ii>l , indem bei der Passivconstruction das Instrument
auch lose im Accusativ untergeordnet werden kann (also iväJI Ji^l
^o^5^^> statt M^5^^ v.^J- ^^^ andere Fall ist, wenn das Verbum
kein doppeltes Object sich unterordnet. Aber auch da ist, um der Frage-
partikel willen, der Accusativ gewählter, nur muss aus dem nachfolgen-
den sichtbaren passiven Verbum ein sinnentsprechendes Activverb sup-
plirt werden. So erklärt Ibn Ya^is (p. 204, L. 18) den Saz: \ö^\\
iUw-Lc (j^v^^ ool durch : ftXjv JaxAJ'l „erwartest du den Zaid,
bist du an ihn gebunden ?" und beim nachfolgenden supplirt er :
|jo\ ci^xxxi/l „beklagst du dich über den Zaid?"
In allen diesen Fällen jedoch muss ein Verb nachfolgen; doch
kann statt eines Verbum finitum auch ein JlcLftif jv^l oder ein jv^wl
JajLa^Jf stehen, nur darf es nicht mit dem Artikel versehen sein, da-
mit es seine volle Verbalkraft behält. Folgt kein Verbum oder was ihm
gleich kommt, so ist nur der Nominativ zulässig. Cf. Alf. V. 265, c. com.
Trumpp : Beiträge zur Erklärung des Mufassal. 311
Und davon kommt der Ausdruck : ,,den Zaid, hast du
den ?Amr geschlagen und seinen Bruder (i. e. des Zaid)?"
und: ,,den Zaid, hast du einen Mann geschlagen, der ihn
(den Zaid) liebt?" weil das lezte (Wort) mit dem ersten
verkehrt durch die Anfügung oder die Beschreibung. *)
1) Die Alfiyyah, V. 266 c. com. führt dieses näher aus. Es ist
gewählt das vorangestellte Nomen aruch dann in den Accusativ zu sezen,
wenn das nachfolgende Verb etwas ( dem Zusammenhang ) Fremdes
. S " ^f
( -ajLä.!) regiert, d. h. ein Nomen, das mit dem vorangestellten in
s I
keiner Verbindung steht, wenn nämlich dieses ein mJ3 hat, das das
Pronomen des vorangehenden Nomons umfasst, sei es eine isJü>o (wie
(ius[) , oder ein ,^LyJI i-jiaÄ (wofür im Texte des Mufassal kein
Beispiel angeführt ist), oder ein speciell durch 1 angefügtes Nomen
(wie sIä.|.J. Dadurch wird der Verkehr (mit dem vorangestellten
Nomen) ebenso hergestellt, wie durch das ,<-aaaa; selbst. ,^aaa*/ heisst
nämlich ein Qualificativ, das sich zwar an das vorangehende Nomen an-
schliesst, jedoch nicht dieses, sondern das nachfolgende Nomen beschreibt
(wie s«^l j^vAw^Ä. d^))' I^ieses leztere Nomen heisst v^^aa« , die
> w - j
(zufällige) Ursache der Qualification oder o«-o*-*JI v.,>AM^>o , das was
die Qualification des Mausüf veranlasst, und das ihm vorangehende Qua-
lificativ, j^aaa« , was zur ^«aa^ in Beziehung steht , oder ^„j^j^jmjo ,
G 0^ 0 -
zufällig verursacht (weil das oJÜ als dem o«.^yo nicht an sich zu-
kommend gesezt ist). Die Analogie zwischen diesen beiden Sazarten
G ,
besteht also darin, dass das aJLs..! mit seinem .«jvJ , das ein Pro-
nomen enthält, das auf das vorangehende Nomen hinweist, ebenso con-
g
cS -' — o "
struirt wird, wie das ^^aa-u/ , das sich nach seinem o«.^«.jo richtet.
Die Erklärung, die De Sacy (II, p. 208, note 1) gibt, stimmt nicht mit
dem Com. des Ihn *Aqil, dem wir gefolgt sind, überein.
312 Sitzung der phüos.-philol. Classe vom 2. März 1878,
Wenn man (aber) dann sagt: ,,Zaid, geht man mit ihm
weg?" so steht nur der Nominativ. ^)
(Ferner), dass (der Saz) nach 'i>l und o/.-^^^ steht, wie
du sagst : „deu ?Abdu-llah , wann du ihn triffst , so ehre
ihn!'' und: „den Zaid, wo du ihn findest, ehre ihn!"*) und
nach einer Verneinungspartikel, wie du sagst : „den Zaid, ich
habe ihn nicht geschlagen." Es sagte Jarir (Metrum : y^^^)'
„Also keinen Grund des Ruhmes, worüber du dich
brüsten könntest , (erwähnst du) von den Taimiten , und
keinen Grossvater, wann sich die Gross väter zusammen-
drängen". ^)
1) Bei dem passiven Ausdrucke au v^^^j vertritt isj das Pas-
siv-Subject, steht also virtuell im Nominativ, desshalb muss auch das
deplacirte Jk.j>\ im Nominativ stehen. Ueber die weitere Noth wendig-
keit des Nominativs vergl. Alf. V. 258. 269. Der Nominativ ist nämlich
nothwendig, wenn das Nomen nach solchen Worten steht, die speciell
das Mubtada' verlangen, wie 131 ; ebenso wenn es vor einer Partikel
steht, die ihrer Natur nach am" Anfange eines Sazes stehen muss und
darum keine Rection auf das vorangehende ausüben kann, wie Beding-
ungs- und Fragepartikeln und das affirmative J und das verneinende
Lo , doch kommt vor Lo auch der Accus, vor. Cf. De Sacy, Gr. II, § 341.
2) Diese beiden Partikeln sind meistens mit einem Verbum ver-
bunden, weil sie eioe Apodosis impliciren. Das verschwiegene Verbum
wird durch das nachfolgende herausgestellt.
3) Uo und y sind ebenfalls gewöhnlich mit einem Verbum ver-
bunden. S. De Sacy, Gr. II, § 843.
4) Der Vers wird verschieden erklärt. Ibn Ya*i§ supplirt nach
^ : v;i>w5^ . das jedoch v:y».5^ lauten sollte (nicht s;:jjfi>j wie es
bei Jahn, p. 207, L. 2 vocalisirt ist), da das verschwiegene Verbum mit
dem herausgestellten der Person und Zahl nach übereinstimmen muss.
In der vierten Linie folgt darum La^ä ^^ v«aa*JI;Jo ^ , du er-
Trumpp: Beiträge zur Erklärung des Mufasscu. 313
Und dass (der Saz) einen Imperativ und (=z oder)
Prohibitiv^) enthalte, wie du sagst: „den Zaid, schlage
ihn!'' und: „den Xälid, schlage seinen Vater!" und: „den
Bisr, schmähe nicht seinen Bruder!" und: „den Zaid, ?Amr
soll ihn schlagen, und (was) den Bisr (betrifft), so soll ?Amr
seinen Vater tödten." Und dem ähnlich ist: „was den Zaid
(betrifft ^) , so tödte ihn, und was den Xälid (betrifft), so
schmähe nicht seinen Vater !" Und der W u n s c h steht dem
Imperativ und Prohibitiv gleich; du sagst: „o Gott, (was)
den Zaid (betrifft), so vergib ihm seine Sünde !" und : „(was)
den Zaid (betrifft), Gott möge ihm das Leben bitter machen!''
Es sagte Abu-lasvad (Metrum: J^^}:
„Also einem jeden, möge ihm Gott vergelten für mich
das, was er gethan hat."
Und : „was den Zaid betrifft, Verstümmelung ihm ! und
was den ?Amr betrifft, Tränkung ihm!"^)
wirbst ihnen keinen Grund des Euhmes. Yunus dagegen will Lv^ww^ä. ^
= v^AAAfcCä. ^ fassen und erklärt LLw^ä und IlX:^^ als durch den Vers-
zwang veranlasst.
1) Vergleiche dazu Alfiyyah V. 260; 261. Beim Imperativ ist es
gleichgiltig, ob er in der zweiten oder dritten Person steht.
2) Ibn Ya*is (p. 207, L. 23) macht darauf aufmerksam, dass nach
Lo! kein Verb supplirt werden darf, weil es schon den Sinn eines Ver-
bums implicirt, das Verb muss vielmehr nach dem Nomen ohnePro-
nomen supplirt werden, also: J^JCi'Li lt\.j\ L;o|, indem man es auf das
Nomen (als sein vorangestelltes iu J«.*ax)) wirken lässt. Dann lässt
man es aus, weil das nachfolgende Verbum es herausstellt.
3) Der Accusativ des deplacirten Objects ist hier ebenfalls ge-
wählt, weil es Wunschsäze sind, in denen das Verbalnomen das Verbum
finitum vertritt. Wird aber der Wunsch nicht durch ein Verbum oder
314 Silmung der philos.-pJiilol. Classe vom 2. März 1878.
Nothwendig (ist der Accusativ in dem Fall), dass
der Saz nach einer Partikel steht , der (sonst)* nur 4as
Verbura unmittelbar folgt*), wie du sagst: ,,wenn du den
Zaid siehst, schlägst du ihn." Es sagte (ein Dichter ^) (Me-
trum : J^o J :
„Sei nicht ungeduldig, wenn ich das kostbare (Ver-
mögen) zu Grunde richte." ^)
Und ^^^ und ^1 und ^^ und U^ stehen dem ^1
gleich, weil sie nach dem Verbum streben und nicht werden
nach ihnen die Nomina als Mubtada' gesezt. ■*)
einen verbalartigen Begriff ausgedrückt, so darf Idas erste Nomen nur
im Nominativ stehen, z. B. ä-JLc *^Lw**i tX.j\ Lx)l, weil das nicht
vorhanden ist, was auf das zu supplirende Verb hinwiese.
1) Der Sinn ist: wenn das Nomen nach solchen Partikeln steht,
die eine Bedingung oder den Begriff einer Bedingung impliciren und
desshalb dem Verb sich unmittelbar anzuschliessen pflegen, und nach
dem Nomen ein Verbum folgt, welches das Pronomen des Nomens ent-
hält, so ist der Accusativ nothwendig.
-ro- > 9 --..
2) Nach Ihn Ya^i§: ^yS ^ j-U " •
3) Ihn *Aqil im Com. zu Alf. V. 257 führt diesen Vers auch an,
liest aber ^jt^Jujo , als Beweis dafür , dass in dem bezeichneten Falle
auch der Nominativ auf Grund der Mubtada- Stellung gebraucht
werde. — ^j^Jimo ist = (j/-jUj JLx).
4) Diese vier oder mit ^| fünf Partikeln (cf. Alf. V. 715, c. com.)
werden in einem doppelten Sinne gebraucht. Sie sind 1) o**-^.
tjo^xJL (jö^^äJI j Partikeln der Anreizung und der Petition
((jöjÄ bedeutet nicht „reproof", wie Wright, Gr. II, p. 334 angibt;
Trumpp: Beiträge zur Erklärung des Mufassal. 315
§ 63.
(Auslassung von j^J J^xa^JI )
Die Auslassung des objectiven Complements ist häufig;
sie kommt bei ihm auf zweierlei Weise vor. Die eine
ist, dass es der Wertform nach ausgelassen wird, während
es dem Sinn und der Supposition nach intendirt ist; und
die zweite ist, dass es nach der Auslassung zu einem ver-
gessenen (und) übergegangenen gemacht wird, ^) als ob sein
Verbum zur Classe der intransitiven Zeitwörter gehörte, wie
das Activ - Subject vergessen wird, wenn das Verb iu die
passive Form tritt. Von der ersten Weise ist das Wort
Gottes (Qur. 13, 26): ,,Gott reicht reichlich das tägliche Brod
dar, wem er will und schränkt (es) ein;" und sein Wort
(Qur. 11, 45): „Niemand ist heute geschüzt^) vor dem Be-
s. De Sacy, Anthol. gr p. 83 L 3j, wenn ihnen das Futurum folgt, und
2) ^^^.jJI o.y^^ Partikeln des Vorwurfs, wenn ihnen das Per-
ect folgt. Manchmal wird nach diesen Partikeln das Verb ganz aus-
gelassen, wenn es aus dem Zusammenhang erhellt. Siehe ein Beispiel
bei Ibn Ya=fi§, Com. p. 209, L. 16, und Alfiyyah, V. 7l6, c. com., wo
derselbe Vers citirt ist. Die Alfiyyah fasst jedoch die Sache etwas an-
ders auf, als das Mufassal, indem sie sagt, dass ein Nomen bisweilen
nach den Partikeln der Anreizung stehe, welches durch ein nachge-
stelltes (oder ausgelassenes) Verbum regiert werde. Ist das Verbum
jedoch ausgelassen^ so kann nach Umständen das Nomen auch im
Nominativ stehen, wenn z. B. Jc^« oder ^^o zu suppliren ist. S.
ein Beispiel davon Alf. V. 716, Com., wo *jLäÄJI ^iö Ibn *Aqil durch
*tXÄxJI tX-Ä.« ^jo erkärt.
1) ^c-^ (J^ — (-^^j s- Lämiyyah, V. 61, 62, c. com.
2) ßaidavi erklärt *..oLc. durch s^xxs. jö , so dass das ^mj}
JLäLaJI im Sinne eines JyiÄ+JI (*«wl stünde.
316 Sitzung der philos.-philoL Classe vom 2. März 1878.
fehl Gottes, ausser über (wen) er sich erbarm t'\ weil es für
dieses Relativ absolut nöthig ist, dass von seiner Silah zu
ihm etwas zurückkehre, was dem ähnlich ist, was du in
dem Gottesworte siehst (Qur. 2, 276): „derjenige, den der
Teufel niedergetreten hat/' Und das Gotteswort (Qur. 36,
35): „und was ihre Hände gearbeitet haben" wird auch ge-
lesen: v^ii^-l^-c Lo^ (ohne lXSLä)-
Und zur zweiten gehört ihr Ausdruck: „N. N. gibt
und verweigert, er verbindet und schneidet ab;" und das
das Wort Gottes (Qur. 46, 14): „mache (die Sache) gut
für mich in meiner Nachkommenschaft", und das Wort des
^u-rummah (Metrum : Jo^) :
,,Obschon (die Kamele) entschuldigt sind wegen ihrer
(wenigen) Milch durch die Sterilität (des Bodens), ver-
wundet (sie) die Spize meines Speeres an ihren Flech-
senfersen für den Gast."*)
l) D. i. ich schlachte sie für den Gast, wozu der Anfang damit
gemacht wird, dass man ihnen die Hinterflechsen durchschneidet.
Nachtrag.
S. 8, L. 9 verbessere statt: was ist dann ihr Zustand? Sie geben
etc. : „warum geben sie nicht gänzlich auf die Wortkenntniss und die
Flexion, und hauen nicht ab" etc.
Sitzungsberichte
der
königl bayer. Akademie der Wissenschaften.
Sitzung vom 2. März 1878.
Historische Classe.
Herr v. Druffel legt vor:
„Herzog Herkules von Ferrara und seine
Beziehungen zu dem Kurfürsten Moritz
von Sachsen und zu den Jesuiten."
Niemand tritt in eine fremde Welt, wenn er sich in
Gedanken in den Kreis der herzoglichen Familie Este ver-
setzt, welche in der zweiten Hälfte des sechzehnten Jahr-
hunderts zu Ferrara und Belriguardo glänzend Hof hielt.
Zuerst begegnet uns da das Bild der von Tasso gefeierten
Prinzessin Leonore und ihres Bruders Alfonso, welche aus
Göthes Dichtung uns persönlich bekannt sind. Auch die
meisten der übrioren Glieder der herzo2flichen Familie lernt
man kennen aus dem ersten Gespräche der beiden Leonoren :
den Vater der Prinzessin Herkules, ihre Mutter Renate, die
Schwester Lukrezia, den Oheim Cardinal Hippolyt. Nur
die älteste Schwester Leonorens, Anua von Gaise, die zur
Zeit als Tasso an den Hof kam, bereits seit vielen Jahren
den väterlichen Palast verlassen hatte, und ihr Bruder Car-
dinal Luigi, der eigentliche Gönner des Dichters von Sorrent,
haben keine Berücksichtigung gefunden.
Wenn das Interesse für jene Persönlichkeiten ein all-
gemeines ist, so ist dies gewiss vorzugsweise durch die an
Tasso's Namen anknüpfenden Erinnerungen veranlasst; aber
auch hiervon abgesehen erfreuen sich zwei Mitglieder des
[1878. I. Philos.-philol. hist. Cl. 4.] 24 '
318 Sitzung der histor. Classe vom 2. März 1878.
Hauses Este noch aus anderem Grunde einer besonderen
Sympathie in Kreisen, welche sich zwar enger abgrenzen
als die Göthe- and Tassoverehrer, aber doch noch über die
Zunft der Fachhistoriker weit hinausgreifen. Es sind zwei
einander schroif gegenüber stehende Heerlager, welche, das
eine den Namen des Herzogs Herkules, das andere den
seiner Gemahlin Renate gleichsam auf ihre Fahne geschrieben
haben. Hier wird Renate verehrt als Dulderin für den
evaagelischen Glauben, dort wird Herkules gepriesen als
der väterliche Beschützer der jungen Pflanzung des heiligen
Ignatius von Loyola.
Bekanntlich gehört der Liebesroman zwischen Tasso
und Leonore völlig der Dichtung an; dies Gebiet und das
der historischen Wahrheit sind völlig verschiedene Dinge.
Man vermag dem historischen Tasso, wie ihn Voigt ^) ge-
schildert, seine Theilnahme zu schenken, ohne auch nur
daran zu denken, dass kaum ein Zug des vorgeführten
Bildes zu der Vorstellung stimmt, welche uns dichterische
Phantasie an die Hand gegeben hatte ; und andererseits wird
sich Niemand den Genuss des poetischen Werkes verderben
lassen, wenn wir uns mit einer Brautwerbung um die Prin-
zessin Leonore beschäftigen, welche vierzehn Jahre vor der
Zeit spielte, als Tasso an den Hof von Ferrara kam.
Anders steht es mit der Andacht zu Renate und Her-
kules. Wer diese verehrt, thut dies in der Vorstellung, dass er
das wahre Bild der Geschichte vor sich habe. Alle die zahlreichen
Darstellungen, welche uns die Leidensgeschichte der von ihrem
fanatischen Gemahl wegen ihrer religiösen Meinungen ge-
quälten Fürstin vorführen, thuen das mit der redlichen Ab-
sicht, Geschichte zu schreiben, und auch die Jesuiten glaubten
nur eine Pflicht der Dankbarkeit zu erfüllen, wenn sie, ge-
stützt auf die von ihrem Ordensstifter herrührenden Quellen,
dem Herzoge das verdiente Denkmal errichteten.
1) Im 20. Bande der Sybelschen Zeitschrift.
V. Druffel: Herzog Herkules von Ferrara etc, 319
Die Zuverlässigkeit der einerseits von den Jesuiten,
andererseits von vielen evangelischen Schriftstellern, Herren
und Dameu, entworfenen Bilder scheint sich auf den ersten
Blick gegenseitig zu bedingen. Grade weil der Herzog in
den Augen der Jesuiten das höchste Lob verdient, muss er
denen hassenswerth erscheinen, welche in ihm den Knecht
der Intoleranz, der Inquisition erblicken. Und wo bliebe
das Verdienst der Dulderin für den Glauben, wenn man
den Gedanken fassen könnte, dass der Gegensatz zwischen
den beiden Gatten andere Gründe gehabt habe, als Renatens
Liebe zum reinen Evangelium ?
Orlandini S. J. in den Annalen seiner Gesellschaft,
Blümmer, Strack, Emma Pommerenike, Henke ^) und Andere
erzählen uns übereinstimmend von den gemeinsamen Be-
mühungen des Herzogs Herkules und des Königs Heinrich IL
von Frankreich, die Herzogin Renate von ihren der Neuerung
günstigen religiösen Ansichten zurückzurufen. Man griff,
als dieselbe Widerstand leistete, selbst zu gewaltsamen Mass-
regeln und entfernte ihre Töchter, um sie ihrem Einflüsse
zu entziehen. Grade die Rücksicht auf die Töchter führte
Herkules von Ferrara in einem öfter gedruckten ^) Briefe
1) Die Schriften von Blümmer, Strack, die zu Gotha bei Perthes
1869 erschienene anonyme Schrift (mit Vorwort von W. v. Giesebrecht)
sind ohne grossen Werth und meist in unerquicklichem Erbauungstone ge-
schrieben; Henke hat wenigstens das Streben nach Kritik, indessen ist
seine Kenntniss der Literatur nicht genügend. Bonnet hat in der
Revue chretienne 1875 den Anfang einer Geschichte Renatens erscheinen
lassen. Diese Arbeit verspricht gediegen und unparteiisch zu werden.
Leider hat sich aber durch dieselbe Ernesto Masi abhalten lassen, der
Renate eine umfangreichere Arbeit zu widmen ; auch das, was er jetzt
bietet, ist in hohem Grade dankenswerth , besonders der Anhang, der
Dokumente wichtiger Art darbietet. Bonainis frühere Arbeit im Ar-
chivio storico Italiano, Giornalo degli Archivi Toscani, Jahrgang 1859,
wird Niemand entbehren können ; jedoch sind seine Mittheilungen nicht
sehr reichlich. Henkes Aufsatz s. bei Sybel Zeitsch. Bd. 25.
2) Z. B. beiCantü Gli Eretici d'ltalia II, 95, im Archivio st. Ital.XII,
24*
320 Sitzung der histor. Classe vom 2. Mars 1878.
an den König von Frankreich als einen der Hauptgründe
an, welche das Einschreiten gegen die Mutter erforderlich
machten ; er versichert , er wolle sie vor dem beharrlichen
Zuspruch der Mutter schützen, da sonst nicht bloss Gott
beleidigt würde, sondern sich auch leicht Schwierigkeiten
bei ihrer Verheirathung mit christlichen Fürsten ergeben
könnten, zumal doch schon der Ruf von der Ketzerei seiner
Gattin zu seiner eigenen Schmach durch ganz Italien ver-
breitet sei. Wenn man nur diesen Brief ins Auge fasst,
so möchte man glauben, dass Herkules in vollem Eifer für
den Katholicismus geglüht und dass er eine gleiche Ge-
sinnung bei dem König Heinrich voraussetzen zu dürfen ge-
glaubt hätte.
Von keinem der Biographen Renatens sind indessen
die an verschiedenen Orten gedruckten Dokumente berück-
sichtigt worden, welche sich auf die Verhandlungen über
die Verheirathung eben jener von Herkules so sorglich ge-
hüteten Töchter beziehen. Ihre Heranziehung ist erfor-
derlich.
Noch zu Lebzeiten seines Vaters Franz I. beabsichtigte
der Dauphin Heinrich, eine der Esteschen Prinzessinnen mit
dem Sohne des Kurfürsten von Sachsen zu verheirathen. ^)
Zahlreiche Aktenstücke des Stuttgarter und des Weimarer
Archivs geben davon Zeugniss. Der Herzog Christof von
Wirtemberg war der Vermittler. Da jedoch die Angelegen-
heit noch zu keinem Abschluss gekommen war, als mit dem
unglücklichen Schmalkaldischen Kriege über das bisherige
418. Tolra de Bordas hatte in dem im Investigateur 1877 Nr. 5 S. 297
besprochenen Vortrage sicherlich bloss diesen Brief im Auge, obgleich
sein Inhalt folgendermassen wiedergegeben wird: une lettre qui lui
revele les eiforts tentes aupres de sa femme pour repandre le protestan-
tisme en Italie.
1) Vgl. Beck Job. Friedrich d. M., Stalin und Druffel Bei-
träge zur Eeichsgeschichte 1546 — 1551, Nr. 3, 8.
V. Druff el: Herzog HerJcules von JBerrara etc. 321
Kurhaus Sachsen eine entscheidende Krisis hereinbrach, be-
greift es sich leicht, dass eine Vertagung jener Absichten
erfolgte. Sie wurden erst im Jahre 1553 wieder aufge-
nommen. Auch jetzt übernahm Christof von Wirtemberg
dieselbe Rolle, welche er früher gespielt hatte. Aber wäh-
rend damals die Anregung von Französischer Seite ausge-
gangen war, that jetzt Wirtemberg die ersten Schritte. Der
frühere Bischof von Capo d' Istria, Verger, der ein Asyl bei
dem Herzoge gefunden hatte, sollte desswegen selbst nach
Ferrara gehen.*) Diese Reise wegen angeblich drohender
Gefahren unterbrechend, setzte Verger sich von Chiavenna
aus schriftlich mit der Herzogin Renate in Verbindung.
Diese liess jedoch in ihrer nur der Form nach entgegen-
kommenden Antwort durchblicken, dass sie eine Klärung
der zwischen den beiden Sächsischen Häusern nach Mo-
ritz Tode obwaltenden Wirren und insbesondere eine Ent-
scheidung über die Kur abzuwarten wünsche, und desshalb
folgte Herzog Christof nicht dem Rathe Vergers , die Ange-
legenheit wieder bei Johann Friedrich anzuregen, zumal er
der Gesinnung des Herzogs Herkules nicht sicher zu sein
glaubte. Wie damals, so blieb auch 1557 ein erneuter, dies-
mal von dem Sachsenfürsten selbst ausgehender Versuch der
Wiederanknüpfung erfolglos.
Bei allen diesen Verhandlungen kann man im Zweifel
sein über die Mitbetheiligung des Herzogs Herkules selbst ;
Verger versichert freilich im Jahre 1557, dass auch
dieser die Heirath seiner Tochter mit Johann Friedrich
1) In der Ausgabe der Briefe Vergers, Stuttgarter lit. Verein Bd.
124, wird man nach dem Eegister die entscheidenden Stellen nicht
auffinden können ; vgl. unter „Ferrara" und „Este", dagegen findet sich
eine dankenswerthe Zusammenstellung derselben in einer Anmerkung zu
Brief Nr. 2 , S. 50 ; im Allgemeinen darf man sich auf die meist aus
allbekannten Handbüchern kritiklos abgeschriebenen Erläuterungen zu
der Edition nicht verlassen.
322 Sitzung der histor. Classe vom 2. März 1878.
d. M. vormals gewünscht Jiabe.*) Das reicht aber, weil es
in einem Briefe an den Brautwerber selbst gesagt ist, zum
vollgültigen Beweise nicht aus, zumal Verger ein persön-
liches Interesse an dem Betreiben dieser Angelegenheit hatte.
Und wenn wir sehen, dass im Gegensatze zu jenen sich
hinschleppenden Verhandlungen verschiedener Mittelsper-
sonen es dem Cardinal Karl von Guise auf seiner Durchreise
durch Ferrara im Winter 1547/48 sofort gelingt, endgültig
die Verheirathung der Prinzessin Anna mit Franz von Guise
festzusetzen, während man gleichzeitig auch ein Ehebündniss
Lukrezia's mit dem Herzog von Anmale plante, ^) so möchte
man der Ansicht zuneigen, dass der Herzog, welcher
nach der Verbindung mit diesem als Träger des Katholi-
cismus in Frankreich dastehenden Hause so eifrig griff,
schwerlich jene Projekte der Vermählung mit Deutschen
protestantischen Fürsten habe begünstigen können.
Indessen geben Korrespondenzen des Dresdener Archivs
uns Nachricht von einem dem obigen ähnlichen Heiraths-
plane mit einem protestantischen Deutschen Fürsten, wobei
Herkules selbst die Verhandlung geführt hat. Kurfürst
Moritz von Sachsen trat im Jahre 1550 mit ihm in Ver-
bindung, um die Hand einer Prinzessin von Ferrara für den
Markgrafen Albrecht Alcibiades von Brandenburg zu ge-
winnen. Für Moritz war es erwünscht, den einflussreichen
Truppenführer fester an sich zu ketten, und es erschien
1) mutatis temporibus animadverto ducem Ferrariae mutasse
priorem sententiam, nam olim optavit filiam dare. Beck II, 253.
2) Vgl. Ernesto Masi I Burlamacchi e di alcuni documenti in-
toriio a Renata d'Este S. 242: II ReV"" di Guisa poi, scrivendo da Fer-
rara alla madre, e parlando della seconda figlia del duca, di quella
cioe di cui trattavase il matrimonio col S"^® d'ümala, diceva haverla
trovata cosi bella et grande di sua etate, che pensa, quando ben si
consumasse matrimonio seco, che la non morirebbe. Bei Baguenault
S. 29 wird betont, dass Herkules bei der Mitgift sparen konnte.
V. Druffel: Herzog HerJcules von Ferrara etc. 323
als geeignetes Mittel dazu, wenn er demselben eine Prin-
zessin mit so königlich reicher Mitgift verschaffte , wie
allerdings Lnkrezia und Leonore von Ferrara, nicht aber
Deutsche Prinzessinnen zu erwarten hatten.
Dass der Brandenburger dem Plane Geschmack abge-
wann, begreift sich leicht, wenn er sich freilich auch wohler
fühlen mochte bei einem Zechgelage mit seinen Reitern,
als bei dem Gedanken an die feingebildeten Damen des
Esteschen Hofes, welche Griechisch und Latein verstanden.
Wohl wegen der bald nachher eintretenden Verschärf-
ung der politischen Lage, weil der Markgraf in geheimer
Mission nach Frankreich reiste, scheiterte der Plan und der
Markgraf musste seinen anderen vergeblichen Brautwerb-
ungen ^) auch diese hinzurechnen. Lidessen gewährt uns
die Verhandlung die Möglichkeit, die dabei betheiligten Per-
sönlichkeiten und auch den Herzog Herkules genauer kennen
zu lernen.
Was zunächst den in Aussicht genommenen Bräutigam
betrifft, so zeigt er sich in den'^von ihm eigenhändig zu
den Aktenstücken gemachten Bemerkungen als das, was er
war, als einen wilden, rohen Gesellen. Der in dieser Sache
thätige Sächsische Rath Sibottendorf hatte in einem Bericht
gesagt, dass er bei einer von Herkules auf Albrechts sonstige
Freiersfährten, z. B. wegen einer Polnischen Prinzessin, ge-
machten Anspielung vorsichtig ausweichend ünkenntniss vor-
geschützt habe. Der Markgraf schrieb dazu aufrichtig an den
Rand: ,,Tst wol mit mir davon practicirt, ich alter narr!'', um
freilich bald nachher, wo es sich um die Höhe der Mitgift han-
delt, den Rath zu ertheilen, der Gesandte möge den Herren in
Ferrara bemerklich machen, dass er schon manche rei<jhe
1) J. Voigt Älbrecht Ale. I, 197. Wenn hier die Ansicht ge-
äussert ist, dass Albrecht in seinem Deutschen Wesen öine Pol-
nische Prinzessin wohl am wenigsten zugesagt habe, so beruht das
wohl auf einer für Albrecht zu wohlwollenden Interpretation.
324 Sitzung der histor. Classe vom 2, März 1878.
Partie abgeschlagen habe und dass sich die ganze Sache
auflösen könne, wenn kein stattliches Heirathsgut gewährt
werde. Auf eine Andeutung, welche von Ferrarischer Seite
über eine mögliche Verheirathung der älteren Prinzessin
nach Frankreich gefallen war, will er erwidert wissen: die
vorgeschlagene Heirath sei eben so gut als jene, und die
Werbung würde unterblieben sein, wenn man nicht auf
das Wohl des Herzogs und seiner Familie bedacht gewesen ,
wäre. Die Hauptsache war für ihn die Mitgift, „das Kind
musste", wie er sich ausdrückt, „einen Namen haben". Der-
artige Herzensergüsse kamen natürlich nur in Moritz Hand ;
sie stechen seltsam ab von der Art, wie der Sächsische Kur-
fürst, der Meister der Praktik, mit dem verschlagenen Ita-
liener verhandeln liess.
Der erste Punkt, welcher zu Anständen Veranlassung
bot, war, dass Herzog Herkules auf seine Eigenschaft als
Lehnsmann der Kirche hinwies, und auf die Möglichkeit,
dass er seine Lehen verlieren könne, da kraft päpstlicher
Constitution die Eltern, welche ihr Kind einem Nichtkatho-
liken gäben, gleich den Neuvermählten dem Banne verfielen.
Er setzte hinzu, er selbst würde sich sonst nicht viel um
den Papst kümmern, da sein Vater nach einander mit drei
Päpsten Kriege geführt habe, aber die jetzige politische
Lage könne leicht vom Papste zu seinem Schaden ausge-
beutet werden ; desshalb müsse der Consens des Papstes ein-
geholt werden. Er schlug vor, man möge von Deutscher
Seite den Versuch zu seiner Erlangung machen, sei es nun,
dass man überhaupt einen falschen Namen angebe, oder dass man
in des Markgrafen Namen die Erlaubniss zur Verheirathung
mit einer beliebigen katholischen Prinzessin einhole. Als
dann Sibottendorf in erster Linie den Consens für über-
flüssig erklärte und ferner hervorhob, dass einerseits sein
Herr Bedenken tragen werde, sich darum zu bemühen, und
andererseits dessen Erlangung für Ferrara jedenfalls leichter
V. Druff el: Herzog HerJcules von Ferrara etc. 325
sein würde, da verstand sicli der Herzog dazu, die Ent-
scheidung über die Art der Consenseinholung dem Kurfürsten
Moritz anheim zu stellen, und sprach nur den Wunsch
nach Mittheilung der Brandenburgischen Kirchenagende aus,
indem er meinte, der Papst werde leichter zur Dispensertheilung
zu bewegen sein, wenn die dortigen kirchlichen Gebräuche
nicht allzu extrem Lutherisch seien. Zugleich erkundigte er
sich danach, wie man im Jahre 1546 bei der Verheirathung
des Herzogs von Jülich mit der Habsburgischen Prinzessin
verfahren, ob damals eine Dispenseinholung für erforderlich
gehalten worden sei. Es wurde auch die Frage berührt,
ob der Kaiser in Kenntniss gesetzt werden müsse, aber der
Herzog Hess dies sogleich wieder fallen, indem er bemerkte,
dass er selbst nicht viel nach dem Kaiser frage, und der Kur-
fürst Moritz dabei Bedenken haben könne. Sibottendorf ging
auf diesen letzteren Punkt nicht näher ein, sondern äusserte
ausweichend, Geheimhaltung sei dem Kurfürsten erwünscht,
da doch der Fall möglich sei, dass die Verhandlung nicht
zu dem angestrebten Resultate führe. Die schliessliche
Erklärung des Herzogs war, er sei bereit, die ältere und
körperlich bevorzugte Tochter Lukrezia zu geben, falls nicht
vor Erlangung des Consenses eine Werbung von Frank-
reich ^) oder Navarra eintreffe, in diesem Falle bestimme er
die jüngere Leonore, welche damals gerade 14 Jahre alt
wurde.
Das zarte Alter und die Kränklichkeit dieser Prin-
zessin hätten indessen noch immer eine Ausrede zugelassen.
Zudem war über den Punkt, welcher dem Markgrafen und
desshalb auch dem Kurfürsten der wichtigste war, über die
Mitgift, noch keine Entscheidung getroffen. Die Rück-
1) St. Mauris berichtete 1547 Nov. 3, Monluc solle nach Ferrara,
dann nach Polen abgehen, um des Polenkönigs Heirath mit der zweiten
Tochter des H. Ferrara zu betreiben.
326 Sitzung der histor. Classe vom 2. März 1878.
äusserung des Kurfürsten vou Sacbsen betonte neben der Bitte
um das ältere Fräulein, Lukrezia, die Notbwendigkeit, die
Geldfrage zu ordnen; ferner wurde bemerkt, dass bei der Jü-
lichschen Heirath keine Dispens eingeholt worden sei, dass er
aber den Herzog von Ferrara nicht hindern möchte, wenn
derselbe, ohne Namen zu nennen, sich darum bemühen wolle;
der Kaiser aber möge aus dem Spiele gelassen werden. In
einem chiffrirten Briefe vom 22. August antwortete Herzog
Herkules, er wolle sich um die Dispens bei dem Papste be-
mühen, wenn derselbe, wie geplant sei, im Monat September
nach Bologna komme ; ^) er vermied aber jede eingehendere
Mittheilung über die Höhe der Mitgift, und versicherte nur
im Allgemeinen , dass dieselbe eine würdige sein werde ;
bevor die Dispens erlangt sei, sei jede derartige Erörterung
verfrüht. Zum Schlüsse begegnete er der Bemerkung des
Kurfürsten, dass es sich um eine Werbung um Lukrezia,
nicht um Leonore handle, mit der Betheuerung, dass es
ihm gleichgültig sei , ob diese oder jene in Frage komme,
beide seien seine Töchter und er für beide ein gleich lie-
bender Vater.
Dies ist die letzte Spur, welche wir von diesem Hei-
rathsprojekt finden. Lukrezia heirathete erst in viel späterer
Zeit den Herzog von Urbino, Leonore blieb unvermählt,
Albrecht von Brandenburg wurde nach wenigen Jahren aus
seinem wilden Kriegsleben abgerufen, nachdem Moritz von
Sachsen die Todes wunde im Kampfe gegen ihn , seinen
einstigen Genossen empfangen hatte. So verschieden liefen
die Wege derjenigen auseinander, welche sich damals zur
Stiftung eines Ehebundes zusammen gefunden hatten.
Gleich einer Seifenblase hat dieses Projekt nicht die
mindeste Spur hinterlassen, und die Abenteuerlichkeit, welche
1) Vgl. Druffel Beiträge III, Nr. 785 S. 241. Die Absicht des
Papstes kam nicht zur Ausführung.
V. Druff el: Herzog Herkules von Ferrara etc. 327
in der geplanten Verbindung liegt, würde kaum ein ge-
nügender Grund sein, denselben jetzt besondere Beachtung
zu schenken. Geführt von jenen Fäden nehmen wir in-
dessen noch anderweitige BeziehuDgen zwischen Moritz und
Herkules wahr.
Eine Spur hiervon hat bereits Schönherr ^) in dem
Innsbrucker Archiv aufgefunden. Der Cardinal Madruzzo
warnte am 1. oder 2. Juni 1552 die Innsbrucker Regierung
vor einer durch Moritz in Verbindung mit dem Herzog von
Ferrara und anderen Potentaten geplanten Unternehmung
gegen die Grafschaft Tirol. Obgleich Madruzzo versichert,
dass er sich auf glaubwürdige Quelle stütze, muss man diese
Nachricht doch zweifelnd aufnehmen, indem danach für den Fall,
dass der Kurfürst sein eigenes Land verlieren sollte, dessen
Entschädigung durch Tirol ins Auge gefasst wurde. Zudem
wissen wir, dass die persönlichen Bemühungen des Cardinais
Hippolyt, seinen Bruder zum Anschlüsse an Frankreich zu
bestimmen, Avenigstens bis zum 9. März ^) ohne Ergebniss
blieben. Im Dresdener Archiv aber findet man den Beweis,
dass Herkules trotz aller der freundschaftlichen Versicherungen,
welche er kurz vorher au Madruzzo übermittelt hatte, nicht
bloss mit Frankreich, sondern auch direkt mit Moritz ver-
handelte. In den Tagen, wo dieser zur Friedensverhandlung
mit König Ferdinand nach Linz ging, befand sich ein
Sächsischer Gesandter in Ferrara. Wir hören von ihm nur,
dass sowohl der Herzog Herkules als dessen Sohn Alfonso mit
Freuden dessen uns unbekannte Werbung entgegen genommen,
aber dann mit Schrecken des Kurfürsten Reise nach Linz ver-
nommen hätten. Sowohl für sich selbst als für den Herzog von
Urbino und die Mitverwandten baten sie dringend um Aus-
kunft, welche Aussichten des Churfürsten Verhandlung dar-
1) Schöllherr Der Einfall in Tirol 1552. Bonelli III, 332.
2) Cl. Ferrara an Heinrich II. Vgl. Paris Bibl. 3137/51.
328 Sitzung der histor. Classe vom 2. März 1878.
biete, denn, so fügen sie hinzu, in dem Falle, dass jener einen
Vertrag mit dem Kaiser abschlösse, würden sie sich wohl hü-
ten, offen als des Kaisers Feinde aufzutreten. Diese Bitte
wurde schwerlich erfüllt, wenigstens entschuldigte sich Moritz
in einem erst nach dem Friedensschluss geschriebenen Briefe
an den jungen Markgrafen Alfonso, dass er lange Zeit gar
keine Nachricht gegeben babe, indem er zugleich sein Ver-
halten unter hochtönenden Redewendungen über das Wohl
des Vaterlandes und der Christenheit rechtfertigt. Herzog
Herkules hatte indessen noch keinen übereilten Schritt ge-
than, sondern sich vorsichtig zurückgehalten. So war es
möglich, dass nach einiger Zeit aufs Neue eine politische
Verbindung mit Moritz von Sachsen angeknüpft wurde.
Der Herzog legte, anscheinend wenigstens, kein Gewicht
auf jene von Moritz an den Tag gelegte Sinnesänderung zu
Gunsten des Kaisers, die ja auch nur dazu diente, dessen ge-
heime Pläne zu verdecken. Aufs Neue gingen Boten und
Briefe hin und her. Es handelte sich dabei um weitaus-
sehende Projekte, welche auf die Gründung eines König-
reichs Ungarn unter Türkischer Oberhoheit abzielten, an
dessen Spitze Moritz treten sollte. Die Korrespondenz
wurde in versteckter Weise geführt, als ob es sich um ein
kaufmännisches Geschäft handle, die Briefe sind mit einer
Gemme verschlossen.*) Den eigentlichen Inhalt ahnt man
jedoch schon aus Schreiben, welche Jobst Bufler zu Eilenburg,
der mit diesen Dingen von Moritz betraut worden war, an
letzteren richtete, und dass der Herzog von Ferrara dabei be-
theiligt war, ersieht man aus dem Umstände, dass der
Abdruck derselben Gemme, welche zum Verschlusse jener
1) Cornelius hat diese Dinge zuerst ans Licht gezogen. Mün-
chner historisches Jahrbuch 1866, S. 278. Anderes Material soll im
II. Bande meiner Beiträge gedruckt werden. Nach Muratori Ant.
Est. kam 1556 wieder ein Türkischer Gesandter nach Ferrara.
V. Druff el: Herzog Herlcules von Ferrara etc. 329
Briefe verwandt wurde , sich auch an einem andern unver-
fänglichen Briefe des Herzogs findet. So seltsam jenes
Projekt ist, so wurde es doch mit dem grössten Eifer be-
trieben, und auch mit dem Tode des Kurfürsten Moritz
wurde es nicht aus der Welt geschafft, vielmehr wandte
mau sich an dessen Bruder uud Nachfolger ; dieser freilich
bezeugte wenig Entgegenkommen, und bezog vielleicht auf
diese Dinge das geringschätzige Urtheil mit, das er selbst auf
ein Schreiben des Herzogs Herkules schrieb, in welchem in den
wärmsten, brüderliche Liebe athmenden Worten der Hin-
gang des Moritz beklagt wurde: „Seint welsche parolen
und nit vert, dass einer das gesiebt dar ob verderbt' '.
So wenig Bedeutung der in konservativere, wenn man
will spiessbürgerliche Bahnen einlenkende Kurfürst August
derlei halsbrecherischen Plänen beigelegt haben mag, so wird
doch daraus kein Schluss auf die An- und Absichten seines
Bruders und Vorgängers zu ziehen sein. Wenn man sich
daran erinnert, dass die Berechtigung der Habsburgischen
Herrschaft in Ungarn vielfachen Anfeindungen ausgesetzt
war, wenn man insbesondere an die in Siebenbürgen nach
Martinuzzi's Tode herrschende Verwirrung denkt, so könnte
man vielleicht mit Rücksicht auf jene Verhandlungen dem
Zuge des Kurfürsten nach Ungarn 1552 eine andere Bedeutung
zusprechen, als die der pflichtmässigen, reichstreuen Heeres-
folge. Es ist nicht unuiöglich, dass der thatkräftige kühne
Moritz auch Gedanken hegte, wie sie sogar bei dem energie-
losen Kurfürsten von Brandenburg und dem Baiernh erzog
zu Tage getreten sind.^)
Der Tod setzte diesen Plänen des Kurfürsten ein Ziel;
sie sind sicherlich nicht über das Stadium der Vorberathung
1) Vgl. den Aufsatz ,,Der Mönch von Siebenbürgen und Kurfürst
Joachim II. von Brandenburg" in den Forschungen zur Deutschen Ge-
schichte Bd. VII.
330 Sitzung der histor. Classe vom 2. März 1878.
hinausgelangt. Von grösserer Bedeutung aber war eine an-
dere Verhandlung, zu deren Anknüpfung sich Moritz gleich-
falls der guten Dienste der Este bediente ; sie bezweckte die
Wiederannäherung an Frankreich.
Der Passauer Vertrag hatte ein Zerwürfniss zwischen
Moritz und den Franzosen zur Folge. Gegenseitige Vorwürfe
wurden erhoben. Kurfürst Moritz schob sofort in dem Schrei-
ben, worin er dem Herzog von Ferrara von dem erfolgten
Vertragsabschluss Kenntniss gab, die Schuld auf den Bischof
von Bayonne, der, wie er ausführte, seines Herrn Interesse
schlecht gewahrt habe. Als er dann erfahren hatte, dass
sein Todfeind Johann Friedrich durch Vermittlung des bi-
schöflich Augsburgischen Kanzlers bei dem Herzog von Fer-
rara ein bedeutendes Anlehen zu machen versucht habe, um
das 1547 Verlorene wieder zu gewinnen, da beruhigte es
ihn nicht, dass er zugleich von der Erfolglosigkeit dieser
Bitte hörte. Er schickte einen Gesandten, Johann Heise,
nach Ferrara, um Herkules für die Ablehnung der Zumu-
thung Johann Friedrichs zu danken, and ihn um Verwen-
dung bei dem Französischen Könige zu ersuchen. Zugleich
tauschten sie ihre Gedanken aus über die ganze politische
Lage. Noch im Juni 1553 schickte Moritz an Herkules ein
Schreiben, worin er versicherte, alle seine Kräfte für die Er-
haltung und Erweiterung der Ehre und Macht Sr. Majestät
von Frankreich aufbieten zu wollen.
Moritz hat meistens nicht bloss dem Feinde überra-
schende Schläge zu versetzen, sondern auch dem Bundesge-
nossen die gemeinsam erworbene Beute möglichst zu ent-
ziehen und sich selbst zuzuwenden gewusst. Aus der ge-
nannten Redewendung wird Niemand folgern, dass Moritz
sein Blut für die Französische Lilie verspritzt habe ; sie hatte
den gleichen Zweck, als wenn er bei anderer Gelegenheit
die Vertheidigung des vom Papismus bedrohten Evangeliums,
oder die Herstellung der Deutschen Libertät nach Spanischer
V. Druff el: Herzog Herkules von Ferrara etc. 331
Servitut auf seine Fahne schrieb; es kam ihm darauf an,
bezüglich seiner eigentlichen eigennützigen Absichten der
Mitwelt Sand in die Augen zu streuen.
Das Urtheil der Nachwelt aber war erstlich durch den
plötzlichen Tod des Kurfürsten in dem Kampfe gegen den
Markgrafen Albrecht von Brandenburg beeinflusst; man war
geneigt, die Pläne wohlwollend zu beurtheilen, deren Ausführ-
ung durch den wilden Priedensbrecher so plötzlich be-
droht worden war. Dann aber wirkte die Moritzsche Po-
litik der Geheimhaltung lange nach, und wenn jetzt durch
die Eröjßfnung der Archive sich auch über manche Thatsachen
ein helleres Licht verbreitet, so ist man an andern Stellen
noch heutiges Tags ausser Stande, sei es den Zusammen-
hang anscheinend unverbundener Päden zu entdecken, sei
es widerspruchsvolle Knoten zu lösen, weil Moritz münd-
liche Rücksprache dem schriftlichen Verkehr, und die eigene
persönliche Thätigkeit der Arbeit der Räthe vorzog.
Kaum günstiger steht es mit unserer Kenntniss von
dem Herzog Herkules von Perrara.
Mag derselbe auch an geistiger Bedeutung wie an äus-
serer Machtstellung dem Sachsenfürsten nachstehen , er hat
denselben erreicht in der Kunst, Praktiken im Verborgenen
zu spinnen, und über das Geplante den undurchdringlichsten
Schleier zu werfen. Nur mit Zögern sehen wir erfahrene
zeitgenössische Diplomaten sich mit einem Urtheile über
diesen Pursten hervorwagen, weil sie besorgten, in Irrthum
zu gerathen. ^) Und noch jetzt , wo doch auch über ihn
mancherlei ursprüngliches Material zugänglich geworden, be-
findet man sich fast in gleicher Verlegenheit; man muss
dem Herzog gleichzeitig in so verschiedener Richtung folgen,
dass man schier verzweifeln möchte bei dem Versuche, die
verschiedenen Züge zu einem einheitlichen Bilde zu gestalten.
1) Vgl. S. 366 unten Anra. 2.
332 Sitzung der histor. Classe vom 2. März 1878.
Werfen wir zuerst einen Blick auf seine äussere Politik !
Die Behauptung eines scliwaclien Fürstenthums, wie Ferrara,
war in jener Zeit, wo sich die Interessen des Kaisers und
Frankreichs auf Italienischem Boden feindlich begegneten,
eine schwere Aufgabe. Ausserdem bereitete das Lehnsver-
hältniss zum Papste grosse Schwierigkeiten , als Herkules
im Jahre 1534 zur Regierung kam. Mochte auch Paul III.
nicht, wie sein Vorgänger Clemens VII., eine für die Herr-
schaft der Este gradezu bedrohliche Politik verfolgen, so
machte es doch anfänglich Schwierigkeiten, Seitens des
päpstlichen Lehnsherrn die Anerkennung seines Besitzes zu
erlangen. Es bedurfte weitläufiger Verhandlungen unter
Zuziehung des Kaisers, um endlich 1539 eine Verständigung
zu erzielen.*) Im Augenblicke, als diese gesichert schien,
suchte Herkules auch mit Frankreich in freundschaftliche
Beziehungen zu treten, ohne jedoch mit dem Kaiser und
dem Papste zu brechen. Er traf vielmehr zu deren Be-
grüssung mit beiden im Jahre 1541 zu Lucca zusammen,
und unterstützte Karl V., wenigstens nach Howards Bericht,
mit 100000 Kronen und 40 Geschützen, als dieser sich zu
dem Feldzug gegen Algier vorbereitete ; ^) kurz vorher war
aber von ihm mit einem uns nicht näher bekannten Auf-
trage Luigi Alemanni an den Hof des Französischen Königs
1) Vgl. den Bericht Casale's an Cromwel 1535 Juli 27. in den
State-papers VII, 618. Im Jahre 1536 schützte der Kaiser den Herzog
vor dem Papste; Stp. 654. Im Jahre 1535, Stp. VII, 607, und zu Nizza
1538 wurde die Verständigung mit dem Papste erörtert, und zwar unter
Zuziehung des Kaisers und des Königs von Frankreich. Vgl. die Chronik
Modena's von Lancillotto in den Monumenti di storia patria delle pro-
vincie Modenesi VI, S. 4. Der Abschluss wird gemeldet S. 104. In
der Zeit, wo der Herzog die Bestätigung durch das Consistorium er-
wartete, hatte der Französische Gesandte Joachim des Vaux bei ihm
Audienz; derselbe berichtet, dass Herkules um des Königs Schutz ge-
beten habe. Ribier Lettres etc. I, 377. Rabelais Lettres.
2) Stp. VIII, 608, 615.
V. Druff el: Herzog Ilerlcules von Ferrara etc. 333
abgegangen.^) Das Ergebniss war, dass der Herzog heim-
lich anf Frankreichs Seite trat, das Unternehmen gegen
Marano unterstützte. 2) Im Jahre 1543 besuchte der Papst
den Herzog in seiner Residenzstadt und fand glänzende
Aufnahme; man fasste damals sogar eine Familienverbin-
dung der Häuser Este und Farnese ins Auge.^) Während
des Französisch-kaiserlichen Krieges im Jahre 1544 betrieb
1) Ribier I, 559.
2) Stp. IX, 199, Paget schreibt Okt. 10.: „I have perceived, Sir,
secretely that the duke of Ferrara — what countenaunce so ever he
beareth outwardly — is French in bis hart, and by dedes declareth
the same, whenne he may covertly; for I know that he has sent unto
Maran artillerie and other störe of munition on the French kinges be-
half, which also the Venecyanes have smelled and think upon it well
ynough." Harvel schreibt aus Venedig 1543 März 26.: „Th' Imperiais
hath lately interceptid certain letters of the duke of Ferrare, that
went to France; moche important as it is stimid. Men suspect the
said duke to be French"; Apr. 22.: „The bushop of Rome apointid to
entre in Ferara this present day, where he shall be recayvid with pas-
sing grete and sumptuous porape of the duke, who is notid openly French".
3) Bei Desjardins Negociations de la France avec la Toscane
III, 50 ist ein eigenhändiges Memoire des Cardinais von Ravenna
abgedruckt, welches nach einer Anmerkung des Herausgebers an Gran-
vella oder Diego Mendoza abgestattet sein soll. Es fragt sich nur,
wie dasselbe dann in das Mediceische Archiv gekommen ist. Darüber
erhalten wir von dem Herausgeber keinen Aufschluss. Uebrigens darf
man mit Rücksicht darauf, dass das Aktenstück in indirekter Rede be-
ginnt, annehmen, dass dasselbe ein Auszug aus einem anderen Schrift-
stücke ist, falls nicht etwa die Verstümmelung erst bei der Edition
vorgenommen wurde, worüber jede Bemerkung fehlt. Sachlich ist jeden-
falls der Inhalt höchst werthvoll, wir ersehen daraus, dass der Papst
auf dem Besuche in Ferrara bestand; der Bericht schliesst mit den
Worten: „E s'intende per certa la conclusione del parentado della se-
condogenita di S. Exc^^ col S. Ottavio Farnese, e che la duchessa
di Ferrara ci ha fatto assai che seguisse." Bemerkenswerth ist,
dass der Engländer Boner sich nicht dadurch täuschen Hess, dass im
Juni 1543 das Gerücht ging, der Herzog werde sich auf die Seite des
Kaisers stellen : „considering bis entertenement of the pope, with practise
[1878. I. Philos.-philol. bist. Cl. 4.] 25
334 Sitzung der histor, Classe vom 2. März 1878.
dann der Herzog eine Vereinigung der verseliiedenen Ita-
lienischen MäcMe gegen den Kaiser; er hoffte den Oberbe-
fehl über die ins Feld zu stellende Armee zu erlangen,
und meinte, dass der Papst wohl zur Abtretung Bolognas
bestimmt werden könne. ^) Indessen hütete er sich selbst
einstweilen vor offenem Hervortreten, und seine ohnehin
grosse Vorsicht wurde noch gesteigert, als Granvella einmal
zu verstehen gab, dass man des Herzogs Umtriebe kenne, und
erklärte, wenn sich feststellen lasse, dass Herkules aach nur
einen Thaler für die Franzosen ausgegeben habe, so werde
derselbe künftig nie mehr Glauben finden für seine Worte.
Es blieb damals bei den Praktiken, zur That kam es nicht.
In ähnlicher Weise gestaltete sich auch die Estesche Poli-
tik bei der nächsten grossen Verwicklung, in dem Schmalkal-
dischen Kriege. Herkules unterstützte den Kaiser Karl mit
einer Reiterschaar , deren Geringfügigkeit allerdings Veran-
lassung zu Vorwürfen gab; seinen Bruder Franz, welcher
sich verstimmt aus dem kaiserlichen Dienste zurückziehen
wollte, veranlasste er zur Rückkehr an den Hof. ^) Daneben
of mariage, and how he doth favour the Frenche part, it is not so well
beloved of hym". Trotzdem besuchte der Herzog den Kaiser in Cre-
raona; Stp. IX, 405, 413.
1) Vgl. D ruf fei Kaiser Karl V. und die römische Kurie im XIII.
Bande, Abth. 2, der Abhandlungen unserer Klasse S. 210.
2) Vgl. Mocenigo's Eelation bei Fiedler in den Fontes rerum
Austriacarum Bd. XXX, S. 57 f g ; Druffel Viglius van Zwichem
Tagebuch unter dem Worte Ferrara.
Vgl. Herberger Sebastian Schertlin und seine Briefe, Augsburg
1852, S. 90. Schärtlin schreibt an die Bürgermeister zu Augsburg; „Dem
herr Bernardin zu schryben, das er auch soUichs des herzogen von Ferar
potschaft zuschryb, des seinem herrn bericht zu thun; dan der herzog
ist dem pabst feind und hat dem kaiser hilf abgeschlagen. Und nit zu
underlassen, wan man des in Italien Verhinderung furdern kan.'* Es
steht diese Stelle auf einer cedula inclusa, die Herberger zum 10. Juli
eingeordnet hat. Ist die Deutung auf Ochino richtig, so erhebt sich die
Frage, wo derselbe sich damals aufgehalten, da Schärtlins Aeusserung
V, Bruffel: Herzog Herlules von Ferrara etc. 335
aber scheiüt er , wie mit Frankreich , so auch mit den
Schmalkaldnern in Beziehung gebliebeü zu sein. Wenigstens
wünschte Schärtlin von Burtenbach durch Ochino's Vermitt-
lung den Herzog sogar zu feindseligem Auftreten gegen den
Kaiser zu bestimmen. Der für den Kaiser günstige Verlauf
des Krieges w^^ ^^^ Herkules indessen Grund genug, sich
zurückzuhalten, und wenn es wahr ist, was ein gleichzeitiger
Ferrareser Chronist berichtet, dass die Herzogin Renate den
Sohn des Papstes bei dem gegen die kaiserlich gesinnten
Dorias in Genua gerichteten Unternehmen Fiesko's unter-
stützte, so muss dies in aller Stille geschehen sein , da wir
sonst nichts hiervon wahrnehmen.^)
Durch die im September 1547 erfolgte Ermordung des
Pierluigi, welche den Papst in grosse Erbitterung gegen den
Kaiser und seinen Mailändischen Statthalter Gonzaga ver-
setr<te, schienen sich den Französischen Bemühungen nach
eiuem antikaiserlichen Bunde der bedeutenderen Italienischen
Fürsten gute Aussichten zu eröffnen.^) Der Cardinal Guise
kam desshalb im Winter 1547/48 nach Rom und Ferrara,
d' ürfe suchte auf Venedig einzuwirken. Dennoch gelang
der Plan nur unvollkommen, da der Papst doch wieder mit
dem Kaiser anknüpfte; mehr Erfolg aber hatte das Streben
des Cardinais nach einer engeren Verbindung Ferrara's mit
seiner eigenen Familie und dadurch mit dem Französischen
seine Anwesenheit in Augsburg auszuschliessen scheint. Das in Bezug
auf die theologischen Schriften ausführliche, dagegen hinsichtlich der
politischen Thätigkeit Ochino's vielfach lückenhafte Buch von Ben rat h
gibt hierüber keine Auskunft,
1) Vgl. Ernesto Masi S. 186. In der Schrift von Brea Sulla
congiura del conte Gio. Luigi Fieschi, Genua 1863, findet sich keine
Auskunft. Die von Masi angeführte Schrift von Celesia, welche ein
Jahr später ebenfalls in Genua erschien, ist mir nicht zugänglich.
2) Interessante Mittheilungen enthält auch hierüber die Relation
Mocenigo's, bei Fiedler S. 58. Der Gesandte Ferrara's erklärte, ohne
Venedigs Betheiligung sei an einen Beitritt seines Herrn nicht zu denken.
25*
336 Sitzung der histor, Classe vom 2. März 1878.
Hofe. Anna von Este ^vurde mit dem Herzog Franz von
Guise wirklicli vermählt, während die gleichfalls geplante
Heirath Lukrezia's mit dem jüngeren Bruder, dem Herzog
von Anmale, sich hinausschob und dann nicht zu Stande
kam.^) Auch dieses bedeutete aber noch immer nicht den
völligen Anschluss Ferrara's an Frankreich. Im Jahre 1547
verhandelte der Herzog über eine Heirath seines Sohnes
Alfonso mit Maria von England. ^) Als der Prinz Philipp
von Spanien 1549 durch Oberitalien reiste, begrüsste ihn
der Herzog Herkules und gab ihm das Geleit. ^) In dem
nach Pauls III. Tode entstandenen Streite zwischen Ju-
lius HI. und Oktavio Farnese spielte Herkules mit Eifer die
Rolle eines Vermittlers; *) sorgfältig suchte er die eigenen
1) Vgl. oben S. 322 ferner Ricasoli bei Desjardins Negotia-
tions de la France avec la Toscane III, 223. Masi S. 242. Wotton
meldet 1548 März 18.: The marriage of the duke of Vendome with
the princess of Navarra will take place shortly, as will also that of
the [duke of Aumale] with the duke's of Ferrara daughter. Turnbull
Calendar Nr. 73. Die folgende Nr. 74 gehört zu 1547!
2) Vgl. Turn bull Nr. 55 und 74.
3) Maximilian dem Zweiten soll der Herzog bei seiner Durchreise
durch Italien 10000 Sc. geliehen haben. Relation Michele's, Fiedler
S. 263. lieber Philipp vgl. den lehrreichen Aufsatz Cittadella's
Ultimo decennio di Ercole II, im Archivio st. Italiano 1877, Bd. 25
Seite 44.
4) Dass Herkules bei seiner Friedensvermittlung sich sorgfältig
bemühte, nicht selbst in den Gegensatz hineingezogen zu werden, er-
sehen wir aus den Memorie di Mirandola, II, 241, 1551 März 10: „II
S'* duca di Ferrara fa 1000 fanti nel suo stato", März 12.: „si dubita
che questi fanti sianoper appoggiarei Francesi"; S. 258 dagegen schreibt
Dandino: „II duca di Ferrara si e coutentato che li nostri muniscano
Castelnovo et Montecchio et vi lascino presidio**. Als Dandino eine von
einem Kurier des Herzogs mitgeführte und mit dem herzoglichen Siegel
verschlossene Depesche aufgreifen Hess, welche für den Französischen
Befehlshaber Termes bestimmt war, und sich dann bei dem Herzog
desshalb, zumal auch ein freilich gleichgültiger Brief des Herzogs selbst
eröffnet worden war, entschuldigen Hess, nahm Herkules dies, wie Dan-
V. Dru/fel: Herzog HerMles von Ferrara ete. 337
Gränzen zu sichern, welche durch den Kampf in der Nach-
barschaft bedroht waren. ^) Das Jahr 1552 brachte in Italien
dino schreibt, con la solita prudentia sua entgegen, und bezeugte, nach
anfänglichen Aeusserungen der Unzufriedenheit, bald die hingehendste
Gesinnung gegen den Papst. S. 274, 276.
Nach Cl. Farnese suchte der Herzog von Ferrara Julius den Dritten
zum Vorgehen gegen Oktavio Farnese zu bestimmen, indem er auf die
mangelhafte VertheidigungsfähigkeitParma's hinwies; Lettere del Comen-
datore Anibal Caro in der Mailänder Ausgabe der Classici Italiani.
Bd. 74 fg. Opere del Caro IV, 318; dass die Beziehungen zu den Far-
nesen nicht gleich abgebrochen wurden, zeigt der entgegenkommende
Brief, welchen der Cl. Farnese dem Herzog 1550 Nov. 1. schrieb; IV,
403. Im Juli 1551 äusserte dagegen, nach Serristori, der Papst, dass
Venedig und der Herzog von Ferrara auf alle Weise den Frieden her-
zustellen suchten. Canestrini Legazioni di Serristori S. 280.
Die Memorie storiche della citta e dell' antico ducato della Miran-
dola bringen im dritten Bande statt der Bd. II, 257 und 265, in Aus-
sicht gestellten Aufzeichnungen Faleti's die Annalen Papotti's, welche
für unsere Epoche so gut wie werthlos sind. Wenn im Bd. II, S. 210
fg. Auszüge aus der Chronik Lancilotto's gegeben sind, so hat dies wohl
darin seinen Grund, dass der Schluss von der in den Monumenti di
storia patria delle provincie Modenesi begonnenen und bis zum 9. Bande
gediehene Gesammtausgabe dieser allerdings von Längen und Wieder-
holungen nicht freien Aufzeichnungen, welche aber jedem Forscher will-
kommene Ausbeute liefern, leider nicht erscheinen soll. Nun wird ein
Stück in den Geschichtsquellen von Mirandola, vielleicht nächstens ein
anderes anderswo veröffentlicht, und zwar mit Unterstützung des Italieni-
schen Ministeriums, Bd. II S. 2, damit wenigstens in dem Zustande
der histoiischen Quellenwerke die auf politischem Gebiete glücklich be-
seitigten Kirchthurmsinteressen ihren Ausdruck finden. Es ist zu be-
dauern, dass so einsichtsvolle Männer wie Campori und Cittadella, deren
Namen wir unter den Mitgliedern des Geschichtsvereines zu Mirandola
lesen, dies nicht zu verhindern vermochten. Braghirolli's Auszüge aus dem
Mantuaner Archiv über die Belagerung von Mirandola würden brauch-
barer sein, wenn sie chronologisch, statt nach Autoren eingetheilt wor-
den wären. Sie enthalten selten mehr als die äusseren Vorgänge; wich-
tiger dagegen ist die Correspondenz Dandino's mit Cosimo Medici.
1) Als Herkules nach der Thronbesteigung Julius III. in Eom
war, um dem neuen Papste zu huldigen, besuchte ihn der Gesandte
338 Sitzung der histor. Classe vom 2. Mars 1878.
die Aussölinung zwischen dem Papste und den sich auf
Frankreich stützenden Farnesen in einem Augenblicke, *)
Venedigs. Dandolo wurde von Herkules mit ausgesuchter Höflichkeit
empfangen, dann sprach sich der Herzog über die ganze Weltlage aus,
„wbich he certainly discussed at great length, like a very sage and
experienced statesman he showed that my visit to him was
most acceptable, and thanked Your Highness for it, raaking many pro-
fessions of being your good son and servant, and above all a good
Italian, and thanking the Lord God infinitely for preserving the most
excellent Signory for the protection and assistance of such part of Italy
as she holds". Brown Nr. 655.
Der Engländer Vannes schreibt 1551 April 26. aus Venedig: „The
duke of Ferrara is reported to be about to confederate with the Vene-
tians for the defence of their confines, and in the meanwhile with
diligence fortifies bis holds" ; und in einer zweiten Depesche von demselben
Tage : „The duke of Ferrara, who always desires to live in peace is, we
understand in great agony of mind, being importuned to join one side
or other. He is rather Fr euch than Imperial. The war is likely to be
commenced in his own confines, and he is supposed of late to have
been here secretly, and to have conferred with the Seigniory of these
matters". Turnbull Nr. 325, 326.
Vgl. ferner Turnbull Nr. 384, 392: „So solicitous for peace is the
duke of Ferrara, that he left not to offer to Octavio his son in hostage
and his fortresses in pledge, that the Bishop or he for the ßishop would
see performed, whatsoever was promised." Nr. 430, 431 I, 452. Vgl.
auch die Briefe Anibale Caro's und die Memorie storiche della cittä
della Mirandola, Mirandola 1874, Bd. II, S. 241, 245, 295. Diego
Mendoza Hess Depeschen des Herzogs von Ferrara auf Florentiner Gebiet
aufgreifen, Turnbull Nr. 462 II; Dandino schreibt darüber, wie es
scheint, Juli 15, in Memorie della Mirandola II, 276. Indessen bestehen
zwischen beiden Nachrichten Widersprüche, die vielleicht in fehlerhaftem
Auszuge begründet sind.
1) Maurenbrecher Karl V. und die deutschen Protestanten
S. 290 beruft sich für seine Erzählung zwar auf ungedruckte Depeschen,
verdient indessen doch nicht in allen Punkten Glauben. Gegenüber
seiner Nachricht: „am 15. April wurde die Sache im Consistorium vor-
gebracht und der Waffenstillstand mit Tournon besiegelt" wird man
sich an den von Ranke V, 212 angeführten, augenscheinlich authen-
tischen Abdruck der Capitulation in den Lettere di principi III, 123
halten, wo wir das Datum 29. April finden.
V. Druff el: Herzog HerJcules von Ferrara etc. 339
wo, wie wir oben gesehen, Herzog Herkules mit dem Plane,
gegen den Kaiser loszubrechen, beschäftigt war , von dem
er selbst sich noch rechtzeitig zurückzog. Nur sein Sohn
Alfonso ging in das Französische Feldlager ab, anscheinend
gegen den Willen des Vaters, welcher um die Meinung zu
erwecken, als sei er ganz unbetheiligt, das Bildniss desjeni-
gen, den man für den Rathgeber des Sohnes hielt, öffentlich
brandmarkte. Man wird indessen mit Rücksicht auf die
oben mitgetheilten Aktenstücke zu der Annahme genöthigt
sein, dass dies Verfahren blosser Schein war und nur dess-
halb beliebt wurde, um den Verdacht des Kaisers zu be-
schwichtigen.*) Den gleichen Zweck hatte es, wenn der
Herzog sich die Anwesenheit der Französischen Minister,
mochte zu denselben auch der eigene Bruder gehören, in
Ferrara verbat und sie veranlasste, sich nach dem Venetiani-
sehen Chioggia zu begeben , um dort ihre Verhandlungen
über die Befehdung des Kaisers auch in Neapel zu pflegen. ^)
Die Politik des Herzogs verliess indessen nicht den bis-
her eingeschlagenen Weg. Sie war insgeheim stets auf die
Durchkreuzung der kaiserlichen Absichten in Italien be-
dacht. Im folgenden Jahre , als Siena das Objekt wurde,
um welches sich der kaiserlich-französische Gegensatz drehte,
1) Die übliche Erzählung von Alfonsos heimlicher Entfernung am
28. Mai 1552 liest man am besten bei Muratori Antichitä Estensi
II, 389 fg. nach. Der Herzog Herkules scheint sich jedenfalls mit der
•Rückberufung seines Sohnes aus Frankreich nicht beeilt zu haben. Bei
der im Dezember erfolgenden Rückkehr des Englischen Agenten Fitz-
patrick von Corapiegne nach London brachte derselbe als Neuigkeit die
Nachricht mit: „The duke of Ferrara has sent hither to have bis son
restored, and otherwise is at point to protest being forced thereunto,
unless he would put two of bis towns in risk of confiscation, viz. Mode-
na and Reggio feodaries of the emperor." Turn bull Calendar Nr. 593.
Cittadella S. 47 hat den Sachverhalt richtig angedeutet ; vgl. M a s 1
S. 195, sowie den späteren Vorfall mit Luigi's Entfernung
2) Vgl. Cittadella S. 47.
340 Sitzung der Tiistor, Classe vom 2. März 1878,
erschien Strozzi in Ferrara, um den Herzog Herkules zur
Mitwirkung mit Frankreich zu bestimmen.^) Die Beding-
ungen, welche damals der Herzog stellte und welche der
Französische Gesandte zu Venedig, der Bischof von Lodeve
annahm, waren aber für Frankreich so unverhältnissmässig
schwer , dass der König Heinrich unter Beirath des Conne-
table Montmorency deren Gutheissung ablehnte und so die
Abmachung seines Gesandten verleugnete. Dieser musste
den Vorwurf hinnehmen, dass er sich benommen habe, als
ob seine Aufgabe gewesen sei, bloss das Interesse Ferrara's-
und nicht dasjenige Frankreichs zu wahren. ^) Obschon
1) Hierüber enthält Turnbull Calendar, Edward VI, Angaben,
welche zwar aus zweiter Hand stammen , aber dennoch glaubwürdig
sind, da die Berichte der Englischen Agenten vom Französischen Hofe
mit dem übereinstimmen, was zu Brüssel nach Römischen Berichten
verlautete.
2)BaguenaultdePuchesse Jean de Mor villiers eveque d'Orleans,
garde des sceaux de France, Paris 1870, hat darüber eingehende Nach-
richten. Der Herausgeber schliesst sich aber zu unbedingt den An-
sichten an, welche Morvillier über das Verhalten des Bischofs Lodeve
äusserte; er unterbricht z. B. die wörtliche Anführung der Quellenstellen
mit dem Ausruf: „Une teile arrogance etait evidemment inacceptable."
Hätte er aber Ribier etwas genauer angesehen, so würde er gefunden
haben, dass der Bischof von Lodeve sehr wohl die Art des Herzogs
Herkules kannte, und dass der angebliche Verrath des Französischen
Interesses durch den Bischof nicht zur Folge hatte, dass Heinrich II
ihm das Vertrauen entzog. Es würde sehr wohl möglich sein, dass die
in dem Briefe an Lodeve an den Tag gelegte Missstimmung nicht ernst .
gemeint war, und man ihn nur desavouirte, weil sich vielleicht die
Verhältnisse geändert hatten. Die Thatsache, dass der König eine von
Lodeve eingegangene Capitulation verleugnete, wird man indessen in
jedem Falle festhalten dürfen.
Ein abschliessendes Urtheil ist freilich ohne Kenntniss der Akten-
stücke nicht möglich. Wer ist der Verfasser des S. 83 angeführten
Schreibens und wann ging dasselbe ab ? Baguenault de Puchesse würde
sich ein grösseres Verdienst erworben haben, wenn er blosse Abdrücke
von Texten geliefert hätte. Der Werth seiner Schrift besteht doch
V. Brujfel'. Herzog Herkules von Ferrara etc. 341
dieses Zurückweichen Frankreichs von seinen Anerbietungen
schwerlich einen günstigen Eindruck auf den Herzog ge-
macht hatte, so hinderte es, wie wir weiter unten sehen
Averden, dennoch nicht eine bald nachher erfolgende Wie-
deranknüpfung auf ähnlicher Grundlage. Ob zeitweilig der
Herzog dadurch bewogen wurde, in ein anderes Fahrwasser
einzulenken, mag dahingestellt bleiben.
Erst als auf den päpstlichen Stuhl der Neapolitaner
Caraffa erhoben worden war, und damit die Garantie für
eine nachhaltige Kriegführung gegen den Kaiser geboten
schien, liess sich schliesslich Herzog Herkules zu offenem
Auftreten bestimmen. Wieder gingen langwierige Verhand-
lungen dem wirklichen Abschlüsse des Bündnisses vorher
und wieder war es der Herzog, der mit Vorsicht die ihm
erwachsenden Vortheile abwog, welche ihm vom Papste
und vom Französischen König angeboten wurden. Am
16. Nov. 1555 wurde von den Cardinälen Karl von Loth-
ringen und Hippolyt von Ferrara einerseits, von dem Her-
zog andererseits ein Vertrag unterzeichnet, welcher gegen
die Gewährung freien Passes in des Herzogs Gebiet dem-
selben den Oberbefehl über die ausserhalb Piemont stehen-
den Ligatruppen übertrug, ihm in Kriegs- und Friedenszeit
eine Monatspension von 2000 Sc. sowie die Besoldung von
Garnisonen zusagte und zugleich Aussicht auf Gebietserwerb
eröffnete. ^) Der Waffenstillstand von Vaucelles , welchen
nur in den wörtlichen Anführungen, welche man auf Grund seiner
dürftigen Mittheilungen nicht immer in den richtigen Zusammenhang
zu bringen vermag. Die Arbeit desselben Verfassers in der Revue des
questions historiques 1868 leidet an demselben Fehler.
1) Diese Nachrichten verdankt man dem Aufsatz von Cittadella,
Arch. st. It. 1877, Bd. 25, S. 62 fg. Man möchte wünschen, statt der
Italienischen Uebersetzung, welche Cittadella benutzte, das Original zu
kennen.
342 Sitzung der histor. Classe vom 2. März 1878.
Frankreich im Beginn des Jahres 1556 ^) abschloss, ver-
schob das Inkrafttreten jener Abmachungen. Wie der Papst,
so erhob auch Herzog Herkules die lebhaftesten Vorstellungen
bei Frankreich, weil er im Stiche gelassen und, da er be-
reits seinen Gesandten vom kaiserlichen Hofe abberufen,
der Rache des Kaisers ausgesetzt sei. *) Jedoch hinderte
ihn dies nicht, seinen Sohn Alfonso gerade um diese Zeit
wieder nach Frankreich abgehen zu lassen. ^) Man wird
annehmen dürfen, dass dieser in gleicher Richtung thätig
war, wie des Papstes Nepot, Cardinal Caraffa, der auf seiner
Reise nach Frankreich im Sommer 1556 durchsetzte, dass
die päpstlich-französische Liga wirkliche Geltung erhielt.*)
Diese Entwicklung war begünstigt worden durch einen
Wechsel in der Haltung Oktavio Farnese's, welcher sich, in
der Hoffnung auf Rückgabe Piacenza's, jetzt dem Kaiser
und König Philipp anschloss.^)
1) Febr. 5.; der Vertrag ist bei Ribier JI, 626 gedruckt.
2) Baguenault de Puchesse S. 96.
3) Turnbull Nr. 496.
4) Dass der Cardinal dem Venetianer Soranzo gegenüber die
Concilsangelegenheit als einzigen Zweck seiner Reise bezeichnete, hat
schwerlich den Gesandten der Republik getäuscht; Brown Nr. 539;
CaraflFa kam 27. Mai in Marseille an, hatte Juni 16 Audienz; Nr. 507,
515. Des Königs Schreiben 1556 Juli 17 an Tournon Ribier II, 644
war sicher nur für die Oeffentlichkeit geschrieben. Tournon war der
Vertreter der Friedenspartei; er verliess Rom an demselben Tage, wo
der König an ihn schrieb. Vgl. Brown Nr. 562. Nr. 537 bei Brown ist
ein Bericht über das Gebahren des Cardinais Caraflfa gegenüber Re-
nard in Gegenwart der fremden Gesandten. Vgl. Weiss IV, 627. Re-
nard sprach sicher nicht Spanisch, wie Brown meldet, sondern Französisch.
Der Vertrag zwischen Caraffa und Avan9on, dem Französischen Gesandten,
der bei Ribier II, 650 gedruckt ist „fait ä Rome 23. Juillet", kann
nicht in dieses Jahr gehören, da Caraffa damals in Frankreich weilte.
Vgl. Soranzo's Depeschen vom 25. Juli, 2. August und vor Allem vom
24. August 1556 bei Brown.
5) Cardinal Ranuzio und Cardinal Alessandro Parnese gaben zu ver-
stehen, dass sie die Verständigung ihres Bruders mit den Kaiserlichen
V. Druffel: Herzog HerJcules von Ferrara etc. 343
•
Diese Veränderung bei dem nächsten Nachbar hätte
nach der Ansicht des Französischen Gesandten zu Venedig
auf Ferrara die Wirkung äussern müssen, dass dasselbe sich
völlig Frankreich in die Arme warf. Er hielt es für un-
nöthig, sich besondere Mühe um dessen Mitwirkung zu
geben ; die Lage sei vielmehr umgekehrt : der Herzog brauche
den Schutz Frankreichs. ^) Indessen beurtheilte der Car-
dinal Farnese die Lage anders ; ^) er meinte die Stellung
Ferrara's sei eine durchaus befestigte, seine Plätze seien mit
Allem wohl versehen, so dass der Herzog mit guter Zuver-
sicht auf seine Ueberlegenheit pochen könne, ja er schien
zu glauben, dass derselbe noch besondere Fäden in der
Hand habe, um sich für alle Fälle zu sichern.^) Und dass
nicht billigten. Ersterer musste dem Papste im Consistorium Kede stehen,
Brown Nr. 551, von letzterem haben wir mehrere Briefe in Caro's
Briefsammlung, welche das beweisen. Auch Oktavio selbst Hess es dem
Connestable gegenüber in Abrede stellen, Brown Nr. 571, 576, und
schickte zu gleichem Zwecke einen Gesandten nach Eom; Nr. 577.
Der Bischof Lodeve äussert sich über das Gerücht August 28. [?] bei
Ribier II, 647.
Die Capitulation möge man ja nicht in der vielfach irrigen Eng-
lischen Uebersetzung bei Brown Nr. 625, sondern im Italienischen
Text in den Lettere di Principi, Ausgabe von 1581, Bd. III, 174 be-
nützen. Brown übersetzt Tentrata di Novara et del Regno [di Napoli]
mit : He gives him back Novara and its territory. Die Briefe des Car-
dinais Farnese bei Caro Lettere VI, 201 fg. sind nicht im Sept. 1557
geschrieben , sondern gehören augenscheinlich dem vorhergehenden
Jahre an.
1) Du Gabre, Bischof von Lodeve an Montmorency, Ribier II, 647.
2) Brief von Ardinghello bei Caro Lettere VI, 210. Aehnlich
Paris Bibl. nat. F. fran9ais 3141/Afg.
3) Im Sommer tauschte Herkules noch mit dem Gesandten König
Philipps Höflichkeiten aus, gab demselben zu verstehen, dass er nur
den allgemeinen und vor Allem Italiens Frieden wünsche , Hess aber
dann durch seinen Gesandten in Rom dem Papste über sein Verhalten
Aufklärung ertheilen; Brown 572.
344 Sitzung der histor. Classe vom 2. März 1878.
dem so war, scheint man auch in Frankreich gefühlt
zu haben. ^) Nicht der Herzog war es, welcher bat, er
wurde gebeten. Ihm wurden durch Fourquevaux Anerbie-
tungen gemacht, welche die vorläufigen Abmachungen der
Capitulation des Vorjahres erweiterten. Abgesehen von den
1) Die Depeschen des kaiserlichen Gesandten Renard , welche in
dem vierten Bande der Papiers de Granvelle abgedruckt sind, geben
uns ein hinlänglich deutliches Bild von der Spannung, mit der man
in Frankreich Nachrichten aus Ferrara erwartete. Vgl. S. 568, 580,
619, 624. Juli 29. schreibt Renard: Au retour de l'ambassadeur
qu'est alle devers le duc de Ferrare Ton pourra s^avoir s'il aura negocie
le Si ou Non ; et suis-je advertis que la principale occassion que retient
par de^ä le legat Caraffe est pour attendre la reponse et negotiation du dit
ambassadeur , que suspend la resolute determination de la dicte lighe
et capitulation. S. 653. August 11. meldet er dann, dass vorgestern
ein Kurier die Betheiligung des Herzogs auf Grund der von Guise ab-
gemachten Capitulation überbracht habe; S 660. Am 6. Sept. hat er
wieder ganz gegentheilige Nachrichten, man vermuthete sogar, der
Herzog habe sich mit Oktavio und dem Kaiser in Verbindung gesetzt,
der Prinz Alfonso stellte sich unwohl, um der Missstimmung des Königs
auszuweichen.
Ebenso ist das Schreiben vom 14. Sept. noch ganz im Zweifel;
S. 698. Erst nach dem 27. September, vgl. S. 721, 724, weiss Renard,
dass die Verständigung erzielt sei, indem man dem Herzog von Ferrara
alle seine Ansprüche befriedigt habe.
Die Nachricht von dem Abschluss des Bündnisses scheint vielfach
überrascht zu haben, denn früher, Febr. 10., hatte Wofcton an Petre
geschrieben: „many thought the duke would not have been induced, as
in such matters he does nothing , but by counsel of the Venetians" ;
Turnbull Nr. 470. Vgl. Vannes Depesche vom 30. Mai 1556 an Petre.
1554 Okt. 20. hatte er geurtheilt, der Herzog werde wahrscheinlich eben
so wie Venedig neutral bleiben : „the duke is a wise and puissant prince,
his frontiers and towns very strong, himself very rieh, and unlikely to
endanger all." Daran knüpft er Bemerkungen über den Plan einer Hei-
rath Alfonsos mit der Tochter des Französischen Königs, vgl. Calen-
dar (Mary) Nr. 496 „on what conditions he does not know. Miran-
dola joins with Ferrara and being in a powerfuU and unfriendly
prince's hands may annoy him much, likewise Parma joins with Reggio,
oeither being able to keep their own, if long pressed by a strong power,
V. Druff el: Herzog Herhulcs von Ferrara etc. 345
GeldbewilliguDgen *), erhielt Herkules Aussicht auf den Be-
sitz Parma's^). Es fehlte nicht an Leuten, welche dem Her-
zog zutrauten, dass er noch nach Grösserem strebte, ja es
wird sogar einmal der Gedanke hingeworfen, dass des Her-
without aid of some strong prince. Vannes dachte an einen Austausch
gegen Besitzungen des Herzogs — d. h, wohl der Herzogin — in Frank-
reich [Montargis]: „What men may conclude from all this knows not.
Thinks the duke to be a man like other raen, well willing to keep his
estate in safety to advance it peacebly to bring his lands together and
to oversee anything likely to be hereafter troublesome : as to his enter-
ing any war it is not my credo** ; Nr. 278. [Das folgende Aktenstück
Nr. 279 gehört zum Jahre 1535 ! ! Die bei Cittadella S. 208 abgedruckte
Quittung des Bischofs von Lodeve ist nach altem Styl datirt, gehört
also zu 1557.]
1) Fortlaufende Nachrichten über die Verhandlungen mit Frank-
reich und die Sendung Fourquevaux's bieten die Depeschen Soranzo's
bei Brown 579, 603, 639, 649—51, 663, vgl. Ribier II, 647. Der Text
des Vertrages, welcher jedenfalls neu unterzeichnet wurde, da der frühere
hinfällig geworden war, vgl. Revue S. 506, ist nicht bekannt. Man
darf jedoch annehmen, dass er sich nicht wesentlich von dem früheren
unterschied, das ist aus den verschiedenen Nachrichten, besonders aus
dem Schreiben des Königs bei Ribier II, 672 zu folgern. Das hier
stehende Datum 28. November wird richtig sein, trotz der Bemerkung
des Herrn Baguenault de Puchesse, Revue 512, der es ohne die Ab-
weichung bei Ribier zu erwähnen, dem 2. Oktober zuschreibt, was schon
desshalb unmöglich ist, da darin auf einen Brief „du 7. de ce mois"
Antwort ertheilt wird. Dagegen könnte man eher das Datum der De-
pesche des Bischofs von Lodeve bei Ribier II, 647 anzweifeln, obschon
Baguenault, in der Revue 510 Anm., es als richtig annimmt. Wenig-
stens schreibt Soranzo Okt. 1. aus Paris: Yesterday M. de Forcevoe
departed on his way to the duke of Ferrara, während der Bischof von Lodeve
in jener Depesche über dessen Verhandlung berichtet.
2) Dieses Streben des Herzogs war nicht neu. Als Cardinal Fer-
rara 1555 nach der Tiara strebte, machten die Farnesen dagegen gel-
tend, dass Herzog Herkules ihnen mit Hülfe Frankreichs Parma zu
entreissen gesucht habe. Der Herzog erklärte, che la domando con-
dizionamente, quando essi non la potessero tenere; Canestrin
Legazioni di Averardo Serristori S. 352. Gl. Farnese spricht in mehreren^
346 Sitzung der histor. Classe vom 2. März 1878.
zogs Sohn Alfonso an die Spitze von Italien treten solle *).
Ende 1556 erzielte man eine Verständigung, wie es scheint auf
Grundlage der früheren Artikel, vielleicht mit geringen Ab-
weichungen. Es kam zum Kriege ^). Indessen liess selbst
die Eintracht des Herzogs mit seinem Schwiegersohn, dem
Herzog von Guise zu wünschen übrig, indem jener ver-
weigerte die Truppen zur Bekämpfung Albas nach Mittel-
italien zu entlassen, damit sein eignes Gebiet nicht entblösst
werde ^). So trat zu Tage, dass jeder der Theilnehmer an
der Liga nur den eigenen Yortheil verfolgte, ohne Rück-
sicht auf die Genossen, wie denn auch bei dem Abschlüsse
des Bündnisses Jeder bemüht gewesen war, möglichst ge-
ringe Opfer zu Gunsten des Alliirten zu bringen *). Als
Schreiben davon, dass der Herzog Herkules sofort mit Parma und Pia-
cenza werde belehnt werden, z. B. Caro Lettere VI, 176; ein akten-
mässiger Beweis liegt indessen nicht vor, vielleicht begnügte man sich,
wie 1555, im Allgemeinen die Theilung der zu machenden Eroberungen
festzusetzen, wobei dann dennoch der geheime Gedanke der Franzosen
blieb, freie Hand zu behalten, indem man die Bedeutung der Abmach-
ungen durch Sophistik zu beseitigen gedachte, wie der Cardinal Guise
dies in dem Schreiben an Montmorency, Revue des questions historiques
1868, Bd V, S. 503, als möglich nachzuweisen sucht.
1) „according to whose league a son of the duke of Ferrara is to
have Italy" schreibt Badoero über die Liga; Brown 509.
2) Das scharfe Schreiben des Herzogs von Alba an den Papst vom
21. August kann man in den verschiedensten Sprachen gedruckt lesen;
Italienisch in den Lettere di Principi III, 175, Französisch bei Ribier
II, 653, Spanisch und Französisch in den Papiers de Granvelle IV, 666,
drei Mal Spanisch bei Lafuente, Andrea und in der Coleccion Bd. II.
Endlich steht dann noch ein Englischer Text bei Turnbull. Der einzige
der neueren Herausgeber, welcher wusste, dass es nicht Ineditum sei,
ist Lafuente.
3) Vgl. Frizzi, Calendar, Revue S. 514.
4) Frankreichs Politik spricht sich in dem Schreiben des Cardinais von
Lothringen, Revue 502, am deutlichsten aus. Cardinal Farneseurtheilte über
die nicht benutzten Gelegenheiten in einem nicht abgesandten Briefe
V. Druff el: Herzog Herkules von Ferrara etc. 347
dann die Schlacht von St. Quentin Frankreich in eine be-
drängte Lage versetzt hatte, rieth König Heinrich selbst ^)
dem Papste und dem Herzog von Ferrara, sich mit Spanien
zu vertragen ^). Der Papst erreichte dies ohne grosse
folgenderraassen : Quelli che mettevano avanti che potessero far mira-
coli nello stato di Ferrara o se nMntendevano poco o gioeavano dl ma-
lignitä, perche le sue piazze son ben fortificate e hen fornite, ha danari
e tutto quello che si ricerca alla guerra, e non e odiato da' popoli; e
chi vnole assaltare uno Stato di quella sorte, ci vuole altro che 5000
fanti e 500 cavalli. Noi non avevamo altro per noi che la giustizia
della causa e il demerito della sua ingratitudine. Dio ha voluto per
questo che le cose siano procedute meglio, perche l'essere il Papa fuor
di gioco ha levati nui fuor' di pericolo e l'avarizia e la poca virtü del
Duca di Ferrara ha fatto il resto; Caro VI, 217.
1) Der Brief des Königs an Guise vom IG. Aug. Ribier II, 702
sagt dies ausdrücklich; die Stelle welche Ranke aus einem Briefe des
Königs an Guise anführt, findet sich nicht an dem bezeichneten Orte
bei Ribier II, 750 und widerspricht sowohl obigem Schreiben, als dem
auf dasselbe folgenden Briefe an Tournon vom 1. September. Sie muss
in einen anderen Zusammenhang gehören. Reumont in seiner Ge-
schichte Toscana's I, 224 hat nicht beachtet, dass die Franzosen selbst
die Verständigung Ferrara's mit Philipp befürworteten.
2) Der Herzog beklagte sich darüber, dass man ihn im Stiche ge-
lassen hatte, die Franzosen waren entrüstet über seine Treulosigkeit;
vgl. Bischof Lodeve Sept. 23 bei Ribier und Revue S. 514. Wie die
Franzosen sich zu Vaucelles mit dem Kaiser verständigt hatten, ohne
Rücksicht auf den Papst und Ferrara, so scheint auch Herkules diese
Möglichkeit sich lange Zeit offen gehalten zu haben. 1556 Sept. 24.
meldet ßadoero aus Gent, der Cardinal von Trient habe dem König Philipp
versichern lassen, der Herzog von Ferrara sei nicht so schlecht gesinnt,
wie man gewöhnlich annehme, and that he, the Cardinal, knows him
to be the king's servant, and that he wishes and offers to form re-
lationship in sorae way with the house of Austria, which to all his
Majesty chief ministers has seemed a very stränge and novel thing to
hear; and they lay the blame either on his right reverend Lordship's
ignorance of the said duke's mind, or on the too close friendship main-
tained by him since a long while with his Excellency. Brown Nr.
629. Dies steht sicher im Zusammenhang mit der Praktik CoUegno's,
348 Sitzung der hidor. Classe vom 2. März 1878.
Schwierigkeit. Der Herzog von Ferarra war allein übrig
gelassen und man konnte glauben, dass sieb die ganze
Spanische Macht in Italien auf ihn werfen würde. In seiner
Noth wandte er sich wieder an den Herzog von Wirtem-
berg *) mit der Bitte, Anwerbung Deutscher Truppen ge-
statten zu wollen. Der eigentliche Sinn des Schreibens war
jedoch, nach Vergers Meinung, der Wunsch, dass der Her-
zog Christof die Vermittlung des Friedens unternehmen
möchte. Christof trug Bedenken hierauf einzugehen , er
überliess diese Aufgabe dem Herzog Cosimo ^) und der Repu-
blik Venedig, welche die erbetene bewaffnete Unterstützung
freilich abgelehnt hatte, jetzt aber gern die Hand bot, um die
Ruhe Italiens herzustellen. Herkules trat von dem Bünd-
nisse mit Frankreich zurück, und sein Sohn heirathete eine
Mediceerin ^). Als Nachwirkung der früheren Freundschaft
von der wir durch die Instruktion für Ariosto in den Lettere di
Principi III, 183 und deren Ergänzung bei Cittadella S. 212
Kenntniss haben. Von den früheren freundschaftlichen Beziehungen
zwischen beiden geben die Briefe Zeugniss, welche ßonelli Notizie
istorico-critiche della chiesa di Trento III, 1, S. 332 abgedruckt hat.
Man wird nicht annehmen können, dass trotz der an den Tag gelegten
Entrüstung des Herzogs über CoUegno gleichzeitig die Freundschaft
bestehen blieb. Aber das schroffe Auftreten des Herzogs erfolgte erst
gleichzeitig mit dem Abschluss des Französischen Bündnisses, acht
Wochen nach jener Meldung Badoero's, und so bleibt es möglich, dass
diese auf Wahrheit beruhte. Montecuculo's Sendung s. S. 365.
1) Vgl. Vergers Briefwechsel v. K ausler S. 155.
2) Cardinal Farnese beglückwünscht denselben dazu, Caro Lettere
VI, 228.
3) Der Wechsel in der Stellung der beiden Fürsten zu einander
war sehr bedeutend. Das Schreiben Serristori's vom 31. März 1550
zeigt, dass damals eine Annäherung an Ferrara von Cosimo ins Auge
gefasst worden war ; Serristori billigte dies, ma nel resfringerla straor-
dinariamente sia da considerare la natura dell' E. V. e la sua, e se i
disegni che Ella fa di valersi di lui, quando ne venga l'occasione, gli
sieno per riusciare; e se quelli de quali il duca pensasse potersi valere
v.Druffel: Herzorf Herkules von Frrrara etc. 349
mit Prankreich nehmen wir nur gegenseitige Vorwürfe
wahr: der Franzosen über Ferrara's Treulosigkeit, des Her-
zogs über nicht erfüllte Versprechungen. Nach Herkules
hatte Alfonso bereits mehrere Jahre den Thron inne, als
ihm wenigstens theilweise Ersatz wurde für die in Frank-
reichs Interesse aufgewandten Geldsummen *).
In der äusseren Politik des Herzogs treten, wie man sieht,
die religiösen Gesichtspunkte keineswegs hervor; er lässt sich
nur von der Rücksicht auf den eigenen Vortheil bestimmen,
wenn er bald mit dem Kaiser bald mit Frankreich, einer-
seits mit dem Papste andererseits mit den Deutschen Prote-
stanten sich in Verbindung setzt. Herkules scheint es auch
nicht für seine Aufgabe gehalten zu haben, in den Zersetz-
ungsprocess einzugreifen , in v/elchem sich die kirchlichen
Verhältnisse auch in seinem Gebiete, vorzugsweise in Mo-
dena und iu Ferrara selbst, durch das Fortschreiten und
die Ausbreitung Lutherischer Ansichten befanden ^). Schon
im Jahre 1539 wurde es ofPeukundig, dass die Mitglieder
der Akademie zu Modena sich dem üblichen Kirchenthura
feindselig gegenüberstellten, auch die Menge und die üeppig-
keit des Kleras lebhaft bekämpften. Der Papst bezeichnete
sie dafür als Lutheraner und Ketzer, und soll schon damals
deir E. V. convenissero allo stabilimento e grandezza del suo stato. Canes-
trini S. 245. Soranzo meinte 1556, falls das Französisch-päpstliche
Heer sich gegen Toscana wende, werde dies dem Herzog von Ferrara am
erwünschtesten sein, by reason of the enmity, he bears that duke;
Brown 663. Dagegen trat auch der Gedanke, dass die beiden Fürsten
gemeinsame Interessen hätten, öfter zu Tage; vgl. Renmont Geschichte
Toscana's I, 224. Cardinal Tournon hatte die Begünstigung dieser Heirath
dem Könige Heinrich U, anempfohlen. Ribier IJ, 706.
1) Dies zeigt am besten der Aufsatz von Cittadella.
2] Eine vorzügliche Quelle hiefür ist die bereits oben angeführte
Chronik Lancilotto's. Vgl. die in dem Register des einen Bandes unter
Controversie religiöse, in dem .des andern unter Dispute ange-
führten Stellen.
[1878. I. Philos.-philol. bist. Cl. 4.] 26
350 Sitzung der Mstor, Classe vom 2. März 1878.
dem Herzog um ihretwillen geschrieben haben *). Eine be-
sondere Wirkung hatte dieser Schritt indessen nicht. Im
Jahre 1542, kurz nach Erlass der Inquisitionsbulle, kam
dann ein päpstliches Breve nach Modena, worin der Bischof
angewiesen wurde, den namentlich bezeichneten Akademikern
eine Liste von 41 Glaubenssätzen vorzulegen: unterschrieben
sie dieselbe, so absolvirte sie der Bischof, für den anderen
Fall waren sie nach Rom citirt. Die Akademiker stoben
theils auseinander — einige gingen nach Venedig oder nach
Griechenland — theils schützten sie Unwohlsein vor, ein
zu ihnen gehöriger Kanonikus verschwor es, künftig noch
zu studiren und verkaufte alle seine Bücher. Obgleich
der Bischof von Modena, der unter Paul IV. selbst von der
Inquisition verfolgte und in Haft genommene Cardinal Mo-
rone, mit dem beinahe von demselben Loose betroffenen '^)
Cardinal Cortese und dem Bischof Bertano von Fano zu-
sammen persönlich eingriffen, richteten sie wenig aus, der
weltliche Arm blieb ihnen versagt und sie scheinen sich
endlich damit begnügt zu haben, dass anstatt der aufs
Korn genommenen Akademiker die Conservatoren der Stadt
unterschrieben ; jene wurden somit aus dem Spiele gelassen.
Kurze Zeit nach Morone's Entfernung kehrte der Lehrer
des Griechischen, welcher sich geflüchtet hatte, zurück und
eröffnete wieder in Modena seine Vorlesungen, ungehindert
von dem Herzoge welcher damals gerade dort verweilte.
Diesem wurde es auch zugeschrieben, dass der Sicilianer Fi-
lenio, welcher 1540 in die Hände der Inquisition gerathen
war und nach Bologna und Ferrara geschleppt wurde, mit
Verurtheilung zu den Galeeren davonkam, während die
Brüder des heiligen Dominikus ihn den Flammen zu über-
1) Cronache Bd. VIT, Lancilotto Bd. VI, S. 205.
2) Vgl. Young Life of Paleario I, S. 334.
V. Dru/fel: Herzog Herkules von Ferrara etc. 351
liefern gewünscht hätten ^). Gyraldus verehrte in dem Her-
zog gleichfalls seinen Erretter vor der Inquisition *). Auch
in den späteren Jahren scheint des Herzogs Eifer hinter
den Wünschen des Papstes Paul IV. zurückgeblieben zu
sein. In diesem Sinne wird man es wohl zu deuten haben,
wenn der Papst den Herzog 1559 in einem eigenen
Breve um Uebermittelung eines bereits zu Reggio in der
Haft des Bischofs befindlichen Arztes nach Rom ersuchen
musste ^). Wir wissen nicht, ob des Papstes Wunsch er-
füllt wurde.
Für einen Italienischen Fürsten, welcher sich in Ab-
hängigkeit von dem Papstthum befand, wäre es indessen
eine schwere Aufgabe gewesen, der von dort ausströmen-
den Geistesrichtung entschieden zu widerstreben ; vor Allem
hätte dazu eine selbstbewusste Stellung in den religiösen
Fragen gehört. Davon aber war bei Herkules nicht die
Rede; jenen Zügen der Milde stehen andere härtere zur
Seite. So verbot der Herzog dem Mönche Aegidius von
Bergamo die Lesung der hl. Schrift auf der Kanzel*) und
untersagte das Studium auf andern Universitäten als Fer-
rara ^) ; wie unter Julius III. die Inquisition grössere Thätig-
keit entwickelte als unter Paul III., fielen derselben auch
in Ferrara einzelne Opfer, so Fannius aus Faenza, der 1550
öffentlich hingerichtet, Georgius Siculus, welcher im Jahre
1) s'el non fasse stato S. Exe*'*, che lo ha hauta de gratia, detti
Frati lo haveriano fatto brusare; Lancilotto VI, 420.
2) Burckhardt Cultur der Renaissance, 3. Auflage von L. Geiger
I, 316.
3) Vgl. Raynald Annales ecclesiastici 1559, Nr. 22.
4) L'Ill™** duca . . prohibiva a frate Egidio da Bergamo de S*"
Augustino ch'el non dovesse legere le epistole di S. Paulo come el fa-
ceva nell'hora della predica suso el pergolo in la giesia e che per tutto
questo di 4 ditto el dovesse partirse de Modena; Lancilotto Vif, 21,39.
5) Lancilotto VII, 151.
26*
352 Sitzung der histor. Classe vom 2, März 1878.
nachher heimlich erdrosselt wurde ^). Es sind vereinzelte
Fälle wie wir sie aus jener Zeit auch aus Venedig ^) und
Toskana zu verzeichnen haben, obgleich deren Regierungen
ebensowenig von Verfolgungseifer erfüllt waren, als Her-
zog Herkules.
Gleich den meisten katholischen Fürsten der damaligen
Zeit begünstigte auch Herzog Herkules die neu begründete
Gesellschaft Jesu und wenn man die Briefe, welche deren
Stifter an ihn richtete, nach ihrem Wortlaut nehmen dürfte,
so könnte man ihn beinahe als deren eigentlichen Vater
1) Ueber den Tod des Fannius handeln Young Life and time of Ao-
nio Paleario II, 111 und Frizzi IV, 337. Letzterer rühmt den Eifer
des Herzogs für die Erhaltung der katholischen Religion. Young be-
nuzte den Giulio di Milano, eine augenscheinlich mit panegyrischer Ten-
denz verfasste Schrift; danach war ein Breve Julius III. die Veran-
lassung zur Hinrichtung; in der That finden wir, dass in den Tage-
buchaufzeichnungen des damaligen päpstlichen Sekretärs Massarelli mehr-
fach ein schärferes Einschreiten gegen die Ketzer erwähnt wird, aber
freilich sehen wir zugleich, dass. mit Venedig Streitigkeiten über
die Competenz der geistlichen Gerichtsbarkeit ausbrachen; man wird
auch nicht ohne Weiteres annehmen dürfen, dass der Herzog von Fer-
rara von jeder Einmischung in diese Angelegenheiten abgesehen habe.
Vgl. Druffel Beiträge I, Nr. 847. Nach einem Briefe des Cardinais
Jaen, Simancas 877/95, ist es möglich, dass es sich um Wiedertaufe und
beabsichtigte Abschaffung der Obrigkeit gehandelt hatte.
2) Vgl. das Gutachten vom Jahre 1705 bei Cecchetti, La Re-
publica di Venezia e la Corte di Roma I, S. 11, wo das Resultat der
eifrigen Nachforschungen nach früheren Verurtheilungen zusammenge-
stellt ist : Nei registri della Segreta ne altrove ci e riuscito trovare
memoria che mai sia stato fatto morire in publico alcun heretico o reo
di simili colpe .... Ben ha saputo questo padre Inquisitore trovar
lui negli antichi registri del Sant' Offizio una sentenza pronunciata
dairinquisitore contro un tal pre' Francisco Calcagno di taglio della
lingua della testa e combustione del corpo eseguita in Brescia del 1550
e tre altre sentenze . . . con affogamento delli rei.
3) Vgl. den Aufsatz von Bonaini im Giornale storico degli Archivi
Toscani VI über die Verhaftung Domenichi's, für den Renate Fürbitte
einlegte.
V. Druffel: Herzog Herkules von Ferrara etc. 353
betrachten. „Es ist vielmehr die Gesellschaft Euerer Ex-
celleuz, als die meinige'' ist eine Wendung, welche uns in
den Briefen des hl. Ignaz an den Herzog begegnet ^). Mag
dies auch eine in Briefen au Andere ebenso vorkommende
Redensart sein, so steht doch so viel fest, dass Herkules
in der That enge Beziehungen zu den Jesuiten unter-
hielt ^). Seiner Vermittlung schrieb man es zu, dass im
Jahre 1538 bei der Curie der Widerspruch gegen die päpst-
liche Bestätigung der Gesellschaft Jesu beseitigt wurde. ,,Ich
kann in Wahrheit sagen", schreibt Tgnaz v. Loyola, ,,kein
Fürst oder Herr kömmt ihm gleich, Se. Excellenz hat sich um
die ganze Bildung des Gesellschaftskörpers grössere Verdienste
erworben, als irgend Jemand." So drückte sich Ignaz in
einem Schreiben an Jajus^) aus, als er im Jahre 1547 dessen
1) Vgl. Cartas de San Ignacio de Loyola, Madrid 1874 fg., [bis
jetzt 3 trefflich ausgestattete Bände]. Bd. 11, S. 458: questa minima
compagnia, piü di Vostra Excellentia, che nostra.
2) In mehreren Briefen des hl. Ignaz ist davon die Rede; dieselben
finden sich zusammengestellt in der Anmerkung 6 zu S. 8 des dritten
Bandes der Cartas. HoflFentlich bringt der vierte Band ein ausführliches
Register; dadurch würde die Benutzung des wichtigen Quellenwerkes
mehr erleichtert werden, als durch die zahlreichen Verweisungen in den
Anmerkungen, so fleissig sie auch immer angefertigt sein mögen. Auch
wäre zu wünschen, dass die Briefverzeichnisse am Schlüsse jedes Bandes
die Datirungen der Originaltexte, nicht bloss die der Uebersetz-
ungen brächte, damit überflüssiges Hin- und Herblättern vermieden
werde. Zu bedauern ist, dass in den Anhängen Adressen der einzelnen
Briefe fehlen und statt dessen bloss Verweisungen auf die Spanischen
Uebersetzungen gegeben sind.
3) Cartas II, S. 395: Sua Eccellenza, con lettere et testimonianze
date di noi tanto cortesemente nel tempo di quelle prime contradizioui
che sostenemmo qui in Roma, e poscia col raccommandarci al Rev""*
C^^ suo fratello e ad altri Grandi di questa corte, ci ha per mezzo de'
lor caldissimi ufficj in cosi gran maniera ajutati ad ottenere da questa
Santa Sede la confermazione della Compagnia, che con verita posso dire,
niun Principe ne Signore essergli stato eguale in questa parte, ne noi,
quanto alla formazione di tutto il corpo della Compagnia avere con
354 Sitzung der histor. (Jlasse vom 2. März 1878.
Entlassung von dem Bologneser Concil erbeten hatte, um
ihn zum Herzog von Ferrara nach dessen Wunsch zu senden.
In ungewöhnlich warmen Ausdrücken suchte er in dem zum
Gewisseusrath des Fürsten bestimmten Ordensgenossen Ver-
ehrung für den Wohlthäter der Gesellschaft zu erwecken.
Jajus blieb zwei Jahre bei dem Herzog, kehrte dann nach
Deutschland zurück, wo zeitweilig bessere Aussichten zu
winken schienen *). Im Jahre 1550 suchte Ignaz, seinem
gewöhnlichen Verfahren getreu, den Herzog bei dessen Rö-
verun' altro obligazione pari a quella, di che siamo tenuti Sua Eccel-
lenza. Vgl. auch Cartas I, 70.
1) Jajus hatte bereits früher eine einflussreiche Stellung einge-
nommen. Ueber den Plan des Otto Truchsess, ihn nach Sachsen zu
senden, vgl. Weiss Pap. de Granvelle IV, 382; Ignaz Loyola gedachte
ihn 1545 zur Wiederaussöhnung Ochino's zu verwenden ; Cartas 11,218.
Die Aeusserung des hl. Ignaz in dem Schreiben an Herzog Wilhelm
von Baiem, Jajus könne nur auf kürzere Zeit nach Ingolstadt kommen,
war nach Genelli S. 343 durch dessen Stellung am Esteschen Hofe ver-
anlasst: Der Herzog habe ihn nur für kurze Zeit entlassen wollen. In-
dessen ist zu beachten, dass erstlich Jajus nicht nach Ferrara zurück-
kehrte, sondern nach Oesterreich ging, und dass Ignaz bereits im Januar
1549 den König von Portugal zu einer Bitte um Jajus ermuthigen liess,
freilich ohne ihm bestimmte Aussicht auf Gewährung derselben zu er-
öffnen und ohne ihm zu verschweigen, dass der wiederholt ausgesprochene
Wunsch des Cardinais Truchsess, sowie des Cardinais Farnese vergeblich
gewesen sei. Cartas II, 156, 543. In gleicher Weise suchte Ignaz bei der
Sendung Landini's nach Ferrara sich eine Hinterthür offen zu halten ; er
schrieb an Herkules, man verhandle über dessen Sendung nach Corsika,
indessen sei noch kein ausdrücklicher Befehl des apostolischen Stuhles
da, desshalb könne er einstweilen dem Herzog willfahren. Ignaz wusste
indessen, dass ein solcher Befehl von seinem eigenen Wunsche abhängig
war. Was or wollte, war die Stiftung eines Collegiums in Ferrara;
bewilligte dies der Herzog nicht, so wollte sich Ignaz die Abberufung
vorbehalten; es ist dasselbe Verfahren, welches er Baiern gegenüber
befolgte. Vgl. D ruf fei Beiträge zur Reichsgeschichte I, Nr. 446.
[Der Text dieses Briefes in den Cartas II, S. 532 leidet an einer von
den Herausgebern nicht angedeuteten Lücke.]
V. Druff el: Herzog Herkules von Ferrara etc. 355
mischem Aufenthalt zur Gründung eines Collegs in Ferrara
zu bestimmen ; im folgenden Jahre kam ein solches
wirklich zu Stande, nachdem auch Franz von Borja seinen
Einfluss dafür eingesetzt hatte. Voll Jubel über die Ein-
gebung Gottes schrieb Ignaz Loyola dem Herzog am 23.
Mai 1551, er sende einstweilen 2 Priester und 5 — 6 Scho-
lastiker; denn fürstlich hatte Herkules für das Colleg zu
sorgen versprochen und er scheint sein Wort gehalten zu
haben, da Ignaz v. Loyola mehrfach über dessen günstige
Entwicklung berichtet *). Die Bitte des Herzogs um üeber-
nahme der geistlichen Leitung eines von seiner Mutter,
Lukrezia Borja, gestifteten Nonnenklosters durch die Jesuiten
lehnte er indessen unter Berufung auf die Ordensregeln ab ^).
Dagegen entsprach es seinen Wünschen sicherlich, dass der
Herzog das früher von Jajus eingenommene Amt eines
fürstlichen Beichtvaters dem Rektor des Collegs Pelletarius ^)
übertrug, auf dessen Thätigkeit wir noch später zurückkommen
müssen. Das Verhältniss Loyola's zu Herkules blieb ohne
Trübung, wie wir wohl mit Sicherheit aus einem Briefe
des Ersteren folgern dürfen, durch welchen der Jesuiten-
general 1555 die Vermittlung des Herzogs anrief, um den
Widerstand der Sorbonne gegen die Jesuiten zu besei-
tigen. Ignaz zog dem öffentlichen Streite mit den Gegnern
einen stilleren Weg vor. Während er erklärte, es sei besser
zu schweigen, als zu reden, man brauche die Feder nicht
zur Vertheidigung zu ergreifen, wenn die Wahrheit sich
von selbst geltend mache, versuchte er durch den Herzog
1) Cartas II, S. 338, 341, III, S. 8.
2) Am 11. Juli 1551; Cartas II, 362.
3) Der scharfe Erlass, welchen Ignaz am 23. Juli 1553 an Pelle-
tarius sendete, hatte nach einer Notiz Boero's lediglich die Bedeutung,
denselben von der bisherigen Vernachlässigung der Kranken abzubringen.
Läge diese Notiz nicht vor, oder könnte man dieselbe für unzuverlässig
halten, so würde man wohl an schlimmere Dinge denken.
356 Sitzung der histor. Classe vom 2 März 1878.
von Ferrara einen Druck, nicht auf die Sorbonne, sondern
auf den König von Frankreich auszuüben, dessen sonst der
Gesellschaft geneigter Sinn durch schiefe Erzählungen ab-
wandt w^orden sei. Er sprach die Hoffnung aus, dass diese
Hindernisse durch Gottes und des Herzogs Hülfe nur zu
ihrem Besten ausschlagen würden, indem er die Gesellschaft
dem Wohlwollen des Herzogs in den hingehendsten Aus-
drücken empfahl ^).
■ Frankreich war das Land, in welchem der Gesellschaft
Loyola's am längsten Widerstand entgegen gesetzt wurde,
und es begreift sich leicht, dass Loyola sich mit demjenigen
Italienischen Fürsten gut stellte, von welchem er sich in
dieser Richtung eine heilsame Einwirkung versprechen konnte.
Andererseits ist nicht zu verwundern, dass es dem Herzog
Herkules erwünscht war, wenn die Jesuiten, deren Stifter
am Hofe des Papstes eine einflussreiche Rolle spielte, auch
ihm wohlwollten ; es kam hinzu, dass Franz von Borja nahe
mit ihm verwandt war. Indessen fehlen doch Anzeichen
dafür, dass die Jesuiten in Ferrara bedeutenden Einfluss
geübt hätten; von einer ähnlichen Abhängigkeit des Her-
zogs von ihnen, wie zum Beispiel bei dem Könige von Portu-
gal, ist nicht die Rede. Der Herzog Herkules ist der einzige
Italienische Fürst, welcher in dem 1552 abgefa^gsten Ent-
1) Dieser Brief ist noch nicht in den Cartas abgedruckt, da die
ersten 3 Bände nur bis Ende 1553 reichen; er steht bei (Menchaca)
Epistolae Ignatii ö. 538 und ist nach dem Original des Modeneser
Archivs gegeben. Orlandinis Erzählung, XV, 44, stellt das Verfahren Lo-
yola's in ein durchaus falsches Licht. Die von Orlandini seinem Heiligen
in den Mund gelegte Rede: „Certis in causis praestat silere quam lo-
qui; nee vindice opus est stylo ubi sui ipsius vindex ac propugnatrix
est veritas" steht zu jenem Schreiben in entschiedenem Gegensatz.
Genelli hat durchaus recht gehandelt, indem er das Schreiben ver-
werthete. Dessen Aufbewahrungsort ist Beweis genug, dass es nicht
Concept geblieben ist.
V. Drußel: Herzog Herkules von Ferrara etc. 357
würfe über die Aufbringung einer unter Führung des Kaisers
zur Bekämpfung der Türken bestimmten Armada mit Still-
schweigen übergangen wird, während Ignaz Venedig und
auch den Papst zur Mitwirkung zu bestimmen gedachte ').
x\uch die Ansicht, dass die Jesuiten bei jenen oben erwähnten
Ketzerhinrichtungen die eigentlichen Anstifter gewesen seieu,
steht völlig in der Luft ^) ; als ob die Dominikaner das In-
quisitionsgeschäft nie getrieben hätten !
Eine ßetheiligung der Jesuiten scheint man aber aller-
dings bei dem Inquisitionsverfahren annehmen zu dürfen ^),
welches das einzige war, bei dem nachweisbar auch der
Herzog persönlich eifrige Thätigkeit entfaltete. Dasselbe
wandte sich gegen Niemand andern, als gegen seine eigene
Gemahlin, die Herzogin Renate.
Im Jahre 1554 kam diese Angelegenheit zur Entschei-
dung. Während die religiöse Stellung Renatens bis dahin,
so viel wir sehen, selbst nach der Anwesenheit Calvins au
ihrem Hofe^) durch Herzog Herkules keine Anfeindung erlitten
hatte, klagte dieser jetzt, wie oben erwähnt, am 27. März
dem Könige und dem Connetable über Renatens Ver-
1) Vgl. die merkwürdigen Briefe an Nadal, Cartas III, 98 fg., auch
bei Genelli Nr. 31.
2) In der Schrift ,, Renata etc." Gotha 1869 hdsst es: „Schwerlich
war der Jesuitenorden von der Mitschuld an dieser That freizusprechen.'*
3) Die in älteren Darstellungen vorgetragene Ansicht, dass Loyohi
die Bitte des Königs von Portugal um Uebernahme der Inquisition durcli
den Orden entschieden abgelehnt habe, vgl. Orlandini XV, 99, ist frei-
lich nach Genelli 258 nicht mehr haltbar. Es bedarf indessen noch
einer eingehenden Untersuchung, welche Haltung die Jesuiten in der
ältesten Zeit zu der Inquisition einnahmen. Auch in dem obigen Falle
ist der Inquisitor selbst ein Dominikaner, und zwar, wie es scheint,
derselbe, welcher früher gegen den Stifter der Gesellschaft Jesu einge-
schritten war ; Cartas I, 69. '
4) Kampschulte Calvin I, S. 280 hat wohl mit Recht die Nach-
richt bei Frizzi nicht benutzt. Vgl. „Renata" S. 35.
358 Sitzung der histor. Classe vom 2. März 1878.
stocktheit; trotz aller ihrem königlichen Blute erwiesenen
Rücksicht sei längere Duldung nicht möglich, denn sie sei
völlig dem Lutherthum ergeben, verachte die Messe, und
habe den Geistlichen, welcher eine solche vor den jungen Prin-
zessinnen zu lesen beauftragt gewesen, zurückgeschickt. Auf
die Drohung, dass man die Töchter von ihr entfernen werde,
habe Renate endlich in deren Beichte und Communion ein-
gewilligt, dann aber über die Persönlichkeit des Beicht-
vaters — Pelletarius — aufs Neue Anstände erhoben, ob-
schon derselbe ein Franzose von Geburt sei. Sie habe ihn
nicht hören wollen, weil derselbe nicht bereit gewesen sei,
in der von ihr gewünschten Weise die Beichte entgegen
zu nehmen ; sie schien ihn, wie der Herzog sich ausdrückt,
für einen Teufel zu halten. Aus diesen Gründen bat der
Herzog den König um Hersendung eines tüchtigen Theo-
logen und um briefliche Einwirkung auf die Herzogin, da-
mit er selbst die sonst vielleicht im Interesse der Töchter
nicht zu umgehende Entfernung derselben von ihrer Mutter
vermeiden könne.
Heinrich H. erfüllte die beiden ihm vorgetragenen
Bitten ; der Connetable theilte im Mai dem Gesandten Fer-
rara's mit, dass der König über die Lutherische *) Angelegen-
heit in durchaus entsprechender Weise der Herzogin ge-
schrieben habe, und den Dominikaner Oriz zu derselben
absenden werde; bald nachher reiste Oriz wirklich nach
Ferrara. Sein Erfolg war anfänglich gleich Null ; der Herzog
schrieb seinem Gesandten in Frankreich, er würde, nachdem
der Weg der Milde ohne Ergebniss geblieben, zur Strenge
überzugehen genöthigt sein. In der That wurde Renate, als
sie die von ihr angeblich dem Cardinal Hippolyt und Oriz
1) Wenn hier, entsprechend der Ausdrucksweise der Quellen, der Be-
griff Lutherthum auch dort angewandt wird, wo es sich um den Calvi-
nismus handelt, so wird dies wohl Niemanden irre führen.
V, Dru/fel: Herzog Herkules von Ferrara etc. 359
ertheilte Zusage, der Messe beizuwohueu, wie man vermuthete
auf das Zureden eines Genfer Abgesandten hin, nicht er-
füllte, von dem Inquisitor Oriz förmlich für häretisch und
ihrer Besitzungen und Einkünfte verlustig erklärt, und an
den Herzog die Aufforderung gerichtet, ihr die Töchter
wegzunehmen. Der Florentiner Gesandte Babbi berichtete dies
am 7. September seinem Herrn, indem er beifügte, dass die
Einkünfte der Herzogin sofort genommen worden seien,
und dass man erwarte, ein gleiches werde mit den Töchtern
geschehen, die Herzogin selbst in Haft gelegt werden. Schon
in einer Nachschrift konnte er melden, dass, seiner Vermuth-
ung entsprechend, mitten in vergangener Nacht die Her-
zogin verhaftet worden sei; nur zwei Gesellschaftsdamen
waren ihr gelassen worden, die Töchter erhielten Unter-
kunft in einem Kloster. Dies Mittel führte schnell zu dem
gewünschten Ziele: bereits am 13. September wusste Babbi,
dass die Fürstin gebeichtet hatte und der Messe beiwohne.
Der Inquisitor war, weil seine Mission erfüllt war, nach
Frankreich zurückgekehrt.
Trotzdem wurde noch nicht gleich das frühere Verhält-
niss zwischen dem Fürstenpaare hergestellt, obgleich dies
Babbi am 13. September für wahrscheinlich erklärt hatte.
Zwei Tage nachher fand eine längere persönliche Verhand-
lung des Herzogs mit Renate statt. Dem Gemahl war noch
nicht Genüge geschehen. Babbi sprach jetzt die Ansicht aus,
vor ihrer Befreiung werde Renatens Hofstaat verändert und
ihr Einkommen, das der Herzog ihr am liebsten vollständig
nehmen wolle, beschränkt werden. Noch immer leistete aber
Renate den Zumuthungen, welche ihr in religiöser Hinsicht
gemacht wurden, Widerstand ; der Priester, welcher die Messe
vor ihr lesen sollte, bekam sie nicht zu Gesicht, sie erklärte
wiederholt, zwar an die katholische, aber nicht an die Rö-
mische Kirche zu glauben. Die Drohung mit strengeren
Massregeln bestimmte indessen, zum grossen Bedauern ihrer
360 Sitzung der histor. Clause vom 2. März 1878.
Gesinnungsgenossen, Renate am 23. September, dass sie die
Communion empfing. Jetzt wurde sie aus der Haft losge-
lassen, in Freiheit konnte sie am 26. September ihren aus
Frankreich heimkehrenden Sohn Alfbnso begrüssen ^).
Babbi schrieb über die Communion der Herzogin, man
müsse annehmen, dass die Fürstin sich mehr aus äusseren
Rücksichten als durch den eignen Willen und weil sie an
das Sakrament glaube, dazu habe bestimmen lassen. Es ist
ein missliches Ding, in diese Geheimnisse des menschlichen
Herzens eindriugen zu wollen, aber man wird sagen dürfen,
dass die äusseren Verhältnisse Babbis Ansicht begreiflich er-
scheinen lassen, und dass die ihrer bisherigen Gesinnung
durchaus entsprechende spätere Haltung Renatens dieselbe
bestätigt ^).
1) Die obige Erzählung stützt sich auf Masi und Bonaini. In
Englischen Depeschen finden sich folgende Stellen : Masone schreibt
1554 Oktober 10. aus Brüssel: Proin Italy they hear that the duke of
Ferrara has committed his wife to custody in his own house and having
sequestered his two daughters within an abbey in the town has dis-
missed his wife's train and household. The reason is supposed to be
long dissension on account of religious opinions, the duchess having for
raany years been noted to be a great favourer of such, as name them-
selves gospellers, whereof the pope has more than once written to the
duke. Others assign it to sorae proof, that she was the raean of sen-
ding his son into France for which divers have long remained in prison ;
but as the duke favours the French factiou, this is iraprobable" ; Turn-
bull Nr. 271. Oktober 20. meldet er dann: „The dissension between
the duke and duchess of Ferrara is purely on religious grounds 'the
said duchess having a good tinie kept her house apart from her hus-
band, open to all riff raff, both out of France and from elsewhere, re-
sorting thither under that pretence; which kennel is now broken and
dissolved'. The prince of Ferrara has arrived at Ferrara very well ac-
cepted and welcomed of his father"; Nr. 275.
2) Auf Orlandini's überschwängliche Erzählung, Renate habe „in-
genti animi sensu inultoque lacrimarum imbre, plaudentibus ut in coelo
angelis sie in terra raortalibus" bei Pelletarius gebeichtet, wird man
kein Gewicht legen dürfen. Wenn er dann weiterhin berichtet: „ex eo
V. Druff el: Herzog HerhiJcs von Ferrnra etc. 361
Nach der äusserlichen Unterwerfung Renatens unter die
Vorschriften der Kirche, stand Herzog Herkules allerdings
von weiteren Zumuthungen religiöser Art ab. Indessen
trat jetzt ebensowenig ein herzliches Einvernehmen zwischen
den beiden Gatten ein , als ein solches vor dem offenen
Zerwürfniss vorhanden gewesen war ^). Rabelais erzählt,
dass bei jener Verhandlung über die dem Papste zu zahlende
Summe, Paul HI. auf Renatens Bitte 50000 Sc. nachlassen
wollte, um dadurch die eheliche Liebe des Herzogs zu der-
tempore ponere apud eumdeni sua rite peccata per intervalla et ipsa et
omnis eins domus instituit, felix si sciret donum Dei aestiinare et in
recte coeptis adhibere constantiain", so darf man daraufhin nicht etwa
behaupten, flass Pelletarius, um den Schein zu retten, wiederholt Renate
die Sakramente gespendet habe, obschon er deren Gesinnung kannte.
Orlandini ist keine zuverlässige Quelle. Wir haben es lediglich mit
einer grosssprecherischen Erzählung zu thun, wie wir einer ähnlichen hin-
sichtlich der wahnsinnigen Johanna Lei Cienfuegos Vida del grande
S. Francisco de Borja begegnen. ,, Confessola despacio'' schreibt Cien-
fuegos, er schildert, wie die Königin durch die Gebete Borja's die
Vernunft wieder erlangt habe. Gachard in seinem Aufsatz „Les der-
niers moments de Jeanne la folle" in den Bulletins de l'Acaderaie
royale, 1870, tome XXIX SS. 3:j3, 395. brachte es fertig, ihm nachzu-
schreiben, indem er bei der Wiedergabe des Briefes Karls V. an Ferdi-
nand vom 10. Mai auf S. 399 gerade die entscheidenden Worte ,,com-
bien que pour la disposition en laquelle eile estoit Ton ne soit S9eu
parvenir a ce qu'elle feit particuliere confession" übersah. Diese Stelle
findet sich an dem Platze, wo Gachard eine Lücke anzeigt, Z. 4. Der
Text fährt nach „confession" fort : „si sont este ses dernieres propoz tels,
se recommandant a la fin ä nostre saulveur et ä sa passion, que, oultre
ce qu' il fault esperer, les passees pendant Testat ouquel eile a este
quelque temps ne luy serout imputees, que Dieu aura mercy d'elle et
l'auia appellee avec les bien-heureux , dont je luy supplie de tres
bon coeur. — Et faiz etc. Man darf nie vergessen, dass eine von Je-
suiten verfasste Biographie eines Heiligen den Zweck hat der Erbauung
zu dienen, und dass sich die historische Wahrheit dieser Tendenz unter-
ordnen muss.
1) Les lettres de Rabelais par Sainte-Marthe, Brüssell710,S.35.
362 Sitzung der histor. Classe vom 2. März 1878.
selben zu steigern. Also Hess dieselbe schon damals zu
wünschen übrig. Im Jahre 1539 waren Misshelligkeiten
eingetreten, weil dem Herzog die Französische Umgebung
der Gemahlin nicht behagte. Damals war besonders der Haus-
hofmeister der Herzogin Mr. de Pons, welcher später in
der Bartholomäusnacht sein Leben verlor ^), Gegenstand seiner
Abneigung; nach seiner Beseitigung würde man auch den
Andern zu Leibe gegangen sein ^). Diese seine Bestrebungen,
gegen welche Franki-eich den früher stets erhobenen Wider-
stand, sobald die Religion mitspielte, fallen gelassen zu haben
schien, setzte Herkules auch jetzt fort. Er wollte erstlich
die Franzosen entfernen, welche die Selbständigkeit der ge-
borenen Prinzessin von Frankreich stützten, und ferner die
Einkünfte seiner Gattin mit den seinigen vereinigen^).
Aber jetzt begegnete er wieder bei Frankreich, anstatt der
zeitweilig gefundenen Unterstützung heftigem Widerstände.
Der König wie der Connetable*) nahmen sich Renatens an, und
1) Young n, 81.
2) Vgl. Ribier I, 453.
3) Für die Beurtheilung des Verhältnisses zwischen den heiden
Ehegatten würde Kenntniss des Ehe Vertrags das noth wendigste sein.
Ribier hat davon das Originalconcept gesehen und macht darüber einige
Mittheilungen I, 454. Ueber die Anforderungen welche Alfons von Fer-
rara erhoben hatte, besitzen wir eine kurze Mittheilung bei Bonnet,
Revue chretienne S. 306, welche von dem Modeneser Archivar Herrn
Foucard stammt. Danach hatte er die Grafschaft Asti mit 200000 Gold-
thalern als Mitgift Renatens gefordert, sich selbst aber mit Rücksicht
auf den Brauch Italiens für von jeder Ausstattung des Sohnes befreit
gehalten. Nach Muratori II, 353 übersandte er indessen seiner Schwieger-
tochter zur Hochzeit für lOOOOO Thaler Juwelen.
4) Als Herkules jenen Brief vom 27. März 1554 an Heinrich II.
schrieb, bemühte er sich auch den Connetable für seine Ansicht zu ge-
winnen. Er schrieb demselben am 26. März: „Apresso perche ho dato
commissione al predetto mio oratore comunicar con V. Ex. molte cose,
et sin le altre certo mio particolare, del quäle, per importarmi et pre-
mermi assai, ne scrivo una longa lettera de mia mano a S. M*^ prego
con tutto il core predetta r. Exe. ad contentarsi di favorir si justa et
V. Druffel: Herzog Herlcules von Ferrara etc. 363
betonten gegenüber dem Gesandten Perrara's Alvarotti, dass
man die aus Französischem Blute entsprossene Fürstin würdig
behandeln müsse. Der Herzog kam mit seinen auf das
ungeeignete Verhalten Renatens begründeten Einwendungen
nicht zur Geltung; er wurde zur Duldung ermahnt mit der
allgemeinen Bemerkung, dass die Frauen bekanntermassen
unvollkommener seien als die Männer, und dass er um so
mehr Nachgiebigkeit üben müsse, da die Fürstin alt und
kränklich sei und schwerlich noch lange leben werde. Gegen-
erinnerungen Alvarotti's wurden in einer Weise zurückge-
wiesen, dass dieser es für besser hielt, dem Herzoge selbst
zum Einlenken zu rathen. ,,Wenn ich Ew. Excellenz im
Vertrauen meine Meinung sagen soll, so bemerke ich in
aller Ehrfurcht, dass, wenn Sie der Fürstin die bisher ge-
reichten üblichen Einkünfte ganz oder theilweise einbehalten,
und in ihre Umgebung nur nach eignem Ermessen Diener
zulassen wollen, Ew. Excellenz dieselbe verlieren werden;
wenn Sie auch damit durchdringen sollten, so würden Sie
hier erheblich einbüssen. Die Tochter Ew. Excellenz, Ma-
dame von Guise hat mir mitgetheilt, dass der König, Ma-
dame von Valentinois [Diana v. Poitiers], Madame Marga-
rethe [Heinrich H. Schwester] und, kurz gesagt, alle die
Andern gegen Ew. Excellenz sehr erbittert sind, und dass
der König jenes niemals dulden wird ; denn er sagte, auch er
habe Töchter zu verheirathen und wolle nicht, dass man
auf Renatens Beispiel hinweisen könne, um jenen eine ähn-
liche Behandlung voraus zu sagen, und endlich sagt man
auch, dass Ew. Excellenz selbst bezüglich der Religion aus
keinem anderen Grunde eingeschritten sei, und man meint ^)
Santa opera, la quäl oltre che sarä accetta a Dio N. S*"® doverä anche
essere di non poca satisfattione a tutti quei che amano l'honor del sere-
nissimo sangue di Francia". Paris Bibl. nat. Fonds Fran9ais 1329.
1) Ich lese „par loro" statt „per loro**.
364 Sitzung der histor. Classe vom 2. März 1878.
und spricht es aus, dass Ew. Excellenz, die so gross und
mächtig ist, nicht auf solche Dinge sehen dürfe, und man
lästert darüber so sehr, dass man wohl darüber in Schrecken
gerathen mag Man ist der Ansicht und giebt sie kund,
dass bei Ew. Excellenz nichts gilt, als der eigene Nutzen :
hätte Ew. Excellenz nur vor einigen Jahren auf die Dinge
gesehen, die ihr jetzt so zu Herzen zu gehen scheinen ! So
aber konnte geschehen, wozu es sonst nie gekommen wäre.''
Sehen wir, dass der Französische König in dem Augen-
blicke, wo die Religion in Frage kam, in den Zerwürfnissen
zwischen dem Esteschen Fürsten paare auf die Seite des Her-
zogs tritt, während er sonst vorher und nachher sich mit
Eifer der geborenen Französischen Prinzessin annahm, so
liegt gewiss die Annahme nahe, jene religiösen Verhältnisse
seien für ihn bei seinem Verhalten die eigentlich bestimmen-
den gewesen. Gleichwohl steht dem die Erwägung ent-
gegen , dass es kaum begreiflich wäre , wenn man am
Französischen Hofe sich dem Glauben an eine ernstliche
Gesinnungsänderung der Herzogin hingegeben hätte und
andererseits tritt uns sonst am Hofe Heinrich H. ein der-
artiger katholischer Eifer keineswegs entgegen. Freilich
wurde auch dort wohl bei einer Frohnleichnamsprozession
Gott auf den Plätzen von Paris ein aus Ketzern bestehendes
Brandopfer dargebracht ^), dann aber wieder Hess der König
aus politischen Gründen sein Kind von den Gesandten des
protestantischen Zürich zur Taufe tragen und die Königin
Katharina von Medici scherzte darüber, ob so das Ketzer-
gift nicht ansteckend wirken könne *). Bei der Unvoll-
1) Vgl. den Brief des Connestable an den Cardinal Bellay und an
Urfe, 1549 Juli 8.. D ruf fei Beiträge I, 314.
2) Ricasoli an Cosimo bei Desjardins III, 223: de' quattro can-
toni toccö a quel di Zürich che e Luterano a portar la figlia; sopra di
che feci ridere la regina, dicendole che la creatura crescendo portava
pericolo di pizzicarne et che pregasse Dio che ne la guardasse, perche
V. Bvuffel: Herzog HerJcules von Ferrara etc. 365
ständigkeit unserer Keuntniss jener Epoche der Französi-
schen Geschichte wird man sidi eines abschliessenden Ur-
theils begeben müssen. Nur auf eine entfernte Möglichkeit
hinzuweisen, möge ver stattet sein. Grade in jenem Sommer
des Jahres 1554 weiss der Florentiner Gesandte am Este-
schen Hofe von der warmen Sympathie zu erzählen, welche
Renate sowohl wie ihre Töchter für den mit Frankreich
im Kriege befindlichen Herzog Cosimo hegten ^), ja er ver-
sichert, dass ihm eine der Letzteren zu dem bei Marciano
erfochtenen Siege des Herzogs über die Franzosen Glück
gewünscht habe. Ist es da nicht denkbar, dass man unter
dem Yorwande der Religion die Herzogin von einer den
Französischen Interessen widerstrebenden Politik hätte ab-
bringen wollen? 2)
Mit grösserer Bestimmtheit, als bei Heinrich II. wird
man bei dem Herzog Herkules andere Gründe für sein Ein-
schreiten gegen Renate annehmen dürfen. Hier stimmt
die Art, wie er sich selbst über religiöse Fragen den Deutschen
Protestanten gegenüber ausspricht, trefflich zu dem, was
wir über sein sonstiges Verhalten von Französischen wie
Italienischen Diplomaten erfahren. Freilich bleibt auch
hier noch Manches dunkel ; nur wenn einmal mehr von
si vede che questo male e contagioso. Garnier in den Genealogischen
Tabellen giebt den Geburtstag des nach Turnbull Nr. 122 am 1. Febr.
1549 geborenen Prinzen Louis falsch an.
1) Bei Bonaini im Archivio st. Italiano 1859 N. S. Bd. 10, S.
272 Anra. Bonaini erklärt den Brief mit der damals oft für die Fürsten
nothwendigen Unterdrückung der wahren Gefühle. Es ist indessen zu
beachten, dass der Gesandte hauptsächlich von dem spricht, was er
selbst erfahren hatte : Intendo che questa excellentissima Madama etc.
Bonaini erwähnt, dass zahlreiche Briefe Renatens aus der späteren Zeit
im Mediceischen Archiv liegen.
2) Aus der Sendung des Grafen Montecuculo durch Herkules an
Philipp von Spanien und Maria von- England wird man eine Spanien
freundliche Haltung des Herzogs nicht folgern können. Vgl. Calendar
[1878. I. Philos.-philol. bist. Gl. 4.] 27
366 Sitzung der histor, Classe vom 2. März 1878.
den geheimsten Aktenstücken des Esteschen Archivs ans
Licht gezogen ist, wenn maoi mehr von den Berichten der
Agenten weiss, für welche der Herzog Herkules mehr Geld
ausgegeben haben soll, als irgend ein anderer Fürst ^), wird
man zu einem klaren Einblick in diese Politik gelangen
können, an deren Durchdringung, wie bereits oben erwähnt
wurde, die meisten zeitgenössischen Diplomaten und der
Kaiser Karl V. beinahe verzweifelten 2).
of State Papers, Venetian, Vol. V, Nr. 886, 895, 928, und die Vorrede
zu Vol. VI, S. LX; wir erhalten die tröstliche Aussiclit, dass wie in
dem Appendix zu Bd. 4, Akten von 1376—1551, so in dem Nachtrag
zu der zweiten Abtheiiung des 6. Bandes 130 Dokumente abgedruckt
werden sollen, welche den Jahren 1363-1556 angehören, vermuthlich
um die Orieutirung für den Benutzer zu erleichtern ! Wann werden die
Italiener endlich den Engländern, welche die Depeschen der Italienischen
Renaissancezeit in ungelenkes Englisch umballhornisiren, Concurrenz
machen, und es uns ermöglichen, statt in unerträglicher Breite, wie bei
Rawdon Brown, den Berichten der Venetianer die weniger wichtigen
in kurzen Auszügen und dann die wichtigeren Depeschen im ursprüng-
lichen Wortlaut zu benutzen. Oder könnten so hervorragende Männer,
wie Foucard und Cecchetti, es nicht wenigstens bei ihrer Unterstützung
der Calendars zur Bedingung machen, dass die von ihnen selbst ge-
lieferten Beiträge in der ursprünglichen Sprache erscheinen ? Das würde
vielleicht die Engländer zur Erkenntniss bringen, dass sie sich auf einem
falschen Wege befinden. Nur bei Regesten, welche den wesentlichen
Inhalt kurz zusammendrängen, kann man sich eine fremde Sprache ge-
fallen lassen, sobald dieselben den Charakter von Uebersetzungen an-
nehmen, ist dies unerträglich. Das Verfahren der Engländer bedeutet
nichts anderes, als wenn sie Goldgefässe der Renaissancezeit in Sovereigns
umprägen wollten, weil es Engländer gibt, für welche Gold nur in
dieser Form Werth hat.
1) Joh. Heise schreibt dies 1553 März 2 an Kurfürst Moritz- So
konnte z. B. Ferrara's Gesandter in Rom dem Papste 1549 als der Erste
die Verständigung Oktavio's mit Gonzaga melden. Brown Nr. 586,
vgl. Nr. 655.
2) In der Instruktion für Philipp II, Weiss III, 282, heisst es; el
dicho duque a dicho siempre e confessado en que m'es, todavia se a
entendido que con el deudo que tiene en Francia y estar allä el oar-
V. Druff rl: Herzog Herkules von Ferrara etc. 367
Bis jetzt ist das Ergebniss vorzugsweise negativer iVrt :
Man wird bestreiten können, dass die religiöse Haltung
Renatens der eigentliche Grund ihrer Quälerei durch den
Gatten war, uud ebenso wird wohl auch den Jesuiten die
Lust schwinden, künftig im Einklang mit ihrem Stifter und
ihren Geschichtschreibern den Namen Herkules von Perrara
zu verherrlichen.
denal su hermano en favor, el es muy inclinado a quella parte, y ansi
tenipori9areis con el ; tened advertencia d'este aviso y de sus andamicn-
tos. Vgl. Fiedler S. 56.
27'
Sitzung vom 4. Mai 1878.
Philosopliisch-philologisclie Classe.
Der Classensecretär legte eine Abhandlung des Herrn
G. F. ünger vor:
Diodors Quellen in derDiadochengeschiclite.
Der grösste Theil der drei letzten vollständig erhal-
tenen Bücher Diodors (XVIII— XX) ist der Diadochenge-
schichte gewidmet; als den Schriftsteller, aus welchem sie
der Compilator ausgezogen hat, bezeichnete zuerst Mannert,
Geschichte der Nachfolger Alexanders p. 352 den Lands-
mann und Genossen des Eumenes, Hieronymos von Kardia,
und obgleich in der ersten Auflage des Meisterwerks, wel-
ches die Geschichte des Hellenismus behandelt, Droysen
ausserdem noch den Duris, Diyllos und Zenon als Quellen
Diodors angesehen wissen wollte (Gesch. d. Nachf. Alex. p. 670),
so sprachen sich doch Brückner, de vita et scriptis Hiero-
nymi Cardiani, Zeitschr. f. Alterthumsw. 1842 p. 252 und
C. Müller, Fragm. bist. gr. II 450 im Sinne Mannerts für
die Annahme aus, dass bloss Hieronymos der Diadochen-
geschichte Diodors zu Grande gelegt sei. In neuen Fluss
kam die Frage, als es sich herausstellte, welches Werk in
den auf Agathokles von Syrakus bezüglichen Stücken des
XIX. und XX. Buchs benützt ist. Dass hier Duris Diodors
Quelle ist, kann keinem Zweifel mehr unterliegen, s. Haake,
de Duride Samio Diodori fönte. Dissert. Bonn 1874; Roe-
siger, de Duride Samio Diodori Siculi et Plutarchi auctore.
Dissert. Göttingen 1874; ünger im Philol. Anzeiger 7,126;
Unger: Diodors Quellen in der Diadochengeschichte, 369
Nitsche, König Philipps Brief au die Athener und Hiero-
nymos von Kardia. Progr. d. Sophiengymn. Berlin 1876.
Jetzt musste sich die Erwägung nahe legen, ob nicht auch
die Diadochengeschichte auf Duris zurückgeht, und da ein
Fragment dieses Geschichtschreibers grosse Aehnlichkeit mit
einer Stelle derselben zeigt, so haben Haake und Roesiger
auch jene aus ihm abgeleitet. Dieser von mir a. a. 0.
wenigstens für einen Theil der Diadochengeschichte beifällig
aufgenommenen Ansicht setzte aber Nitsche entschiedenen
Widerspruch entgegen; die von ihm entwickelten Gründe
billigte Droysen im Hermes 11,464 und die neue Ausgabe
seines Werkes behandelt demgemäss Hieronymos als den
Gewährsmann Diodors (Geschichte der Diadochen 1878) ;
zu demselben Ergebniss kam Reuss, Hieronymos von Kar-
dia. Berlin 1876, Volqnardsen in Bursians Jahresbericht
für 1876. I. 401 ff. und Kallenberg, die Quellen der Nach-
richten über die Diadochenkämpfe bis zum Tode des Eume-
nes und derOlympias, im Philologus 37,223 ff. Nur Rössler,
de Duride Diodori Hieronymo Duridis auctore. Dissert.
Göttingen 1876 hat Haakes und Roesigers Meinung wieder
aufgenommen und nicht ohne Scharfsinn, jedoch, wie Vol-
qnardsen a. a. 0. zeigt, mit unzureichenden Gründen ver-
fochten.
Die Benützung des Hieronymos durch Diodor halte ich
auf Grund der angeführten Darlegungen für unumstösslich
erwiesen, obwohl nicht alle in denselben vorgebrach-
ten Beweise für stichhaltig gelten dürfen und andere nicht
vollständig zu ihrem Recht gekommen sind. Auch reichen
dieselben nicht aus , um die Ableitung der ganzen Diado-
chengeschichte aus Hieronymos zu begründen ; von mehreren
Abschnitten des XVHI. und XIX. Buchs dürfte sich viel-
mehr mit Evidenz zeigen lassen, dass sie anderen Ursprungs
sind. Dies soll in Cap. IH der vorliegenden Arbeit unter-
nommen und im Cap. IV der Name des anderen Gewehrs-
370 Sitzung der philos.-phüol. Classe vom 4 Mai 1878.
manns aufgesuclit werden ; zu diesem Behuf ist es aber
nötliig, vorher die Gründe, welche für Hierouymos als
Hauptquelle sprechen, zusammenzustellen und, weil ich einen
Hauptbeweis für die Annahme von zwei Quellen in dem
Vorhandensein einer doppelten Jahrrechnung finde, die des
Diodoros und Hieronymos nachzuweisen. Die Fragmente
der späteren Bücher habe ich nicht in den Kreis der Un-
tersuchung gezogen.
I.
Hieronymos.
Fest steht, dass Diodor überall gute alte Quellen, an-
gesehene Originalwerke zu Grunde gelegt hat , wie für
die griechische und allgemeine Geschichte bis auf Philippos
von Makedonien den Ephoros, für die sicilische und unter-
italische Timaios, über Alexander d. Gr. Kleitarchos, bei
Agathokles Duris, endlich in der römischen Zeit Polybios
und dessen Nachfolger Poseidonios. Solcher gab es für die
Diadochengeschichte drei : Diyllos von Athen , den Fort-
setzer des Ephoros für die Zeit von 341 — 296, Hieronymos
den Geschichtschreiber der Diadochen von 323 bis minde-
stens zum Tod des Pyrrhos, und Duris, dessen allgemeine
Geschichte von 370. bis 281 oder weiter reichte. Ferner
hat sich bis jetzt keine Spur davon gezeigt, dass Diodor
mehrere Quellen ineinander verarbeitet; vielmehr hat er
wahrscheinlich überall nur einen Gewährsmann zu Grund
gelegt und darf mithin jede zusammenhängend dargestellte
Partie vollständig auf die Quelle zurückgeführt werden,
welche an einer oder mehreren Stellen derselben zu er-
kennen ist.
Gleich den Anfang der diodorischen Diadochengeschichte
von XVIIl 1 bis 21 dürfen wir darauf hin dem Hieronymos
zuweisen: denn die einzelnen Stücke dieses Abschnitts ver-
rathen eine Quelle, in welcher die Geschichte Alexander
ünger: Dioäors Quellen in der Diadochengeschichte. 371
des Grossen nicht beschrieben war. Für die Geschichte des
kyrenaischen Krieges hat dies Reuss p. 116 an XVIII 19
gezeigt: f.israßrjaoi.isS'a jtQog rov sv rfj Kvqrivrj TtoXefxov %va
de f.ir (xaxqdv Tolg xQovoLg ajtonXavixJixev to ovve%eg rrjg
^OTOQiag, avaynaiov eoti ßqaxv Totq xgovoig jtQOOavaöqafxeiVy
07tiog oaqtsGTegag 7toii^ocof,iev rag xard i-iegog ngd^eig. Di5'llos
und Duris hatten die Vorgänge, auf welche hier zurück-
gegangen wird, sicher schon in der Geschichte Alexanders
erwähnt, zumal da sie Athen mitbetrafen; sie würden sich
also jetzt mit einer kurzen Rückverweisung begnügt haben.
In noch höherem Grade gilt dieser Grund, wie wir glauben,
von der Einleitung zur Geschichte des lamischen Krieges
XVIII, 8 : Lddrjvaioi TtQog ^vxiitatqov TtoXe^ov e§r]V£yyiav
Tov 6po(.iao&evra ylafxiaKOv. rovxov öe y.al tag alrlag dv-
ayyiaiov eori TCQoeyiS^io&ai xdqiv tov üafpeOTiqag yereod^ai
rdg ev atra) ovvreleod^eloag Trqd^eig. Ebenso würde, worauf
Brückner p. 263 aufmerksam macht, auch die geographische
Auseinandersetzung über die Satrapien XVIII 5 — 6 ein
Anderer als Hieronymos schon unter Alexander angebracht
haben.
Zu drei Fragmenten des Hieronymos finden sich
Parallelstellen bei Diodor. Ueber den Tod des Ariarathes
stimmt XVIII 16 fast wörtlich mit Hieron. bei Ps. Lukianos
Makrob. 13 überein und die ihm eigenthümliche Vorstellung
über den Weg, welchen Alexander durch Kleinasien nahm,
bei Appianos Mithrid. 8 findet sich XVIII 3 und 16 wieder.
Dadurch wird die eben besprochene Ableitung des Anfangs der
Diadochengeschichte Diodors für den asiatischen Theil der-
selben bestätigt. 'Das dritte Fragment, das Todte Meer be-
treffend, bei Sotion 33 (Westermann Paradoxogr. p, 188),
stimmt genau zu XIX 98 und die ganze so ausführliche
Darstellung der verhältnissmässig geringfügigen Unternehm-
ungen des Antigonos gegen die Nabataier XIX 94—100
372 Sitzung der philos.-philol. Classe vom 4. Mai 1878,
begreift sich eben daraus, dass Hieronymos selbst dabei be-
theiligt war.
Dies führt uns auf einen andern, noch nicht genug
hervorgehobenen Punkt, auf die wiederholte Nennung des
Hieronymos, welche an allen vier Stellen nur in der Ab-
stammung derselben aus seinem Werke eine genügende Er-
klärung findet. Die erste steht XVIII 42 6 Evi^Uvrjg rtqog
tov ^vTinaTQOv TtQeoßevrag ajtlöTuXe Tteql tcüv ofioloyitvi^
cüv r]v i^yovf.i€vog "^leqwvv^iog 6 xag rcov dLaö6%o)v lavoQiag
yeyQa(p(lg. Für die Nachwelt war es gleichgiltig, wie der
Sprecher der Gesandtschaft hiess, und bei anderen Gesandt-
schaften legt unser Geschichtschreiber kein Interesse für
den Namen ihrer Träger an den Tag, z. B. XVIII 49
e^aTteotEiXe {Kaooavdqog) Ttqog nrolsf-imov lad^qa JtqE-
aßevTccg ; 57 e7tef.i\pe de xal Ttqog Evi.ievrj ; XIX 57 TtaQ-
eyevovTO Ttqeoßeig jtaqa re Urolei^ialov Kai ^voifidxov xal
KaoaavÖQOv. Wir würden daher auch hier nur einen ähn-
lichen Ausdruck lesen wie in derselben Sache bei Justinus
XIV 2, 4 legatos deinde ad Antipatrum misit, wenn der
Gewährsmann nicht ein sehr grosses Interesse für die Per-
son des Botschafters gehabt hätte, d. h. wenn er es nicht
eben selbst gewesen wäre. Ganz dasselbe gilt von XVIII 50
^ivTiyovog '^leqojvvf.iov (.liv tov zog lazoQiag ygaipavza fAer-
ETtefxipaTOj g)iXov ovta y,al TtollTrjv Ev/uevovg tov Kaqdiavov
TOV ovf-iTtefpevyoTog elg NwQa. tovtov de ixeyaXaig Scogeälg
TtQoytaXeoafAsvog e^arteoTeiXe TtqeaßevTTjV Ttqog tov Ev/xevr]^
TtagaKaliov Trjg (abv Tteql KaTtrcctdoKiav (Aaynfjg yevoi^ievr^g
Ttqog avTov hcLlad^ead^ai etc. Gegen Roesiger p. 59 und
Roessler p. 29, welche hier eine Bestechung, der sich Hiero-
nymos zugänglich gezeigt habe, und demgemäss einen Be-
weis gegen seine Autorschaft finden, hat das Nöthige Droysen
1, 191 und Volquardsen p. 410 bemerkt; es war vielmehr
ein Freundschaftsdienst, denn Eumenes wäre sonst aus der
Einschliessung nicht befreit worden, und Hieronymos gibt
Unger: Diodors Quellen in der Diadochengesckichte. 373
zugleich zu verstehen, wie hoch seine eigene Mitwirkung
von Antigonos augeschlagen wurde. Auf Grund dieser zwei
Stellen sind die Capitel XVIII 40 - 42 und 50-53 auf
Hieronymos zurückzuführen. — Noch weit weniger, ausser
für Hieronymos selbst oder etwa einen Literarhistoriker,
war zur Nennung desselben und überdies zur Hervorhebung
seiner Lebensumstände XIX 44 Anlass, wo er in der
kläglichen Stellung eines Gefangenen und Verwundeten vor
allen seinen Schicksalsgenossen herausgehoben wird : dvrjxS^rj
ö^ev to7g rqavpiaTiatg alxf^cclcorog y,al 6 rag loToqiag ovvza-
^(Xf.ievog '^IsQOJvvj.iog 6 Kaqdiavogj og tov f^ev ei^iTtQOod^ev
XQOvov VTt Eifxivovg TifAcoi^ievog öieteleöe , (-lEza. de tov
i-aelvov d-ctvarov vn !Auziy6vov IxvyyavE (fiXavd^QiOJtiag 'Aal
TtiOTecog ; im Munde des Hieronymos selbt hat diese Hervor-
hebung ebenso wie die andern den Zweck, dem Leser be-
merklich zu machen, dass der Erzähler Augenzeuge und
Mitwirkender bei den Ereignissen gewesen ist. Ein grosser
Theil des XIX. Buchs, die ganze Erzählung von dem mehr-
jährigen Krieg zwischen Eumenes und Antigonos sammt
dem Bericht von der Rückkehr des letztereu aus Hochasieu,
zeigt sich hieran als Auszug aus Hieronymos. — Etwas
bedeutender ist die Stellung, welche Hieronymos XIX 100
einnimmt: die eines Verwalters der Asphaltgewinnung aus
dem Todten Meer. Vergleicht man die grossartigen Ver-
hältnisse, in welchen die sonst in der Diadochengeschichte
gemannten Personen auftreten, so wird man finden, dass ein
anderer Gewährsmann als Hieronymos selbst von dem Ver-
walter entweder gar nicht gesprochen oder ihn nur so un-
bestimmt bezeichnet haben würde, wie dies z. B. XVIII 53
in den Worten 6 TtohoQxcov tov Evj.ievrj mit dem Stellver-
treter des Antigonos vor Nora geschieht. Der Abschnitt
aber, dem unsere Stelle angehört, hat sich schon aus einem
andern Grunde p. 371 als Eigenthum des Hieronymos heraus-
gestellt.
374 Sitzung der philos.-philoL Classe vom 4. Mai 1878.
Viele Eigenthümlichkeiteu und Vorzüge der diodorischen
Diadochengeschiclite sind treffend aus den Lebensverhält-
nissen und Schicksalen des Hieronymos erklärt worden,
während sie aufDiyllos und Duris keine Anwendung finden.
Den Militär, den Augenzeugen vieler Ereignisse, den Theil-
nehmer mancher von den beschriebeneu Feldzügen , den
persönlichen Kenner der asiatischen Gegenden welche ge-
nannt und geschildert werden , den Vertrauten mehrerer
von den bedeutendsten Machthabern verrathen die einge-
henden Darstellungen einzelner Vorgänge, die zahlreichen
geographischen Auseinandersetzuagen , die genauen Orts-
uud Zeitangaben, der tiefe Einblick in die Beweggründe und
letzten Absichten der handelnden* Personen, die authenti-
sche Mittheilung von Briefen und Urkunden, s. Reuss p.
85 — 113 und Kallenberg p. 222 fg. Noch weiter führen
die Nachweise des letzteren p. 224 fg. : wie Diodor am aus-
führlichsten bei den drei Männern wird, in deren Dienst und
Vertrauen Hieronymos nacheinander gestanden, beiEumenes
Antigonos und Demetrios, wie die Marschzeiten und Weg-
längen, die Stärkeverhältnisse der Truppen, die Schlacht-
aufstellungen u. a. am meisten und genauesten bei den Un-
ternehmungen und auf der Seite dieser drei Heerführer zu
finden sind.
Unter den Beweisen, welche Nitsche gegen die Ableit-
ung der Diadochengeschichte Diodors aus Duris vorbringt,
ist der triftigste die durchgängige Verschiedenheit der Aus-
drücke, in welchen einerseits dort, andererseits in der Ge-
schichte des Agathokles Diodor von der göttlichen Welt-
regierung spricht (vgl. Cap. HI zu XIX \\). Da manche
Stücke der ersteren , in welchen derartige Ausdrücke vor-
kommen, positive Merkmale des Hieronymos an sich tragen,
so hat man das Recht, auch diejenigen, in welchen nur
jene, nicht aber diese sich finden, dem Kardianer zuzuweisen,
ünger: Diodors Quellen in der Diadochengeschichte. 375
und es wird dadurch die Zahl der hieronymischen Stücke aber-
mals vermehrt.
Doch reichen alle diese Kriterien, jedes an jeder Stelle
auf die ganze in sich zusammenhängende Partie in welcher
es vorkommt ausgedehnt, noch nicht hin, sämmtliche in sich
abgeschlossene Stücke auf Hieronymos zurückzuführen. Die
Möglichkeit, dass von den übrigbleibenden wenigstens eip
Theil aus einer andern Quelle geflossen ist, muss zugegeben
werden und Nitsche selbst hat zwei Abschnitte namhaft ge-
macht, in welchen wir Benützung des Duris erkennen sol-
len: XIX 32,3—34,6 und 44,4-5; obwohl freilich der
Beweis ihm nicht gelungen ist. In der erstgenannten Stelle,
welche eine indische Wittwenverbrennung schildert , fin-
det er die schriftstellerische Weise des Duris deutlich
ausgeprägt: ein vager Grund, welcher auf Volquardsen kei-
nen Eindruck gemacht hat, und welchen wir unsererseits
desswegen ablehnen müssen, weil wir weder von Hierony-
mos noch von Duris ein wörtlich ausgeschriebenes Fragment
von solcher Ausführlichkeit besitzen, dass man über ihren
schriftstellerischen Charakter so bestimmt urtheilen könnte.
Die andere Stelle zeigt starke Anklänge an Fragm. 25 des
Duris; sie ist daher von Haake, Rosiger und mir (vgl. auch
Rössler p. 53) als Ilauptbeweis für die Benützung desselben
in Diodors Diadochengeschichte angesehen worden. Vol-
quardsen sucht diesen dadurch zu entkräften , dass er Be-
nützung des Hieronymos auch bei Duris annimmt. In der
That könnte, da Duris, wie Roesiger p. 34 zeigt, den Timaios
gelesen und dieser nach Dionys. Hai. antiq. I 6 später als
Hieronymos geschrieben hat, die Uebereinstimmung zwischen
Duris und Diodor sich aus gemeinsamer Benützung des
Hieronymos erklären ; eine genauere Vergleichiing hat mich
aber zu der Ueberzeugung gebracht, dass diese Ueberein-
stimmung nicht so gross und der gemeinsame Ursprung
nur scheinbar ist Das Fragment bei Strabou 13, 19
376 Sitzung der philos.- philo!. Classe vom 4. Mai 1878.
JoiQig rag'^Payag^) Tag naxa Mr^diav cdvojuaG&ai cprjalv vird
oeiOf-icov Qayelarjg zrjg Tteql rag Kaorciovg jvvXag yYJg^ cuGTS
avarQarrrjvaL TtoXeig ovyvdg Kai Kto/itag /.al noTa(.iovg 7toi-
xlkag (.leraßolag dt^aaO-ai ist, wie wir glauben, anderen Ur-
sprungs als Diod. XTX 44 elg xr^v litaQ^ylav tyjv 7tQoaayo()ev-
Ofitvrjv ^Payag, i] Tavrrjv Tiqv TtQOOrjyoQiav eo%ev and tcov
yEvof-dvwv TTEQi avTTJv drvyrji^iaTcov ev xdlg e{.i7tQ0od^Ev yqovoig^
TtXeiorag ydq tyoioa jtoXeig tcov ev e/.eivoig xolg xojcoig xal
f-iaXiara evdauiovovoag Tr]liy,ovtovg kaye oeioixovg, Sgie xal
Tag jcoXeig Kai Tovg evoiKOivrag anavTag dfpaviG^tjvai, Ka&6-
Xov de Ti^p yoJQav dXXouod^rjvaL Kai fiOTaf^iotg ccvtI tcov
nqovTtaQyovTtov aXXovg (favivai Kai Xi^vag. Diodor lässt
die Flüsse verschwinden und ganz neue nebst Seen zum
Vorschein kommen, bei Daris erleidet bloss der Lauf der
Flüsse eine Abänderung ; ihm ist Rhagai wie allen Schrift-
stellern der späteren Zeit eine Stadt, die bedeutendste der Ge-
gend welche in den Worten Tr^g tteqI Tag Kaojtiovg TttXag be-
zeichnet ist : Diodor dagegen nimmt den Namen Rhagai in
der älteren hier allein erhaltenen Bedeutung als Bezeich-
nung eben dieser Gegend ; da nicht bloss jene Stadt sondern
wie Poseidonios bei Strabou XI 9, 1 angibt 2000 Städte
und Dörfer von dem Erdbeben getroffen worden sind , so
nannte man das Ganze die Gegend der Erdstösse. Darum
spricht Diodor von dem Untergang aller Städte und Wohn-
ungen, Duris dagegen von dem vieler.
Einen festeren Halt wird die Frage, ob neben Hiero-
1) Die Hdss. '■PayaSag, was die Herausgeber mit Recht geändert
haben. Der Narae Rhagai kommt sehr oft und immer in dieser Form
vor; eine Nebenform ^^Payd^ig 'Payadcu wäre aus dem Griechischen
schwer zu erklären. Woraufhin Nitsche p. U den Namen alteinheimisch
nennt, weiss ich nicht; die Makedoner und Griechen kamen schon 330
in die Gegend und Hieronymos , mit dem auch Duris in der Ableitung
aus dem Griechischen übereinstimmt, war sicher in der Lage, das zu
wissen.
Unger: Diodors Quellen in der Biadochengeschichte. 377
nymos noch eine zweite Quelle Verwendung gefunden hat,
gewinnen, wenn wir ein noch nicht beachtetes Merkmal der
Zugrundlegung des ersteren ins Auge fassen, nämlich das
Vorkommen der von ihm eingehaltenen Jahrform.
IL
Die Jahrrechnung Diodors und des Hieronymos.
Der herkömmlichen und allgemein geltenden Annahme
zufolge sind die Jahrbeschreibungen Diodors auf sogenannte
Olyrapiadenjahre gestellt, d. i. auf attische, mit dem Neu-
mond nach der Sommersonnwende, also um den 1. Juli au-
fangende Archonten jähre, welche mit der Nummer eines
von den vier Jahren der gerade treffenden Olympiade ver-
sehen sind, und da die Qaellenschriftsteller, welche er nach
und neben einander auszieht, die verschiedensten Jahrformen
zu Grunde gelegt haben , so nimmt man weiter an , dass
Diodor sich selbst die Mühe genommen habe , dieselbe in
seine eigene umzusetzen und die Jahrbeschreibungen der-
jenigen Geschichtschreiber, welche das Jahr nicht mitten
im Sommer aufiengen, so zu zertheilen, dass die der Som-
mersonuwende vorausliegenden Ereignisse der vorausgehen-
den Jahrbeschreibung zufielen ; bei diesem Unternehmen habe
er aber oft Fehler begangen, so dass z. B. in der Diado-
chengeschichte er nach Reuss und Volquardsen fast lauter
1/2 — 11/2 Jahre lange Abschnitte erhalten hätte.
Die Annahme, dass Diodor nach solchen Olympiaden-
jahren gerechnet habe, ist weiter nichts als ein hergebrach-
tes Vorurtheil. Diodor selbst sagt nirgends, dass er den
attischen Jahranfang als Epoche seiner Jahrbeschreibungen
angesehen wissen will; er spricht sich überhaupt nirgends
geflissentlich über die von ihm beobachtete Jahrform aus
und was zu jener Annahme Anlass gegeben hat, ist ledig-
lich der Umstand, dass er jeder Jahrbeschreibung den Na-
378 Sitzung der philos.-philoL Classe vom 4. Mai 1878.
men des entsprechenden attischen Archonten und von vier
zu vier Jahren die Nummer der gerade treffenden Olympien-
feier vorausschickt. Schon diese zwei Datirungen sind keines-
wegs, wie man gewöhnlich glaubt, übereinstimmend : denn
die Olympien wurden erst in der Mitte des zweiten atti-
schen Monats Metageitnion abgehalten^); noch schlimmer
für jene Annahme ist aber, dass Diodor ausser den Archon-
ten auch die römischen Consuln vor jeder Jahrbeschreibung
nennt, deren Amtsepoche in verschiedenen Zeiträumen ver-
schieden, zuletzt aber, seit 153 v. Gh., auf den 1. Janaar
altrömischen Kalenders gefallen ist, ein Datum das selbst
wieder vielen Abirrungen ausgesetzt war und zu Zeiten so-
gar in den Oktober oder September des vorhergehenden
julianischen Jahres zu stehen kam. Beide Datirungen, die
attische und die römische, behandelt Diodor ganz in gleicher
Weise, er gibt der ersten so wenig den Vorzug, dass ein
hervorragender Forscher, wie wir sogleich sehen werden,
sich geradezu für die andere entscheiden konnte, und wenn
derselbe auch darin zu weit gieng, so ist doch der Anfang
im Laufe des Sommers diejenige Epoche, welche man im
ganzen Werke Diodors am seltensten eingehalten, wohl aber
in sehr vielen Fällen Ereignisse an der Spitze des Jahres
findet, welche dem Frühling und überhaupt der Zeit vor der
Sommersonnwende angehören. So flüchtig Diodor auch ge-
arbeitet hat und für so ungeschickt er auch gilt : das ist
doch niemals denkbar, dass wenn er die Absicht hatte, in
den meist ausführlichen und mit Jahrzeitangaben verse-
henen Jahrbeschreibungen seiner Quellen die Zeit der Sora-
mersonn wende aufzusuchen, er sie so oft mit dem Frühlings-
anfang verwechselt hätte, und ganz unbegreiflich bleibt dabei,
wie es kommt, dass wir in der Diadochengeschichte den
Jahranfang überall an der Grenze des Winters finden.
2) Unger, der Olyrapienmonat. Philologus 33, 227 ff.
XJnger: Diodors Quellen in der Diadochengeschichte. 379
Der einzige, welcher sich frühzeitig von jenem Vorur-
theil lossagte, ist Droysen, Gesch. d. Nachf. Alex. p. 674 :
er nimmt als Jahrepoche Diodors das römische Neujahr
seiner Zeit, den 1. Januar, und erklärt die vielfachen Ab-
weichungen, welche sich ihm aufgedrängt haben, für die Folge
von Irrthum und Flüchtigkeit des Compilators. Wie Dio-
dor zur .Wahl dieser Epoche kam, gibt er nicht an ; sie
entfernt sich nicht weit von der wirklich in der Diadochen-
geschichte zu Grunde gelegten, entfernt sich aber doch von
ihr und in den andern Partien d'es ganzen diodorischen
Werkes ist sie noch viel weniger anwendbar. In der Chrono-
logie des Manetho (1867 p. 293) stellte ich als Diodors Jahr-
epoche den Anfang des Frühlings auf, desswegen weil die-
ser in den aus Timaios und aus Hieronymos gezogenen
Stücken, ebenso in vielen aus der hellenischen Geschichte
wirklich an der Spitze der Jahrbeschreibungen auftritt;
aber die Voraussetzung, welche ich mit andern theilte, dass
Diodor sich der Arbeit einer chronologischen Umrechnung
unterzogen habe, hat sich mir seitdem als trüglich erwiesen.
Diodor behält überall dieJahrform sein erQuelle
bei. Ein Compilator wie Diodor, der immer nur eine einzige
Quelle auszieht, anstatt mehrere ineinander zu arbeiten, der
auch diese Auszüge so flüchtig macht, dass es ihm oft be-
gegnet Vorgänge zum zweiten Male zu erzählen, die er nach
einer andern Quelle schon einmal dargestellt hatte, ein so
eilfertiger Scribent befasst sich nicht mit der zeitraubenden
Mühe, die Jahrrechnung der verschiedenen Quellen, welche
er in der Universalgeschichte jedes Jahres benützt, einheit-
lich umzugestalten ; in manchen , wie z. B. den römischen
fand er die Jahreszeit oft gar nicht angegeben und die Her-
stellung des attischen Jahranfangs würde ihm wirkliche
Schwierigkeiten entgegengesetzt haben , weil die meisten
Schriftsteller mit einer von den vier Jahreszeiten beginnen,
jener aber mitten in den Lauf des Sommers fällt. Den
380 Sitzung der philos.'philol. Classe vom 4. Mai 1878.
schlagendsten Beweis, dass Diodor mit den Jahrbeschreib-
ungen auch die Jahrform seiner Quellen angenommen hat,
liefern die römischen Abschnitte : sie halten sich überall
genau an das Jahr der am Anfang genannten Consuln. Die
Stücke aus Timaios haben , wie Volquardsen, Quellen
des Diodor p. 80 zeigt, die Prühjahrsepoche; dieselbe
wird sich unten in der Diadoch engeschichte, so weit sie auf
Hieronymos ruht, ergeben, während andere Stücke derselben
das Jahr mit dem Winter anfangen lassen. Dass daneben,
wenn die Quelle nach attischen Archouten gerechnet hat,
auch diese den Jahranfang bestimmen können, habe ich an
der Geschichte des archidamischen Krieges gezeigt, s. Akad.
Sitzungsberichte 1875. II, 13. Wir können daher dem Com-
pilator für seine Flüchtigkeit noch dankbar sein: die Be-
obachtung der Jahrrechnung liefert ein Merk-
mal der jedesmal von Diodor benützten
Quelle.
Die Jahrepoche der diodorischen Diadochengeschichte
ist also die des Hieronymos selbst und letztere lässt sich,
da nach unsrer Ansicht wenigstens kein Schriftsteller jenen
treuer wiedergegeben hat als- eben Diodor,^) nur aus die-
sem gewinnen. Nach Reuss p. 81 hätte Hieronymos, da
er sein Leben unter Makedonen , zuerst im Lager des Eu-
menes, dann bei den Antigoniden zubrachte, nach makedo-
nischem Kalender gerechnet, also das Jahr um den 1. Ok-
tober begonnen ; einen Beweis für diese Vermuthung hat
er nicht beigebracht und es Hessen sich Beispiele genug von
Geschichtschreibern beibringen, welche sich nicht nach dem
Kalender ihres Wohnorts gerichtet haben. Weit besser,
3) Gemeinhin sieht man Diodor, Plutarch, Polyaen, Appian, Ne-
pos u. a. in gleicher Weise als Ausschreiber des Hieronymos an; sicher
ist die unmittelbare Benützung desselben für die Periode vor der Schlacht
bei Ipsos bloss in dem Eumenes des Polyaen.
Unger: Diodors Quellen in der Diadochengeschichte, 381
wie schon bemerkt, ist die von Droysen gegebene Bestim-
mung ; da sie sich aber von der wahren doch um zwei
Monate entfernt und die auch in der Jahrform abweichende
Nebenquelle dabei nicht beachtet ist, so können wir Droy-
sens Zeitbestimmungen ebenso wie den von Reuss gegebenen
in vielen Fällen nicht beipflichten, werden aber hier und
in Cap. in auf diese Differenzen nur insoweit eingehen,
als es sich darum handelt, Diodors Chronologie richtig zu
erklären und gegen Angriffe zu vertheidigen, welche aus
Verkennuug derselben hervorgegangen sind ; was hier über-
gangen werden muss, lässt sich bei richtigem Verständniss
der Jahrrechnung Diodors aus diesem selbst leicht nach-
holen.
1. Den Anfang der asiatischen Kriegsgeschichte von
Ol. 116, 1. 316 V. Ch. bildet XIX 17 ff. der Zug des An-
tigonos aus Mesopotamien nach Babylonien, wo er mit Se-
leukos und Python ein Bündniss schloss; nachdem er eine
Schiffbrücke über den Tigris geschlagen , rückte er nach
Susa , ordnete die dortigen Verhältnisse in seinem Sinne
und brach dann gegen Eumenes und die Satrapen des Os-
tens auf, welche vier Tagmärsche hinter Susa die Linie des
Pasitigris besetzt hatten. Von Babylon bis Susa brauchte er
nach XIX 55 zu schliessen 22 Tage; andrerseits hatte der
Satrap von Persis bei Antigonos Herannahen auf Eumenes
Bitte nach anfänglicher Weigerung 10000 Bogenschützen
aus seiner Satrapie kommen lassen, welche zum Theil 30
Tagreisen entfernt wohnten. Da Antigonos an einem Zu-
fluss des Pasitigris zur Zeit des Siriusaufgangs (Diod. XIX
18), also um den 23. Juli (Boeckh Sonnenkreise p. 211) an-
langte, so lässt sich der Aufbruch aus Mesopotamien spä-
testens mit Droysen 1, 264 in den Mai setzen. Im Herbst
dieses Jahres spielte der Krieg in Paraitakane ; kurze Zeit
nach der Wintersonnwende (XIX 37) bekam Antigonos den
Eumenes in seine Gewalt. Nach einer kurzen Winterrast
[1878 I. Philös.-philol.-hist. Cl. 4.] 28
382 Sitzung der pJiilos.-philöl, Classe vom 4. Mai 1878.
in Medien zog er nacli Persepolis und von da nach Susa.
Hier endigt XIX 48 der asiatische Theil der Jahrbeschreib-
ung. Der Aufbruch von Susa nach Babylon bildet XIX
55 den Anfang der nächsten Jahresgeschichte Ol. 116, 2.
315; nach kurzem Aufenthalt daselbst rückte er nach Ki-
likien und erreichte Mallos nach dem Untergang des Orion
(XIX 56), d. i. nach dem 24. April.
Der Jahreswechsel fällt demnach in die Mitte zwischen
Ende December und Ende April, d. i, auf den Anfang des
Frühlings, und es findet sich auch, dass diesen weder der
Eintritt des Zephyr um den 7. Februar noch die Nacht-
gleiche, sondern der populäre Frühlingsanfang mit dem
Spätaufgang des Arktur um den 25. Februar
(Boeckh, Sonnenkreise p. 76 &. 211) bestimmt: denn die
20 Tage von Ekbatana nach Persepolis und etwa 16 Tage
von da nach Susa erlauben nicht an den 7. Februar zu
denken ; andrerseits führen die 22 Tage von Susa nach
Babylon nebst wenigstens 7 Tagen Aufenthalt in dieser
Stadt und etwa 5 Wochen Marsch nach Mallos um zwei
volle Monate vom Ende des April zurück.*) Zur Bestätig-
ung s. Nr. 3 und 7.
2. Die letzten Jahresereignisse auf dem karischen
Kriegsschauplatz Ol. 117,3.314 v. Ch. sind ein Anschlag
der Befehlshaber Kassanders gegen die Truppen des Anti-
gonos, welche soeben die Winterquartiere bezogen hatteu,
und der Ueberfall , mit welchem diese ihnen zuvorkamen
(XIX 68). Ebenso wird über Antigonos selbst zuletzt be-
richtet, wie er in Phrygien sein Heer in Winterquartiere
legte, dann die Flotte aus Phoinike kommen und in das
4) Die Vertheidigung der Jahrverth eilung Diodors für die Züge und
Unternehmungen des Antigonos vom Herbst 318 bis zu den nemeischen
Spielen von 315, aus welcher zugleich folgt, dass der Spätaufgang des
Orion, nicht sein Frühaufgang um den 2. December gemeint ist, gegen
Droysen und Reuss geben wir im Philologus 37, 328 ff.
Ünger: Ulodors Quellen in der DiadocJiengeschichte. 3S3
griechische Tnselmeer fahren liess, wo sie eine Seeschlacht
gewann (XIX 69). In beiden Fällen bildet der Winter
den Schluss des Jahres.
3. Die Kriegsgeschichte von Ol. 117, 1. 312 v. Ch.
erfordert eine längere Auseinandersetzung. Zuerst (XIX 77)
schickte Antigonos ein Heer und eine Flotte nach Hellas,
um dieses von Kassander s Herrschaft zu befreien. Sein
Befehlshaber Ptolemaios setzte sich an der boiotischen Ost-
küste fest, bedrohte Chalkis und nöthigte dadurch Kassan-
der, die Belagerung von Oreos aufzuheben und Chalkis zu
schützen. Jetzt rief Antigonos die Flotte zurück, sammelte
seine Truppen in Kleiuasieu und zog eilig an den Helle-
s p o n t , um entweder Kassander zum Abzug aus Hellas zu
veranlassen oder Makedonien wegzunehmen. Kassander
durchschaute seinen Plan: er brach auf, eroberte aber zu-
nächst Oropos und gewann die Thebaner zu Bundesgenossen ;
nachdem er dann mit den andern Boiotern Waffenstillstand
geschlossen, zog er nach Makedonien. Antigonos aber, an
der Propontis angelangt, forderte die Byzantiner zur
Mitwirkung auf und als diese sich durch eine Botschaft des
Lysi machos abschrecken Hessen, verlor er die Lust und ver-
theilte , zumal auch die Jahreszeit dazu rieth (XIX 77
a/.ia ÖS xat Trjg xEif.ieQivrig wQag auyiiXeiovGrjg) die Soldaten
von Stadt zu Stadt in Winterquartiere.
Die griechisch-makedonische Jahresgeschichte schliesst
also wieder mit dem Winter und wenn in derselben Jahr-
beschreibung auch später noch von Unternehmungen des
Antiochos die Rede ist, so geschieht das doch in der asia-
tischen Geschichte und können diese sehr wohl in die Zeit
vor dem Winter 312/1 verlegt werden. Aber Droysen 2, 34
und Reuss p. 164. 169 verlegen alle soeben aus XIX 77
mitgetheilten Vorgänge in das vorausgegangene Jahr 313:
erstens desswegen , weil zur Aufgabe des üebergangs nach
Europa sich Antigonos nach Paus. 16,5 auf die Nach-
28*
384 Sitzung der philos.-philolog. Classe vom 4. Mai 1878.
rieht von der Niederlage des Demetrios bei Gaza entschloss
uüd diese Niederlage sicher im Frühling 312 stattgefunden
hat; sodann aber, weil die nach XIX 78-80 der Schlacht
von Gaza vorausgegangenen und sämmtlich dort dem J. 312
zugewiesenen Ereignisse unmöglich im Anfang des J. 312
untergebracht werden können und, da sie den Raum einer
ganzen Kriegsjahrzeit ausfüllen, nothwendig dem J. 313
zugewendet werden müssen ; es ist der A-bfall der Kyreuaier
von Ptolemaios, die Unterdrückung desselben, die darnach
erfolgte Unterwerfung der gleichfalls aufrührerischen ky pri-
schen Fürsten , worauf Ptolemaios in Kilikien und Nord-
syrien landete und Verwüstungen anrichtete, endlich der
Zug des Demetrios nach Kilikien und zurück. Demgemäss
findet Droysen 2,34, dass Diodor die Bezeichnung des neuen
Jahres 117,1.312 erst bei XIX 81, nicht schon bei XIX 77
hätte anbringen sollen.^)
Wir glauben, dass der Jahreswechsel ganz am rechten
Orte steht und nur der Inhalt von c. 78 — 80 (Mitte) un-
richtig aus 313 in 312 versetzt ist; schieben wir den von
c. 77 gleichfalls in 313 zurück, so erhalten wir denselben
Fehler, welcher an c. 78—80 zu bemerken ist: die in
jenem Capitel erzählten Vorgänge finden nach den in
c. 73—75 anerkannt richtig unter 313 erzählten Ereig-
nissen in diesem Jahre nicht mehr Raum, weil letztere schon
eine Kriegsjahrzeit ausfüllen. Nach c. 73 verjagten 313 v.
Ch. die Kallatianer am Pontos die Besatzung des Lysima-
chos, befreiten Istros und andre benachbarte Städte und
alle schlössen mit den angrenzenden Thrakern und Skythen
ein Bündniss. Jetzt zog Lysimachos mit einem Heer über
5) Dass c. 79 der kyrenaisclie Aufstand mit ins ^'«^r^f ^eQsias
angeschlossen wird, kann für die Zeit des vorausgehenden, auf dem
europäischen Schauplatz sich bewegenden Berichts nichts beweisen: denn
irgendwo hat Diodor hier falsch angeknüpft und das ist nach unserer
Ansicht eben an dieser Stelle geschehen.
Unger: Diodors Quellen in der Diadochengeschichte. 385
den Balkan, griff Odessos an, welches sich bald ergab und
rückte, nachdem auch andere Städte zum Gehorsam zurück-
gekehrt waren, vor Kallatis ; als die Skythen und Thraker
zum Entsatz der Stadt herbeikamen , vertrug er sich mit
diesen, jene besiegte er und verfolgte sie in ihr Land; als
er aber dann Kallatis belagerte, schickte Antigonos Schiffe
und Truppen gegen ihn aus. Er zog ihnen entgegen ; am
Balkanübergang musste er dem Seuthes eine Schlacht liefern,
die er gewann ; dann überraschte er das Heer des Antigonos
bei Bjzantion und nahm es gefangen. Als Antigonos diese
Unternehmung misslungen sah, schickte er den Telesphoros
mit Land- und Seemacht nach Hellas (XIX 74), welcher
zunächst alle früher von Polysperchons Sohn Alexander
behaupteten Städte ausser Sikyon und Korinth von ihren
Besatzungen befreite ; gleichzeitig machte Kassanders Bruder
Philippos einen Angriff auf die Aitoler, fiel dann in Epeiros
ein, wo er den Aiakides besiegte, und als derselbe zu den
Aitolern floh , zog er wieder gegen diese und schlug sie so
aufs Haupt, dass die Bewohner der offenen Orte ins Gebirg
flohen.
Das zuletzt erwähnte Ereigniss setzt Droysen 2, 35
selbst ans Ende des Sommers 313; damit ist aber die Reihe
der Vorgänge , welche dem seiner Ansicht zufolge noch in
das J. 313 fallenden Inhalt von c. 77 vorausgiengen, noch
nicht am Ende. In Karlen war unterdessen Asander zu
Antigonos übergegangen (XIX 75), dann wieder abgefallen ;
Antigonos schickte gegen ihn den Medios mit einer Flotte
und ein Heer unter Dokimos, welche die Burg von Miletos
eroberten ; er selbst erstürmte Tralles, dann gewann er die
Stadt Kaunos und belagerte ihre Burg; Jasos aber wurde
von seinem Feldherrn Ptolemaios eingenommen. Wenige
Tage darnach kamen Gesandte von den Aitolern und
Boiotern — höchst wahrscheinlich nach den Niederlagen
der ersteren — und gewannen Antigonos zum Verbündeten ;
386 Sitzung der philos.-philol. Classe vom 4. Mai 1878.
dann begab er sieb an den Hellespont zu einer Friedens-
verhandlung mit Kassander. Der vergebliche Ausgang der-
selben veranlasste diesen zu einer Unternehmung nach
Hellas: mit 30 Schiffen fuhr er nach Oreos und begann
diese Stadt heftig zu bestürmen; aber als sie eben fallen
sollte, kam Telesphoros mit 80 Schiffen aus dem Peloponnes
— dies geschah also nach den ersten, mit den Nieder-
lagen der Aitoler gleichzeitigen Unternehmungen desselben
— und Medios aus Asien mit 120 Schiffen zum Entsatz.
In zwei Seeschlachten wurde das erste Mal diesen , dann
aber Kassander der Sieg zu Theil. Damit schliesst Dio-
dor XIX 75 die Diadochengeschichte des J. 313; offen-
bar mit Recht: denn es ist schlechterdings unmöglich, nach
den zwei Seeschlachten noch, wie Droysen will, die p. 383
in der Kürze aus c. 77 angeführten Ereignisse, welche dem
Heereszug des Antigonos an den Hellespont vorausgiengen,
noch im J. 313 unterzubringen, und wir haben auch ein
deutliches Anzeichen, dass zwischen jenen und diesen eine
längere Ruhezeit, d. i. der Winter in der Mitte lag: in
c. 77 wird Medios von neuem mit noch viel grösserer
Schiffsmacht, mit 150 Segeln nach Hellas gesandt, während
wir ihn doch am Ende des Jahres 313 erst mit 120 Schiffen
aus Asien ebendahin abgehen sahen. Die Nichterwähnung
der vorher erfolgten Rückfahrt aus Europa erklärt sich ein-
fach daraus, dass nach der zweiten Seeschlacht die Unter-
nehmungen eingestellt und vom Heer die Winterquartiere,
von den Schiffen aber die heimischen Häfen aufgesucht
worden waren.
Einen zweiten Beweis gegen Droysens und für Diodors
Zeitbestimmung der XIX 77 erzählten Ereignisse können
wir kürzer und um so bündiger fassen : die Schlacht von
Gaza fand, wie Droysen zuerst erkannt und seitdem Nie-
mand bestritten hat , im Frühjahre 312 statt; die XIX 77
gemeldete Einstellung des Uebergangs nach Europa aber,
Unger : Diodors Quellen in der Diadochengeschichte. 387
welche nach Droysen durcli die* Meldung von der Schlacht
bei Gaza herbeigeführt wurde, erfolgte im Winter (trig
Xeii-ieQLvrjg coQag ovyKleiovor^g). Der Winter 313/2, welchen
Droysen und Reuss hier annehmen müssen, gieng der Schlacht
voraus, ist also unmöglich und bliebe das auch , wenn wir
mit Reuss aus dem unten p. 390 zu besprechenden Grunde,
welchen Droysen aufgestellt, jetzt aber aufgegeben hat, die
Schlacht bis ans Ende des Februar zurückschieben wollten:
denn bis die Nachricht zu Antigonos gelangte, war die von
Hieronymos vorausgesetzte Frühlingsepoche auch in diesem
Fall schon eingetreten; nicht zu erwähnen, dass die Angabe,
der Winter habe die Einstellung des Unternehmens em-
pfohlen, uns an den Anfang, nicht an das Ende dieser
Jahreszeit denken heisst. Aber auch der Winter 312/1
passt nicht zu der Angabe des Tansanias : denn von einem
für ihn so wichtigen Ereigniss des Frühlings erhielt Anti-
gonos sicher nicht erst im Winter darnach Kunde. Das
Zeugniss des Tansanias lässt sich mit der von Droysen und
Reuss ins Auge gefassten Stelle Diodors überhaupt nicht
vereinigen und eine genauere Betrachtang lehrt auch, dass
beide Schriftsteller von ganz verschiedenen Unternehmungen
sprechen. Der erstere sagt I 6 , 5 : Karaßahei enl top
EXXrjOnovTOv. Ttqlv de rj KaTaßr^vat riaXiv rjyev otcLgo} Ti]v
OTQaTicv ^rjf,n^TQLOP dyiovcor vjio ntoX£f.iaiov iLiccxf] y-eKQavr^-
oO^ai. Bei ihm also war Antigonos noch nicht an der Küste
augelangt, als er sich zum Umkehren entschloss, dagegen
bei Diodor hatte er sie schon erreicht und während Pausa-
nias den Ilellespont als die Uebergangsstelle bezeichnet,
denkt jener an den Bosporus: nicht am Hellespont sondern
an der Propontis langt Antigonos an (-KaTrjvTi^oev ertl xr^v
TlQOTtovTLÖa) und die Byzantier sollten ihn bei dem Unter-
nehmen unterstützen. Diodor sagt auch nichts davon, dass
die Botschaft von Gaza den Uebergang bei Byzantion ver-
eitelte, ein Grund, welcher für Antigonos weit schwerer
388 Sitzung der philos.-2)hiloL Classe vom 4. Mai 1878.
ins Gewicht gefallen wäre als die Weigerung der Byzantier
mitzuwirken und der Eintritt des Winters, welche XIX 77
als Ursache angegeben werden ; jener Grund hätte dem
Hieronymos, Diodors Gewährsmann, nicht unbekannt blei-
ben können und er hatte auch keinen Anlass, ihn zu ver-
schweigen.
Antigonos wollte 312 zweimal nach Europa
gehen: im Frühling über den Hellespont und um Win-
ters Anfang über den Bosporus. Diodor erwähnt beide
Unternehmungen; die erste XIX 77 in der Mitte: eüd-vg
rag öwaf-ieig avaXaßcov jcQoijyev ecp" '^EXXi^GyrcvTov y^axä
raxog tag ötaßrjGOf^evog elg Mccytedovlav. Bei der Flüchtig-
keit, mit welcher er seine Quelle auszog, ist es ihm, nach-
dem inzwischen die Gegenunternehmung des Kassander
seine Aufmerksamkeit in Anspruch genommen , begegnet,
dass er die zwei Uebergangsversuche mit einander ver-
wechselte und mit Uebergehung aller in der Mitte liegen-
den Vorgänge die Ankunft an der Propontis für den Ab-
schluss des Zuges an den Hellespont hielt. Da Antigonos
auf dem Wege keinen Feind zu bekämpfen hatte, so ist,
wenn er an den Hellespont ziehen wollte, nicht ersichtlich,
was ihn anstatt dessen au die Propontis bei Byzantion ge-
führt haben sollte. Die Situation ist jetzt auch eine ganz
andere. Hätte Antigonos noch seine 150 Kriegsschiffe bei
sich gehabt, welche er zum Zug über den Hellespont hatte
aus Europa kommen lassen, so konnte er der Beihülfe von
Byzantion entrathen ; seitdem ist aber der Krieg mit Pto-
lemaios um den Besitz Koilesyriens sammt Phoinike geführt
worden, welcher die Anwesenheit der Flotte an ihrem Standort
Tyros zum Schutz und zur Aufsicht über die dortigen Küsten
nöthig machte; desswegen braucht er im Spätjahr die Hülfe,
d. i. die Schiffe der Byzantier, welche ihm schon ein-
mal, im J. 318, einen glänzenden Sieg ermöglicht hatten
(XVni 72) , und zieht daher diesmal nicht dem Hellespont
Unger : Diodors Quellen in der Diadochenge schichte. 389
sondern dem Bosporus zu. Erst jetzt begreift man, wie
die Weigerung der Byzantier ihn bestimmen konnte, das
ganze Unternehmen aufzugeben : die Rücksicht auf die
Jahreszeit kann kein ernstlicher Abhaltungsgrund gewesen
sein ; diese kannte er ja schon, als er den Zug an die Pro-
pontis antrat.
Durch die Vermengung dieser zwei Unternehmungen
ist ihr zeitliches Verhält niss und ihr Zusammenhang mit
den asiatischen Vorgängen auch in andrer Weise verdunkelt
worden. Der letzte von diesen in der Beschreibung der
Jahresgeschichte von Ol. 117, 1. 312 v. Ch. ist XIX 100
der Zug des Demetrios nach Babylonien ; nach Wiederge-
winn dieser Satrapie sollte er schleunig (owTo/mog) ans
Meer zurückkehren. Da Seleukos gerade in Medien zu thun
hatte, so konnte jener Babylon ohne Schwertstreich be-
setzen ; von den zwei Burgen der Stadt nahm er die eine
ein, die andere musste belagert werden. Diese Aufgabe
übertrug er aber einem Befehlshaber, den er mit 5000 Mann
zurückliess; er selbst zog mit den übrigen 14000 Mann
zurück: warum? sagt c. 100 fov xqovov ovvtqlyovtog ev dj
ovvxerayf.dvov r^v rrp aq)odov auro) TtoirjaccGd^ai. Wir
schliessen hieraus, dass Antigonos das Heer noch zu einem
Zweck brauchte, welcher wichtiger und schwieriger war als
der Gewinn Babyloniens , und vermuthen, dass dies die
Heerfahrt nach Europa, der Angriff auf Makedonien ge-
wesen ist. Nach der Schlacht von Gaza schickte Demetrios
einen Kurier an seinen Vater mit der Bitte um schleunigen
Zuzug (XIX 85); wo dieser den Antigonos traf und was
die nächste Folge war, übergeht Diodor; wir erfahren es
von Pausanias. Eine zweite Botschaft, die vom Sieg des
Demetrios über einen Heerführer des Ptolemaios in Ober-
Syrien, fand jenen in Kelainai (XIX 93) und veranlasste
ihn, über den Tauros nach Syrien zu ziehen, welches Pto-
lemaios dann wieder aufgab. Die Unternehmungen gegen
390 Sitzung der philos.-philol. Classe vom 4. Mai 1878.
die Nabataier und die gegen Babylon mögen dann den
besten Theil des Jahres ausgefüllt haben ; im Herbst brachte
Demetrios die Truppen zurück und Antigouos vereinigte
sie mit dem Heer, das er jetzt beim Nahen des Winters an
die Propontis führte.
In Europa hatte Kassander, wenn er nach der Schlacht
bei Gaza im April oder Mai 312 aus Griechenland zurück-
kehrte, noch Zeit genug zu neuen Unternehmungen, während
Antigouos mit seinen besten Streitkräften in Asien festge-
halten wurde. Sein Befehlshaber in Akarnanien rückte nach
Epeiros, um den König Alketas zu verjagen, und erlitt dort
eine Niederlage; er zog jetzt selbst dahin, fand die Scharte
schon ausgewetzt und versöhnte sich mit Alketas (XIX
88 — 89). Dann rückte er vor Apollonia, ward aber von
den Einwohnern, welchen die Illyrier zu Hülfe kamen, ge-
schlagen und zog wegen der Unzulänglichkeit seiner Streit-
kräfte und in Anbetracht dass es Winter war (c. 89 trjv
X€if.ieQivrjv lüQav d-ecoQwv) wieder heim ; dann verjagten die Leu-
kadier seine Besatzung. Wie bei Antigouos, so schliesst
demnach auch bei Kassander die Jahresgeschichte mit dem
Winter ; dass der Frühling den Anfang derselben bildet,
lehren die Zeitverhältnisse der Schlacht von Gaza. Diese
ereignete sich, wie Droysen 2, 45 bemerkt, nach Hekataios
von Abdera bei Josephos gegen Apion 1, 22 im eilften
Jahr nach Alexanders Tod , also vor dem 28. Thargelion
(Mai) 116, 4. 312. Um Sonnenuntergang (XIX 84 Tcegt
rikiov övöLv) war Demetrios unter den Mauern von Gaza ;
um Mitternacht (c. 85 Tteqi (.doag vvxtag) hatte er die
270 Stadien von da bis Asdod zurückgelegt. Hieraus hatte
Droysen Gesch. d. Nachf. AI. p. 373 den Schluss gezogen,
dass damals noch die Zeit der langen Nächte und der
Sonnenuntergang um 5 Uhr eingetreten war; Reuss p. 170
setzt daher die Schlacht in Ende Februar. Jetzt bemerkt
Droysen Diad 2,45, dass diese Thatsache keinen sicheren
Unger: Diodors Quellen in der Diadnchengescliichte. 391
Anhalt gibt, und begnügt sich damit, das Treffen dem
Frühling zuzuweisen; dafür spricht, dass Demetrios beim
Heranrücken des Ptolemaios sein Heer erst aus den Win-
terquartieren ziehen musste. Später als in den April
dürfen wir wegen der Angabe von dem nächtlichen Ritt
das Datum nicht setzen ; aber auch nicht viel früher. Der
Frühling hatte schon geraume Zeit vorher begonnen : denn
XIX 77 beginnt die Jahrbeschreibung mit der Fahrt des
Medios und Ptolemaios nach Boiotien, welche Kassander
nöthigte von Oreos weg nach Chalkis zu gehen ; um ihn von
dort zu entfernen, unternahm dann Antigonos die Diversion
an den Hellespout , welcher die Botschaft von Gaza ein
Ende machte. Hieraus ergibt sich, dass der Frühlings- und
Jahresanfang des Hieronymos der Nachtgleiche vorausgeht;
der Spätaufgang des Arktur um den 25. Februar (p. 382)
zeigt sich auch hier als die passendste Epoche.
5. Am Ende der Jahresgeschichte von 117, 3. 310
stehen XX 20 die Kriegsrüstungen des Polysperchon ; am
Anfang der nächsten XX 28 die Unternehmungen, welchen
sie gegolten hatten ; den Schluss derselben bildet die Mel-
dung vom Bezug der Winterquartiere {ßvtavd^a Ti\v naga-
Xeif^iaaiav ejtoiiqaaxö). In beiden Jahresbeschreibungen
steht also der Winter am Ende.
6. Die Jahrbeschreibuug von 118, 2. 307 beginnt XX
45 mit der Fahrt des Demetrios von Ephesos zum Peiraieus
wo er am fünftletzten Thargelion 118, 1 (Plut. Demetr. 8)
d. i. am 10. Juni 307 einlief und sich bald zum Herrn
machte. Munychia schloss er ein und landete dann mit
Heeresraacht in Megaris; nach einem Abstecher zu Krate-
sipolis, welche sich in Patrai aufhielt, kehrte er dahin zu-
rück und eroberte Megara (Plut. Dem. 9), dann erstürmte
er in zwei Tagen Munychia , Diod. XX 45 ^nl ovo rifxiqag
owe^cog Trjg TtoXiogniag, yevoi-dvrig; 46. tovtcov ev ohyaig
rlf-dqaig KaTevrvxr]S^evzcov. Dies mochte, sagt Droysen 2, 118,
392 SiUung der philos.'phüol. Classe vom 4. Mai 1878.
im August oder September 307 sein ; wir scliliessen aus
Philochoros bei Dionys. Hai. de Dinarcbo 3 tov ^Ava^r/.qa-
Tovg ccQxovTog evS^vg (.ibv tj tcov Meyaqtov noXig eaXco, b 6t
z/rjjnqvQiog Kazeld-cov et, tiov Bleyogcov •/.areOT.evaLevo ro
nQog Trjv Movvvxiav xal td Ter/rj y^araomilfag uneötoy.e TiT)
S/j/LHl), dass beide Eroberungen dem Hekatombaion 118, 2,
beginnend mit 14. Juli 307, angehören. Nachdem Deme-
trios dann in Athen eingezogen und dort geblieben war,
bis ein Befehl des Antigonos ihn abrief, fuhr er nach Ky-
pros und besiegte dort die Befehlshaber des Ptolemaios zu
Land, dann diesen selbst zur See bei Salamis ; daraufhin
nahmen Antigonos und Demetrios den Königstitel an ; die
anderen grossen Statthalter folgten diesem Beispiel. Damit
schliesst die Diadochengeschichte dieses Jahres ; im nächsten
erzählt sie den ägyptischen Krieg. Diesen lassen Droysen
und Reuss im Herbst 306 beginnen und setzen auch den
vorausgegangenen ky prischen Krieg in die gute Zeit dieses
Jahres ; nach Hieronymos und Diodor gehört letzterer noch
dem J. 307 an. Reuss p. 171 behauptet, Demetrios habe
sich bis in den April oder Mai 306 in Athen aufgehalten
und Droysen irre, Avenn er ihn einige Monate früher ab-
fahren lasse; er sei noch dort gewesen als der Peplos be-
gonnen ward am letzten Pyanopsion ( 8. November ) und
als die Dionysien, nach ihm Demetrien genannt, am 8. — 13.
Elaphebolien (14. — 19. März) gefeiert wurden. Die Zeug-
nisse sprechen aber blos von Beschlüssen , welche in Be-
zug auf diese festlichen Begehungen im Voraus gefasst
wurden ; dass Demetrios bei der Ausführung derselben zu-
gegen war, meldet weder Plut. Dem. 8 fF. noch Diod. XX
46. Schon Droysen geht zu weit, wenn er Demetrios bis
Anfang 306 in Athen verweilen läs.st (2, 124. 133); dass
Plutarch aus der Zeit seines dortigen Aufenthalts viel
zu erzählen weiss, ist leicht begreiflich: es ist eben von
Athen die Rede und von der inhaltreichen Zeit einer
Unger: Diodors Quellen in der DiadochengescMchte. 393
grossen Staatsumwälzung; auch ist keiner der erzählten
Vorgänge von längerer Dauer gewesen. Gleich nach der
Eroberung von Munychia zog Demetrios in Athen ein
(XX 46. Plut. D. 10) und verkündigte die Freiheit der
Stadt, etwa im Anfang August 307; darauf fasste die
Bürgerschaft die ehrenden Beschlüsse über Antigonos und
Demetrios und schickte Gesandte, um sie dem ersteren zu
überbringen. Dieser dankte durch neue Gunstervveisungen ;
seinem Sohn aber schrieb er, derselbe solle die verbündeten
Städte zu einem Synedrion zusammentreten lassen , selbst
aber schleunigst (XX 46 tjJv zaxlorrjv) mit dem Heere
nach Kypros fahren, um die Befehlshaber des Ptolemaios
zu bekriegen. Dass dieses Schreiben erst mit der zurück-
kehrenden Gesandtschaft nach Athen kam, wie Droysen 2,
123 annimmt, geht aus Diodors Erzählung nicht hervor
da der kyprische Krieg Eile hatte, die Gesandten aber
sicher längere Zeit brauchten — Antigonos gab denselben
150000 Medimnen Getreide, Bauholz für 100 Kriegsschiffe
und überlieferte ihnen die Insel Imbros, ans welcher er
seine Besatzung zog — , so ist es wahrscheinlicher, dass
das Schreiben lange vor ihnen nach Athen abgegangen ist.
Es hindert nichts anzunehmen, dass Demetrios das Schreiben
Ende August erhielt und der kyprische Krieg im Herbst
307 stattgefunden hat; dafür spricht Diodors Jahrrechnung
und es lässt sich jetzt aus eben der Inschrift erweisen, in
welcher U. Köhler im Hermes 5,350 und Droysen 2, 124
die urkundliche Bestätigung der von letzterem aufgestellten
Zeitbestimmungen finden.
Ein Volksbeschluss aus der 5. Prytanie und dem ersten
Drittel des Poseideon unter Archon Anaxikrates (Ol. 118,2),
welches dem 9. - 18. December 307 entspricht, bei Köhler
Inscr. att. 238, erwähnt einer Gesandtschaft an Antigonos
und einer arcoGroXri^ ^™ welche sich der in dem Beschluss
Q.eehrte verdient gemacht habe. Dies ist, wie Köhler im
394 Sitzung der philos.-philol. Classe vom 4. Mai 1878.
Hermes 5, 350 bemerkt hat, die Gesandtschaft welche den
Ehrenbeschluss für Antigonos diesem überbrachte und mit
den oben genannten Geschenken heimkehrte; nach ihrer
Heimkehr ist das auf der Inschrift befindliche Psephisma
gefasst worden. Doch folgt, wie oben bemerkt worden ist,
aus Diodor nicht, dass Demetrios erst nach der Rückkehr
jener Gesandtschaft, im December oder Januar Athen ver-
lassen hat, und gerade diese Inschrift lehrt, dass er damals
bereits den berühmten Seesieg über Ptolemaios* davonge-
tragen hatte: denn Antigonos führt darin, wie Köhler zu-
erst erkannt hat, den Königstitel den er nach diesem Siege
annahm (Diod. XX, 53). Zwar behauptet Flut. Demetr. 10,
die Athener hätten dem Antigonos und Demetrios unter
den anderh Ehren, welche sie ihnen nach der Befreiung
ihrer Stadt erwiesen, auch den Königstitel beigelegt ; aber
diese Behauptung ist höchst verdächtig: sie bildet einen
integrirenden Bestandtheil der Auslassung, in welcher die
von Kirchhoff im Hermes 2,161 als Hirngespinust erwiesene
Angabe vorkommt , die Athener hätten jetzt nicht mehr
nach Archonten sondern nach den Soteren Antigonos und
Demetrios datirt. Plutarch erklärt, das Volk von Athen
habe sich den Demetrios selbst zum Herren herangezogen
durch die überschwänglichen Ehren, welche es ihm erwies,
und zählt nun die verschiedenen Auszeichnungen auf, welche
wir auch aus Diod. XX, 46, d. i. aus Hieronymos und zwar
als Inhalt eines einzigen von Stratokies beantragten Pse-
phisma kennen. Diodor sagt aber weder von der neuen
Datirung noch vom Königstitel etwas und wie wenig histo-
rischer Werth jener Behauptung zukommt, zeigt auch der
Zusatz, Antigonos und Demetrios hätten noch überall den
Titel abgelehnt (aXXojg acpoatovi^evovg zovvo^a) : kaum vier
Monate darnach legten sie sich selbst denselben bei und
schon acht Jahre vorher hatte es sich Antigonos gerne ge-
fallen lassen, dass Seleukos ihn in Babylon mit Geschenken
ünger: Diodors Quellen in der Diadochengeschichte. 395
empfieDg, welche nur eiüem König zukamen (D. XIX, 55
öcoQsaJg ßaailiTialg). Vollends erledigt wird die Frage
durch Inschrift 239, welche sich auf die Absenduug jener
Gesandtschaft an Antigonos bezieht (Köhler , Hermes 5,
350 fg. Droysen 2, 118) und, wie Z. 3 . . . a{a)v!dvTiyovov
(y,)al ... beweist, den Königstitel noch nicht enthält.^)
7. Den ägyptischen Krieg, welcher den ganzen Inhalt
der Diadochengeschichte von 118, 3. 306 bei Diod. XX
73 — 76 bildet, müssen Droysen und Reuss, da sie den ky-
prischen aus 307 in den Sommer dieses Jahres verlegt
haben, noch später setzen; sie beziehen daher die Erwähn-
ung des Pleiadenuntergangs im Anfang jenes Krieges XX
74 auf den Frühuntergang des Gestirns um den 11. No-
vember und setzen den Rückzug des Antigonos in den
Anfang von 305. Champollion, welcher an den Spätauf-
gang im Frühling (um den 5. April, ßoeckh Sonnenkreise
p. 211) gedacht hatte, wurde von Droysen Nachf, Alex,
p. 467 getadelt, weil er nicht wisse, dass Tileiaöog övoig den
Frühuntergang bezeichne; diese Rüge ist in der neuen
Ausgabe (Diad. 2, 146) gestrichen, die Beziehung aber auf
diese Phase als selbstverständlich vorausgesetzt. Wir
stehen nicht an, auf ChampoUions Seite zu treten. Wenn
6) Droysen 2, 118; 121 nennt Inscr. 238 den Beschluss der Send-
ung des Milesiers Aristodemos an Antigonos; die Inschrift enthält aber
den Namen desselben nicht und Droysen scheint damit das von Köhler
im Hermes 5, 349 zuerst veröiFentlichte Fragment za Ehren eines
Aqiox . . . verwechselt zu haben , welches aus dem Archontenjahr des
Anaxikrates datirt und von diesem mit Wahrscheinlichkeit auf Aristo-
demos bezogen wird. Es ist jedenfalls ein ähnlicher Dankbeschluss wie
Inscr. 238; um aber von den Athenern als Gesandter an Antigonos be-
nutzt zu werden — was an sich ganz überflüssig war — stand dieser
Vertraute und Heerführer des Antigonos viel zu hoch ; er war dem
jungen Demetrios als militärischer und politischer Rathgeber beigegeben
und stand ihm auch im kyprischen Krieg zur Seite (Droysen 2, 135),
hat also wahrscheinlich in Athen ihn nicht verlassen.
396 Sitzung der pJiilos.'philol. Classe vom 4. Mai 1878.
övvsLV vom Spätuntergang gesagt werden kann , wie z. B.
von Ps.-Geminos Isagoge 16 Evöo^co 7c?^eiadeg dxgovvxoi
övvovOL^ so ist selbstredend auch töiceqLvr] oder üKQOvvyog dvGig
statthaft ; es findet sich nur seltener als das Verbum, weil
die auf uns gekommenen Parapegmen überhaupt gewöhn-
lich Verba von den Phasen anwenden. Dass das Adjectiv^
bei Diodor fehlt, ist leicht erklärlich: er d. i. Hieronymos
mochte bei einem See- und Landunternehmeu, welches er
im Anfang der Jahrbeschreibung erzählte , voraussetzen
dass Niemand den Ausdruck falsch verstehen werde. In
derselben Weise und aus ähnlichem Grunde steht XIX, 56
l^ETci dvGiv ^ügicüvog vom Spätuntergaug. Nach Dro3^sen
warnten die Seeleute vor dem Aussegeln in jener Zeit,
weil das Meer dann stürme und unfahrbar sei (2, 146);
von einem späteren Zeitpunkt bemerkt er p. 147, nicht
einen Tag länger hätten es die Leute vor Durst, Kälte
und Erschöpfung aushalten können, und p. 150 wird ausser
der Stimmung des Heeres und dem Mangel auch die vorge-
rückte Jahreszeit als ein Beweggrund zum Rückzuge an-
gegeben. An den betreffenden Stellen Diodors steht von
diesen Bezeichnungen winterlicher Jahreszeit kein Wort; und
doch wäre ihr Fehlen unbegreiflich, wenn es wirklich Win-
ter (der den Alten eben mit dem Frühuntergang der Pleia-
den beginnt) gewesen wäre. Doch brauchen wir uns
nicht auf subjective Erwägungen zu beschränken: die Be-
weise liegen ganz offen vor.
In dem Kriegsrath, welcher die Einstellung des Feld-
zugs beschloss, tröstete Antigonos sich und seine Getreuen
mit dem Vorsatze : votsqov xalXiov 7TaQeOKevaO(j.evovg otqu-
TEVOai, xa^' ov av igovov sXaxiorog 6 Ne7log elvai do^rj
(XX 76); also stand damals der Nil hoch und war die
Ueberschwemmung wenigstens in der letzten Zeit des Feld-
zugs bereits eingetreten. Eben für diese Zeit, kaum einige
Tage früher, aber viele Tage nach Beginn des Feldzugs
Unger: Diodors Quellen in der Diadochengeschichte. 397
(76 xQ^vov TtXelovog yavofXEvov und rj^Bqcjv rßr] avyywv öie-
Irilv&vKJOv) heisst es c. 76 : rj vavviy,!^ övvafxig axQfjOrog r]v
avToig TCqo'/.aTEiXrjfÄjxevov Ür^lovOLaKOv Gxo^iatog vtco tiov
nolsfAiwv t6 T£ 7tE(^cv OTQaxevfxa ttjV OQ^xriv ccTtQaKTOv
ei%e TU) jnsye&EL tov 7toTa/.iov diEiQy6f.iEvov. Gerade während
des Zeitraums, in welchem Droysen und Reuss diesen Krieg
vor sich gehen lassen, während des Winters erreicht der
Nil seinen niedrigsten Stand, Diod. I 4,1 Slo xal rov Net-
Xov EvXoycog xaTcc tov %Ei{x6)va f.iLKQdv eivat xat üvoxüJkEod'aL^
I 40 Ei ö Nsllog dvsßaivE xard tov tov xEC/^covog xaLQOVf
drjXov vfcrJQYßv cog etc. ETtal öe Tovvavxiov tteqI to d^EQog
TtltjQOvTai, TTid^avov Eivat etc. Der Nil beginnt zu steigen
zur Zeit der Sommersonnwende und des längsten Tages;
die grösste Höhe erreicht er zur Herbstnachtgleiche; von
da an sinkt er wieder bis zur Wintersonnweode , wo er
den niedrigsten Stand erreicht ; diesen behält er ein halbes
Jahr lang, vom kürzesten bis zum längsten Tag, s. Herod.
n, 19, Diod. I, 36 — 41 u. a. Die von Droysen und Reuss
angenommene Zeit würde demnach weit besser zu der
passen, welche Antigonos bei der Wiederholung des Feld-
zugs zu benützen gedachte , und Champollion hat ganz
richtig erkannt, dass die andere, um den 5. April eintre-
tende Phase des Siebengestirns gemeint ist ; nur hat er
sich von dem allgemeinen Vorurtheil, dass Diodor die
Rechnung nach Olympiaden und attischen Archonten za
Grunde lege, verführen lassen, die Unternehmung in das
J. 305 zu setzen. Zeit und Dauer des Feldzugs lässt sich
fast auf den Tag genau bestimmen.
Die Heerfahrt begann acht Tage vor dem Spätunter-
gang der Pleiaden, also um den 28. März 306, Diod. XX
73 TCüv KvߣQvr]Tcop olo(XEvcov öeIv ccTriÖElv Trjv TYjg TtXEiddog
dvOLv doxovoav EöEGd^au f,iEd^ rif^iEQag oxTa, Die Seeleute
meinten die Stürme, welche man mit dieser Phase verbun-
den glaubte, nicht den Winter; ebendarauf bezieht sich
[1878. I. Philos.-philol. bist. Cl. 4.] 29
398 Sitzung der philos.-philol. Classe vom 4. Mai 1878.
der Bescheid des Antigonos: xovTOLg /.liv eTteTifirjOev cog
xaTOQQcodovGi Tovg KLvövvovg. Die Propliezeiung traf ein,
als die Flotte von Gaza ausfuhr: XX 74 Trjg TcXeioöog
TieQLXa^ßavovGr^g avxovg %ai TTvev/naTog S7riyevof,i£vov ßoQelov
Gvveßrj TtoXka tcov TeTQ7]QLKW Gy.acpcüv vtco tov xsifxcovog
ytaTsvex^rjvaL TtaQaßoXcog stcI ttoIlv '^Paq)iav. Damit vgl.
Columella XT 1, 34 octavo idus Apriles vergiliae vespere
celantur, interdum hiemat (es stürmt, xeiiialvei) ; Clodius
Tuscus bei Laurentius Lydus de ostentis zum 1. April:
Gvvvecpeia yiveTai ex ßoQQcc 'Aal ai Ttkeiaöeg aQyovzai etti-
TsXkEiv (Yersehen statt dvveiv) xal £7tiGt]f.iaiveLv; Pliiiius
hist. nat. XVIII 246 Caesari significant (bringen andere
Witterung) kal. April. III non. April, in Attica vergiliae
vesperi occultantur , eaedem postridie in Boeotia , Caesari
autem et Chaldaeis nonis. Die Berechnung der Dauer hat
Reuss p. 172 angebahnt, ist aber, hier wie an andern
Stellen , über den schönen Anfang nicht hinausgekommen.
In Gaza musste jeder Soldat auf 10 Tage Lebensmittel ein-
nehmen, ausserdem liess Antigonos noch 130 000 Mediranen
Getreide aufladen (XX 73) ; bei der Berathung über die
Einstellung des Feldzugs fehlte es bereits an Lebensmitteln,
c. 76 To 7t£^6v GTQccrev^a rrjv OQfxr^v aTtgaKTOv eixs tcj) /xe-
ye&BL ÖLELQyo^ievov. to öe jj,eyiG'Vov, rnxeqtjv r^drj Gv%viov öie-
XrjXv&vliüv vTtolLTtEiv tjör] Gvvißaivs tov gItov. Die Tages-
ration betrug gewöhnlich eine Choinix (Hultsch Metrologie
p. 82) ; indem Reuss das Heer auf 100 000 Mann schätzt,
findet er, da der Medimnos 48 Choiniken hielt, dass der
Proviant für 62 Tage gereicht haben würde und, da ihm
der Feldzug 8 Tage vor dem 14. November begann, der
Rückzug im Anfang des J. 305 angetreten wurde. Er
übersieht, dass die Lebensmittel erst in Gaza, nach Ablauf
der acht Tage eingenommen wurden, vergisst auch die
zehn Tage, für welche die Soldaten selbst Lebensmittel mit
sich führten, und das Heer betrug nicht ungefähr 100 000
Unger: Diodors Quellen in der BiadochengeschicMe. 399
sondern gegen 90 000 Mann, genau : über 80 000 Fuss-
soldaten und ungefähr 8000 Reiter. Die 624 000 Choiuiken,
welche Antigonos mitnalim, reichten für 90 000 Mann auf
09 Vs oder rund 70 Tage, die Soldaten selbst hatten für
10 Tage Vorrat h gehabt; dazu kommt aber noch, dass
gleich nach der Landung die Soldaten massenweise und
selbst von den Fuhrern manche zu Ptolemaios übergiengen,
welcher jedem Gemeinen 2 Minen, dem Führer 1 Talent
versprach. Antigonos musste Bogenschützen, Schleuderer
und Geschütze am Ufer aufstellen, um die herankommenden
Kähne abzutreiben, und mehrere Ueberläufer, welche ein-
gefangen wurden, liess er zu einem abschreckenden Beispiel
verstümmeln (XX 75); nach dem Abzug des Antigonos
meldete Ptolemaios seinen Verbündeten die errungenen
Vortheile und besonders auch die Menge der zu ihm
üebergegangenen (XX 76). Dies hatte für Antigonos
wenigstens den Vortheil, dass die Vorräthe weiter reichten«
Schätzen wir diesen Zeitgewinn auf 10, die ganze Zeit also
auf 90 Tage, so kommen wir vom 5. April auf den 4. Juli:
sieben Tage vorher, am 27. Juni (Boeckh Sonnenkreise
p. 44) war die Sonnwende und mit ihr die Nilschwelle ein-
getreten. Damit ist erwiesen, dass die Jahrbeschreibung
von Ol. 118, 3. 306 mit dem Frühling beginnt; auch be-
stätigt es sich, dass der Frühlingsanfang an eine frühere
Epoche als an die Nachtgleiche (25. März) anknüpft: denn
die ersten wichtigen Ereignisse, welche die Jahrbeschreib-
ung XX 73 bei Antigonos verzeichnet, sind der Tod und
die fürstliche Leichenfeier seines Sohnes Phoinix, die Her-
beirufang des Demetrios aus Kypros und die Ansammlung
der Streitkräfte , welche nach dem Imperfect ijd^QOi^s zu
schliesseu längere Zeit wegnahm ; dann erst erfolgte der
Aufbruch um den 28. März.
8. Die Beschreibung von Ol. 119, 3. 302 lässt wieder
deutlich erkennen, dass der Frühling den Anfang und der
29*
400 Sitzung der philos.-philol. Glasse vom 4. Mai 1878.
Winter das Ende der Jahresbeschreibung einnimmt. Die
Geschiebte von Hellas beginnt XX 110 mit den Worten
Kaxa öe frjv '^Ellccda /lrj(.irjTQioQ ötaTQißwv £vl4dr]vaig eajcevde
fivr]d^rlvaL y.al Karalaßelv Trjv sv ^EXevolvt TcAeirrjV. Da die
gesetzliche Festzeit der grossen Eleusinien viel später, in
den Boedromion (September) fiel, er aber nicht so lange
warten konnte, so wurde die Weihe vor der Zeit gefeiert,
dann zog er in den Krieg fort. Aus Plutarch Dem. 26 er-
fahren wir, dass der Aufenthalt des Demetrios in Athen dem
Monat Manychion (beginnend am 21. April), also dem Früh-
ling angehört : Demetrios schrieb beim Antritt der Reise
nach Athen, er wünsche gleich nach seiner Ankunft daselbst
die Weihen zu empfangen; um das Gesetz wenigstens, zum
Schein zu wahren , nannte man den Munychion während
der kleinen Eleusinienfeier Anthesterion und während der
grossen Boedromion. Hieraus geht hervor, dass er frühe-
stens zu Ende des Elaphebolion nach Athen gekommen ist,
dass also Reuss p. 173 sich irrt, wenn er aus dem Vortrag
des Ithyphallos, welchen Duris bei Athen. VI 63 mittheilt,
den Schluss zieht, die wahren Eleusinien des Anthesterion
(Februar) seien in Gegenwart des Demetrios gefeiert worden.
Wenn derselbe weiter wegen Duris bei Athen. XH 50 yivo-
^evcjv Tcjv //Yi^rjTQixav lAd^rjvrjüiv eyQag)eTO ejtl tov TtQOGKrj-
vlov BTtl Tilg olKOvi^evr]g 6%ov{.iEvog den Demetrios auch an
den Dionysien jenes Jahres im Elaphebolion (März) theil-
nehmen lässt, so ist zu erinnern, dass von der Anwesen-
heit desselben dort nichts geschrieben steht, dass sie nicht
nothwendig war und endlich, dass wir gar nicht wissen, in
welches Jahr der Vorgang fällt.
Dem Schlüsse des Jahres gehört der ganze Winter an.
Lysimachos entschlüpft dem Antigonos, welcher ihn einge-
schlossen hatte, während einer stürmischen Nacht (XX 109
TrjQijGavreg vvycTa %ei^eQiov) und bezieht Winterquartiere.
Jener zieht ihm nach, stellt aber wegen der Schwierigkei-
Unger: Diodors Quellen in der Diadochengeschichte. 401
ten des Wegs und weil der Winter eintrat die Verfolgung
ein (c. 109 'vrjv xeiiueQivi^v wQav oqcov rceQiXa^ßavovoav) und
vertheilt das Heer in Winterquartiere. Dann hört er, dass
Seleukos aus Hochasien heranzieht und schickt daher eine
Botschaft an Demetrios nach Thessalien'^), er solle kommen;
dieser schliesst darauf Frieden mit Kassander (c. 111), fährt
nach Ephesos, gewinnt dieses und andere Städte und bezieht
dann gleichfalls Winterquartiere. Lysimachos hält unterdes-
sen in Herakleia Hochzeit (c. 109); Verstärkungen, welche
Kassander nach dem Abgang des Demetrios schickt , kom-
men nach verschiedenen Irrfahrten stark vermindert zu ihm
ins Winterlager (c. 111); 2800 Soldaten gehen zu Anti-
gonos über (c. 113). Endlich kommt auch Seleukos näher
und überwintert in Kappadokien. In der kommenden guten
Jahreszeit soll der Entscheidungskampf gekämpft werden
(c. 113 ytexQLKOTwv drcavTcov Kara rrjv ifCioioav d^egelav öici
Tcov OTzXcov y.qivaL top TtoXefiov).
in.
stücke aus anderer Quelle.
Im Philologus 34, 54 bemerkte ich, dass XIX 35 die
Geschichte Makedoniens im Jahre 116, 1. 316 ausnahms-
weise mit dem Winter 317/6 anstatt mit Frühling 316 be-
ginnt, erklärte aber, befangen in dem Vorurtheil, dass Dio-
dor sich selbst um die Feststellung seiner Jahranfänge be-
7) Diod. XX 110 habe ich in den Blättern für das bayrische Gym-
nasialwesen 8,147—150 folgendermassen verbessert: f^std 6k ravt' ^Av-
ZQWPccg (vg. ravTcc IT()(oyag) fxht/ xccl TItsIsov TTgoarjyayfto, "Alov (vg.
Jlov) 6s Zeel ^Oq^oi^spov fiezoLXi^ovtog eig Oijßag Kaadv6Qov 6'iexojXvas.
Da Demetrios und Kassander in Achaia Phtbiotis einander gegenüber-
standen, so ist nicht mit Droysen 2,209 an das boiotische Orchomenos
und an Dion auf Euboia zu denken , sondern an phthiotische Städte;
unter diesen war auch ein in der historischen Zeit selten, desto häufi-
ger aber in der mythischen vorkommendes Orchomenos; nur auf dieses
sind wohl die Sagen von Athamas zu beziehen, der in Achaia Phthiotis
seine Heimath hatte, dort Alos stiftete und ein König von Orchomenos
genannt wird.
402 Sitzung der philos.-xMlol. Classe vom 4. 3Iai 1878.
müht habe , diese Abweichung unrichtig aus der Absicht,
die Geschichte der Unternehmung Kassanders gegen Olym-
pias nicht auseinander zu reissen ; die Vertheilung einer
zusammenhängenden Geschichte über mehrere Jahre meidet
er auch anderwärts nicht, z. ß. bei der Rückkehr des An-
tigonos aus Medien, der Belagerung von Rhodos u. a. Die
Ursache liegt viehnehr darin , dass dort eine andere Quelle
als Hieronymos benützt ist; solcher Abschnitte besonderen
Ursprungs finden sich noch mehr, sie gehen auf einen und
denselben Gewährsmann zurück und haben alle den Winter
am Anfang, den Herbst am Ende des Jahres. Dies soll
nunmehr erwiesen werden.
1. XVIII 26-39.
Dass im XVIII. und XIX. Buch für die Diadochenge-
schichte zwei Quellen mit einander abwechseln , erkennt
man an dem Vorhandensein von Dubletten, welche einander
widersprechen.^) Den ersten Fall dieser Art liefert die Dop-
pelerzählung von den kriegerischen Anordnungen des Per-
dikkas zu Ende Winters 321. Der eine Bericht steht XVIII
25 : UsQÖlytyiag Tovg rs g)lXovg Kai Tovg rjye/j^ovag ddqoioag
Ttqoe&rjKe ßovh]v^ jtoTeqov sttl ti^v MaKeöovlav xqtj orQazev-
eiv rj jtQOxeqov STtt tov nroXei-ialov orqarevGai . rtavTcov
d^ STcevexS^ivTcov l/tl ro TtQoregov xava/ioXei^iriaai zov Hco'Ke-
[.lalov, OTtcog furjöev ifinoÖLOv t%coöL rrjg xara xiijv May.EÖo-
viav OQj.irjg , Ev^evrj f.i€v e^ircei-ape (xeta dwa^etog d^ioXoyov
7tQ0öta^ag eq)£ÖQeveiv zolg iceql %ov "^EXkriöicovrov roTtoig Kai
trjv diaßaOLv KwXveiv. avrdg de dvaXaßcov sk trjg TIiOiÖLK^g
TTiv Ttoqeiav snl Trjv ^Yyvmov stcoluto. Als wenn er von
alle dem noch nichts gesagt hätte, schreibt Diodor XVIII
29 UsQdlyiKag vcpOQwiAevog avTov Trjv av^rjatv avTog f.iev l'-
yiQive {A,£Ta. tcov ßaoiXecov t(o jtXsiovcij f.itQei Trjg övvafxecog
8) Die meisten Fälle hat Kallenberg Piniol. 37,215 ff. zwar be-
achtet , aber nicht erkannt dass die Ursache der Wiederholung in der
Benützung einer zweiten Quelle neben Hieronymos zu finden ist.
Ünger: Diodors Quellen in der Diadochengeschichte. 403
OTQcczevetv ercl zriv -Al'yvjitov • Evjuivr] ö'£^e7tef.iipev eTtt zov
'E?drj07tovTOv KwXvGovta zovg jieqI l^vzütaTQOv Kai KqaTe-
Qov öiaßciLveiv eig rrjp ^^olav ^ doig avT(j) rrjv dQ(.iotovöav
Svvaf.uv. Der Beschluss des Perdikkas gegen Ptolemaios
zu Feld zu ziehen, wird hier als ein neuer, erst jetzt ein-
getretener Vorgang dargestellt und während in c. 25 der
Autbruch des Perdikkas gleichzeitig mit dem des Eumenes
vor sich geht, weiss c. 29 zuerst nur von diesem ; der Ober-
anführer selbst zieht viel später ins Feld, erst auf die Nach-
richt vom Sieg des Eumenes , c. 33 neqdUKag di rrvSo-
f.iEvog zr]v ytaid tov Evf.i6V}] vlxrjv rvoXXq) ^qaovTeQog iyeveto
TTQog rrjv eig AXyvnTov oiQareiav. Nach c. 29 v(pOQCof.i6vog
avrov Ti]v av^t]Giv ist es bloss Eifersucht auf die steigende
Macht des Ptolemaios, die Furcht diesen unabhängig werden
und sich über den Kopf wachsen zu sehen, welche den Per-
dikkas zum Feldzug veranlasst. Dagegen c. 25 bezeichnet
die Niederwerfung des Ptolemaios nur als Mittel zur Er-
reichung eines höheren Zwecks, erst nach ihr kann Make-
donien, der Thron und das ganze Reich Alexander des
Grossen in Angriff genommen werden; einen ähnlichen
Unterschied zwischen beiden Quellen werden wir in Bezug
auf Antigonos vorfinden (s. zu XVIII 73). Ausser der
Dublette selbst vgl. aus c. 25 livTiyovog edlöa^ev avTOvg
Tieql irig oXr^g eTtißoltjg tov UeqöU'/.ov xal öiOTi zriv Kleo-
Tiatqav yajuriGag euOig rj^ei (.leTcc xr^g övvd(.iewg slg tr^v Ma-
ytedovlav cog ßaaileug xal zr^v iqye/xovlav avzcov neQiaiqriOecai
und c. 23 iii6T£7isGe zdlg XoyiGf.io7g. OQeyof-ievog ydq ßaGi-
Xslag l:G7revdc rrjv KleojtdzQav yrj(.mLy vofii'Ccüv öid zavvrjg
TTQOTQeipeG&ac tovg Blaxedovag GvyyMTaGxevaCeiv avtcj) zr^v
ziüv oXcüv e^ovGiav. Die von Perdikkas Bedrohten, Anti-
pater und Krateros, haben sich nach dieser Auffassung bloss
ihrer Haut gewehrt; dem von c. 26 an zu Grund gelegten
Berichterstatter sind sie Rebellen , welche sich gegen den
Thron empören, c. 29 oitwg zov Uzolef^ialov TTQOGlrj^d^ivzog
404 Sitzung der phÜos.'phüol. Classe vom 4. Mai 1878.
elg ov(.i^iaxiav dvvaxol yevcüvtac neqiyevlod^ai rcov ßaoiXiytwv
dvvaixecov. Verschieden ist aucli die Weltanschauung: c. 25
kennt kein Eingreifen der Götter in den Gang der mensch-
lichen Dinge, c. 28 führen sie die Rettung des Ptolemaios
herbei (s. unten zu XIX 11).
Cap. 25 bildet den Schluss eines c. 22 beginnenden
zusammenhängenden Berichtes über den pisidischen Feldzug
des Perdikkas und den aitolischen des Antipater und zu-
gleich schliesst damit die Jahrbeschreibung von 114, 3. 322;
der nächste zusammenhängende Abschnitt urafasst in c. 26
bis 39 den ägyptischen Krieg des Perdikkas und den gleich-
zeitigen des Eumenes in Kleinasien sammt der Theilung in
Triparadeisos. In diesem folgt der Beschluss des Perdikkas,
gegen Ptolemaios auszuziehen, auf den ersten grossen Vor-
gang der Jahresgeschichte von 114, 4. 321, den Transport
der Leiche Alexanders nach Aegypten ; dagegen in c. 25
steht er am Schluss nicht bloss der Jahrbeschreibung (es
folgen nur noch die Worte ravxa ixev ovv ijtQaxSi] naza
TOVTOv Tov iviavtov) sondern auch des Jahres selbst : denn
wenn die Eröffnung des Feldzuges (ri^v TtOQelav STtl xriv
^lyvTttov Itcolüxo) diesem Jahre, die Fortsetzung also dem
nächsten angehört, so kann jene vom Jahresschluss nicht
durch einen ereignisslosen Zwischenraum getrennt sein.
Vorausgeht in c. 25 die Flucht des Antigonos zu Antipater
und Krateros, welche durch seine Nachricht von den Ab-
sichten des Perdikkas auf den Thron veranlasst werden, so-
fort den aitolischen Krieg einzustellen; dieser aber spielte
bereits im Winter, vgl. c. 25 G\)vavay'A.aQov%tov rovq Ttokz-
fA,lovg fievsiv tov xei^iMva nal öiaKaQTSQEiv ev xdlg %iOvoßo-
XovfxevoiQ und avayKalov rjv fÄsrovrag vtv svöelag xal xqviliov
diag)&aQrlvaL. Die erstbenützte Quelle also, die von XVIII
22—25, schliesst das Jahr mit dem Winter; in ihr haben
wir Hieronymos zu erkennen und da seine Jahrepoche auf
oder um den 25. Februar fällt (pag. 382), den Kriegsbeschluss
Ünger : Diodors Quellen in der Diadochengeschichte. 40 5
des Perdikkas und den Aufbruch aus Pisidien in den Fe-
bruar 321 zu setzen. Die andere, XVIII 26—39 zu Grund
gelegte Quelle^) nimmt umgekehrt den Winter als Anfang
des Jahres. Dem Unternehmen des Perdikkas gegen Ptole-
maios geht in ihrer Jahresgeschichte die Üeberführung der
Leiche Alexanders nach Aegypten voraus, welche demnach
spätestens im Januar oder Februar 321 stattgefunden hat,
nicht wie Reuss will im Frühling darnach. Das Richtige
hat schon Droysen 1, 110 erkannt.
Ueber die letzten Absichten des Perdikkas zeigt sich
die zuerst (c. 25) benützte Quelle besser unterrichtet , s.
Droysen 1,15; 100. Ebenso über den Ort, wo er den ent-
scheidenden Kriegsrath abhielt: wenigstens stimmt Justin
XIII 6,10 Perdicca Aridaeum in Cappadocia de summa belli
in consilium adhibet trotz der scheinbaren Abweichung,
welche Droysen 1,14 veranlasst, Pisidien und Kappadokien
miteinander zu nennen, insoferne mit Diod. XVIII 25 überein,
als er die Berathung auf den Schauplatz des zuletzt ge-
führten Krieges verlegt. Dies war der pisidische ; ihn über-
geht Justinus oder vielmehr er vermengt ihn XIII 6,1 mit
dem vorhergegangenen kappadokischen : Perdicca hello Aria-
rathi regi Cappadocum inlato praelio victor nihil praemii
praeter vulnera et pericula rettulit: quippe hostes ab acie
in urbem recepti occisis coniugibus et liberis domos quis-
que suas cum omnibus copiis incenderunt etc. ; diese her-
oische Selbstvernichtung vollzogen die Isaurier im pisidi-
schen Krieg (Diod. XVIII 22). Es ist also nur eine Folge
dieser Coufusion , wenn Justinus in Cappadocia anstatt in
Pisidia sagt. Von da ist aber Perdikkas weder sogleich, wie es
nach XVIII 25 scheinen kann, nach Aegypten gezogen noch hat
9) Dass Hieronymos den Leichenwagen ausführlich beschrieben hatte
(Athen. V 40), ist, wie Rössler 36 treffend bemerkt, kein Beweis für die
Abstammung der XVIII 26—27 stehenden Schilderung desselben aus
jenem Historiker.
406 Sitzung der philos.-phÜol, Classe vom 4. Mai 1878.
er wie die von Diodor XVni29 überdies missverstandene Ne-
beuquelle angibt^^), erst auf die Nachriebt vom ersten Siege
des Eumenes den Zug dabin begonnen. Dieser Sieg ging dem
zweiten, welcher in Aegypten zwei Tage nach dem Tod des
Perdikkas bekannt wurde (XVIII 37. Plut. Eum. 8), bloss
um zehn Tage voraus (Plut. Eum. 8); andrerseits hielt sich
Perdikkas nach der Rückkehr von Pisidien noch einige Zeit
in Kilikien auf, wo das eigentliche Hauptquartier gewesen
zu sein scheint (Plut. Eum. 4), in der Nähe der königli-
chen Schätze welche in Kuinda lagen. Dort glaubten ihn
Antipater und Krateros : XVIII 29 ddyvtooav l4vTi7iaTQ0i>
jtqoayELv eirl KiXiytiag öiajtolef-irjGovva 7TQdq IleQSlxxav]
33 ^vxucatQOQ, TTQOTJyev hd Kihxiav ortet öcov ßoi]d-rioai Tfp»
nToXeinaui) ; Plutarch Eum. 6 KQaieQOs LlvTiJtaTQOv elg
Kdixibcv arcloTellEv. Eumenes ist jedenfalls gleich von Pi-
sidien aus gegen sie entsandt worden ; ihn mit nach Kili-
kien ziehen und erst von da aus abgehen zu lassen , wäre
eine nutzlose Zeit- und Kraftverschwendung gewesen. Per-
dikkas aber mag in Kilikien dem Heer eine Rast gegönnt
haben; einen zweiten Aufenthalt nahm er in Damaskos ;
dort fand der eigentliche Aufbruch gegen Aegypten statt,
Arrian success. 28 TtaqayivExai ccTto Jaf.iaoy.ov neQdr/,y.ag
In ^lyvTtTov. Er wird auf Nachricht von Eumenes gewar-
tet und als die Kunde von dessen Sieg über Neoptolemos
und dem Uebertritt des von diesem geführten Heeres eintraf,
den Zug fortgesetzt haben. — Der Nachricht der Neben-
quelle, dass Python und Arridaios nach seinem Fall zu
Reichsverwesern ernannt worden seien und nur aus Ueberdruss
diese Würde aufgegeben hätten (XVIII 37 ; 39), ist Droy-
sen 1,134 trotz ihrer von ihm selbst gefühlten Unwahr-
scheinlichkeit gefolgt; der in der Regel gut unterrichtete
Arrian sagt aber success. 30 avTc IleQÖUxov Uld^cov %al^Q-
10) Er bezieht auf den zweiten Sieg, was vom ersten gilt, s. Kal-
lenberg im Philologus 36,525.
Unger: Dioiors Quellen in der Diadochengeschichte. 407
Qidalog Ev tu) Tecog dveQQri&rjOap. Sie übernahmen also bloss
vorläufig den Befehl; dem entsprechend erklären sie § 31
avTolg Hog av ^vzlyovog Kai ^ivxijtaxQog naqaytviovzai fieli^-
oeiv tceqI Ttavxcov und wie selbstverständlich geht er dann
auf Antipater über, § 32 wi/ 7taQayEV0}.dvü)v eig Liviiyovov
ri dvvaöteia Tiequotatai.
Dieselbe Verschiedenheit der Anschauung über das Yer-
hältniss von Gott und Welt wie sie zwischen XVIIT 25
und 28 besteht, findet sich auch sonst zwischen Hierony-
mos und der Nebenquelle, s. zu XIX 11; andere Abweich-
ungen von jenem zeigt bei Vergleichung mit XVIII 3 die
Darstellung der Theilung von Triparadeisos c. 39. Die Sa-
trapie Mesopotamien und Arbelitis heisst c. 3 bloss Meso-
potamien ; umgekehrt wird die dort Parthien und Hjrkanien
umfassende hier nur Parthien genannt. Ausdrücklich wird
die Beibehaltung des früheren Umfangs c. 39 bei der des
Antigonos hervorgehoben : 0Qvyiav Trjv i^ieyalrjv y,al ylvKiav
^AvTLyovco Ka&a7V£Q jtqoTeqov t'oxe, derselbe aber c. 3 ^4vtl-
yova) T[a{.i(pvXiav ycal ^vKiav %al zi\v f.ieyalr]v y,aXovfxevi]v
(Dqvyiav doch anders bezeichnete^); mit c. 3 stimmt Appian
Syr. 53, der auch sonst aus Hieronymos schöpft (pag. 410).
Der Chiliarchentitel c. 39 wird von diesem wie es scheint
absichtlich vermieden, s. zu XVIII 48.
2. XVIII 43-49.
Zwischen den zwei p. 372 auf Hieronymos zurückgeführ-
ten Abschnitten XVIII 40 — 42 (Krieg zwischen Antigonos
und Eumenes in Kappadokien) und 50 — 53 (Antigonos ge-
gen Aridaios von Kleinphrygien) liegen zwei geschlossene
Stücke : c. 43 die Erwerbung Koilesyriens durch Ptolemaios
und c 44 — 49 der Krieg des Antigonos gegen die Perdikkaner
in Pisidien, nach dessen Beendigung er den Tod Antipaters
11) Vollständig ist auch diese Bestimmung nicht; sie übergeht Ly-
kaonien, s. Arrian § 37.
408 Sitzung der philo s.-phüol Classe vom 4. Mai 1878.
erfuhr; der Bericht geht daher auf Makedonien über, um
jenes Ereigniss und was mit ihm zusammenhängt mitzu-
theilen. Von c. 43 wird zu c. 73 die Rede sein ; das grös-
sere der zwei Stücke liefert Dubletten und Abweichungen
von den aus Hieronymos gezogenen Abschnitten.
Eine Wiederholung aus anderer Quelle als c 41 tov
XfOQiOv (NwQCüv) TYiV ixavrjv cpvlaxijv ccTroXiTtcov wg/iirjoev
BTtl Tovg 7tOQevof.i£vovg^''^) i^yef-iovag rcov ^rroXE/Lilcov y.ai dvva-
fAEig exovvag^ ^AXxerav xe tov dSelcpov tov TleQÖUxov xal
^iTxaXov TOV TOV GToXov TiavTog xvQievovTa scheint c. 44 zu
geben : ^AvTiyovog xaTaTte/coXcf.wxcLg Tovg Ttegl tov Ev(,ievri
ezQive OTQaveveiv 87x1 tov l4XxeTav %al ATTaXov. ovxoi yaq
VTCEkuTtovTO tCjv Ueodl^iKOv cplXcov ytat oIkclcov Tjyef-ioveg fiev
a^LoXoyoi OTqaTuoTag d'e%ovTeg \'/.avovg af-i(piGßi]Tfioai tcov
7rQayf.iaTCüv. dvatev^ag oiv (.ieto. Trdorjg Trjg SvvdfAECog ea Ka/t-
Ttaöoxiag Ttqorjyev htl Tiijv IIiGidixriv. Beide Stellen wer-
den allgemein, z. B. von Droysen 1,168 auf eine und dieselbe
Unternehmung des Antigonos bezogen , aber mit Unrecht.
Antigonos ist zweimal gegen die Perdikkaner
ausgezogen: das erste Mal im Herbst 320, unmittelbar
nach der Einschliessung des Eumenes in Nora (c. 41) ; dann
(c. 44) im Frühjahr 319'^). Zwischen beiden Feldzügen
liegt der Winter, den Antigonos in Kappadokien , Alketas
in seiner Nähe, d. i. in Pisidien zubrachte, Polyaen IV 6,6
12) Dies Wort gibt keinen erträglichen Sinn. Bewegungen ohne
festes Ziel würden durch nlcci^iof^Evovg ausgedrückt sein. Vielleicht ist
vTiolemofxevovs zu schreiben. Dindorf hat ßhodoxnanns Conjectur
ininoqevo^evovg (ingruentes) in den Text gesetzt; das passt nicht zu
SvvcKf^eig e/oPTccg.
18) Reuss verwechselt die Zeit der Winterquartiere mit der des nach
ihnen unternommenen Feldzugs gegen Alketas, wenn er p. 162 diesen
in den Winter 320/19 setzt , wozu er durch die unrichtige Zeitbestim-
mung von Antipaters Tod und Eumenes Entlassung aus Nora (s. u.) ge-
nöthigt wird.
ünger: Diodors Quellen in der DiadocJiengeschicJite. 409
l4vTi'/ovog ttsqI KaTtTtaSoxlav exelf^iatev. mteorrjoav d''avTOv
ol May^edoveg ovzeg tqioxiXioi , sdeöolxei di (^rj Ttqood^dlvxo
To7g TtoXefxioig wv l4l%ixag r\qyß. Beim ersten Feldzug ist
Attalos noch im Besitze der Flotte, c. 41 %aV!ATxa%ov töv
Tov GToXov TtavTog KVQievovra (vgl. c. 37); beim zweiten
stellt er schon mit Alketas im Binnenland Pisidien. Den
Verlauf der ersten Unternehmung hat Diodor nach dem Be-
richt über Euraenes Treiben in Nora nachzubringen verges-
sen; dass aber damals die Perdikkaner noch die südwest-
liche Küste Kleinasiens besassen, beweist Appian Syr. 52,
welcher von dem im Sommer oder Herbst 320 aus Syrien
entflohenen Laomedon sagt : ^Qog ^XxeTav scpvyev ig Ka-
Qiav. Wir vermuthen daher , dass Antigonos im Herbst
320 nach Karien zog und die Perdikkaner zwang, die Küsten
Kleinasiens zu räumen und sich nach Pisidien zurückzuzie-
hen, welches sich Alketas schon lange zur Zuflucht auser-
sehen hatte; der Winter nöthigte dann den Antigonos, die
Verfolgung vorläufig einzustellen*^). Wenn hienach c. 44
auch keine Dublette zu c. 41 enthält, so ist doch die Qaelle
eine andere : die c. 44 benützte weiss nichts von dem frü-
heren Zug des Antigonos gegen die Perdikkaner, welchen
wir ans c. 41 kennen lernen. Auch hier zeigt sich die
Nebenquelle mit der Geschichte der asiatischen Vorgänge
nur mangelhaft vertraut.
Ueber die Würde, welche Antipaters Testament seinem
Sohne zudachte, sagt XVII I 48 : Kaooavöqov {ajvsdeL^e) xi-
14) Droysens Darstellung (1,168), Alketas habe eben, als Laomedon
zu ihm floh, aus Karien sich in die pisidischen Berggegenden geworfen,
um dort den entscheidenden Kampf gegen Antigonos zu beginnen, stützt
sich bloss auf den Textfehler noQSvo[jiivovg bei Diodor (s. Anm. 12).
Asander war durch die Niederlage , welche ihm Attalos und Alketas
beibrachten ( Arrian § 41), verhindert worden die ihm zugewiesene
Satrapie anzutreten; erst der Zug des Antigonos, von welchem Diod.
XVIII 41 spricht, hat ihm also dieselbe verschafft.
410 Sitzimg der philos.'pJnlol. Classe vom 4. Mai 1878.
XlaQXOv y,at devzsQsvovTa v.axa xr^v i^ovoiav. ij ^^ '^ov %Lki-
aqxov rd^ig xal TtQoaywyrj t6 (xev ytQcovov vtco twv HegGi-
y,wv ßaGiXicüv eig bvofxa Kai öo^av rCQOYixd^Tq' /ueva ös Tavta
naXiv vtt'' IdXe^avÖQOv (.leyaXrjg l'ziyev i^ovolag yial TLfxrjg,
OTs ycal Ttov aXkcov twv UeQOixwv vof,ufxcüv CrjXwziqg syeveTOf
dio yial ^vTiJtaxQog /.axa xi^v avTYjv aycoyqv tov viov Kao-
oavÖQOv ccTceöei^e y/XlaQyov. Eine so ausführliche Besprech-
ung gibt man, wenn der Gegenstand vorher noch nicht er-
wähnt oder wenigstens nicht erklärt worden war. Beides
ist, aber in anderer Weise und mit anderer Bezeichnung,
schon c. 3 nach dem Vorgang des Hierouymos (p. 370 und
407) geschehen : ^elevaov sra^ev sTtt riqv InnaQxiav tcov ezal-
Qcov ovoav eTZKpavEOTarrjv ' Tavtrjg yaQ '^licfaiozicov nQcoTog
fi£v iqyrjGccvo fiezd Ss tovtov JJeQÖiKKag TQiTog ö'o TtQOSiQtj-
f.iivog ^eXevyiog ^ womit Appian Syr. 57 ylyverai {2fXevKog)
ei-d^vg^AXe^dvö^ov ^eTaovdvrog iqy£fj.a)v zrjg iTVTtov xr^g exai-
Qiyirjg, T^g Sn^ y.al '^Hq)aiöxuov yjyi^Gaxo l4Xe^dvdQtü yial ecp'
*^I-lq^aioxio)vi Ileqd Uxag eine fast wörtliche und aus gemein-
samer Benützung des Hieronymos (vgl. p. 371 und 407) zu
erklärende Uebereinstimmung aufzeigt. In einem auffallen-
den, von Droysen 1, 15 nicht berücksichtigten Widerspruch
mit beiden Quellen steht Arrian: mit Hieronymos, insofern
er leugnet , dass Alexander dem Hephaistion einen Nach-
folger gegeben hatte (exped. Alex. VII 14, 10) ; mit der
Nebenquelle Diodors, indem er die Chiliarchie als die höchste
Würde nach dem König, nicht als die zweite bezeichnet,
Arr. success. Alex. § 3 : JleqdUnav yiXLaQxuv xiXiaQXictg '^g
rjQXev '^Hq)aiOTicüv' x6 öi TJv emxQOTCt) xrjg nccGyg ßaGiXeiag.
Aus Arr. exp. VII 14 10 otSs dXXov Xivd l'xa^ev ävzVlicpai-
Gxtcüvog ;jiA/a^%OJ^ srct xfj ^titcco xrj sxaiQixij ^Xe^avöqog^ %va
fiiri drtoXoLXO x6 ovofÄa xov '^Hg)aiGxicovog ex xrjg xd^ecog' dXXd
'^HcpaLGXicovog xe ?J yjXiaQxia ixaXelxo Kai x6 Grjfxelov avXTjg
iqyslxo e^ '^HgjaLGxlcovog TtSTtoirji^evov sieht man, dass Hephai-
stion, modern zu sprechen, nomineller Inhaber des Garde-
ünger: Diodors Quellen in der Diadochengeschichte. 411
regiments zu Pferd blieb ; zum wirklichen oder stellvertre-
tenden Befehlshaber, welchen dasselbe ja haben musste,
wurde vermuthlich Perdikkas ernannt und ihm ein Titel
wie LTtTtagxog oder T^yeficov Trig ciCTtov Trjg EvaLQLxrjg gegeben.
Gemeinhin wird man es aber damit nicht so genau genom-
men und ihn auch mit dem Titel der Würde, die er that-
sächlich inne hatte , beehrt haben. Die mit derselben
verbundene Bedeutung und Stellung am Hof stand im um-
gekehrten Verhältniss zur Kraft des Trägers der Krone :
unter einem grossen König wie Alexander blosser Hofmar-
schall oder Generaladjutant musste unter einem Philippos
Aridaios der Chiliarch wieder werden , was er unter den
schwachen Perserkönigen gewesen war: Grosswessier oder
Maiordomus.
So war es fast selbstverständlich, dass Perdikkas nach
dem Tod Alexanders auch den Titel des Amtes, das er
schon bekleidete, annahm und mit ihm die Gewalt, welche
der sterbende König durch Einhändigung des Rings ihm
symbolisch übertragen hatte, und da neben einem schwach-
sinnigen und einem unmündigen König die Macht noch grös-
ser war , als sie selbst unter den Perserkönigen gewesen, so
trennte Perdikkas das eigentliche Commando, an welchem
das ganze Hofamt erwachsen war, von diesem ab und über-
trug es sammt dem Titel, welchen er als Interimsbefehls-
haber der Hetairenreiter geführt hatte, dem Seleukos. Die
officielle Bezeichnung des Perdikkas gibt Arrian ; Hierony-
mos (XVHI 3) vermeidet den jetzt zweideutig und missver-
ständlich gewordenen Titel Chiliarch und gibt dafür die
thatsächliche Machtstelluug des Perdikkas an ; die Neben-
quelle Diodors zeigt sich abermals am wenigsten mit den
Verhältnissen in Asien bekannt, sie hält sich an die popu-
läre Benennung. Wenn nun diese XVHI 39 JiccQSi^ev^e Tf^J
lävTtyovM xi^laQxov tov viov Kaöoavdqov ^^) den Sohn Anti-
412 Sitzung der philos.-philoL Classe vom 4. Mai 1878.
paters schon bei der Theilung von Triparadeisos zum Chi-
liarclien emporsteigen lässt, so scheint es, als hätte Kas-
sander durch das Testament seines Vaters gar keine Be-
förderung erfahren und in diesem Sinne sagt Droysen 1,
117, seine Würde sei ihm belassen worden. So weit jedoch
gieng Antipater in der Verleugnung der Vaterliebe nicht ;
dass Kassander eine höhere Stellung erhalten sollte, beweist
der zweimal XVIII 48 und zum dritten Mal in dem einzigen
Zeugniss, welches wir ausserdem hierüber besitzen, bei Plut.
Phok. 31 gebrauchte Ausdruck Kaoöavdqov dnedet^B %LliaQ-
yov. Bei der Theilung von Triparadeisos war Kassander
Chiliarch des Oberfeldherrn in Asien Antigonos geworden;
jetzt sollte er eine entsprechende Stellung beim Reichsver-
weser Polysperchon selbst einnehmen. Schuld an der Un-
klarheit ist die Ungenauigkeit unsres Gewährsmannes (dass
Plutarch dieselbe Quelle anwendet, scheint aus dem Vor-
kommen noch anderer Uebereinstimmungen hervorzugehen,
s. zu XVIII 65) ; doch ist wenigstens bei der ersten Nen-
nung zur Verhütung von Missverständniss zu %ikiaq%ov hin-
zugefügt : v.al SevTeQevovza Kard rrjv s^ovoiav. Da Seleukos
bei der Theilung von Triparadeisos eine Satrapie bekam,
so erhielt seine bisherige Stelle als Befehlshaber der He-
tairenreiter Kassander und erbte damit die populäre Be-
nennung Chiliarch; er wurde dem Antigonos unterstellt,
weil dieser als Oberfeldherr in Asien thatsächlich an die
Stelle des Perdikkas trat oder wenigstens treten sollte.
Einen Abschnitt für sich bilden c. 54 — 63, enthaltend
den Schluss der Jahresgeschichte von 115, 2. 319 und den
Anfang von 115, 3. 318; beide Stücke hängen zusammen,
c. 58 x^^Q^S "^(^v TtQoeiQrjfÄSvcov am Anfang des neuen Jahres
15) Arrian success. § 33 KdaaväQov /iXiccqxv^ r^? innov, rrjg
SivufieoDS Se Trjg n^oad^Bv vno JleQÖUxa Terccyfxiyrjg ^Avriyovov riys-
f^öya (X7iE^t]P€.
Unger: Diodors Quellen in der Diadochengeschichte, 41 o
bezieht sich auf den Inhalt von c. 57 zurück. Das Ganze
ist, gleich c. 50—53, aus Hieronymos gezogen; dessen Welt-
anschauung gibt c. 54, 59, 60, 61 (s. zu XTX 11), seine
Ansicht über die letzten Ziele des Antigonos c. 58 (s. zu
c. 73). So steht denn auch c. 63 über die Besatzungen
von Phoinike in Widerspruch mit der Nebenquelle (s. zu
c. 73) und liefert zu ihren Berichten Dubletten, deren In-
halt auf einen anderen Gewährsmann hinweisen. Ueber die
Stimmung Kassanders , als er sich in Ansehung seines
höchsten Wunsches enterbt sah, heisst es c. 49 : Ou i^riv 6
KaaoavÖQog ya Trj tov Ttaxqdg ra^et ovvevöoxr^S-i]^ öeivov
"^youf-ievog el trjv tov ftatQog i^yef.ioviav o ini] TtQoayjxwv xata
yivog diadt^etai xal xavd-^ vlov dvva^ievov 7tQayf,iaTCüv r]yei-
o&ai -nal öeSrjXwxoTog ijör] TtelQav aQET^gTexalovÖQetag. Von
neuem , als wäre vorher darüber nicht gesprochen , wird
c. 54 darauf eingegangen : KaoaavÖQog dn-OTetevxcog Tijg
Kavd rrjv Ma/.eSopiav ^ysf^wvlag ovx emr^^ev dXX^ sAQivev
avTtxsod^ai xavxiqg^ aloxQOv eivat diaXaf.ißavcov rrjv tov tt«-
TQog ccQyj^v vcp* eTeqcov dioi'/.elod^ai. Die Auffassung ist nicht
dieselbe: Hieronymos (c. 54) spricht von dem Muth Kas-
sanders, welcher sich durch das Votum des eigenen Vaters
nicht einschüchtern liess , derselbe denkt bei ihm bloss an
seinen vermeintlichen Erbanspruch ohne Rücksicht auf eignes
Verdienst. Die Nebenquelle (c. 49) fasst auch letzteres ins
Auge, legt aber das Hauptgewicht auf die Stimmung der
Unzufriedenheit, welche sich bei dem Bewusstsein, der Stelle
würdig und gewachsen zu sein, in seiner Seele bildete.
Die Neben quelle ist gegen Kassander gün-
stig gesinnt. Sie lobt zwei Eigenschaften an ihm,
welche durch Te xai als wesentlich verschieden auseinander
gehalten sind : seine nirgends in Zweifel gezogene avdqeia
(vgl. c. 43 KaoöavÖQOv ovra veov ccTtsdei^e xillaQxov) und
seine dgerrj^ eine Eigenschaft von der andere Schrift-
steller kein Aufhebens machen. Gemeint ist persönlicher
[1878 I. Phüos.-philol. hist. Cl. 4.] 30
414 Sitzung der phüos.-philol Classe vom 4. Mai 1878.
Werth und anerkanntes Wolil verhalten , welches einer so
hohen Stellung würdig macht ; synonym ist eTTieixeicc , vgl.
dieselbe Quelle über Ptolemaios XVIII 28 oi d-eol did xr-v
aQezrjv y.al elg Ttccvrag zovg cpilovg eTtieUecav sx tw)^ (,ie-
yloTcov Tiivövvcüv TtaQaSo^cog avrdv dieotooav und über Kas-
sander selbst c. 75 htieiALog (= ,t(£T' dger^g) nQOGcpBQO-
^evog TcaOL nal Kavd idg Tcqa^etg svsQydg ( — dvÖQEwg) cov.
An unserer Stelle übergeht sie, dass die Neigung des Volkes
nicht auf seiner Seite war (Hieron. c. 54 oqwv Tr]v rcov
Maycedovcov OQ/urjv y,eyiXii^ivrjV rcQog tcv TloXvajt iq%ovra) ; wo
das der Fall ist, weis^ sie diesen Faktor sehr Avohl zu
schätzen: c. 75 a. a. 0. Tcolloig elx^v algeziOTccg Trjg avcou
öwaGTslag ; XIX 11 twv KaoGavÖQOv q)iXcov rovg s/ci(pave-
oiarovg exarov Maycedovag ; 50 ^OXvi.irtidg OQioGa Tovg ^rXel-
OTOvg fX€TazLd^e^€vovg TiQog Kdooavöqov. Ursache der Flucht
der Olympias nach Epeiros ist bei ihr XVIII 49 Antipater,
aber bei Hieronymos c. 57 Kassander ; ganz ähulich spricht
die Nebenquelle bei der Hinrichtung des Demades (c. 48 :
^vTiTTaTQog ovöey-iav dovg aTtoxQioiv TTagiöcüxe To7g htl xdg
zifÄCogiag Terayf-iivoig avTov re tov Jri^ddrjv y,al rov viov
^fjf^sav ovTOi (xev ovv dnaxd^evTng ug %i ÖL-Krjf^a evxeleg
eS^avaTw&Tqoav) und bei der Entdeckung seines zweideutigen
Verhaltens nur von Antipater, kein Wort von Kassander,
welcher nach der durch die andern Berichte herrschend
gewordenen Ansicht sowohl intellectueller Urheber als phy-
sischer Thäter des Mordes war. Letzteren schildern Plutarch
Phok. 30 Kaooavöqog ovviXaße xal TtQWTa (xev tov v\6v
syyvg Ttqoöayaycov TiQOsacpa^ev wors Kavaöe^ao^at Tolg xoA-
Ttoig TOV TtaTeqa Kai yiaTaTrXrjo^rjvai tov cpovov ' ^er« Tavta
(5' elg axccQiGTiav amov y.al Tcqodooiav noXXd XoiöoQ'ijoag
nat Tia&vßQLOag drcsKTeLvev; ähnlich Plut. Demosth. 31 und
Arrian success. § 14 Ji](jdSrjg V7td Kaöodvdqov socpdyi] tov
TTaiSog SV Tolg KoXTTOig TtQoartoöq'ayevTog. Die würdiger
gehaltene Darstellung der Nebenquelle Diodors hat Droysen
Ünger: Diodors Qusllen in der Diadochengeschichte. 415
1, 76 nicht berücksichtigt; es ist aber wohl zu beachten,
dass Plutarch und Arrian hier einer gemeinsamen Quelle
folgen : auch die Vorgeschichte des Mords ist bei beiden
übereinstimmend behandelt. Ob in all' diesen Fällen Dio-
dors zweiter Gewährsmann die Wahrheit parteiisch entstellt
oder sie unparteiisch allein erhalten hat, ist schwer zu sagen ;
Angesichts der bisher üblichen Hintansetzung seiner eigen -
thümlicheu Berichte über die Ursache des Entweichens der
Olympias , über den Charakter Kassanders und das Ende
des Demades muss erinnert werden , dass Kassander unter
den Diadochen der einzige ist, über welchen die alten Schrift-
steller verschieden urtheilen, aber auch derjenige, bei welchem
eine solche Ausnahmestellung am leichtesten begreiflich wird.
Vor Mord und Hinterlist haben sie alle, selbst der ob seiuer
Milde und Menschenfreundlichkeit vielbelobte Ptolemaios,
wo ihr Interesse das zu erheischen schien, nicht zurückge-
bebt; aber unter den von Kassander, dem eben Makedonien
selbst und Hellas zugefallen war, Gemordeten befanden sich
des grossen Königs Mutter Sohn und Wittwe, unter seinen
Feinden sowohl die demokratische Partei Athens und damit
die grosse Mehrheit der für das Urtheil der Nachwelt mass-
gebendsten Stadtbevölkerung, als die Antigoniden , Make-
doniens spätere Herrscher, deren vertrauter Freund zugleich
die verbreitetste und in vielen Beziehungen beste Diadochen-
geschichte geschrieben hat.
Die Doppelerzählung von Kassanders . Verhalten nach
dem Tod Antipaters erstreckt sich noch weiter , sie reicht
bis zu den Vorbereitungen zu seiner Flucht aus Makedonien.
Die Nebenquelle geht hier, wie überhaupt in den makedo-
nisch-griechischen Dingen, genauer ein: nach ihr begab er
sich zuerst mit seinen Freunden auf's Land und besprach
sich dort, wo Müsse und Gelegenheit genug dazu war,
häufig über die Regentschaft. Jeden nahm er unter vier
Augen vor, bat um seine Beihülfe zum Gewinn des Regi-
30*
416 Sitzung der philos.'philol. Classe vom 4. Mai 1878.
luents und brachte sie alle durcli glänzende Versprechungen
auf seine Seite. An Ptolemaios schickte er heimlich Ge-
sandte mit der Bitte um Beistand und schleunige Entsen-
dung einer Flotte in den Hellespont ; auch an die andern
Feldherren und Staaten richtete er durch Botschafter das
Gesuch um Hülfe ; er selbst hielt unterdessen durch fleis-
siges Jagen allen Verdacht ferne. — Hieronymos meldet
c. 54 nur, dass Kassander sich mit seinen Vertrauten heim-
lich besprach und sie dann, während er einen Landaufent-
halt nahm und durch Jagen sich den Anschein der Gleich-
gültigkeit gab, an den Hellespont schickte ; dass dies geschah
um dort alles für seiue Abreise vorzubereiten, scheint aus dem
Folgenden hervorzugehen {cog ö'eihQsnij Tvccvra r^v avToj ta
^rgog rrjv a7toörji.iiav i'XaO^ev dvcc^ev^ag sk Trjg Maxedoviag,
yiavavrrioag d'elg rrjv XeQQovrjOov Kccvrev&ev dva^ev^ag TtaQrjl-
d^ev elg ''ElXrjOTrovTov). Die Aussendung der Botschafter ist
dem Hieronymos zufolge wahrscheinlich erst nach der Ab-
reise erfolgt ; chronologische Abweichungen zeigen sich auch
in anderen Punkten : so in Betreff des Landaufenthaltes,
welchen Kassander bei Hieronymos erst nach den Bespre-
chungen mit den Freunden nimmt ; daher dauert derselbe
bei ihm auch nicht so lauge, vgl. c. 54 ecp' ^/u^QagTivdg öyoXd-
oag £7tl Tf^g x(x)qag y.al Kvvrjyia GLViGva^evog mit c. 49
Tivvrjyiav enl noXkdg rj/^tigag GvoTTjOaf-tevog.
Aehnliche Abweichungen zeigt ein anderes Dubletten-
paar. Die Nebenquelle erwähnt aus der Geschichte Make-
doniens im J. 319 nur noch die Einladung an Olympias, c.
49 UoXvOTciqxcov de 7caqaXaßu)v xiqv rwv ßaaiXecov erCL^ieXeLav
y,at ovveÖQEvGag fierd xwv (pllwv ^OXtf^iyciaöa jxsv gvv tfj
Tiüv GvvtÖQiov yvcüjurj fxeTeTCsiiTteto , naqaxaXcov t^v eTtifxe-
Xeiav TOv lAXe^avöqov v\ov TtaiSog ovzog /cagalaßelv xal öia-
TQißsiv 6v MaKsSovla Trjv ßaGiXiKi^v ejovGav 7TQ0GxaGiav. ^
^' ^OXvfiTtidg SV Tolg STcdvco xqovotg Irvyxavev elg ^'HrcecQOv
Ttsqpevyvla öid Ty\v TVQog IdvrinaTQOv dXXozQiorrjTa. Dieselbe
ünger: Diodors Quellen in der Diadochengeschichte. 417
Einladung erzählt Hieronymos c. 57 eyQa^'e de xal rcqog Tiqv
^OXv^imada rrjv ^4Xe^avd()0v firjzeQa ötaTQißovöav ev ^HiteiQco
dia Triv TTQog KdaoavÖQOv eyßqav, iva xrjv TayJoTi^v elg Ma-
'/.edoviav xazapT^orj Kai TtaqaXaßovGa to AXe^avöqov Ttaidlov
s/rifÄsleiav avvov TtoirJTai, l-dyQig gv elg rjlrAiav eA^?y xal xrrv
Ttarqajav ßaaiXelav 7Taqa'kaßrj. Die Nebenquelle zeigt sich in
Sachen Makedoniens und Griechenlands genauer und besser
bewandert als Hieronymos, das entgegengesetzte Verhältniss
hat sich in Betreif der asiatischen Vorgänge herausgestellt.
So schweigt hier Hieronymos von der in c. 49 hervorge-
hobenen berathenden Sitzung, während umgekehrt die vor
dem aegyptischen Feldzug von Perdikkas gehaltene in der
Nebeuquelle fehlt, vgl. XVHl 29 mit 25. Diese gibt einen
nicht unwesentlichen Zusatz, in dem sie bemerklich macht,
dass Olympias die eigentliche Reichsregentschaft erhalten
solP^), die sie nachher so weit es ihr möglich war, d.i. in
Makedonien auch wirklich führte; für den Geschichtschrei-
ber war dieser Punkt wichtig, weil die Athener sich durch
ihn zu voreiligen Schritten bestimmen Hessen, vgl. XVHI
65 Ol ^d-r]vaioL vo^iLOavtsg Tag f.iev Tavvrjd6doyf.i6vagTij.idg
ovTtog ysyovlvai, T^qv öi dTTohjipiv Tr^g avTovofilag öid Tav-
Tr^g aKivdvvcog soead-aL etc. Bezeichnend ist, wie oben be-
merkt wurde , die Verschiedenheit der Angaben über den
Feind, vor welchem Olympias nach Epeiros floh : nach Hie-
ronymos ist es Kassauder, der Nebenqixelle zufolge Antipa-
ter. Mit Antipater war Olympias bekanntlich schon vor Ale-
xanders Tod entzweit und Antheil an der Regierungsgewalt
in Makedonien bekam Kassander erst in den letzten Zeiten
Antipaters (Droysen 1,316). Man könnte daran erinnern,
dass Olympias nur das Grab des Jollas, nicht auch das seines
16) Dass unter ßccnbltxri nqodiaaia nicht ein blosser Titel zu ver-
stehen ist, zeigt Droysen 1, 13. 189 gegen Wesseling; vgl. auch XIX 11
(aus der Nebenquelle) Tlo'kvaTie^j^oijp xazriyuytp 'Olvfuntuö'a ml Trjp
ßuoiltLay.
418 Sitzung der plnlos.-philol. Classe vom 4. Mai 1878.
Vaters Antipater zerstörte (XIX 11. Plnt. Alex. 77); aber
nur jener war an der angeblichen Vergiftung Alexanders
unmittelbar betheiligt gewesen. Als chronologische Abwei-
chung endlich ist zu erwähnen , dass c. 49 die Einladung
an Olympias noch vor der Flucht des Kassandros ergeht
und als erste neunenswerthe Regier ungshandluug Polysper-
chons auftritt, während Hierouymos sie erst nach dem Be-
kanntwerden der Flucht und nach der Freierklärung von
Hellas anbringt.
Der Parallelbericht der Nebenquelle über Kassanders
Verhalten nach dem Tode Antipaters bricht zwischen den
Vorbereitungen zu seiner Flucht und diesem Ereigniss selbst
ab, der des Hieronymos erzählt noch dieses und die Mass-
regeln, welche Polysperchon auf die Kunde davon ergriflp.
Die letzte derselben ist Absendung einer Botschaft an Eu-
menes, welche diesen wieder einsetzte und zur Bekämpfung
des Antigonos aufforderte; der Empfang derselben bildet
XVIIl 58 den Anfang der Jahresgeschichte von Ol. 115,3.
318. Der oben ermittelten Jahrrechnung zufolge fällt die-
ser in den Frühling (März oder April) 318. Der plötzliche
Abbruch der Geschichte Kassanders in der Nebenquelle er-
klärt sich nur daraus, dass das Jahr dort zu Ende ist, und
da wir p. 404 fg. gesehen haben, dass dieser andere Gewährs-
mann in der Jahrrechnung nicht mit Hieronymos überein-
stimmt und den Winter, mit welchem jener die Jahrbe-
schreibung endigt, vielmehr am Anfang der seinigen hat,
so ergibt sich daraus, dass wir die Vorbereitungen Kassan-
ders in den Herbst , seine Flucht in den Anfang des Win-
ers 319 setzen müssen; das hellenische Freiheitsdekret und
die Einladungen an Olympias und Eumenes bei Hieronymos
gehören dann dem Laufe des Winters 319/8 an.
Diese Setzungen stimmen mit allen Daten und Anga-
ben der Zeugnisse überein, nur nicht mit einem und zwar
gerade dem, welches von Droysen u. ^. der Chronologie
Unger: Diodors Quellen in der Diadochengeschichte, 419
dieser Jahre zu Gruud gelegt worden ist. Nach NeposEum.
6 war Eumenes den Winter hindurch in Nora eingeschlos-
sen. Seine Niederlage war in der guten Zeit des J. 320
erfolgt, einige Zeit später warf er sich nach Nora und der
Beginn der Einschliessung wird daher mit Recht in den
Herbst 320 gesetzt. Während nun aber Diodor XYIII 53
nach Hieronymos dieselbe ein volles Jahr dauern lässt
{eviavOLOv xqovov^ vgl. XX 100), endet sie bei Nepos schon
um Frühlings Anfang (ver, appropinquabat) und da man
einer so bestimmt auftretenden Angabe — im Allgemeinen
gewiss mit Recht — sich schwer entschliesst den Glauben
zu versagen, so setzt Droysen 1,192 die Entlassung des
Eumenes aus Nora in den Frühlingsanfang 319; weil aber
die Entlassung von Antigonos in Folge der Nachricht vom
Tode Antipaters beschlossen wurde, so muss er diesen (1,
177) in den Januar 319 verlegen. Dass das viel zu früh
ist, geht aus dem Freiheitsdekret Polysperchons hervor. Reuss
p. 180 setzt dieses Ende März, weil der makedonische Mo-
nat Xanthikos, dessen letzter Tag in demselben (XVIII 56)
erwähnt wird, dem Daisios (Thargelion, Mai) um zwei Stel-
len vorausgieng und mithin dem Elaphebolion und (ohnge-
fähr) unserem März entsprach ; übersieht aber, dass der 30.
Xanthikos a. a. 0. nicht das Datum des Dekrets sondern
der Termin ist, bis zu welchem die in demselben angeord-
nete WiedereinsetzuDg der Verbannten in den griechischer»
Städten vollzogen sein soll. Die Durchführung einer so
umfassenden und verwickelten Massregel konnte, wenn man
bedenkt, dass die Verbannten zum Theil in weiter Ferne
wohnten, sicher nicht in ein paar Tagen oder Wochen abge-
wickelt werden ; mindestens zwei Mouate Frist musste Po-
lysperchon den Hellenen geben. Andrerseits ist der Erlass
jenes Dekrets, wie aus Diodor feststeht, nicht gleich nach
Antipaters Tod erfolgt , sondern erst nachdem Kassander,
welcher ,, viele Tage" nach dem Tod seines Vaters noch in
420 Sitzung der philos. -philo!. Olasse vom 4. Mai 1878,
Makedonien zubraclite, zu Antigonos geflohen war. Der
Freiheitsbrief ist also spätestens im Januar erlassen worden
und der Tod Antipaters muss nocli um mindestens zwei
Monate früher, also spätestens im November erfolgt sein.
Aber in den November 320, in welchem die Einschliessung
des Eumenes kaum begonnen hatte, oder gar in eine noch
frühere Zeit und überhaupt in das Jahr 320 kann Droysen
und Reuss das Todesereigniss aus anderen Gründen nicht
setzen. Schon hieraus erhellt die Unhaltbarkeit der von
Nepos für die Entlassung des Eumenes angegebenen Jah-
reszeit.
Das Datum des (sogenannten) Nepos ist eine Erfind-
ung, welche den integrirenden Bestandtheil eines Phantasie-
stückes bildet. Der Panegyrikus, welchen dieser unzuver-
lässige Schriftsteller von Eumenes ähnlich wie von seinen
andern Feldherren entwirft, stellt jenen als einen Roman-
helden dar, der alle Gefahren und Bedrängnisse mit spie-
lender Hand überwindet. In Nora lässt er sich nur ein-
schliessen, um eine Probe seines Zaubertalentes zu geben.
Er blieb daselbst, nicht etwa weil, wie wir aus Diodor
XVIII 41. 53 und Plutarch Eum. 11. 12, d. i. aus Hiero-
nymos wissen, ein doppelter Mauerring ihn unerbittlich bis
zum Ende festhielt, sondern aus eigenem freien Belieben:
tenuit se uno loco sagt Nepos, ein Ausdruck welcher an-
zeigt, dass er seinen Aufenthalt hätte ändern können, wenn
er gewollt hätte. Nepos gibt auch den Grund an , warum
es Eumenes beliebte, sich in Nora belagern zu lassen : tenuit
se uno loco, quamdiu hiems fuit, quod castra sub divo habere
non poterat. Also beileibe nicht, weil er von der Aussen-
welt hermetisch abgeschlossen war, sondern weil es im Win-
ter schöner war, am warmen Ofen zu sitzen. Er hätte
jeden Augenblick diesen Aufenthalt aufgeben können und
bewies das auch, wie Nepos augiebt : quotiescunque voluit
apparatum et munitiones Antigoni alias incendit alias dis^
Unger: Diodors Quellen in der Diadochengeschichte. ^ 421
iecit ! Da man im Frühling wieder im Freien carapiren
konnte, so muss unser Roraanschreiber seineu Helden natür-
lich beim Ausgang des Winters wieder aus Nora abziehen
lassen und man erkennt, dass es für sein Epos nothwendig
Avar, diese Zeitbestimmung aufzustellen. In seiner Naive-
tät behält er dann doch die nach dem Vorausgegangenen
unbegreifliche aber nicht gut zu beseitigende Thatsache bei,
dass Eumenes erst von Antigonos entlassen worden ist —
als Eumenes schon an seiner Rettung verzweifelte , sagt
Hieronymos , der das wissen konnte ( Diod. XVIII 56) —
und tröstet sich über diese Inconsequenz wenigstens damit,
dass der grosse Taschenspieler doch die Befehlshaber des
Antigonos dabei recht über das Ohr gehauen hat (praefec-
tis Antigoni imposuit).
Lassen wir dieses Scheinzeugniss eines kindlichen Kin-
derschriftstellers und halten wir uns an Diodor, so finden
wir zunächst, dass dessen Angabe von der Jahresdauer der
EinSchliessung in Nora, die ohnehin bestimmt genug lautet,
keinem Missverständniss entsprungen sein kann : er setzt
den Beginn derselben in Ol. 115, 1. 320, ihr Ende 115,2.
319 und den Empfang des königlichen Schreibens, welches
bald nach der Befreiung eintraf, in den Anfang von Ol. 115,
3. 318. Dies alles stimmt genau zusammen: die Belager-
ung begann im Herbst 320, endigte im Herbst 319, im Win-
ter 319/8 wurde Polysperchons Schreiben abgesandt; bis es
den vor Antigonos flüchtig hin- und herziehenden im öst-
lichen Kleinasien erreichte, kam der Frühliug 318 herbei.
Antipater ist vor dem Winter 319/8, auch vor dem Herbst
319 gestorben, aber nicht schon im Januar sondern im Som-
mer 319. Antigonos erhielt die Nachricht davon , als er
nach Besiegung der E^erdikkaner aus Pisidien nach Phrygien
zurückzog (XVIII 47). Diesen Feldzug hat er im Frühling
319 eröffnet; im Herbst 320 hatte er den Eumenes einge-
schlossen, dann Winterquartiere in Kappadokien gehalten
422 Sitzung der philos.-jphilol. Classe vom 4. Mai 1878.
(oben p. 408); der Feldzug dauerte wie es scheint nicht
lange; in der Mitte des Jahres 319 mag Antipater gestor-
ben sein. Wäre dies Ereigniss schon im Januar 319 einge-
treten , so müssten wir den ganzen pisidischen Feldzug,
dessen Geschichte kein Anzeichen der rauhen Jahreszeit
enthalt, in den Winter 320/19 verlegen.
Gleich naeh dem Tode Antipaters, noch ehe das Er-
eigniss in Hellas bekannt sein konnte, schickte Kassander
den Nikanor nach Munychia, am den Menyllos als Befehls-
haber abzulösen; als dann die Todesnachricht kam , wurde
das Volk von Athen auf Pbokion, der darum gewusst zu
haben schien, unwillig. Phokion beredete daher den Nika-
nor, sich freundlich zu zeigen , und dieser brachte sogar
Geldopfer, um sich beliebt zu machen, indem er eine Ago-
nothesie übernahm (Flut. Pbok. 31). Droj^sen 1,215 bezieht
diese auf die Dionysien im März 319; zu der Zeit war aber
nach obiger Auseinandersetzung Antipater noch am Leben.
Wir denken an den Agon der kleinen Panathenaien zu
Ende des Hekatombaion (Juli) , vgl. Hermann Gottesd. Al-
terth. 54, 20 und Schoemann Gr. Alterth. II 449 ; hie-
nach lässt sich Antipaters Tod etwa in den Juni d. J. 319
setzen.
3. XVIII 64—75.
Der Schluss des XVIII. Buchs gibt die Fortsetzung
und den Schluss der Jahresgeschichte von 115, 3. 318: zu-
erst die griechisch-makedonischen Ereignisse und zwar nach
einander die Bemühungen des Kassandros und des Polysper-
chon um Athen, dann die Belagerung von Megalopolis und
den Seekrieg im Bo.'^porus (c. 64 — 72) ; darauf gabelt sich
die Darstellung und gibt zuerst den Zug des Antigonos
gegen Eumenes in Asien und das Zurückweichen des Letz-
teren nach Osten (c. 73), dann kehrt sie auf den helleni-
schen Scbauplatz zurück (74 — 75). Alles dies ist zusanj-
Unger: Diodors Quellen in der DiadochengeschicJite. 423
meühängencl, also nach einem einzigen Gewährsmann er-
zählt.
Das erste Anzeichen, dass die Nebenquelle ausgeschrie-
ben ist, liefert die Angabe von der hohen Stellung, welche
der Olympias zugedacht ist, c. 65 Nikccvcoq cckovcov oti {.leX-
lovGiv Ol ßaaikelg Karaysiv elg BlaKsöoviav tr^v OlvfÄTtiada
y,at Tov re Ttaiölov Tiijv sfiifjiXeiav sxelvrj rcaqadidovai xat
zrjv TtqovTvaQxovoav djvodoxrjv vmI Tijxtjv l^Xe^avÖQOu CcovTog
diToyia&iaravai OXvjiiTTiaöi, welche zu c. 49, nicht aber zu
Hieronymos c. 57 stimmt, s. oben p. 417.
Nach c. 65 0co/,uov 6 67t' ^vtiTtctTQOv rrjv tcov olcov
dq%y]v eöxrjXCüQ hat Phokion unter Antipater eine ähnliche
Stellung in Athen eingenommen, wie nach ihm Demetrios
von Phaleron unter Kassander. Damit stimmt Plutarch
Phok. 29 e7CL(.iel6}.ievog rtov Kazd xr^v jtoXiv jtQacog ymI vo-
(xi(.icüg Toug i^iiv dovelovg xal xaQtevvag ev taig agy^alg dei övveix^,
Tovg de 7toXvrtQdy/.iovag xal vecoieQtardg avru) reo firj aqxeiv
/.itiSi doQvßeiv cc/rof-iaQaLvofievovg eölöa^e (piXoywqeiv y,at dya-
7cav yecüQyovvrag ; wie denn auch über die dem Kassander
von Antipater zugedachte Würde die Nebenquelle XVIII 48
mit Plut. Phok. 31 übereinstimmt; eine andere Berührung
zeigt Droysen 1,220,1 auf. Hieronymos weiss von jener
Stellung Phokions nichts: XVIII 18 wird dieser nur als
Gesandter erwähnt und die Regierung kommt nicht an ihn
sondern an die aristokratische Partei : (l4vTi7taTQog) rrjv Tto-
Xireiav /xeTioTijöev ex Trjg drjf^oy.QaTeLag Kai 7CQ0oeTa^ev ccTto
zi(,iYiGecog elvai to TtoXlrevjxa y,al tovg 7,eKTrjf.ievovg icXeuo
dqaxiiicov SloxiXuov y.vglovg eivai tov 7toXiTehf-tarog. Auch
Strabon IX 1, 20 Plutarch Demetr. 10 und Pausanias I
25, welche von der Herrschaft des Phalereiers über Athen
sprechen , wissen nichts von einer ähnlichen Gewalt
Phokions.
lieber die notvrj zvx^j spricht sich die Nebenquelle
XIX 1 1 (s. u.) ähnlich wie XVIII 66 aus ; andrerseits ver-
424 Sitzung der phüos.-phihl. Classe vom 4. Mai 1878.
räth XVIII 69 (TIoh'OTiiQywv) E^i7Tef.til>E TiQog tag TioXeig
TtQeoßevTocg TtqooTCiiTiov xovg j^ev di !AviLrcavqov y,a&eOTa-
/.levovg (XQxovtag hrl rijg oXiyaqxiccg O^avarcooai tdlg de dy\(,ioig
ajtoöovvai rrjv auTovOf.iiav einen andern Gewälirsmann als
Hieronymos, nach welchem Polysperchon dies nicht erst im
Sommer 318 bei seinem Aufenthalt im Peloponnes, sondern
schon im Winter 319/8 in Makedonien that , c. 57 syQaipe
TiQog re zr^v LiqyEUov noXiv %al xag XoiTtag Ttqoötaxriov
roig dffrjyrjoaf^ievovg eji !AvriTrccTQOv Ttov 7CoXiTEV{.ia%iov (pvya-
öevaai, tivcov Ss Kai d-avaxov Karayvcovai Kai ör]f.ievoat Tag
ohlag. Beide Meldungen schliessen einander nicht aus;
aber bei gleicher Quelle würde c. 69 angegeben sein , dass
die erste Auifordernng, wie wir von Athen das aus Plut
Phok. 32 bestimmt wissen, nicht befolgt worden war.
Als Ziel des Antigonos wird XVIII 73 der unum-
schränkte Besitz von Asien bezeichnet: d^alarroKqaT^oai
tanevöe Kai rrjv Trjg^olag i]ye(-iovLav aörjQiTOv Tteqijcotr^oa-
G&ai, ähnlich wie in der Nebenquelle c. 47 öievoeno rüv
Kazd TTjv y^olav txeod^ai 7Tqay(.idTcov Kalv^gKaz avirjv^ye-
f.ioviag f-iTjöevl TcaqaxcoQeiv , wo die Entstehung dieses Plans
mit der Nachricht vom Tode Antipaters in Zusammenhang
gebracht wird. Bei Hieronymos dagegen — der Unterschied
ist ein ähnlicher wie in Betreff des Perdikkas (oben p. 405)
— steckt er sich bei Antipaters Tod ein höheres Ziel: den
Thron Alexanders und das ganze Weltreich welches dieser
hinterlassen hatte: XVIII 50 «t'^ig tiov cplXiov ovvayaywv
ovvidqiov Kai jteql T^g tcov olcov s/cißoXrjg KOivcooaf,ievog'y
58 LivTiyovcü ehöia^oi^dvco Tr^v ßaodelav; Plut. Eum. 12
re&vrjKevai 7rvS-6/.ievog ^^vzutazqov t^ yv<^0[.(rj zi^v oXr^v Tteqt-
ßaXXofxevog i^yef.iovlav. Dass zd oXa das ganze Weltreich
bezeichnet, lehrt XVIII 3 TleqÖLKKag TiaqaXaßwv zriv zcov
oXtov iqyef-ioviav ; 36 TIvdcüvt Kai ^^Qqidalco ovyKazsOKevaoe
zrjv zwv oXwv riyefxoviav und 47 '/] zwv oXiov r^ye^ovia fie-
za7t€7tzcoKev elg UoXvoTreqxovza, Den unumschränkten Be-
Unger : Diodors Quellen in der Diadochen geschickte. 425
sitz Asiens hatte er sich schon im J. 320 nach dem Sieg
über Eiimenes vorgesetzt: XVIII 41 fieiuovcov wQeyeTO Ttga-
yiÄarcov. ov^tTt yaq ovdelg tcov -/.axa Trjv ^olav riy£(.wvcüv
d^io/uaxov elx£ öivai^iLV öiaywvioaodai avTOj neql tcov TtQO)-
Tsicov^ 6id SisyvcoKEi i.itjTe ttqoosx^lv To7g ßaoiXevGi firire ^4v-
TiTtaTQco; Plnt. Eum. 3. Jetzt ist der Besitz Asiens für
ihn nur noch das Mittel zu jenem höchsten Zweck: XVIII
50 Tteqißa'kofÄevog ralg ^Xtclol xr^v rcov oXojv iqyef^ovlav eyvto
f-iifj TCQOGsx^iv ^Tjte tolg ßaailevoi fir^ze TÖlg S7ti/.ielr]Talg av-
Tcov. VTteXaf-ißave yccQ avcov xgeiTTO) dvvaf.iiv t%ovia twv xaid
TTJv Liolav d^TjoavQCüv yiVQiov l'osodai. Offenbar war Hiero-
nyraos, der Vertraute des Antigonos und Demetrios, in der
Lage, die Tragweite ihrer Plane genau zu kennen
In c. 73 befindet sich wieder eine Dublette, die um-
fangreichste von allen. Sie beginnt mit den Worten Ev-
fievTjg ETteßdXezo fisv Trjv (DoiviKtjv dvaKTaod^ai rolg ßaai-
Xevot y.aTeiXr](Äj.itvy]v döixwg vno nToXej.ialoi\ '/.araTa%ovf.ie-
vog ö'vrcd rcov KaiQCJv dvit^ev^ev ex xr^g (Doivr/,Y]g -aat did rtjg
xolXr^g ^vQiag nqoiiye. Den Zug des Eumenes nach Phoinike hat
schon Hieronymos XVIII 63 gemeldet: JTQOijyev l/il (Doi-
vlxrjg Ofievöcüv xag vavg s'§ dnaocZv tcov 7toXecov dd^Qoloai
Kai GToXov d^LoXoyov y,aTaoy.evdaai, o/rcog rioXvaTveQxcov f.iev
7iQOGXaß6(.i€vog rag «x rrjg 0OLviyii]g vavg ^aXaTTOKQar^
Kai övvrjTai diaßißdCeiv docpaXcog oxav ßovXrjzaL rag
r^n Trig MaxeSovlag dvvaf.ieig elg t)]v ^Giav hi'' ^vziyovov.
ovTog fAev ovv sv Woivim^ diergiße '/.araGY.evaQoiAEvog ti]v vav-
Tiytr]v dvva^iv. Die von Reuss p. 167 geäusserte Meinung,
Eumenes habe Phoinike zweimal besucht, erweist sich schon
daran als unhaltbar, dass Eumenes, wenn er das erste Mai
in Phoinike ohne Schwertstreich einziehen konnte, das zweite
Mal es nicht mehr nöthig gehabt haben würde, das Land
dem Ptolemaios mit Waffengewalt zu entreissen. Es sind
vielmehr zwei einander widersprechende Darstellungen eines
und desselben Vorgangs. Nach Droysen 1,257 hätte Eu-
426 Sitzung der phüos.-philol. Classe vom 4. Mai 1878.
menes den von Ptolemaios in das Land gelegten Besatz-
ungen eine Stadt nacli der andern mit leichter Mühe ent-
rissen. Davon weiss Diodor nichts. Die nÖthige AnfkläruDg
gibt, wie uns scheint, die Unternehmung des Antigouos im
J. 315. Nach Diod. XIX 58 fand er dort auf der ganzen
Küste keinen Widerstand, die grössten Städte waren von
Fürsten beherscht, welche seinen Befehlen willig Folge lei-
steten; nur Tyros hatte eine aegyptische Besatzung uad
musste belagert werden. Dies war aber Inseltyros. Das
phoinildsche Festland hatte also gar keine Besatzung ; da
es nur aus einem schmalen, 7^ — 2 Stunden breiten Küsten-
streifen bestand und die grossen Städte des Hinterlandes
Besatzungen hatten, so war es, weil Tyros durch Heer und
Flotte die ganze Küste beherrschte, vollständig unnöthig
auch die andern Seestädte zu besetzen. Die Nebenquelle
zeigt sich also wieder schlecht unterrichtet , wenn sie von
Eroberung des ganzen Küstenlaudes spricht und da sich
XVni 43 Toig Kaza (DoivUrjv Ttoleig TTQOOrjyayero {UcoXe-
fj-oiog) y,at Tionjoag eiuq)^ovQovg snavijX&ev elg tt^v ^YyuTt-
Tov dieselbe irrige Voraussetzung zeigt , wie in c. 73 , so
ergiebt sich hieraus, dass c. 43 de/ Nebenquelle angehört.
Diese hat auf die phoinikischen Städte mitbezogen, was —
von Tyros abgesehen -- nur von den syrischen Städten
gilt, dort aber (c. 43) bei diesen übergangen ist*^).
Nachdem XVHI 73 weiter erzählt ist, wie Eumenes vor
Antigonos zurückweichend über Koilesyrien die östlichen
Satrapien zu erreichen suchte , wobei er am Tigris durch
17) Appian, welcher den Hieronymos viel benützt hat , stellt die
Erwerbung Syriens (d. i. Koilesyriens sammt Phoinike) wesentlich an-
ders dar als Diod. XVIIl 43; über die Besatzungen sagt er kurz aber
passend: IJtoXffxuiog ^(j/^ Ivqlus xal (pqovQug eV Tcctg noXeat xata'kt,-
Ttioy eg J^yvntoi' ansTlfn. Die Hyparchen Syriens, welche Diod. XIX
58 neben den phoinikischen Stadtfürsten genannt werden, sind auf Ober-
syrien zu beziehen, welches Ptolemaios nie besass.
Unger: Diodors Quellen in der Diadochengeschichte. 427
einen nächtlichen Ueberfall der Eiugebornen Verluste er-
litt, heisst es: TtaQanliqaiojg öe y,ai Kard xi]v Baßvlcoviav
tTvid^efxevov rov ^eXevy.ov Ttaqd zdv EvcpQarrjv TC0Ta{.itv eAiv-
dvvevöE (.isv airaoav dnoßaXelv Ti]v övvafjiv öiwQvyog Tivog
QayeiGijg Kai zrjQ orQavoTtedsiag o'Arjg ovyKXvöd^elorjg. Hiero-
nymos erzählt XIX 12, wie Eumenes in Ostbabylonien an
der Strasse nach Ekbatana Winterquartier nahm und dann,
als dies Land ausgesogen war, an den Tigris rückte, da
wo er Babylon und dem Euphrat am nächsten floss: jraqa-
yEvr^^elg eitl %ov Tlyqiv noxa^ov yiaTeoTQaLOTctöevoe zrjg Ba-
ßuXwvog mitx'^v Gtaölovg TQiay.ooLOvg. Hieraus hat die
Nebenquelle XVIII 73, der Geographie Asiens unkundig,
einen Aufenthalt am Euphrat selbst gemacht. Dann folgt
XIX 13 eine neue Dublette zu dieser Stelle : oi /veqi ^eXev-
xop 7tQ0GTcXevGavTeg TTQog riva diwQvya 7TaXaidv dvtQQTj^av
Ti^v aQxr}v avTrjg V7c6 xov xqovov GvyKeywGuevrjv. 7TeQiytXvG-
&eiGr]g ös zrlg rtov Maxedoviov GTQaiOTiedeiag xal 7Ldvrr]
Tov Gvve%ovg to7tov Xif-ivccGaviog tKivdvvevGev aVrav txTtoXl-
Gd^ai zo GTqaT07redov VTto rrjg 7iXriixrjg. Offenbar ist auch
hier die Nebenquelle schlechter unterrichtet , wenn sie den
Canal sich von selbst öffnen lässt. Dasselbe ist zu urthei-
len über die verschiedene Darstellung in XVIII 73 oiiwg de
öia zrjg lölag GZQazr^yiag eTtl zc x^^/^^ y.azag)vya)v y.al zriv
duoQvya 7iaXLV djxoGZQeipag Öugcügev aviov ze xal zrjv Suva-
f^iv und XIX 13 EiGrjyrjGaf.i£vov ös zivog zcov ayxcoQUüv E7Xe-
ßaXEZO ZLva zottov dvaKaS^aiQEiv , öd ov q(jcdiov rjv (XTVOGZQf-
ipai zrjv öicüQvya Kai ßaGif-iov KazaGKEvaGat ZTqv ywQav.
Ganz unrichtig heisst es dann XVIII 73 Ttagaöo^cog öe zag
zov 2eXev7,ov XEiqag öiaq)vycüv öirivvGEv slg zrjv IlEQalöa^ als
wäre Eumenes dem Seleukos entronnen, während in Wirk-
lichkeit nach XIX 13 Seleukos, der bloss Reiter zur Ver-
fügung hatte, gar nicht wartete, bis Eumenes den Canal
abgeleitet hatte, sondern eilig um Waffenstillstand bat,
428 Sitzung der philos.-philol. Classe vom 4. Mai 1878.
den Uebergaug gestattete und froli war , als dann Eu-
menes mit seinem grossen Heer nach Susiana abzog.
Susiana wird in der Nebenquelle Persis genannt, eine
üngenauigkeit, welche in der Gesctichtserzäblung des Hie-
ronymos nicbt vorkommt, aber den Griechen, die Susa als
Residenz des Grosskönigs kannten und eine grosse Zahl
Perser in Snsiana angesiedelt wussten, wohl von Alters her
geläufig war, vgl. XVIII 6 TIsQolg iv iß zrjv ^ovaiavr^v xal
2iTTa7.r]vi^v -/.ELGOat ovi.ißtßr]Y,ev und Strabon XV 3, 2 oxe-
öov öe TL Kai ri ^ovotg fitQog yeyivrjzai ttjq IleQGiöog {.lera-
^v avTijg y^Einevri -/.al Tijg Baßulcovlag. Zuletzt meldet c. 73
dass Eumenes in Persis (d. i. Susiana) angelangt an die
östlichen Satrapen und Heerführer ein Gesuch um Mann-
schaft und Geld richtete ; nach XIX 13 dagegen verlangte
er, dass sie sämmtlich selbst mit ihren Streitkräften zu ihm
stossen sollten. Die Nebenquelle hat vielleicht ein frü-
heres Gesuch , welches XIX 13 erwähnt wird , damit ver-
wechselt.
In dem Auszug aus dieser ist, wohl durch Diodors
Schuld, der Winteraufenthalt in Mesopotamien übersprungen
und in Folge dessen, was bei Diodor öfter vorkommt , die
Geschichte des nächsten Jahres dem laufenden angehängt,
vgl. p. 384 den Fall aus XIX 79, wo im umgekehrten Ver-
hältniss zu unserer Stelle das vorausgegangene mit demsel-
ben zusammengeworfen wird. Die mesopotamischen Winter-
quartiere bezog Eumenes am Anfang des Jahres (XIX 12),
also gegen Ende Februar 317; der Zug von Koilesyrien
dahin hatte also im Winter 318/7 stattgefunden. Nachdem
Eintreffen des Eumenes in Susiana lässt die Nebenquelle
den Jahreswechsel eintreten : XVIII 73 xal ra f,isv Kaza
TYjV Idöiav i^exQt tovtcov itQoißrj "naTcc tovtov tov eviavTOv.
Hieronjmos führt die Jahrbeschreibung wiederum etwas
weiter fort : bei ihm ziehen noch die Satrapen von der
medisch-parthischen Grenze her in Susiana ein (XIX 15)
Unger: Diodors Quellen in der Diadochengeschichte. 429
Dies erklärt sich daraus , dass der Winter , mit welchem
dieser das Jahr schliesst, in der Nebenquelle den Anfang
desselben bildet; dem entsprechend habe ich im Philologus
37,534 das Eintreffen des Eumenes in Susiana dem Herbst
317, das der Satrapen aber dem Winter 317/6 zuge-
wiesen.
Den Anfang der makedonisch-hellenischen Geschichte
des Jahres 115, 3. 318 bildet XVIII 64 der Bericht von
den Bemühungen Nikanors um die Freundschaft der Athe-
ner, als er hörte, dass Kassander zu Antigonos geflohen
und das Erscheinen Poljsperchons in Hellas zu erwarten
sei. Die Flucht Kassanders fällt in den Anfang des Win-
ters 319 (p. 418), von dem Plane Poljsperchons nach Hellas
zu gehen ist XVIII 54 — 57 nichts gemeldet, obgleich man
es erwarten müsste ; das Fehlen erklärt sich aus der ver-
schiedenen Abstammung jenes Stücks. Jedenfalls konnte er,
da das Freiheitsdecret dem December 319 oder Januar 318
angehört, erst im Frühjahr zu kommen beabsichtigen, nach
dem 30. Xanthikos bis zu welchem die Verbannten zurück-
geführt sein sollten. Die obengenannten Bemühungen Ni-
kanors fallen also in den Januar oder Februar 318 und da
die einige Zeit darnach erfolgte Hinrichtung Poljsperchons (c.
67)nach Plutarch Phok. 37 am 19. Munychion (7. Mai 318)
stattgefunden hat, so bestätigt es sich, dass die Nebenquelle
das Jahr mit dem Winter anfängt. Dem Herbst 318 ge-
hört also der letzte Vorgang des Jahres auf dem europäi-
schen Schauplatz an, der Einfall Kassanders in Makedonien
(c. 75), und da der selbe erst nach dem Seesiegdes Antigo-
nos vor sich gegangen ist, so ist dieser nicht, wie ich Phi-
lologus 37,528 mitDroysen gethan habe, in den Spätherbst
(um Ende Oktober) sondern in den Anfang des Herbstes,
die zweite Hälfte des September 318 zu setzen.
4. XIX 11.35 — 36. 49—54.
Die Capitel 11; 35—36 und 49-54 des XIX. Buchs
[1878. I. Philos.-philol. bist. Cl. 4.] 31
430 Sitzung der philos.-phüöl. Classe vom 4. Mai 1878.
hängen mit einander zusammen : sie erzählen die Geschichte
Makedoniens aus Ol. 115, 4. 317 und 116, 1. 316, und
zwar XIX 11 die aus 115, 4. 317 (üebergang Makedoniens
in die Gewalt der Olympias), XIX 35-36 den Anfang von
116, 1. 316 (Kassanders Zug nach Makedonien), c. 49 — 54
die Fortsetzung und den Schluss (Sturz der Olympias , Re-
gierungsanfang Kassanders). Sie aus der Nebenquelle abzu-
leiten nöthigt die Jahrform. Am Schlüsse von 115,4.317
steht XIX 11 die Hinrichtung des Philippos Arridaios, des
Nikanor und der 100 angesehensten Anhänger Kassanders;
am Anfang von 116, 1. 316 der Aufbruch Kassanders von
Tegea auf die Kunde von jenen Unthaten der Olympias (c.
35) und ihre Einschliessung in Pydna (c. 36). Die Belager-
ung der Stadt findet im Winter statt (c. 49) ; sie wird am
Anfang des Frühlings (c. 50) übergeben ; dann folgen noch
verschiedene andere Unternehmungen Kassanders. Der Früh-
ling, für Hieronymos Jahresanfang , fällt hier in den Ver-
lauf des Jahres; den Anfang desselben bildet, wie in den
vorausgegangenen Stücken der Nebenquelle , der Winter,
dessen Epoche bei den Alten überall an den Frühunter-
gang der Pleiadeu um den 11. November geknüpft ist. Zur
Bestätigung dienen in unserem Falle die Data über den Tod
des Arridaios, welcher kurze Zeit vor dem Jahresschlüsse
stattfand.
Arridaios war 6 Jahre 4 Monate König (XIX 1 \) ; sein
Tod fällt nach dem astronomischen Königskanon zwischen
11. November 317 und 10. November 316; wenn seine Er-
nennung zum König am Anfang Juli 323 geschah, so ist sein
Tod, wie Droysen 1,241 bemerkt, Ende Oktober oder Anfang
November 317 erfolgt. Alexander war zu Ende des vor-
letzten Monats von Ol. 114, 1 gestorben, einige Tage dar-
nach Arridaios von der Phalanx eigenmächtig zum König
ausgerufen und wieder etwas später, also um den Wechsel
des Archontenjahres allgemein anerkannt worden ; die alten
Unger: Biodors Quellen in der Diadochengeschichte. 431
Chronograplien rechnen seine Zeit vom ersten Monat Ol.
114,2, vgl. Eusebios Chron. I 159. 169. 229. 241. 247 und
besonders 245. Sein Tod fällt also in den vierten oder,
wenn man mit Droysen die 4 Monate voll nimmt , in den
fünften Monat 115, 4, von welchen letzterer in Athen ain
30. Oktober 317 seinen Anfang nahm. Anch wenn Arri-
daios schon im vierten Monat starb , war doch der Herbst
(mit Arkturs Frühaufgang um 15. September beginnend)
schon etwa zur Hälfte abgelaufen und da dieses Ereigniss
nicht das allerletzte der Jahresgeschichte ist, so können wir
den Jahreswechsel der Nebenquelle mit Sicherheit auf Win-
ters Anfang um den 11. November bestimmen: es gab keine
andere Epoche des Himmelskalenders zwischen der Herbst-
nachtgleiche und dem kürzesten Tage als jenen. Damit
stimmt die nächste Jahrbeschreibung überein : der Herbst
und zwar der ganze steht an ihrem Schluss. Der Wieder-
aufbau der Mauern Thebens geschah nach XIX 54 im 20.
Jahr seit ihrer Schleifung, welche zur Zeit des 20. Boedro-
mion 111 , 2. 335 stattgefunden hatte (Arrian Alex. I, 10,4.
Plutarch Alex. 13). Er begann also nach dem 20. Boedro-
mion 116, 1 =: 10. Oktober 316; Kassander machte dann
noch einen Zug in den Peloponnes; mit seiner Rückkehr
von da nach Makedonien schliesst die Jahresgeschichte.
Die Weltanschauung gibt sich XIX 11 als dieselbe
wie in den anderen Abschnitten zu erkennen , welche oben
dem Hieronymos abgesprochen worden sind, und als ver-
schieden von der dieses Geschichtschreibers. Nitsche p. 32
hat zuerst bemerkt, dass Diodoros in der Diadochenge-
schichte über die göttliche Weltregierung anders spricht
als in den Abschnitten, welche dem Agathokles gewidmet
sind. Dort ist blos von dem Walten des Schicksals die Rede,
hier bald von diesem bald von dem Eingreifen der Gott-
heit, welche mit verschiedenen Ausdrücken bezeichnet wird ;
Rössler p. 46 führt des Genaueren aus, dass diese Ausdrücke
31*
432 Sitzung der phüos.-philol. Classe mm 4. Mai 1878,
mit einander und mit dem Schicksal gleichbedeutend sind.
Der Unterschied zwischen Hieronymos und Duris geht aber
tiefer. Bei diesem wird die Welt von der göttlichen Vor-
sehung durch das Schicksal regiert und den Menschen ihr
Geschick nach den Geboten der Gerechtigkeit als Lohn oder
Strafe ihrer Thaten zugemessen, vgl. z. B. die ausführlichen
Stellen XX 13 und 70. Hieronymos kennt nur das willkür-
liche oder unbegreifliche Schalten eines blinden Schicksals,
das mit Wohl und Weh der Menschen ein tolles Spiel
treibt. Die Götter spielen bei ihm eine ganz passive Rolle,
sie stehen unthätig im Hintergrund : er leugnet ihr Dasein
nicht, aber an eine Einwirkung auf die Welt glaubt er
nicht; zu oft sah er den Guten leiden, den Schlechten
triumphiren ; darüber ist ihm der lebendige Glaube an die
göttliche Regierung und Vorsehung abhanden gekommen.
Nur in einem oder dem andern besonderen Falle überkommt
ihn das Gefühl, als stehe doch ein höherer Geist am Steuer
des Weltschiffs, der mit dem Menschen Erbarmen habe;
dann drängt sich ihm der Gedanke an die Götter auf , von
welchen die Dichter aus alten Tagen singen, zu denen noch
das Volk in den Tempeln betet , aber er schlägt sich ihn
sofort wieder aus dem Kopf: XVHI 25 r^dr^ amtov (rwv
-^4lT0)X(ßv) d/ToyivcüOiiOvrojv ti^v otoxi^QLav avTOfÄavog Tig Iv-
Gig Ttüv KaKcov £g)avrj, k ad^a/ceQ S^ewv t iv og eXeovvrog av-
Twv Trjv evxpv%Lav; 59 o %OLvdg ßlog Sottsq vno &bojv t i-
vo g olaiiL^ö/xevog svalld^ dyad-ölg ze Kai KaKolg nvK'ku'cai
navTa tov alcova.
Ganz anders der zweite Gewährsmann der Diadochen-
geschichte. Ihm walten und herrschen noch die alten Göt-
ter, sie belohnen gute und bestrafen böse Thaten: XVHI 28
(JltoXefiaiog) ov Tta^ dv&QcoTtcov fxovov dXkd -aal Ttaqd S^eiov
-aaXdg dfj.OLßdg elaßev * ol ^iv yccQ dvd-qwicoL yiivdvvo)v TtQO-
dr^Xcov "nat fisydlcov ovtcov oficog ccTtavTeg xr^v tovtov ocjvtj-
Qiav Toig löioig xivövvoig enovalcog TteQiertoirioavTO^ ol de
Ünger: Diodors Quellen in der Diadochengeschichte, 433
d-eol öid triv aQerrji^ xal elg Tvavvag rovg cptlovg eTtieUeiav
ix twv (.leyiotiov y.ivdvvcov naQaöo^wg avzov dieatooav.^^)
Eiitsprecliend der von Nitsche citirteB Bemerkung Prellers
(Mytliol. I 421), dass die Glücksgöttin erst dann eine wich-
tige und allmählich immer mehr hervortretende Gottheit
wurde, als der Glaube an die Götter und an einen persön-
lichen Gott verschwand, finden wir bei Hieronymos das
Wort Tv%rj anders behandelt als in der Nebenquelle. Bei
jenem hat es immer persönliche Bedeutung: XVIII 8 xai-
Qov svdsTOv Tj Tixq avTolg TcaQeoytevaoe ; 13 »/ t^vxj] ro rca-
qado^ov aTtereiiAev evxlrjQi^/^a; 53 "vrjg Tvxrjg avTio övveqyoh-
orjg; 20 rj Tvyrj ha/TelvtooEV atzcv ; XX 99 -trjv aXcoOLv ey,
TWV xeiQMv avzov zi]v zvxfjv acprjQrjod^at ; XIX 42 ei^ai r^
zvxj]. Auch wo die unpersönliche Auffassung an sich eben-
so statthaft wäre, ist wegen der benachbarten Parallelstel-
len die andere anzunehmen: vgl. XVIII 4^1 rrjv Tvx'f]^ o^kog
^lezaßaXkovoav mit 42 zi^v zvyjjv o^eiag Ttoiovixivrjv (d. i.
veranstaltend) ^.lexaßoXag und 59 z^qv zrjg zvxr^g ncc'kiqqoiav
mit 60 zriv zrjg zvyj]g xaLvozof^ilav. Dagegen in der Neben-
quelle hat das Wort die ältere, passive Bedeutung: bei der
Verurtheilung Phokions zum Tod XVIII 66 dozazov Kai
KOivrjg aitaac zrig zvx^jg ovarjg tcoXXoI Kai zcov örjfiOZiKWv
Kai iciKqwg öiaKEiiiivcov TCqog avzov eXoidoqovv und von
Olympias, als sie den Befehl gab Eurydike hinzurichten,
XIX 1 1 ovze zo Ttqoysyevrjfxivov d^uof^ia zrjg 7taqavof.iovf.dvrjg
eKzqa7ieloa zo Ttaqditav ovze z'^g KOtv^g zyyi^g elg oIkzov
eld^ovaa. Was an diesen zwei Stellen ^ koivi] zvyrj heisst,
das allgemeine Menschenloos, welches verbietet den Tag vor
dem Abend zu preisen, wird von Hieronymos XVIII 59 o
18) Auch Hieronymos spricht von den Erfolgen, welche Ptolemaios
seiner Liebenswürdigkeit verdankte , übergeht aber die Gunst der Göt-
ter XIX 86 T^v xcc9-^ v7iF(jßoX^fETiieixrjg xcd avyypujfxoyixog i'ti 6' (vt(}-
yerixog' oneQ xccl fA,<xli(JTa avtov ri'^Cvoae [äh^oviov rjv'^rjae re xcci nok-
Xovg eTCoCijasy enid-vfisip xowvji-riacii t^g cpiliag.
434 Sitzung der philos.-phüol. Glasige vom 4. Mai 1878.
ytoivog ßlog genannt. Aucli Olympias musste das erfahren
und Diodor, d, i. sein Gewährsmann erinnert dabei an das
Walten der göttlichen Nemesis: roLyaqovv Trjg 6f,ioiag f.ie~
TaßoXrjg zvxovoa Trjg tüi.wrrjrog a^iav eoxe ttjv tov ßlov xa-
taOTQoq)rjv. Mehr hierüber im folgenden Capitel.^^j
IV.
Diyllos.
Als Gewährsmann Diodors in den nicht aus Hierony-
mos gezogenen Abschnitten ist man versucht Duris anzu-
nehmen, welcher von Diodor auch in der Geschichte des
Agathokles benützt worden ist und mit jenen Abschnitten
darin übereinstimmt, dass er nicht wie Hieronymos die
Gottheit ausserhalb der Welt stellt, sondern sie in den
Gang derselben eingreifen lässt. Weiter geht jedoch die
Ueberein Stimmung nicht; vom alten Volksglauben, welchen
die Nebenquelle XVIII 28 durch Anwendung des Plurals
in ^aqa d^ewv und ol d-eol bekundet, ist Duris so gut ab-
gefallen wie Hieronymos, nur in anderer Weise; Götter
kennt er nicht mehr, nur die Gottheit: to ^elovXXb. 11.
70; To daifioviov XIX 103. XX 13. 14. 30. 70. 101; ij
d^eia TtQOvoia XX 70, und in dem einzigen Fall, wo er
bei Darlegung seiner eigenen Weltanschauung das Wort
d^eog selbst anwendet, steht der Singular: XX 70 6
'd-eog cdoTtSQ dyad-og vofÄoO-hrjg öitvItjv i'Xaße 7t aq' amov
T'^v ytoXaOiv. Duris ist durch die Schule der Philosophen
gegangen und hat sich deren Monotheismus angeeignet, er
19) Eine Dublette zu XIX 36 rriy noliynBQisxaQccKOiKjevex d-alcctirig
€ig S-ciT^cctrcci^ findet Kallenberg in c. 40 ne.oiarQccToTisösvaccg r»yV no-
"kiv xcci /a^ax« ßcclofxivog and S-aXdaarjg im ddluaaau^ i'n öe ifpoQ-
fjLbiv TW "kifjiivi näpxa ßovko^ivov imxovQriacKi 6iix(6Xv&, aber die Partici-
pia geben nur die Mittel an , durch welche die vollständige Abschlies-
sung herbeigeführt wurde; neu ist blos diese und sie war erst jetzt
durch den Hinzutritt der Seeblokade möglich geworden. ^
Unger: Diodors Quellen in der Diadochengeschichte. 435
ist (um den Unterschied in moderner Terminologie auszu-
drücken) Tbeist, Hieronymos Deist, dem Polytheismus hul-
digt der andere Gewährsmann der Diadochengeschichte.
Während dieser von der rvxr] in der althergebrachten appel-
lativen Weise redet, stimmt Duris mit Hieronymos vollkom-
men in der persönlichen Auffassung überein und die Stellen,
an welchen er sie erwähnt, sind den p. 433 aus Hieronymos
augeführten zum Theil täuschend ähnlich : XX 13 ij Tv^r]
Tovg V7teQe%ovraq eTaTtelvcoGsv ; 4 o rt Ttoz^ dv doKrj r^ tv-
Xj] ; 13 1^ T^v^i] evaXld^ rd 7rQoreqii]f.iaTa rölg 8XaTTcof.iaoiv
hceiodyovaa; 70 ri^g Tv^r^g cooneQ STtkrjöeg €7tiÖ£iKvv(Äevi]g
trjv iötav övraf-iiv ; 54 i^vxtjg eTtrjqeao^og ; 30 trjv dvcofiaXlav
rrjg Tvxrjg.
Mit der Anerkennung, welche XVHI 74 riQx^^ eigrjvi'
Kcog xat TtQog rovg Ttolixag cpiXavd^Qw/tcog der Staatsver-
waltung des Demetrios von Phaleron zu Theil wird, will,
wie Nitsche p. 31 in einer andern Absicht bemerkt, das
wegwerfende Urtheil des Duris bei Athenaios XH 60 nicht
gut stimmen : yjXuov y,al dia^oölcov TaXavTcov xar' eviavTOv
Y.vqiog yEvo{.ievog /,al dico tovtiov ßqax^cc öa/ravwv eig TOvg
GTQaTuoTag xal Tr^v zrjg jtoXeiog dioUr^oiv rd Xomd ndvra
elg TTjv e(.iq)VTOv d/,Qaalav rjcfdrite. Mit dem Weiberkrieg bei
Athen. XHT 10 JovQLg 6 ld(.uog Kai Ttqwzov yevsod^at reo-
Xefiov g)t]OL ovo yvvaiKcov 'OXii^iTTiddog Aal EvQvdUrjg, ev m
Tiiiv i^iiv ßa/,xiy.(OTeQOv (.lerd tv/.i7tdvco%' jiQoeXd^eiv ttjv ö'Evqv-
dUi]v BlaKedovtKwg y.ad^iOTcXiO(.dvriv zeigen die XIX 11 nach
der Nebenquelle erzählten Vorgänge nicht die mindeste
Aehnlichkeit ; dort spielt Olympias eine ganz passive Rolle,
Polysperchon befehligt das Heer und bewerkvstelligt ihren
Einzug : TIoXvöTtlQxcov dvva(.iiv 7]&Qoioe aal xarrjyayev ^OXvfx-
mada s/cl tkjV ßaocXelav ' dxoicov oiv EvqvÖlktjv ev Eviotg
ovoav ü)Qf.ir^oev etc avzr^v ottevÖcov f.iia i^dxj] KQlvai xd jtqdy-
fiara etc. Ganz entschieden spricht endlich gegen Duris
die Beschaffenheit der Nachrichteu, welche Diodor aus der
436 Sitzung der phüos.-phüol. Clashe vom 4, Mai 1878.
Nebenquelle über die Ereignisse, die handelnden Personen
und die örtlichen Verhältnisse des asiatischen Kriegsschau-
platzes bringt. Sie sind so mangelhaft und unzulänglich,
dass Duris, welcher, wie p. 375 bemerkt wurde, nach Hiero-
njraos schrieb und bei seiner ausgebreiteten Literaturkennt-
niss diesen schwerlich übersehen hat, nicht wohl für ihren
Urheber angesehen werden kann.
Die Nebenquelle weiss nichts von den eigentlichen
Zielen des Perdikkas und des Antigonos ; nichts von den
schlauen Absichten , mit welchen Ptolemaios sich der
Leiche Alexanders bemächtigte, ja sie fasst die ehrenvolle
Wegführung und Beisetzung derselben naiver Weise als
einen Akt hoher Pietät auf, für welchen ihn die Götter
mit Rettung aus der von Perdikkas drohenden Gefahr be-
lohnten ; den Abzug des Eumenes mit seinem starken Heer
aus Babylonien erklärt sie für glückliche Rettung aus der
Hand des Seleukos, der mit seiner Handvoll Reiter in Wahr-
heit sich glücklich pries denselben vom Halse zu bekommen.
Sie weiss nichts davon, dass der Tigris von Babylon nicht
weit entfernt ist, und denkt sich Phoinike irrig mit Besatz-
ungen des Ptolemaios erfüllt. Ueberall, wo sie mit Hiero-
nymos in der Geschichte des Ostens verglichen werden kann,
zeigt sie sich so dürftig unterrichtet, dass man nur annehmen
kann, ihr Verfasser sei den Ereignissen ganz fern gestan-
den und habe lange vor Hieronymos in einer Zeit geschrie-
ben, als die Nachrichten über die asiatischen Diadochen-
kämpfe noch spärlich flössen; sie macht den Eindruck der
ältesten literarischen Veröffentlichung über dieselben. Aus-
ser Hieronymos und Duris hat nur noch ein Zeitgenosse
der Diadochengeschichte dieselbe beschrieben, nämlich Diyl-
los von Athen, und er wird allgemein für älter als jene
gehalten, vgl. z. B. Müller Fragm. bist, gr. H 360 und
Schäfer in Sybels Zeitschr. XVHI 173. Es geschieht dies
Vnger: Diodors Quellen in der Diadochengeschichte. 437
wegen der offenbar chronologisch geordneten Reihenfolge
bei Plutarch de gloria Athen. 1 , wo er nach Thukydides,
Xenophon und dem ältesten Atthidographen Kleidemos,
aber vor Philochoros und Phylarchos aufgeführt wird : Phi-
lochoros war 306 Beamter und wurde um 260 auf Befehl
des Antigonos Gonatas getödtet; seine Atthis soll bis 261
gegangen sein. Diyllos führte seine allgemeine Geschichte
bis zum Tode des Philippos IV von Makedonien im J. 296
und da dies kein epochemachendes Ereigniss war, so muss
man annehmen, dass er wie Thukydides und Ephoros , den
er fortsetzte, über seiner Arbeit, also auch nicht lauge nach
jenem Jahr gestorben ist;^^) Hieronymos erzählte noch den
Tod des Pyrrhos im J. 272.
Daraus dass Diyllos ein Athener war und wahrschein-
lich auch in Athen schrieb, erklärt sich die ungleich bes-
sere Beschaffenheit seiner Nachrichten über Hellas und
Makedonien, welche hie und da auch genauer sind als die
des Hieronymos ; Diodor, welchem es, wie z. B. aus seinem
Vorwort über die Geschichte des Agathokles hervorgeht,
überall um die besten Quellen zu thun war, hat sicher nicht
aus Zufall ihn gerade für den westlichen Schauplatz der
Diadochengeschichte vorzugsweise zu Rathe gezogen. Den
Athener scheint die Rücksichtnahme auf die hohe Stellung,
welche der Olympias von Polysperchon versprochen war (p.
417), zu verratheu.
Unter den wenigen von Diyllos vorhandenen Frag-
menten ist nur eines, welches mit Diodors Nebenquelle ver-
glichen werden kann; es steht bei Athenaios TV 41: JivX-
20) Aus XIX 35 Jr]tSdfj.eiay Uvqqov rov ngog ^PMUca'ovg vöxeqov
iioleiAriaavTog (x6e'k(f^v will Nitsche p. 19 auf das Zeitalter der dort
benützten Quelle schliessen ; damals war aber Rom für die Griechen
noch nicht so wichtig, dass ein Schriftsteller den ßömerkrieg zu einer
näheren Bestimmung des Pyrrhos verwendet haben würde. Der Zusatz
igt von Diodor selbst.
438 Sitzung der philos.-phüol. Olasse vom i. Mai 1878.
log 6 Lid^rjvaXog ev xfi evdzrj twv Iotoqlwv (pr]Otv , wg Kaa-
aavÖQog ez Bouorlag hcavuov xal d^aipag rov ßaoikia y.al
Tr^v ßaolXiGoav ev ^ilyaig Aal /.ist avxwv trjv Kvvvav Tr]v
EiQvöiKTjg fxrjTSQa ytal rdlg aXkoig ti/irjoag oig TTQOGiyAei Kai
lj,ovofiaxlag aywva sd^tjKev, elg ov Kacißr^aav TtGoageg twv
öxqaTuoTiov. Müller Fragm. bist. II 360 hält diese Stelle
für die Quelle von XIX 52 : EvqvöUtjv [xev yial 0ih7t7tov
Tovg ßaailsig tn ös Kvvvav^ riv aveiXev ^AX^ltag, ed-axpev
EV ^lyalg Kad^arreq eS^og 'qv roig ßaailevot, VifÄrjaag ös rovg
TEtelevTTjxoTag eraTacpioig dycoai Kaviyqa^e xiov Ma^edoviov
etc. Droysen 1, 249 und Reuss p. 118 sind anderer An-
sicht, weil bei Diodor die Gründung von Kassandreia und
die Gefangeusetzung der Roxane und ihres Sohnes der
Leichenfeier vorausgeht, während Diyllos diese auf die Heim-
kehr aus Boiotien folgen lässt; sie denken dabei an den
Wiederaufbau von Theben, welchen bei Diod. XIX 53 Kas-
sander erst nach der Feier veranstaltete. Dieser Beziehung,
der einzigen welche sich den Worten ey. Boiwriag htavuov
geben lässt , stehen indess erhebliche Bedenken gegenüber :
die Wiederherstellung Thebens war bloss ein Nebenzweck
des Zuges, welchen Kassander nach der Feier unternahm.
Derselbe galt dem Peloponnes, vgl XIX 52 : nazeyqarps tcuv
MayteSoviüv rovg ev&sTovg SieyvojKcog roiv Maxedovcov elg Tle-
XoTtovvrjOov otqatEVEiv und 53 dviKsv^EV ek Trjg MaxEÖoviag
öTtEvöcov IdM^avöqov xov rioXv07tiQ%oviog eyißaXelv sa xrig
IlEXoTtovvrioov ; auf dem Hinweg wurde sie ins Werk ge-
setzt, auf dem Rückweg aber hielt er sich in Boiotien nicht
auf, c. 53 aTtokiTtcov htl xov ^lod^/iov Fsgaviag oxqaxLtoxag
diaxiXlovg ytal Gxqaxr^yov MoXvkov ETtavrjXd^Ev slg Manedoviav,
Wir halten daher diese Abweichung nur für die Folge
eines Textfehlers und vermutheu, dass Diyllos l>t Boxxiaiag
EJtavuov 2^) geschrieben hat. Die Einschliessung der Roxane
21) Justin VII 1, 3 baben die Hdss. Boetia oder Boeotia und letz-
teres batten die Ausgaben, bis Niebubr Bottia besserte.
Unger: Dioäors Quellen in der Diadochengeschichte» 439
und ihres Sohnes hatte Kassander, wie man sich denken
kann, nicht persönlich in Amphipolis geleitet, sondern in
der Ferne angeordnet, und Justin XIY 6, 13 filium Alexandri
cum matre in arceni Amphipolitanam custodiendo? mittit
gibt dies auch deutlich zu verstehen; nach Aigai kam er
also aus der Gegend von Kassandreia, welches er an der
Stelle des alten Potidaia auf dem Isthmos der Halbinsel
Pallene angelegt hatte. Die festländische Gegend , w eiche
durch den Isthmos mit Pallene in Verbindung steht, war
eben Bottiaia, vgl. Philochoros bei Dionys. Hai. ad Amm.
1, 9 : rilO^ev etg te ITaXlrjvrjv xal rrjv Bottialav ; von ihren
zwei Städten Olj^nthos und Spartolos war die erste im
Perserkrieg den Chalkidiern von Torone zu Theil geworden
(Herodot VHI 127), das Land blieb aber immer noch be-
deutend genug, um sich als ein selbständiges Gebiet südlich
von Makedonien und westlich von den Chalkidiern zu er-
halten, vgl. Thukyd. H 65 i^ieTa r^g IloTtdaiag ti^v ccjiorel-
XiGLV 0OQf-iuov Ttjv XalKiSiKi^v Kai BoTTiKrjv iSrjov ; 101 ^i-
taXytrjg ti]v te XalxtdiKr^v Kai BoTTiKr^v Kai 31aKEÖoviav
af^ia STtexiov.
Kassander schlug zum Gebiete der neuen Stadt sowohl
ganz Pallene als das nördlich angrenzende Land, Diod. XIX
52 : KaGoavÖQEtav^ eIq riv rag te eirl ri^g xEqaovriaov TtolEig
GvvioKLOE Kai Ti^v TloTidaiav ^ k'ti de rtov ovvEyyvg x<^qIojv
ovK oUya' KartoKiGE (5' Exg avrrjv Kai rcov 'Olvvd-uov rovg
diaacotof.i6vovg ; unter den avvEyyvg y^gla können aber nur
die Orte der Bottiaia verstanden werden. ^^) Dort in dem
22) Bedenkt man , dass Aineia und die Küstenlandschaft Krusis
dem neugegründeten Thessalonike einverleibt wurden (Strab. VII exe.
21), 80 findet sich , dass die ganze Ostküste des Busens von Saloniki
den zwei von Kassander gestifteten Städten gehörte; die Grenze zwi-
schen beiden ist offenbar dieselbe, welche vor Philipp und Alexander
zwischen Makedonien und Bottiaia bestanden hatte.
440 Sitzung der phüos.-philöl. Classe vom 4. Mai 1878.
nördlichsten Theil des neuen Stadtgebiets hielt er sich zu-
letzt auf, um die für die Einverleibung nöthigen Anord-
nungen zu treffen; dann zog er nach Aigai. Stellen wir
BoTTialag her, so ist die Uebereinstimmung zwischen Dio-
dor und Athenaios so gross, wie man sie zwischen zwei
nicht wörtlich ausgeschriebenen sondern (was bei Athenaios
die Part, cug anzeigt) nur dem Sinn und Hauptinhalt nach
ausgezogenen Stellen eben verlangen kann, und es darf die-
selbe als Beweis der Benützung des Diyllos bei üiodor an-
gesehen werden.
Diyllos hat sich uns bereits in Sachen des Glaubens
als ein conservativer Mann gezeigt ; er war es auch in der
Politik. Demetrios von Phaleron, Kassanders Statthalter,
hat die Stadt nach seiner Ansicht sehr gut verwaltet;
ebenso wird über Phokion, der vor diesem eine ähnliche
Stellung unter Antipater eingenommen hatte, mit Theil-
nahme und Lob gesprochen (XVIII 67). Er gehörte also
zu der aristokratischen Partei, welche durch Antipater mit
Phokion ans Ruder des Staates gekommen war; den Aristo-
kraten verräth XVIII 67 GvvrjxoXovd^ovv {rolg tteqI (DcoaI-
lova) TtoXXol Tcov OTtovöalcov dvÖQCov 6dvQO[xe.voi nal ovfx-
jtaöyovveg ercl xu) fueyeO^et tcov dtvxrjf^K^Tcov ' to ydq TtQOj-
TEVovTag avdgag ralg öo^aig y.al rdlg evy ev ela ig ttoXIcc
ntBTtqayoTag ev rcT} ^rjv (pildvd-gcoTta (xrixe Xoyov jurjxe kqI-
oswg öi^aiag Tvyxdveiv rcoXkovg rjyev elg STViGraoiv öiavotag
Kai cpoßov ' TJoXkol xal tcov drj j.iot i-naiv y,ai TtiKQCug dia-
KBiixivcov TtQog avTov iXoiöoQOvv dvrjXewg und 66 o oyXog
Kazeßoa * ro yccQ TtXvS^og rwv dr^^oriKwv TnxQfog SiSTieito
7CQog rovg d(p7^Qr]ixevovg zrjv TtoXirelav^^). Es ist das die
Partei, welche sich längst in die Abhängigkeit von Make-
23) Auch XVIII 74 äuetoXfitios ng xwv in «lvov fie viav nokt-
T(üi^ €171 tiy ip ixx}.t]<Tiq 6 ton avfxcpsqeL tiqos Kuooccv^qov SiccXvffaffO-ai
lässt diesen Parteistandpuukt erkennen.
Unger: Diodors Quellen in der Diadocheugeschichte, 441
donieu gefunden hatte ; wie unser Gewährsmann von
Alexander dachte, verräth XVIII 28 , wo die Rettung des
Ptolemaios vor dem Angriff des Perdikkas naiver Weise als
Gotteslohn für die ehrenvolle Bestattung der Leiche des
grossen Königs in Aegypten erklärt wird. Dies selbst ge-
schieht nicht etwa aus einseitiger Parteinahme für Ptole-
maios : er stellt den Eumenes, zu dessen Gegnern jener ge-
hörte, so hoch wie nur irgend ein Schriftsteller und nennt
die Besitznahme Phoinikes durch den Ptolemaios XVIII 73
eine ungerechte Handlung. Das Merkwürdigste ist seine
Eingenommenheit für Kassauder; der Umstand, dass Anti-
pater bei ihm schlechter wegkommt und Kassander zur Zeit
der Abfassung seines Werkes schon todt war, lässt ver-
muthen, dass sich dieser unserem Historiker persönlich in
irgend einer Weise gnädig gezeigt hatte. Wenn somit das
erste und einzige attische Geschichtswerk, welches die Dia-
dochenzeit behandelte, einen entschieden makedonischen
Standpunkt einnahm, so ist es nicht zu verwundern, dass
die jungathenische Partei, deren Ideal die Zeit der Perser-
kriege und die attische Hegemonie war , das Bedürfnias
empfand, eine ihren Ansichten entsprechende Darstellung
der jüngsten Schicksale Athens zu besitzen : der es unter-
nahm, einen Phokion und Demetrios von Phaleron von
einem anderen Gesichtspunkt aus zu beurtheilen, war kein
anderer als Demochares, der Neffe des Demosthenes, der
Erbe und Träger seiner Politik und ihrer Ideale.
Sitzung vom 4. Mai 1878.
Herr Brunn trug vor:
• „Die Sculpturen von Olympia.*'
II.
Die Fortsetzung der Ausgrabungen am Tempel des Zeus
zu Olympia während des Winters 1876/77 liat nicht nur
sehr wesentliche Stücke zur Ergänzung der Gruppe des
Ostgiebels, sondern auch bedeutende Reste der Sculpturen
des Westgiebels ans Licht gefördert. Eine Reihe von Pro-
blemen über die Ergänzung einzelner Figuren, über ihre
Vertheilung im Räume, über die Composition des Ganzen
u. A. drängt sich dem Betrachter auf. Doch wird deren
Erledigung besser bis zu dem Zeitpunkte verschoben , wo
durch Beendigung der Ausgrabungen jede Aussicht auf eine
weitere Ausfüllung der noch vorhandenen Lücken verschwun-
den sein wird. Weniger abhängig von solchen Ergänzungen
erscheint die kunstgeschichtliche Hauptfrage, die sich kurz
dahin zusammenfassen lässt: wie verhält sich der künst-
lerische Charakter der Westgruppe zu dem der Ostgruppe?
Entspricht derselbe den Vorstellungen , die wir uns bisher
von der Kunst des Alkamenes gemacht haben, und wenn
nicht, wie haben wir uns diese Erscheinung zu erklären?
Zur Erörterung dieser Frage liegt mir die zweite Serie
der photographischen Publication vor. Ausserdem hatte ich
443 Sitzung der philos.-philoL Classe vom 4. Mai 1878,
kürzlich Gelegenheit, in Berlin die Gypsabgüsse einer
wiederholten Betrachtung zu unterwerfen, wenn auch nicht
unter den günstigsten Umständen. Wohl bin ich mir dabei
bewusst, dass gerade neuen und fremdartigen Eindrücken
gegenüber das Auge einer längeren Gewöhnung bedarf und
dass wir daher manche feinere Eigenthümlichkeiten nicht
sofort nach allen Seiten zu würdigen im Stande sind. Doch
werden dadurch die Hauptresultate vielleicht im Einzelnen
berichtigt, aber doch nicht wesentlich beeinträchtigt werden
können. — Der Gang der Untersuchung wird kein anderer
sein , als der in meinem vorjährigen Vortrage über die
Sculpturen des Paeonios eingeschlagene, nemlich der einer
formalen Analyse der Werke selbst, diesmal natürlich unter
fortwährender Vergleichung der beiden Gruppen.
Wie damals beginnen wir mit der Betrachtung der
GewanduDg. Den beiden Flussgöttern des Ostgiebels ent-
sprechen im Westgiebel zwei weibliche am Boden lagernde
halbbekleidete Gestalten , Ortsgottheiten oder Nymphen.
Die eine (Taf. XI) ist bis auf die Arme und die Beine, vom
Knie abwärts, erhalten; von der andern ist nur die untere
Hälfte auf Taf. XH abgebildet ; der obere, später gefundene
Theil stützt sich mit dem EUnbogen auf den Boden. Der
erste Blick auf dieselben zwingt uns zu dem Bekenntniss,
dass zwischen dem Styl der beiden Gruppen ein principieller
Gegensatz nicht existirt. Vielmehr macht sich sofort eine
sehr weit gehende Verwandtschaft bemerkbar. Wie um diese
recht absichtlich zu zeigen, sind die Gewänder so geordnet,
dass sie dem Rücken folgend Brust und Arme freilassen und
dann in scharf gebrochenem Winkel von der Hüftgegend
an über die Schenkel fallen , gerade wie am Alpheios und
Kladeos. Die Aehnlichkeit erstreckt sich bis auf die Form
der Falte an dem gebrochenen Winkel. Aber auch im
Uebrigen gilt hier wörtlich dasselbe, was dort (S. 9) be-
merkt wurde: die Gewandung fällt nicht, wie sie nach
Brunn: Die Sculpturen von Olympia. 444
einem bestimmten Stylpriucipe fallen sollte, sondern sie
liegt regellos cla, wie sie der Zufall geworfen liat, keines-
wegs unnatürlicli, aber doch nur die äussere zufällige Er-
scheinung wiedergebend. Nur die ausführende Hand ist
eine andere und von einem andern Empfinden geleitet: im
Ostgiebel sind die Falten rundlich und weichlich, wie von
einem etwas dicken, wenn auch nicht gerade schweren Stoffe,
der nicht in zahlreichen Falten bricht; im Westgiebel ist
die einzelne Falte feiner, schärfer, nach dem griechischen
Ausdrucke elg Xejvtoteqov £^€iQyaa/.ihrj. Die Gewandungen
der beiden Giebel verhalten sich etwa, wie zwei Zeichnungen,
von denen die eine mit weicher Kreide, die andere mit härterem
Bleistift ausgeführt ist.
Bei der Gewandung der „knieenden Frau" (X) liegt
eine Vergleichung mit dem an der Ostseite gefundenen
„hockenden Mädchen" (Serie II, Taf. VII) nahe, wenn nicht
vielleicht zu nahe, indem es sich hier vielmehr um Gleich-
heit, als um blosse Verwandtschaft des Styls zu handeln
scheint. Es darf daher wohl die Frage aufgeworfen werden,
ob die letztere wirklich zum Ostgiebel gehört. Pausanias
nemlich erwähnt bei der Beschreibung desselben diese Figur
gar nicht, und man hat ihn deshalb ohne Weiteres einer
Nachlässigkeit in der Aufzählung oder eines Misverständ-
nisses in der Deutung beschuldigen wollen. Die Beurfchei-
lung der Zuverlässigkeit des Pausanias, den I. C. Scaliger
omnium Graeculorum mendacissimum nannte, hat sich sehr
zu seinen Gunsten gewendet, seitdem zahlreiche wissen-
schaftliche Reisende ihm die Anerkennung nicht zu versagen
vermochten, dass sein Werk durch die Genauigkeit in der
Angabe der Oertlichkeiten sich noch heute als ein treffliches
Reisehandbuch bewähre. Die Archäologie hat bei systema-
tischen Untersuchungen, wie z. B. über die polygnotischen
Gemälde, über den Kypseloskasten, den amykläischen Thron
dieses Urtheil nur bestätigen können, indem sie zu der lieber-
Brunn: Die Sculpturcn von Olympia. 445
Zeugung gelangte, dass Pausanias überall da, wo er beschreibt,
was er selbst vor Augen hat, sich als ein treuer und sorg-
fältiger Berichterstatter erweist, wenn auch zu beklagen bleibt,
dass er sich namentlich im Anfange seines Werkes meist
kürzer fasst, als für uns zu wünschen wäre. Weun man
ihn also jetzt nicht nur anklagt, eine Figur übergangen zu
haben, sondern je nach Bedarf ihm auch eine Vertauschung
des Kladeos und Alpheios, sowie eine Verwechselung des
Peirithoos mit Apollo zutrauen möchte, so dürfte so ge-
häuften .Vorwürfen gegenüber doch wohl eine Mahnung zu
grösserer Vorsicht in der Kritik am Platze sein. Kleinere
Nachlässigkeiten können und sollen natürlich nicht abge-
leugnet werden ; und wenn wir schon vor Beginn der Aus-
grabungen von Olympia eine Lücke in der Aufzählung der
Metopen annehmen mussten, so waren wir dazu berechtigt
durch die materiell gegebene Zwölfzahl der Metopen und
durch die in der Tradition eben so gegebene Zwölfzahl der
Thaten des Herakles. Zudem ist gerade bei Aufzählung so
bekannter längerer Reihen, wie diese, eine Unterlassungs-
sünde am leichtesten erklärbar und entschuldbar, wie viel-
leicht so mancher, der sich selbst prüft, aus eigener Er-
fahrung zu bestätigen in der Lage wäre. Die Reihe der
Figuren des Ostgiebels bei Pausanias ist dagegen eine streng
in sich abgeschlossene, in der sich zu beiden Seiten des Cen-
trums Figur für Figur genau entspricht; ja Pausanias be-
schreibt hier offenbar im klaren Bewusstsein dieser Ent-
sprechung , indem in den Artikeln o Ileloip ... o re ^vlo-
xog . . ., in xal ovtoi und avd^ig eine bestimmte Hinwei-
sung auf die Reihenfolge der Gegenseite gegeben ist. Sollen
wir also das hockende Mädchen in die Composition auf-
nehmen, so sind wir zu der Annahme gezwungen, dass Pau-
sanias nicht nur diese, sondern noch eine zweite entsprechende
Figur auf der anderen Seite übergangen, von der bis jetzt
keine Reste zum Vorschein gekommen sind , oder dass er,
[1878 I. Philos.-philol.-hist. Gl. 4.] 32
446 Sitzung der phüos.'philol. Classe vomTli. Mai 1878.
was gewiss wenig wahrscheinlich , das Mädchen für einen
Stallknecht angesehen habe. Diesen Bedenken gegenüber
fällt allerdings der Fundort an der Ostseite schwer ins Ge-
wicht. Indessen ist derselbe nicht mit der Stelle identisch,
auf welche die Figur ursprünglich aus dem Giebel herab-
gestürzt sein müsste. Mag nun auch für eine Verschleppung
von der anderen Seite des Tempels sich bis jetzt kein
äusserer Grund anführen lassen, so wird doch die Möglichkeit
einer solchen sich nicht absolut verneinen lassen. Bei dieser
Sachlage, die eine Vertagung der Entscheidung bis zu völligem
Abschluss der Ausgrabungen räthlich erscheinen lässt, möchte
daher eine gewisse Zurückhaltung in der Vergleichung dieser
Figur mit der knieenden Frau des Westgiebels wenigstens
ihre vorläufige Berechtigung haben.
Jedenfalls werden wir sicherer gehen, wenn wir für
unsere Erörterungen eine andere Figur des Ostgiebels, etwa
den „knieenden Wagenlenker" (XX) heranziehen. Hier haben
wir wieder, wie bei den Eckfiguren, die allgemeine Ueber-
einstimmung in der Disposition der Gewandung neben der
Verschiedenheit in der Ausführung des Einzelnen. Die
laxe Weichheit des Paeonios weicht in der knieenden
Frau einer strengeren und schärferen Bezeichnung der ein-
zelnen Falten. Eine Tendenz zu mehr plastischer Stylisirung
macht sich namentlich in dem ruhig herabfallenden oberen
Gewandstücke mit gutem Erfolge geltend, ist aber noch
nicht stark genug, um den Mangel an Verständniss der
Körperformen und ihres Zusammenhanges mit der Bekleidung,
so wie klarer Durchbildung der einzelnen Falten bei weniger
einfachen Lagen zu überwinden. Besonders in der Umgebung
des Knies tritt das Aeusserliche der Auffassung in der Figur
des einen Giebels nicht minder, wie in der des andern
hervor.
Aehnliche Tendenzen lassen sich jetzt auch an andern
Frauengewändern (auf Taf. XIV, XIX, XXIII) verfolgen.
Brunn : Die Sculpturen von Olympia. 447
Einzelnes ist mitunter sogar über Erwarten gelungen, so
dass man au Ausführung durch verschiedene Künstler (nicht
Arbeiter) denken könnte , wenn sich die stylistischen Ver-
schiedenheiten nicht auch an einer und derselben Figur
vereinigt fänden. So tritt uns an der „Deidamia" in den
Begrenzungen der anliegenden und übereinander gelegten
Falten unterhalb der umfassenden Hand des Kentauren eine
feine Zeichnung entgegen, während unmittelbar darunter
die nach dem Schenkel herunterlaufenden Falten von rund-
lichem, wulstigem Charakter sind, darüber aber die von der
Schulter herabfallenden sich mehr in die Breite auseinander-
zulegen streben. In einem ähnlichen, aber noch schärferen
Gegensatz stehen an der „geraubten Jungfrau" (XIV) die
rundlichen, den linken Schenkel umhüllenden zu den breiten,
über den rechten herabfallenden Falten. Es verräth sich
darin das Streben, gewisse Beobachtungen über verschieden-
artige Stylisirungeu, so zu sagen , zu classificiren und etwa
zusammengeschobene, rundliche und auseinandergelegte breite
Falten bestimmt zu unterscheiden. Freilich stehen sie sich
gegenüber fast wie lamben und Trochäen , während sich
grössere Einheit und Harmonie hätte erzielen lassen, wenn
die rundlichen etwa in den Styl der die Brust bedeckenden
übertragen worden wären. Andere Einzelnheiten , wie die
feingefältelten Aermel des Weibes (XXV) erinnern daran,
dass der Künstler auch auf die Unterscheidung der ver-
schiedenen Stoffe der Gewänder grösseren Werth als früher
zu legen begann , freilich auch hier ohne ein klares und
durchgreifendes Verständniss. Im Ganzen dürfen wir also
wohl sagen, dass der Künstler von der durch Paeonios re-
präsentirten Kunstweise ausgeht, aber versucht, die Grenzen
derselben nach verschiedenen Seiten zu überschreiten , ohne
jedoch im Stande zu sein, diese Neuerungen einheitlich und
harmonisch zu verarbeiten.
Auch in der Behandlung der Körperformen lässt sich
32*
448 Sitzung der philos .-phüol Classe vom 4. Mai 1878.
hie und da ein Fortschritt im Einzelnen nicht verkennen:
man beachte namentlich die Füsse und Hände an der
Kentaurengruppe XIV, wo die Falten an den Fingergelenken,
die Adern und Sehnen eine eingehende Berücksichtigung
gefunden haben. Ebenso verrathen die Falten am Menschen-
leibe des Kentauren, wie die ganze Anlage des Brustkastens
und die Angabe der Brustmuskeln eine feinere Hand und
ein besseres Verständniss, und ein ähnliches Lob verdient
der Pferdeleib des Kentauren XXV. Wenden wir aber den
Blick auf die Torsen der in lebhafter Action begriffenen
Gestalten des Theseus (XVI) und des einen Lapithen (XVIIl),
so werden wir wieder auf die enge Verwandtschaft mit dem
Ostgiebel zurückgewiesen, indem wir hier wie dort die strenge
Schulung, die energische Zucht gymnastisch - athletischer
Körperbildung vermissen. Wir finden eine wenig bewegte
Oberfläche mit weichen Uebergängeu , wo wir energische
Schwellung und Spannung der Muskeln und scharfe Be-
grenzungen erwarten sollten. Es soll dabei keineswegs in
Abrede gestellt werden, dass solche Körper bei einer hohen
Aufstellung, wie sie in Berlin versucht ist, günstiger wirken,
als bei der Betrachtung in der Nähe. Doch müssen wir
dabei einen sehr bestimmten Unterschied festhalten : der
günstigere Eindruck hier wie im Ostgiebel ist ausschliesslich
auf Rechnung der malerischen Wirkung der Oberfläche
in ihrer äusseren Erscheinung zu setzen, während die Mängel
mehr unter der Oberfläche, in dem nicht genügenden inneren
Verständniss zu suchen sind. So erscheint in dem Lapithen-
torso der in seinem Ausatz erhaltene rechte Arm wie aus-
gerenkt und lässt ans das richtige Verständniss des Zu-
sammenhanges der Theile ebenso vermissen, wie z. B. am
Ostgiebel der linke Schenkel des kauernden Jünglings Ser. II,
Taf. VII. Fast noch unangenehmer wirkt trotz der Frische
des Gedankens der Composition der Mangel an Richtigkeit
der Proportionen in der von einem Kentauren geraubten
Brunn: Die Seulpturen von Olympia. 449
Jungfrau (XIV), der verbunden mit einer gewissen Unklar-
heit in der Disposition der Gewänder uns sogar schwer zum
Verständniss des Ganzen dieser Figur gelangen lässt.
Ohne uns bei den augenfälligen Schwächen in der
Körperbildung der gelagerten Ortsgottheiten aufzuhalten,
lassen wir uns durch dieselben auf eine weitere Verwandt-
schaft der beiden Giebel in Stellung und Motivirung der
Gestalten hinleiten Sie liegen lang ausgestreckt, so dass
das eine Bein unter dem andern fast verschwindet und dass
ohne stärkere Biegung des Kniees der Körper nicht in
scharfer Silhouette hervortritt, wie es doch, um vom Par-
thenon zu schweigen, die Künstler der äginetischen Giebel-
gruppen nicht ohne Geschick anzuordnen verstanden hatten.
Ein wenig bewegter, flauer und weichlicher Contour bildet
die obere Begrenzung, während die andere, allerdings wohl
durch den Rand des Giebelfeldes für den Beschauer fast
ganz verdeckt, völlig vernachlässigt ist. Bei dem fragmen-
tirten Zustande der Gruppen ist es wenigstens jetzt noch
nicht möglich, über die Linienführung im Allgemeinen und
über die Einfügung der Figuren und Gruppen in den Rahmen
des Giebels bestimmter zu urtheilen. Nach den erhaltenen
Theilen scheint der Künstler dabei ziemlich unbefangen zu
Werke gegangen zu sein. Die Gruppe XIV z. B. ist, wie
bemerkt, lebendig, aber ziemlich derb erfunden, und die
sattelförmige Einbiegung des Pferderückens , die in einem
Fragment der entsprechenden Gruppe der Gegenseite wieder-
kehrt, dürfte vom ästhetischen Standpunkte aus manchen
Bedenken unterliegen, die in den Anforderungen des Raumes
nur eine sehr theilweise Entschuldigung finden. Sonst gilt
von dieser Gruppe, wie von andern Figuren wohl wörtlich
dasselbe, was über den Ostgiebel (S. 8) bemerkt wurde:
„Die Motive sind aus der Natur herübergenommen, wie sie
der Zufall bot, ohne dass viel gefragt wurde, ob sie ge-
wöhnlich, gemein oder edel . . . Die Natürlichkeit, die
450 Sitzung der philos.-philoL Classe vom 4. Mai 1878,
uns hier entgegentritt, ist also nicht eine geläuterte, ideale,
sondern ein Abbild der ungeschminkten Wirklichkeit/'
Dass auch diese zuweilen eines hohen Reizes nicht entbehrt,
kann uns in besonders einleuchtender Weise der noch nicht
publicirte obere Theil der einen Ortsnjmphe lehren.
Wie bei den Gestalten auf die Gewandung, so richten
wir bei den Köpfen unsern Blick zuerst auf Haupt- und
Barthaar. Hier kann uns ein entschiedener Mangel an Ein-
heit des Styls nicht entgehen, der einen besonderen Grund
haben muss. Bei der Zusammensetzung der Massen aus
unzählbaren einzelnen, schlichten oder gewellten Haaren, die
sich an den Schädel anlegen oder von ihm loslösen, ist eine
Nachahmung der äusseren Erscheinung des Haares in der Plastik
besonderen Schwierigkeiten unterworfen. Die Wiedergabe
verlangt eine gewisse Abstraction oder nach der Termino-
logie der Kunstsprache eine bestimmte Stylisirung. Selbst
in der Malerei bildet namentlich das anliegende Frauenhaar
leicht einen Flecken, eine zu einförmige Fläche, die gebrochen
oder unterbrochen werden muss. Auf dieses Bedürfniss möchte
es zurückzuführen sein, dass Poljgnot ,,die Köpfe der Frauen
mit bunten Binden bedeckte, '* um hier eine reichere Man-
nigfaltigkeit in Zeichnung, wie in Farbe zu erzielen. Wenn
nun gerade an nordgriechischen Werken, an dem Relief von
Pharsalos die beiden Mädchen mit sorgfältig geordneten
Kopfbinden geschmückt sind, wenn auch der Kopf der Philis
in dem Relief von Thasos einen ähnlichen Schmuck auf-
weist, so wird es kaum als ein Zufall zu erachten sein, dass
ebenso an mehreren Frauenköpfen des Ostgiebels von Olympia
das Haar mehr oder weniger, einmal fast ganz bedeckt ist.
So war wenigstens ein Theil der Schwierigkeiten überwunden
und es fiel weniger auf, wenn der noch übrig bleibende
sichtbare Rest des Haares nur in allgemeinen Massen an-
gelegt und weiter nur durch die Farbe hervorgehoben war.
Poch nicht überall und namentlich an den Köpfen der
Brunn: Die Sculpturen von Olympia. 451
Männer konnte dieses Auskunftsmittel genijgen : hier war
es nöthig zu bestimmter Stylisirung vorzuschreiten. Am
ersten gelang dies noch an den Barten, die von Natur eine
etwas straffere Coraplexion haben und in ihrem Wachsthum
eine bestimmtere Beziehung zur Form des Kinns und der
Kinnladen bewahren (wie z. B. an dem sterbenden Aegineten,
an der Tux'schen Bronze , an dem behelmten münchener
Kopfe Nr. 40). So begegnen wir zunächst einem eigen-
thümlichen Uebergangsstadium an dem Kentaurenkopfe XXV,
wo die oberen Ansätze des Bartes als einheitliche Masse
behandelt sind, die sich erst nach unten in einzelne Par-
tien zerlegt. Weiter fortgeschritten ist diese Theilung am
Barte des Kentauren XIV, wo sogar mit einem gewissen
Raffinement, wenn auch stjlistisch nicht ganz einheitlich,
der Schuurbart sich in feinen Linien über den Kinubart
legt. Weniger scheint der Künstler am Haupthaar aus
eigener Kraft neue Wege einzuschlagen gewagt zu haben.
Am ,, Apollokopf" und ähnlich an der gestürzten Alten
(XX — XXII) erinnern die fadenartigen Haare und schnecken-
förmigen Löckchen au die archaische Stylisirung der pelo-
ponnesischen und äginetischen Schulen, und an deniLapithen-
kopf (XV) treten die hart und scharf geschnittenen kurzen
und flachen Locken sogar in einen bestimmten Gegensatz
zu den weichen Formen des Fleisches. Hier scheint also
der Künstler in dem Gefühl, dass seine ganze Kunstrichtung
ihn zu plastischer Stylisirung weniger befähigte, es für ge-
rathener gehalten zu haben, sich an fremde Vorbilder an-
zuschliessen. Wir werden das um so begreiflicher finden,
als es gerade in Olympia bei der Masse der dort aufge-
stellten Kunstwerke schwer sein mochte, sich den Einflüssen
dieser Umgebung zu entziehen.
Gehen wir jetzt zu den Köpfen über, so ist aus dem
Ostgiebel bisher nur einer, der des bärtigen Alten, in guter
Erhaltung aufgefunden worden, mit dem sich aus dem West-
452 Sitzung der phüos.-phüol. Classe vom 4, BLii 1878.
giebel zunächst der des Kentauren XXV vergleichen lässt.
In seinen Formen zeigt er eine ähnliche Verfeinerung, wie
sie sich bei der Vergleichung der Gewandung an den Orts-
nymphen mit den Flussgöttern herausgestellt hat. Das
Sichtbarwerden der Zähne, das an dem sterbenden Aegineten,
an einem Giganten der mittleren und schon etwas lebendiger
an einer Amazone und au dem Zeus der jüngeren Metopen
von Selinunt zur Andeutung des Schmerzes wie der Lust
verwendet ist, erscheint hier wieder um eine Stufe weiter
entwickelt. Lenken wir jedoch den Blick auf die Kentauren-
köpfe der Parthenonsmetopen, an denen wir uns den Stand
der attischen Kunst in Arbeiten gleichzeitig lebender älterer
und jüngerer Künstler vergegenwärtigen können, so möchte
es schwer sein, dem olympischen Kopfe in dieser Reihe seine
Stelle anzuweisen. Er geht über die archaische Herbigkeit
in der formalen Auffassung der älteren weit hinaus, aber
ohne zu der Durchgeistigung der jüngeren zu gelangen,
und doch auch wieder ohne die derbe natürliche Frische zu
bewahren, wie sie z. B. dem Kopfe des myronischen Marsyas
eigen ist. Nicht also an eine Vergleichung mit attischen
Werken dürfen wir denken. Wenden wir uns jetzt zu den
übrigen Köpfen dieses Giebels, von denen mehrere in vor-
trefflicher Erhaltung auf uns gekommen sind, so tritt uns
an ihnen überall eine gewisse Breite und Fülle in der künst-
lerischen Anlage entgegen. Doch dürfen wir auch diese
wiederum nicht mit der Vollsaftigkeit verwechseln, welche
z. B. an einem alten noch nicht publicirten Athenekopfe
von der Akropolis, wie auch an den ältesten attischen
Tetradrachmen als charakteristisches Kennzeichen alt-attischer
Kunst auffällt. Richtiger werden wir, wie bei dem Relief-
kopf von Abdera (1876, S. 327), von einem breiten, pastosen
Vortrage sprechen dürfen. Ausserdem aber werden wir, was
die ganze geistige Temperatur der Auffassung anlangt,
wohl an kein Werk mehr erinnert, als an das Relief der
Brunn: Die Sculpturen von Olympia, 453
beiden Mädchen von Pharsalos. Allerdings weist bei diesen
die Bildung der Augen auf eine ältere Stylperiode hin :
an den Köpfen der Giebelstatuen ist das Auge richtiger,
d. h. schon für eine richtige Profilansicht gestaltet; doch
ist der Augapfel noch flach rundlich und durch die Lider
noch zu gleichmässig dick umrändert, so dass es zwar nicht
an einem allgemeinen Gesauamtausdruck fehlt , wohl aber
an den feineren Nüancirungen desselben, die nicht durch
eine oberflächliche Nachbildung der Natur, sondern durch
eine scheinbare Abweichung von derselben und eine auf den
Ausdruck berechnete Umbildung oder Stylisirung des Auges
erreicht werden. Wir werden uns darüber noch klarer werden
durch einen Blick auf die Bildung des Mundes. In Werken
der vollendetsten Kunst wird fast immer der Ausdruck des
Auges im Munde seine Ergänzung, eine weitere Entwicke-
lung, oft eine Verstärkung nach der Seite der Milde, des
Ernstes u. s. w. finden , wenn er auch nicht in so hohem
Maase, wie das Auge, der eigentliche Träger des Ausdrucks
zu sein vermag. Anderer Seits, ja vielleicht gerade aus
diesem letzteren Grunde, lässt sich in der Bildung des Mundes
schon ein hoher Grad von ,, Wahrheit" durch eine aufmerk-
same Beobachtung und Nachahmung der Wirklichkeit er-
zielen. Dies ist in der That der Fall an den Köpfen des
Westgiebels und hier in besonders hohem Maase an dem
sogenannten Apollokopfe. Und doch wirkt dieser Kopf
mehr als alle andern auf uns wie ein Werk archaischer
Kunst: der fast üppigen physischen Frische des Mundes
entspricht nicht eine gleiche geistige Frische des Auges:
allerdings auch nicht eine durchgeistigte Stirn ; doch würde
einer andern Bildung des Auges auch diese ohne Zweifel
gefolgt sein.
Auch andere Einzelnheiten, wie die Stirnfalten an einem
Lapithen- und einem Frauenkopfe (XV und IX) werden wir
daher nicht mehr auf einen besondern Grad innerer geistiger
454 Sitzung der philos.-phüol Classe vom 4. Mai 1878.
Erregung, ja nicht einmal körperlicher Anstrengung beziehen
wollen. Wir erkennen darin zunächst nur eine einfache
Beobachtung der Natur , die wir weiter in Zusammenhang
bringen dürfen mit einem Streben nach äusserer Charakteristik,
wie sie uns entgegentritt am Kopfe der gestürzten Alten
(XTX — XX). An ihrer Stirn, am Munde und Halse zeigt
sich allerdings eine grössere Zahl von Falten ; aber in seiner
gesammten Anlage unterscheidet sich der Kopf wenig von
den andern. Jene Einzeln heiten sind fast nur in die Ober-
fläche des Marmors eingezeichnet, ohne dass dadurch der
Gesammtorganisraus tiefer berührt wurde. Anders scheint
dies freilich bei einem Kopffragment (XVII) , in dem man
sogar einen ausgesprochenen semitischen Typus wiederfinden
möchte. Wir brauchen dieser Ansicht nicht gerade zu
widersprechen; aber niemand wird dieses Fragment etwa
mit den Racebildungen der pergamenischen Schule auf eine
Linie stellen wollen; denn die Charakteristik bleibt immer
eine äussere, für welche die Beobachtung der Wirklichkeit
nach ihrer äusseren Erscheinung ausreicht.
Wie dem auch sei, so wird die Betrachtung dieser
Köpfe uns wenigstens vor einem Irrthum bewahren können,
der auch nach der Entdeckung der Sculpturen des West-
giebels von Neuem auftauchen zu wollen scheint, dass nem-
lich den Meistern, welchen das Alterthum diese Werke bei-
legt, nur etwa die Erfindung, die Ausführung dagegen nur
untergeordneten Hülfsarbeitern beigelegt werden dürfe.
Wir müssen hier sehr bestimmt das geistige (oder poetische)
Wollen und das künstlerische Können oder Vollbringen
unterscheiden. Wir mögen das feinere poetische Empfinden
vermissen; wir mögen uns dadurch sogar hie und da un-
angenehm berührt finden: der Kopf des Lapithen z. B.
hat in seinem ganzen Wesen, ich scheue das Wort nicht,
etwas Brutales; aber dennoch ist er nicht etwa das Werk
eines gewöhnlichen Steinmetzen. Der Künstler wollte, oder
Brunn: Die Sculpturen von Olympia. 455
oder er glaubte wenigstens, er müsse die Energie eines jugend-
lichen Helden als materiell wuchtige, rohe Naturkraft zur
Anschauung bringen. Darin irrte er vielleicht noch mehr
als Canova, der in dem Gegner des Kreugas, Damoxenos,
die Brutalität der Gesinnung auch künstlerisch derb und
ungeschminkt darstellen zu müssen meinte. Aber jene Kraft
hat wirklich in einer den Absichten des Künstlers entsprechen-
den Form ihren Ausdruck gefunden. Wir mögen ferner
an diesem und an den andern Köpfen die Strenge specifisch
plastischer Stylisirung vermissen. Aber wurde diese vom
Künstler erstrebt? und nicht vielmehr eine malerische
Wirkung, die er auch erreichte? Die äussere Erscheinung
der Form , die Stellung der Flächen gegen einander , das
Abrunden, Abtönen derselben sind mit einem Verständniss
und einer Weichheit wiedergegeben , die nichts von dem
Ungeschick oder der Unselbständigkeit eines blossen Ar-
beiters verrathen, sondern ein sehr bestimmtes Bewusstsein
des Künstlers voraussetzen. Sind wir aber einmal über dem
besonderen künstlerischen Charakter der Köpfe zur Klarheit
gelangt, so werden wir uns leicht davon überzeugen, dass
derselbe mit dem Charakter der Gestalten im besten Ein-
klänge steht und dass auch in diesen ein bestimmtes Wollen
die Hand gelenkt hat. Nur sollen wir nicht Forderungen
stellen, die zu erfüllen der Künstler selbst entweder nicht
beabsichtigte oder noch gar nicht in der Lage war.
Ueberhaupt stellen wir uns wohl auf einen falschen
Standpunkt, wenn wir bei der Werthschätzung dieser Ar-
beiten zu ausschliesslich die streng und systematisch geschulte
Kunst des eigentlichen Hellas ins Auge fassen, die gerade
iu der Plastik ihre höchsten Triumphe feierte. Um gerechter
zu urtheilen, blicken wir einmal nach einer gerade entgegen-
gesetzten Richtung. Vielleicht das hervorragendste Werk
von specifisch etruscischem Charakter ist der cäretaner
Teracottasarkophag mit der lebensgrossen Gruppe eines auf
456 Sitzung der philos^-philol. Classe vom 4. Mai 1878.
dem Bett gelagerten Ehepaares (Mon. dell' Inst. VI, 59).
Er gehört einer streng archaischen Kuustperiode an, und
doch übt er eine bis zur Illusion gehende Wirkung auf
den Beschauer aus. Als er noch im Museum Campana in
einem als Grabkammer hergerichteten Räume aufgestellt
war, konnte ich es öfter beobachten, wie der Besucher beim
Eintreten stutzte, als solle er erst um Erlaubniss bitten,
den häuslichen Frieden des im Hintergrunde ruhenden Ehe-
paars durch seine Gegenwart stören zu dürfen. Diese
Wirkung beruht auf einem ausgesprochenen Sinne des Künst-
lers für Beobachtung der individuellen Züge des Lebens.
Wir glauben etwas Wirkliches in voller Natürlichkeit vor
uns zu sehen und vergessen darüber , dass in dem vollen-
deten Kunstwerke noch manche andere specifisch künstlerisch-
stylistische Forderung Befriedigung erheischt. Es stört uns
nicht, dass wir uns z. B. von dem Körper der Frau, soweit
er durch das Gewand bedeckt ist, kaum einen klaren Be-
griff zn machen vermögen: ist dies doch oft genug auch
in der Wirklichkeit der Fall ! Dass wir es aber hier nicht
mit einer bloss individuellen Leistung zu thun haben, können
uns später etruscische Arbeiten lehren, wie z. B. die Gruppen
von Ehepaaren auf zwei vulcentischen Sarkophagen (Mon.
deir Inst. VIII, 20). Sie sind von geringerer Arbeit, aber
aus demselben Geiste nüchterner Naturbetrachtung erwachsen.
Nichts verräth hier einen höheren idealeren Schwung ; und
doch entbehren selbst diese Gruppen nicht eines gewissen
poetischen Reizes, in so weit wenigstens, als überhaupt von
einer Poesie des Philisteriums zu reden gestattet sein möchte.
Fassen wir diesen besonderen Charakter der etruscischen
Kunst scharf ins Auge, so werden wir uns der Wahrneh-
mung nicht entziehen können, dass manche Eigenthümlich-
keit der olympischen Sculpturen in verwandten Grundan-
schauungen ihre Erklärung findet. Für die Gestalten der
Ortsgottheiten giebt es im Hinblick auf den Mangel an
Brunn: Die Sculpturen von Olympia. 457
Verständniss und Stylisirung der Körperformen und Ge-
wandung, wie auf die künstlerisch unentwickelte Natürlich-
keit der ganzen Lage kaum eine passendere Parallele, als
die Gestalten der caeretaner Gruppe. Aher auch in den
Köpfen begegnen wir trotz der Verschiedenheit in der Stufe
der stylistischen Entwickelung dem gleichen Streben nach
individueller Lebendigkeit ohne tieferes Eingehen auf geistigen
Ausdruck. Natürlich wird niemand verkennen, dass neben
dieser Verwandtschaft den olympischen Sculpturen noch ein
Stück griechischen Geistes innewohnt, welches den Etruskern
stets fremd geblieben ist Letztere verharrten in ihrer
Einseitigkeit ; in Griechenland war diese besondere Richtung
nur eine unter mehreren, und was in ihr von gesunden
und brauchbaren Elementen vorhanden war , brauchte sich
nur der strenger schulmässig durchgebildeten Plastik zu
assimiliren , um diese selbst wieder auf eine höhere Stufe
der Vollkommenheit zu erheben.
Werfen wir nach diesen Betrachtungen noch einen
Blick auf die Gesammtcomposition der beiden Giebeldarstell-
ung, so tritt hier allerdings ein bestimmter Gegensatz
hervor, der indessen in erster Linie durchaus von dem Be-
lieben der beiden Künstler unabhängig und mehr principieller
als individueller Natur ist. Auch in neuerer Zeit, an der
Walhalla bei Regensburg, hat man schwerlich auf Grund
historisch-theoretischer Erwägungen, sondern geleitet von
einem innerlichen, tief im Menschen begründeten Kunstge-
fühl den vorderen Giebel mit einer ruhigen Huldigungs-
scene, den hinteren mit einer lebendig bewegten Schlachten-
gruppe geschmückt. Bei dem gleichen Gegensatze in Olympia
verlangte natürlich der Kentaurenkampf eine andere Be-
handlung als die Vorbereitung zum Wagenrennen. Ziehen
wir also dasjenige ab, was durch die Besonderheit der den
beiden Künstlern gegebenen Aufgaben bedingt war, so werden
die noch übrig bleibenden Verschiedenheiten im Ganzen
458 Sitzung der philos.-philol. CJasse vom 4. Mai 1878.
wie im Besonderen uns nicht nötliigen , einen principiellen
Gegensatz der Künstler oder ihrer Schule anzunehmen;
es genügt vielmehr zu ihrer Erklärung die Verschiedenheit
der Individualität. Mag der Künstler der Westgruppe mit
frischerem , lebendigerem Geiste begabt gewesen sein , mag
er uns zuweilen durch die Kühnheit seiner Conceptionen
überraschen, so weisen doch diese keineswegs auf ein wesent-
lich tieferes künstlerisches Verständniss hin : wie schon oben
angedeutet, glauben wir der Gruppe XIV anzufühlen, dass
ihre Composition weniger aus einer gegenseitigen geistigen
Durchdringung der Forderungen des Gegenstandes und des
gegebenen Raumes, als unter dem Drucke der letzteren
entstanden ist. Auch sonst ist in der Linienführung jene
unbefangene ,, Natürlichkeit'^ der Motive keineswegs einem
bewussten Systeme der Eurythmie untergeordnet, welches
doch die weit strengeren und herberen Aegineten bereits
beherrscht. Haben wir nun auch im Einzelnen eine Reihe
von Fortschritten und Verfeinerungen nachgewiesen, so ge-
nügen diese doch nur, um ein Verhältniss zu constatiren,
welches dem der beiden äginetischen Giebelgruppen durch-
aus analog ist. Dort lassen sich zwei Individualitäten unter-
scheiden, von denen die eine in sich fertiger und abge-
rundeter erscheint, die andere augenscheinlich jüngere prin-
cipiell weiter fortgeschritten , aber noch nicht zu eben so
harmonischer Verarbeitung aller neuen Elemente gelangt
ist. Gerade eben so begegneten wir im Westgiebel von
Olympia allerlei Neuerungen, welche über die Vortragsweise
des Ostgiebels hinausgehen, ohne jedoch dieselbe von Grund
aus umzugestalten und ohne in sich einen bestimmten Ab-
schluss gefunden zu haben. Auch hier werden wir auf einen
Künstler in jüngeren Jahren schliessen dürfen, der bei allem
fortschrittlichen Streben sich doch noch nicht aus den Banden
der Anschauungen zu befreien vermag, in denen er ursprüng-
lich aufgewachsen war.
Brunn: Die Sculpturen von Olympia. 459
Wie stellt sich jetzt das Bild des Künstlers, das wir
aus seinen Werken gewonnen haben, zu demjenigen, welches
wir uns früher aus anderweitigen Quellen von ihm ent-
worfen hatten ? Wir waren gewohnt , den Alkamen es als
den bedeutendsten unter den Schülern des Phidias zu be-
trachten ; und wurde es auch nicht ausdrücklich ausgesprochen,
so lebte man wohl ziemlich allgemein in der Vorstellung,
dass an den Sculpturen des Parthenon , die wegen ihres
Umfanges nicht sämmtlich von der Hand des Meisters, sondern
nur unter seiner Leitung ausgeführt sein konnten, gerade
Alkamenes besonders betheiligt gewesen sein möge. Man
musste also erwarten, dass die Sculpturen des Westgiebels
in Olympia, von denen man annahm, dass sie später als der
Parthenon und ebenfalls unter der Aufsicht des Phidias
entstanden seien , gerade mit den Giebelgruppen des Par-
thenon die nächste Verwandtschaft zeigen würden. Diese
Erwartung ist gründlich getäuscht worden. Die Sculpturen
des Alkamenes entfernen sich in demselben Maasse, in welchem
sie sich denen des Paeonios als verwandt erweisen, von einer
Verwandtschaft mit den Giebelstatuen des Parthenon. Hoffent-
lich wird die Zeit nicht entfernt sein, in welcher jeder Ar-
chäologe hiervon eben so überzeugt sein wird, wie der Phi-
lologe etwa davon, dass Herodot nicht nach Thukydides
und nicht als dessen Schüler geschrieben hat. Aber wie
ist ein solcher Widerspruch zwischen unsern neuen A.n-
scbauuugen und unsern bisherigen Ansichten zu lösen?
unser Wissen, und nicht am wenigsten unser Wissen
auf dem Gebiete der griechischen Kunstgeschichte ist Stück-
werk. Trotzdem versuchen wir, und wir haben nicht nur
das Recht, sondern die Pflicht zu versuchen, aus diesem
Stückwerk ein Ganzes herzustellen. Nur sollen wir uns
dabei stets gegenwärtig halten, dass alle unsere Combina-
tionen überhaupt nur auf so lange Geltung beanspruchen
dürfen, als das Material, mit dem wir operiren, das gleiche
460 Sitzung der philos.-philol. Ölasse vom 4. Mai 1878.
bleibt. Treten neue, bisher ungekannte Factoren hinzu,
so bedarf es erneuter Prüfung des gesammten Materials.
Hierbei wird es sich zuweilen herausstellen , dass das Neue
unser bisheriges Wissen nur bestätigt oder erweitert. Dies
war z. B. der Fall bei den Scnlpturen des Paeonios, die
mir nur eine Bestätigung und eine vollere Anschauung dessen
boten , .was ich für mich in den Grundlagen bereits aus
andern Quellen über den Charakter der nordgriechischen
Kunst festgestellt hatte. Anders verhielt es sich mit den
Scnlpturen des Alkamenes: hier gestehe ich offen, dass ich
Anfaugs ihnen rathlos gegenüber stand; und wenn bisher
eigentlich vou keiner Seite ein bestimmtes Urtheil über
ihren Styl ausgesprochen w^orden ist, so darf wohl daraus
geschlossen werden, dass diese Rathlosigkeit bis jetzt eine
ziemlich allgemeine ist. Hier gilt es also, zunächst einmal
alles, was wir bisher über Alkamenes zu wissen geglaubt
haben, völlig zu vergessen und die Untersuchung unserer
Quellen ganz von vorn anzufangen. Wie schwer es aber
ist , mit alten Vorurtheilen völlig zu brechen , kann ein
Beispiel lehren , das mit unserer Hauptfrage zwar nicht
ganz direct zusammenhängt , aber doch dienen kann , uns
den Boden zu bereiten, auf dem sich die Untersuchung über
Alkamenes im weiteren Umfange zu bewegen hat.
Noch durch die neueste Literatur schleicht der Irr-
thum (ich bekenne selbst, dass ich mich von demselben
nicht frei erhalten habe), dass Phidias Ol. 87,1 gestorben
sei, obwohl Sauppe bereits vor elf Jahren (Nachrichten der
götting. Ges. 1867, S. 173 ff.) in überzeugendster Weise
nachgewiesen hat , dass diese Annahme auf einem Missver-
ständnisse, einer falschen luterpunction beruht. In dem
bekannten Scholion zu Aristophanes ^) liegen nemlich zwei
1) Frieden 605: (PC^o/ogog inl öeoöoj^ov a^/oytos ravxu
(prioi' Kai xo uyukfjici x6 /(jvaovp xrjg 'Ad-ripag earä^ij fis xov viMV xov
Brunn: Die Scutpturen von Olympia. 461
Excerpte des Philoclioros vor: das eiüe sttI Qsoöcoqov
agXOVTog (Ol. 85,3 =^ 438 a. C.) handelt von der Parthenos
und von des Pbidias Schicksal bis zu seinem Tode und
schliesst mit den Worten ccTiodaveiv vtco Hlelcov, während
das zweite sttI Ilvd^odcoQOv^ og sotiv arco rovxov fßdoi.wg
(Ol. 87,1^:^431 a. C.) von den Verhältnissen in Megara
spricht, die mit dem Beginne des peloponnesischen Krieges
zusammenhängen. Aeussere Umstände, wie z. B. dass
Overbeck in den Schriftquellen (620), obwohl er Sauppe
citirt, doch das Scholion nach der älteren fehlerhaften Inter-
punction (nach f'ßöo(.iog) und nicht vollständig abdruckt,
mögen der allgemeineren Verbreitung der richtigen Auf-
fassung hinderlich gewesen sein, vielleicht aber auch der
Umstand , dass Sauppe selbst aus seiner Entdeckung nicht
alle die Consequenzen gezogen hat, die er nach meiner An-
sicht hätte ziehen sollen , und dass dadurch bis heute eine
grosse Unklarheit in der Beurtheilung des weiteren Zusammen-
hanges der in dem Scholion berührten Thatsachen geblieben
ist. Es scheint nicht überflüssig , hier näher auf das Ein-
zelne einzugehen.
Was zuerst Philochoros anlangt, so will Curtius (Arch.
Zeit. 1877, S. 134 ff.) behaupten, dass nur die Worte über
die Aufstellung der Parthenos bis Oeidiov de noLiqoavTog
aus diesem Autor wörtlich entlehnt seien. Die ganze Fassung
fAiyay , i'/oy /Qvaiov GTaSfj,6y takuvxwv fjiS', TISQixlsovg iitiaTUTovv'
zog, ^€i6iov 6k icon^accvzog* xccl ^stäiag d noirjaccg , So'^ag naga^oyi-
^ta^cct Toy iXecpctvTa roy eig tag cpoXiSccg , eXQi^rj ' kuI <pvy(oy eig
'^HXip BQyoXaß^acci ro uya^/ua rov Aiog rov iv ^Oh\unicc "kEyerai, tovto
6k s'^eQyuadfA.svog anod-upsTv vn6^H}.ei(x}v (•) enl T1vS-o6i6qov , og sativ
ttito tovtov eß6o(Jiog [ • ] itiQi MeyuQiiov finiov, oxi xcci avrol xate-
ßotop 'Ad-tjpcciiop naqä Aaxt&cci^oyiocg , tx6ixü)g Xiyoytfg eiQyea^at
ityoQag xcci Xifiiyioy rujy nc((j ^A^rjyaioig' oi yccQ 'J^rjycciov ravrcc sipij-
(fiauyxo Jle^ixXeovg ilnoyzog , rrjy y^y avtovg cclticJfxeyoi ji^y legay
tolg d^soig i-jieQycc^ea&ccc.
[1878 I. Philos.-philol.-hist. Cl. 4.] 33
462 Sitzung der philos.-phüol Classe vom 4. Mai 1878,
der angehängten Lebensnotizen über Phidias sei „der Art,
dass wir aus dem knappen Urkundenstil des Annalisten
auf einmal in eine andere laxere Art literarischer Mitthei-
lung, in den Ton der Randglossen hineingerathen. — Die
deutliche Fuge zwischen beiden Stylarten erkenne ich dort,
wo es nach Tl. iTtLOvaTOvvTog j 0. ds TCOLiqoavTog weiter
heisst : 0. de 6 Ttonqoag, öo^ag u. s. w Die matte Wieder-
holung des TtOLTjGag wäre, wenn ein attischer Autor das
Ganze geschrieben hätte, unerträglich." So weit sich nach
den wenigen wörtlichen Citateu aus Philochoros urtheilen
lässt, möchte man im Gegentheil behaupten, dass sie echt
philochoreisch sei und gfenz dem notariell beurkundenden
Styl entspreche, durch den Philochoros bei seinen Aufzeich-
nungen jedes Missverständniss möglichst auszuschliessen be-
strebt ist. So z. B. fr. 144 Muell.: ^'Ygtsqov de elgr^yyiX-
^rjaav noXXot jroXituiv j ev OLg y,al Jrj^riiqiog 6 QaXrjQevg,
Tiov öi eigayyekd^evTcov rovg fiiv , . . tovg Se dne-
Xvoav , . .; fr. 159: ytal Totg yoqolg eloLOvaiv evi%eov
nivuvj y,al dirjyioviOfievoig oV e^BTtoQsvovto , evexbov nd-
Xiv . . . . ; fr. 79^ : TvqoyßiqoTOVEL ^lev 6 örjfAOg 7t qo T'^g
rj TTQVTaveiag ei So-ael id oGTQaxov elo(f€Qeiv ' ore de
öoyiel . . .; vgl. 158; 135 sb. fin. , so wie das dreifache
lid^iqvaioiv . . . naq' ^d-tjvaloig . . . ^d^rjvaioi in unserem
Scholion. Ja vielleicht Icönnen wir uns von einer grossen
Verlegenheit befreien, wenn wir im weiteren Wortlaute
eine ähnliche Wiederholung erst wieder einführen. Es heisst
jetzt: xat cpvywv elg ^HXiv eQyoXaßrjoai to ayaXfia . . .
Xeyexai' tomo de e^eqyaodfxevog dnod^avelv v7td^HXeio)v.
Hier sind bekanntlich die letzten beiden Worte den schwersten
Bedenken unterworfen. Wie nun, wenn das Wort ^HXelwv
durch Versetzung an eine falsche Stelle gerathen und bei
diesem Anlass mit einer falschen Präposition verbunden
worden wäre? Danach wäre es vielleicht nicht zu gewagt
anzunehmen, dass (unter Streichung der beiden letzten Worte)
Brunn: Die Sculpturen von Olympia. 463
Philochoros geschrieben habe: ycai (fvycov elg HXiv eq-
yolaßrJGai Ttagd rcov^HXelwv to ayaX^a . . . ., wie in
der theilweisen Wiederholung und Umschreibung des Citates
in dem zweiten aus verschiedenen Notizen zusammenge-
schweissten Scholion wirklich geschrieben steht.
Weiter findet Curtius „die Formulirung des dem Meister
vorgeworfenen Verbrechens und des Prozessganges für einen
Autor wie Philochoros viel zu ungenau und oberflächlich."
Wenn aber der Prozess selbst etwas Unklares hatte, wenn
er durch die Flucht des Phidias unterbrochen oder durch
eine Art Contumacial verfahren zu Ende geführt und dabei
eine Schuld wenigstens moralisch nicht begründet wurde,
können wir uns da wundern, wenn in einer kurzen summari-
schen Erwähnung nicht volle Klarheit herrscht? Am aller-
anstössigsten aber soll der Ausdruck XiyBTai bei Gelegenheit
der Thätigkeit in Olympia sein, die doch allgemein und
genau bekannt gewesen sei. Grammatisch iudessen gehört
Xkytxai nicht nur zu eqyolaßrjoai , sondern auch zu den
folgenden Worten: tovto Se E^egyaoa/Lievog ccTrod^aveiVj und
dem Sinne nach vielleicht noch enger zu diesen, als zu den
vorhergehenden , so dass wir nicht streng wörtlich , aber
dem Sinne entsprechend etwa übersetzen dürfen : ,,er floh
nach Elis und (dort) soll er (bald) nach Vollendung der
von ihm in Accord genommenen Zeusstatue gestorben sein."
Nach dieser Auffassung also dem Philochoros den ganzen
Passus abzusprechen, liegt gewiss kein Grund vor.
Durch die Erwähnung des Todes des Phidias ist es
nun aber klar, dass Philochoros bei seinem Bericht sich nicht
auf das Jahr des Archontats des Theodoros beschränkt, son-
dern in der Erzählung vorgreift. Er benutzt nur den An-
lass der Aufstellung des glänzendsten Götterbildes in Athen,
um über die Schicksale des Künstlers desselben kurze Nach-
richt zu geben, wozu sich ihm später keine passende Ge-
legenheit geboten hätte. Hiernach ist aber auch nicht mehr
33*
464 Sitzung der philos,-pküol. Classe vom 4. Mai 1878.
nothwendig anzunehmen, dass Philochoros sagen wolle, der
Prozess gegen Phidias sei unmittelbar nach der Aufstellung
der Statue eingeleitet worden. Wenigstens spricht er dies
nicht ausdrücklich aus ; nur der Scholiast nimmt es an, um
darauf hin seine Kritik an Aristophanes zu üben, dass, dieser
ein sieben Jahre zurückliegendes Ereigniss mit dem Beginne
des peloponnesischen Krieges in directen ursächlichen Zu-
sammenhang bringe. An sich ist es ohne Zweifel weniger
wahrscheinlich, dass man sofort nach der Aufstellung eines
gewiss in der ersten Zeit enthusiastisch gefeierten Werkes
den Künstler mit hämischem Neide verfolgt habe, als dass
dieses nach einiger Zeit der Abkühlung und , was hier
noch wichtiger ist, nach inzwischen eingetretener Verschie-
bung der politischen Parteiverhältnisse geschehen sei. Darauf
deutet auch die Verbindung mit ähnlichen Erzählungen
über Aspasia und Anaxagoras. Man mag das alles Stadt-
klatsch nennen. Aber wir haben hier gar nicht zu unter-
suchen, ob derselbe mehr oder weniger Glauben verdiene,
als etwa die Erzählungen über Weiberintriguen, welche den
Krieg von 1870 veranlasst haben sollen: genug, dass ein
solcher Klatsch existirte; und für die Existenz desselben,
für nichts mehr dürfen wir wohl Aristophanes als voll-
gültigen Zeugen anerkennen. Wenn dieser aber den Prozess
mit dem megarischen Psephisma in eine, sei es nun falsche
oder richtige Verbindung brachte, so wird derselbe eben
nicht lange vor dem letzteren'stattgefunden haben. Phidias
hatte demnach erst gegen Ol. 87,1, die angebliche Zeit seines
Todes, Athen verlassen und konnte von da an noch recht
wohl 6 — 10 Jahre gelebt haben, so lange als zur Aus-
führung des Zeusbildes nöthig war. Jedenfalls bleibt, nach-
dem Ol. 87,1 als Todesjahr beseitigt ist, für die Ausdehnung
seines Lebens ein weiterer Spielraum.
Nach dieser Abschweifung haben wir jetzt das Verhält-
niss des Phidias, welcher das Tempelbild in Olympia ver-
Brunn: Die Sculpturen von Olympia. 465
fertigte, zu Paeonios und Alkamenes, den Künstlern der
Giebelgruppen, zu untersuchen. Ueber Paeonios habe ich
nichts Neues zu bemerken : wer fortfahren will, ihn Schüler
des Phidias zu nennen, mag dies vor seinem philologischen
Gewissen verantworten; in den Nachrichten der Alten steht
davon kein Wort. Aber auch , dass Alkamenes auf Ver-
wendung oder ge Wissermassen im Auftrage des Phidias die
Gruppe des Westgiebels ausgeführt habe, ist eine durchaus
nicht positiv zu begründende Annahme. Philochoros sagt
von Phidias nur: €QyoXaßrJGaL zo ayalfia zov Jtog,
nichts weiter, nichts was etwa an die Schilderung Plutarchs
(Pericl. 13) von der Thätigkeit des Phidias in Athen erinnerte:
Ttdvxa de öteirce xal Ttavrcov e7tio%07vog riv avtqi (IleQiKlet)
Oudlaq x. r. X. Und während wir hören, dass Panaenos
oweqyoXaßog des Phidias (Strabo VIII, 353), dass Kolotes
sein Gehülfe bei Ausführung des Zeusbildes war (Plin. 34,
87 ; 35, 54) , nennt Pausanias die Westgruppe ein Werk
u4ly.a/.iavovg dvÖQog r^liyilav xe Tiara Oeiöiav y,al devzeqela
evey^afxevov oocplag eg ttoltjoiv dyaXfxazwv, Würde sich
Pausanias in dieser Weise ausgedrückt haben, wenn er Kennt-
niss gehabt hätte, dass Alkamenes bei dieser Arbeit in be-
stimmter Beziehung zu Phidias gestanden? Würde er diese
Ausdrücke auch nur gewählt haben, wenn er der Ansicht
gewesen wäre, die wir heute mit dogmatischer Zuversicht
auszusprechen pflegen, dass nemlich Alkamenes der hervor-
ragendste Schüler des Phidias gewesen ? Nirgends, weder
hier, noch an einer andern Stelle, nennt Pausanias den
Alkamenes Schüler des Phidias. Seine Worte deuten weit
eher auf eine Art Nebenbuhlerschaft hin; und wirklich
führt Plinius an der einen Stelle (34, 49) den Alkamenes
geradezu unter den aemuli des Phidias an. Tzetzes aber
(Chil.VIII, 340 sqq.) berichtet von einem förmlichen Wettstreite
der beiden Künstler, in welchem Alkamenes wegen Nicht-
beachtung optischer Gesetze unterlag. Sollten ihm diese
466 Sitzung der philos.'philol. Classe vom 4. Mai 1878.
so ganz unbekannt geblieben sein, wenn er vor der Zeit
des Wettstreites die Schule des Phidias durchgemacht hätte?
Allerdings wird er von Plinius zweimal (34, 72 ; 36, 16)
Schüler des Phidias genannt. Es soll dieser Angabe nicht
widersprochen werden; ihre Erklärung wird sie später
finden.
Derselbe Plinius ist auch der einzige, welcher den Al-
kamenes einmal ausdrücklich Athener nennt und bei Ge-
legenheit eines Wettstreites zwischen Alkamenes und Ago-
rakritos den ersteren als einheimischen Künstler dem frem-
den Parier gegenüberstellt. Das lautet sehr bestimmt.
Aber auch Mikon, der Maler und Bildhauer, ist als Athener
bestimmt beglaubigt, und doch bedient er sich in der In-
schrift der olympischen Statue des Kallias, welcher Ol. 77
siegte, des ionischen Alphabets. Darüber bemerkt Schubring
(Arch. Zeit. 1877, p. 69): „Auch Fränkel sieht sich zu der
Annahme genöthigt, dass Mikon von Geburt ein lonier
war und erst später in Athen ansässig geworden ist. Mikon
erlangte also das athenische Bürgerrecht und bewahrte doch
die Buchstaben seiner Jugend." Wahrscheinlich noch etwas
mehr : als eng mit Polygnot verbundener Künstler wird er
nicht nur die Buchstaben, sondern die ganze Kunstweise
aus seiner Heimath, etwa einer athenischen Kolonie im
Norden, mit nach Athen gebracht haben. Wie nun, wenn
sich etwas Aehnliches für Alkamenes nachweisen Hesse?
Nach Tzetzes war Alkamenes yivec vrjouorrjg, und bei Suidas
lesen wir, wenn auch Alkamenes nicht ausdrücklich als der
bekannte Künstler, doch als ein bekannter Mann bezeichnet
wird : ^lyta/^evr^g ' ovoi^a kvqwv * 6 ylrjfxvwg. Das ist keine
neue und etwa dadurch verdächtige Weisheit: um nicht
meine eigene Künstlergeschichte zu citiren , so lesen wir
schon in 0. Müllers Handbuch (§.112): „Alkamenes von
Athen , Kleruch in Lemnos", wofür jetzt wohl auch gesagt
werdeu darf; attischer Kleruch a,us Lemnos,
Brunn: Die Sculpturen von Olympia. 467
Nach dieser kritischen Prüfung der einzelnen Angaben
versuchen wir jetzt ein Gesammtbild von dem Lebensgange
des Alkamenes zu entwerfen, welches natürlich nur nach
Maasgabe der vorhandenen Quellen auf Wahrscheinlichkeit
Anspruch machen kann: Alkamenes war Lemnier von Ge-
burt, aber wahrscheinlich Athener von Geblüt. Seine Jugend
mag er in den Kunstauschauungen seiner (im weiteren Sinne)
nordgriechischen Heimath zugebracht haben und noch jung,
aber doch schon als selbständiger Künstler etwa gleich-
zeitig mit Paeonios nach Olympia gegangen sein, wo er
die Westgiebelgruppe um Ol. 84 — 85 ausführte: an eine
frühere Zeit ist nicht wohl zu denken, da er noch Ol. 94,2
(302 V. C.) am Leben und thätig war. Erst von dort scheint
er sich in sein Stamraland Attika begeben und im Wettstreit
mit Phidias erfahren zu haben, wie sehr sich in der letzten
Zeit und durch den persönlichen Einfluss des Phidias die
attische Kunst über die aller andern Schulen erhoben hatte.
Besiegt, aber in richtiger Erkenntniss der geistigen üeber-
legenheit des Siegers beugte er sich der Autorität desselben
und wurde nochmals Schüler, aber Schüler eines Phidias.
So eilte im Anfang des XVL Jahrhunderts eine Reihe von
Künstlern, die nach heutiger Ausdrucksweise ihre akademischen
Studien schon kürzere oder längere Zeit hinter sich hatten,
zu Raphael nach Rom : da kamen aus der bologneser Schule
Timoteo della Vite, Bagnacavallo, Innocenzo da Imola, aus
der ferrareser Garofalo, aus der mailänder Cesare da Sesto
und Gaudenzio Ferrari, ja aus Deutschland und den Nieder-
landen -G. Pens und Cocxie. Raphael selbst aber überragte
bereits alle seine Genossen in der umbrischen Schule, ehe
er noch in Florenz durch die Anschauungen der Werke
eines Leonardo und Michelangelo diejenigen Anregungen
erhielt, welche ihn auch über diese Nebenbuhler erheben
sollten. Für die besondere Art der Entwickelung des Al-
kamenes endlich bietet vielleicht eine noch schlagendere
468 Sitzung der philos.-philol. Classe vom 4. Mai 1878.
Parallele das Beispiel des Sebastian del Piombo : seine Fresken
in den Lunetten eines Saales der Farnesina zu Rom zeigen
bei ausgezeichneter coloristischer Begabung so entschiedene
Mängel künstlerischer Durchbildung in Zeichnung und Compo-
sition, dass wir dadurch lebhaft an die verschiedenen Schwächen
der malerischen Plastik des Alkamenes erinnert werden.
Wie sich nun Sebastian durch den Einfluss des Michelangelo
zu hoher Vortrefflichkeit entwickelte, so erhielt Alkamenes
erst durch Phidias diejenige gründliche künstlerische Durch-
bildung, welche ihm bei der Nachwelt den Ruhm der ersten
Stellung nächst seinem Meister eintrug. Athen scheint von
da an sein Wohnsitz geblieben zu sein, etwa mit Ausnahme
der Zeit der dreissig Tyrannen , an deren Vertreibung sich
die letzte Erwähnung eines seiner Werke knüpft. Seine
Stellung aber musste sich um so mehr zu einer einfluss-
reichen gestalten, als wenige Jahre nach seiner Ankunft
Phidias aus Athen zu fliehen genöthigt wurde. Diese Flucht,
durch welche sich den Eleern die Möglichkeit eröffnete,
den Künstler für sich zu gewinnen, hat wahrscheinlich bei
ihnen erst den Gedanken angeregt, den im üebrigen bereits
vollendeten Tempel mit einer chryselephantinen Statue zu
schmücken, welche den Ruhm der Parthenos nicht nur er-
reichen, sondern übertreffen sollte.
Bei diesen Aufstellungen ist keines der Zeugnisse des
Allerthums verworfen oder bei Seite gesetzt worden. Alle
haben sich ungezwungen in den Zusammenhang einreihen
lassen. Mit den Ergebnissen der literarischen Forschung aber
stehen die Resultate der künstlerischen Analyse im besten Ein-
klänge. Wir dürfen jetzt von einer Vergleichung mit den Sculp-
turen des Parthenon vollkommen absehen. Alkamenes ent-
stammt derselben Kunstprovinz wie Paeonios ; nur ist er der
jüngere und geistig begabtere, dem nach diesen Arbeiten seiner
Jugend noch eine bedeutendere Zukunft bevorstand.
Brunn: Die Sculpturen von Olympia» 469
Von den Metopen sind im verflossenen Jahre nur zwei
grössere Bruchstücke gefunden worden : ein männlicher Torso
(lolaos ?) von der hinteren und eine Athene von der vorderen
Seite des Tempels. Wenn nicht bloss der Zufall die Pho-
tographien derselben auf einer Tafel (XXVI) vereinigt hat,
so bekenne ich dem Veranstalter dieser Zusammenstellung
zu besonderem Danke verpflichtet zu sein. Formal-stylistische
Analysen eines Kunstwerkes, bei denen man sich nicht auf
Grammatik und Lexicon berufen kann, lassen sich allerdings
leicht als auf subjectiver Anschauung beruhend verdächtigen
und damit abweisen. Dem Objectiv des photographischen
Apparates wird indessen niemand den Vorwurf der Subjectivität
machen dürfen. Und so vermag ich mich für die von mir
behauptete Stylverschiedenheit zwischen den Metopen der
Vorder- und der Rückseite auf kein besseres Zeugniss zu
berufen, als auf die unmittelbare Nebeneinanderstellung
dieser beiden Fragmente. Nur um weiteren Missverständ-
nissen vorzubeugen, habe ich eine kurze Bemerkung hinzu-
zufügen. Ich glaubte die Metopen der Westseite dem Pae-
onios beilegen zu müssen, so lange ich ihn allein als Nord-
griechen am Tempel beschäftigt erachtete. Seitdem auch
Alkamenes als ein solcher erkannt ist, sind natürlich auch
von seiner Seite Ansprüche auf eine Betheiligung an den
Metopen nicht ausgeschlossen. Ob sich bestimmte Gründe
dafür beibringen lassen, mag für jetzt unerörtert bleiben.
Vorläufig mögen wir uns begnügen, die Westmetopen der
nordgriechischen Kunstart im Allgemeinen zuzuweisen.
Schliesslich mag es gestattet sein, noch einmal auf
Paeonios zurückzukommen. Der Annahme, dass er die Giebel-
gruppe etwa gleichzeitig mit Alkamenes gearbeitet, steht
durchaus nichts entgegen. Dass wir aber auch volle Frei-
heit haben, die Nike ihrem Kunststyle entsprechend später
470 Sitzung der philos.-phüol. Classe vom 4. Mai 1878.
anzusetzen, wird eine nochmalige Betrachtung ihrer Inschrift
lehren, deren erste Hälfte bekanntlich so lautet:
Msooaviot y,al NavTtaxxioi ove^ev Jd
OkvfXTtup öeTidrav cltio rwv rtoXeixitov.
Wenn Pausanias die Behauptung der Messenier, es seien
unter den ungenannten Feinden die bei Sphakteria gefangenen
Lakedämonier zu verstehen, in Zweifel zog, so musste er
dafür bestimmte Gründe haben. Ihre Erzählung , dass sie
aus Furcht vor den Lakedämoniern nicht gewagt, deren
Namen in die Inschrift zu setzen , lautet ganz so, als ob
sie in Ermangelung genauerer Kunde dem Fehlen des Namens
ihren Ursprung verdanke. Haben sich doch in eiper min-
destens nicht jüngeren Zeit, in der Zeit der Höhe spartanischer
Macht, die Bewohner der kleinen argi vischen Ortschaft Methana
nicht gescheut, auf eine nach Olympia geweihte Speerspitze
die Inschrift zu setzen: MeO^avioi cctto ^axeöaijuovuov.
Freilich nennt E. Curtius (Arch. Zeit. 1876, S. 182) diese
Inschrift „ein merkwürdiges Denkmal aus dem Mikrokosmos
peloponnesischer Stadtgeschichten, das Denkmal eines WafFen-
erfolges, in Folge dessen auch die Kleinstädter von Methana
sich berechtigt glaubten, ein Zeugniss ihrer Existenz und
ihrer Thaten in Olympia zu deponiren , das zu klein und
bescheiden war, um die Eifersucht Spartas zu reizen.'^ Sind
die letzten Worte nicht geradezu das Gegenbild zu der Er-
zählung der Messenier , wie ausdrücklich geschrieben , um
zu zeigen, auf welche Weise von Alters her bis auf unsere
Tage derartige Sagen entstehen ? uemlich um gewisse wirk-
liche oder vermeintliche Schwierigkeiten zu beseitigen. Das
Fehlen des Namens der Feinde in der Inschrift der Messe-
nier lässt eine weit einfachere Erklärung zu. Es sind nem-
lich gerade von denen, welche dasselbe ungewöhnlich nennen,
mehrere Beispiele für eine solche Auslassung nachgewiesen
worden. Hier genügt ein einziges : Pausanias (V, 23, 7) theilt
die Inschrift eines Weihgeschenkes der Kleitorier, eines kolos-
Brunn: Die Sculpturen van Olympia. 471
salen Zeusbildes, mit:
KleiTOQiot, Tod' ayaXfxa d^e<^ SeKctrav dred^t]Kav
TCo'kXäv €x Ttollwv /c^cJt ßiaödfxevoi.
Im Gegensatz zu Weihgeschenken, die wegen eines ein-
zigen glänzenden Erfolges aufgestellt worden, handelt es
sich hier um ein Collectivweihgeschenk für eine grössere
Zahl kleinerer Erfolge. Dem itoXkav €x noXuov entspricht
in der Inschrift der Messenier das a/ro %v)\x ftoXef.uojv. Die
Messenier waren während der Zeit ihres Exils in mannig-
fache Fehden verwickelt. Eine ganze Reihe hat Schubring
(Arch. Zeit. 1877, S. 59) angeführt. Manche unbedeutendere,
die ausser Zusammenhang mit allgemeineren politischen Ver-
hältnissen standen, mögen uns unbekannt geblieben sein.
Man sammelte den Zehnten auf, um nicht wie die Methanier
eine einzelne Lanzenspitze oder dergleichen zu weihen, sondern
um durch ein in die Augen fallendes Kunstwerk, so zu sagen,
seine Existenz in glänzender Weise zu documentiren. Wollte
man nun in der Inschrift nicht eine Reihe von Namen ohne
Zusammenhang anführen, so blieb bloss die allgemeine Be-
zeichnung als Kriegsbeute übrig. Damit aber war den
späteren Geschlechtern ein Feld für ihre Vermuthungen
eröffnet. Wir jedoch brauchen weder den Messeuiern, noch
dem Tansanias Glauben zu schenken : beide mögen theilweise
Recht haben, aber erschöpfen nicht die ganze Wahrheit.
Allerdings müssen wir darauf verzichten, die Inschrift für
eine genauere Zeitbestimmung zu verwerthen , was aber
auch bei dem Widerspruch des Pausanias gegen die An-
gabe der Messenier bisher nicht möglich war.
Historische Classe.
Sitzung vom 4 Mai 1878.
Herr H e i g e 1 hielt einen Vortrag :
Die Handhabung der Büchercensur in Oberbayern.
472 Einsendungen von Druckschriften.
Verzeichniss der eingelaufenen Büchergeschenke
Von der k. Gesellschaß der Wissenschaften in Göttingen:
Abhandlungen. Bd. XXII. v. J. 1877. 1877. 8^
Von der Allgemeinen geschichtforschenden Gesellschaft der Schweiz
in Bern:
Jahrbuch für Schweizerische Geschichte. Bd. II. Zürich 1877. 8^
Von der k. Universität in Tübingen:
a) XXIII. Zuwachsverzeichniss der k. Universität zu Tübingen
1875-76. 1877. 4».
b) Urkunden zur Geschichte der Universität Tübingen aus
dem J. 1476-1550. 1877. 8^
c) Zur IV. Säcularfeier der Universität Tübingen im Sommer
1877. Festprogramm der katholisch-theolog., der evangelisch-
theol., der philosoph. und Jurist. Fakultät. 1877. 8*^.
Vom histor. Verein für Niedersachsen in Hannover:
Zeitschrift. Jahrg. 1877'^ 1878. 8^.
Vom histor, Verein für den Begierimgsbezirk Marienwerder in
Marienwerder :
Zeitschrift. Heft 2. 1877. 8^.
Vom histor. Filial- Verein in Neuburg a, D.;
CoUectaneen-Blatt. 41. Jahrg. 1877. 1877. 8^
Einsendungen von Druckschriften 473
Von der k. preussischen Akademie der Wissenschaften in Berlin :
Monatsbericht. Januar. 1878. 8".
Vom Verein für hessische Geschichte und Landeskunde eu Kassel :
a) Zeitschrift. Bd. 6 u. 7. 1877. 8^.
b) Mittheilungen an die Mitglieder des Vereins. Jahrg. 1876
u. 77. 1876-77. 8^
c) Statuten des Vereins. 1875. 8^.
d) Verzeichniss der Btichersammlung des Vereins. 1877. 8®.
Von der Äcademie des Sciences^ arts et helles -lettr es in Dijon:
Mämoires. 3. Särie. Tom. 4. Annäe 1877. 8^
Von der k. Akademie der Wissenschaften in Amsterdam:
a) Jaarbock voor 1876. 8^.
b) Pastor bonus. Elegia Petri Esseiva. 1877. 8".
Von dtr Academia Reale delle seiende in Turin:
Annuario. Anno I. 1877—1878. 1877. 8<*.
Von der Aslor Library in New- York:
29. annual Report of the Trustees of the Aslor Library for
the year 1877. 1878. 8^
Von der Section historique de VInstitut Royal Grand-Ducal in
Luxemhourg:
Publications. Vol. XXXII. 1878. 8^.
Von der Societe des etudes historiques in Paris:
L'Investigateur. 1878. 8^.
Von der Genootschap tot verdediging van den christelyken
Godsdienst im Haag:
Werken. XI. Deel. Leiden 1878. 8°.
474 Einsendungen von Druckschriften.
Von der h. ungarischen Academie der Wissenschaften in Pest:
a) Magyar orszäggytiläsi emlökek. 1776 — 77. 8®.
b) Erdölyi orszäggyülösi emlökek. 1877. 8^.
c) Archivum Räköczianum. 1877. 8^
d) Literarische Berichte aus Ungarn hsg. von Paul Hunfalvy.
Bd. I. 1877. 8^
e) Monumenta Hungariae historica. Acta extera. Mätyäs
kiräly koraböi. 1876 -77. 8«.
f) Principis Francisci II. Räköczi Confessiones. Budapestini
1876. 8^
g) Archaeologiai Közlemänyek. Bd. X und XI. Budapest
1875-77. fol.
h) Kortan. Irta Knauz Nändor. Budapest 1877. 4^.
Von der Historical Society of Pennsylvania in Philadelphia:
a) The Pennsylvania Magazine of History and Biography.
Vol. I. 1877. 8".
b) The Pennsylvania Magazine. Vol. I. 1877. 8^
Vmn Verein für Hansische Geschichte in Lühech:
Hansische Geschichtsblätter. Bd. II. Leipzig 1878. 8*^.
Vom Mährischen Landes- Ausschuss in Brunn:
Mährens allgemeine Geschichte v. B. Dudök. Bd. VIII. 1878. 8^.
Von der k. höhmischen Gesellschaft der Wissenschaften in Prag :
Sitzungsberichte. Jahrg. 1877. 1878. 8".
Von der historischen und antiquarischen Gesellschaß in Basel:
Mittheilungen. Neue Folge I. Die Deckengemälde in der Krypta
des Münsters zu Basel, von A. BernouUi mit 7 Taff. in
Fol. 1878. 4^
Vom Karl'Friedrichs-Gymnasium in Eisenach:
Jahresbericht f. 1877/78 mit Abhandlung über Empedocles
Agrigentinus von R. Schlaeger. 1878. 4°.
Einsendungen von Druckschriften. 475
Von der Teylers Godgeleerd Genootschap in Hartem:
Verhandelingen. Nieuwe Serie. 1877. 8^.
Von der Genootschap van Kimsten en Wetenschappen in Batavia :
a) Tweede Vervolg - Catalogus der Bibliotheek van het Ba-
taviaasch* Genootschap. 1877. 8^.
b) Notulen van de Algemeene en Bestuurs - Vergaderingen.
Deel XV. 1877. 1877. 8^
Von der Universität in Kasan:
Iswestija 1877. Nr. 1- 6. 1877. 8^
Von der Academie Imperiale des sciences in S. Petersburg:
Mömoires. Tom. XXIV. u. XXV. 1877. 4^.
Von der Historisch Genootschap in Utrecht:
Bydragen en Mededeelingen. Deel I. 1878. 8**.
Von der Societe d'histoire de la Suisse Momande in Lausanne
Mämoires et Documents. Tom. 31. 1878. 8<*.
Von der Universite catholique de Louvain:
a) Annuaire. 41. annäe 1877. 8^.
b) Choix de mämoires de la sociätö littöraire de l'universitö
catholique de Louvain. XII. 1877. 8^.
c) H. Eggers, De ordine et figuris verborura, quibus Ho-
ratius in carminibus usus est. 1877. 8*.
Vom Herrn Albert Jahn in Bern:
Die Kunde und Benutzung der Bongarsischen Handschriften
und Büchersammlung der Stadtbibliothek in Bern. 1878- 8°.
476 Einsendungen mn Bruckschriften,
Vom Herrn Eduard Winkelmann in Heidelberg:
Bibliotheca Livoniae historica. 2. Ausgabe. Berlin 1878. 8^.
Vom Herrn Onno Klopp in Penzing:
Zur Ehrenrettung von Leibniz. Sendschreiben an die k. Aka-
demie der Wissenschaften zu Berlin. Berlin \878. 8^.
Vom Herrn Franz Wieser in Innsbruck:
Der Portulan des Königs Philipp IL von Spanien. Wien 1876. 8^'.
Vom Herrn Manuel Modriguez de Berlanga in Malaga:
Los Nuevos Bronces de Osuna. 1876. 8".
Vom Herrn P. Willems in Louvain:
La Sönat de la Räpublique Romaine. 1878. 8^.
Vom Herrn Vincente G. Quesada in Buenos-Äires :
Las Bibliotecas Europeas y algunas de la America latina.
1877. 8^.
Vom Herrn W. Schlötel in Heidelberg :
Nachtrag zu meinem vorjährigen Circulare ; zugleich (III a~c)
Circular an Heidelberg's Grundeigenthümer und Bürger.
1878. 8°.
Vom Herrn Constantin Carapanos in Paris:
Dodone et ses ruines. Texte et Planches. 2 vols. 1878. 4^.
Vom Herrn Dr. Legrand in Paris:
La nouvelle sociätö Indo - chinoise fondee par M. le Marquis
de Croizier et son ouvrage l'art Khmer. 1878. 8*.
Sach-Eegister.
Altnorwegisches Recht betr. der Freigelassenen 21.
x-Vmman, Kupferstecher u. Formschneider 138.
Bayerische Kriegsgeschichte im 18. Jahrh. 107.
Bonifacius' VIII. Gefangennehmung und Tod 101.
Bonifatius Winfried, ein Gedicht des 1.
Büchercensur in Oberbayern 471.
Busiris 20.
Cypern, Kämpfe Kaiser Friedrich II auf 101.
,, die Venezianer auf 143.
Diodor's Quellen in der Diadochengeschichte 3G8.
Freigelassenen die, nach altnorwegischem Recht 21.
Friedrich II. (Kaiser) auf Cypern 101.
Herkules von Ferrara u. seine Beziehungen zu Jloriz v. Sachsen u. d.
Jesuiten 317.
Kriegsgeschichte, bayerische im 18. Jahrh. 107.
Moriz von Sachsen und Herkules v. Ferrara 317.
Mufassal, zur Erklärung des 197.
34
478 Sach-Reg ister.
Oberbayern, Büchercensur in 471-
Olympia, Sculpturen von 442.
Osymandyas 20.
Sculpturen von Olympia 442.
Thukydides, zum Kalender des 89
Töpfer'sche Materialien z. bayer Kriegsgesch. 107.
Venezianer auf Cypern 143.
Winfried Bonifatius, ein Gedicht des 1.
Würzburger Handschriften 1.
Namen-Register.
Brunn 442.
Carvalho Alex. Herculano de (Nekrolog) 158.
V. DöUinger 101, 158.
V. Druffel 142, 317.
Estorff, Frhr. v. (Nekrolog) 192.
V. Giesebrecht 194.
Heigel 471.
Laubmann 1.
Lauth 20.
V. Löher 101.
V. Maurer 21.
480 Namen-Eegiste.r.
V. Prantl 186.
Ryrlquist (Nekrolog) 186.
Roulez (Nekrolog) 189.
Stumpf (Nekrolog) 194.
Thomas 143.
Trurapp 197.
ünger 89, 368.
Würdinger 107.
Sitzungsberichte
der
philosophisch-philologischen und
historischen Classe
der
k. b. Akademie der Wissenschaften
zu IVrimchen.
Jahrgang 1878.
Zojüeiter Band*
München,
Akademische Buchdruckerei vod F. Straub.
1878.
In Ooramission bei G. Franz«
Uebersicht des Inhalts.
Die mit * bezeichneten Vorträge sind ohne Auszug.
Oeff entliehe Sitzung siir Vorfeier des Geburts- und Namens-
festes Seiner Majestät des Königs Ludwig IL
am. 25. Juli 1878.
Seite
Neuwahlen 151
Philosophisch-philologische Classe.
Sitzung vom L Juni 1878.
Bursian: Die wissenschaftlichen Ergebnisse der Ausgrabungen
in Dodona 1
Bursian: Ein ungedruckter Cento Vergilianus 29
*Trumpp: Der Taufritus der äthiopischen Kirche 37
Sitzung vom 6. Juli 1878.
Ethe: Die Rubais des Abu Sa'^ld bin Abul-Khair (zweite Sammlung) 38
Laubmann: Mittheilungen aus Würzburger Handschriften . . 71
Lauth: Aegyptisch-aramäische Inschriften 97
*Meyer: Vita Adae et Evae 150
Sitzung vom 2, November 1878.
V. Prantl: Ueber Petrus ßamus . 157
Weck lein: lieber drei verlorene Tragödien des Euripides . . 170
Bursian: Die wissenschaftlichen Ergebnisse der Ausgrabungen
in Dodona. Nachträge 224
*Trumpp: üeber das äthiopische Adamsbuch 224
IV
Sitzung vom 7. Decemher 1878.
Seit©
U n g e r : Der Eridanos in Venetien 261
Lauth: Die ägyptische Tetraeteris 305
Historische Classe.
Sitzung vom 1. Juni 1878.
*Preger : Der Tractat des David von Augsburg über die Waldesier 87
Sitzung vom 6. Juli 1878.
*Rockinger: Ueber die im k. Haus- und Staats- Archive befindlichen
Werke zur älteren bayerischen und pfälzischen Geschichte . 150
*Föringer: Vorläufige Mittheilungen über Annalen von Weihen-
stephan 150
Sitzung vom 2. November 1878.
Kottmanner: Die Instruction des Kurfürsten Maximilian I. für
den Hofmeister Ferdinand Maria's vom Jahre 1646 . . . 225
♦Cornelius: Ueber den angeblichen politischen Charakter des Pro-
cesses gegen Michael Servet in Genf im Jahre 1553 . . . 260
Sitzung vom 7. Decemher 1878.
*Gregorovius: Die Stellung Papst ürban's VIII. zu Spanien
und zum Kaiser 364
*v. Bezold: Die letzten Jahre der Pfalzgräfin Elisabeth, Ge-
mahlin Johann Casimir's 364
Friedrich: Augsburger Relationen bei der Visitatio liminum
apostolorum 365
Einsendungen von Druckschriften 153, 412
Sitzungsberichte
der
königl. bayer. Akademie der Wissenschaften,
Philosophisch-philologische Classe.
Sitzung vom 1. Juni 1878.
Herr Bursian trug vor:
„Die wissenschaftlicheu Ergebnisse der
Ausgrabungen in Dodona.
Nachdem Herr Konstantinos Karapanos die Resultate
seiner Ausgrabungen auf der Stätte des Dodonäischen Heilig-
tbums, über welche er uns im vorigen Jahre einen vorläufigen
Bericht zukommen Hess ^), kürzlich in einem glänzend aus-
gestatteten Werke , dessen Zusendung wir seiner Liberalität
verdanken ^) , eingehend dargelegt hat , dürfte es wohl für
die Mitglieder unserer Classe wie auch für weitere Kreise
nicht ohne Interesse sein, eine Uebersicht über den Gewinn
zu erhalten , welcher für die verschiedenen Gebiete der
1) Sitzungsberichte der philosophisch-philologischen und historischen
Classe 1877, S. 163-^174.
2) Dodone et ses ruines par Constantin Karapanos. Texte. (VII,
242 S. 4). Planches (63 Tafeln. 4). Paris, Hachette et Cie. 1878.
[1878. 1 Philos.-philolog.-hist. Cl. Bd. II. 1.] 1
2 Sitzung der philos.-philol. Classe vom 1. Juni 1878.
griechischen Alterthumswissenschaft aus den Entdeckungen
des Herrn Karapanos erwächst.
Wohl das wichtigste Ergebniss ist die definitive Lösung
der vielbesprochenen Frage nach der Lage des alten Heilig-
thums. Es ist nunmehr ausser Zweifel gestellt, dass die
mit vielen Saatfeldern und schönen Wiesen prangende, an
Schaafen und Rindern reiche, von zahlreichen Menschen
bewohnte Landschaft Hello pia , an deren Rande {soxazid)
nach einem bekannten Fragmente des Hesiodos *) Dodone,
die Orakelstätte des Zeus, gegründet war, nicht, wie bisher
fast allgemein angenommen wurde, der jetzt zu einem
grossen Theil mit Wasser bedeckte Thalkessel von Jannina
ist ^), sondern das am östlichen Fusse des bis zu einer Höhe
von etwa 2000 Meter über der Meeresfläche sich erhebenden
Olytsikagebirges (dem also der antike Name Tomaros
oder Tmar OS zukommt) in einer Länge von etwa 12 Kilo-
meter und einer Breite von 300 — 1800 Meter sich hin-
ziehende Thal, an dessen westlichem Rande in der Richtung
von Nordwesten nach Südosten die fünf im Ganzen von
etwa 250 griechischen Familien bewohnten Dörfer Plessa,
Drameschus, Tscharakovista, Alpochori und Melingus liegen.
Die zahlreichen Quellen, welche am Fusse des Tomaros
entspringen, vereinigen ihr Wasser in zwei grösseren Rinn-
salen, die nach entgegengesetzter Richtung das Thal durch-
fliessen: durch die nördlichere Hälfte des Thaies führt ein
1) Frgt. LXXX ed. Göttling; Frgt. LVIII bei Flach (Diehesiodi-
schen Gedichte. Berlin 1874).
2) Diese auch von mir in meiner Geographie von Griechenland
Bd. I, S. 20f. vertretene Ansicht ist noch kürzlich von Forbiger (Handbuch
der alten Geographie von Europa, 2. Auflage, Hamburg 1«77, S. 588)
wiederholt worden, während Kiepert in seinem Neuen Atlas von Hellas
und den Hellenischen Colonien Bl. VII (vgl. dazu den Vorbericht S. 4
oder S. 14 des Separatabdrucks), gestützt auf Andeutungen in H. Barth's
Tagebuch über seine letzte Reise, durch Verrauthung das Richtige ge-
funden hatte.
Bursian : Diewissenschaftl. Ergebnisse d. Ausgrabungen i. Doclona. 3
Bach in nord westlicher Richtung das Wasser dem Flusse
Thyamis zu ; die Gewässer der südlicheren Hälfte dagegen
finden durch einen Erdspalt (eine sogenannte Katabothra
oder, wie man in Epirus sagt, eine x^j^etV^a) am Fusse
der Hügel von Maniolassa, des südlicheren Theiles der
das Thal gegen Osten begränzenden Hügelkette, ihren Ab-
fluss. Aus dem nördlicheren Theile dieser Hügelkette, den
Hügeln von Kosmira, tritt ungefähr in der Mitte der
Längenausdehnung des Thaies ein Vorsprung in südwest-
licher Richtung vor, dessen etwa 30 Meter über den Thal-
boden erhöhte Oberfläche die Ruinen einer durch Mauern
und Thürme befestigten Akropolis trägt : das ist die soxarid^
auf welcher nach Hesiod's Ausdruck z/wöcovrj Tiercohorai.
Die Ruinen dieser Akropolis, so wie des am Südwestabhange
des Hügels gerade unterhalb der Südwestecke der Akropolis
gelegenen Theaters waren schon längst unter dem Namen
des Paläokastron von Drameschus bekannt ; unbekannt aber
war bisher, dass sich gerade östlich vom Theater, am Süd-
ostabhange des Hügels und bis in die Thalebene hinab,
ein geräumiger von Mauern in Gestalt eines sehr unregel-
mässigen Vierecks umschlossener Bezirk hinzieht , welcher
durch Karapanos' Ausgrabungen als die Stätte des xqrjOTrjQiov
erwiesen worden ist. ^) Der Haupteingang in dieses ge-
räumige Temenos befand sich an der Südwestecke; derselbe
war durch zwei UM. 80 C. im Lichten von einander ab-
stehende viereckige Thürme geschützt, zwischen denen zwei
schmucklose Säulen von Tuffstein — wahrscheinlich Träger
einer Art von Attika ~ standen; 2) von den Thürmen zogen
1) Vgl. dazu den Plan in dem Atlas zu Karapanos' Werk. pl. III.
2) Karapanos S. 25 äussert die Verrauthung, die beiden Säulen
hätten die von Polemon (bei Stepli. Byz. u. Jio&coyt], p. 249^ 11 ss. ed.
Meineke) und Strabon (VII p. 329 fr. 3) beschriebene Vorrichtung für man-
tische Zwecke — die Erzstatue eines Knaben mit einer Peitsche in der
Rechten und ein ehernes Becken — getragen : allein diese Vorrichtung
1*
4 Sitzung der philos.-phüol. Classe vom 7. Juni 1878.
sich zwei nicht parallele, sondern etwas convergirende Mauern
nach dem Innern des Temenos , welche durch viereckige
Pfeiler abgeschlossen wurden , deren 11 M. 50 C. weiter,
mit grossen Steinplatten gepflasterter Zwischenraum den
inneren Eingang bildete: die ganze Anlage kann nur als
ein einfaches, hinter dem Reichthum der analogen attischen
Anlagen (Athen, P]leusis, Sunion) freilich weit zurückstehendes
Propylon oder Propyläon angesehen werden. Ein anderer
ebenfalls eine Thorgasse bildender , aber , wie es scheint,
schmuckloser Eingang befand sich an der Nordwestseite in
unmittelbarer Nähe des Theaters : er scheint die Verbindung
des Temenos mit den für die Feier der Pestspiele Naia
bestimmten Anlagen, dem Theater und dem wahrschein-
lich südlich von diesem , westlich vom Temenos gelegenen
Stadion, gebildet zu haben. Ein dritter weit schmälerer
Eingang findet sich endlich ungefähr in der Mitte der Ost-
seite.
Von den im Innern des Temenos entdeckten Baulich-
keiten kann nur eine in Hinsicht ihrer Anlage und ihres
Zweckes mit Sicherheit bestimmt werden : der orjxog (Diodor.
XXVI, fr. 10 t. IV, p. 50 ed. I. Bekker) oder die Ugd
olnia (Polyb, IV, 67), die eigentliche Cultstätte des Zeus
Naios und seiner Cultgenossin (ovvvaog Strabon VII, p, 329)
üione. Das im nordöstlichsten Theile des Temenos in der
Nähe des Einganges an der Ostseite gelegene Bauwerk,
welches später durch Anfügung dreier Apsiden an der Ost-
seite in eine christliche Kirche verwandelt worden ist,
bildete, so weit man den Grundplan noch erkennen kann,
ein 40 Meter langes, 20 ^2 Meter breites, rings von Mauern
umschlossenes Viereck ohne Säulenstellung nach Aussen
war gewiss an einer Stelle, welche dem Winde vollen Zugang gewährte,
also im Freien innerhalb des Temenos, nicht am Eingang zwischen
Thürmen angebracht.
Bursian : Diewissenschaftl. Ergehnisse d. Ausgrabungen i. Dodona. 5
(analog dem (Ävotmog orjKog zu Eleusis , bei welchem be-
kanntlich die dorische Säulenhalle an der Front erst zur
Zeit des Demetrios von Phaleros durch den Architekten
Philon angefügt worden ist); das Innere war durch zwei
Quermauern in drei Abtheilungen — Pronaos, Naos im
engeren Sinne und Opisthodomos — geschieden. Im Innern
der Cella ziehen sich, den Seiteuwänden derselben parallel,
zwei 10 M. 80 C. weit von einander abstehende nie-
drige Parallelmauern hin, auf welchen noch 8 Säulentrommeln
aus Tuffstein , deren Umfang theils 2 M. 40 Cent. , theils
2 M. 65 C. beträgt, stehen ^). Offenbar war also die Cella
mit einer doppelten Reihe von wahrscheinlich je sechs Säulen
geschmückt, die entweder direct oder vermittels einer zweiten
oberen Säulenstellung die dann jedenfalls in der Mitte ge-
öffnete Decke stützten ; welcher Ordnung diese Säulen an-
gehörten , ist leider wegen der schlechten Erhaltung der
noch vorhandenen Säulentroncs und wegen des gänzlichen
Mangels von sonstigen ornamentalen architektonischen Resten
nicht zu bestimmen. Im Innern der Tempelruine sind zahl-
reiche Weihgeschenke aus Bronze, insbesondere die auf den
Tafeln IX bis XII des Atlas abgebildeten Bronzestatuetten
— unter denen sich auch eine archaisir ende Statuette des blitz-
schleudernden Zeus (Tfl. XII, 4) befindet, welche ganz der
Darstellung des Zeus Polieus auf athenischen Münzen ent-
spricht ^) — , die Mehrzahl der mit Inschriften versehenen
Bronze- und Bleiplatten und eine umfänglichere Inschrift
auf Kalkstein, ein Proxeniedecret der Apeirotai für Gaios
Dazupos Rennios aus Brundusium, gefunden worden.
1) Dass Leake bei seiner Beschreibung der Tempelruine (Travels
in Northern Greece I, p. 267) irriger Weise diese innere Säulenstellung
für eine äussere angesehen hat , ist von Karapanos p. 19 n. 1 bemerkt
worden.
2) Vgl. 0. Jahn Giove Polieo in Atene (Estratto dalle meraorie
deir instituto di corrispondenza archeologica Vol. II. Leipzig 1865) Tfl. 2
n. 1 und 2.
6 Sitzung der phüos.-philoJ. Classe vom 1. Juni 1878,
Ausser dem Tempel sind im nördlicheren Theile des
Temen OS noch zwei Bauwerke aus hellenischer Zeit erkenn-
bar, beide von viereckter Grundform und rings von Mauern
umschlossen. Das eine, etwa 10 M. südwestlich vom Tempel
gelegen, fast quadratisch (19 72^« lang and 18 M. breit),
wird im Innern durch vier Zwischenmauern in verschiedene
Räume (zwei rechtwinklige Gemächer und drei Corridors)
getheilt. Da im Innern desselben ausser Bruchstücken
verschiedener Bronzegegenstände auch eine grosse Anzahl
von Bronzemünzen gefunden worden ist, so kann man das-
selbe vielleicht für ein Schatzhaus (Thesauros) halten. Das
zweite, 48 M. westlich von diesem, an der Nordseite des
westlichen Eingangs des Temen os gelegen, ein trapezoid-
förmiger Bau von 42 V2 M. zu 30 M. , hat an der Aussen-
seite seiner Ostmauer sieben um 90 Centim. aus der Mauer-
linie vorspringende Strebepfeiler. In dem ganz mit grossen
Steinen ausgefüllten Inneren findet sich keine Spur einer
Zwischenmauer; die Nachgrabungen des Herrn Karapanos
haben nur vier Stufen von einer an die Nordostmauer sich
anlehnenden Treppe zum Vorschein gebracht. Leake, der
hier einige Säulenreste bemerkte (Travels in Northern
Greece I, p. 267), hielt die Ruine für den Ueberrest eines
zweiten Tempels ; ich möchte wegen der Lage in der Nähe
des Theaters und wegen des weiten ungetheilten Raumes
im Inneren am ehesten ein mit der Feier der Naia zusammen-
hängendes Gebäude darin erkennen: etwa ein Gymnasion
zum Behuf der Vorübungen und Prüfungen für diejenigen,
welche in den gymnischen Agonen der Naia als Kämpfer
auftreten wollten; ich erinnere daran, dass auch in Olympia,
wenn auch nicht innerhalb, so doch unmittelbar neben der
Altis ein Gymnasion bestand (Paus. V, 15, 8; VI, 21, 2).
Dem eben beschriebenen Gebäude gerade gegenüber,
an der Südseite des westlichen Eingangs zum Temenos,
finden sich die Reste eines anderen grossen Gebäudes von
Bursian : Die wissenschaftl. Ergebnisse d. Ausgrabungen i. Dodona. 7
unregelmässiger polygonaler Grundform, das von der West-
mauer des Temenos um 25 M. 30 C. gegen Westen vor-
springt; an der Westseite ist in dasselbe ein kleineres Ge-
bäude von fast quadratischer Form (12 M. 20 C. auf 12 M.)
hineingebaut. Ich mochte auch diese Anlag« mit der Feier
der Naia in Verbindung bringen und darin wiederum nach
Analogie der Altis von Olympia ein Prytaneion nebst einem
sOTiaTOQLOVy einem Speisesaal zur Bewirthuug der Sieger in
den Festspielen (vgl. Paus. V, 15, 8 und 12), vermuthen;
der Raum mag zugleich auch als Sitzungslocal für die mit
der Veranstaltung und Leitung der Naia betraute Commission
gedient haben , als deren Vorsitzender jedenfalls der in
mehreren Inschriften erv^ähnte dycovo^hrig ^) zu betrachten
ist, während der nur einmal in einer Urkunde über den
Verkauf eines Sklaven (Tfl. XXIX, 3) vorkommende Naiaq-
%og offenbar nichts mit den Festspielen speciell zu thun hat,
sondern die Oberleitung des ganzen Heiligthums und aller
darin vorzunehmenden Cultusacte führt. — Bei Gelegenheit
dieser nach unserer Vermuthung für die Feier der Naia be-
stimmten Baulichkeiten wollen wir bemerken, dass zu den
musischen Agonen, deren Existenz in Dodona schon durch
das Vorhandensein des Theaters bezeugt ist, wahrscheinlich
auch Wettkämpfe von Rhapsoden gehörten : Zeugniss dafür
giebt der bei den Ausgrabungen entdeckte bronzene mit
drei Löwenfüssen gezierte Untersatz eines grossen Gefässes,
welcher laut der Inschrift TegipLKl^g zip J.l Nau^) qaxpixjödg
dvsd^i]Ke (Tfl. XXIII, 2 und 2^i") zu einem Weihgeschenk
1) 'Eni ayoivod-sta Ma/ara auf dem Rande der Mündung zweier
grosser Bronzegefässe Tfl. XXV, 2 und 2*er; uyaoroS-e . . . auf einer
fragmentirten Bronzeplatte Tfl. XXXII, 3. Ein ayo^yoS-strig Jiog
Nccov xccl Jitovrig P. Memmius Leon, zugleich legsig ZeßaaxMP und
ayoiivod-Exrig fieyccXojv ^Axtiaiv KatffccQrju)!/ in der 68. Aktias (240 n. Chr.)
wird in einer von Cyriacus von Ancona in Jannina abgeschriebenen
Inschrift (Karapanos p. 158, Anra.) erwähnt.
8 Sitzung der philos.-philoL Classe vom 1. Juni 1878.
eines ßhapsoden Terpsikles an Zens Naios gehörte, als dessen
Veranlassung doch am ehesten ein Sieg in den Naia zu
denken ist.
An das von mir als Prytaneion erklärte Gebäude schliesst
sich gegen Südosten ein etwa 70 M. langer, 10 M. 60 C.
breiter Corridor an, welcher durch die westliche Mauer des
Temenos und eine zweite dieser parallel laufende Mauer ge-
bildet ist ; der südlichste Theil desselben war ein auf allen vier
Seiten von Wänden umschlossener 26 M. langer Raum,
in dessen Mitte Karapanos eine kreisrunde Basis aus drei je
20 Cent, hohen Lagen, deren Umfang nach oben zu immer
geringer wird (der Umfang der untersten, die aus zwei
halbkreisförmigen Steinen besteht , beträgt 5 M. , der der
zweiten, die durch einen einzigen Stein gebildet wird, 4 M.
10 C, der der dritten 3 M. 33 C), entdeckt hat^); in der
Nähe derselben fand er neben anderen Gegenständen ^) ein
kleines Rad aus Bronze von 11 C. Durchmesser, welches
auf seinem Rande die Inschrift trägt: ^^(peXitov !dq)qodita
aj^£^»;z£(Tfl.XXVI, 1). Daraus schliesst Karapanos, dass die
runde Basis ein Altar der Aphrodite, der Raum, in dessen Mitte
er stand, ein Heiligthum dieser Göttin gewesen sei. Dieser
Schluss aus einem durchaus vereinzelt stehenden Weihge-
schenk scheint mir unberechtigt, die Stelle des Servius (ad
Verg. Aen. III, 466), welche Karapanos (p. 156) als Zeug-
niss für die Existenz eines Tempels der Aphrodite in Dodona
anführt : ,haec autem regio (sc. Dodona) in fiuibus Aetolorum
est, ubi lovi et Veneri templum a ueteribus fuerat conse-
1) Vgl. die Abbildung auf Tfl. VII, 17.
2) Besonders interessant sind darunter zwei offenbar zum Einsetzen
in die Augenhöhlen einer überlebensgrossen Statue (wohl einer Bronze-
statue, nicht, wie Karapanos meint, einer Statue aus Holz) bestimmte
grosse Augen aus Kalkstein, in deren Pupille je ein kreisförmiges Stück-
chen Bergkrystall eingefügt ist : s. Tfl. LX, 6 und dazu die sachkundigen
Bemerkungen von L. Heuzey im Annexe C zu Karapanos' Werk p. 218 s.
Bursian : Die wissenschaftl. Ergebnisse d. Ausgrabungen i. Dodona. 9
cratum' oline Beweiskraft, da hier, wie schon der Gebrauch
des Singulars templum zeigt, Venus offenbar dem grie-
chischen Namen Jiwva entspricht. Ich betrachte sowohl den
fraglichen Raum als den ganzen Corridor als bestimmt zur
Aufbewahrung von Weihgeschenken , welche man den Ein-
flüssen der Witterung , besonders des in Dodona ziemlich
strengen Wiuters, nicht aussetzen wollte ; dass sich darunter
auch ein Weihgeschenk für Aphrodite befand, ist bei der
bekannten Auffassung dieser Göttin als Tochter des Zeus
und der Diona nicht auffällig.
Ebenfalls zur Aufbewahrung derartiger Weihgeschenke
diente wohl ein zweiter 6 V2 M. breiter Corridor, welcher
durch die östliche Umfassungsmauer des Temenos und eine
dieser parallel laufende innere Mauer gebildet wurde. Die-
jenigen Weihgeschenke aber, welche eine Aufstellung im
Freien ertrugen, standen in langen Reihen vor den dem
Innern des Temenos zugewandten Fa^aden der beiden Corri-
dore '), wie die zahlreichen theils viereckten, theils halb-
kreisförmigen oder ein Kreissegment bildenden Basen und
Unterbauten beweisen, welche Karapanos an diesen Stellen
entdeckt hat (s. die Tafeln VI und VII).
Soviel über die Oertlichkeit und die baulichen Anlagen
des Heiligthums. Für unsere Kenntniss des Verfahrens
bei der Orakelertheilung sind besonders werthvoll
die bei der Ausgrabung entdeckten 1 bis 3 Millimeter dicken
Bleiplättchen mit flüchtig eingeritzten Inschriften, welche,
soweit die ausserordentlich schwierige Aufgabe der Entzif-
ferung^) den vereinten Bemühungen der Herren Karapanos
1) Ich erkenne in diesen die von Polyb. IV, 67 erwähnten GtoaC:
dass nämlich die Griechen mit dem Worte atod keineswegs immer den
Begriff einer durch Säulen gestützten Halle verbanden, zeigen Stellen
wie Aristoph. eccles. 14, wo Vorrathskammern für Getreide und Wein
als oroaL bezeichnet werden.
2) Eine Vorstellung von den Schwierigkeiten, welche dabei zu
10 Sitzung der phüos.-philol. Classe vom 1. Juni 1878.
und P. Foucart gelungen ist, mit einer einzigen Ausnahme
(Tfl. XXXVIII, 5) ^) Anfragen theils von Gemeinden, theils
von Privatpersonen beim Orakel enthalten (Tfl. XXXIV bis
XXXIX). Daraus ergiebt sich zunächst im Allgemeinen,
dass jeder, der ein Orakel zu erhalten wünschte, seine An-
frage schriftlich einreichen musste, ein Verfahren, für welches
wir bisher nur in einer Stelle des Cicero (de divinatione
I, 34, 76) eine nicht völlig klare Andeutung besassen.
Die Stelle lautet: *^ Maximum uero illud portentum iisdem
Spartiatis fuit quod cum oraculum ab Joue Dodonaeo petiuis-
sent de uictoria sciscitantes legatique illud in quo inerant
sortes collocauissent, simia quam rex Molossorum in deliciis
habebat et sortes ipsas et caetera quae erant ad sortem
parata disturbauit et aliud alio dissipauit. Tum ea quae
praeposita erat oraculo sacerdos dixisse dicitur, de salute
Lacedaemoniis esse, non de uictoria cogitandum'. Unter
den sortes sind hier offenbar die Bleitäfelchen, aufweichen
die Anfragen geschrieben waren, zu verstehen ; unsere Stelle
lehrt uns, dass dieselben in ein Gefäss gelegt und dieses
überwinden waren, kann man sich nach den auf Tfl. XL gegebenen
photolithographischen Nachbildungen von vier solchen Täfelchen machen.
1) Die deutlich lesbaren Worte: ro [j,avtri[i\ov iyiti XQV^ können
nur als Antwort des Orakels aufgefasst werden, wobei freilich der Jonis-
mus auffällig ist. Von den übrigen Stücken, die Karapanos (p. 69 n. 1)
ausserdem als Antworten des Orakels betrachtet, kann ich keine als
solche anerkennen: die Inschrift Tfl. XXXVIII, 6
EAAAAN MAZTEIEI
lese ich r? «AXar fxaateui (für (j.aazev€i) ,oder (ob er) eine andere suchen
soll' und erkenne darin den Schluss einer an das Orakel gerichteten
Anfrage. Die Schreibung EAAAAN findet sich auch Tfl. XXXVI, 4, wo
Z. 2. der Rückseite zu lesen ist: ^ ciXKav oUria\ccg oder -aviss]. —
Uebrigens darf es uns nicht Wunder nehmen, dass so gut wie keine
Antworten des Orakels gefunden worden sind, da solche natürlich von
denjenigen, welchen sie ertheilt worden waren, nicht im Helligthum zu-
rückgelassen, sondern mit nach Hause genommen wurden.
Bursian : Die wissenschaftL Ergebnisse d. Ausgräbungen L Bodona. 1 1
im Heiligthum hingestellt wurde, damit die Orakel ertheilende
Priesterin davon Kenntniss nehme.
Was die Form der Anfragen betrifft, so beginnen die-
selben nicht selten mit der unserem 'in Gottes Namen' ent-
sprechenden Formel dsog (oder d^eol) xvyav dyad-av oder
rvxq dyad^a : doch fehlt dieselbe in nicht wenigen Fällen,
auch wenn die Anfrage vollständig erhalten ist. Dann folgt
der Name des oder der Anfragenden mit der Formel eTteqtoTa
(eTtEQtoTwvTt) Tov Jla Tov Ncciov ytal tclv Juovav oder
eTviKOivrjtai (auch eTti-aoivärai^ Plural eTtiKOivwvrai) reo z/u
T(^ Nalo) %al xq Jiwvq. Dieses ETTtKOivao&aL ist offenbar
dialektische Nebenform für STrrAOivovo&at (wie wir auch für
eTte^iorq die Schreibungen ETiegcoTel Tfl. 36, 1 ; 37, 8,
eQtorrj Tfl. 36, 2 und eTtegcorrj Tfl. 39 , 1 finden) ; £7tr/,oi-
vovo^ai Tivi TtEQi rivog kennen wir aus der attischen Sprache
(vgl. Piaton Protagor. p. 313«) in der Bedeutung 'jemanden
über etwas um Rath fi*agen' ; es kann uns also die Ver-
wendung dieses Ausdruckes für die Befragung einer Gott-
heit durchaus nicht auffallen. Daneben kommen vereinzelt
auch andere Formeln vor, wie Tfl. 38, 1 (der Name des
Anfragenden fehlt) eQOvxai nXeomai tov Jla Kai tclv
Jicovar; ebd. ^. 4=^^ loToqel NixoKQaTrjg; oder Gebetsformeln,
theils allein, theils in Verbindung mit der Anfrage; vgl.
Tfl. 38, 3: ^yal^^"^ Tvxij]'^^07coxa dva^ Zev JSdie -aal zJiwvr]
nal Jojöovaioi aiTsl v(xäg Kai lAerevSL JioyvrjTog läQioro-
fir^dov ^&rjvalog dovvai iwrty ycal TÖlg eavTOv evvoig ajtaoiv
yiat T^ (geschrieben Tel) (.itjtqI Kleagszi^ (-xei) y,al . . . ;
ferner ebds. N. 7 Zev Naie .... iKsrevei . . . , ebds. N. 4
. . . '^Hqayi'keidag ahel tov \Jia'] Tvyriv dyaS^i^Vy
worauf dann noch eine Anfrage TtsQl yeiverjg (d. i. yeveag)
folgt.
Der Inhalt der Anfragen, soweit er sich noch aus den
oft sehr fragmentirten Täfelchen erkennen lässt, ist natür-
lich ein sehr mannigfaltiger. Da begegnen wir zunächst
12 Sitzung der philos.-philol. Classe vom J. Juni 1878.
Anfragen von Städten und Gemeinwesen: die Tarantiner
(Tfl. 34, 1) fragen (negl) Ttavzvyjag — ein Wort, das zwar
sonst nicht bekannt, aber dem bekannten navcoXex^Qia ganz
analog ist ^) — ; die Korkyräer wollen wissen, welchem Gott oder
Heros sie Opfer und Gebete darbringen sollen , um des
Segens der Eintracht theilhaftig zu werden (Tfl. 34, 4;
ähnlich N. 5) ; eine Gemeinde , deren Namen verloren ge-
gangen ist (to KOivdv rcov . . . .) fragt, ob es räthlich für
sie sei, in politische Verbindung {ov/LiTtohreia) mit den Mo-
lossern zu treten (Tfl. 34, 2) ; ein Gemeinwesen endlich,
dessen nicht vollständig erhaltener Name uns gänzlich un-
bekannt ist, Mov . . d(^)iatav x6 xotvov, stellt eine An-
frage, deren Sinn wir nicht mehr enträthseln können (Tfl.
34, 3^'^) ^). Von Privatleuten fragt Eubandros (ein Mann,
dessen heimischer Dialect anlautendes ^ in g) verwandelt,
denn er schreibt g)ecüv und q)vovTeg für d^Ewv und d^vovTsg)
und seine Frau, zu welchem Gotte oder Heros oder Dämon
zu beten und zu opfern ihnen und ihrem ganzen Hause
für jetzt und immerdar erspriesslich sein werde {Xioiov Kai
a(.ieiv6v yia TtQccaooiEv : Tfl. 34, 3), und eine ganz ähnliche
Frage, welche Götter er sich in Hinsicht auf seine Gesund-
heit und sein Vermögen günstig stimmen solle, thut mit
derselben Formel Xo)lov ytal ccfxeivov nqaoooL ^) ein Bewohner
von Ambrakia (^f.ißQayiiaTrjg)^ dessen Name nicht erhalten
ist; ein gewisser Sokrates erkundigt sich, welches Geschäft
1) Aus dieser Inschrift lernen wir ra als tarantinische Form des
Femin. sing, des Artikels kennen ; denn die Buchstaben Z. 2 All TA
TS2NTAPAN können nur gelesen und ergänzt werden td no^lug rn xtov
TccQCCp[tiyci)y.
2) Verständlicb ist Z. 1 'EnLXOLyarac Mov . . Siaxccy to xoivov
AI N(i(o xal Ji(üv(^ (diese vier Worte sind über der Zeile nachgetragen)
n(Q toy, und Z. 3 zi xcci ßsKriov ^ {ei) xixQrifxey: in Z. 2 ist nur ein-
zelnes, wie d-efÄiazoi und sorl rd S^efxt . . lesbar.
8) Dass diess eine stehende Formel bei Befragung des Orakels
war, zeigt auch Xenoph. de redit. 6, 1.
Bursian: Die ivissenschaftl. Ergebnisse d. Ausgrabungen i.Dodona. 13
zu treiben für ihn selbst und sein Geschlecht vortheilhaft
sei (tI xa egya^of-ievog Icoiov y.al af^ieirov ttqccoooc Tfl. 35, 2).
Speciellerer und bestimmterer Art sind folgende Anfragen :
ein Ungenannter will wissen, ob er sich um das Bürgerrecht
in irgend einer Stadt bewerben soll (Tfl. 35, 3), ein anderer,
ob es vortheilhaft und sehr nutzbringend für ihn sei , sein
Haus in der Stadt und sein Grundstück (rdv sttoXl oi-
xiav Kai ToxcoQiov^ wobei die Schreibung ItcoXl für ev tcoXl
zu bemerken ist) im eigenen Besitz zu behalten (Tfl. 37, 1);
Agis fragt wegen der ihm verloren gegangenen Matratzen
und Kissen {0TQ(x)(.iaTa xat TcqoQKecpaXaia) ^ ob sie ihm ein
Auswärtiger {twv l'^co&sv rig) gestohlen habe (Tfl. 36, 1) ;
Lysanias, ob etwa das Kind , welches Annyla ^) unter dem
Herzen trage, nicht von ihm sei (Tfl. 36, 2); ein Unge-
nannter, ob die Handelsgeschäfte, welche er neben seinem
Handwerke (a/na ca Ttyya xQevfj.evog) zu treiben beabsichtigt,
erfolgreich sein werden (Tfl. 37, 4); ein anderer, ob es für
ihn vortheilhaft sein werde, Schafzucht zutreiben (Tfl. 38, 1);
Herakleidas erkundigt sich in Betreff weiterer Nachkommen-
schaft (Tfl. 38, 4) ; Amyntas stellt eine nicht mehr verständ-
liche Frage in Betreff seines Sohnes (Tfl. 37, 8). Um das
Verhältniss zu einer Frau handelt es sich auf einem zu
wiederholten Malen beschriebenen Plättchen, auf welchem
nur wenige Worte sicher zu entziffern sind (Tfl. 37, 4 ^'^
wo ich Z. 2 f. lese : . . ti aya&ov zag yvvaiKog xavxag
7taQaf^o[vL]jnov . .) ; um eine Schreibtafel (jcivaKWv) , welche
beschrieben und versiegelt werden soll {yqacpd^rif^iev v.al oa/navS^rj-
l^ev) auf einem andern, von welchem nur die rechte Hälfte
1) Karapanos liest Z. 5 f. t6 ncaSaQiov o «v NvXa xvsi: allein
die Partikel äy ist in diesem Zusammenhange ganz unpassend und ein
Name Nv}.a sehr unwahrscheinlich; ich lese also o 'Ai^^vla zvti*) und
halte '^pi^vXcc für Diminutivform des fremdländischen Namens 'Aypcc :
eine illyrische Sklavin "^ya erscheint auf einer delphischen Inschrift bei
Wescher u. Foucart Inscriptions recueillies ä Delphes n. 439.
[*) So jetzt auch F. Bücheier im Index schol. Bonn. 1878/79 p. 3.]
14 Sitzung der philos.-philöl. Classe vom 1. Juni 1878.
erhalten ist (Tfl. 38, 2). Im Grossen und Ganzen können
wir uns nach diesen Proben keine hohe Vorstellung machen
von der Wichtigkeit der Angelegenheiten, für welche von
Privatleuten die Dienste des Orakels in Anspruch genommen
wurden.
Unsere Kenntniss der Verfassungsverhältnisse
von Epirus wird erweitert durch eine Anzahl bei der
Ausgrabung gefundenef Inschriften auf Bronzetafeln, welche
theils Ehrendecrete (Verleihung von Proxenie, Atelie u. dgl.)
für Einzelne oder eine ganze Gemeinde (laut der Inschrift
Tfl. XXVIII, 2 wird von den Molossern den Akragantinern
auf ihren durch drei persönlich erschienene Abgeordnete,
Hipposthenes, Teich er mon und Selinis, gestellten Antrag die
Proxenie verliehen), theils Urkunden über Freilassung oder
Verkauf von Sclaven enthalten. Wir sehen daraus, dass
Epirus seit dem vierten Jahrhundert v. Chr. einen Bundes-
staat, eine avfxinaxla bildete, an deren Spitze die Molosser
standen. So lange diese von Königen beherrscht wurden,
wird in den Urkunden der Name des Königs, neben dem-
selben der des TtQooxaTag der Molosser — jedenfalls eines
jährlich wechselnden Beamten, dessen Namen zur Jahres-
bezeichnung diente — und bisweilen noch der eines ygafi/xa-
T£vg genannt. So verleihen laut der Urkunde Tfl. XXVII, 1
o\ oviAfxaxoL Tiov ^^TTEiQcoTav dem Kleomachos vom Stamme
der Atintanes (die also nicht zum epeirotischen Bunde ge-
hörten) die drslsia und, wie am Schlüsse der Urkunde noch
nachgetragen ist , die evTsXeia ^) snl ßaodeog NeoTtrolsfxov
1) Die Bedeutung dieses Ausdruckes, der auch in dem Ehrendecret
für G. Dazupos Rennios (Karapanos p. 114) Z. 11 neben ari^fia, aacpd-
Xficc !toXE(A,ov xal siQayag und yccg xccl ohiuq eyxTaaig wiederkehrt,
ist unklar: E. Egger im Annexe B zu Karapanos' Werk p. 200 ver-
muthet, dass er die Fähigkeit zur Bekleidung obrigkeitlicher Aemter
bezeichne. Ich glaube , dass cheXeicc und ivri'keia zusammen etwa den
Begriff der attischen laorsXeicc ausdrücken : Freiheit von den Abgaben
und Lasten , welche die Fremden , Verpflichtung zu denen , welche die
Bürger zu tragen haben.
Burdan . Die ivissenschaftl. Ergebnisse d. Ausgrabungen i. Dodona. 1 5
^AXe^dvÖQOv (wahrscheinlicli , wie schon Karapanos p. 49
bemerkt hat, des von Pyrrhos im Jahre 295 v. Chr. ge-
tödteten Neoptolemos) , enl nqooxa (sie, statt nqoGraTa)
Mqyia MoXoGöcov. Die Urkunde, durch welche einem ge-
wissen Kteson als etsQyhag das Bürgerrecht {TtolsLTela)
verliehen wird (Tfl. XXVII, 3), beginnt mit der Formel:
[ßaGiXevovIzog [^^Xje^avÖQOv ^) 87i;\_l TtqooTaTa M]o'ko\öö(x)v^
^Qio[To]fiaxov ^Oi^cpa[Xeog ^) S7tl yQa/,i]fxaTeo\_g d]e Meve-
ddfxov . . . [sS]o^£ T[ä]L 8Kh]0ia [sie] ^cov [MoIogöcüvI.
In den jüngeren Inschriften erscheint dann an der Spitze
der Molosser regelmässig der TVQOGTazag , an der Spitze der
von der Gesammtheit der Epeiroten erlassenen Decrete oder
auch der Privatnrkunden der Gxqa%ayog der Apeirotä (Formel
GTQaxayovvTog ^.jvELQtoTav) ; neben diesem erscheint in der
einzigen vollständig erhaltenen öffentlichen Urkunde der
Apeiroten, die wir besitzen, dem schon erwähnten Ehren-
decret für Gaios Dazupos Rennios aus Brundusium (Karapanos
p. 114), das trotz der runden Formen der Buchstaben 6
und C wegen des aus Polybius (XXVII, 13 und XXX, 7)
und Livius (XLV, 26) als Zeitgenoss des Königs Perses von
Makedonien bekannten Strategen xintinoos dem ersten Drittel
1) Karapanos p. 51 hält diesen Alexander, dessen Name in einer
verstümmelten Inschrift (Tfl. XXXII, 5) wiederkehrt, für Alexander II ,
den Sohn des Pyrrhos und der Lanassa, weil er unsere Inschrift als
jünger ansieht, als die des Neoptolemos, Sohnes des Alexandros (Tfl. XXVII,
1): doch scheint mir die relative Altersbestimmung der beiden Inschriften
schon wegen der verschiedenen Technik (N. 1 ist punktirt, N. 3 ein-
gravirt) sehr zweifelhaft.
2) So, nicht 'O^qpaXoj; mit Karapanos, schreibe ich, indem ich das
Wort für ein Ethnikon halte, wegen des OM^JytEI {0^(fC('keig) in der
Inschrift Tfl. XXXI, 2: eine epeirotische Ortschaft 'O/u^ahoy führt
Ptolem. III, 14, 7 auf, allerdings unter den Ortschaften der Xdoyeg,
aber da er dieselbe ausdrücklich zu den noXtcg /xecoyeioi rechnet und
die Molosser überhaupt nicht mehr kennt, kann die Ortschaft recht
wohl ursprünglich molossisch gewesen sein.
16 Sitzung der phüos.-phüol. Classe vom 1. Juni 1878.
des zweiten Jahrhunderts vor unserer Zeitrechnung (um
170 V. Chr.) angehören rauss, der Sekretär des Bundesrathes,
der ovveÖQOi. Die Formel lautet dort vollständig so : l4yad^a
ivia. ^TQaTayovvTog ^TtEiqioTav l4vTiv6ov KXad^LCctov ^),
yQajUf^aTEvovzog öe awsSgoig Jo'/.i^ov rov Keg)aXLvov To-
QvSalov 2), FafiiXlov sjußovvlfiaig s/,tl Kai sly,ddL : in den
letzten Worten ist offenbar das Datum nach dem Monats-
tage enthalten; FaiiiXiov ist verschrieben für raf.irjXlov
(wodurch wir aus dem bisher ganz unbekannten epeirotischen
Kalender wenigstens einen Monat, den ra(.ir^XLog ., dessen
Name dem attischen TaiiriKidiv analog ist, kennen lernen)
wie gleich t^xi für c'xti^: das zwischen dem Monatsnamen
und den Zahlwörtern stehende siußovvlfAaig kann kaum
etwas anderes sein , als eine dialektische Nebenform für
siißoXi^OLg (sc. iqfisQaig). Auf das Monatsdatum folgt in
der Inschrift der Name yivwv EvqojTtiog ^) mit vorausgehen-
dem y^, was sonst aus Inschriften als Sigle für fcqeoßvg
oder TtQeaßvTEQog bekannt ist, hier aber von Karapanos
gewiss richtig als Sigle für 7tQ0GTaTi]g (TtQOGTccTag) auf-
gefasst wird. Ganz ähnlich sind der Strateg der Epeiroten
und der Prostates der Molosser neben einander aufgeführt
in der einleitenden Formel einer Freilassungsurkunde
(Tfl. XXX, 5): l4ya&a Tvya . ^TQarayovvtog l4/t£iQ(x)Täv
ylvoavia KagcoTtov TtqoooTarEvovTog (sie) MoXooocov £/£-
Aao[t;] UaQCüQOv. Der hier als Strateg genannte Lysanias
ist wohl identisch mit demjenigen, der in dem Ehrendecret
1) Das ist wohl nicht der Name des Vaters des Antinoos, sondern
ein Ethnikon von einer epeirotischen Ortschaft KkaSla.
2) ToQvScclos kann hier nur als Ethnikon aufgefasst werden :
ist vielleicht ToQv^ri eine Nebenform des bekannten epeirotischen Orts-
namens Togvpt}? (vgl. meine Geographie von Griechenland I, S. 28.)
3) Auch dies kann ich nur für ein Ethnikon von einer sonst un-
bekannten epeirotischen Ortschaft EvQwiog halten , das auch in einer
fragmentirten Freilassungsurkunde (Tfl. 31, 1, Z. 9) als EvQ(j67ii\og\
wiederkehrt.
Bursian : Die wissenschaftl. l^rgebnisse d. Ausgrabungen i. Dodona. 1 7
für G. Dazupos Rennios als Antragsteller auftritt. Wir
lesen nämlich dort Z. 5 f. : Ttod-oöcüf-ia yqaxpafxevov Avoa-
^ia Tov NiKoXaov KagicoTtov Tteql TTQO^evlag u. s. w., wobei
das Epitheton KaQiujtoq oder KagcoTcog wohl ebenso,
wie das dem Echelaos gegebene ndQcoQog (vgl. IlaQajQaia
als Name eines epeirotischen Districts in der Nähe des
Tymphegebirges bei Strabon VII p. 325) als Ethnikon
aufzufassen ist. Die Ehreninschrift für G. Dazupos Rennios^)
liefert uns endlich auch ausser dem schon oben S. 14, Anm. 1
besprochenen Worte evieXeia ein zweites bisher unbekanntes
Wort : Ttod^odwfiaf dorisch für TtQogoöco^a , im Sinne von
"^Antrag' (eigentlich 'Auftreten vor einer Versammlung um
einen Antrag zu stellen') , also dem gemeingriechischen
7i:Qogodog^ dorisch Ttod^oöog^ entsprechend : noS^odcofxa yqaxpao-
^ai ist offenbar die epeirotische Form für das aus Schrift-
stellern und Inschriften bekannte tcqoooSov {jtod^oöov) yqaipaö-
d^ai oder TVOieiod^ai (vgl. W. Vischer, Epigraphische und
archäologische Beiträge aus Griechenland S. 13 f.). Dieselbe
Formel ist mit Sicherheit herzustellen in der fragmentirten
Inschrift Tfl. XXIX, 2, welche ein unter demselben Strategen
Antinoos ^) erlassenes Dekret der Epeiroten in Betreff der
Verleihung des Bürgerrechts an einen Achäer Damarchos,
Sohn des Dameas , enthält: [^Tq\aTayo\yvTog liTt^i^o)
\Täv l4^vTivoo\y Kla&id] tov Aa .... OTtw , [-^ TlaQ-
f.ie]vioyiog Js^üvö^qov Jlo&oö^cofxa^) yQaipa[ix£vov no\€i
1) Der römische Gentilnaine dieses Mannes erinnert an C. Renius,
der als Münzmeister auf einem der Emission um 550 — 600 d. St. an-
gehörigen römischen Denar (N. 95 des Mommsen'schen Verzeichnisses)
erscheint. Das dem Gentilnaraen seltsamer Weise vorausgehende Co-
gnomen Ju^ovnog scheint auf illyrischen Ursprung hinzuweisen: vgl.
Jä^iog auf einer Münze von Dyrrachion bei Mionnet Supplement III, 334.
2) Derselbe Mann scheint auch unter den Zeugen in einer frag-
mentirten Freilassungsurkunde vorzukommen, Tfl. 33, 14, wo noch i^ccqtv-
(i£g . . . 'Apxivov x'keiTog lesbar sind.
3) &LX(xi(ofj,cc ergänzt Karapanos p. 53, gewiss irrig.
[1878 I. Philos.-philol.-hist. Gl. Bd. II. 1.] 2
18 Sitzung der pkilos -philol. Classe vom 1. Juni 187 S.
Tccv exicXlrjoliav \_/Ja^ccQx}ov tov Jai.it\a\ l4%ai[ov y.al al]
toviäIvov 7toXLT£\_lav £(5o]^£ To7g l47veiQioTaig [7toXlTa]v ei-
(.lev lJ]dfxaQxov J\aiiea ^4xccid]v Kall] OfAOiov roTg [aXloig
Die Freilassungsurkunden (Tfl. XXX ff.) geben in der
Regel nach Nennung des jtQOGrdtag Molooawv oder des
GTQatayog ^47reiQcoTav die Namen der freigelassenen Sclaven
und des Freilassers oder der Freilasser mit der Formel
dq)LrjTi (a^ijfxc, dcpievti) eXevSEQOv [sXsv^eqav^ sXevd'eQOvg)^
bisweilen mit dem ausdrücklichen Zusatz, dass dies auch
für die Nachkommen der Freigelassenen gelten solle (vgl.
Tfl. 30, 2; Tfl. 31, 3), sodann die Namen mehrerer Zeugen
(fxccQTvQeg). Ebenso sind eine Anzahl Zeugen aufgeführt
in der Urkunde über den durch eine Frau Matydika für
eine Mine Silbers vollzogenen Kauf {l^enQiaTÖ) des Sklaven
Polyxenos von der Damoxena (Tfl. 29, 3), sowie in einer
Urkunde, welche sich auf die Freilassung eines gewissen
Trypon durch gerichtlichen Spruch zu beziehen scheint
(Tfl. 27, 2)^). Den Namen dieser Zeugen sind öfter die
Namen der Städte oder Gemeinden, denen sie angehören,
beigeschrieben, so dass wir aus diesen wie auch aus mehreren
der früher besprochenen Inschriften Bereicherungen unserer
Kenntnisse epeirotischer Ortsnamen (mehr ist bei dem tiefen
Dunkel, das noch über der Topographie des grössten Theiles
von Epeiros ruht, nicht za sagen) gewinnen. Wir wollen
im Folgenden diesen topographischen Gewinn übersicht-
lich zusammenstellen.
In derUrkuüde für Trypon, Tfl. 27, 2, wird unter den
jua^rt'^cgMoAoaawj' neben sechs Dodonäern ein siebenter Namens
1) Vgl. die eingehende Erörterung dieser Urkunde durch E. Egger
im Annexe B S. 201 flf., die freilich noch vieles zweifelhafte übrig
lässt. Ich bemerke nur zu dem von Egger Z. 1 f. ergänzten ^api[xa
XQ\iasi, dass auf der Inschrift Tfl. 32 n. 4 die Buchstaben SENIKMAYUI
jedenfalls ievix^ Ivai zu lesen und Tfl. 32, n. 1 die Buchstaben lAYIEl
zu der gleichen Formel (^«vtx^ "kvaei) zu ergänzen sind.
Bursian : Die ivissenschäftl. Ergebnisse d. Ausgrabungen i. Dodona, 1 9
Kqaivvg genannt , welchem das Ethnikon 0oivaTog beige-
schrieben ist und dasselbe Ethnikon kehrt im Plural Ooivaroi
wieder am Schluss der Urkunde über den Verkauf des Poly-
xenos (Tfl. 29, 3), jedenfalls als nachträgliche Angabe der
Gemeindeangehörigkeit der darin genannten Zeugen : es gab
also im Gebiete der Molosser eine Ortschaft (Gemeinde)
OoLvcLTOL. Nach den Molossern werden dann in der Urkunde
für Trypon eine Anzahl Thesprotier {QPE^R^TQN Tfl. 27,
2, Z. 8, aber in einem Bruchstück einer jüngeren Inschrift
Tfl. 32, 3, Z. 3, findet sich die gewöhnliche Schreibung
06CTTP(jl)T . .) ebenfalls mit Beifügung ihrer Heimaths-
gemeinden genannt: ein ^aQioalog^ also Bürger eines bis-
her völlig unbekannten thesprotischen Larisa, ein^EXeolog
d. h. aus der am jetzigen Hafen Phanari gelegenen Stadt
Ble'a^), und zwei Tiaioi aus einer bisher unbekannten
thesprotischen Ortschaft Tia. Ein unzweifelhaftes Ethni-
kon haben wir ferner in der Freilassungsurkunde Tfl. 30, 4,
wo der Freilasser Nikandros, der Sohn des Aneroitas als
Talaiav^ die vier zuerst genannten Zeugen als TaXaiaveg
bezeichnet werden : ob wir in dem Namen, der denen der
^TivTccvegy Lid^a^avegy ^IvLccveg, EvQvräveg und anderer,
die Meineke ad Stephan. Byz. p. 669, 15 zusammengestellt
hat, ganz analog gebildet ist, die einheimische Benennung
des von Strabon IX, p. 434 als MoIottikov cpvlov bezeich-
neten Stammes der TdlaQsg zu erkennen haben, wie Kara-
panos p. 59 vermuthet, muss ich dahin gestellt sein lassen.
Der in derselben Urkunde an letzter Stelle aufgeführte
Zeuge Boiskos, der Sohn des Nikandros, trägt das gänzlich
unbekannte und auch seiner Bildung nach sehr zweifelhafte
Ethnikon ^Oftovog , das auf einen dem lokrischen Opus ähn-
1) Vgl. meine Geographie von Griechenland Bd. I, S. 28 f. und
Julius Friedländer 'Elea in Epirus' in den Berliner Blättern für Münz-,
Siegel- und Wappenkunde IV, S. 36 f. Der Name, welchen dieser
Eleäer führt, ist gewiss nicht mit Karapanos p. 50 nenxva(Jos, sondern
neiafS^os (für TlEiaav&Qog) zu lesen.
20 Sitzung der philos.-philoh Classe i^om 1. Juni 1878.
liehen Ortsnamen hinweist. Die vier Zeugen der Preilassungs-
urkunde des Andromeues (Tfl 30, 5) sind als KoItioIol^
Bewohner einer Ortschaft KoXnaL oder RoXrcrj (vgl. ^'OXTiai
oder ^'Oln:if] im Gebiet der Amphilocher), der Freilasser An-
tibolos , Sohn des Nikanor (der zur Motivirung der Frei-
lassung ausdrücklich bemerkt, dass er kinderlos sei, arey.vog
wV), als JoeaoTog (vgl. die makedonischen Stammnamen
JieOTai und ^Ogiorai) bezeichnet. In der Urkunde Tfl. 31, 2
erscheinen neben den schon oben S. 15, Anm. 2 besprochenen
^O/AipaXelg auch Xi^wlioi^ Bewohner einer Ortschaft Xl/.ia)Xog.
Der iu mehreren Urkunden (Tfl. 30, 1 ; Tfl. 32, 1; Tfl. 33, 1)
vorkommende Name KiXaid^og (einmal Tfl. 33, 1, Z. 5
KlXai&og geschrieben) ist durch Stephanos Byz. u. KeXaiO^oi
aus Rhianos als Name eines an der thessalischen Gränze
wohnenden thesprotischeu Stammes bekannt. Auch das in
der Urkunde Tfl. 30, 1 neben zwei Personennamen erscheinende
'^On'kaivog ist wohl als Ethnikon, nicht als Genetiv eines
Personennamens aufzufassen (vgl. die epeirotischen Stamm-
namen liQyvqivot und JwveTTlvoi bei Steph. Byz. s. vv.),
die ebendaselbst, Z. 9, neben dem Namen ^Ealoyoqog (d. i.
^Eod^ldyoQog: vgl. die Schreibung ealog für io&Xog in der
Inschrift aus Olympia, Archäol. Zeitung 1876, Tfl. 6, N. 2,
Z. 3) stehenden Buchstaben BATE^^l sind vielleicht
Barealog (von der kassopischen Ortschaft Barlai : Strab.
VII, p. 324) zu lesen. Von den Ethnika EvQCJTtiog^
KXad^idrrjg , KaQlio/iog , üaQWQog und ToQvdaiog ist schon
oben S. 16 f. gelegentlich die Rede gewesen. Endlich kommt,
um nichts in das geographische Gebiet gehöriges zu über-
gehen, in einer auf zwei Füsse eines Dreifusses vertheilten
Weihinschrift (Tfl. 23, ^ und 4) eine gänzlich unbekannte
Stadt der L e c h o i e r {jtoXeg ^excoliov)^ in einer fragmen-
tirten Anfrage an das Orakel (Tfl. 35, 1) :
rj eig ^Ellvav neqieXo . . .
rj eig L4vay.T6qiov ....
rl 7l(x)X0VVTEg TOV , . .
Bursian : Die wissenschaftl. Ergebnisse d. Ausgrabungen i. Dodona. 2 1
neben der bekannten akarnanischen Stadt Anaktorion eine
Ortschaft Elina vor, die wir als den Wohnsitz des von
Steph. Byz. u. ^'EXivoi aus Rhianos' Thessalika bezeugten
thesprotischen Stammes der Eliner zu betrachten haben.
Unter den Weihinschriften nimmt die zum Anheften
an ein von dem Zakynthier Agathon, dem Sohne des Eche-
pliylos und seiner Sippe gestiftetes Weihgeschenk bestimmte,
oben am Giebel und den Giebelecken mit drei Akroterien
bekrönte, unten mit einem Phallos als Amulet zum Schutze
des Weihgeschenkes *) versehene Bronzetafel (Tfl. XXVIf)
nach Inhalt und Form ein besonderes Interesse in Anspruch.
Die Form der Weihinschrift ist, wie zuerst mein College
Christ bemerkt hat, wenigstens zum grösseren Theil metrisch:
nach der einleitenden Formel Qeog Tv^a finden wir zwei
anapästische Dimeter, eine anapästische Tripodie und einen
Versus ithyphallicus :
Ztv Jwd(jüvr]g fxediwv 2), toöe 001
dwQOv /cifÄTtco Ttag' €f.iov !Ayccd^o)v
^ExBffvXov y,al yeveaj
Tcqo^evoi Molooowv^
das Folgende hat zwar auch durchaus rhythmischen Klang,
fügt sich aber nicht in eine bestimmte metrische Form:
Y,al ovfXjLidxcov, iv TQiaKOvza yevealg £z Tqcoiag Kaooavögag
yereccy ZaKvvd-ioi. Die letzteren Worte kann ich nur so
auffassen , dass Agathon sich und die Seinigen als Nach-
kommen der troischen Kassandra im 30. Gliede — inner-
halb eines Zeitraumes von 30 yeveal — bezeichnet. Dies
giebt nach der gewöhnlichen griechischen Ansetzung von
drei Menschenaltern als gleich einem Jahrhundert *) einen
Zeitraum von 1000 Jahren : da wir aber nicht wissen können,
welchem von den verschiedenen Ansätzen der Zerstörung
1) Vgl. 0. Jahn über den Aberglauben des bösen Blicks bei den
Alten in den Berichten der k. sächs. Ges. d. Wiss. 1855, S. 68 ff.
2) Aus II. n 233 f.
3) Herod. II, 142: yey^ai yccQ tgelg ät^Sgooy ixaxov heä eatiy.
22 Sitzung der philos.-philol. ülasse vom 1. Juni 1878.
Troia's ^ ) der Verfasser unserer Inschrift gefolgt ist, so lässt
sich auch das Datum dieser nicht mit Sicherheit bestimmen,
sondern schwankt zwischen 334 und 184 v. Chr. — Dass
Kassandra dem Agamemnon, dem sie bei der Vertheilung
der troischen Beute zugefallen , Zwillingssöhne , Teledamos
und Pelops mit Namen , geboren habe , ist als argivische
Ueberlieferung aus Paus. II, 16, 6 bekannt, aber mit dem
Zusätze, dass Aegisthos diese Zwillige im Kindesalter er-
mordet habe ; aus unserer Inschrift ergiebt sich , dass es
auch eine andere Tradition gab, nach welcher ein Sohn der
Kassandra das Geschlecht derselben fortgepflanzt haben
sollte: dass gerade eine zakynthische Familie sich der Ab-
stammung von Kassandra rühmt, hängt wohl mit der Ueber-
lieferung von einer Colonisation der Insel Zakynthos durch
peloponnesische Achäer (Thukyd. II, 66) zusammen.
Zu einem Weihgeschenke für einen leider nicht näher zu
bestimmenden Seesieg gehörte das Bruchstück einer in voreu-
klideischen Buchstaben geschriebenen Inschrift (Tfl. 26, 2) :
eoiov. vavi^axlcc': viKT^Gavteg: a[v€d^rj/,av : die Buchstaben
eoiov sind vielleicht ein Rest von artd IleXoTtovvrjGlojv ; über
den Namen der Sieger wage ich keine Vermuthung ^).
Als sonstige Dedicatoren finden wir, ausser den schon
Egger, der im Annexe B zu Karapanos' Werk p. 196 ss. über diese In-
schrift gehandelt hat, rechnet die yii^fcc nur zu 30 Jahren, kommt also
auf 900 Jahr und indem er als 'date classique' für die Einnahme Troia's
1270 V. Chr. annimmt, auf das Jahr 370 v. Chr., ein Ansatz der nach
meiner Ansicht etwa 100 Jahre zu früh ist.
1) Vgl. über dieselben C. Müller in den Fragraenta historicorum
Graecorum I, p. 571 s.
2) Nachträglich ersehe ich aus einer Mittheilung von A. R. Rfangabis)
in der athenischen Zeitschrift na(jvccffa6g T. II, Heft 5 S. 399 f., dass
das Berliner Museum einen angeblich aus Dodona stammenden Bronze-
streifen besitzt, welcher in denen unserer Inschrift genau entsprechenden
Buchstaben die Worte ^Adrivaloi ix TleXonov... enthält, also jedenfalls
den Anfang unserer Inschrift (welche R. auf den Seesieg bei Kekryphaleia
Ol. 80, 3 bezieht) bildet.
Bursian : Die ivissenschaftl. Ergebnisse d. Altsgrabungen i. Dodona 23
gelegentlich erwähnten (der Stadt der Lechoier, dem Rha-
psoden Terpsikles und dem Ophelion), die Tlaleig (Tfl. 24, 6),
d. i. die Bewohner der Stadt Pale auf Kephallenia (vgl.
meine Geographie von Griechenland Bd. II, S. 377), einen
Leukadier Philokleidas (Tfl. 23, 1) *), einen Athener Philinos
(Tfl. 24, 3) ; ferner folgende Männer, deren Heimath nicht
angegeben ist : Sotäros {^wraiqog Tfl. 23, 5, wohl abgekürzte
Form für ^ScoohaiQog) ; Dorobios, welcher das von Diopeithes
(JwTte^rjg) Gelobte darbringt (Tfl. 23, 6); Autagathidas
und Autokratidas , welche gemeinschaftlich dem Zeus eine
kleine Bronzeschale geweiht haben (Tfl. 24, 4) ; Bemäos, der
Sohn des Phylleus (Brji^ialog (DvlUog Tfl. 24, b^'f) ; Glaukon
(Tfl. 25, 3); endlich eine Dame, Polyxena, welche in der
Inschrift ihres Weihgeschenkes, eines Bronzespiegels (Tfl. 25, 1),
ausdrücklich bemerkt, dass sie auch Geld dargebracht habe ^).
Was endlich die Ausbeute an Erzeugnissen der plasti-
schen Kunst und des Kunsthandwerkes betrifft, so ist zu-
nächst zu bemerken, dass sich bei den Ausgrabungen gar
keine Bruchstücke von bemalten Vasen gefunden zu haben
scheinen : unter den abgebildeten Stücken haben wir neben
einer kleinen Herme des bärtigen Dionysos (Tfl. 61 n. 4)
und zwei hübschen Köpfchen von Statuetten aus Terracotta
(ebds. n. 7 und 9) nur eine Thonlampe mit einem Silens-
kopfe in Relief (ebds. n. 1) und einige Bruchstücke von
1) Die um den Hals einer Bronzevase herumlaufende Inschrift
4>1A0KAEJA0JAM0^1A0Y AEYKAJIOI/flNAlOl lese ich ^doxXt[i]-
<5«[f] 0 JccfÄO<fi^ov Aevxadios Je Nccuo.
2) Die Inschrift lautet: JloXv'^iycc TAVEN avtld-riii rw [ro<] Ji
xcci x(jiijfM,aTa. Karapanos , p. 45, fasst TALEN als tdye mit euphoni-
schem v, was mir einfach unmöglich scheint; er fügt selbst hinzu:
On pourrait pourtant y lire tayev pour rayiqy == xaxd StaTayrji',
comrae evxw pour xar' evxijp\ Ich fasse TayiP' als Neutrum Participii
Aoristi Passivi und ergänze dazu die Benennung des Weihgeschenkes
To xdtonxQov: Polyxena weiht dem Zeus (diesen Spiegel) als ein ihr
vorgeschriebenes (Weihgeschenk).
24 Sitzung der phüos.-pliilol. Classe vom L Juni 1878.
mit Relief verzierten Thongefässen (ebds. n. 3, 5 und 8)
bemerkt; im Text erwähnt Karapanos (p. 112) vier kleine
Lekythen von verschiedener Grösse von gewöhnlicher Arbeit,
zahlreiche Stücke gemeiner Thonwaare (de poterie ordiuaire)
und mehrere Fragmente von werthvolleren Stücken (de pieces
plus precieuses) , die aber so klein gewesen seien , dass es
ihm nicht gelungen sei, mehrere zu einem Gefäss von irgend
einer bestimmten Form zu vereinigen. Einen willkommenen
Ersatz für diesen Mangel geben die zahlreichen Bronze-
gefässe und Bro n zegeräthschaften, über deren Formen
und Bestimmung ich auf die sachkundigen Bemerkungen
des Herrn Leon Heuzey im Annexe C zu Karapanos' Werke
(p. 215 SS.) verweise. Auch auf die in künstlerischer Hin-
sicht noch weit werthvolleren Bronzestatuetten und
Brouzereliefs, welche auf den Tafeln IX — XX abge-
bildet sind, brauche ich nicht näher einzugehen, da sie von
einem so trefflichen Kenner wie J. de Witte im Annexe A
(p. 177 SS. des Werkes von Karapanos) in eingehender
Weise behandelt worden sind ; ich begnüge mich daher,
einige in Hinsicht des Stils oder des dargestellten Gegen-
standes besonders interessante Stücke kurz zu erwähnen.
Unter den Werken der acht archaischen Kunst sind hervor-
zuheben : die 20 Centim. hohe Statuette eines bärtigen
Satyrs mit Pferdefüssen und Pferdeschweif, welcher die
rechte Hand an die Hüfte legend, die liuke erhebend, den
Kopf etwas nach links neigend tanzt (Tfl. IX, schon früher
publicirt von de Witte in der Gazette archeologique 1877,
pl. 20). — 12 Centim. hohe Statuette einer Flötenspielerin,
die mit enganliegendem, die Oberarme und die Füsse bis
über die Knöchel herab bedeckendem, unter der Brust ge-
gürtetem Gewände bekleidet, mit vorgestreckten Händen
die Doppelflöte spielt : um den Mund trägt sie die im Nacken
unter den langhinabfallenden durch ein Band zusammenge-
haltenen Haaren gebundene, durch ein über den Scheitel
Bursian : Die wissenschaftl. Ergebnisse d. Ausgrabungen i. Dodona. 25
hinweggehendes Band befestigte Mundbinde (cpoQßela) ; über
ihre linke Schulter hängt an einem Bande das aus Holz
oder starkem Leder gearbeitete Flöten futteral (avßrjvrjy
avXodoxTj), wie wir dasselbe aus zahlreichen Darstellungen
auf Vasenbildern kenuen ») (Tfl. X, 1 und l^i^). — 12 Centira.
hohe Statuette einer im schnellen Lauf begriffenen, mit dem
linken Pusse vorschreitende Frau (Atalante), welche mit
einem bis zur Mitte der Schenkel reichenden, um die Taille
gegürteten engen Gewände bekleidet ist, dessen Zipfel sie
mit der linken Hand hält, während sie den rechten Arm
nach rückwärts ausstreckt (Tfl. XI, 1). — Kleines nur
6 Centim hohes Figur chen , welches einen hockenden ge-
flügelten Androsphinx darstellt (Tfl. XX, 1), ursprünglich
wohl Griff am Deckel eines Bronzegefässes. — Bronzerelief
(sehr zerstört) mit der Darstellung einer von vorn gesehenen
Quadriga, auf welcher zwei geharnischte Männer stehen:
rechts und links fliegt in der Höhe ein Vogel als Augurium
(Tfl. XIX, 1): die Darstellung erinnert deutlich an die der
3. Metope des ältesten selinuntischen Tempels (0. Benndorf,
Die Metopen von Selinunt, Berlin 1873, Tfl. III, S. 47 f.),
aber die Ausführung, besonders der Rosse, ist noch weit
primitiver und roher als dort. Einen fortgeschritteneren
Stil zeigen die Bruchstücke zweier ähnlicher Reliefs (Tfl. XIX,
n. 2 und 4) , welche ebenfalls Viergespanne von vorn ge-
sehen , von einer geflügelten Figur (Nike oder Eos) gelenkt,
darstellen; doch ist auch hier die Bildung der Rosse noch
ziemlich unvollkommen. — Einen leisen aber offenbar nicht
naiven , sondern erkünstelten Archaismus zeigt das Relief
einer nach unten abgerundeten, an den Rändern mit zahl-
reichen Löchern zum Aufnieten auf eine Unterlage ver-
sehenen Bronzeplatte, welche den bekanntlich so häufig in
1) S. Stephan! Compte-rendu de la commission imperiale archeo-
logique pour l'annee 1869 p. 221 ss.; dazu die Schale des Duris mit
Scenen des musischen Unterrichts: Archäolog. Zeitung 1873, Tfl. I.
26 Sitzung der phüos.-philol. Classe vom J. Juni 1878.
hieratisclier Manier behandelten Streit des Äpollon und
Herakles um den delphischen üreifuss darstellt (Tfl. XVI, 1).
Unter den Werken aus der Blüthezeit der Kunst nimmt in
stilistischer Hinsicht entschieden den ersten Rang ein das
17 Centim. hohe Backenstück von einem offenbar als Weih-
geschenk dargebrachten Helm, auf welchem der Zweikampf
zweier nur mit der Chlamys, die den grössten Theil des
Körpers unbedeckt lässt, bekleideter Jünglinge (Polydeukes
und Lynkeus nach de Witte) in Relief dargestellt ist (Tfl. XV).
Der Ausgang des Kampfes ist bereits entschieden, denn der
eine der beiden Kämpfer ist auf den Rücken niedergeworfen ;
er lässt den rechten Arm , dessen Hand noch den Schwert-
griff umklammert hält, ermattet sinken und macht nur mit
dem linken noch einen schwachen Versuch der Abwehr,
während er mit ängstlichem Blick zu dem Sieger empor-
schaut, der auf dem Haupte eine oben spitz zulaufende
Kappe, am linken Arme einen runden Schild tragend (der
rechte Arm ist abgebrochen), eben im Begriff ist, dem ge-
fallenen Gegner das rechte Knie auf die Brust zu setzen.
De Witte bemerkt ausdrücklich, dass die Abbildung, obgleich
mit der grössten Sorgfalt ausgeführt, nur eine unvollkommene
Vorstellung von der Modellirung der nackten Partien und
der Eleganz der Gewandung gebe und dass das Original in
künstlerischer Hinsicht den unter dem Namen der Bronzen
von Siris bekannten herrlichen Bronzereliefs des britischen
Museums vielleicht noch überlegen sei. Da der eigentliche
Fundort dieser zuerst im neapolitanischen Kunsthandel auf-
getauchten Bronzereliefs, welche die Schulterblätter eines
reichverzierten Panzers schmückten, unbekannt ist, so ist
wohl die Vermuthung nicht allzukühn, dass auch sie ur-
sprünglich aus dem dodonäischen Heiligthum stammen.
Dieselbe Vermuthung hege ich in Betreff einer Anzahl von
Bronzestatuen und des jetzt im britischen Museum befind-
lichen Bronzereliefs mit der Darstellung der Aphrodite und
des Anchises (Millingen Ancient uned. nion. ser. II, pl. XII),
Burbian : Die loissenschaftl. Ergehnisse d. Ausgrabungen i. Dodona. 27
welche zusammen im Jahre 1792 in Paramythia in Epirus
gefunden worden sein sollen *) : da die ungefähr 4 d. Meilen
südwestlich von der Stelle Dodona's gelegene Ortschaft
Paramythia durchaus keine antiken Reste aufzuweisen hat,
so ist die Annahme gewiss wahrscheinlich , dass ein Be-
wohner dieses Ortes bei heimlichen Nachforschungen auf
der Stätte des alten Heiligthums jene Kunstwerke entdeckt
und, um sein Geheimniss nicht zu verrathen, den wahren
Fundort verschwiegen hat.
Kehren wir noch für einen Moment zu den von Kara-
panos entdeckten und abgebildeten Bronzewerken zurück,
so erwähne ich zunächst noch wegen ihres Kunstwerthes
das Fragment eines Zeuskopfes mit grossartig-ernstem Aus-
druck (Tfl. XVII, 2), einen trefflich erhaltenen Frauenkopf,
wahrscheinlich Diona (ebds. n. 11) und die 10 Centira.
hohe Statuette einer mit langem, die linke Brust freilassen-
dem Chiton und unter der Brust gegürteter Nebris bekleideten
Mänade, die das rechte Knie gebogen, den Kopf mit ver-
störtem Gesichtsausdruck nach dem Boden gewendet hat
(Tfl. XIV, 1): offenbar ist sie in dem Moment dargestellt,
wo sie, im hastigen Lauf stürzend, das rechte Knie auf einen
erhöhten Gegenstand (der nicht erhalten ist) aufstemmt:
mit der abgebrochenen Rechten stützte sie wahrscheinlich
den Thyrsos auf den Boden, die halbgeschlossene Linke mag,
wie de V^itte vermuthet, eine Schlange gehalten haben. Mit
Rücksicht auf das Interesse des dargestellten Gegenstandes
hebe ich endlich noch hervor das Relief mit der Darstellung
der über den Meereswogen schwebenden, im linken Arme
ein Ruder haltenden Skylla, welche bis zu den Hüften als
jugendliches Weib gebildet, anstatt des Unterkörpers nach
vorn die Vorderkörper zweier bellender Hunde, nach hinten
zwei mit Schuppen und Flossen bedeckte mächtige Drachen-
schwänze hat (Tfl. XVIII, 1), und die bis auf das linke
1) Vgl. Stephani Apollon Boedromios (Petersburg 1860) S. 6.
28 Sitzung der p/ii1os.-philoL CUisse vom 1 Juni 1878.
Bein wohl erhalteue, in Hinsicht der Maske, des Costüms
und der Bewegung sehr charakteristisch ausgeführte Statuette
eines Schauspielers der alten Komödie (Tfl. XIII, 5): derselbe
trägt ein üntergewand mit bis zur Handwurzel reichenden,
vorn ausgefranzten Aermeln, ebensolche Hosen, welche bis
zu den mit derben Schuhen bedeckten Füssen herabreichen,
darüber ein ärmelloses , unter der Brust durch einen Leib-
gurt zusammengehaltenes Wamms von dickem Stoff, an welchem
der Phallos angebracht ist. Dem zornigen Ausdruck der
mit weiter Mundöffnung, hohem Haaraufsatz, mächtigen
gerunzelten Augenbrauen und tiefen Furchen auf der Stirn
versehenen Maske entsprechend , streckt er beide Hände
über den Kopf empor und erhebt den rechten Fuss, als ob
er Jemanden einen Fusstritt geben wollte.
An Marmorwerken haben die Ausgrabungen des Herrn
Karapanos nichts geliefert als eine 19 Centim. hohe weib-
liche Gewandstatue ohne Kopf, Arme und Füsse (Tfl. LXI, 2), und
ein kleines Bruchstück von einer anderen ebenfalls weiblichen
Statue : eine rechte Hand, welche eine Patera hält (ebds. n. 6),
und zwei nicht abgebildete Bruchstücke von Armen. Merk-
würdiger ist ein kleines (4 Centim. langes) ionisches Capital
aus Elfenbein, das etwa zum Schmuck eines Kastens gedient
haben mag (Tfl. L, n. 15). Von den 662 Münzen endlich,
welche Karapanos bei seinen Nachgrabungen gefunden hat,
hat er 52 Stück (2 Silbermünzen, 50 Kupfermünzen) auf
den beiden letzten Tafeln seines Atlas (Tfl. LXII f.) abbilden
lassen und im Text p. 116 ss. kurz erläutert, worauf
ich einfach verweise.
Ich schliesse mit dem Wunsche nach baldiger Fortsetzung
der Ausgrabungen, da der Boden der alten Orakelstätte
offenbar noch lange nicht erschöpft ist, sondern noch
manche für unsere Erkenntniss griechischen Lebens und
griechischer Kunst werthvolle Fundstücke liefern kann.
Herr Bursiaii trug ferner vor:
Ein ungedruckter Cento Vergilianus.
Der freundlichen Mittheilung des Herrn Professor Dr.
E. Dümmler in Halle verdanke ich die von Herrn Dr. A.
Mau in Rom angefertigte Abschrift eines hexametrischen
Gedichtes christlichen Inhaltes , welches seiner Form nach
zu der in der heidnischen wie christlichen Literatur des
vierten und fünften Jahrhunderts sehr beliebten Classe der
Centones Vergiliani *) gehört. Dasselbe findet sich in dem
von A. Reifferscheid in seiner Bibliotheca patrum latinorum
italica Bd. I (Wien 1865) S. 307 f. ausführlich beschriebenen
Cod. Vaticano — Palatinus N. 1753, wo es sich Pol. 69 — 70 v.
unmittelbar an den bekannten Cento Vergilianus der Proba
Faltonia ^) anschliesst. Unser Gedicht hat in seiner ganzen
Coraposition die grösste Aehnlichkeit mit dem zuerst von
Marlene und Durand (Collectio amplissima IX p. 125 ss.),
fälschlich unter dem Namen des Sedulius, herausgegebenen,
in Migne's Patrologiae cursus completus T. XIX, p. 773 ss.
und in A. Riese's Anthologia latina N. 719 wiederholten
Cento Vergilianus de verbi incarnatione : in beiden finden
sich mehrfach fehlerhafte Hiaten oder sonst unmetrische
1) Die neuere Literatur über diese ist zusammengestellt bei D.
Comparetti, Virgil im Mittelalter, aus dem Italienischen übersetzt von
H. Dütschke (Leipzig 1875) S. 50.
2) Vgl. über diesen jetzt A, Ebert, Geschichte der christlich-la-
teinischen Literatur von ihren Anfängen bis zum Zeitalter Karl des
Grossen (Leipzig 1874) S. 120 f.
30 Sitzung der philos.-philol. Classe vom 1. Juni 1878.
Verse, welche durch Ungeschicklichkeit oder Unachtsamkeit
des Centonisten beim Zusammenleimen der vergilischen Vers-
bruchstücke entstanden sind *) ; in beiden sehen wir gegen
die von Ausonius in der Praefatio zu seinem Cento nuptialis
(edyll. XITI) für die Anfertigung von Centonen aufgestellte
Regel 2) bisweilen zwei ganze Verse VergiFs in derselben
Ordnung, wie sie bei diesem sich finden, verwendet; in
beiden endlich ist der vom Verfasser beabsichtigte Sinn
und Zusammenhang manchmal ganz unklar und verworren.
Dass unser Gedicht am Ende unvollständig ist, ergiebt sich
auf den ersten Blick (die mit V. 125 unseres Gedichtes begin-
nende Seite Fol. 70 v. des Codex ist zum grössten Theile leer) :
fraglich aber ist es, ob diese UnvoUständigkeit dem Abschreiber,
beziehungsweise einer durch Zufall bewirkten Verstümmelung
seiner Vorlage, oder dem Verfertiger des Gedichtes selbst
zur Last fällt. Für die letztere Annahme scheint mir der
Umstand zu sprechen, dass unser Gedicht mit demselben
Worte (Omnipotens) schliesst , mit welchem der Cento
de incarnatione beginnt; da nun dieser auch seinem Inhalte
nach sich nicht unpassend an unser Gedicht anschliesst, so
möchte ich vermuthen, dass der Verfasser des letzteren jenen
Cento gekannt und den seinigen in der Absicht, eine Art
Vorspiel oder Einleitung zu jenem zu liefern, fabricirt hat.
Auch über den Namen dieses Fabrikanten möchte ich eine
Vermuthung aussprechen. In einer bekannten Stelle des
Isidorus (Orig. I, c, 39, 25 s.) wird nach Erwähnung des
Cento der *Proba uxor Adelphi' ein gewisser Pomponius
genannt, der 'ex eodem poeta (Vergilio) inter caetera
1) Vgl. in unserem Gedicht die Verse 34. 55. 74. 79. 89. 104.
112. 126.
2) 'Variis delocis sensibusque diuersis quaedara carminis structura
solidatur, in unum uersura ut coeant aut caesi duo aut unus et sequena
cum medio. Nam duos iunctim locare ineptum est, et tres una serie,
merae nugae'.
Bursian: Ein ungedruckter Cento Vergüianus. 31
styli sui otia T i t y r u m in Christi honorem composuit*. Dieser
Titel Tityr US passt vortrefflich für unser Gedicht, welches
in die Form eines Zwiegesprächs zwischem Meliboeus und
Tityrus eingekleidet ist, worin der letztere den ersteren
über die christlichen Heilswahrheiten belehrt. Ist diese
meine Vermuthung richtig, so ist dadurch auch ein Terminus
ante quem für die Abfassungszeit unseres Gedichtes gegeben :
es ist jedenfalls vor dem Beginn des 7., wahrscheinlich
noch in der ersten Hälfte des 6. Jahrhunderts unserer Zeit-
rechnung entstanden.
Ich lasse nun den Text unseres Cento mit den Nach-
weisungen der Stellen der vergilschen Gedichte (A=Aeneide,
E ^Eklogen, G = Georgica), aus denen die einzelnen Verse oder
Verstheile desselben entnommen sind, folgen : die von Vergil
abweichenden Worte sind cursiv gedruckt.
Versus ad gratiam domini. Inducit duas personas Meliboeum
et Tityr um.
Mel, Tityre, tu patulae recubans sub tegmine fagi, ^- ^' ^•
nescio qua praeter solitum dulcedine laetws, ^- ^' '^'2-
fortunate senex! hie iuter flumina nota ) r. t -o i ^rr r .
I hj. I, o2 s. -f- VI, 5 4"
et fontis sacros deductos dicere uersus j ^' ^•
5 et cantare pares diuino carmine, pastor, e. vii, 5+vi, 67.
formonsi pecoris custos, formonsior ipse. ^ ^' ^^•
TU, Non incerta cauo uatum praedicta priorum. ^- ^"^' 49+iv, 464.
An quicquam nobis tali sit munere maius? ^- ^' ^^•
0 Meliboee, deus haec nobis otia fecit ;
■ E. I, 6 8. +A. I, 65.
\
10 namque erit ille mihi semper deus atquej
hominum rex,
omnipotens genitor, rerum cui summa po- ^' ■^' ßß^ + x» loo-
testas ;
quem qui scire uelit, diuinum aspiret amorem. ^- "' i03+ a. viii, 373
V. 4 diductus coc2. 5pams?^ öpecori cod. 1 in margine cod. de pro-
phetis et Tyt [sie ubique)
32 Sitzung der philos,-philol. Glosse vom 1. Juni 1878.
Haud ignota loquor totumque sparsa per a. ii, 9i+i, 602.
orbem.
Ipsi laetitia uoces ad sidera iactant
15 intonsi montes, ipsae iam carmina rupes,
ipsa sonant arbusta; deum namque ireJ^-^'-^j^ E'^v'gX; ""^^
per omnes
terrasque tractusque maris caelumque pro-
fund um
nedubita, nam uera uides, qui foedere certo a. iii, sie+i, 62.
aeternis regit imperiis et temperat iras. a. i, 230+1, 57.
20 Ni faciat, maria ac terras nox incubat atra. a. i, 58+ i, 89.
Mel. Felix, qui potuit rerum cognoscere causas ! g. ii, 490.
Namque, fatebor enim, genus a quo principe a iv,20(cf.Catai.xi, in
nostrum
audierat Stimicon, laudauit carmina nobis. a. i, 20 + e. v. 55.
Sis felix! nam te maioribus ire per altuml^ j 33^^ im, 374 s
25 auspiciis manifesta fides pro laudibus istis.J + ^' ^^^
Tit, Accipe daque fidem ; neque est ignobile a.viii, 150+E. ix, 38.
Carmen :
maior agit deug atque opera ad maiora a. xii, 429.
remittit,
unus qui nobis cunctando restitu«7 rem, a. vi, 846.
ille operum custos , bominum rerumque g.iv, 215+A. xii,829.
repertor,
30 ^wo sine nil altum mens incboat, ipse uolutat G.iii,42+A.vi,i85(cf.
quae sint, quae fuerint, quae mox uentura g. iv, 393. '
trabantur.
His etenim signis atque haec exempla secuti
esse animas partem diuinae mentis et baustus
aetbereos dixere, quia sit diuinitus Ulis
35 ingenium, quamuis angusti termiuus aeui
IV, 219 SS. + I, 415
+ .IV, 206.
V. 20 incu.bat {meras.) cod. 21 in marg. cod. De doraino dicit.
23 stimi conlaudabit cod. 26 nee qui est cod. 82 in margine cod. De
hominibus dicit 33 austua cod.
Bursian: Ein ungedruckter Cento Vergüianus. 33
terrenique hebetant artus moribundaque a. vi, 732.
raembra.
At genus inmortale manet ; ne quaere doceri. g. iv, 208+ a. vi, eu.
Igneus est ollis uigor et caelestis origo, a. vi, 730.
et cum frigida mors animas eduxerit artus, a. iv, 335.
40 has omnis, ubi mille rotam uoluere per annos, a. vi, 743.
tempora dinumerans deus euocat agmine a. vi, 69i 4- vi, 749.
magno.
Reddunt se totidem facies terraeque de- a. ix, ]22+g. i, 479.
hiscunt ;
sed reuocare gradum superasque euadere ad a. vi, 128.
auras,
hoc uirtutis opus, terras temptare repostas, a. x, 469+111, 364.
45 sideream in sedem atque alto succedere caelo. a. x, s-j-g. iv, 227.
Mel. Tityre^ tamne aliquas ad caelum hinc ire
putandum est
sublimis animas iterumque ad tarda reuerti
Corpora ? nos alia ex aliis in fata uocamur ?
inmortalis ego? pertemptant gaudia pectus; ^- ^^^- 882-fi, 502.
50 si modo quod memoras factum contingere ^- ^^' 109+1, 418.
-possit !
Tit. Ne dubita nulla fati quod lege tenetur ; a. iii, 316+xii, 319.
crede deo, nam uerauides, sine posseparentem. ^•^' ^^^ + "i' ^le +
*Quam minime re* fato prudentia maior. ^- ^' ^^ß-
Mel. Credo equidem, nee uana fides: quis taliaj
demens l^. iv, 12 + iv, 107 s.
55 abnuat? et me uictusque uolensque remitto.)
Stultusegoparuiscomponeremagnasolebam; e* i» 21+1, 23.
A. VI, 719 ss. + in, 494.
38 in margine cod. De inferis dicit 44 in marg. cod. De superis
47 De resurrectione cod. in marg. 53 Quam minime refato {tum spa-
tium 4 circiter Uterarum in cod.) prudentia maior : fort, scrih. Quod mi-
t
nime reris ex Aen. VI, 97. 55 remito cod. 56 magno cod.
[1878 I. Philos.-philoL-hist. Cl. Bd. II. 1.] 3
34 Sitzung der phüos.-philol. Classe vom 1. Juni 1878,
nee mea iam mutata loco sententia cedit, a. ix, 220.
ünumoro: doceas iter et sacrahostiapaudas, a. vi, 106 + V1, 109.
quidue sequens tantos possim superare labores. a. iii, ses.
60 \_Tit.} Dicam equidem nee te suspensum, a. vi, 722.
nate, tenebo,
et quo quemque modo fugiasque ferasque a. iii, 459.
laborem.
Aude, hospes, eontempnere opes: uia prima a. viii, 364 +vi, 96.
salutis ;
in temer ata fides et mens sibi conscia rectil
. ,. « « Ja. II, 4 13 + 1,604 8. + XI,
praemia digna ferwnt ; freti pietate per ignemj '87.
65 inuenere uiam; reqnies ea certa laborum. a. vii, 297+111, 393.
Innitant croeeis halantes floribus horti g. iv, 109.
fortunatorum nemorum sedesque beatae a. vi, 639.
sempererunt; quorummelior sententia menti, e. v, 74 (?) + a. ii, 35.
Ms loeus urbis erit diuini gloria ruris. a. iii, 393 + G. i, les.
'^^ Nam qui diuitiis soli ineubuere repertis, a. vi, eio.
distulit in seram commissa piacula mortem, a. vi, 509.
ausi omnes inmane nefas auroque potiti, a. vi, 624.
urgenturpoenis; quam uellent aetbere in alto a. vi, 561 + vi, 436.
omnia, et superas caeli uenisse sub auras. g.i,318(?)+a.vii,768.
75 Mel. Quaetibi, quaetali reddamproearmine e. v, si.
dona?
Non opis est nostrae; nomen tollemus ad a. i, 60i+e. v, 51.
astra,
Tityre; discussaeumbrae et lux reddita menti. e. ix, 23+A. xii, 669.
Tit. Non haec humanis opibus, non arte magistra]
. , ., i . • . >A.XII, 427s. + E.IV,27.
proueniunt; quaesitpoteris cognoscereuirtus.l
57 caedit cod, 60 Tit. om. cod.; de bona conuersatione in saeculo
ne
in marg. (U quocumque cod. 62 contempore cot?. QQ De paradiso dicit
cod. in niary. — alantes cod. 70 de gehenna dicit cod. in marg. —
reperte cod. 77 Tyt antehunc uertum habet cod., omittit ante w. 78.
Bursian: Ein ungedruckter Cento Vergilianus. 35
80 Nirefugis, prima repetens ab originepergam. g. i, 177 +a. i, 372.
Mel. Tmmo ageeta prima die, hosp es, originenobis; a. i, 753.
accipio agnoscoque libens ut aerba parentis. a. viii, 155.
TU, Accipe: prisca fides facto, sed fama perennis. ^'i^ vi ^TssiVa 1x^79^
Nunc canere incipiam, quoniam conuenimus g. i, 5 + e. v, 1.
ambo
85 montibus in nostris ; referunt ad sidera ualles. e. v, 8+ vi, 84.
Magnus ab integro saeclorum nascitur ordo ; e. iv, 5.
maius opus moueo : laudes et facta parentis. a. vn, 45+E. iv, 26.
Nam neque erant astrorum ignes nee lucidusj
aetbra } a. iii, 535 s. -|- 1 v, 46i
siderea polus, et nox obscura tenebat. J *
90 Tum pateromnipotens rebus iamluce retectis g. ii, 325+A. ix, 46i.
aera dimouit tenebrosum et dispulit umbras. a. v, 839.
Principio caelum e^ terras solemque cadentem a. vi, 724 +iv, 480.
lucentemque globum lunae camposque li- a. vi, 725+724.
♦ quentes,
noctis iter, stellis numeros et nomina fecit; a. x, 162+G. i, 137.
95 inde bominum pecudumque genus uitaeque
uolantum
et quae marmoreo fert monstra sub aequore ^' ^' '^® "'
pontus ;
et medium luci atque umbris iam diuidit g. i, 209.
orbem
temporibusque parem diuersis quattuor g. i, 258.
annum.
Nee torpere graui passus sua regna ueterno g. i, 124.
löO mouit agros curis aeuens mortalia corda, g. i, 123.
ut uarias usus meditando extunderet artes. g. i, 133.
83 facta cod. STmaris cod. 88 aether cod. 90 De deo dicit cod.
in marg. — luce rectis cod. 92 De principio dicit cod. in marg.
95 unde cod.
3*
36 Sitzung der philos.-philol Classe vom 1. Juni 1878,
Nec genus indocile ac dispersum montibusj
altis fA. VIII, 321 s.+I, 622.
composuit legemque dedit, dicione tenebat.l
Hinc populum late regem aeuoqne superbunil
105 uenturum excidio docuit post exitus ingensj
uictor ab Aurorae populis et littore riibro. a viii, 686.
Tnwc iiictu reuocant uires caelestia dona, a. i, 214+G. iv, 1.
deterior donec paulatim ac decolor aetas^
et belli rabies et amor successit habendi.]^* ^"^' ^^^ *
110 Regnorum inmemores turpique cupidine a. iv, 194.
cap^* ;
ixmc uariae inludiint pestes, malus abstulit g. i, i8i + e. viii, 41.
error
Aegyptum uiresque Orientis, miranda ui- a. viii, es? 4-1, 494.
dentur
omnigenumque deum monstra et latrator a. viii, 698.
Anubis.
Quid delubra iuuant simulacraque luce a. iv, 66 +g. iv, 472.
carentum ?
115 Non tali auxilio nec defensoribus istis 1
tempus eget; cum uestra dies uoluentibusfA. 11, 521 s. + xi, 687
annis f
uerba redarguerit , poena commissa luetis. a. xi, 688+1, i36.
Quinpotiuspacemaeternam^^jettantimuneris* a. iv, 99 + ?
cuncti obtestemur? haec ara tuebitur omnis. a. xi, 358-fii, 523.
120 His actis aliud genitor secum ipse uolutat, a. xii, 843.
quo uitam dedit aeternam, quo mortis ademptal
est I A. XII, 879 s. + V, 727.
condicio, et caelo tandem miseratus ab alto est.'
Respicit humanos pietas antiqua labores a. v, 689+688.
V. 102 fort, scr, Hinc. 113 monstrat et coc?. IIS post muneris spatium
trium quattuorue litterarum in cod. , tum sequitur cuncti. 1 19 «tue-
l>imur cod.
Bursian: Ein ungedruckter Cento Vergilianus. 37
exitiis positura modum ; responsa dabunturlA.vii, 129+11, 376s. +
125 iida satis; maniiesta ndes secreta parentisj 299.
Ipse haec — manifesta fides — celeris man- a. iv, 270.
data per auras
interpres *moDitum spirantumque adfore a. iv, 378 + ? + a. x,
werhis
seraque terrifici cecinerunt omina uates ; a. v, 524.
namque fore inlustrem dictis factisque a. vii, 79.
canebant.
130 0 quam te memorem, uirgo? cui mentem a. i, 327+ vi, 11.
aniraumque
semine ab aetherio saperis concessit ab oris a. vii, 281 + 11, 91.
omnipotens. a. x, eis.
128 omnia co<?. 129 canebat coc!. 130 de maria dicit cod. in marg.
Herr T r u m p p hielt einen Vortrag :
Der Taufritus der äthiopischen Kirche.
Derselbe wird in den „Abhandlungen" veröffentlicht werden.
Historische Classe.
Sitzung vom 1. Juni 1878.
Herr Preger hielt einen Vortrag: :
Der Tractat des David von Augsburg über die Waldesier.
Derselbe wird in den „Abhandlungen" veröffentlicht werden.
Sitzung vom 6. Juli.
Herr Trumpp legte vor:
„Die Rubä'is des Abu Sa*^id bin Abulkliair^)
(Zweite Sammlung) von Prof. Dr. Hermann Ethe."
31) Khulä9. Wälih. Ind. Off. 2415 u. 1265. Ell. 292.
1) Im Anschluss an die 30 von mir in diesen Blättern vor drei Jahren
(Sitzungsberichte, philosophisch-philologische Classe, 1875 pg. 145 — 168)
publicirten Vierzeilen des Altmeisters des persischen Rubä'I, Abu Sa'id
bin Abulkhair {-j- 440), erlaube ich mir hier eine neue Sammlung, 62
weitere Gedichte desselben Verfassers enthaltend, in Text und metrischer
Uebersetzung zu veröffentlichen. Die Quellen derselben sind ausser den-
selben neun Originalwerken, welche den Stoff zu der ersten Sammlung
geliefert (siehe die Anmerkung am oben angegebenen Orte) , drei neue
Handschriften, nämlich die Tadhkirah des Yusuf 'Allkhän, vollendet 1184
(Cod. Sprenger 337, siehe Sprenger's Cat. Oudh. p. 192), eine persische
Anthologie der Münchener Hof- und Staatsbibliothek (Cod. pers. 6 f.
48 a) und eine ähnliche der India Office Library zu London (Nr. 1265).
2) Wälih : ^\^ vLü .
3) Wälih, 1265 und 2415 : v:iojo0\ .
4) 2415 : ou^fcXCsJ . Ell. 292:
EtM: Die BubäHs des Abu Sa'id hin Äbulhhair. 39
Uebersetzung:
„Die Hand , die oft mit deinen Locken den Krieg geführt
voll Lustbehagen,
Das Aiig', das oft im Anschaun deiner den Rost vom Herzen
fortgetragen,
Seit du geschieden, hat das eine in Blut getaucht mein ganz
Gesicht mir,
Seit du geschieden, hat die andre mit Steinen mir die Brust
zerschlagen."
32) Makhz. Wälih. Ell. 292. Ind. Off. 1265.
uebersetzung:
„Zu dem Antlitz dort, Brahmane, das wie Tulpen ganz, —
doch bete!
Zu des vierzehnjährigen Liebchens holdem Wangenkranz
doch bete !
Ist kein Auge dir beschieden, das die Gottheit schaut, für-
wahr denn
Lieber als zum Kalb zu beten, zu der Sonne Glanz doch
bete!"
33) Makhz. Sprenger 337. Cod. pers. 6. Ind. Off. 1265.
tu
40 Sitzung der phüos.-phüol. Glasse vom 6. Juli 1878.
Uebersetzung:
„0 Gott, wenn icli um Hülfe rufe, zu mir Verlassenem komm
geschwind.
Genug, wenn deine Huld und Güte mir Armem treu ver-
bündet sind!
Wohl jeder kann sich eines Freundes, sich eines hohen
Gönners rühmen.
Doch einzig dich allein, o Hoher, hab' ich verwaistes Men-
schenkind!"
34) Makhz. Walih. Ind. Off. 1265. Ell. 292 u. 294.
Uebersetzung:
„Man schenkt Jedwedem eine Seele in deinem Hage, suche
nur!
Nur eine Seele? nein, von Seelen ein ganz Gelage"^), suche
nur!
Die ganze Welt wiegt's auf, ein Korn nur von deinen
Reizen zu geniessen^),
Drum eine Welt, gefüllt mit Leuten von u n s r e m Schlage,
suche nur!''
5) jEll. 292: J^ &ä. IoLs. .
6) Ell. 292: C>y^ ^L^ ^ys^ UjLo yS \l .
7) Wörtlich: „eine Karawane."
8) Nach Ell. 292 lautet dieser Yers:
„Ein Kömchen nur von dir, o Liebchen, wiegt schier an
Werth auf eine Seele."
EtM: Die BubdHs des Abu SaHd hin ÄhulJchair, 41
35) Makhz. Walih. Ind. Off. 1265. Ell. 294.
^Ui icU^ ^ )L^ ^yJ yi L ^^Ä.
'^Ls? ä1»^ ^ )L»3 f*^ y ^ ^y=>.
üebersetzung:
„Seit dein Antlitz ich gesehen, Leuchte du, taräzentsprossen,
Blieb dem Fasten, dem Gebet ich, jeder Thätigkeit ver-
schlossen ;
Bist d u bei mir, ganz dann löst sich in Gebet mir die Ver-
zückung —
Bist d u fern, bleibt all mein Beten in Verzückung ganz
zerflossen!"
36) Ind. Off. 2415. Ell. 294. Cod. pers. 6.
u^ ^Ipb l^ y ^^^') r;^^
'lA?^ ;y=^ ;'^ ^^ (5^^ ^r=^ ;y=^ ;^ y^
üebersetzung:
„Ach, ich sündigte viel öfter, als der Regen Tropfen zählt,
Und ich sank gebeugten Hauptes nieder drum, — von Schaam
gequält ;
9) Ell. 294 und Wälih : J »JuO.
10) Ell. 294: ^.
11) 2415 u. Cod. pers. 6: \\ }sj^ ,
12) Ell. 294: r» y?-)^ .
42 Sitzung der philos.-philol. Classe vom 6. Juli 1878.
Da von oben riefs: gemach doch, Derwisch! ganz nach
eig'nem Gusto
Handle ich ja selbst und diesen Grundsatz hast du auch
erwählt."
37) Ell. 294. Ind. Off. 1265.
I^^mJ^ yXii^ S4> 5UO /-A*aJ (^jf Jo
Uebersetzung:
„Ach so oft und viel mein Herz auch in der Liebe Buch
studirt,
Stets der Liebe Sonn' entstrahlte deine Wange, reizgeziert;
Drum so lang' auf Schönheit Schönheit häuft dein Antlitz
— ist's auch einzig
Lieb' und immer neue Liebe, die mein krankes Herz gebiert."
38) Ell. 294.
o.Awl \J^y^ ^^rtyri ^ (•tXi* v^ y^ ^'^
Uebersetzung:
„Dein Pfad ist, ob man ihn auch walle in dem, — in jenem
Gleise, schön!
13) 1265: (^Xwx ^.Ä. s4> «s ^-^ ^,^^ (0^5) y^ '
14) 1265: »Juv^.
Ethe: Die Bubais des Abu Said bin AbuTkhair. 43
Dein Huldgenuss ist, ob erstrebt auch in mannichfachster
Weise, schön !
Von gleicher Schönheit ist dein Antlitz, mit welchem Auge
man dich schaue,
Dein Lobpreis ist, in welcher Sprache man immer auch dich
preise, schön !**
39) Cod. pers. 6.
jV^^nÄ. y l^rh'^ (•'-^ A*-^ U*^ )'
üebersetzung:
„Vor Zeitengram sind wir geborgen — und wohlgemuth
sind wir;
Uns quält kein Abendbrot am Morgen, und wohlgemuth
sind wir.
Wir brauchen, liefert uns die Küche nur stets gekochte
Trauben,
Durchaus für rohe nicht zu sorgen — und wohlgemuth
sind wir !'*
40) Cod. pers. 6. Sprenger 337.
JüJ so ^O lyo Joyot 2üL^ L
44 Sitzung der philos.-philol. Classe vom 6. Juli 1878.
Ueb ersetzung:
„Du mein Gott voll hehrer Grösse, du mein Weltenschöpf-
ungshort,
0 wie lang' von Thür zu Thür noch soll ich gehn — von
Ort zu Ort?
Schliess mein Hoffnuugshaus für immer oder ziehe von der
Truhe
Meines angstvoll ernsten Strebens endlich nun den Riegel
fort!"
41) Makhz. Ind. Off. 1265.
yiÜ ^V^ \J^*^ ^^4^0 W ^i>-8-^ tX^5^^
üebersetzung:
„Fahnd' auf Herzen, willst von Gott du, dass vertraut er
mit dir spricht,
Gutes rede von den Leuten, ob sie's hören just, ob nicht!
Willst du wahrhaft sein und truglos gleich dem ächten Licht
des Morgens,
Zeige nach der Sonne Weise allen stets ein gleich Gesicht."
42) Khuläg. Ell. 294.
15) Ell. 294: jU^y:i^JUJö vÄi ^ jüjU L.
16) Ell. 294: 5^ Jül .
17) Ell. 294; Q.
Ethe: Die Rubais des Abu SaHd bin Abulkhair. 45
lieber Setzung:
,,Dir dank' ich's, dass um mich nicht länger ein trauter
Freundeskreis sich schaart,
Durch dich bin ich mit Schmerz und Trübsal, durch dich
mit Gramesleid gepaart;
Das ist die höchste Günstlingsstufe an deinem Thor, doch
wissen möcht' ich,
Zu welcher Art von Dienst denn hast du mich umgewan-
delt solcher Art?''
43) Ell. 294. Ind. Off. 1265.
v:>.iw5^ «j i^y^ y.c> |vJt> Lyo 4>L vi
oL i\J ^ ^na5> J^JJ\ ^JySU^)
Uebersetzung:
„Als kaum es deinen Duft gespürt, der mit dem Ostwind
hergeflogen,
Hat mir Valet gesagt mein Herz, ist dich zu suchen aus-
gezogen ;
Vergessen hat es längst nun schon den Leib, der einst ihm
Wohnstatt war.
Es hat zugleich mit deinem Duft dein ganzes Wesen ein-
gesogen."
44) Cod. pers. 6.
[vJjLftXXJ 4>*M^ «OuuiV sLiiV V«3s Ü
18) Ind. 1265: oL O^t ^ 2ülww^ ^\ (J^^'
46 Sitzung der philos.-phüol. Classe vom 6. Juli 1878.
^jLüN s»>xft (JLß) f>^<y^ iS*^^
üebersetzung:
„Herr, zerstört hat meiner Sünden Schmach mir meine Le-
bensbahn,
Schaam erregt mir all das Böse, das gesagt ich und gethan;
0 aus jener Welt lass strömen einen Hulderguss in's Herz mir,
Dass vom Herzen weggetilgt mir werde jeder nicht'ge Wahn!"
45) Ell. 294. Cod. pers. 6.
iSjQ
^ .J
^yt^ yi VCl^lJ C>.^^ \Ö (^f
fc^i> y^ ^ \sm4 y («J'-X.**' y^ v:>-Lfc
»tXj • ^ÜLuO (jio«-Ä. I^^^QJL^ yS "^y L>
üebersetzung:
,0 du, in dessen Wesens Deutung die Denkkraft Gross und
Klein versiegt,
Dess Vorhofdienst an Werth unendlich die beiden Welten
überwiegt.
Die Krankheit nimmst von uns hinweg du und giebst dafür
uns Heilungsmittel,
0 nimm und gieb nur, Herr, wie's immer in deinem Huld-
ermessen liegt."
46) Ell. 294.
jjfjJ»' Y^^y^ *ääLo\ ^\ L)
^Ö>^ wAM }iX^yiM ^^yjO V^Laam!
Ethe : Die Rubais des Abu Sa^td hin AbulJchair. 47
lieber Setzung:
„Selbstzufriedenen Sinnes Schätze, Gott, gieb in die Hände
du mir!
In mein Herz das Licht der sich'ren Ueberzeugung sende
du mir !
Führe, ohne Staubgebor'nen mich zum Danke zu verpflichten,
Was ich heisser Tollkopf treibe, all zum guten Ende du mir!''
47) Ell. 292.
Uebersetzung:
„Uns ist kein Herz beschieden, drin Freud' und Frohsinn
schalten,
Und nie kann laut Ergötzen in unser m Umkreis walten;
Muss jede Erdenlust doch, die uns sich zugewendet,
An unsres Gaues Grenzen zu Gram sich umgestalten."
48) Khulä9. Makhz. Walih. Ell. 292. Ind Off. 1265.
^b ^U. y üf 1^ ^Jo ;i)bi9)
19) Makhz., Wälih und 1265: J\ \j anstatt ;t)b .
4:8 Sitzung der philos.-philol. Glasse vom 6. Juli 1878.
üeberse tzung:
,,0b rings du im Bazar des Herzens, das Seele erst durch
dich empfangen,
Das Lieb' auch bist, nach dem sie alle so offen wie geheim
verlangen.
Mir bangt vor einem doch — du könntest durch Herzbe-
drückung ganz das Herz mir
In Blut verkehren, und du selber — du bliebest mitten
drin gefangen!''
49) Ell. 292.
(JW.Jß \ \S^yMJ iUwO ^yM^ ^ *.J
Uebersetzung':
„So lange sich von ird'schen Banden nicht gänzlich frei
die Herzen ringen,
Wird auch in unsres Daseins Muschel die wahre Perle
nimmer dringen.
Es füllt durch irdische Begierde des Kopfes Becher nie mit
Wein sich;
Du stellst ja auf den Kopf den Becher, wie kannst du
ihn zum Vollsein bringen?"
50) Cod. pers. 6.
v::a.4Ww4j ^yj^^ *^^^-6^ V^'^^ V) ^
Ethe: Die BuhäHs des Abu SaHd bin ÄbuWiair. 49
Ueber setzung:
„Sende, Gott, des Lebens Nahrung allen, die da Leben Laben,
Send' uns von der Güte Tafel mannichfacbe Liebesgaben;
Sende um der durst'gen Lippen all der Pflanzenkinder willen
Milch des Regens aus der Wolke Brust, dass sie sich froh
dran laben!"
51) Ell. 292. Ind. OiF. 1265.
iüLcwlvl ^üoLsi J«^ ysdJd JS
U ebersetzung:
„Wozu in Staub dein Antlitz neigen, wenn doch dein Herz
voll Unverstand?
Wenn Gift dir schon in's Herz gedrungen, was frommt's,
ob Gegengift zur Hand?
Ob du mit Kleidern noch so sehr auch dir aufgeputzt den
äusseren Menschen,
Wenn doch voll Schmutz das Herz da drinnen , was nützt
dir da ein rein Gewand ?"
52) Ell. 294.
20) 1265: c>-uOw5".
[1878. I. Philos.-phil.-hist.CL Bd. II. 1.]
50 Sitzung der pliilos-phüol Classe vom 6. Juli 1878.
Ue bersetzung:
„Einen Huldblick schenke, Herr, mir, — bin im Kopf
ganz wirbeltoll !
Bin gebrochen, irr ! — o gönne mir der Güte kärgsten Zoll !
Thu mit mir nicht, wie ich selber es verdient — o nein!
dein Handeln
Sei, ein Ausfluss deiner Güte, gnadenreich und hochsinnsvoll !"
53) Cod. pers. 6.
^ J4> (^^7^ U'^ jV^^tXJ Ji> .yi
^ Jt> ^\y^ ^^Xj ^d^ J4> yi
lieber setzun g:
,, Füllt dein Ringelhaar auch ewig mir das Herz mit Weh
und Ach,
Löst doch stets dein Mundrubin mir all mein Herzensun-
gemach !
Dir zu Liebe schenk' ich nimmer einem Andren drum
mein Herz auch,
Mir zu Liebe hängt das deine keinem Andren jemals nach!''
54) Ell. 294.
v:>Kwf slw^.;^ ItX^ o ^ <:^^ö^ \ ^y^^
Ethe: Die Rubd%s des Abu SaHd bin Äbulkhair. 51
U e b e r s e t z u n g :
„Wer gelöst als Eingeweihter der Erkenntniss tiefste Fragen,
Hat, zu Gott gesellt, für immer sich des eig'nen Seins
entschlagen ;
Drum denn — Gottes Sein bejahe, und dein eigen Selbst
negire !
Das allein ja will die Phrase: „Ausser Gott kein Gott!"
besagen.'*
55) Ell. 292.
^b Ä4^ (5^ y^ Oyj xj!^ it^jö ^ y
lieber Setzung:
„Ich weilte bei dem Götzen gestern , der voll von sanftem
Mitleidsdrang,
Er übte nichts als Schelmereien, und ich, ich flehte zärtlich
bang ;
Die Nacht verstrich, und unser Plaudern war noch zum
Ende nicht gekommen,
Ist drob die kurze Nacht zu tadeln ? o nein ! wir plauderten
zu lang !"
56) Makhz.
O^AA^id
> jj> (j^ y ai^ jvA^ (ji y wX£^Li
21) Im Text steht: (ji/««^ « statt • iß^^i^ •
4*
52 Sitzung der philos.-philol Classe vom 6. Juli 1878.
Uebersetzung:
„Mehr und mehr hat stets dein Herz sich trotzig von mir
abgekehrt,
Leer von mir nun ist's, dess Ernte längst vom Feuer schon
verzehrt ;
Doch wenn Wort mir hält das Leben, will von dir mein
eigen Herz ich
Mehr noch leeren, als du selber schon von mir dein Herz
geleert."
57) Ell. 292. Ind. Off. 1265.
^^^>^*l cXJjJ v,^Lä.\ p»^a«I
Uebersetzung:
„Wohl möglich wär's, dass selbst die Wangen des Sheichs
vom Weine Feuer fingen,
Ich könnte mit dem Haufen Stunden wohl in der Ka'^ba
selbst verbringen ;
Ja denkbar war' es, zum Bekenntniss des Islam Franken
gar zu zwingen,
Doch ganz und völlig dich zu fassen, nur das allein wird
nie gelingen!"
58) Ell. 294.
22) Ell. 292 hat gegen das Metrum, aber treffend dem Sinne nach
Ethe\ Die Bubais des Abu Said bin Abulkhair. 53
O^AJ yi^ *Jö ».f iuX'J (jXo ^^Jh} yj
Sj J"b (j^Ä. st>^ 60 S ^Ä. St>^5'b
Uebersetzung :
„Wenn Gutes du nocli nie gethan, wenn stets du Schleclites
nur ersonnen,
Und wähnst , du seist gerettet nun , du seiest allem frei
entronnen,
0 bau auf Gottes Huld dann nicht — denn nimmer wird
zu Nichts Vollbrachtes,
Und nimmer zu Vollbrachtem wird, was du noch nie zu
thun begonnen !"^^)
59) Ind. Off. 1265 und 2415.
23) Dies rubä'i ist augenscheinlich eine Antwort auf eine von
Avicenna's persischen Vierzeilen, die ich in den „Nachrichten der Göt-
tinger Akademie", 1875 ns. 21 p. 555 ff. veröffentlicht habe, und zwar
auf die erste dort gegebene:
„Wir haben nun durch Gottes Huld den Stand der Heiligen gewonnen,
Dem Guten sind, dem Bösen wir, das uns in Banden hielt, entronnen;
Denn da, wo deine Gnade wirkt, vergeht in nichts, was wir vollbrachten;
Und dennoch zum Vollbrachten wird, was wir noch nie za thun begonnen."
Unser Dichter hat absichtlich denselben Reim beibehalten, den
Avicenna gebraucht, und das ist auch in der Uebersetzung nachgeahmt
worden.
24) 1265 : Lxfc .
54 Sitzung der phüos.-philol. Glasse vom 6. Juli 1878.
üebersetzung:
„Weh, dass man in diesem Zeitlanf, voll von Schmerzen,
voll von Harm,
Ach, dass man in diesem Kreislauf, nie an Gram und
Kummer arm.
Jeden Tag von einem Freund sich trennen muss, und jede
Stunde
Ew'ges Lebewohl muss sagen einem Bruder treu und warm!"
60) Cod. pers. 6.
^LuhX^ U.J wdlaJ \ö J> ^yrt
üebersetzung:
„0 du, der alles führt zum Glück, o du, der gänzlich ohne
Gleichen,
Kein Einz'ger herrscht mit solchem Glanz wie du in
solchen weiten Reichen!
Verschlossen sind die Pforten all, in Schlummer liegt die
ganze Welt,
Nun öffne deiner Güte Thor, lass heimlich, Herr, zu dir
mich schleichen!"
25) 2415: öS statt Jo;> .
Ethe: Die Bubais des Abu SaHd bin Abulkhair. 55
61) Ell. 292.
üebersetzung:
„Noch nie war ich von dir getrennt, seit ich von dir mein
Sein empfangen,
Das zeigt mir, welch beglückt Gestirn auf meinem Pfad mir
aufgegangen !
Dein eig'nes Wesen hüllt mich ein, muss ich im Nicht-
sein trostlos bangen,
Aus deinem Lichte strahl' ich auf, lässt du in's Dasein
mich gelangen!"
62) Cod. pers. 6.
üebersetzung:
,,Mein geheimstes Sinnen fiüstr' ich stets beim Frühlicht
dir in's Ohr,
Leg' in deiner Hofburg immer meines Flehens Bittschrift
vor;
Knechten unverpflichtet führe du, der Knechte selbst empor
Huldvoll zieht, mein Werk für mich aus, der ich ganz
den Kopf verlor!'^
56 Sitzung der phüos.-philol. Glosse vom 6. Juli 1878.
63) Ell. 294.
;JtXxio ^xA:?d.j>t « JLä. ^t♦;ö ,>j| L
Uebersetzung:
„Es fiel durch dich mein Herz zur Beute dem Schmerzeus-
drange — frage nicht!
Mein Herz ward um der Seele willen so eng' und bange
— frage nicht!
Und dennoch hat zu dir die Liebe trotz aller meiner Her-
zensenge
In meinem Herzen Platz gegriffen ach schon so lange —
frage nicht!"
64) Ell. 294.
Uebersetzung:
„Gramerfüllt um dich im Herzen hundert Kümmernisse
trag' ich —
Fern von deinem Mundrubine stets mich nur mit Schmerzen
plag' ich; —
Ueberdrüssig dieses Lebens bin ich ganz, ich armer Fremd-
ling,
In des Nichtseins Gau allein nur ew'ger Ruhe Ziel erjag' ich!"
Ethe: Die Bubd'is des Abu SaHd bin Äbulkhair. 57
65) Cod. pers. 6.
üebersetzung:
,,Es sei dem Riswän Glanz beschieden, es sei den Engeln
Preis und Heil!
In's Paradies geh' ein der Gute — zum Höllenpfuhl der
Böse eil' !
Es sei den Königen und Kaisern, den Fürsten all die Erde
feil!
Nur werde meine Seel' dem Liebchen und mir das Lieb-
chen selbst zu theil!'^
66) Ell. 294.
jvaXj <:^,y O^io ^>ös r^-o vi
jvlxi «wO*.;:^ • v:>.av.:^ I^«^^ i^Xx^c V«
^JXJJ (V^^io ^L> vi ^ r^OJ^ ^
jv^Xi <^rt)))^ *^ jvjly^ ^1
üebersetzung:
„Ich will aus Furcht vor dem Rivalen nicht länger deinen
Gau Umschweifen,
Dem Seh mahn der Leute zu entgehen, auf deiner Spur nicht
länger streifen;
Die Lippe schliess' ich, niedersitz' ich — doch nimmer
kann ich der Begierde
Nach dir es wehren, stets auf's neue mit Sehnsuchtsdrang
mich zu ergreifen/'
58 Sitzung der phüos.-philol. Olasse vom 6. Juli 1878,
67) Ell. 292.
Uebersetzung:
„0 Kibla aller, die beglückt in deinem Gau geborgen,
Die Herzen aller schaun zu dir, die kühn entsagt den
ird'schen Sorgen!
Mit welchem Antlitz aber schaut, wer heut von dir hie-
nieden
Sein Antlitz kehrt, da droben wohl dein eig'nes Antlitz
morgen?"
68) Wälih. Ind. Off. 1265.
^:>.A*o\ <XjLj (^4^ (*-^rf (5^ y (3"«^^ ^^
o.-wfc-^\ I^J-^Äuft ^^^1 4XJL4J (^)-'^ rX^ y
uebersetzung:
„Ganz zur Thräne ward mein Auge — ausgeweint nun
ist's und leer ;
Blind muss ich hinfort geniessen deiner Liebe Huldverkehr ;
Wozu frommt solch Lieben? Spuren giebt von mir es nir-
gends mehr;
Leiden ganz nur muss ich Liebe — wer denn wirkt und
übt sie — wer?''
Ethe: Die BuhdHs des Abu Said hin Äbulkhair. 59
69) Ell. 294.
cA*-^ (J^^ ^f^ (5V ^'^>^ )'^
2U s^ >7^^=*> *c>.AvJ JLo* iXyol
*(jiUA5" ,j^^ i^-v^ ^i)jö ^ ^ y
Uebersetzung:
„Deine Wohnstatt ist mein Herz nun — tränken würd'
ich's sonst mit Blut;
Du nur füllst mein Auge — füllen würd' ich's sonst mit
Thränenfluth!
Dir in Liebe sich zu einen hofft allein noch meine Seele;
Aus dem Leib mit tausend Listen riss' ich sonst sie wohi-
gemuth !''
70) Ell. 292.
•Ufi iUj^jO Ö\Ö Ä^ d^.y (3^Lft
Uebersetzung:
„Es spricht der Fürst: „mein Schatz allein nur ist Kapital,
das Zinsen trägt;"
Der Qüfi spricht: „die Kutte ist es, die hären um den Leib
sich legt;"
Verliebte sprechen: „nein! der Gram ist's, der täglich neu
in uns sich regt;"
Doch was es wirklich ist, weiss ich nur : was tief mein In-
nerstes bewegt."
60 Sitzung der philos.-philol. Classe vom 6. Juli 1878.
71) Cod. pers. 6.
lyOx ^JsjI üJuyJ (3-Lä. O*.^ ^
üebersetzung:
„Um deine Klause, Freund, den Umlauf, den heil'gen, halten
möclit' ich wohl !
Auf dein«^r Schwelle meine Lippen zum Kusse falten möcht'
ich wohl!
Zum Dank den Leuten mich verpflichten, das möcht' ich
nicht, doch Wegkost haben
Aus jenem Schatz, den deine Hände allein verwalten, möcht'
ich wohl!"
72) Ell. 292.
'^7^ u>; )^ ;r' *;'^ ;-^ <>-^-*i;^^
Üebersetzung :
,,Dir allein hat ihrer Schönheit Strahl die Ros' im Hain
entführt,
Seinen Glanz des Herzens Spiegel deiuer Wang' allein ent-
führt.
26) Der Text hat ein unpassendes . vor ^t>
Ethe: Die RubäHs des Abu Said bin Abulkhair. 61
Durch das Fenster jedes Hauses, drin dein Antlitz aufge-
leuchtet,
Hat's als winzig Stäubchen Lichtes all der Sonne Schein
entführt."
73) Cod. pers. 6.
^y^ uy-^^ ^"^ y u'-Cr^ l*-^ ;^ v5^
Uebersetzung:
,,In deines Haares Schlägelkrümmung ist ganz dem Ball
mein Herz vergleichbar;
Kein Haarbreit weicht von deines Wunsches Geheiss es ab,
das unausweichbar !
Mein Aeuss'res hab' ich rein gewaschen, das ganz in meine
Hand gegeben;
0 wasche du nun rein mein Inn'res, das deiner Hand allein
erreichbar."
74) Ell 294.
Uebersetzung:
„Wenn ihn nur mit Schelmenblicken erst dein Aug' be-
rückt aufs Neue,
Glaub', dass deinem Kranken leicht dann Liebesschmachten
• glückt auf's Neue!
62 Sitzung der phüos.-philol. Classe vom 6. Juli 1878.
Wirft auch auf den Eingeweihten einen Strahl nur deine
Schönheit,
Dem Alltäglichen entsagt er flugs und ist verzückt aufs
Neue !"
75) Cod. pers. 6.
jjLa«^ ^L ^L I^XI ^ ^j^ l^^l
Uebersetzung:
„Lass mich, Herr, den Freund doch finden, der in Ein-
tracht mit mir wallt.
Hilf, dass zu dem Gleichgestimmten meines Herzens Stimme
schallt !
Eine ihm mich wieder , gieb mich i h m zurück , um des-
sentwillen,
Seit er schied, von Gramesseufzern all' mein Inn'res wie-
derhallt/'
76) Ell. 294.
vil^ xiaÄJ i^y^ ^b:^ ä-«j^Lä. >j
Uebersetzung.
„Ist unser Mangel an Erkenntniss des eig'nen Thuns auch
noch so gross,
Doch wallen durch den ßosenhain wir nicht ganz von
höh'rer Einsicht bloss,
EtJie: Die RubäHs des Abu Said hin Ahulkhair. 63
Und wie am Rande eines Buches ein deutevolles Frage-
zeichen,
So, ob auch nicht in Werken thätig, sind doch auch wir
nicht wirkungslos!'*
77) Ell. 294. Sprenger 337.
Öy4^ ^jJ^ t>j.ik \«» yS>. (wIä. ioJLä.
üebersetznng:
,,Dein Wuchs hat meinen Wuchs gekrümmt durch all die
Last vou Gram und Sehnen;
Es hat dein Auge quellengleich das meine angefüllt mit
Thränen ;
Auf einmal hat dein Schönheitsmaal mich selbst und deinen
Glanz verdunkelt,
Dein Haar Verwirrung meinem Thun gebracht und deinen
Lockensträhnen."
78) Ell. 294.
^L^ v:i*««Jö Ä-Lö \^:^mj,'q.a ä> (c^5"^*
27) Ell. 294 hat 4>^ .1^ statt 0*.^. sU.
28) ww ist nicht in der Handschrift; ds
und Sinn unerlässlich ist, habe ich es eingefügt.
28) yjM ist nicht in der Handschrift; da es aber für Metrum
64 Sitzung der phüos.-philol. Classe vom 6. Juli 1878.
Uebersetzung:
„Lass dein Haupt, so lang ein Haupt dir, stets in ireuer
Diensteshaft
Derer, die zur Gottheit beten mit der Inbrunst Segenskraft!
Reicht doch allen, die das Schicksal Gifttrank kosten liess
hienieden,
Ein untrüglich Gegenmittel einzig ihre Brüderschaft."
79) Ell. 292.
Uebersetzung: -*-
„Stets beim Wein und weinestrunken , schau , wie fromm
wir Gott verehren !
Wie nach Irdischem wir strebend doch nach Ewigem be-
gehren !
Aber lassen sich die beiden, Erdenlust und Glauben, einen?
Einfach so, dass nie um Glauben noch um Ird'sches wir
uns scheeren !"
80) Ell. 292. 294.
*t>N^I ^^)lX-^^ V5•r^ ^t^ '^y^ ^y^
29) Ell. 294 hat an allen drei Stellen *-}c>)^l
30) Ell. 294: ^Oy)^i ^^ .
31) Ell. 'lU: ^iöyi ^ ^Lori.
EtM: Die Bubais des Abu SaHd bin Abulkhair. 6 5
Ueberse tzung:
„Da ich keine Laute hatte, bracht' ich flugs ein Weiden-
rohr,
Reckte recht mein weisses Haar noch und mein schwarzes
Antlitz vor;
Und da selber du geboten, dass es gottlos, nicht zu hoffen,
Lieh ich, deinem Worte folgend , auch der Hoffnung noch
mein Ohr!"
81) Ell. 294.
Uy4>«.J| ^y^^ if^iySb^ {J*^i i^Lt^
üebersetzung:
„Schlug dir deiner Seele Ader, Herz, des Liebchens Scheiden
wund.
Keinem andren Auge zeige je dein Kleid von Blut so bunt!
Geh in Jammer auf, doch nimmer lass die Welt dein Klagen
hören,
Steh in Flammen ganz, doch nimmer thu's durch Rauch
den Menschen kund!"
82) Ell. 292.
tXjf so\ Lx> o «j (^Aä ^s Lo ^
Ueberset zu n g :
„Lange ruht' ich, eh' entworfen noch der höchste Sphären-
bogen,
^[1878. I. Philos.-philol.-hist. Cl. Bd.II. 1.] 5
66 Sitzung der philos.'phüol. Classe vom 6. Juli 1878.
Lange, eh' der bläulich helle Himraelshof kreis noch gezogen,
Sanft im Ewigkeitennichts schon , und in mir geschrieben
sah ich
Deine Liebe, eh' ich je noch Lebensodem eingesogen!"
83) Ell. 294.
«•yAJ '>:i/joj^M/.^ lO^^ y^i-f*4>^ o«AM<^ \*
Uebersetzung :
,, Deiner Pforte Staub entreissen kann ich nimmer meine Habe,
Nie dem Gram um dich die Seele, dass Gesundheit neu sie labe !
Drum der Wange Schleier lüfte, lass mich schauen deine
Schönheit,
Dass ich bis zum jüngsten Tag nicht bang danach zu
seufzen habe!"
84) Cod. pers. 6.
uebersetzung:
,,Der du rings den Kreis der Sphären dicht umhüllst mit
Wolkenmassen,
Der du selbst den Glaubenslosen ohne Huldblick nie gelassen.
Der Verwüstung fiel zum Raube alles was an Häusern dein —
0 wie lang noch. Hausberaubter, willst du in Geduld dich
fassen?"
JEthe: Die Rubd^is den Abu Said hin Abiilkhair. 67
85) Ell. 294.
^•-XJ Juol J-^ «^ j^^\ xiu JwO
Ueb ersetzung:
„Seit grüne Hyacinthen rings aus deinen Rosen all ent-
sprangen,
Sind hundert Klagetöne mir, wie sonst der Nachtigall ent-
sprungen —
Dass Rosen spriessen aus dem Grün, alltäglich ist's - doch
einzig hier nur
Ist aus den Rosen selbst das Grün — o unerhörter Fall! —
entsprungen!'*^^)
86) Ell. 294.
<S^ C)U^ ; \J^^ ^ ^^ ^^ )W
üebersetz ung:
,,Kehr zurück und meine Treue schau, mein brünstig Flehn
und Bangen,
Schau, wie schlaflos ich durchwache all die Nächte, all die
langen 1
Aber nein! — im Irrthum bin ich — wohlerwünscht ist
mir dein Fernsein!
Würde nicht in deines Auges Strahle flugs mich Tod um-
fangen ?''
32) Die grünen Hyacinthen sind der sprossende Flaum auf der
rosigen Wange des Freundes.
5*
68 Sitzung der phüos.-pTiüol. Classe vom 6. Juli 1878,
87) Ell. 292.
ÄÄiK-cio yj^ ^L^ ^^5^ 1*^ (^1
Uebersetzung:
„Du hast, o Gram, der du mir laugst den Schleier der Ge-
duld zerstückt,
Ob du mich gleich entkräftet sahst, auf mich mit ganzer
Kraft gedrückt.
Die Nacht ist finster, fern von mir der Freund, und nir-
gends ein Vertrauter;
Drum tödte ganz mich, Trennungsschmerz, da ganz der
Hülfe ich entrückt."
88) Ell. 294.
Uebersetzung:
,, Deine Pforte briugt Gewährung, wird im Herzen wach der
Welt
Je ein Wunsch — und deine Güte stillt das Ungemach der
Welt.
Möchte doch, so lang' es frommt uns, stets durch göttliche
Ergiessung
Deiner Weisheit Sonn' hernieder flammen auf das Dach
der Welt!"
Ethe: Die BuhdHs des Abu SaHd hin ÄhulJchair, 69
89) Ell. 294.
üebersetzung:
„Es hat mein Herz sein Wort verpfändet und wird es
halten sonder Scheu ;
Nach dir nur schmachtet meine Seele, und dies Geschäft
ist täglich neu;
Geschieden ist aus meinem Herzen der Eifer ganz für beide
Welten,
Nur einzig Gram um dich belebt es, und der bleibt stets
sich selber treu!"
90) Ell. 294.
tN.jL4J * LN.jt> (j^ (5*^*^ ^"^^ ^^)y"^ )'^
üebersetzung:
„Der bleibt stecken, dem das Herz sich je an schöne Lieb-
chen band,
Der den Weg, von holden Götzen sich zu scheiden, niemals
fand!
Geist'gen Inhalt sah in ird'scher Form er — seines Her-
zens Fuss drum
Haftet bis zum jüngsten Tag auch ewig fest im ird'schen Tand."
33) In der Handschrift steht o^^Uä. .
70 Sitzung der pfiilos.-philol. Classe vom 6. Juli 1878.
91) EU. 294.
Uebersetzung: '
„Im Gau der Magier labt mein Freund sich am Wein —
o Jammer und Verdruss!
Und weder Ruf noch Anerkennung verschafft ihm all der
Weingen uss!
Selbst, dass er ganz sich barg, verborgen blieb das ver-
borgner Weisheit Jüngern,
So trefflich wusst' er auszuführen den Weltvergessenheits-
entschluss !"
92) Ell. 294.
!;r^ 7^^ ^; "^W^ ^7^ 7^
L^XjO ^s i^Ä. jJ^tXj d^^y^^
üeb er setzu ng:
„Traun! den Kamm zog jener Mond dort durch sein Haar,
das ringelgleiche,
Senkt' es nieder dann aufs Antlitz, all das ambraduftend
weiche;
Um erkennbar dem Vertrauten nur zu sein — mit list'gem
Streiche
Hielt er so sich drum die Wange ganz verhüllt, die an-
muthreiche!"
Herr Bursian legte vor:
,,Mitt hei langen aus Würzburger Hand-
schriften" von Herrn Laubmann.
II.
Cassiodor's Ins tit utiones saecularium litterarum
(oder humanarum rerum) in der Würzburger und
Bamberger Handschrift.
Im verflossenen Sommer liatte ich aus anderem Anlass
die Würzburger und Bamberger Handschrift des Cassiodor,
aus denen C. Halm, Rhetores latini p. 495 — 500 das cassio-
dorische Capitel de rhetorica herausgab , untersucht und
war erstaunt, zu finden, dass die in dem genannten Ab-
schnitt so ähnlichen Codices vorher und nachher in vielen
Punkten auseinandergehen und, zum Theil wenigstens, ganz
verschiedene Redactionen enthalten. War es an sich schon
meine Absicht , darüber eine kurze Mittheilung zu geben,
so wurde ich darin noch bestärkt durch Herm. Usener's
Anecdoton Holderi. Ein Beitrag zur Geschichte Roms in
ostgothischer Zeit. „Festschrift zur Begrüssung der XXXII,
Versammlung deutscher Philologen und Schulmänner zu
Wiesbaden." Leipzig 1877. 8^.
In diesem Cabinetsstück einer literarhistorischen Unter-
suchung theil t Usener die Handschriften von Cassiodors
institutiones humanarum rerum in 2 Gruppen „durch
welche so abweichende Redactionen, dass man sie verschie-
dene Werke nennen darf, bezeugt werden." Hauptver-
treter der 1. Gruppe („ältere und kürzere Redaction, die
72 Sitzung der philos,-p7ulol. Classe vom 6. Juli 1878,
offenbar von der eignen Hand des Cassiodorius herrührt")
ist der cod. Barabergensis saec. VIII. „ausserdem ^) liegt
sie vor in einer Würzburger Handschrift fast gleichen Alters,
einer St. Galler ^) (Stiftsbibl. 855) des IX. und einer Carls-
ruher') (Augiensis n. 241) des X. Jahrh."
Zur 2. Gruppe gehören nach Usener 2 Bern er Hand-
schriften saec. X (n. 212 und 234), eine St. Galler (n. 199,
saec. X) und eine Carlsruher (Augiensis n. 106), welch'
letztere das von ihm publicirte anecdoton Holderi enthält.
Diese 2. Gruppe ist durch eine Reihe gemeinsamer (aus den
Handschriftenkatalogen von St. Gallen und Bern leicht er-
sichtlicher) Anhänge kenntlich.
Im grossen Ganzen wird diese Scheidung unanfechtbar
sein: nur bei der Würzburger Handschrift*), die Usener wohl
bloss aus der Beschreibung in Halm's Rhetores kennt , hat
er fälschlich aus der in dem betreffenden Capitel zu Tage
tretenden Aehnlichkeit auch für den übrigen Inhalt auf
Uebereinstimmuug mit dem cod. Bambergensis geschlossen.
Aber in Wirklichkeit gehört dieselbe weder zur ersten noch
zur zweiten Gruppe, bildet vielmehr wie es scheint eine
Uebergangsstufe : und da auch über den im cod. Bamb. über-
lieferten Text, abgesehen von trefflichen Bemerkungen Leonh.
SpengePs und Fr. Haase's, noch nie eice vollständige Mit-
1) So heisst es bei Usener p. 2.
2) stimmt auch hinsichtlich des übrigen Inhaltes sehr genau mit
dem Bambergensis. Ausführliche Mittheilungen über die beiden St. Gallener
Codices erhielt ich (bevor Usener's Schrift erschien) von dem dortigen
Stiftsbibliothekar, Herrn P. Idtenson.
3) Die Auskunft, dass diese Handschrift nur das zweite Buch der
Institutiones enthält, verdanke ich der Freundlichkeit Dr. A. Holders.
4) Unter „Würzb. Handschrift" ist im Folgenden immer der
Mpm. f. 5t signirte Codex verstanden; eine andere Würzb. Handschrift,
Mpth. f. 29, die das erste Buch der Institutiones und vom zweiten das
Capitel de grammatica enthält, wurde Sitzungsberichte 1878, Bd. I, S. 2
und 3 beschrieben.
Laubmann: Mittheilungen aus Würzhurger Handschriften. 73
theilung ^) gegeben wurde , so will ich , auf Grundlage der
Ausgabe von Garetius, Venet. 1729^), kurz über das Ver-
bältniss beider Handschriften ^), über ihre Zusätze und Aus-
lassungen, berichten.
B — codex Bambergensis, signirt HJ. IV 15, membr. in 2^,
saec. Vni, 103 Blätter, in lan gobardi scher ^) Schrift,
enthält^) : f. 1^ — 67^ Cassiodori Senator is Institution um
diiiinarum et humanarum rerum libri duo.
f. 68^ — 75^ Mallius Theodorus de metris. f, 75^ — 82^
Gregorius Turonensis de cursu stellar am. f. 82^ — 102^
Tsidorus de natura rerum. f. 102^ — 103^ : Ein Gedicht
de eclipsi lunae, öfter herausgegeben, zuletzt bei Riese
anth.lat. n. 483.
W= codex Wirceburgensis, Mpm.f. 5^, membr. 40 Bl. in 2 ^
saec.Vni/IX, enthält ß):
1) Während der Correctur dieser Zeilen erhalte ich den soeben er-
schienenen ersten Halbband von H. Keil's Gramraatici latt. vol. VII,
der p. 213—216 die praefatio des 2. Buches und das Capitel de gram-
matica enthält mit Keil's einleitenden Bemerkungen p. 140 — 142, wozu
derselbe die brieflich Ende 1877 ihm mitgetheilten Resultate der fol-
genden Untersuchung benützen konnte und theilweise benützt hat.
2) Cassiodorii Opera omnia ad fidem MSS. emendata . . opera et
studio J. Garetii, Venetiis 1729 in folio. Die Institutiones stehen Tora. II
pag. 508 — 560 : ich lasse bei Citaten die Bandbezeichnung weg.
3) Um die Angabe der Wortvarianten also handelt es sich im
Folgenden nicht.
4) cf. Wattenbach Anl. z. lat. Pal. (1. Aufl.) S. 8.
5) Ausführlich beschrieben von Friedr. Haase in 2 Programmen:
„Gregorii Turonensis episcopi liber de cursu stellarum nunc primum editus"
Vratisl. 1853 (mit Schriftprobe) und „de latinorum codd, mss. subscri-
ptionibus commentatio'* ibid. 1860, sowie von Halm Ehetores p. XII sq.
Vergl. Leonh. Spengel ,;,Die subscriptio der institutiones des Cassiodorus
im Bamberger codex", Philol.XVII, 555 — 557, und A. Eeifferscheid, de
latinorum codicura subscriptionibus (Ind. schol. von Breslau 1872/1873)
Seite 5.
6) In Jos. Ant. Oegg's Versuch einer Korographie von Würzburg
(1808) I, 472 — 474 noch als Isidorus bezeichnet; Näheres bei Halm
Rhett, p. X.
74 Sitzung der philos-phüol. Classe vom 6. Juli 1878.
f. 1^ — 30^, 31^ — 32^ Cassiodors institutioues liu-
manarum rerum (ohne irgendwelche solche Bezeichnung).
f. 30^ — 31^ (Eiusdem) computus pascalis.
f. 32^ — 36^ Julii Seueriani Praecepta artis rhetoricae
(Halm Rhett.lat. p. 355 — 370).
f. 37^ — 40* Topik eines unbekannten Verfassers, meist
Excerpte aus Boetius enthaltend. Anfang : Do dialecti-
cis locis brebi aliqua dicenda sunt ex quibus argumenta
sumi possunt. Locus igitur est argumenti sedis qui
partem in maxima propositione partem in maximae
propositioüis differentia intellegitur. Nam cum sint
propositiones quae per se notae sint ut nihil indigeant
quo demonstrentur hae maxime et principales uocantur
etc. Schluss: omnis dialectici loci ex quibus argumenta
trauntur ad ornnia quae in quaestiouibus uenire possunt
in Omnibus causis uel rebus expleti esse noscuutur. us-
que huc scribendum ^).
Die nun folgende^) subscriptio ^)
PMNKC- ABBPR- FKNFM • HB: BFT •
PRFMK XM- FKXC- NPN • HB- BFT •• finem;
DÖ CR<\TIAC:- d^MEN '' €00 SUPER: —
ist, wie ich auf den ersten Blick sah , nur die Verwendung
jener Geheimschrift, die statt eines Vocales den folgenden
Consonanten setzt*), und heisst also :
1) Diese drei Worte von späterer Hand (Schreiberan Weisung).
2) In der Hdschr. in zwei Zeilen geschrieben , beim Druck aber
aus Gründen des Raumes anders getrennt.
8) Oegg I, 474 not. hat folgendes herausgelesen: „Pia
Manus Abonis Venerabilis Presbiteri fecit hunc finera — habebit pre-
mium in eternum. Eusidorus hispalensis habet finem. Deo gratias
amen" und über diesen erfundenen Priester Abo, pag. 580,
eine Art Biographie geschrieben!
4) Wattenbach Schriftw. im MA. (2. Aufl.) S. 273 not. 4.
Laubmann: Mittheilungen aus Würzburger Handschriften. 75
Omuis labor finem habet . premium eius
non habet finem; Deo gratias. amen, ego super ^): —
B 34^ (= Gar. 527) schliesst das 1. Buch mit dem Wort
supplicemus ; ich gebe hier die darnach folgende subscriptio,
sowie den Anfang des zweiten Buches (mit Auflösung der
Abbreviaturen).
CASSIODORI SENATORIS INSTITV
TIONÜM DIÜINARUM LITTERARUM EXPLICIT
fol. 35^ LIBER PRIMVS . INCIPIT EIUSDEM SECU
LARIUM LITTERARUi\I LIBER SECÜN
DÜS DEO GRATIAS . prefatio libri . II
Superior über domino prestante conpletus bis zu den
Worten (Bamb. fol. 35^ lin. 18) Modo iam secundi uolumi-
nis intremus [initia] quae paulum^) diligentius audiamus
(= G. 528^, 18). Diese ganze erste Hiilfte der Einleitung
Cassiodor's zum 2. Buch fand Garetius nicht in einer Hand-
schrift, sonflern er entnahm sie aus Alcuin, mit dem, wie
er in seiner praefatio nachweist, der ganze Inhalt nichts
zu thun hat. Nach audiamus fährt Garetius fort^): Intentus
nobis est ; mit diesen Worten beginnt die Würzburger Hand-
schrift, die von B stark abweicht.
ß 35^
diligentius audiamus , sunt
enim etoemoligiis*) deusa
et difinitionum plena tractan-
W 1^
(Ohneinscriptio)Inteutus nobis
est de arte grammatica siue
retorica uel de disciplinis ali-
qua brebiter uelle conscribere
1) Diese Schlussworte (die Hdschr. ist damit deutlich zu Ende und
kann also nichts fehlen) sollen wohl heissen : Ich bin fertig, ich bin zu Ende?
2) statt quae hat die Hdschr. que, das folgende Wort scheint zuerst
pauluf gewesen zu sein, woraus man. 1 paulü, man. 2paululum corrigirte.
3) Mit der Randbemerkung : ,,Hic incipiunt MSS. codd."
4) so die 1. Hand, welche gegenüber den Correcturen von man. 2
allein maassgebend ist.
76 Sitzung der philos.-philol. Ölasse vom 6. Juli 1878.
B 35"
tibus. In quo libro pri-
mum nobis dicendum est
de arte gramatica, quae est
uidilicet origo et funda-
mentum liberalium litterar um.
Liber autem dictus est a libro
id est arboris cortice dempto
adque liberato ubi ante
inuentionem cartarum anti-
qui carmina cZescribebant.
Ideoque licentia est nunc
et breues libros facere et
prolixiores extendere. Quo-
niam sicut cortex et uirgulta
complectitur, et uastas arbores
claudit, ita pro rerum qua-
litate permissum est modum
libris inponere. Scire autem
debemus etc.
W 1"
quarum rerum principia ne-
cesse nobis est incoare
dicendumque prius est
de arte grammatica quae est
uidelicet origo et funda-
mentum liberarium litterarum.
Liber autem dictus est a libro
id est arboris cortice dempto
atque liberato ubi ante
copiam chartarum antiqui
carmina c?iscribebant. ^)
Scire autem
debemus etc.
Von da an stimmen ^) B und W ziemlich lange überein
bis zu den Worten ut poeta dictus
B 36^ med.
intellegitur apud graecos ho-
merus , apud latinos uer-
gilius , orator enuntiatus apud
grecos demosthenes , apud
latinos cicero declaratur.
o
Quamuis multi et petae et ora-
tores in utraque lingua esse do-
ceantur. Mathematica uero etc.
W 1^ (=G. 528^)
intelligitur uirgilius , orator
enuntiatus aduertitur cicero
quamuis multi et poetae
et oratores in latina lingua
esse doceantur quod etiam de
omero adque demosthene grae-
cia facunda^) concelebrat.
Mathematica uero etc.
1) In W fehlen also die Worte Ideoque — inponere.
2) Abgesehen von 4 unwesentlichen Wortvarianten.
8) so deutlich von erster Hand; erst der späte Corrector machte,
indem er ein i aufsetzte, facundia daraus, ohne aber gleichzeitig graecia
n graeca zu verwandeln.
Laubmann: Mittheilungen aus Würzhur ger Handschriften. 77
Im Folgenden stimmen B und W wieder bis zum ScWuss
der praefatio ; ich gebe die subscriptio etc.
W 2^
dicta percipiat.
EXPLICIT PRAEFATIO.
INCIPIT INSTITVTIO DE
ARTE GRAMMATICA
B
fol. 36^ dicta percipiant.
fol. 36^ CASSIODORII •
SENATORIS.
EXPLICIT SECUNDI
LIBRI PREPATIO
Incipit tituli eiusdem
libri deo gratias
I De grammatica.
II De rethorica.
III De dialectica.
IUI De aritbmetica.
V De musica.
VI De geometrica.
VII De astronomia.
EXPLiciunt TITüLI
SECULARIÜM LIT-
TERARUM LIBRI
SECÜNDI; INCIPIT
EIUSDEM LIBER
SECÜNDI DEO GRA-
TIAS 0
Grammatica a litteris Grammatica a litteris nomen
nomen accepit etc. accepit etc.
Wir sehen hieraus deutlich, dass es sich bei W nicht
um ein zweites Buch von Cassiodor, sondern nur um
seine institutiones saecularium litterarum als Specialschrift
handelt.
1) Incipit bis gratias vom Schreiber aus Versehen über das Ex-
pliciunt gesetzt, und später unten an richtiger Stelle als Incipit eiusdem
Über secundus ergänzt.
78
Sitzung der philos -philol. Olasse vom 6. Juli 1878.
Kaum 6 Zeilen weiter treffen wir auf die zwar kurze.
aber docli nicht zu übergehende Variante:
B 36^
de quarum positionibus ad-
que uirtutibus graece elle-
nus , latine priscianus sup-
pliciter (corrigirt in : sufii-
cienter ; es muss heissen :
suptiliter) tractauerunt.
W 2^ med. [^ G. 529^ med.]
de quarum formulis at-
que uirtutibus helenus et
priscianus suptiliter attico
sermone locuti sunt.
Bald darauf hat B einen in W fehlenden Zusatz, der-
gleichen wir in der Folge noch mehreren begegnen werden ;
in der Ausgabe von G stehen einige davon, andere fehlen.
Nämlich nach den Worten : Cuius [i. e. Donati] gemina
commenta reliquimus, ut supra quod ipse planus (latinus W)
est, fiat clarior dupliciter geht es weiter :
B 37* (=- G. 529* med.)
explanatus. Sed et sanetum
augustinum propter simplici-
tatem fratrum breuiter in-
struendam aliqua de eodem
titulo scripsisse reperimus,
quae uobis lectitanda reli-
quimus : ne quid rudibus
deesse uideatur, qui ad tantae
scientiae culmina praeparan-
tur. Donatus igitur etc
W 2* med
explanatus
Donatus igitur etc.
In den aus Donatus genommenen Definitionen stimmen
beide Handschriften überein ; sogleich nach Schluss derselben
geht die Verschiedenheit wieder an und zwar in grossem
Laubinann: Mittheilungen aus Würzburger Handschriften. 79
W 2^ r= ^' 529^]
Ortographia est rectitudo
scribendi nuUo [o aus u cor-
rigirt] errore uitiata
quae manum componit
et linguam. Haec bre-
uiter dicta sufficiant,
ceterum qui ea uoluerit la-
tius pleniusque cognuscere
cum praefatione sua codicem
legat, quem nostra curiosiotate
formauimus id est artem do-
nati cui de ortbograpbia li-
brum et alium de etymologiis
iuseruimus, quartum quoque de
schematibus sacerdotis adiun-
ximus, quatenus diligens lector
in uno codice reperire possit,
quod arti grammaticae depu-
tatum esse cognuscit. Sed
quia continentia magis artis
grammaticae dicta est, curaui-
mus aliqua de nominis uerbi-
que regulis pro parte subicere
qnas recte tantum arestothelis
orationis partes adseruit.
Graeca [= Garet. 530^] no-
mina que apud nos in as
exeunt tres species habent ;
prima est ut olympias py-
thias und nun folgen in
1) Diese 2 Worte zum grössten Theil abgerissen.
2) conscribi hat auch cod. St. Gall. 855, der überhaupt von Ceterum
qui bis unten: De rhetorica mit B stimmt.
B 37^
Ortbograpbia est rectitudo
scribendi nullo errore uitiata
quae manum componit et
linguam. Haec breuiter de
[de]finitionibus tantummodo
[fol. 38*] dicta sufficiant.
Ceterum qui ea uoluerit la-
tius pleniusque cognoscere '),
cum prefatione sua codicem
legat , quem de grammatica
feci arte con-
scripsi (richtig corrigirt in:
conscribi^), quatenus diligens
lector inuenire possit ,
quod illi proposito depu-
tatum esse cognoscit.
80
Sitzung der philos.-philol. Classe vom 6. Juli 1878.
Nunc ad artis rhe-
toricae diuisiones definitio-
nesque ueniamus, quae sicut
extensa adque copiosa est, ita
multis et claris scriptoribus
tractata dilatatur.
De rethorica (roth)
Rhethorica dicitur apo tur
hetoreuin etc.
WM. 3% Z.4-f. 4- Z. 12
2*M Seiten, die in der
Ausgabe von Garetius
fehlen, bis zudenWor-
ten: s littera praece-
dente u duae species
sunt, prima quae in i
genetiuum agit et plu-
ralem non habet, ut
uulgus, pelagus, uirus.
Mit diesen Worten tritt Ga-
retius p. 530^ wieder ein,
wenn auch sehr oft mit er-
bärmlichem Text, und stimmt
mit W, bis es bei Garetius
p. 531^ heisst : manente
productione. Caetera
desiderantur in MSS.
Aber W geht fol. 5^ Z. 18
noch 3V2 Seiten weiter,
und schliesst fol. 7^Z.l:
fungor haue remet illa re.
Haec satis ad exempla
analogiae dixisse suf-
ficiat, nunc ad artis rhe-
toricae deuisiones definitio-
nesque ueniamus quae sicut
extensa adque copiosa est ita
multis et claris scriptoribus
tracta dilatatur.
DE RHETORICA (roth)
RHETORICA dicitur apotu
rethoreuin etc.
Eswäreaber eine vergebliche Freude, ^y^enn
Laubmann: Mittheilungen aus Würzhurger Handschriften. 81
man glauben wollte, durch diese 6 Seiten Plus
im cod. Wirceb. ein Plus für den Cassiodoriscben
Text erhalten zu haben. Das ganze Stück, von
Graeca nomina que apiid nos in as exeunt b i s acZ exempla
analogiae dixisse sufficiat , ist mit wenigen Auslass-
ungen aus Martianus Capella abgeschrieben
= ed. Eyssenh. pg. 82,6 — 95,33, mit geringen Abweich-
ungen in einzeluen Worten, die bald in Eyssenhardt's Aus-
gabe, bald in unserm Cassiodorcodex richtiger sein mögen.
Jetzt versteht man auch, wie es nach den Worten: quas
recte tantum aristoteles orationis partes adseruit im cod.
Bernensis 212 (cf. Halm rhett. latt. p. XII) und im codex
St. Gallensis 199 heissen kann: Reliqua qui uoluerit in
alio quaerat uolumine. Nam ego descriptor ad potiora
discurrens reliquorum oblitus sum aut fors neglexi, ein Zu-
satz, den sogar in W eine spätere Hand, die nach einem
anderen Exemplar den Text durchcorrigirte, an den oberen
Rand der betreffenden Seite setzte und durch ein Zeichen
als nach adseruit gehörig andeutete.
Von alledem konnte selbstverständlich B nichts ent-
halten, da Cassiodor in diesem Texte nur in Kürze die
Definitionen der in der Grammatik vorkommenden termini
geben wollte, diejenigen aber, welche die Sache gründlicher
studiren wollen, auf das für die Bibliothek des Klosters zu-
sammengeschriebene Corpus grammaticorum verweist.
Den Abschnitt über die Rhetorik, dessen Anfang wir
oben noch anführten, können wir füglich übergeheu, nach-
dem Halm in seinen Rhetores latini pag. 495 — 500 cf. p. XII
sq. das betreffende Capitel aus B und W herausgab und
alle hier einschlagenden Fragen genau erörterte. Nach
dem bei Halm letzten Worte occupetur geht es in B und
W (=: G. 536^) ziemlich übereinstimmend weiter:
Nunc ad logicam, quae et dialectica dicitur, sequenti
ordine^ueniamus: quam quidam disciplinam, quidam artem
[1878. I. Philos.-philol.-hist. Gl. Bd. II. 1.] 6
82
Sitzung der philos,-philol. Olasse vom 6. Juli 1878.
appellare maluerunt, clicentes: quando apodicticis id est
propabilibus (ueris B) disputationibus aliquid disserit , dis-
ciplina debeat nuucupari ; quando uero aliquid (quando
autem quid [aliquid man. 5ec.] J5, quando enim aliquid W)
uerisimile (uerisimile adque opinauile B) tractat, ut sunt
syllogismi sopbistici {diese vier Worte fehlen in B)^ noraen
artis accipiat. Ita utrumque*) uocabulum pro (dies Wort fehlt
mit Recht in B und W) argumentationis suae qualitate
B 43^
promeretur. Nam^) et pater
augustinus. bac credo ratione
commonitus grammaticam ad-
que retoricam disciplinae no-
mine uocitauit, uarronem se-
cutus; felix etiam capella ope-
ri suo de Septem disciplinis
titulum dedit; disciplina enim
dicta est quia discitur plena
quae merito tali nomine nun-
cupatur; quoniam incommu-
tabilis illis semper regula
ueritatis obsequitur.
JDe diülectica (rotb !)
Dialecticam primi pbilosopbi
in suis quidem dictionibus
babuerunt, non tamen etc.
W 10^ (=: G. 536^)
promeretur.
De dialectica.
Dialecticam primi pbilosopbi
in dictionum suarum quidem
argumentationibus babuerunt,
non tamen etc.
Das jetzt folgende Capitel de dialectica nimmt in der
Ausgabe von Garetius ebensoviel Raum ein als die 6 andern
Disciplinen zusammen. Es ist scbwer, das Verbältniss von
B und W zu einander und zu G kurz darzustellen: doch
1) disciplinara — utrumque von 1. Hand auf Rasur.
2) cf. Spengel, Philologus XVII, 557.
Laubmann: Mittheilungen aus Würzburger Handschriften. 83
will ich es versuchen. W hat Alles , was in der Ausgabe
steht, B kaum mehr als den dritten Theil davon.
B
enthält f. 43^ — 50* med., was
bei Gar. 536^ med. — 540''Z. 18
V. u. steht;
dann fehlen in B 13 Spalten
des Garet'schen Textes.
f. 50" med. — 52" Z. 8 =
G. 547" Z. 5 V. u. - 548"
Z. 18 V. u.
(jedoch diese 2 Blätter in von
G. abweichender, mit Isidorus
übereinstimmenderRedaction) ,
also :
B43" — 52"Z. 8: Dialec-
ticam primi philosophi
(wie oben) — etnonnuUis
(G. 540 Z. 21 V. u.) locis
commemorantur in topi-
cis. Nunc ad topica ue-
niamus quae sunt argu-
mentorum sedes, fontes
sensuum et origines (f. 50"
med. =G. 540^ Z. 18 v.u.)
dictionum. JDiuisio topi-
corum sine locortim ex
quihus argumenta du-
cuntur (roth = G. 547"
Z. 5, von jetzt an wört-
lich bei Isidor etjm. II, 30,
1 — 16) — uelle mentiri.
Dann lässt B alles aus, was
W
stimmt f. 10"— 19'^ Z. 5 mit
Gar. p. 536^ — 547" Z. 10 v.
u., also : Dialecticam (siehe
oben) — -' et nonnuUis locis
commemorantur in topicis.
Incipiendum. Nunc ad to-
picam 'ueniamus, quae sunt
argumentorum sedes , fontes
sensuum, [f. 13^] origines
dictionum, de quibus breuiter
aliqua dicenda sunt, ut et
dialecticos etc. bis (f. 19^ Z. 5
= G. 547" Z. 10 V. u.)
differentiae esse dicuntur.
Themestii expUdunt loci dia-
lectici nunc ad retoricus iw
niamus (roth). Rhetorica
oratio habet partes sex etc.
(=1 G. 549^ Z. 5 V. u). Was
in G. 547" Z. 9 v. u. — 549»»
Z. 7 V. u. dazwischen liegt,
ist in W nachgetragen und
zwar (hinter der Astrouomia)
f. 27" med. — 28" med.
Item incipiendum. Item de
topicis.
Topica sunt argumentorum
sedis, fontes sensuum, originis
6*
84
Sitzung der phüos.-phüol. Classe vom 6. Juli 1878.
G. 548* Z. 17 V. u. —
552'' p. m. steht, fährt
vielmehr nach dem Wort
mentiri fort : ea uero quae
tractantur in tempore,
quia suis nomiuibus plana
sunt , definitione non in-
digent. Memoriae
quoque condendum est
dictionum. Itaque licet defi-
nire — bis (Gar. 548* Z. 1 8 V. u.)
uelle mentiri ; dann sogleich
die Worte (G. 552^ med.) me-
moriae quoque condendum —
cadat ingenium, und nun erst,
f. 28*— 30^ 31^ med. - 32*,
was G. 548 Z. 17 v. u. -
549'^ Z. 7 7. u. steht: De
syllogismis. Prima figura —
non plato non iustus non est.
Von da kehren wir zu den
schon oben angeführten Wor-
ten (f. 19^ Z. 7) Rhetorica
oratio zurück, und es stimmt
W bis fol. 22* Z. 12 mit Gar.
552^ med., wo es heisst: hie
ex contrario. Memoriae
quoque condendum est
in welch' letzteren Worten beide Handschriften wieder zu-
sammentreffen, aber kaum länger als 15 Zeilen, bis huma-
num cadat ingenium.
Ich habe trotz der grossen Verschiedenheiten in B und
W nur die Hauptpunkte hervorgehoben, da W mit wenigen
Wortvarianten in G zu finden ist, während B f. 43^ — 46*
sprungweise, f. 46* med. — 52* p. m. aber (de nomine, de
uerbo — — cadat ingenium) nahezu wörtlich mit Isidor
(etym. H, 24,9 — 27,1 resp. 27,4 — 30,18) übereinstimmt.
Noch ist — wiewohl ich diesen Punkt nicht eigentlich zum
Gegenstand meiner Untersuchungen gemacht habe — zu
bemerken, dass die in B fehlenden, aber in W vorhandenen
Abschnitte: G. 540^ Z. 13 v. u. — 547*, Z. 10 v. u. (Pro-
positio est oratio rerum — differentiae dicuntur)
und G. 549^ Z. 5 v. u. — 552'' p. m. (rhetorica
Laubmann: Mittheilungen aus Würzhurger Handschriften. 85
oratio — ex contrario) aus JBoetius de different. topicis
p. 857 med. — 872 Z. 15 und p. 881 p. m. — 887 Z. 13
abgeschrieben sind. ^)
Nach den oben erwähnten Worten cadat ingenium
heisst es in BWG weiter: Illud autem competens iudicaui-
mus recapitulare breuiter, quorum labore in latinum eloquium
res istae perueuerint, ut nee auctoribus gloria sua pereat et
nobis plenissime rei ueritas
B 52" unten
innotescat. Isagogen trans-
tulit uictorinus orator, com-
memtum eius quinque libris uir
magnificus boethius edidit ;
chategorias idem transtulit
uictorinus ; idem (ausradirt)
[f. 52^] cuius commentum
W 22" med. (= G. 552^^ unten)
innotescat. Isagogen trans-
tulit patricius boetius com-
mentaquae eius gemina
derelinquens. categorias
idem transtulit patricius
boetius cuius commenta
1) Dies hat, wie ich nachträglich sehe, schon Prantl, Gesch. der
Logik I, 723 bemerkt, der überhaupt 1. 1. 722 — 724 das Cassiodorische
Capitel de dialectica ausführlich und erschöpfend analysirte. Die dort
Anm. 180 und 170 gegebenen, bei der bisherigen Textbeschaffenheit
vollkommen berechtigten Andeutungen über gedankenlose Abschreiberei
des Cassiodor werden natürlich gegenstandslos, wenn meine Unter-
suchungen über die handschriftliche Ueberlieferung des Cassiodor sich als
stichhaltig erweisen; und Herr Professor Prantl erklärt, dass er unter
diesen Umständen und Voraussetzungen gerne seine Darstellung modificire
und den Cassiodor nicht weiter für Dinge verantwortlich mache, die nicht
von demselben geschrieben sind, z. B. das Capitel de paralogismis u. A.
Noch ist zur Ergänzung von Prantl 1. 1. Anm. 178 und 2 zu bemerken,
dass in der Bamberger Handschrift f. 49 (= Gar. 540) abweichend von
der Ausgabe es heisst:
quinta species definitiouis est quam graece cata antilexin ; Latine aduerbium
dicimus (Gar. xatä Ie^lv : Latine ad uerbum) ;
undecima quam graeci catellipes.olo cleru hu-
mogenus. Latini per indigentiam pleni ex eodem genere uocant (Gar.
statt der durchschossenen Worte: -Kaxa. xr\v ll'ki.niipiv \ es ist zu lesen:
■Kax' ilhnes nlriQovs o^oiov ykvovs).
86 Sitzung der philos.-philol, Classe vom 6. Juli 1878.
octo libris ipse quoque for-
mauit; perihermenias supra-
memoratus uictorinus trans-
tulit in latinum, cuius com-
mentum sex libris patricius
boethius minutissima dispu-
tatione tractauit; apuleius
uero madaurensis^) in (add. 2.
man.) sjllogismis hypotlieticis
dixit, quindecim quoque species
esse definitionum. Idem ma-
rius uictorinus diligenter edo-
cuit; topica aristotelis cicero
transtulit in latinum, cuius
commenta prospector adque
amator latinorum uictorinus
quattuor libris exposuit ; auc-
toritatem uero eorum libro-
rum in unum codicem non in-
competenter fortasse collegi,
ut quidquid ad dialecticam
pertinet in una congestione
codicis clauderetur. Exposi-
tiones itaque diuersorum li-
brorum quoniam erant mul-
tiplices, sequestratim in codi-
cibus fecimus scribi quos in
una uobis bibliotheca a
(durchstr.) domino prestante
dereliqui. De liberalibus
tribus libris ipse quoque for-
mauit perihermenias suprame-
moratus patricius boetius trans-
tulit in latino cuius com-
menta ipse duplicia
minutissima disputatione trac-
tauit. Apuleus uero madau-
rensis Syllogismus cathegoricus
[corrigendum : — os] breuiter
enodauit. Supramemoratus
uero patricius boetius de sjl-
logismis hypotheticis lucidis-
sime pertractauit. Topica
aristotelis uno libro cicero
transtulit in latinum cuius
commenta prospector atque
amator latinorum patricius
boetius octo libris exposuit.
Nam et praedictus boetius pa-
tricius eadem topica aristotelis
octo libris in latinum uertit
eloqui-
1) üsener p. QQ füllt die hier erkannte Lücke so aus:
Apuleius uero Madaurensis [syllogismos categoricos Lreuiter eno-
dauit. Victorinus de] syllogismis hypotheticis dixit- quindecim quoque
species esse definitionum idem marius uictorinus diligenter edocuit.
Laubmann: Mittheilungen aus Würzburger Handschriften. 87
B 52^ med.
igitur artibns quantum rudi-
bus iudicauimus expedire for-
tasse decursa sunt , ut quasi
quibusdam ianuis apertis ad
iugressum disciplinarum desi-
deranter accedere debeatis.
Nam etsi per quasdam diffi-
cultates intrentur adque dis-
cantur. tamdiu habent rudi-
mentorum laborera, donec
quae sit earum suauitas in-
dagetur. Cum uero studiosus
(corr. in studiosius und (rich-
tiger) studiosos) fuerit per-
fectio subsecuta, tunc unus-
quisque delectabiles habet su-
doris sui pertulisse molestias.
Tempus est ut similiter ad
earum diuisiones opinatissi-
mas accedamus, unde graecia
latinae linguae non inmerito
putatur antistere (corrigirt in
antestare) quas (aus quasi)
simili breuitate non tam ex-
plicare quam indicare temp-
tabimus. Cur enim quasi no-
biliter latius disseratur, quod
distincte adque planissime
apud proprios reperitur auc-
tores? Considerandum etc.
W 22"^ p.m.
um. Considerandum etc.
In den nun folgenden Worten Considerandum est autem
etc. stimmen B und W (G. 553*) nahezu wörtlich über ein,
bis sie am Schluss des Capitels wieder auseinandergehen ;
disciplina uero est, quae de his agit, quae aliter euenire non
88
Sitzung der philos.-philol. Classe vom 6, Juli 1878,
W 22^ (— G. 553*)
possunt. *) Nunc ergo
B fol. 53*
possunt. Set hoc de mundanis di-
xisse praesumptum est, quando solae
litterae diuinae nesciunt fallere
(fallare B^) quoniam habent inmo-
bilem ueritatis auctorem. audiuimus
etiam felicem capellam aliqua de
disciplinis scripsisse deflorata, ne
talibus litteris fratrum simplicitas
linqueretur ignara quae tamen ad
manus nostras adhuc minime perue-
nire potuerunt. Set melius est ut
nee illa uobis quandoque pereant et
ista quamuis exigua desiderantibus
celeriter offerantur. Nunc ergo ad ad mathematicae uenia-
matbematicae ueniamus initia. mus initium.
Be mathemaüca (roth). DE MATHEMATICA.
Mathematica quam latine. Matbematica
quam latine
Von da an stimmen B und W überein , derart , dass
aus ihnen sich der bisherige Text des Cassiodor an vielen
Stellen trefflich verbessern lässt, besonders in dem Capitel
de arithmetica, an dessen Ende aber die Verschiedenheit
wieder beginnt. Numerus est qui cuncta disponit; per ip-
sum discimus, quid primo, quid secundo facere
debeamus.
B 58* med.
Et sie causam tantae
rei suptili prescrutatione discatias
nee miracula domini ad uirtutem
numeri redduntur aliena. primus
ad unum pertinet deum sicut in
W 25* (=: G. 556*)
debeamus.
1) Hier steht am Rande von W: finiendum, was sich wohl auf
die oben erwähnten Ausdrücke: Incipiendura und Item incipiendum
bezieht.
Laübmann: Mittheilungen aus Würzburger Handschriften. 89
B 58*
pentateucho ^) (Deuteron. VI, 4) le-
gitur: audi israhe«! dominus
deus tuus dominus unus est;
secundus ad duo pertinet testamenta,
quod ait in regum (III. Reg. VI, 23) :
et fecit in dabir duo cheru-
byn decem cubitorum mag-
nitudine. postrenio totius spei
nostrae suauissimus fructus in sancta
trinitate repositus est, non quod
ipsa sub numero sit, set illa numeri
utilitatem potentiae suae maiestatis
ostendit, iuerentia (i. e. inbaerentia)
siquidem diuinitatis monas iutelle-
gitur, in personis uero trinitas com-
probatur. Legitur enim in epistula
Jobannis (1 Job. V, 8): tria sunt
qui testimonium peribent,
aqua s a n g n i s et Spiritus.
de quattuor euuangeliis etiam in
ezecbiel (Ezecb. I, 5) legitur : e t
ex medio eorum similitudo
quattuor animalium; quintus
numerus ad quinque libros (f. 58^)
moses noscitur pertinere, sicut in
apostolo (1 Cor. XIV, 19) legitur:
in ecclesia uolo quinque
uerba sensu eloqui; sexto uero
die dominus bominem fecit ad ima-
ginem et similit udinem suam; nam
1) Ueber den Bibeltext, nach dem Cassiodor citirt, vergl. A. Franz,
M. Aurelius Cassiodorius Senator. Breslau 1872, S, 63—65.
90 Sitzung der philos.-philöl, Classe vom 6. Juli 1878.
B 58' W 25'
et ipsum spiritum sanctum dicimus
et credimus septiformem et ut res
summe (? corrigirt aus resumet) ad-
que omnipotentissime intellegantur
numerus uobis necessarius inuenitur;
nunc ueniamus ad musicam quae ipso
nomine et propria uirtute suauis est.
De musica (roth).
Gaudentius quidam etc.
Nunc ueniamus ad mu-
sica quae ipso nomine
et propria uirtute suauis
est. Gaudentius quidam
etc.
In diesem Abschnitt de musica finden sich, abgesehen
von Wortvarianten , keine eigentlichen Verschiedenheiten,
wie die vorausgehenden Capitel sie uns boten ; auch das
Ende ist gleich, beide Handschriften haben (B 62% W 26"
med. zir. G. 557') den Schlusssatz : Fertur etiam latino
sermone et apuleium madaurensem (madurensem W) insti-
tuta huius operis eftecisse; scripsit etiam et pater augustinus
de musica sex libros — - — . Censorinus quoque de accen-
tibus — — suptiliter disputauit — — , quem uobis inter
ceteros trän sscrip tum reliqui (relinqui W). Nunc ad geo-
metriam (— icam W) ueniamus quae est etc.
Auch in dem nun folgenden Capitel de geometria
vsreichen die beiden Handschriften nur in einzelnen Worten und
Verbindungen unter sich und von der Ausgabe ab, deren Text
aus jenen sich trefflich verbessern lässt^). Am Schluss des
Capitels heisst es (G. 558' oben) in BW: cognoscetur.
Astronomia superest quam. Hier hat die Ausgabe von
Garetius zwischen cognoscetur und dem Anfang der Astro-
nomia einen 2 Spalten langen Abschnitt „Principia Geometricae
Disciplinae. Punctum est, cui pars nulla est. Linea vero
— mediis intermissis", der nach den vorausgehenden
1) Eine Conjectur Ritschis (de M. Varronis disciplinarum libris
§ 18 = Opusc. philol III p. 3S7) verliert jetzt durch den Text von B
ihre bisherige Wahrscheinlichkeit.
Lauhmann: Mittheilungen aus Würzburger Handschriften. 91
klaren Worten des Cassiodor, welcher sich kurz fassen will,
gar nicht hieher gehören kann. Er ist in seiner ersten
grösseren Hälfte aus Boetius de geometria (ed. Friedlein
p. 374,1 — 378,7) abgeschrieben ; woher die zweite Hälfte
ist, weiss ich nicht, Garetius sucht vergeblich (in seiner
praefatio auf der drittletzten Seite) diesen wie er berichtet
in einem codex Sangermanensis überlieferten Zusatz als
cassiodorisch zu erweisen.
Das siebente und letzte Capitel, de astronomia, bietet
mehr. Zuerst will ich wenigstens einige Stelleu geben , in
denen die Trefflichkeit von B und in absteigender Linie die
von W gegen G sich erweist.
Nam mundus ipse, ut quidam dicunt, sphaerica fertur ro-
tunditate col-
lectus, ut diuersus rerum formarumque ambitus sui circuitione
concluderetur. ünde etc. heisstes hei G65d^ med.
ä
ut diuersas rerum formarum bitus sui circuitione
concluderetur de W
ut diuersas rerum formas ambitus sui circuitione
concluderet, unde JB.
Augenfällig bietet B fehlerlos das Richtige, während
W und ö^ uns das Portschreiten der Verderbniss erkennen
lassen.
Wenige Zeilen später spricht Cassiodor von dem un-
wandelbaren Laufe der astra, die aber in der heiligen Ge-
schichte durch Gottes Befehl oft aufgehalten wurden, wofür
er 3 Beispiele gibt.
(1) sicut Jesus Naue (Josua Sohn des Nun oder Nave)
tribus horis soli in Gabaon ut staret, legitur
imperasse GW.
sicut iesus naue ut sol in gabaon staret, legitur
impetrasse JB;
(2) et temporibus Ezechiae regis (cf IV Regg, XX, 10)
retrorsum decem gradibus reversum fuisse G.
92 Sitzung der philos.-phüoL Ciasse vom 6. Juli 1878.
Dieser zweite Satz fehlt in BW, welche dafür haben:
et ostensam magis stellam quae mundo (stillam quem mundo
B) salutarem aduentum domini nuntiauit (nuntiaret W) ;
in passione etc.
(3) Der letzte Satz in passione quoque domiui christi
tribus horis sol tenebrosus effectus est lautet
auch in BW so.
Eine der interessantesten Stellen ist die zweite der astro-
nomischen Definitionen, die bei Garetius (p. 560^) lautet:
sphaericus motus est, per quem sphaerae rite
moventnr.
W: spherichus motus est per quem spheras ferite ^)
monuewtur (n sehr unsicher)
B : sphericus motus est per quem sphera sperice
mouetur.
Selbstverständlich ist dies (per quem sphera spherice
mouetur) allein richtig.
G 560^ post med. heisst es : Unde doctissimus quoque
pater ßasilius lege homilia b. circa medium,
libro sexto quem appellauit Hexameron . .
W 27* med. hat: unde doctissimus quoque pater basilius
in libro sexto quos appellauit exameron.
Dieses quos erklärt sich erst aus der richtigen Lesart
in B 65* med. unde doctissimus quoque pater basilius
in libro sexto eorum quos appellauit exemeron.
Endlich (10 Zeilen später) noch eine Stelle, über die sich,
wenn wir eine vollständige Sammlung der Varrouischen
Fragmente hätten, leichter urtheilen Hesse.
Mundi quoque figuram curiosissimus Varro longae ro-
tunditati in Geometriae volumine comparavit, formam ipsius
ad ovi similitudinem trahens, heisst es in G;
W hat: uarro sulonge rutunditatio in; B: uarro sub-
longe rotunditati in ; also wird wohl sublongae rotunditati das
1) mit ferite beginnt eine neue Zeile.
Laubmann: Mittheilungen aus Würzburger Handschriften. 93
Richtige sein, wenn das Wort sublongus, so viel ich sehe,
auch sonst nicht vorkommt; der ganze Ausdruck^) entspricht
trefflich unserem ,, länglich rund''.
Mit den darauf folgenden Worten: Sed nobis sufficit
diuinam noscimur habere doctrinam schliesst Garetius
p. 560^ und W 2T med. (in dem nun das oben erwähnte
Stück der Dialektik nachgetragen ist). Anders \n B, wo
65* — 67^ nach habere doctrinam der in W und G fehlende
Schluss, den Cassiodor seinen beiden Büchern anfügte, er-
halten ist, welchen A. Mai, Class. auct. III, 350 — 357 aus
einem codex Vaticanus membr. saec. XIII im Jahre 1831
herausgegeben hat ^). Trotz ziemlich genauer Uebereinstim-
mung von B und Vaticanus ist an einer Anzahl von Stellen
der Text aus J3 zu eraendiren; ich habe dieselben für mich
zusammengestellt, will aber dem künftigen Editor hier nicht
vorgreifen.
Nach longiores hatte der Schreiber seine begonnene
Zeile fertig geschrieben , die betreffenden Worte aber aus-
radirt und so für uns unleserlich gemacht, so dass jetzt
hinter longiores die berühmte subscriptio folgt:
CASSIODORI SENATORIS INSTITUTIONUM DIUI
NARÜM ET HUMANARUM RERUM LtBRI DUO EX
PLICUERUNT FELICITER ;
CODEX ARCHETYPUS AD
CVIVS EXEMPLARIA SVNT
RELIQVI CORRIGENDi:
Das folgende Blatt (68*) beginnt mit den Worten : Com-
plexis quantum ego arbitror diligenterque tractatis institutio-
num duobus libris qui breuiter diuinas et humanas litteras com
1) über diesen Gegenstand handelt M. Cantor, Mathein. Beiträge
zum Kulturleben der Völker (Halle 1863) S. 170 und not. 344.
2) His igitur breuiter quos prius estimauimus longiores.
In der Ausgabe des Cassiodor von Migne, Cursus patr. Band 69, die
im J. 1848 erschien, ist dieser Schluss natürlich nicht zu finden.
94 Sitzung der philos.-phüoL Classe vom 6. Juli 1878.
prehendunt tempus est ut nunc edificatrices ueterum regulas
id est codicem introductorium legere debemus qui ad sacras
litteras nobiliter ac salubriter introducunt und nun folgt
(weiter gebend mit den Worten: Dubitare nemine arbitror
tbeodori fili) die Schrift des Mallius Theodorus de metris.
Dass die Worte complexis— introducunt nicht auf Mallius
Theodorus gehen können, sondern vielmehr sich auf eine
Schrift des Cassiodor beziehen müssen, ist klar: auf welche
aber, weiss ich nicht; kaum (weil der Inhalt nicht passt)
auf das Buch de orthographia, von dem Haase, 1860, pag. 8
(nach G. 509^ med. und 525'' med.) annahm, es hätte einen
Anhang zu den Institutiones gebildet.
Ich darf jetzt auch wohl sagen, dass die B 67^ nach
longiores ausradirten W^orte keine anderen gewesen sein
werden, als complexis quantum ego arbitror etc., die selbst-
verständlich erst nach der subscriptio folgen durften.
Ueberblicken wir zum Schluss, was sich aus dieser Ge-
genüberstellung von B und W ergibt, so scheint es klar,
dass in B die ursprüngliche und erste Redactiou des 2. Buches
der Institutiones von Cassiodor's Hand erhalten ist und es
war nöthig, zu diesem Zweck einmal das ganze Plus in JB
und seine Verschiedenheiten von W (und G) gewissermassen
uno conspectu zu geben. Irgendwelche Auseinandersetzungen
über das Verhältniss von B zu den anderen Codices und
Handschriften classen kann ich schon deswegen nicht geben, da
mir das nöthige Material fehlt, welches üsener wie es scheint
ziemlich vollständig zusammengebracht hat. Dass aber die
in B mehr vorhandenen Stücke nicht Interpolationen sind,
sondern vielmehr von Cassiodor bei der späteren Redaction
gestrichen wurden, scheint sicher.
Ich will dazu noch einige Erläuterungen geben.
Den in B erhaltenen Wortlaut der langen literar-histori-^
sehen Notiz in dem Capitel de dialectica, beginnend Isagogen
transtulit uictorinus orator, hat üsener p. 65 — 66 als cas-
siodorisch und echt erwiesen.
Laubmann: Mittheilungen aus Würzhurger Handschriften. 95
Die oben ausgeschriebene Differenz am Schliiss der Gram-
matik : codicem legat, quem de grammatica feci arte conscribi,
wofür W (mit der Ausgabe) etwas ganz anderes hat, ist
insofern instructiv, als der Text in B sich auf die Samm-
lung der grammatici bezieht, welche Cassiodor (cf. Garet,
p. 509'' med. und 525'' sub fin.) für das Kloster zusammen-
schreiben Hess, während die Worte in W von einem erst
nach Vollendung der beiden Bücher der Institutiones abge-
fassten Werk des Cassiodor sprechen, wie die Einleitung
zu de orthographia ^) , worin er seine früheren Schriften
chronologisch aufführt, leicht ersehen lässt: so dass also
der Text in W die üeberarbeitung von Cassiodor's^) Hand
bietet.
Auch die Stellen in B^ welche von Martianus Capella
handeln, sind sehr interessant und ergänzen, was Eyssenhardt
praef. p. XIX sq. über die Benützung dieses Schriftstellers
im 6. Jahrh. anführt. In der Ausgabe von Garetius kommt
sein Name in den beiden Büchern der Institutiones (und
wie es scheint, auch sonst) nicht vor; er tritt erst durch
B ein. Das einemal, am Schluss der rhetorica, sagt Cassiodor
gelegentlich der Untersuchung über den Begriff artes und
disciplinae, dass Felix Capella sein Werk betitelt habe ,,de
Septem disciplinis''; bei der zweiten Erwähnung (am Ende der
Dialektik) heisst es, er habe gehört, dass Felix Capella einiges
de disciplinis geschrieben habe, quae tarnen ad manus nostras
adhuc minime per uenire potuerun t. In W fehlen beide N otizen,
sowie überhaupt jede Erwähnung des Felix Capella: ganz
natürlich, da Cassiodor, als er diese zweite Redaction vornahm,
den Felix Capella unterdessen sich verschafft und kennen
1) (von Cassiodor in seinem 93. Lebensjahr verfasst.)
2) Uebrigens kommt es hier nicht darauf an, ob die Redaction in
W von Cassiodor selbst ist; es sollte bloss sachlich die tief gehende
Umarbeitung dargethan werden, die auch von einem späteren Anonymus
herrühren kann.
96 Sitzung der philos.-phüol. Glasse vom 6. Juli 1878.
gelernt hatte, und — ein grosses Stück, ohne Nennung des
Namens, aus ihm für sein Capitel de grammatica (siehe
oben) ausschrieb. So konnte er selbstverständlich nicht
mehr sagen , er habe die Schrift noch nicht gesehen und
vorsorglich unterliess er jetzt jede Erwähnung des ausge-
schriebenen Autors.
Die Zusammenstellung der in B zahlreicheren Beziehungen
Cassiodor's auf seine Mönche und auf die Bibliothek seines
Klosters mag in ähnlicher Weise lehrreich sein; der von
Franz p. 80 — 92 sorgfältig bearbeitete Katalog der dem
Cassiodor im Yivarium zur Hand gewesenen Schriftsteller
wird durch die betreffenden Zusätze in B nicht unwesent-
lich vermehrt.
Die lange Auseinandersetzung aber, welche B über die
Zahlen eins — sieben erhalten hat, ist sicherlich acht: denn
die Zahlensymbolik bildet ein Lieblingsthema des Cassiodorius.
Lauth: Äegyptisch-a/ramäische Inschriften. 97
Herr Lauth hielt einen Vortrag über:
„Aegyptisch-aranräische Inschrifte n."
(Mit einer Tafel.)
I.
Die „Zeitschrift für Aegyptische Sprache und Alter-
thumskunde" brachte jüngst in ihrem vierten Hefte des
Jahres 1877 einen höchst interessanten Artikel des H.
Lepsius über eine „Aegyp tisch- Aramäische Stele'^ welche
das Berliner Museum aus Saqqavah erworben hat. Den
Schwerpunkt der darauf befindlichen aramäischen Inschrift
bezeichnet der Verfasser des Artikels trejßPend mit den
Schluss Worten : ,,Von besonderer Wichtigkeit aber ist das
von Euting gefundene Datum vom Monat Mechir des
4. Jahres unter der Regierung des Xerxes, welches dem
Mai-Juni des Julianischen Jahres 482 vor Chr. entspricht.
Die Inschrift dürfte hienach den ersten Platz unter den
nickt eben zahlreichen bisher aufgefundenen aramäischen
Stein- und Papyrus-Inschriften einnehmen, von denen keine
über die Ptolemäerzeit zurückzugehen scheint".
An diesem Hauptresultate rütteln zu wollen, wäre An-
gesichts der deutlichen Legende eine kaum zu rechtfertigende
Verwegenheit. Da indess einige der andern Zeichen durch
Beschädigung undeutlich geworden und desshalb in der
Transscription Euting's mit ? versehen sind, so muss sich
die Forschung vorerst auf diese Punkte richten, um aus
[1878. 1 Philos.-philol.-hist. Cl. Bd. II. 1.] 7
98
Sitzung der philos.-philol. Classe vom 6. Juli 1878.
dieser werthvollen weil datirten Bilinguis möglichst grossen
Gewinn für Sprache und Paläographie zu ziehen. Ich werde
weiterhin einige darauf hinzielende Versuche anstellen, ob-
schon ich mit Lepsius bekennen muss, dass mir die nöthige
Kenntniss der semitischen Sprachen fehlt, ura den sach-
kundigen Erklärungen und Bemerkungen Euting's etwas
(Wesentliches mit Zuversicht) hinzuzufügen oder abzunehmen.
Nur die Aufzeigung des zweitenDatums (lin. 4) welches
zur Bestätigung und Controle des ersten (1. 3) dient —
ein wirkliches Novum, vielleicht Unicum sowie die Ent-
räthselung des Schlusses der 1. Zeile nebst den zwischen
den Figuren befindlichen Beischriften nehme ich als wesent-
liche Zugaben in Anspruch.
Meine Berechtigung zu diesem gleichwohl schüchternen
Versuche entspringt aus der Zergliederung des hiero-
glyphischen Textes, den ich anders auffasse, als Lepsius,
obschon seine lichtvolle Darstellung anfänglich in mir, wie
wohl auch bei andern Lesern, den Eindruck machte, als ob
der Text nicht leicht etwas Anderes besagen könne. Allein
bei genauerer Erwägung kam als hinkender Bote der Ein-
wurf, dass dieses Ergebniss nur durch die missliche An-
bringung zahlreicher Correcturen — es sind deren nicht
weniger als zehn ! — erzielt worden ist. Welche Verlässig-
keit besässe denn dieses Denkmal, wenn der Schreiber des
Textes ein „unwissender" war, wie Lepsius annimmt, wel-
cher auch die künstlerische Behandlung der Figuren als
,, wenig sorgfältig" bezeichnet?
Um uns von dem gegenth eiligen Verhalte zu über-
zeugen, dazu genügt ein Blick auf die durchaus symmetrische
Darstellung : das Giebelfeld zeigt in der Mitte die beschwingte
Sonnenscheibe, darunter als Centralfigur den Osiris, den
Beherrscher und Richter der Unterwelt auf seinem Throne;
zu seiner Rechten Isis und Nephthys ; vor ihm in Anbetung
ein Ehepaar mit asiatischer Haartracht. Die zweite Ab-
Lauth: Äegyptisch-aramäische Inschriften, 99
theilung enthält das nämliche Ehepaar, aber in Gestalt von
Mumien, die auf jenen üblichen Löwenbahren liegen, von je
einem Anubis (-Priester?) mit einer Vase in der Hand ge-
segnet. Zu Häupten steht rechts und links mit längerem
Gewände bekleidet, ein Sohn in der Geberde der Todten-
klage; die Mitte bildet ein mit dem kürzeren Schurze ver-
sehener Asiate, welcher die Löwenschwänze der beiden
Bahren mit seinen ausgestreckten Armen erfasst und sym-
bolisch die Zusammengehörigkeit der beiden Mumien an-
deutet.
Der interessanteste Theil dieser Scene besteht in den
unter den Bahren aufgestellten Gefässen fremdländischen
Gepräges : sie laufen nach unten spitz zu und sind desshalb
in Ständer eingelassen. Der aramäische Text bezeichnet
sie, wie Lepsius richtig vermuthet hat, als 1 1 ^^ „zwei Ge-
fässe''. Die Henkelpaare sind halbkreisrund gestaltet, während
die muthmasslichen Deckel eckig geformt sind. Auf dem
Bauche dieser Gefässe nun befindet sich die Marke A, die
man für einen Zehner der hieratisch-demotischen Schriftart
Aegyptens ansehen und auf das darin enthaltene Maass von
Flüssigkeit beziehen könnte. Dagegen spricht aber der
Umstand, dass dieser Abtheilung nur aramäische Schrift-
zeichen eignen, und dass die Form der Gefässe selbst un-
ägyptisch d. h. asiatisch ist. Dazu kommt weiterhin in
dem dreifach beglaubigten Namen der Frau Achthabu
einmal die Variante A für n : DdAn. Wir sind also ge-
nöthigt, in der Marke A ein mit n beginnendes Wort zu
erkennen. Glücklicherweise enthebt uns das vorletzte Wort
der 1. Zeile (Abth. 4) jeglicher Ungewissheit : es lautet
deutlich non, gehört durch n verbunden grammatisch
zu 1 1 ^D und kann desshalb mit Wahrscheinlichkeit auf die
Pietät der Angeredeten (Eltern) bezogen werden, deren
Pronomen GD angehängt ist. Die Wahl der Variante A
100 Sitzung der phüos.-philol. Classe vom 6. Juli 1878.
statt n als Marke auf den Gefässen erklärt sich auch recht
gut vom künstlerischen Standpunkte aus, da dieses Zeichen
zu der Fussspitze der Gefässe in Symmetrie steht: ()
Ausserdem treffen wir aber in der nämlichen Ab-
theilung eine grössere aramäische Legende unmittelbar vor
dem fremdländischen Gefässe rechter Hand: NJ^n. Da ich
dasselbe Wort als Anfang des Opfersteines vom Serapeum
und als Gegensatz oder Parallele zu Aj^n „Speiseopfer "auf-
zeigen werde, welch letzteres auf der Tafel von Carpentras
in der ebenfalls augmentirfcen Form NPI^Qn auftritt, so wird
uns jetzt schon der Gedanke nahe gelegt, dass es „Guss-
opfer" oder „Libation" bedeutet. Es ist also kein Eigen-
name, wie Lepsius annimmt und mit dem ägyptischen
Hakena belegt, wobei er den bedenklichen Umstand nicht
verschweigt, dass diese nur einer weiblichen Person
eignende Legende vor der Figur eines Mannes angebracht
ist. Ich kann ebenfalls ein ägyptisches hakan ^) mit der
Variante hanaJc^ deterrainirt durch Vase in der Hand oder
Libationsstein, 8^^^-^(t^\^) aufführen und beweisen,
dass die Semiten dieselbe Doppelgestalt des Wortes in dem
eben besprochenen NJDn und dem bekannteren r\3}n be-
sassen.
Nunmehr begreift man auch das gerade unter dem
NiDn in der nächsten Abtheilung stehende D: es ist die
Initiale des aus der Bibel wohl erinnerlichen nn^p, das wir
oben in seiner erweiterten Form schon erwähnt haben. Es
ist die noth wendige Ergänzung zu dem Gussopfer ^?J^^, da
ja auch das entsprechende ägyptische ti-hotep suten I A ^g
,.das rechtgläubige Opfer" aus Speisen und Getränken
1) Vorgl. Todtenb. Cap. 134, 9; 145, 27. ^ — w
Lauth: Äegyptisch-aramäische Inschriften. 101
bestand. Dass nur die Initiale D beliebt wurde, erklärt
sich aus der Beschränktheit des Raumes und weil es als
formelhafte Ergänzung zu NJDn beim Leser vorausgesetzt
werden durfte. Aehnlich haben wir ja auch A auf den Ge-
fässen als Abbreviatur von DOn getroffen; will Jemand
darin die Initiale von ^^JIDH erkennen, so hätte ich nichts
dagegen einzuwenden, als dass dann die mir nothwendig
erscheinende Beziehung dieser Marke A auf die „zwei Ge-
fässe der Pietät' ' des Textes wegfallen würde.
Ebenso symmetrisch wie die zwei besprochenen oberen
Abtheilungen ist auch die dritte gestaltet: vier Töchter
theils kauernd, theils stehend, mit der analog wechselnden
Geberde der Todtenklage, bilden die Mitte. Wenn man
auch nur ihre Busenbildung erwägt, die einen genauen
Gradmesser ihrer Altersstufen abgibt, besonders im Hinblicke
auf die mehr hängende Brust der Mutter (Abth. 1), so ge-
wahrt man unschwer, dass hier das Werk eines wirklichen
Künstlers und nicht das eines rohen Handwerkerstjis vor-
liegt. Wir müssen desshalb auch die übrigen Besonderheiten
der Figuren beachten.
Der links abschliessende junge Mann trägt die Kriegs-
haube, mit einem Ansätze, wie er oft bei ausländischen
Soldaten getroffen wird. Es war also dieser Träger der
Pickelhaube ein Militär ; er behauptet die rechte Seite der
Darstellung (vom Denkmale aus betrachtet), weil er der be-
vorzugte ältere Sohn (Abseli?) ist, während der jüngere
Bruder links ein längeres Gewand trägt und nichts als jenes
schon besprochene [nn:] D vor sich hat. Seine Geberde
ist minder ausdrucksvoll als die seiner Geschwister, aber
nur in Folge des beschränkteren Raumes, was ihn wieder
zum Jüngsten stempelt.
Hat sich also die künstlerische Darstellung in allen
ihren Theilen als eine durchaus planmässige erwiesen, so
102 Sitzung der phüos.-phüol. Classe vom 6. Juli 1878.
wird aucli der ins clirift liehe Theil unser Vertrauen
beanspruchen dürfen. Ich lese demnach den hieroglyphischen
Text, der jedenfalls nach Ausarbeitung der Bilder in die
freien Spatien eingeschrieben worden ist, in continuo fort,
ohne Correcturen anzubringen oder Versetzungen vorzu-
nehmen. Nachdem der Schreiber die zur Osirisfigur ge-
hörende Legende richtig abwärts geführt hat, macht er bei
den Knieen des Gottes die erste aber nothwendige Aus^
biegung nach rechts, setzt alsdann, immer den zur Ver-
fügung stehenden Raum benützend, seinen Text zwischen
Mann und Frau als zweite Columne fort und ist desshalb
genöthigt, da auf dieser Seite kein weiterer Raum übrig
blieb, auf die entgegengesetzte Seite hinter Osiris überzu-
springen, ohne indess die Schriftrichtung zu wechseln.
Die Legende erweist sich sonach als ein zusammenhängendes
Ganzes, das man nicht willkürlich zerreissen und verschlimm-
bessern darf; dieselbe besagt:
„Rechtgläubige Opfergabe an Osiris, den Vorstand der
Setmati (Amenti), den grossen Gott, den Herrn von Abydos,
(damit) er gewähre ein schönes Begräbniss in der heiligen
Unterwelt, einen guten Namen auf der weiten Erde, dem
Anhänglichen (BVommen) an den grossen Gott: Abu (und)
der Herrin des Hauses: Achthabu."
Wegen ^^suten rechtgläubig" vergl. man einstweilen
das Kopt. eT-coTTCon oQd-oöo^oq ^).
Ungeachtet der Kürze dieses Textes, der noch dazu
ein formelhafter ist, wird man zwischen der Uebersetzung
des H. Lepsius und der meinigen einige Unterschiede wahr-
nehmen, die zum Theile sogar von principieller Wichtigkeit
sind. Anstatt jedoch die Ansichten dieses Gelehrten zu
2) H. Lepsius sagt in einer Anmerkung, dass der Sinn der Gruppe
suten-ti-hotep noch nicht sicher ermittelt seij meine Auffassung ergibt
wenigstens einen überall zutreffenden Sinn.
Lauth: Äegyptisch-aramäische Inschriften. 103
kritisireu, der sicli durch die Acquisition und Publication
dieses werthvollen Denkmals ein neues Verdienst um die
Wissenschaft erworben hat, ziehe ich vor, meine eigne Auf-
fassung zu rechtfertigen, dem Leser es überlassend, sich
durch Vergleichung beider selbst ein Urtheil zu bilden.
Nur diese Bemerkung muss ich vorausschicken, dass ich
die Abweichungen des Textes von der gewöhnlichen Schreibung
nicht aus der Unwissenheit, sondern aus der Künstelei des
Schreibers ableite.
Die Legende: „Rechtgläubige Opfergabe" bis „den
grossen Gott", ist in ein länglichtes Rechteck eingeschlossen,
nicht „ohne Grund", sondern weil der sonst übliche Cippus
mit Opfern vor dem Gotte fehlt und folglich dieses Recht-
eck die Dedicatiou oder die Oberfläche des Opfertisches
darzustellen hat. — Auf dem Münchner Exemplare des
Todtenbuches zeigt die Vignette zu cap. 16 zwei solcher Ein-
fassungen: die eine länglicht viereckig, wie diese hier, mit
der Legende des Sokaris, die andre mit dem Passus
„Suten-ti-hoiep Osiri bis Abdu" nebst „7s^5 Nephthys
dU'Senu^\ letztere Einfassung ist in Form einer oben runden
Stele, beide werden von je einem Arme gehalten und prä-
sentirt. — Das erste ernstliche Bedenken erregt die Hiero-
glyphe ,,er gewähre". Statt der spitzen Gabe auf der Hand
4 ü erscheint hier ein gekrümmtes Instrument in der Faust.
Sieht man aber etwas genauer zu, so erblickt man in der
Linken des Osiris ein Pedum ganz gleicher Form, und der-
selbe Haken begegnet uns weiterhin auf dem Knie des
Deutbildes unter dem Mannesnamen Abu. Ist nun aber,
weil unmittelbar über diesem Haken in der Faust die
kreisförmige Hieroglyphe ® steht, — zunächst als Stadt-
zeichen zu Abdu (Abydos) — und weil derselbe Kreis phone-
tisch chu lautet izi ®, mit der Bedeutung „schützen", so-
fort die Uebersetzung ,,er schütze" anstatt „er gewähre"
zu wagen? Keineswegs, da du-f „er gewähre" eine stän-
104 Sitzung der philos.-pMlol. Classe vom 6. Juli 1878.
dige Formel an dieser Stelle ist, von der unter keinen Um-
ständen abgegangen werden darf. Betrachtet man ferner
das Flagellum in der Rechten des Osiris und bedenkt, dass
dieses das beständige Determinativ zu dem eben erwähnten
chu ,, schützen" ist (^ „) so gewinnt man die Ueberzeugung,
dass der Schreiber nicht aus Unkenntniss Fehler gemacht,
sondern absichtlich Anspielungen auf die Attribute des
Osiris eingeschmuggelt, also den Text gekünstelt hat.
Das Zeichen hinter nefevt „schönes'* ist nicht die Pa-
pyrusrolle, sondern die erforderliche Präposition m / (bei
Chaeremon OTtri genannt) mit der sicheren Bedeutung ,,in^^
— Was ferner die deutlich geschriebene Legende set-nuter
„die göttliche Unterwelt" betrifft, so wäre allerdings chert-
nuter das Gewöhnlichere ; allein der Schreiber wollte gerade
zeigen, dass er den Begriff des set (cf. cht infra) recht
wohl kenne; in der That bringt er weiterhin den Gegen-
satz her-tep (ta) = g^iTne supra. Man darf also unter keiner
Bedingung die fragliche Gruppe corrigiren, wie Lepsius
thut, um selbst nach der Veränderung des Gotteszeichens
in den Auslandspfahl ] zu bekennen, dass dieses sonst
nur als Determinativ hinter Fremdnamen gebräuchliche De-
terminativ hier als selbstständige Gruppe gefasst werden
müsste. — Man beachte doch auch den passenden Parallelis-
mus: ,, schönes Begräbniss in der heiligen Unterwelt" —
„guten Namen auf der weiten Erde."
Damit zerfallt der angeblich ägyptische Name ^ . Her^
fep in Nichts; hingegen werde ich den in Lepsius' Auf-
fassung fehlenden Namen Abu, der wegen des riDN der
aramäischen Legende im hierogl. Texte vorkommen muss,
weiterhin bestimmt nachweisen. — Der Ausdruck ta vu
^^ „die weite Erde" ist eine häufige Var. für ta ter-f
(e^o-THpq) „das ganze Land^^ worunter gewöhnlichAegypten
Lauth: Äegyptisch-aramäisehe Inschriften. 105
gemeint ist. — Was zunächst sicli anschliesst, ist die ge-
radlinig geformte Wellenlinie w, um den Dativ anzukündigen.
In der That folgt unmittelbar das Wort amch(u)pius mit
eher nuter-ao also „pio erga Deum magnum^'. Der Schreiber
hat sich hiebei erlaubt, das kreisförmige Zeichen Q zugleich
als Schluss von amch und als Anfang der Präposition eher
erga zu verwenden. Dies konnte er thun, weil häufig dieses
Zeichen aus zwei concentrischen Kreisen besteht^) und weil
im aramäischen Texte das diesem ameh pius entsprechende
Wort non analog aus rnon assimilirt ist.
Nunmehr muss der Name des Mannes sich anschliessen ;
es steht aber scheinbar nur hu J yJ^i während doch der
aramäische Text zweimal HDN bietet. Obschon es sich nur
um ein einziges Lautelement handelt, so läge in diesem
Mangel dennoch eine unbesiegbare Schwierigkeit, wenn wir
uns nicht gegenwärtig hielten, dass der Schreiber bei seinem
Hierogljphentexte auf die Göttertignren Rücksicht nimmt,
und eine Art Amalgame daraus bildet. Nun steht aber
das unvollständige hu unmittelbar unter dem fälschlich
sogenannten Nilschlüssel •¥• , welchen die Isis in ihrer Rech-
ten hält. Der unter ihrer Faust hervorstehende Theil des
Lebenszeichens anch ist — man vergl. das Sylbenzeichen
tK ah im Namen der Stadt Ähdu (Abjdos) gegenüber —
hier offenbar als ah aufgefasst und, in Folge der bekannten
Mischbildung, mit den beiden phonetischen Zeichen hu zu
einem Ganzen: dem Namen Abu vereinigt. Jetzt passt
das unmittelbar darunter befindliche Deutbild dazu: es ist
ein bärtiger Mann, der das gekrümmte Instrument (pedum)
3) Z. B. auf Philae in dem Namen des Gottes Har-m-achu =
"AQficcxtg (Young hierogl, II 71),
106 Sitzung der pMlos.-philol. Classe vom 6. Juli 1878.
auf den Knieen hat. Er wird dadurch als sau j^ „Wächter"
charakterisirt, und mag sich seine dessfalsige Thätigkeit
auf das Serapeum selbst beziehen. Gegen Lepsius' Ansicht,
der diese Gruppe hu mit Deteruiinativ zu dem weiblichen
Namen Ächthabu zieht, erhebt sich in dem Deutbilde der
bärtigen männlichen Person unter bu eine unbesiegbare
Schwierigkeit. — Dahinter folgt der Halbkreis o, bekannt-
lich das Zeichen des Feminins im Aegypt. mit dem Laut-
werthe t und oft als Artikel ta gebraucht. Das dazu ge-
hörige Substantiv ist neb-pe „Herrin des Hauses". Es fehlt
also dieses Kennzeichen des weiblichen Geschlechtes keines-
wegs, wie Lepsius glaubt. Aber darin muss ich ihm bei-
stimmen, wenn er sagt, dass statt des Himmels (in der
conventioneilen Form p==q unseres Trag himmels) offenbar der
Haus plan ""i"* zu setzen war. Allerdings verhält es sich
so ; allein beide Wörter hatten die gleiche Aussprache n€,
wie aus ^^.-Ai-ne hircus domesticus zu schliessen ist, im
Vergleiche mit g^OT-M-ne aqua coeli = pluvia. In
früherer Zeit hatte der Hausplan die Aussprache per^ par
z. B. im Titel des Königs Phar-ao n;?'lD, ohog ixeyag
beim Horapollon. Das n ist paragogisch wie in n'W'O =
Mesu und vielleicht in unserem HDN = Abu,
„Die Herrin des Hauses" ein constanter Titel der ägyp-
tischen Ehefrau und in bilinguen Texten daher oft mit
g^iAie mulier identisch, ist hier absichtlich mit der Hiero-
glyphe des Himmels statt mit der des Hausplanes geschrie-
ben, weil eben der Schreiber zugleich auf die dicht dabei
stehende Herrin des Himmels: die Nephthys, anspielen
wollte, welche ihr Namenssymbol Nebt-hut „Herrin des
Hauses" auf dem Haupte trägt. Auch hält sie in der Lin-
ken exceptioneller Weise das Scepter der männlichen Gott-
heiten I während die Isis vor ihr das übliche Scepter \
Lauth: Äegyptisch-aramäische Inschriften. 107
der Göttinen (mit Pflanzenschaft) in der Linken führt.
Diese Ausnahme von der Regel mnss hier einer bestimmten
Absicht entsprungen sein : es ist eben eine weitere Künstelei
des Schreibers, welcher die ÄchtJiahti als wirkliche Gebieterin
im Hause des Ähu aufgefasst wissen wollte. Darauf deutet
auch die Bevorzugung, welche der Mumie dieser Achthabu
zu Theil geworden ist: sie liegt auf der rechten Seite (vom
Denkmal aus betrachtet) und diese nimmt sie auch oben
neben ihrem Mann stehend ein, wenn man sich die gehörige
Perspective herstellt. Es fehlt nicht an ähnlichen Ausnahmen.
Die Münchner Glyptothek besitzt eine sehr schön und fein
gearbeitete Sitzgruppe: die Frau sitzt rechts und hat sogar
die rothe Hautfarbe der Männer, während der Ehegemahl
mit der gelblichweissen Hautfarbe der Frauen abgebildet ist
und die linke Seite einnimmt.
Wir haben aber im Rest der ganzen Hieroglyphen-
legende nur die drei Lautelemente Achth^ ^^ci. ^i® ^®^"
führerisch an n*in{< ,,Schwester'' gemahnen. Aber wo steckt
die Ergänzung dieses Torso zu Achth-abu^ welchen Namen
die zweimalige 1Dn^^< des aramäischen Textes gebieterisch
erheischt? Man erinnere sich an das über die Schreibung
des Namens Alu mittels des diakritischen Lebenszeichens
= tK Gesagte und man wird keinen Augenblick zögern,
das noch fehlende abu in dem identischen Zeichen (Rechte
der Nephthys) zu finden.
Jetzt besitzen wir ein zusammenhängendes Ganzes,
ohne dem Originale irgend wie oder wo Gewalt angethan
zu haben. Da aber aus dieser Deduction, die nothwendiger-
weise in's Einzelne eingehen musste, sich das Planmässige
und Absichtliche in der Künstelei des Schreibers ergeben
haben dürfte, so steht zu vermuthen, dass er auch bei der
partiellen Benützung des in den Händen des Schwesterpaares
f
108 Sitzung der phüos.-philol. Classe vom 6. Juli 1878.
der Göttinen befindlichen Lebenszeichens einen bestimmten
Zweck verfolgte. In der That liegt die Erklärung ziemlich
nahe; das Streben der Aegypter war, nach dem Todten-
buche zu urtheilen, vorab dahin gerichtet, dass ihre Seele
in Gemeinschaft mit den Göttern lebe. H. Lepsius hat
einer ähnlichen Anschauung zu Gunsten seiner Erklärung
Ausdruck gegeben mit den Worten : „ . . . man begnügte
sich, die heiligen Zeichen (der Hieroglyphik) nur in der
obersten Abtheilung zu gebrauchen, wo man es den Göttern,
zu denen auch die Verstorbenen gehörten, schul-
dig zu sein glaubte." Nun besehe man sich die Vertheilung
unseres hieroglyphischen Textes : Vor Osiris, dem Herrn
der Unterwelt und des Todtengerichts, läuft die auf „das
schöne Begräbniss" bezügliche Legende ; „der gute Namen"
auf Erden steht zwischen Mann und Frau — es entspricht
im aramäischen Texte wohl "»Dn^ — endlich die Anspielung
auf das ewige Leben bei den Göttern steht zwischen Isis
und Nephthys. Weit entfernt also, dass ,,die Mangelhaftig-
keit der hieroglyphischen Kenntniss des Schreibers hinreichend
nachgewiesen" wäre, wie Lepsius behauptet, zeigt vielmehr
die geschickte Vertheilung des Textes, die ganz und gar
mit der acht ägyptischen Dreitheilung in Himmel — Erde
— Unterwelt übereinstimmt, dass der Schreiber mit Kennt-
niss und Bewusstsein verfährt. Es ist sogar noch ein
weiterer Schritt erlaubt, nämlich zu vermuthen, was die
Onomatothesie ohnehin nahe legt, dass die Participation
der beiden Eheleute A b u und Achthabu an dem Lebens-
zeichen des Schwesternpaares Isis und Nephthys, auf
ein geschwisterliches Verhältniss der beiden Gatten
hinweist. Im Lande der Geschwister eben hat dies nichts
Auffallendes; ja ich gehe noch einen Schritt weiter und
vermuthe sogar ein Zwillings verhältniss des Paares Abu-
Achthabu. Selbst in einer Gegend Deutschlands (Oberpfalz,
nach H. v. Schönwerth) soll die Zwillingsehe ein Gebot der
LautJi: Aegyptisch-aramäische Inschriften. 109
Sitte sein — um wie viel mehr in Aegypten, wo die reli-
giöse Tradition das Paar Isis - Osiris sich sogar schon im
Mutterleibe verlieben lässt! Genau so, wie diese Namen
Äs . t und As-iri etymologisch sich verhalten, nämlich als
demselben Stamme as entsprungen, haben wir hier in dem
Paare Abu-Achthabu dasselbe Etymon abu velle cupere
= ^D^<. Indess gelte dies nur als Hypothese.
Um dem eben geäusserten Gedanken gerecht zu werden,
muss man sich gegenwärtig halten, dass der Vater des
Abu-Abuh ein Aegypter war mit dem ebenfalls zur Isis-
Osiris-Mythe gehörigen Namen Hor(us) *)in, eine Form, die
ich schon früher aus dem keilschriftlichen Namen Pi-sun-
churi =* Pe-son-Hor 6 cideXq)6g "^qov erschlossen und auf
den Namen des Königs ^OooxcoQ der XXL Dyn. = Uza-
Hor ,,oculus Hori" angewendet habe. Ueber den Namen
der Mutter von Achthabu, der im aram. Texte nny Arij-
jah lautet, werde ich weiterhin einige Bemerkungen an-
knüpfen. Die Lesung nny wäre ebenso statthaft.
Nach dem Namen des ältesten Sohnes Äbseli^) zu
schliessen, der sicher ein rein semitischer ist, überwog das
4) Als Vergleichungsmaterial setze ich die sechs syrischen Namen
her, die im Pap. Bononiensis vorkommen (vergl. meinen Aeg. „Reisebrief**
in Nr. 2 der Beilage zur Allg, Zeitung 1873): das Elternpaar heisst
Salaraz (H^^D?) und Qeti (nf? oder VpX der Sohn Naqadi cf.
^<"|•ip3 Nehemia VII 50. Er flieht, weil Sclave Syrus (= Pa-Chari),
zu einem Landsmanne, dem Schiffsobersten Kanur {><")"j^D cf. S'IttHpd^
cithara und Kiyvgag. Die Heimat dieser Syrer war Aradus; der
Horizont die Zeit des Exodus. In dem ebenfalls so alten Pap. Anastasi
IV, besonders aber in dem dazu gehörigen Papyrus der Koller'schen
Sammlung im Museum zu Berlin finden sich wenigstens zwei Dutzend
altsyrischer Ausdrücke, die sich durch ein näheres Studium werden
erklären lassen. Sobald ich ein bestimmtes Resultat erreicht habe, ge-
denke ich diese Aktenstücke eingehender zu behandeln.
110 Sitzung der jphilos.-phüol. Classe vom 6. Juli 1878»
semitische Element in dieser Familie, was schon aus der
von allen 10 Figuren beibehaltenen asiatischen Haar-
tracht sich ergibt — nur bei dem militärischen Sohne ist
das Haar durch die Pickelhaube verdeckt. — Abseli ist
allein im aram. Texte als sprechender eingeführt, wie es
sich nicht anders erwarten lässt und aus dem "^D^f ]D sie
dixit bestimmt hervorgeht. Hiemit ist jedoch die am
Schlüsse der 1. Zeile stehende Verbalform N^pip. „wir haben
dargebracht" sehr wohl vereinbar, da ja Abseli als nun-
mehriges Oberhaupt der Familie zugleich im Namen seiner
jüngeren Geschwister spricht. Auch wird man nicht fehl-
greifen, wenn man aus dem emphatischen ,,sic dixit" die Schluss-
folgerung ableitet, dass in dem Vorhergehenden eine Apo-
strophe z. B. an das verstorbene Elternpaar vorkommen
und demgemäss ein Pronomen 2. plur. statthaben könne.
Nach diesen unerlässlichen Vorbemerkungen sei es mir
gestattet, zur Transscription und Uebersetzung des aramäi-
schen Textes (Abtheilung 4) überzugehen, was keine zu
grosse Waghalsigkeit involvirt, nachdem Euting schon so
manche Schwierigkeit hinweggeräumt hat.
m:iip DDDDn n II^d n'^iv niD iDnn.si -nn "id hdx ^d'^ij i
idhA« VD^< HD« in ''bDD^? xn^x nD^^< [nlDip n
llllD::[n] -^D^n iv
(1) Gepriesen sei, Abuh, Sohn des Hör, undAchthabu,
Tochter der Arijjah! Zwei Gefässe von eurer Frömmig-
keit haben wir dargebracht (2) vor Osiris dem Gotte. A b-
seli, Sohn des Abuh, dessen Mutter (ist) Achthabu, (3)
sprach also im Jahre IV Monat Mechir des Chschiarsch,
Königs der Könige (4), in den „Tagen-Hachaman's HI."
Das erste Wort ist durch den . identischen Anfang der
Inschrift des Denkmals in Carpentras gesichert, wie Euting
Lauth: Aegyptisch- aramäische Inschriften. 111
richtig gesehen hat. Dass ich von seiner Lesung: yy2
in etwas abweiche, ist im Originale selbst begründet, welches
neben dem D noch einen Strich mit oberer Krümmung,
also ■» (Jod) oder ein 1 aufweist, wie es weiterhin als End-
zeichen von "^^QX ,, seine Mutter" erscheint. Dazu kommt,
dass der Sinn selbst die Singular- Form ''D''"15 rechtfertigt,
da die zwei Personen einzeln angeredet werden. — Was diese
Namen betrifft, so ist oben bereits Einiges darüber gesagt;
hier sei nur noch bemerkt, dass man den 'A b u h als
Uod-eivcg und die Achthabu als aÖ£lq)rj JJod-ecvov auf-
fassen darf. Nimmt man ferner mit mir an — was indess
für den Sinn des Ganzen unwesentlich ist — dass sie ein
Zwillings- und zugleich ein Ehepaar, jedenfalls Geschwister
waren, so erhielte der Passus einen poetischen Anstrich :
,,Abuh, Sohn des Hör -^ Achthabu, Tochter der Arijjah".
Letzterer Name gehört ebenso wie A b u h, beiden Sprachen
an, da äri OTpsT, ^^peg^ custos im Aegyptischen ganz und
gar in der Bedeutung sich mit "1iy vigil (-are) deckt; die
Benennung mag sich wie oben das Deutbild beim Namen
Abu, auf den Wächterberuf der Familie bezogen haben.
Ich ziehe desshalb auch die Lesung n''"iy der ebenfalls er-
laubten nny vor. — Dass das Ajn hier mit der dem y der
Quadratschrift fast identischen Form auftritt, während die
Inschrift von Carpentras dafür ^ bietet, darf nicht befrem-
den, da der Schreiber sich nach dem Beispiele seiner ägyp-
tischen Collegen gerne der Varianten befleissigt, wie schon
die stets wechselnde Gestalt des Jod — nicht weniger als
9 Mal variirt es hier! — zur Genüge darthut. Ich werde
ausserdem in dem Schlusszeichen des Wortes cJieseth-chem
ein Mem aufweisen, welches als Variante des sonstigen D
nur noch des in der Quadratschrift zugefügten Grundstriches
bedarf, um ganz wie G auszusehen.
Grössere Schwierigkeit erhebt das hinter \\b^ folgende
112 Sitzung der johilos.-philöl. Classe vom 6. Juli 1878.
Zeichen: ich fasse es als Ligatur von n, die Möglichkeit
offen lassend, dass es aus "»D, schwerlich aber aus ^T amal-
girt ist. — Meine Lesung des zunächst sich anschliessen-
den Wortes DDriDH ist an und für sich, so wie durch den
Sinn der Stelle gerechtfertigt; auch dürfte es kaum einer
Beanstandung unterliegen, dass non aus mon cf. HTPH
pia (ciconia) assimilirt ist und die pietas bedeutet, da man
ja derartige Verschmelzungen wie z. B. n;;; aus Dlj;, rb
aus ni^ schon kennt und uns weiterhin (unter II) eine
ähnliche Assimilation in Tli^DJ aus TU^yD^ aufstossen wird.
— Das Schlusswort hat Euting dubitativ XJDlp. „haben (wir?)
dargebracht" übersetzt. Allein sowohl dieses, als die über
den beiden Schlussbuchstaben von ihm gesetzten Frage-
zeichen dürfen wir unbedenklich beseitigen. Denn die ver-
zogene Gestalt des J, so wie die des vorangehenden 2 er-
klärt sich aus der Beschränktheit des Raumes, die den
Schreiber nöthigte, diese Buchstaben schief zu stellen, um
das ganze Wort noch in der ersten Zeile unterzubringen.
Aus demselben Grunde wählte er für K die weniger um-
fangreiche Variante, welche übrigens im Texte von Carpen-
tras die einzige Form des X ist. Allein Euting's Beziehung
dieser 1. pers. plur. auf Abseli und Achthabu ist unhaltbar,
da, wie auch Lepsius richtig erkannt hat, in der zweiten
Zeile zu übersetzen ist: „Abseli, Sohn des ^D^<, dessen
Mutter i^nAx ist'*. Wenn aber dieser Gelehrte in vor-
liegendem Worte eine Singularform erwartet, am Schlüsse
ein 1 sieht und das sich zurückbeziehende Objectiv-Pronomen
Jiu vermuthet, so kann ich ihm nicht beistimmen. Denn
die 1. pers. plur. ist sogar erforderlich, damit die Ge-
schwister des Abseli doch auch zu Worte kommen, wäre
es auch nur durch den Mund ihres ältesten Bruders und
Oberhauptes, also in höchst bescheidener Weise. Man kann
übrigens nicht umhin, bei diesem qerabna an das bekannte
biblische noQßäv (Marc. VII 11) = öwqov zu denken.
Lauth: AegyptUcli-aramäische Inschriften. 113
Die zweite Zeile bietet nur eine einzige Unsicherheit,
nämlich am Schlüsse des ersten Wortes Cip; die Spuren
der verwischten Stelle so wie der unterhalb noch sichtbare
Strich führen auf die Ergänzung np")p.. Das durch den
Sinn geforderte ]''QJ< „seine Mutter" wird auch durch die
palaeographischen Züge der zwei letzten Buchstaben ge-
rechtfertigt, die nur zusammengeflossen sind.
Der Anfang der dritten Zeile: 10J<"]5 sie dixit, welche
üebersetzung Euting nur parenthetisch neben ,,war ÄMR""
gegeben und mit ? versehen hat, ist jetzt etwas verständ-
licher, nachdem meine Analyse dargethan hat, dass der
Sohn Abseli in seinem und seiner Geschwister Namen au
die Eltern eine Apostrophe richtet. — Die Legende des
Datums: ,, im Jahre IV, Monat Me eh ir, des Chschiarsch
(Xerxes I), des Königs der Könige'* ist sogar im letzten
Wortpaare, welches fast ganz verwischt ist, völlig gesichert
und Euting's Lesung unanfechtbar. Nur in Betreff seines
ny, muss ich bemerken, dass zwischen dem vorletzten und
dem letzten Buchstaben noch ein Strich steht, welcher, da
er nicht T (Sajn) sein kann, noth wendig ) (Vav) sein muss.
Es erinnert mich diese vollständigere Form n)y an das
Wort '0^0^ wxa, welches nach Berosus ^) eine Frau be-
deutete, die über die Thiere der assyrisch-babylonischen
Mythologie (Sphäre?) herrschte und auf Chaldäisch QaXaT&,
Griechisch dccXaGGa{\) Kard de lo6\pr](pov, ziz aeXrivf] sei.
Offenbar steckt die Bezeichnung jeroach darin und auch
die yvvrj wird eruirt, wenn man als ersten Bestandtheil
n'i< mater ansieht, welches Wort meines Wissens in solchen
Compositis arabisch ähnlich Um lautet.
Bei der letzten Zeile fällt Einem unwillkürlich der
Spruch ein: „in cauda venenum", da sich hier trotz der
5) Vergl. Syncellus chronogr. p. 52 edit, Dindorf.
[1878. 1 Phüos.-phil.-hist. Cl. Bd. II l.J
114 Sitzung der pliilos. -philo!. Classe vom 6. Juli 1878.
Beschränktheit der Zeichenzahl mehrere ernstliche Schwierig-
keiten drohend erheben. Zwar das erste Zeichen ist ein
sicheres D, das zweite wahrscheinlich eine Variante des
Jod, das dritte, freilich nicht mehr so sicher, ein ö, da
nach links noch ein kleiner Seitenstrich sichtbar ist. Dess-
ungeachtet glaube ich, dass Euting mit seiner Lesung
D"*? der Wahrheit sehr nahe gekommen ist. Dagegen konnte
mich seine AaffassuDg des letzten Wortes |l|]DDn „der
Weisen'' (= )"'P"'3n) nicht befriedigen, da der zerstörte
Anfang in seinen Spuren nicht auf ein n sondern auf ein
n hinführt, und die deutliche Zahl 1 1 1 dahinter doch nicht
allenfalls eine Anspielung auf die drei Weisen des Morgen-
landes enthalten zu können scheint. Dagegen ist zu billigen,
dass er in dieser Gruppe „eine Fortsetzung oder Detailirung
der vorausgegangenen Zeitbestimmung" vermuthet. In der
That entspricht die Einleitung mit 3 und der Abschluss
mit der Zahl III ganz und gar dem ll||n^^2} vor der Le-
gende des Xerxes.
Nach längerer Erwägung gerieth ich auf den Gedanken,
dass hierin das Datum einer Satrapie stecken müsse
und hiemit enthüllte sich mit einem Schlage die Lesung
III l^nn'"»)?^? ,,in den „Tagen des Hachaman'' IIL" Damit
man jedoch nicht meine, hiemit sei Achaemenes III ge-
meint — obwohl diese Bezifferung sich aus der Geschichte
seines Hauses nothdürftig erweisen Hesse — citire ich in
extenso, was Herodot VII 7, über ihn meldet: *12g de
dveyvoJO^rj SsQ^t^g orgareveG^ai s/rl Trjv 'ElXaöay evd^avxa
devT£Qcp fiev stsl jueTcc tov d-av ax ov J aQeiov ^
TtQOJTa OTQaTrjirjv Tcoieerai eirl rovg a^ieoTEWTag. Tovtovg
f4,€v VW yiaTaOTQSipaiuevog, ytal ^XyvTtrov Tiäoav nokXov
öovXoT£Q7]v TtoiriGag, tj stcl Jageiov ^v^ e7titqi7tBL!/ä%aL-
jiisvel, dÖ6Xg)e(^ ^ev ecovrov, /taqeiov de fcaidl. u4%ai'
Laufh: Aegyptisch-avamäische Inschriften. 115
/iievsa (.UV vvvj etvlt qoTtevowa ^iyv/tTOv., xqovto
(lerineLTa ecpovevoe Ivaqcog o Wa!Af.iiTlxov, aviiQ ^ißvg.
Das zweite Jahr nach des Darius Tode ist 484 v. Chr.,
das vierte des Xerxes 482 v. Chr., folglich dieses zu-
gleich das dritte Jahr derEpitropie oderSa-
trapie des Achaemenes. Wer sich daran stossen wollte,
dass das Zahlzeichen III hinter dem Namen Ha ch am an ^)
und nicht unmittelbar hinter ^D2 steht, der bedenke, dass
der Pluralis constr. — den wir hier allenfalls „das Getage''
übersetzen könnten — mit dem Namen Hachaman um dess-
willen so eng verbunden ist, weil III CO^^ eben nur „drei
Tage" bedeuten würde, wobei es noch fraglich ist, ob man
alsdann nicht vielmehr das Zahlwort ,,drei" gebraucht
haben würde. Dazu kommt, dass auch im Ebraeischen
G"'P%Tn3T ein „jährliches'' oder „Jahres"-Opfer be-
zeichnet.
Es ist demnach die Stele des Berliner Museums nicht
bloss als datirteBilinguis werthvoll, sondern das eben
aufgezeigte controlirende zweite Datum mittels der
Sat'rapie d es Achaemenes erhebt sie zu einem Denk-
male ersten Ranges in chronologisch-historischer Beziehung,
abgesehen von Sprache und Palaeographie, die dadurch be-
reichert werden.
II.
Die aramäische Inschrift des Steines von Carpentras
ist, seitdem Barthelemy, der Vater der semitischen Palaeo-
graphie, sie zuerst wissenschaftlich behandelt hat, wiederholt
6) Die Bildung dieses Evf^tyrjg bedeutenden Namens geraahnt an
den auf dem Denkmale des Ptolemaeus Lagi zu Cairo befindlichen Titel
(hierogl.) chschatrapa(va)n = auzganrig eigentl. '^cczQäntjg cf.
chschiarsch = ISiQ'^rjs — und wirklich ist Ptol. Lagi bei Curtius
„Satrapes Aegypti" genannt.
8*
116 Sitzung der philos.-2Mlol. Classe vom 6. Juli 1878.
in Angriff genommen worden, ohne dass diesen Bestrebungen
der gewünschte Erfolg entsprochen hätte. Die Haupt-
nrsache dieses Misslingens liegt in der Nichtbeachtung der
oberhalb befindlichen ägyptischen uüd nicht bloss ägypti-
sirenden Darstellung^), so wie in der Nichtberücksichtigung
des Todtenbuches, welches als Prototyp derartiger Scenen
den Vortheil bietet, dass darin die Begleittexte nicht fehlen.
Ich werde desshalb, wie ich unter I. gethan, auch hier
zuerst die Erklärung der Bilder geben, um hernach mit
einiger Aussicht auf Erfolg zu dem unterhalb angeschrie-
benen aramäischen Texte überzugehen.
Barthelemy war von guten Grundsätzen der Kritik ge-
leitet, als er den oberhalb der Bruchstelle befindlichen Theil,
weil auch dessen Farbe vom unteren ächten Theile ver-
schieden sei, für eine moderne Restauration erklärte. Allein,
wenn er sagt : la pierre n' etait pas entiere quand eile tomba
entre les mains de M. Rigord (copie de 1704) et que cet
Antiquaire la fit mettre dans 1' etat ou eile est ä present :
la restitution etait assez aisee etc. so muss ich doch zu
bedenken geben, dass Rigord unter dieser Voraussetzung
ganz gewiss seine Restauration des Monuments nach dem
Muster der oben abgerundeten Stelen gemacht haben
würde, wie uns Nr. I dieser Abhandlung eine vor Augen
stellt. Es zeigt sich aber, dass das Prototyp des Todten-
buchs, woher die bildliche Darstellung stammt, in der That
ein Distylon ist, wie Rigord restituirt hat, ohne indess
den oben abschliessenden Fries mit Palmcapitäl-Ausladung
hinzuzufügen. Es ist desshalb wahrscheinlich, dass Rigord
nach dem abgebrochenen aber sehr stark degradirten Theile
seine Restauration getroffen hat; denn dass eine solche
vorliegt, das beweist schon die Vernachlässigung der Palmen-
ringe am oberen d. h. modernen Theile der Schäfte. Ich
7) Wie z. B. die Z. DMG XXX 132 besprochene Stele des Jehav-
melek Königs von Gebal eine ist.
Lcmth: Aegyptisch-aramäisclie Inscliriften. 117
glaube daher nicht so fast an eine Fälschung, als an eine
Nachbildung.
Ein weiteres Symptom eines solchen Verfahrens liegt
in dem Mangel des linken Armes der hinter Osiris ^) stehen-
den weiblichen Gestalt. Im Todtenbuche ist derselbe vor-
handen und zwar in der Art, dass er dicht unter dem
Kinne dieser Figur quer hervorkommt, hinter dem Rücken
des Osiris unsichtbar fortläuft und an seiner linken Schulter
mit eingekrümmten Fingern wieder hervortritt. Ich ver-
mnthe nun, da das Ganze ein Bas-relief ist, dass gerade
diese Lage des linken Armes den Bruch des Steines ver-
anlasst und dass Rigord bei seiner Restauration wegen
Schwäche der Spuren diesen Körpertheil der weiblichen
Figur ausser Acht gelassen hat.
Welche Persönlichkeit darunter zu verstehen sei, das
musste meinen Vorgängern verborgen bleiben, weil sie eben
nicht auf das Todtenbuch als Quelle recurrirten. Barthe-
ieray dachte unwillkürlich an die Isis und das mochte
auch Tychsen adoptiren, da er in dem zweimaligen M)^'^ der
Inschrift mit aller GcAvalt diese Göttin erkennen wollte.
Nun, was die Isis anbelangt, so fehlt sie auf unsrer Dar-
stellung keineswegs ; aber sie befindet sich in der mittleren
Abtheilung zu Häupten der Mumie, während ihre Schwester
Nephthys zu Füssen derselben kniet. Beide tragen dieselben
Embleme auf dem Kopfe wie in Nr. I.
um mich kurz zu fassen, will ich gleich das Original
vorführen : die Darstellung des Todtenbuches zu cap. 148.
Man sieht dort über den Textcolumnen 23 — 37 ein Disty-
lon mit Palmenschäfteu und Fries, wonach unser Denkmal
8) Meraoires do Tacad. dos inscripptt. XXXI F, 736. Die jüngste
Besprechung in der Zts. DMG 1878, I hat das Verständniss nur in
soweit gefördert, dass der Verfasser: Herr Schlottinaun, eine poetische
Diction dabei erkennt, was mit meiner Ansicht ziemlich übereinstimmt,
wenn auch die Auffassung im Einzelnen abweicht.
118 Sitzung der philos.-plülol. Clasnc vom 6. Juli 1878.
stylgemäss nach oben ergänzt werden könnte. Den Mittelpunkt
der Scene bildet ein Cippus mit Opfergaben, ganz ähnlich dem,
welcher sich auf unserem Denkmal vorfindet, nur dass er
hier in vier Etagen gegliedert ist, um recht viele Opfer-
gaben aufzunehmen. Dadurch fällt schon ein Schlaglicht
auf den Ausdruck NHiDn des Textes, da, wie wir aus Nr. I
gelernt haben und aus Nr. III definitiv erfahren werden,
hiemit das Trockenopfer bezeichnet wird. Die vorkommen-
den Vasen sind damit nicht im Wiederspruch, da sie nicht
Flüssigkeiten sondern Aromata wie Kyphi und dergl. ent-
hielten.
Dieser Cippus bildet recht eigentlich die Mitte der
oberen Abtheilung. Zu seiner Rechten (vom Denkmal aus
betrachtet) sitzt Osiris und hinter ihm steht die oben be-
schriebene weibliche Persönlichkeit (deren Wesen uns des
Todtenbuch enthüllen wird) indem sie ihre Rechte an den
Körper des Osiris anlehnt. Sie bildet mithin dieser Geberde
zufolge, besonders wenn man sich den linken Arm in der
oben erörterten Lage hinzudenkt, mit dem Gotte eine un-
zertrennliche Einheit. Die Spur der asiatischen Haar-
tracht, welche am Ende des jedenfalls ächten Stückes noch
sichtbar ist, legt den Gedanken nahe, dass hier eines der
beliebten Amalgame vorliegt, wonach Menschen mit Göttern
identificirt werden. Ich werde in der That zeigen, dass
hier unter der Gestalt der personificirten Amenti (West-
gegend) die früher verstorbene Mutter vorgeführt wird,
deren Namen im Texte ^inn lautet. — Dieser einheitlichen
Gruppe symmetrisch gegenüber steht eine andre Asiatin
mit entsprechender Haartracht, mit ebenfalls langem aber
vorn wie ein Flügelkleid offenen Gewände, Blumen oder
Sistra in den zur Anbetung emporgehobenen Händen haltend.
Es ist die Tochter der vorigen, inschriftlich XDfl genannt.^)
9) Die Bildung mit dem Präfix ^, die uns eben in den beiden
Lauth: Äegyptisch-aramäisehe Inschriften. 119
Die Begleittexte des Todtenbuches zu der identischen
Scene des cap. 148 wo ein Ehepaar: Aufanch mit Gattin,
dem göttlichen Duo Osiris-Amenti gegenüber steht, lassen
über die Bedeutung der Darstellung keinen Zweifel. Col. 27,
auf Osiris bezüglich, der als Sokaris (Patron und Eponymos
von Saqqarah !) aufgefasst ist, lautet folgendermassen: „Osiris,
Herr der Ewigkeit, königlicher Gebieter der Fortdauer,
grosser Gott, welcher beherrscht die Unterwelt; (Col. 28)
Setmati, die gütige, bietet ihre Arme dar, um dich aufzu-
nehmen." Letztere Col. steht über der weiblichen Figur,
welche das Symbol der Westgegend mit dem Ti-Vogel ^^
— ein bekanntes Sinnbild des Duals — auf dem Haupte trägt
und den Osiris-Sokaris in der oben geschilderten Weise
umfängt.
Dem menschlichen Paare auf der Gegenseite wird der
Hymnus in den Mund gelegt (coli. 26— 24a): „Preis dir,
Stier (Gemahl) der Setma-ti^ königlicher, Herr der Fort-
dauer, grosser Gott, welcher beherrscht die Unterwelt !
Nimm du auf den Osirianer Aufanch den Seligen (Gerecht-
fertigten) zu der gütigen Setmati im Frieden !'* Daran
schliesst sich unmittelbar die Antwort des Gottes (col. 24 a
bis 23) ,,die Seti (Setmati) bietet ihre beiden Arme dar,
um dich aufzunehmen nebst deiner Hausherrin {— Gattin;
man bemerke dieses Beispiel! — ); denn nicht bist du
schuldig (mangelhaft) befunden."
Der letztere Ausdruck wird durch cap. I col. 15/16
näher erläutert: ,,Der Osirianer Aufanch, Sohn der Tsenhmin,
wandert zur Setmati im Frieden ; nicht ward er schuldig
Namen Thaba und Thachui begegnete, ist jedenfalls eine feminine.
Abgesehen von meiner Vermuthung in Betreff des Sinnes von ''inn>
scheint mir dieselbe Verbalwurzel in dem identischen l*inn der Bjblensis
vorzuliegen „und möge sie ihn kund machen (linn) '^^^ möge sie aus-
dehnen (n^i^n) seine Tage und Jahre über Gebäl!"
120 Sitzung der phüos.-pJiilol. Classe vom 6. Juli 1878.
(oTti debitor) befunden auf der Wage." Wir besitzen
auch die demot. Version zu der Göttergruppe von cap. 148
in dem von Brugsch ^^) zu Paris entdeckten Exemplare des
Todtenbuches ; sie lautet: „Ein Standbild, ein festliches,
von Sokar-Osiri mit dem Gesichte eines Sperbers, welchen
die göttliche (Set-) Mati schützend umfängt (chui) ; es be-
findet sich ein Schlangendiadem auf seinem Haupte: es ist
die (Set-) Mati erfassend (is.AiÄ.g^T€ prehendere) den Menschen
(welcher) vor ihm (erscheint)."
Was ferner die Wage und die Psychostasie selbst be-
trifft, so begnüge ich mich aus der ausführlichen Beschreibung
des cap. 125 die Hauptlegenden vorzuführen. Der dem
Anubis geltende Text besagt : „Es spricht der Gott des
heiligen Einbalsamirungsgewölbes : „das Herz ist genau in
seinem Gleichgewichte ; die Wage ist erfüllt (ausgeglichen)
vom Osirianer Aufanch etc." Der schakalköpfige Anubis
hält hiebei die eine Wagschale prüfend in der Hand. Als
Gegenstück erscheint Horus mit Sperberkopf, seinen rechten
Arm zu dem Ausschlagsgewichte (techu „Mitte" cf. "in
cor und ^jln „mitten") emporhaltend, offenbar zu demselben
Zwecke der Prüfung. Dieser wird übrigens auch noch
durch den auf der Mitte der Wage sitzenden xvvoKefpaXog
verdeutlicht, dem ja die Bedeutung der Gleichheit ( = loqfxsQLa
bei Horapollon) eignete, und ausserdem sieht man, wie der
Verstorbene selbst sein Herz in der einen Wagschale in
gleicher Höhe mit der der Mät (T*Md.i t'mhi justitia,
veritas) auf der Gegenseite erblickt. Man sieht, wie sich
jetzt die der Mumie derThaba zur Seite stehenden Götter
Horus and Anubis genügend erklären. Denn dass die
in der zweiten Abtheilung auf dem Löwen ruhende Mumie
wieder die verstorbene T ha ba vorstellen soll, würde schon
10) Sammlung demotischer Urkunden, pl. VII col. 3, 1.
LaiitJi: Aegyptisch-aramäisclie Inschriften. 121
aus der Analogie mit der unter Nr. I besprochenen Dar-
stellung sich darthun, wenn nicht auch der Mangel des
Bartes auf eine weibliche Person hindeutete. Dass Isis und
Nephthys in der Geberde der Todtenklage zu Häupten und
zu Füssen ihrer Mumie knieen, das verdankt Thaba ihrem
Titel „Osiri'S den alle selig Verstorbenen erhalten.
Für die vier Götter Horus, Anubis, Isis, Nephthys sind
länglichte Columnen zur Aufnahme der Legenden reservirt,
die aber nicht wirklich hineingeschrieben worden sind, so
wenig als irgend eine andre hieroglyphische Legende auf
dem Denkmal erscheint. Dies rührt nicht gerade von der
Beschränktheit des Raumes, als davon her, dass diese Texte,
weil formelhafter Natur, als bekannt vorausgesetzt wurden.
In der That bestätigt es sich mit jedem weiteren
Schritte, dass der Wortlaut des Todtenbuches zu Grunde
liegt. Denn die vier Canopen unter der Löwenbahre sind
offenbar identisch mit den 4 Genien Amseth, Hapi, Tuau-
rauthef, Qebhsonuf, welche im TodtenbucH hinter den um
Nahrung angeflehten 7 hl. Kühen (nebst ihrem Bullen
„Besamer der Weiber'^ genannt) so wie hinter den 4 Rudern
der 4 Weltgegenden als stehende Mumien mit Posaunen in
der Hand erscheinen. Ihre Funktion beim Regierungsantritt
eines Königs in Vogelgestalt mit den Masken : Menschen-,
Hundskopfaffen-, Schakal- und Sperberkopf nach den
4 Weltgegenden auszufliegen, um der ganzen Welt das
Ereigniss zu verkünden, ist allgemein bekannt. Ihre nähere
Bestimmung hat uns der bilingue Papyrus Rhind gelehrt,
da darin den 4 Genien der hieratischen Schriftart demotisch
die Viertheilung der Eingeweide entspricht. Diese wurden
bei der Mumificirung durch den an der linken Hüfte ange-
brachten Einschnitt herausgenommen und in den 4 Krügen,
mit den Köpfen jener 4 Genien als Deckeln, gereinigt bei-
gesetzt.
122 Sitzung der pliüos.-pliüol. Classe vom 6. Juli 1878.
Hiebei ist zu berücksichtigen, dass die viertheilige
Canopengruppe im Todtenbuche sich noch innerhalb des
Distylons befindet, genau so wie auf unserer Darstellung.
Ferner erklärt sich die Geberde des Schutzes, welche hier
der Göttervierheit Horus, Anubis, Isis, Nephthys zukommt,
ebenfalls aus dem Todtenbuche. Denn in der bildlichen
Darstellung zu cap. 151 knieen Isis und Nephthys genau
so bei einer Mumie, nur dass sie ihre Hände nicht klagend
erheben, sondern auf den Siegelring, das Symbol des My-
steriums, niederstrecken. Demgemäss nennt der Begleittext
den Horus mit einem geheimnissvollen Namen ^,^!-«Jw^'
,, Sand wer fer", der verborgene Rächer (TWüifie ulcisci),
welcher zurückweist eines Menschen Arm und ihn zum
Feuer verdammt mit den Worten; „Nicht beschädige das
Grab! Ich bin gekommen den Weg, damit ich da sei als
Feiung des Osirianers Aufanch etc. ; ich habe (darum) ver-
wirrt den Zugang."
Analog führt Anubis den mysteriösen Namen Tape-du-f
„der auf seinem Berge** ^^) neben seinem gewöhnlichen; er
liegt als Schakal auf einem pylonartigen Gestelle als Wäch-
ter der Grabgegend; seine Titel „der im PJinbalsamirungs-
gewölbe" und „der Rechtfertiger'' charakterisiren ihn hin-
länglich. Er spricht : „Gethan habe ich meine beiden Arme
(schützend) auf dich, Osirianer Aufanch etc. wegen det
Tugend, die du im Leben geübt hast."
Isis spricht: „Gezogen bin ich daher durch die Luft,
gekommen bin ich, damit ich da sei als Feiung dein und
damit ich gewähre den Odem deiner Nase, den Windhauch,
welcher hervorkommt von Atum^^), o Osirianer Aufanch."
Nephthys spricht : „Aufgewacht, o Osirianer Aufanch etc. !"
11) In dem Namen des Pap. Casati TuTii6v<pog wohl vorhanden.
12) Da Ätum die Abendsonne ist, so scheint der sanfte Zephyr ge-
meint zu sein
Lauth: Aegyptisch-aramäische Inschriften. 123
Nachdem so alle Figuren der bildlichen Darstellung
von Carpentras erläutert sind, will ich nunmehr zur Trans-
scription und Uebersetzung des aramäischen Textes schreiten,
den ich nach Barthelemy's Copie mittheile. Es versteht
sich von selbst, dass wir nicht eine getreue Wiedergabe
der angeführten Originaltexte, aber dennoch eine Ueber-
einstimmung mit den leitenden Ideen derselben zu erwarten
haben ; ist uns ja unter I dasselbe Phänomen begegnet !
^rh^ noix ^t ^<mon ^inn rra ^<Dn r^^-^^^ i
i<np ]^D noiN c"ip \ö ^v\ T\2^'^'2 noi^ mp ni
G^ii^" ^in^ .Ton pi ^nyo: nn^i ^in iv
(1) Gepriesen sei Thaba, Tochter der Thachui, die Be-
schenkerin von Osiris, dem Gotte! (2) Aus Erzitterung vor
einem Manne hat sie nicht gehandelt und nach dem Wohl-
gefallen eines Mannes (Jemandes) hat sie nicht gesprochen.
Die Bewährte (3) vor (dem Richterstuhle des) Osiris sei
gepriesen ! Aber den , der verworfen ward vor (dem
Richterstuhle des) Osiris, nennt Niemand. (4) Der Hin-
fälligeamd die Frische wird gering gemacht und ,,Ohne
Erbarmen in's (zum) Verderben (Wehe!)'' ist (lautet) der
Gruss.''
Die erste Zeile ist schon von Barthelemy in ihrem
Sinne richtig erfasst worden, nur dass er Nn^OD chargee
des ofPrandes (pour le dieu Osiris) als eine priesterliche
Function der Thaba auffasste, was nicht in dem Worte
liegt, da ja alle Aegypter mit solchen Opfergaben der
Gläubigkeit {ti hotep suten) vor den Göttern und besonders
vor Osiris auftreten. Ich fasse die Bildung des Wortes
NnjDn (wegen Nr. III insbesondere) als Gegensatz zu
Ni^n oder r\3^n = Libation, also als Speiseopfer,
Avie das "niip, und offenbar etymologisch durch das n der
124 Sitzung der phüos.-philol: Classe vom 6. Juli 1878.
Abstraction daraus gebildet. Da aber Abstracta CoUectiva
und Feminina im Semitischen zusammenfliessen, so erkläre
ich mir auch die beiden Eigennamen unsres Denkmals
{<Dn *') und "»inn aus den Wurzeln N3 und Hin mit der
'' T T T
Bedeutung „Adventrix" und ,,Annunziata". — lieber ^in wird
uns Nr. III eine Entscheidung ermöglichen. — Uebrigens
war den ägyptischen Aramäern auch die einfache Form
T^riyo wohl bekannt. Denn nicht nur hat in Nr. I die
Initiale D unter ^^DR dies angedeutet, sondern ich habe
auch in einem demot. Papyrus des Louvre mit zwiefachem
Datum die Eingangsformel fnenacha't statt ti'-hotep-suten
getroffen, wobei zwischen Stamm und Femininendung 't
das Zeichen der Heiligkeit steht: „Menacha't des Haus-
meiers der Wohnung des Osiri-Hapu (=3 Serapis) welcher
spricht" ^*). Dieses aramäisch-demotische menacha't ent-
spricht ganz und gar dem stat. construct. nnjD. — Das
hinter Thamnacha folgende ''T ist sicher in Lesung und Be-
deutung ; ich betrachte es als ein lautlich gesunkenes n
der vorigen Inschrift — cf. d und 5 im Neugriechischen
und Dänischen — so dass schon hieraus auf ein jüngeres
Alter geschlossen werden dürfte. In Z. DMG XXII 696
ist Merx der entgegengesetzten Ansicht; freilich war ihm
der unter Nr. I besprochene Stein mit dem Datum J. 4
des Xerxes etc. worin wenigstens einmal sicher n vorkommt,
wie aller Welt, unbekannt. — Barthelemy glaubte auch
13) Barthelemy schrieb Thebe, vielleicht durch Lyd. de mens. 4, 46
verführt: 'H(jax'kT^g IV Jiog (Ammon) xai Otjßijg trjs Aiyvnrictg. Es
ist dies aber nur eine Personification der btadt ©rjßai, aeg. Ta-vabu
„Land der Kukuphascepter " (oo terra, Sib<\ upupa), wo Chonsu =
'^H{)ctx'kr,g mit dem widderköpfigen A m o n und der M u t h die hl. Triade
bildete. Eher liesse sich aus Corp. inser. 4965: f^nr^og Tßi] hieher
ziehen.
14) Vergl. die Legende Tafel c.
Lauth: Aegyptisch- aramäische Inschriften. 125
in der Mitte der zweiten Zeile das Sajn in dem Worte
^IJ'13'1 zu erkennen, das er fälschlich abtheilte und "»T "»DDI
las. Kopp * ^) verbesserte diesen Doppelfehler ; aber seine
Erklärung der Gruppe, wozu er eine unberechtigte Gleichung
y^'\> beizog, wird wohl aufzugeben sein. Ebenso die will-
kürliche Aenderung des sicheren "»KIDI in DHD, wie Merx
1. 1. sie vermuthet hat. — Meine eigne Auffassung will ich
nicht weitläufig begründen, da der offenkundige Parallelis-
mus und der Sinn dafür spricht. Denn der Text will be-
sagen : „Die Verstorbene (Thaba) hat nicht aus Menschen-
furcht, sondern aus Gottesfurcht gehandelt, nicht nach
dem Wohlgefallen der Menschen, sondern nur Gottes ge-
sprochen." Auch sprachlich lässt sich "»iilD secundum bene
placita recht gut erklären, da in dem Stamme p"l die ein-
fachere Form des Ampliativs ]l2i"] vorliegt. Auch ergibt
sich sofort daraus das Corollar: nzon, welches alle Erklärer
mit dem arabisch-ebraeischen Reduplicativ GDH perfecta,
integra (fuit) zusammengebracht haben. In der That ver-
langt der sofort zu besprechende Gegensatz "»in, dass durch
riDn die gepriesene Eigenschaft der Thaba ausgedrückt
sein muss und das ist die Unsträflichkeit vor (dem
Richterstuhle des) Osiris. — *>T\ fasse ich als Gegensatz zu
riDn sowohl in Beziehung auf den Sinn, als rücksichtlich
des Geschlechts. Es will mir nämlich scheinen, dass es
von njn ,, fallen, stürzen'* gerade so adjectivisch gebildet ist,
wie ^n (statt "''»ri) ,,der Lebende" von njn vivere. Nun be-
sitzen mehrere Sprachen ähnliche Ausdrücke: q)evyeLv =2
diwxEGd^ai, exsul = ejectus, wo also ein intransitives Verbum
statt des Passivs, gleichsam als mildere Form, gewählt wird.
Wenden wir dies auf unser 'in an, so erhalten wir den
Begriff „der Fallende, der Gestürzt werdende", wofür wir
15) Bilder und Schriften II 231.
126 Sitzung der phihs.-phüot Classe com 6. Juli 1878.
ja auch intrans. „der Stürzende" sagen können. Darum,
weil diesem Intrans. ein passiver Sinn innewohnt, gebraucht
der Text den Ausdruck Dlp ]D e conspectu (Osiridis) re-
jectus, also -- reprobatus im Gegensatze zur Thaba proba(-ta).
In activer Bedeutung „Verderben" erzeugt derselbe Stamm
die Interjection ^IH „Wehe". Wirklich hat der Schreiber
auch diese Bedeutung wortspielend angewendet, da nämlich
die Ergänzung des Schlusses zu übu/ ^iH*? H^pn ]'^2) wirklich
auf dem Originale angedeutet ist. Denn dann kann man
übersetzen „und ohne Erbarmen in's ,,Wehe" (Verderben)!'*
lautet der Gruss."
Um die Antithesis, in der wir uns befinden, etwas be-
greiflicher zu machen, muss ich auf die Dual form der Göttin
der Gerechtigkeit und Wahrheit (t'mhi, T'Mivi) hinweisen.
Das Exemplar des Todtenbuches, welches ich hier in München
entdeckt habe, zeigt in der Scene der Psychostasie den
Verstorbenen zwischen zwei Göttinen mit der Straussfeder
auf dem Haupte, welches Symbol schon aus Horapollon =
naoiv I'gcüq t6 öUaiov artovtneiv bekannt ist. Die vor
ihm stehende Ma ' t bevvillkommt ihn freundlich, lädt ihn
zum Kommen in die heilige Unterwelt ein und sichert
seinem Wesen daselbst einen ständigen Aufenthalt zu („ewige
Ruhe"). Etwas Aehnliches dachten sich die Alten unter
der wohlwollenden Qsfiig z. B. in der Stelle bei Ovid, wo
das Ehepaar Deucalion-Pyrrha aus ihrem Heiligthume das
Orakel erbittet.
Hinter dem Verstorbenen steht eine andre Ma*t, ohne
Kopf, so dass die Straussfeder auf ihrem Rumpfe steckt: es
ist die a'/,t(palog jUrj. W^ir werden kaum irren, wenn
wir diese Doppelgestalt auf unsren Text beziehen: die vor
Osiris bestehende (HDn) Thaba ist von der Qsfiig begrüsst
und wird gepriesen (H^^^ID); ihr Gegensatz, der vor dem
Richterstuhle des Osiris nicht bestehende also verurtheilte
Lauth: Äegyptisch-aramäische Inschriften. 127
Mensch wird von der rücksiclitslosen JUi] ewiger Vergessen-
heit überantwortet. Welcher Gott besorgt aber das Ge-
schäft der Eintragung in das Buch des Lebens? Es ist
dies Thot {Te(c)Jiuti Qcovd)^ dessen Namenssymbol : der
Vogel techu ('rilji grus) auf dem Gerüste gewöhnlich die
Straussfeder der Mäit bei sich führt und so den componir-
ten Namen QoTOf-iavq erläutert. Bei der Seelen wägung
spricht dieser ibisköpfige „Tehuti, der Herr von UJMOint
(Achtstadt = ""EqiioiToXig rj jiieyaXrj) , der Urheber der hl.
Sprache und Schrift, der grosse Gott von Hisoris : ,,Es soll
ihm gethan werden sein Herz auf seinen Platz, dem Osirianer
Aufanch etc.!" Noch deutlicher spricht seine Geberde:
seine Linke hält die Schreibtafel, die Rechte den Calamus,
um das Ergebniss der Seelenwägung aufzuzeichnen, d. h.
den N. N. in das Buch des Lebens einzutragen. Im Pap.
Senkowski Col. XXIII wird gesagt: ,,der Osiris Neshmin
(= Z[uvLq\ Sohn des Anch-hapu, erscheint tanzend (hüpfend
schwebend) gen Himmel aufden beidenFlügelpaaren
des Gottes Tehuti''. Es steht '^.^ nezen\\ — II
l''JJJ dualis nebst Numerale H. Sollte dies eine Entlehnung
des Mercurius alatus sein? Der Anlaut von Tehuti
'^^^ 9 V wl ^^^ ^^^^ ^^^ Schlange, welche sonst paläo-
graphisch und lautlich dem li entspricht. Jedenfalls dient
dieses hieratische nezain II zur Enträthselung der schwie-
rigen und darum bisher unentzifferten Citiens. XXIX, die
sicherlich den Namen der Mondgöttin OaXazd- enthält,
wodurch H. Ed. Meyer's Z. DMG XXX 720 gar zu zuver-
sichtlich gebotene Thanath über den Haufen geworfen
wird. Ein erst dieser Tage in unser Antiquarium ver-
brachtes Köpfchen (aus Kleinasien) zeigt oben ein Flügel-
paar — sollte die Thalath damit vorgestellt sein?
Vielleicht fällt hiedurch einiges Licht auf die schwierigste
128 Sitzung der philos.-phüol. Classe vom 6. Juli 1878.
Gruppe, die letzte der zweiten Zeile. Von der Unmöglich-
keit überzeugt, den Anfang als pD species genus zu fassen,
gerieth ich endlich auf den Gedanken, dass das negierende
]^p = ]*NP prorsus nihil hier vorliege, wie wir in der
nächsten Zeile ^2 = )\N5 „ohne" treffen werden. Den
Sinn anlangend, erhalten wir dadurch einen passenden
Gegensatz zu dem ,, gepriesen" des vorangehenden Halbver-
ses, wenn wir uns nur entschliessen, den ersten Theil des
zweiten Halbverses : nDlX Dlp ]D "»In als Accusativ zu fassen.
Denn alsdann ergibt sich die Uebersetzung : cadentem
(= reprobatum, rejectum) e conspectu Osiridis prorsus nil
(= nemo) v^ocavit, wie ja auch im Lateinischen nil illo
inconstantius = nemo il. ine. gesagt wird. Daraus folgt,
dass wir das letzte Wort in Nip? vocavit zu ergänzen haben,
dessen N nur in einer Spur vorhanden ist.
Der Schwerpunkt dieses Verses liegt in dem richtigen
Verständnisse des Wortes ^^H, wie ich ihn oben erläutert
habe. Dass damit ein intransitiver Begriff im Sinne eines
Passivs gegeben ist, dürfte jetzt keinem Bedenken mehr
unterliegen, nachdem sein Gegensatz nDD integra = pro-
bata, hinlänglich erläutert worden ist. Auch wird ein
solcher Begriff durch die Construction "»"iDIkX Dlp ]D e con-
spectu Osiridis geradezu gefordert, und dass wir unter
dieser „Gegenwart des Osiris" seinen Richterstuhl in der
Araenti zu begreifen haben, lehren sowohl die beigebrachten
Texte als die Attribute und das Bild des Gottes selbst. —
Sollte Jemand vorziehen, als vorletzten Buchstaben 1 Daleth,
anstatt "i Resch zu lesen, was die Züge gestatten, so würde
der gleich zulässige Sinn entstehen: ^^ip :;d ecquis enotatus
est? Aber die Kluft zwischen 1 und p bliebe unerklärt.
Die dritte Zeile beginnt mit demselben Worte ^in,
welches ich oben als cadens = reprobatus, rejectus aufge-
fasst habe. Hier tritt eine Begriffschattirung ein, da der
Lanth: Aegyjpiiscli-aramäischc Inschriften. 129
Text nunmehr zu den Folgen der Verwerfung übergeht.
Zugleich begegnet uns in der Gruppirung nn?! "»in caducus
et fresca (florida) eine nochmalige Synallage generis, wie
sie oben in nDnD'HDn mit N~)p pp — "»in vorgekommen ist.
Bartheieray hat passend auf Deuteron. XXXIV 7 verwiesen,
wo gesagt ist „Und Moses war 120 J. alt bei seinem Tode,
aber nicht war verdunkelt sein Auge — die Vulgata fährt
fort: nee dentes illius moti sunt On*;!) — wogegen er
übersetzt ,,sa fraicheur s'etait conservee, was zweideutig ist,
da das Pron. „sa" sich ebensowohl auf „Mo seh" als auf
das unmittelbar vorangehende l^^y ^^) „sein Auge" beziehen
kann. Ich wähle daher den Ausdruck „Sehkraft" und
übersetze ,,aber nicht war seine Sehkraft geschwächt, noch
die Frische derselben entwichen", also nicht n'n^, sondern
nn^. ,,ihre Frischheit." Hier verlangt der Sinn nn^ „die
frische, jugendliche*' (Frau) als Gegenstück zu ^in der hin-
fällige (Mann). — Was geschieht nun mit beiden? Der
Text gibt die Antwort durch Tl^DJ, welches mit dem un-
mittelbar vorausgegangenen Femininum harmonirt d. h.
weibliche Niphalform singul. ist. Ich ziehe zur Erklärung
den Stamm lOij^p bei = parum. Vergleicht man die Qal-
formen DIDy und n"1DJ<, so macht nur noch das Schluss-^'
eine Schwierigkeit, die jedoch durch den gleichen Ausgang
von On:D (I) erheblich vermindert wird. Der Stamm selbst
erweist sich im Hinblicke auf Numm. XVI, 4, 9, 13, wo
lOyp als Gegentheil von Dl satis (superque) auftritt, als ein
16) Der Pap. Anastasi I 1, 6 legt seinem Helden, dem Mohär
iriD Mesu das Prädicat der Schönheit bei: an = py, determinirt
durch das Auge, und in den Coraposs. p-d».n placere tl-ivtie pulcher
erhalten. Es ist auch an und für sich natürlich, dass Orientalen, die
durch künstliche Mittel: Schminken, Collyrium, axifi^t etc. den Glanz
des Auges zu erhöhen suchten, die S c h ö n h e i t hauptsächlich in's Auge
verlegten. Vergl. unser „Gesicht" von „Sehen".
[1878. 1 Philos.-phil.-his. Gl. Bd II l.J 9
130 Sitzung der phÜos.-phüol. Classe vom 6. Juli 187 S.
verbaler, vergl. Exod. XII, 4 die Futuralform tpyprci«^
„und wenn zu gering sein wird das Haus (die Familie) etc."
also analog wie DDl multum esse, also =: parum oder par-
vum esse. Das Niphal würde unter dieser Voraussetzung
bedeuten deprimi, minui „erniedrigt werden." Dass
^nV^^ aus einem ursprünglichen "^niOyD^ assimilirt ist,
kann beim Hinblicke auf das non = mon von Nr. I
nicht mehr befremden. Zum Verständnisse dieser Stelle
trägt es vielleicht bei, wenn man sich der Darstellung ^^)
erinnert, wo ein vor dem Richterstuhle des Osiris Ver-
worfener in die Gestalt des verabscheuten Schweines
verwandelt und von Kynokephalen fortgetrieben wird.
Wohin? Darauf antworten die Texte nicht, aber sie zeigen,
dass die Verdammten — äg. ,,die doppelt Todten" — als
unreine Dämonen unstet wanderten und die Menschen plagten.
Die Ergänzung liefert der letzte Halbvers des Textes :
uhxü ^^^h n^on J^DT „und „Ohne Erbarmen in's Verderben
(Wehe)" ! lautet (ist) der Gruss". Nach dem, was ich
oben über die drei aus einander entspringenden Begriffe des
■»"in gesagt habe, kommt das „Verderben" oder „Wehe"
nicht uugemeldet; ich hoffe, dass es auch dem Sinne und
Zusammenhange conform befunden werde. — Wer sich mit
meiner Auffassung des 1"'D als == )^"<^^ ^^sine, in deficientia",
,,ohne" nicht befreunden mag, der versuche, ob er mit
]'»5 ,,klug" oder y^ „zwischen" zu einem besseren Ergebniss
gelange.
Ich bin mir der Schwäche und Lückenhaftigkeit
meiner Beweise wohl bewusst. Aber trotzdem glaube ich,
Niemand werde das Hauptergebniss, dass hier ein poetisch
gedachtes und gegliedertes Schriftwerk vorliegt, in Zweifel
ziehen. Wenn man nun auch noch den Styl der Arbeit
in Betracht zieht, so kommt man nothgedrungener Weise
17) Reinisch : die ägypt. Denkmäler von Miramar S. 15.
Lauth: Aegyptisch-aramäkche Inschriften. 131
zu der üeberzeugung, dass der Stein von Carpentras in
den Anfang der Ptolemäerzeit ^ ^) fallen müsse. Denn ge-
rade beim ersten Contacte mit den Griechen strebten die
Aegypter von den rigiden Formen ihrer Kunst loszukommen
und sich mehr und mehr die runde Modellirung oder Bos-
sirung bei ihren plastischen Gestaltungen anzueignen, ohne
dass sie freilich die Naturwahrheit und Grazie des helleni-
schen Meisseis erreichten. Auch die volle Ausgestaltung
des Löwen, der lebende Vogel auf dem Opfertische etc. ist
ein Symptom dieser Zeit. Dadurch ergab sich die schwer-
fällige, ja plumpe Mischgattuug, die unser Denkmal zeigt.
Aber der Mann, welcher den Text verfasste, war vom
Geiste Thot's beseelt und man möchte ihn gerne zum Zeit-
genossen der siebzig Dolmetscher machen, die im Museum
von Alexandria ihr Werk zu Stande brachten. Jedenfalls
war ihm eine der alttestamentlichen ähnliche Literatur be-
kannt.
III.
Die dritte Inschrift, auf einem von Mariette entdeckten
Libations- oder Opfersteine des Serapeums von Saqqarah
angebracht, wird uns verhältnissmässig geringe Mühe ver-
ursachen, da sie in alleu ihren Zeichen vollständig erhalten
und auf Grund unserer durch I und II erzielten Resultate
überall sicher zu übersetzen ist.
Der Stein ^^) selbst, ein länglichter Würfel von be-
scheidenen Dimensionen, zeigt auf seiner Oberseite drei
Abtheiiungen, deren mittlere zur Aufnahme des Speise-
opfers bestimmt war, und desshalb eben gehalten ist,
während die symmetrisch zu beiden Seiten davon vertieften
18) Ich sehe aus Z. DMG Bd. XXII, 698, dass H. Marx derselben
Ansicht huldigt.
19) Vergl. Tafel a.
9*
132 Sitzung der pMlos.-phüol. Classe vom 6. Juli 1878.
Quadrate offenbar eine Li bat ion aufnebmen oder entbalten
sollten.
Die Inscbrift, wieder aus 3^2 Zeilen bestehend wie I
und II, ist rings von einer Linie eiugerabmt, welche sich
sogar der Einbuchtung am Schlüsse der letzten Halbzeile
anschmiegt. Um so auffallender ist die rechts, wo der
Text beginnt, hervorragende Ausbiegung, fast wie eine
Nase gestaltet, wodurch die ganze Inschrift das Ansehen
eines Kopfes erhält. Sollte darin eine Andeutung auf die
Bitte des Widmenden gegeben sein? ^^)
Der Text endlich, obschon, wie die Kunstarbeit selbst,
nachlässig behandelt, ist dessungeachtet und trotz der Ver-
meidung von Spatien zwischen den einzelnen Wörtern,
überall sofort deutlich. Man hat desshalb auch bald nach
seiner Verbringuug in's Louvre üebersetzungen versucht.
Eine derselben vom J. 1862, will ich ihrer Eigenthümlich-
keit wegen hiehersetzen. Schon die üeberschrift : Inscrip-
tion phenicienne — Traduction du chaldeen gibt uns
einen Vorgeschmack dessen, was wir zu erwarten haben.
Sie lautet:
Dispersit se scaturigo, quando mensura in tradendo desiit —
Quando erumpit casus prae dolore repudii in fletum —
In extendendo se repente densus ut excelsus desiit —
Festum cum erupit, liberat.*'
Es ist, wie man sieht, nicht einmal der Name des Osiris
erkannt, sondern die beiden Male, wo er vorkommt (1. I
und III als letzte Gruppe) ist der Bestandtheil DIN in DDN
transscribirt und durch ,, desiit" , wenigstens consequent.
20) Das äg. Wort "^g^O precatio bedeutet wörtlich praebere faciem,
und das Wort tap caput, später oft dab geschrieben, könnte auf
Toa£iO supplicatio anspielen, obschon dieses einem anderen Etymon zu
entspringen scheint.
Lauth: Aegyptisch-aramäische Inschriften. 133
übersetzt. Wie gegen diese, so muss ich micli auch gegen
die Auffassung und Erklärung ablehnend verhalten, welche
in der DMG-Zeitschrift ^ ^) erschienen ist, obgleich letztere doch
zwei Namen: Osiri und Abi tob richtig herausgestellt
hat. Ohne weitere Polemik, wozu ich mich nicht aufgelegt
fühle, transscribire und übersetze ich:
,,Libation für die Eingeweide,
Speiseopfer für Osiri, ver- 0)t<b A^on -^yb ^^:3:D^ I
kündigend die Religiosität "^=i ^^'^^ "^^V ^IH n H
des Abi tob, des Sohnes von 0)^ Dip 12V 'übni2 m
Barth olemai, welcher dienet ^^^ ^-)^|-^ iv
vor Osiridem Barmherzigen".
Zur Rechtfertigung dieser üebersetzung folgende Be-
merkungen.
Den Parallelismus oder die Antithesis zwischen NJDn
und A:)Dn „Libation" und „Speiseopfer" will ich nicht
weiter besprechen, da ich im Vorausgehenden zum öftern
gerade auf diese Stelle unserer Inschrift verwiesen habe.
Wer sich Angesichts dieses Opfersteines mit dieser Legende
meiner Ansicht nicht zuneigt, den könnte ich auch durch
weitere Beweise nicht zu überzeugen hoffen.
Es muss nun aber zwischen 21p und "»"IDIi^, welche
beide durch 7 eingeleitet sind, ein ähnliches Verhältniss
obwalten, wie zwischen den zwei Hauptformeu der Opfer-
gaben. In der That bedeutet 21p, intestina „Eingeweide"
und kann sich nur auf den oben besprochenen Inhalt der
vier Canopen beziehen, welcher dem Körper entnommen
und eigens in den vier Krügen beigesetzt wurde. Im Pap.
Rhind werden desshalb diese Eingeweide als redend einge-
führt ,,wir trinken (die speciell erwähnten Flüssigkeiten)".
21) XXII 693 flgd. von Merx. Warum er das Denkmal die „Sera-
peumsvase" nennt, ist mir nicht erfindlich. Auch H. Levi hatte es so
bezeichnet.
134 Sitzung der iMlos.-philol. Classe vom 6. Juli 1878.
0 s i r i s als Prototyp aller Mumien bildet dazu einen
Gegensatz, der zu natürlich ist, als dass ich ihn weiter zu
begründen verpflichtet wäre.
Soweit stehen wir auf dem sicheren Boden der ägyp-
tischen Gebräuche und Lehren. Aber was fangen wir mit
dem nächstfolgenden Worte "»in an? Ich habe oben aus
Anlass des Namens "»inn bereits darauf verwiesen und da-
selbst die Bedeutung nuntiare antecipirt. Damit sind wir
indess nicht gefördert, obschon diese Form wie ^n und *>yr\
sich analog aus dem Verbum mn Piel Hin = 'VT^ indi-
" T 1 T •
care, nuntiare, ostendere muss ableiten lassen (als Parti-
cipial- oder Adjectivform). Kopp (II 238), obschon er "»in
mit diesem ^T[ fälschlich identificirt, zeigt doch ein richtigeres
Gefühl als Tychsen, der "»"in überall mit ''''n zusammenwirft.
So z. B. in der von ihm citirten Legende aus dem zabischen
Exorcismus bei der Taufe. ^^) Es werden darin vier Wesen
erwähnt, welche den Johannes bei der Hand nehmen, zur
Wohnung der Wahrheit führen und in der Todesstunde an-
zurufen sind. Ihre allgemeine Benennung ist ^?''"lni< ;;D"1J<
„die vier Führer, i^lin:) D''^^ Söhne(?)23j des Lichtes.''
Sie heissen mit ihren Eigennamen also : "löIV UWj j''^. Ü)rn
und jeder hat ^in als Adjectiv oder Apposition bei sich.
Kopp vermuthete nun richtig, dass das mittlere Paar offen-
kundig auf die Sinne des Auges und des Ohres hin-
weise und billigt darum die Auffassung Schindler's, welcher
das viermalige ''in mit sensus übersetzt, indem er der
Wahrheit noch näher rückt und in die ans, patefaciens
beifügt. Die zwei andern Namen konnte weder er noch
ein Anderer genügend erklären, aus dem einfachen Grunde,
weil hier wieder eine sehr alte Ueberlieferung Aegyptens
vorliegt, ohne deren Beachtung das Räthsel unlösbar ist.
22) Stäudhn III 42.
28) „Welche bauen "^3 d. h. bilden (build) das Licht"?
Lauth : Aegyptisch- aramäische Inschriften. 135
Das Exemplar des Todtenbuclies, welches ich hier in
München entdeckt und aufgerollt habe, enthält eine wichtige
Darstellung , die dem Turiner ^*) abgeht. Es sind vier
männliche Personen, welche durch ihre Namenssymbole auf
den Köpfen als Hu, Auge, Ohr und Sa charakterisirt
werden. Sie sind übrigens auch von einzelnen Monumenten
her bekannt und schon von Champollion, was die zwei
mittleren betrifft, richtig gedeutet worden. Auge und Ohr;
•<2:^ und ^ bedürfen keiner weiteren Erläuterung; nur so
viel sei bemerkt, dass auch im Aegyptiscben einer der
Namen des Auges an i =^\''V war, und dass die Hieroglyphe des
Ochseuobres sem in cmh auditus, CMd^i rnmores gerade
so nachklingt, wie in dem zabischen UW = VO^ audire.
Tn Betreff der zwei andern, die den Anfang und das
Ende der Reihe vorstellen , habe ich schon in meinem
,,Manetho" S. 112 ^^) die öfter wiederkehrende Legende
citirt: ,, Es ist J3«^ in meinem Munde, Sa in meinem Herzen."
Halten wir uns zunächst an den Letztgenannten, so er-
scheint er häufig als Attribut oder Vertreter des Tehuti,
dessen Namen ja selbst auf das Herz in = 3^, Ißig =
xaQÖla hinweist. Das Symbol auf dem Kopfe des S a ist
die GVQiy^ ^jttd, nach Horapollon =: cpQOvrjGig und im
Kopt. COT scire deutlich erhalten. Es muss also das "ID?
der zabischen Legende diesem S a entsprechen. In der
That setzt das Fiel löT ,, singen, kuud-thun, wissen machen**,
als die ursprüngliche Bedeutung der Qilform „wissen'^
voraus. Freilich fühlt man sich versucht, GOT „denken,
sinnen'' oder IDT „gedenken*' an Stelle des ")DT zu setzen:
allein ich halte mich zu einer Aenderung nicht befugt.
Ich komme zum Erstgenannten Dinn. Dass er dem
24) Publicirt von Lepsius 1842.
25) Aus Pap. Leydens. I 347, col. 12, 1.
136 Sitzung der philos.-philol. Classe vom 6. Juli 1878.
ägyptischeu Hu: ^=»= entsprecben müsse, dürfte jetzt
schon eine ausgemaclite Sache sein. Um die philologische
Vermittlung herzustellen, erinnere ich zuerst an sein Em-
blem: die Zunge; damit ist schon ein Hinweis auf die zu
erwartende Bedeutung des Wortführers oder Sprechers ge-
geben. Es besitzt aber das Aegyptische den Stamm h e m
redupl. g^eAig^eM rugire =i i^?"? strepere, wovon ]*iDn und
nj'pn strepitus, auch in den Composs. r-liem^ du-hem^ na-
hem — facere, edere, adducere strepitum. Im Kopt. TOiOM,
eoig^eM, TÄ^^CM, edwg^eAi vocare erkennt man deutlich
das antike du-hem, sowie in DHJ „knurren", DXi aussprechen
die Composition na-hem vorliegt. Das zabische Cin*l bedarf
also nur der einfachen Correctur in Cini , um dem Compos.
r-hem zu entsprechen. Auf jeden Fall befinden wir uns
auf sicherer Fährte, geleitet von den phonetischen Emblemen
und können desshalb mit einiger Zuversicht aussprechen,
dass „die vier Führer zur Wahrheit, die Söhne (?) des
Lichtes" aus altägyptischer Quelle stammen und uns die
vier Begriffe: Sprache, Sehen, Hören und Empfin-
den oder Wissen versinnlichen. Ja es erklärt sich
jetzt aus dem Namen des an der Spitze der Reihe schreiten-
den Hu, warum jeder der vier „Verkündiger" das Epi-
theton "»in führt. Denn das äg. h u kopt. g^iOTi strepere
hat noch die ursprüngliche der Zunge eignende Bedeutung
bewahrt.
Nachdem nun diese crux interpretum sc. Orientalistarum
mit Hülfe der Aegyptologie beseitigt ist, wollen wir die
weiteren Bemerkungen zu unserem Texte anfügen.
Bei dem Objecte dieses verbalen "»in, nämlich "ID^
brauche ich mich nicht aufzuhalten, da schon der Eigen-
name 1DX""IDI^ in Melitens. I für meine Auffassung zeugt,
welcher griechisch durch JiovvaLog gegeben ist. Die Gleichung
Lauth: Äegyptisch-aramäische Inschriften. 137
Osiris'Jiovvaog hat aber schon Herodot. Ob das nächste
Mal das nämlicbe 12V wieder Subst.-cultus religiosus, also
eine emphatische Wiederholung ist, oder participial IDj;
zu fassen, wie ich gethan, überlasse ich Andern zur Ent-
scheidung; am Sinne wird dadurch Nichts geändert.
Die Namen A b i t o b (acht semitisch !) und B a r-
tholemai (hybrid) sind sicher, obgleich in letzterem das
7 umgewendet und die Striche des ü umgestülpt erscheinen.
Unser Stein zeigt noch mehrere solcher graphischen Eigen-
thümlichkeiten, die übrigens nach den Varr. von Nr. I
und II nicht mehr befremden oder ernstliche Hindernisse
für die Entzifferung bereiten. Sehr willkommen ist das ü
in Abitob, weil es so selten auftritt. — Der Name Bar-
th dem ai, ein sehr altes Seitenstück zu dem des verehr-
ten Barthelemy, wird weiterhin auch chronologisch ver-
werthet werden. — Die Gruppe G"lp 12V cultu fungi coram
lässt den Namen Osiri erwarten. Wirklich folgt noch in
derselben Zeile der Anfang seiner Legende D1i< ; aber anstatt
dass die nächste Zeile die Fortsetzung unmittelbar brächte,
wie 1. 2 den identischen Anfang des Namens in der 1. 1
zu Osi-ri ergänzt, steht ein deutliches n d. h. der Stein-
metz hat das hinter Osiri folgende Prädicat Din antecipirt,
sodann aber, als er seines Fehlers gewahr wurde, das 1
wieder ausgemeisselt und endlich das vermisste n folgen
lassen. Es ist diese Selbstverbesserung ein sehr interessan-
tes Factum, worauf ich einiges Gewicht lege, weil hiedurch
auch manche andre Hypothese oder Textveränderung in etwas
empfohlen wird.
Der Name ''D^n'"ID Bar-tholemai Baq&olofxaiog,
aus Bar-ptoleraai(os) wegen der schweren Aussprache der zwei
Labiales erleichtert, bildet ein kostbares chronologisches
Kennzeichen. Denn in Aegypten, wo man sich von Seite
der Privaten mit Vorliebe dynastischer Namen bediente,
138 Sitzung der philos.-pliilöl. Classe vom 6. Juli 1878.
konnte diese Hybride erst seit der Ptoleraäerherrschaft
aufkommen. Dass sie sich weiter verbreitet hat, wissen
wir aus dem Neuen Testamente. — Die Poläographie des
Denkmals, verglichen mit der des Steines von Carpentras,
den ich ebenfalls aus dem Serapeum herleite, so wie die
Kunstarbeit, besonders die Einrahmung des ganzen Textes,
bestimmen mich, diesen Opferstein Mariette's dem Ende der
Ptolemäerzeit zuzuweisen. Leider! sind gar keine Hiero-
glyphen oder ein Datum vorhanden, wodurch sich diese
Ansicht fest begründen Hesse. Ich will desshalb, um diesem
empfindlichen Mangel in Etwas abzuhelfen, ein ganz be-
stimmt unter die Regierung des Augustus fallendes Denk-
mal als IV des Kleeblattes beifügen, damit man ein grösseres
Material zur Vergleichung habe. Aus der Combination
solcher Denkmäler dürfte sich allmälig eine sichere Reihen-
folge ergeben.
IV.
H. Dr. Brugsch, dem die Aegyptologie so manchen
Fortschritt, namentlich im Demotischen verdankt, hat ^^) die
Oberseite eines Opfer- oder Libationssteines (aus dem Ber-
liner Museum) mitgetheilt, welcher sofort an den eben be-
sprochenen aus dem Serapeum erinnert. Wenn er in seiner
Besprechung der hieroglyphischen Legende, die er übrigens
gar nicht übersetzt hat, die Localbezeichnung Hut-nub auf
Kavwßog = xqvoovv €Öag)og (beim Rhetor Aristides) bezieht,
so dürfte er mittlerweile von dieser Ansicht zurückgekommen
sein. Denn die Lautirung Kavwßog lässt ein ägyptisches
Kii-noT^i (allenfalls von k*^ ponere) als hl. Namen er-
warten; der profane Name lautet in der auf Kanobus
bezüglichen Tanitica Pegoth. Vielleicht hat auch das
26) Sammlung demott. Urkunden Taf. IV. — Vergl. unsere
Tafel III b.
Lauth: Aegyptisch-aramäisclie Inschriften. 139
von Letronne zuerst gedeutete Goldblecli aus dem Grund-
steine des Tempels von Kavcoßog^ mit der Legende des
Königs Ptolemaios Euergetes I und seiner Gattin Berenike,
sowie die Widmung OCIP6I, auf die AnsicLt Brugscli's
bestimmend eingewirkt. Sie ist aber angesichts der hierogl.
Legende des Opfersteines nicht mehr haltbar, da die Er-
wähnung der Apis -Mutter auf das Serapeum hinweist,
wie dies aus meiner Zergliederung des Textes erhellen wird.
Auch ist Hut-nub als Bezeichnung des Sarkophagsaales aus
dem Grabplane des Ramses IV sicher erhärtet.
Bei der Lesung der Hieroglyphen geräth man in
grosse Verlegenheit, wo man beginnen soll. Ich nehme
den Standpunkt ein, den die Oberseite gebieterisch erheischt,
wenn man die Legende soll lesen und vollständig überblicken
können. Demgemäss beginne ich an der rechten Seite, un-
mittelbar neben der Ausflussrinne, unter diesem Gesichts-
punkte lautet ^Qv Text: „Der griechische Sprössling oo1|Im$^
pü3T germen) spricht: Osiri-Qobt im Goldsaale, der er-
habene, welcher von seinem Inhalte (Nil) überströmt, der
du angefüllt hast (sie!) den Pharao, den Sohn des Gottes,
mit Wein und den reinen Getränken des Ra-Harmachis -^
es gebe mir (sie!) Osiri-Qobt im Goldsaale von seinem
Wasser, von seinem Biere, von seinem Weine!''
Die symmetrisch gegenüber befindliche andre Hälfte
des Textes lautet : ,,Es strömt über {bähu) Osiri-Qobt im
Goldsaale von weisser Milch, welche herabtrieft (buch) aus
dem Inhalte der beiden Brüste (Euter) der hl. Kuh „Gött-
liche Mehrerin." Es ist befriedigt der Gott mit dem ihm
Dargebrachten: er gewährt dir Kühe, Bullen, deine Ge-
bühren und dass dir ein Sohn das Leben besinge."
Bedeutsam ist die Wendung, welche in der Schriftrichtung ^ ^)
27} Ich habe durch zwei kleine Pfeile dieses hernerklich gemacht
(Taf. III b).
140 Sitzung der philos.-phüol. Classe vom 6. Juli 1878.
eintritt, sobald die Legende Se-cha-nuter mit dem Deutbilde
der Kuh erwähnt wird. Da solcher Wechsel nur beliebt
wird, wenn ein göttlicher Name einzuführen ist — so un-
endlich oft beim Namen der Hathor in Denderah — so
muss die Kuh Se-cha-nuter „machend (cot facere) viel
(igw multus, auch mille) die Göttliche iiotttc)'' eine hl.
Hapistier-Mutter sein. Ich werde diesen Punkt noch
eigens besprechen und sicher stellen.
Den Namen des Widmers, der hier vor lauter Bombast
oder aus Respect für den Gott (Serapis) die hl. Kuh (Secha-
nuter) und den König (Pharao) unterblieben ist, liefert der
von Brugsch fast vollständig entzifferte demot. Text auf
der Vorderseite, der sich übrigens viel kürzer fasst als der
hieroglyphische; er lautet: ,,Osiri-Qobt im Goldsaale ver-
leihe Leben dem P a - h m i n , dem Sohne des P . s e - n - o siri,
nebst seinen kleinen Kindern bis in Ewigkeit."
Noch kürzer ist der darunter angebrachte griechische
Text:
2aQ(X7t cd i d-eco ^eyaXo) navlaxog JSaQaTtlcovog
^'Etovq LI] , JJaxwv zf .
„Dem Sarapis, dem grossen Gotte, (widmet diesen Libations-
stein) Paniskos Sohn des Sarapion. Im Jahre 18,
(Monat) Pachoü(s), Tag 27."
Zuvörderst ergeben sich daraus die Gleichungen Pa-
hmin — IlavloKog and Psenosiri ^n 2aQa7tla)v. Dass
der Gott ^aq-ara-g nichts Anderes ist als Osar-hapi,
ist längst ausgemacht und unser Denkmal beweist es in-
direct dadurch, dass es denOsiris als Sohn einer hl. Kuh,
folglich als Hapu- Stier gefasst wissen will.
Warum aber Osiris hier den Beinamen Qobt von der
Stadt Qobt (KoTtrw) in Oberägypten erhalten hat, das wird
durch den Namen des Widmers IlavioKog „der kleine Pan"
erläutert. Dieser entspricht dem ägypt. Pa-hmin „der
Lauth: Aegyptisch-aramäische Insclwiften. 141
(Sohn) des Hmin" (abgeschwächte Form aus Chemem =
Xe/.i/nig), jenes ithyphallischen Gottes von Panopolis =
Xefifiig. Auf einer 1. 1. von Brugsch (unter D 1, 2, 3
und C) citirten Legende einer hölzernen Lade des Berliner
Museums erscheint derselbe Name Pa-hmin hierogl. hier,
demot. und griechisch: Wa/xivig^ die Mutter heisst abwech-
selnd Ta-lol, Ta-ffwrif^, Tsenpensau, '^Hgaiiileico. ^^)
Nun lese man die Stelle Plutarch. de Is. et Osir. cap. 14:
IIqcütov de rwv tov TtsQi Xe f^iJ,iv oIkovvtwv tottojv Ilaviüv
y,al 2aTVQC0v TiaviKccg . . . loiv . . . KoTtrcüj
welches Capitel sich auf die Osir ismythe bezieht, und man
wird einräumen, dass der TlaviGnog mythologische, mit
seinem nom. propr. zusammenhängende Gründe hatte, um
den Osiris als Qobt anzurufen.
Was die zweite Gleichung anbelangt, so ist Pse-n-
osiri „der Sohn des Osiris" =: ^agaTticov. Ja der ver-
griechte Name ^agaTvlcov ist hier besser berechtigt als auf
der Melitens. I, wo er dem "1DI2;"1D^< Osiris servavit (eum)
entspricht. Auch lag diese Namenbildung bei einem Denk-
male, das für das Serapeum oder den Goldsaal des Sara-
pis bestimmt war, um so näher.
Am wichtigsten ist das Datum am Ende der griechischen
Weihinschrift. Leider ist der Monarch nicht angegeben ;
nur so viel dürfte klar sein, dass er mit dem im hierogl.
Texte vorkommenden ( []*>-=• 1 "^^^s. ' „Pharao, dem
Sohne des Gottes" identisch sein müsse. Da nun der Titel
Pharao hauptsächlich in der römischen Zeit Aegyptens
28) Der Name des Vaters ist, wie gewöhnlich, nicht aufgeführt.
So z. B. wird auf der 1. 1. der demot, Urk. Samml. H 7 der Verstorbene
Nebanch Sohn des Basilikogrammaten Fsametik und der Hausherrin
Ta-rot genannt; in der demot. Beischrift steht aber nur „Nebanch,
Mutter sein Tarot." Man vergl. oben unter I IDriPiX VDi<-
142 Sitzung der iMIos-philöl. Classe vom 6. Juli 1878.
auftritt, und ,,der Gott", dessen Solin dieser Pharao ge-
nannt ist, Niemand Anderen meint als Jul. Caesar, so
baben wir ein Datum des Augustus vor uns.
In einer demot. Inschrift vom Jahre 6 der Kleopatra
VI ^^) (die Jahr zahl 6 ist noch eigens durch sechs Sterne
oberhalb bezeichnet) wird der juuge Caesarion genannt ,,der
göttliche, das Kind des grossen Gottes, welcher macht alle
Menschen leben, des ^vtokqcctcoq Kalaaqog (sie!)". Es
handelt sich im Contexte um einen Hapis, sowie in dem
ebendaselbst befindlichen demot. Texte vom Jahre 19 der
Kleopatra (wieder 19 Sterne!). — Auf einer Felseninschrift ^^)
vom 35. Jahre des Augustus Kaloaqog^ ist dieser „der
(Sohn) des Gottes" genannt und ebenso in dem griech.
Pylon- und Listeltext von Denderah: deov vlog. Hiemit
dürfte eine solide Basis für das Datum des Libationssteines
gewonnen sein.
Ich beruhigte mich hiebei übrigens nicht, sondern
suchte dem hl. Hapisstier und seiner Mutter, der Kuh
Sechanuter auch von andrer Seite her auf die Spur zu
kommen. Glücklicherweise verrieth mir das Excerpt eines
demot. Textes, das ich 1864 im Louvre zu Paris gemacht
hatte, alles in dieser Beziehung Wünschenswerthe.
unter dem gekrümmten Zeichen des Himmels, welcher
mit 22 Sternen^ ^) versehen ist, steht ein längerer demot.
Text. In der drittletzten Zeile erscheint das Datum „Jahr
XXIl" und etwas weiter noch einmal unter der Form ,, Jahr
des Ereignisses XXII, Monat Mechir, Tag 19 des Königs
Papamahte". Es ist dies der chronologische Beinamen
des Augustus, den die Kopten als nÄ.-n-&.MÄ>gTG „der der
29) Young: Hierogl. II 74.
30) Lepsius : Denkm. XI, VI 42, 32.
31) Vergl. Tafel d.
Lauth: Äegyptisch-aramäische Inschriften. 143
Ergänzung" (wegen der Kalenderreform 25 v. Chr.) für
Augustus überliefert haben. ^^)
Sodann folgt das zweite Datum: „Jahr 6 der gött-
lichen Mutter des Hapis-Osiri, des grossen Gottes, des
Geschöpfes seiner Mutter, der Se-cha-nuter". Diese
Zeile ist mit schwarzer Farbe über einen eingemeisselten
Text gelagert, welcher, wie die Fortsetzung in der nächsten
Zeile zeigt, dem Datum des Hapis-Osiri oder Serapis selbst
gewidmet war. Zum Glücke hat sich der Schreiber selbst
verbessert und dieses dritte Datum darunter noch ein-
mal voll gesetzt mit den Worten: „Jahr fünf des Hapis-
Osiri „Armstark", des Zöglings der Sechanuter
(=) Jahr sechs seiner Mutter Sechanuter, der Herrin
des Vorrathes (Aufwandes <3^oq sumptus) an göttlicher
Nahrung (£>pH cibus) ; es versehe (coir facere 'st^o
possidere) dich (den Widmer) die Nährerin (sched) Secha-
nuter, seine Mutter!"
Wir besitzen also Material genug, um die chronologische
Frage in Betreff des ägypt.-griech. Libationssteines zu ent-
scheiden, lieber die „mere d'Apis" hat H. Mariette ein
gutes Büchlein geschrieben; auch vermuthete er bei seiner
hiesigen Anwesenheit 1872, dass die Thiermumie unseres
Antiquariums eine solche ,,mere d'Apis" vorstelle. — Hier
entspricht ihr 6. Jahr dem 22. des Augustus; hatte sie in
dessen 17. Jahre geboren, so konnte der junge Zögling
Hap-(Osiri) im J. 18 inthronisirt werden, und folglich sein
5. Jahr ebenfalls dem 22. Jahre des Augustus entsprechen.
Man ersieht hieraus, dass ich gute Gründe habe, cTOvg ltj
Ttaxiov xj' auf den 18. Mai des J. 12 v. Chr. zu be-
stimmen.
32) Vergl. meine acad. Abhdl. „die Schalttage des Euergetes I und
des Augustus* und „Augustus-Harmaiis".
144 Sitzung der philos.-philol. Classe vom 6. Juli 1878.
V.
Die oben unter II angekündigte demotische Urkunde
des Louvre (von mir 1864 copirt) ist in mehrfacher Hin-
sicht beachtenswerth. Obgleich ihr halbzerstörter Zustand
nicht gestattet, den ganzen Inhalt zu ermitteln, so ist doch
die Eingangsformel, die Widmung eines Naos für das Sera-
peum, sowie das Doppeldatum am Schlüsse von genügender
Deutlichkeit, um mehrere Folgerungen von einiger Wichtig-
keit daraus abzuleiten.
Was nun zunächst die Eingangsformel ^^) betrifft, so
würde sie sich mit voller Sicherheit hieroglyphisch so dar-
^ ^'/^ ^ "t-=;N ^^Darbringung eines Sitzhauses von Seite des
Hausintendanten des Osiri-hapu ; (er ist es) welcher spricht.'^
Man ersieht hieraus, dass das Wort menacha't^ welches
wir bisher öfter als semitische Bezeichnung des Opfers
kennen zu lernen Gelegenheit gehabt haben, hier genau
dieselbe Stelle an der Spitze des ganzen Textes einnimmt,
welche sonst durch das ägyptische lA^^ besetzt ist.
Das Götterzeichen | ist vor der femininen Endung -o = n
angebracht, weil eben ein dem 1,^^ (^'^ ") coTTion
oQd^oöo^og adaequater Begriff auszudrücken war.
Der Gegenstand des Opfers besteht in einem Naos
„Haus des Sitzes" genannt und in der That ähnelt die im
Texte selbst vorkommende Darstellung den Tragtempelchen,
die in der Inschrift von Rosette erwähnt sind; unser Ty-
parium verfügt nur über die annähernde Form {vaog)
M
33) Vergl. Tafel c, 1.
LaiUh: Äefjyptisch-aramni'^che Inschriften. 145
Den wichtigsten Bestandtheil bildet das Doppel-
datura^*) am Ende; dasselbe stellt sich folgenderraassen dar:
fk{ lLllMe= „Geschrieben Jahr II Monat Thot (erster
der Schat-Jahreszeit) Tag 3/^ Diese Angabe nützt uns
nichts, wenn die Regierung eines bestimmten Herrschers
fehlt. Glücklicherweise folgt dieselbe unmittelbar hinter
obigem Datum, durch l^^^^-y|Y"J M eiiigeleitet: ,,des Königs,
der heil und gesund leben möge!" Allein 7on seiner Namens-
legende ist leider ! nur ein deutliches l oder r „^^ erhalten,
welche schwache Spur vor der Hand nicht weiter hilft.
Verfolgt man indess die erhaltenen Schriftzüge des Schlusses
der Zeile etwas genauer, so entpuppt sich die Legende:
^r- J.^xSM'^1'^1^ "^° Germanien« sein
Vater*' d. h ,, dessen Vater Germanicus ist." Es kann
also der in der zerstörten Stelle unleserlich gewordene
Name nur dem Kaiser Gajus Caesar mit dem Beinamen
Caligula eignen, und zufolge der Stellung des erhaltenen
_g^ ist zu ergänzen a\ J^3S^ ö ü <^ ^^ (Jvj „Caligula,
(Fremder)."
Dieser dem Gajus Caesar im Lager seines Vaters Ger-
manicus, von den Soldaten beigelegte Spitzname (caligae^^)
Caligula ,,das Soldatenstiefelchen" erscheint hier zum ersten
Male in ägyptischer Schreibung. Ein solches Unicum be-
darf jedoch einer kräftigeren Stütze, als diese aus so
schwachen Spuren erschlossene Legende darbietet. Ich finde
34) Vergl. Tafel c 1, 2.
35) Tacitus Annal. 1 41 Jam infans (Germanici) in casfcris genitus,
in contubernio legionum eductus, quem militari vocabulo Caligulam
appellabant, quia plerumque ad concilianda vulgi studia eo tegmine
pedum induebatur.
[1878. 1 Philos.-phil.-hist. Cl. Bd. II l.J 10
146 Sitzung der phüos. -philo!. Ciasse vom 6. Juli 1S78.
dieselbe in dem zweiten unterhalb angebrachten Datum ^^),
welches nur auf den Tod des Caligula sich beziehen kann.
Dasselbe präsentirt sich in folgender exceptioneller
Gestalt: ^^^n TlT^ Inj^^^ "dieses Jahr IV,
Monat Phamenot (dritter der Pert-Jahreszeit), Tag 8, ge-
storben." Den Ausdruck nert habe ich in einer früheren
Abhandlung ^^) aus Horapollon I 3 erklärt: ^Ev lavzov de
ßovX6(j.evoi drjXiooai^ ^loiv^ TOvreoTi yv valxa, ^wyqacpovOLv
. . . loLg de TcaQ amdlq ioxlv doxriQ, ^lyvicTiOTL xalovf^evog
2 CO d^ ig. Vergl. I 11 yvif.) = sviavrog. In der That ist
AAA/WA ^f\
der Geier <g> ^ das Symbol der Isis und diese = Sothis.
Wir hätten also hier zum ersten Male ein Datum
nach dem fixen Sothisjahrezu begrüssen, welches
bekanntlich mit dem 20. Juli anhebt. Macht man nun die
Rechnung, so ergeben sich, da Phamenot der siebente
Monat ist, 6 X 30 = 180 + 8 = 188 Tage, deren letzter
dem 23. Januar des Jahres 41 nach Chr. entspricht. Ist
Caligula wirklich an diesem Tage ermordet worden?
Die Antwort lautet entschieden bejahend. Denn nach
Tacitus Annal. VI 50 starb Tiberius am 16. März des
Jahres 37 n. Chr.: XVII Kai. Apriles, interclusa anima,
creditus est mortalitatem explevisse. Da nun die Regierungs-
dauer seines unmittelbaren Nachfolgers G. Caesar Caligula
auf 3 Jahre, 10 Monate, 8 Tage feststeht, so gelangt man
für den Todestag desselben auf 313 Tage nach dem 16.
März, und wenn man davon die Differenz zwischen diesem
Datum und dem 20. Juli: 125 Tage, abzieht, unfehlbar auf
die identische Summe 188 und damit auch auf den 23. Januar
des Jahres 41 n. Chr. Suetonius vit. Calig. c. 58 gibt zwar
36) Cf. Tafel c 2.
37) „Horapollon" in den .Sitzungsberichten" 1876, Januarheft.
LaiitJi: Aegyptiscli-aramäisclie Inschriften. 147
Nono Kalendas Februarias als Todestag des Caligula au;
allein dieses dem 24. Januar entsprechende Datum lässt
sich mit dem 23. Januar vereinigen, wenn man annimmt^
dass in seiner Rechnung der Schalttag des J. 40 n. Chr.
eigens hinzugezählt wurde, oder dass der Gewährsmann des
Aegypters die am Vorabend stattgefundene Feier (c. 57):
Parabatur et in noctem spectaculum, quo argumenta in-
ferorum per Aegyptios et Aethiopas explicarentur —
für die Todesscene selbst ansah.
Nachdem so die Legende des Caligula auf Grund des
Doppeldatums rechnerisch erhärtet ist, bleibt noch die
Frage zu beantworten, warum der Schreiber unseres de-
motischen Papyrus einerseits die Legende des Caligula nach-
träglich auslöschte — die Zerstörung ist augenscheinlich
eine absichtliche — andererseits den Namen seines Vaters
Germanicus erwähnte. Ersteres erledigt sich im Hinblicke
auf den Senatsbeschluss : delendum nomen et titulum Cali-
gulae, den also der ägyptische Schreiber ebenfalls respec-
tiren zu müssen glaubte. Letzteres wird uns erklärlich,
wenn wir berücksichtigen, dass Germanicus bei Gelegenheit
seiner ägyptischen Reise auch das Serapeum besuchte. Als
er dem Apis Futter hinhielt, wollte es derselbe nicht fressen
und dieses omen ward auf den baldigen und gewaltsamen
Tod des Germanicus (durch das Verbrechen der Plancina
und des Piso) gedeutet. Hatte ihm ja doch auch das
Orakel des Apollo Clarius zu Kolophon maturum exitium^^)
geweissagt !
Es trägt also die Erwähnung des unglücklichen Ger-
manicus in unserm Pap3Tus gewissermasseu Localfarbe, da
„der Hausintendant des Osiri-hapu (Serapis)'' doch offenbar
im Serapeum wohnte und vielleicht selbst den Germanicus
gesehen hatte. — Auf jeden Fall beweist die Beibehaltung
38) Tacit. Ännal. II 54.
10'
148 Sitzung der liliilos.-pliüol. Classe vom 6. Juli 1878.
des semit. Ausdruckes nienachat für den dortigen Aufenthalt
von A r a m ä e r n.
Rückblick.
Im Vorstellenden habe ich versucht, einen brauchbaren
Rahmen für ägyptisch-aramäische Inschriften herzustellen,
welcher mit Hinzunahme des unter Nr. IV hinzugefügten
ägyptisch griechischen Libationssteines genau die Summe
von 470 Jahren umfasst. Nicht als ob ich damit chrono-
logische Schlagbäume aufstellen wollte — so doctrinär ist
weder meine Ansicht noch meine Absicht — ; ich lebe so-
gar der Hoffnung, dass noch ältere Monumente dieser Art,
die Stele vom J. IV des Xerxes (— J. III der Satrapie des
Achaemenes) unter Nr. I, nämlich vorerst aus der Zeit des
Darius I und des Kambyses sich in Aegypten, speciell im
Serapeum, auffinden lassen werden. Nach der andern Seite
hin hat die von mir citirte demot. Legende aus den Tagen
des Caligula wegen des aramäischen Ausdruckes menacha't
= ti hotep suten sicherlich die Gränze weiter nach unten ver-
legt, auf den 16. August des J. 39 nach Chr. = J. 2,
Monat Thot, Tag 3 des Caligula. Sollte wieder das Sothis-
jahr gemeint sein, so würde der 22. Juli entsprechen.
Auf die Ermittelung sicherer Daten habe ich um dess-
willen so grosses Gewicht gelegt, weil mir ohne diese
chronologische Grundlage das ganze Gebäude der Pa-
laeographie unstet in der Luft zu schweben scheint.
Die trotz des geringen Umfanges der vorgeführten aramäi-
schen Texte so zahlreichen Varianten werden voraussichtlich
für andere Inschriften gute Dienste leisten.
Vom Standpunkte des Religiösen betrachtet, drängen
diese spärlichen Reste altsemitischer Literatur die Wahr-
nehaiung auf, dass die Aramäer des Serapeums, obwohl sie
Laiith: Äegyptisch-aramäische Inschriften, 149
sich in den Darstellungen dem ägyptischen Pantheon
anbequemen, dennoch in ihrer Legende nur den Osiris
erwähnen, der als i<r\^i< in stark monotheistischer
Färbung auftritt. Nimmt man noch das Epitheton DIPI
von Nr. III hinzu, so glaubt man bereits den ÄUah kerim
des späteren arabischen Credo angekündigt zu hören. —
Die untergeordneteren Gestalten z. B. die Göttinen und
Genien, selbst Horus und Anubis, werden durch Amal-
gamation in die menschliche Sphäre herabgezogen.
Noch einige Worte zur Rechtfertigung meiner Be-
zeichnung. Ich hatte ursprünglich den Ausdruck ,, Klee-
blatt aeg.-aram. Inschr." gewählt und wollte damit aus-
drücken, dass ich die vier aramäisch-ägyptischen Darstellungen
nebst Texten als zusammengehörig betrachte. Der gleiche
Schriftcharakter, die identische Sprache, besonders aber der
gemeinsame Fundort derselben beweisen, dass ich damit
nicht zu viel behauptete. Rechnet mau noch dazu, dass
die Präsumption sogar für eine aramäische Ansiedelung
beim Serapeum spricht, so entsteht die Vermuthung,
dass eine solche Familie sich daselbst niedergelassen hat.
Es wird nicht not big sein, für den Zweck der Erklärung
des Fundmaterials die Wanderung eines Stammes, oder gar
der ganzen Nation der Aramäer nach Aegypten anzunehmen.
Dass diese Ansiedelung vor Ptolemäus I Lagi ^^) fallen
müsse, lehrt Nr. I. — Um so mehr ist die Zähigkeit
zu bewundern, mit der sie ihre aram. Sprache und Schrift
festgehalten hat.
Sollten mir noch andre Funde der Art aufstossen —
das Serapeum wird sicherlich noch mehr Zwischenglieder
liefern — so werde ich sie (in schäa 'Uäh) ebenfalls vor
das Forum der kgl. Akademie der Wissenschaften zu bringen
mir erlauben.
39) H. Merx hat 1. 1. Z. DMG XXII 698 die Nachricht des Joseph,
c. Äp. I 22 citirt, um diese Zeit wahrscheinlich zu machen.
Herr Wilh. Meyer hielt einen literar.- und text-ge-
schichtliclien Vortrag über die
„Vita Adae et Evae'',
deren Text nebst Erläuterungen in den „Abhandlungen"
veröffentlicht werden wird.
Historische Classe.
Sitzung vom 6. Juni 1878.
Herr Rockinger hielt einen Vortrag über die im k.
Haus- und Staats- Archive befindlichen Werke zur
älteren bayerischen und pfälzischen Ge-
schichte. — Derselbe wird in den „Abhandlungen"
veröffentlicht werden.
Herr Föringer machte vorläufige Mittheilungen über
Annalen von Weihen Stephan.
151
Oeffentliche Sitzung
zur Vorfeier des Geburt s- und Namens festes
Seiner Majestät des Königs Ludwig IL
am 25. Juli 1878.
Wahlen.
Die in der allgemeinen Sitzung vom 22. Juni vorge-
nommene Wahl neuer Mitglieder erhielt die Allerhöchste
Bestätigung, und zwar:
A. Als ordentliches Mitglied:
Der historischen Classe:
Joseph Würdinger, k. Major a. D. dahier (bisher ausser-
ordentliches Mitglied.
B. Als ausserordentliche Mitglieder:
Der philosophisch-philologischen Classe:
Dr. Ernst Kuhn, Professor an der hiesigen Universität.
Der historischen Classe:
Dr. Felix Stieve, Privatdocent an der hiesigen Universität.
C. Als auswärtige Mitglieder: '
Der philosophisch-philologischen Classe:
1) Dr. Alexander Conze, Director der Sculpturen-Abthei-
lung des Museums zu Berlin.
152 Oeff entliche Sitzung vom ^5. Juli 1878.
2) Dr. Ludolph Krehl, Professor an der Universität zu
Leipzig.
3) Dr. Mathias L e x e r , Professor an der Universität zu
Würzburg.
4) Dr. Adolph Michaelis, Professor an der Universität zu
Strassburg.
5) Dr. Karl W e i n h o 1 d , Professor an der Universität zu
Breslau.
Der historischen Classe:
1) Graf Giovanni Gozzadini in Bologna, Präsident der
k. Deputation für vaterländische Geschichte für die
Provinzen der Romagua.
2) Dr. Karl Schmidt, Professor an der Universität zu
Strassburg.
D. Als correspondirende Mitglieder:
Der historischen Classe:
1) Dr. Karl Hillebrand, Professor in Florenz.
2) Dr. A.lphons H u b e r , Professor an der Universität zu
Innsbruck.
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Einsendungen von Druckschriften. 153
Terzeichniss der eingelaufenen Büchergeschenke:
Von der Oherlausitzüchen Gesellschaft der Wissenschaften in
Görlitz :
Neues Lausitzisches Magazin. Bd. 54. 1878. 8^.
Von der Bedaction des Correspondensblaües in Stuttgart:
Correspondenzblatt für die Gelehrten- und Realschulen Württem-
bergs. 25. Jahrg. 1878. 8^
Vom Germanischen Museum in Nürnberg:
Anzeiger für Kunde der deutschen Vorzeit. N. F. 24. Jahrg.
1877. und 23. Jahresbericht. 1877. 4«.
Von der Gesellschaft für bildende Ku/nst und vaterländische
Alterthümer in Emden:
Jahrbuch. Bd. III. 1878. 8^
Vom Steiermark, landwirthschaftl. Joanneum in Graz:
Der Pranckher Helm aus Stift Seckau. 1878. 4^.
Von der Begia Äccademia di scienze, teuere cd arti in Modena:
Memorie. Tomo 17. 1877. 4®.
Vom B. Istituto di studi superiori in Florenz:
a) Pubblicazioni. Sezione di filosofia e filologia. Vol. I. II.
1875-77. 8«.
[1878. 1 Philos.-phil.-hist. Cl. Bd. II l.J 11
154 Einsendungen von Druckschriften.
b) Pubblicazioni. Sezione di filosofia e filologia. ßepertorio
Sinico-Giapponese. Fase. I. A-Itukou.
„ II. ituku-maraori. 1875 — 77. 8^
c) II commento medio di Averroe alla retorica di Aristotele
pubblicato da Fausto Lasinio. Fase. I. 1877. 8^.
Von der südslavischen Akademie der Wissenschaften in Agram:
a) Rad. Bd. 41. 1877. 8^
b) Starine. Bd. 9. 1877. 8°.
c) Monumenta speetantia historiam Slavorum meridionalium.
Vol. 8^ 1877. 8^
d) Ljetopis jugoslavenske Akademije. Prva svezha (1867-1877).
1877. 8".
Von der 7c. Je. Akademie der Wissenschaften in Krakau:
a) Rozprawy. Philolog. Classe. Bd. 5. 1877. 8^.
b) Estreicher, Bibliografia. XIX. Jahrb. Tom. IV. 1877 — 78. 8^.
c) Sprawozdania Komisyi do badania historyi sztuki. Heft I.
1877. 40.
d) W. Wisloki, Katalog rekopisöw biblijoteki -umwersitetu.
Heft 1. 1877. 8^
Von der JRoi/al Society in Edinburgh:
a) Transactions. Vol. XXVIII. 1877. 4^
b) Proceedings. Session 1876 — 77. 1877. 8«.
Von der M. Äccademia dei Lincei in Born:
Atti. Serie lEE. Memorie della classe di scienze morali, storiche e
filologiche. Vol. I.
Von der E. Academia de la historia in Madrid:
Boletin. Tom. I. cuad 2. Mayo 1878. 1878. 8^
Einsendungen von Druckschriften. 155
Vom Herrn Alfred von Meumont in Burtscheid:
Biographische Denkblätter. Leipzig 1878. 8^.
Vom Herrn Mathias Lexer in Würzburg:
Mittelhochdeutsches Handwörterbuch. Lief. XVII. Leipzig 1878. 8^.
Vom Herrn Hr. med. Hegewald in London:
Prauenlob von der Urzeit bis zur Gegenwart, s. 1. 1878. 8^.
Vom Herrn Gaudenzio Claretta in Turin:
Sui principali storici Piemontesi e particolarmente sugli storio-
grafi della R. Casa di Savoia. 1878. 4.
11
Sitzungsberichte
der
königl. bayer. Akademie der Wissenschaften,
Philosophisch-philologische Classe.
Sitzung vom 2. November 1878.
Der Classensecretär Herrv. Prantl hielt einen Vortrag
„über Petrus Ramus.''
Sowie es überhaupt öfters geschieht, dass über litera-
rische Persönlichkeiten sich eine gewisse Tradition bildet,
welche bei näherer Untersuchung nicht geradezu als falsch,
aber dennoch als schief oder einseitig oder als voreilig ver-
allgemeinert erscheinen muss, so dürfte Solches in nicht ge-
ringem Grade von Petrus Ramus gelten. Derselbe wurde
und wird, was das Gebiet der Logik betrifft, gemeiniglich
als anti-aristotelischer im Sinne der Rhetorik wirkender
Reformator bezeichnet. Wenn sich aber nun die Frage auf-
drängt, ob dieser traditionell gewordene Ausdruck wirklich
ein sachgemässer sei, so wird dieselbe nur theilweise bejaht,
ebenso aber auch theilweise verneint werden müssen.
Ramus ist ein Kind der Renaissance-Periode (geb. 1515),
und es versteht sich nahezu von selbst , dass er mit seiner
[1878. 1 Philos.-phil.-bist. Cl. Bd. II 2.J 12
158 Sitzung der philos.-philol. Glasse vom 2. November 1878.
philologischen Begeisterung für die antiken, insbesondere die
römischen Autoren die von allen Humanisten getheilte leb-
hafte Abneigung gegen die Scholastik verband, deren un-
heimliche Nachblüthe zu erleben ihm an der Pariser Uni-
versität hinreichende Gelegenheit geboten war. Weit gefehlt
aber wäre es, ihn im Gebiete der Logik für den ersten Bahn-
brecher einer antischolastischeu rhetorisirenden Auffassung
und Behandlung dieses Studien-Zweiges zu halten. Abge-
sehen von den ersten Wirkungen der Renaissance, welche
sich in solcher Richtung schon im 14. Jahrhundert durch
Petrarca und hierauf im 15. Jahrhundert durch Leonardus
Aretinus, Aeneas Sylvius, Laurentius Valla, Rudolph Agri-
cola und Angelus Politianus gezeigt hatten^), finden wir
im 16. Jahrhundert noch vor dem ersten schriftstellerischen
Auftreten des Ramus, welches in das Jahr 1543 fällt,
eine stattliche Reihe von Autoren, welche die Logik ent-
weder mit der Rhetorik verschmolzen oder in derselben
geradezu untergehen Hessen. Zunächst war es die völlig
neu entstehende Literatur der juristischen Topik, welche
Gammarus (1507), Nie. Everhard (1516) und Joh. Apell
(1533) vertraten und dabei jede eigentlich logische Lehre bei
Seite schoben. Diese Strömung erweiterte sich zu einer
rhetorisch-juristischen Darstellung der gesammten Logik,
wie sie Ortholph Fuchsperger (1533) und zur gleichen Zeit
Hegendorfinus (1534) gaben. Und ohne die juristische Neben-
beziehung machte sich ciceronianischer Rhetorismus, welcher
alle Logik verdrängen oder ersetzen wollte, durch Lud. Vives
(c. 1530), durch Noviomagus, Mosellanus, Latomus und Mon-
hemius geltend, des Marius Nizolius zu geschweigen, welcher
wohl den Jahren nach älter als Ramus war, aber schrift-
stellerisch erst mehrere Jahre nach den Erstlingsschriften
desselben auftrat. Eine Abkehr von der Scholastik lag auch
1) S. m. Gesch. d. Logik, Bd. IV, S. 153 f. u. 159—171.
V. PrantI: Ueher Petrus Bamus. 159
in dem praktisch-rhetoriscli gefärbten Syncretismus des Cä-
sarius (1532) und seiner Excerptoren und Commentatoren
Rodolph und Glareanus, sowie des gewiss bedeutenden Ho-
spinianus (1543), welche die aristotelische und die byzan-
tinische Logik nebst dem Boethius ineinander hinein arbei-
teten und dabei das topisch-rhetorische Interesse entschieden
betonten. Ja auch der reinere Aristo telismus war rhetorisch
angehaucht nicht bloss bei Murmelius (1513), sondern vor
Allem bei Melanchthon selbst, und das Gleiche gilt von
Nausea (1523), Ringelberg (1529), Billicanus (1530), Neo-
barius (1536), Sarcerius (1537), von dem hervorragenden
Jodoc Willich (1537), von liivius (1539) und von Joh. Sturm
(1539), welch letzterer in der Zeit, als er zu Paris lehrte
(1529 — 36), einen noch nachweisbaren Einfluss auf seinen
damaligen Zuhörer Ramus ausübte.
Was demnach eine praktisch-rhetorische Färbung der
Logik betrifft, bedurfte es um das Jahr 1540 wahrlich keiner
bahnbrechenden Reformbestrebung mehr, und Ramus that
Nichts anderes, als was viele Autoren vor ihm gethan, aber
von jener ausschliesslichen Einseitigkeit der erwähnten cice-
ronianischen Rhetoriker ist er sehr weit entfernt. Insbe-
sondere von Melanchthon ist Ramus, — abgesehen von den
Schmähungen gegen Aristoteles — , durchaus nicht so schroff
geschieden, als man aus dem Umstände schliessen möchte,
dass bei der alsbald entstehenden Parteispaltung die Anti-
ramisten sich hauptsächlich an Melanchthon's Compendien
anschlössen, uud in der That finden wir innerhalb der manig-
fachen Schattirungen auch eine Gruppe der sogenannten
Philippo-Ramisten , aus welcher z. B. das sonderbare Buch
des Beurhusius (1588) hervorgieng, dessen Inhalt aus einer
parallelen Nebeneinandersfcellung der logischen Lehren des
Melanchthon und des Ramus besteht.
Mit der praktischen Tendenz, welche sich unwillig von
dem unnützen und abstrusen Wüste der Scholastik abwen-
12*
160 Sitzung der philos -philo] . Classe vom 2. Novembei' 1878.
dete, hängt auch die Eraancipation von der scholastischen
Schulsprache und hiemit die Benützung des nationalen Idio-
mes zusammen , welche bereits Rud. Agricola wenigstens
gewünscht hatte, wenn er auch nicht an die Ausführung
dieses Wunsches gieng.^) Das erste nicht-lateinische Com-
pendium der Logik ist die deutsche „Natürliche und rechte
Kunst der Dialectica" des Orth. Puchsperger, Stadtschreibers
von Tittmoning, aus dem Jahre 1533, dann folgte in Italien
1547 La Loica in lingua volgare des Ant. Tridapale, und
hierauf in Frankreich 1555 des Ramus ,,Dialectique", welche
bis 1576 noch zwei unveränderte Auflagen erlebte. Doch
es blieben diese Erscheinungen der National-Sp rächen in
der Logik, auch wenn wir Wolfg. Bütner's „Dialectica
Deutsch" (1574) hinzunehmen, noch lange Zeit völlig ver-
einzeint, bis in der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts in
Frankreich durch die „Art de penser" und am Anfange des
18. Jahrhunderts in Deutschland durch Christian Thomasius
mit weiterem Erfolge die Bahn gebrochen wurde.
Der Kampf aber gegen die Scholastik hatte schon häufig
zu einem gegen Aristoteles gerichteten Verwerfungsurtheile
geführt, indem man diesen auch für die abstrusen Auswüchse
der scholastischen Logik verantwortlich machen zu müssen
glaubte. In solchem Sinne stellte auch Ramus im Jahre
1536 in jugendlich sprudelndem Eifer die These auf ,,Quae-
cunque ab Aristotele dicta sunt, commenticia sunt." Dabei
aber müssen wir sogleich beachten, dass er zur Begründung
dieses seines bekanntlich stets angeführten Ausspruches sich
theilweise auf eine Anschauung stützte, welche uns bereits
im 15. Jahrhundert bei den ersten humanistischen Vor-
kämpfern der Neuzeit begegnet. Sowie nemlich Leonardus
2) Ebend. S. 167 f.
3) Näheres über Fuchsperger und Bütner in meiner Ab-
han'llung „Die zwei ältesten Compendien der Logik in deutscher Sprache
(1856, in den Abh. d. k. h. Akademie d. W., I.Cl. Band Vlll, Abth. 1).
V. Prantl: Ueber Petrus Ramus. 161
Aretiuus gesagt hatte, die angeblichen Schriften des Aristo-
teles seien jedenfalls derartig transformirt und corrumpirt,
dass man sie nicht für acht halten könne*), und Aeneas
Sjlvius diess dahin gesteigert hatte, dass der wiederauflebende
Aristoteles selbst die ihm zugeschriebenen Werke nicht an-
erkennen würde^), während Laurentius Valla hauptsächlich
den Arabern die Schuld der vielen Entstellungen der aristo-
telischen Lehre beimass^), benützte auch Raraus das gleiche
Motiv, demselben jedoch ein zweites subjectiv doctrinäres
hinzufügend. Er verwarf nemlich die Lehre des Aristoteles,
weil die Schriften desselben einerseits unterschoben seien
und andrerseits nur Irrthümer enthalten.
Erwarb er sich so den gewiss nicht grundlosen tradi-
tionellen Ruf eines heftigen Anti-Aristotelikers, so ist diess
dennoch bei näherer Untersuchung bedeutend zu modificiren.
Blicken wir mit einlässlicher Sorgfalt auf das Einzelne der
zeitlich abfolgenden Phasen einer nahezu dreissigjährigen
schriftstellerischen Thätigkeit des Ramus, so wird ebensosehr
seine Stellungnahme zu Aristoteles in das richtige Licht
gesetzt werden , als auch sich die sachgemässe Würdigung
seiner Neigung zum Rhetorismus ergeben muss. Insbe-
sondere sind dabei die verschiedenen Bearbeitungen zu be-
achten, in welchen Ramus im Laufe der Zeit Ein und die
nemliche Schrift unter Beibehaltung des gleichen Titels ver-
öffentlichte, Bearbeitungen, deren jede wieder in einer grös-
seren oder kleineren Zahl unveränderter Auflagen erschien.
Dieser Pflicht der Detailforschung hat sich auch Waddington
in seiner übrigens guten Monographie entzogen^); und es
wird sonach erklärlich sein, wenn das geistige Bild des
4) Gesch. d. Logik, Bd. IV, S. 159 f.
5) Ebend. S. 160 f.
6) Ebend. S. 161.
7) Charl. Waddington, Raraus, sa vie, ses ecrits et ses opinis
ons Paris. 1855.
162 Sitzung der philos.-phüol. CJasse vom 2. Noveniber 1878.
Ramus nunmehr in etwas veränderter Gestalt erscheint.
Nicht Parteinahme für Aristoteles oder gegen den ciceroni-
anischen Rhetorismus wird unsere Untersuchung leiten, wohl
hingegen müssen wir an Ramus die Frage richten , ob er
wirklich irgend ein Princip erfasst habe und dasselbe folge-
richtig vertrete ; allerdings dürfte hiebei sich zeigen , dass
er bei unleugbarer Begabung dennoch ohne Steuerruder
preisgegeben verschiedenen Windströmungen dahinsegle und
beeinflusst bald von aristotelischer bald von humanistischer
Tradition schliesslich ruhmredig "und rauflustig sich für den
ächtesten Aristoteliker halte.
Nachdem Ramus schon seit 1537 in Paris docirt hatte,
wobei er zum Entsetzen der scholastischen Aristoteliker das
humanistische Motiv in Beiziehung der römischen Poesie und
Rhetorik überwiegend zur Geltung brachte und auf die prak-
tische Bedeutung der Logik hinzielte, veröffentlichte er im
Jahre 1543 seine zwei Erstlingsschriften, nemlich „Dialec-
ticae partitiones" und „Aristoteleae animadversiones." In
der ersteren, bei welcher wir sofort die Gleichnamigkeit
des Titels mit der im Jahre 1539 erschienenen Schrift des
Joh. Sturm beachten, finden wir noch nirgends jene Ein-
streuung zahlreicher Beispiele aus lateinischen Dichtern und
Prosaikern, womit Ramus die späteren Darstellungen der
Dialektik schmückte. luhaltlich stellt er sich grundsätzlich
auf die ciceronianisch-rhetorische Zweitheilung in Inventio
und ludicium, welche auch Sturm durchgeführt hatte (bei
diesem findet sich die Terminologie ,,Tudicatio"), und ent-
schieden beruht es auf Sturm's Autorität, dass Ramus im
ersten Theile, d. h. in der Inventio, sofort die Topen ent-
wickelt, mit welchen die Kategorien in eine wesentliche
VerbinduDg kommen (Sturm konnte sich hiefür auf eine
aristotelische Stelle^) berufen). Im zweiten Theile, d, h. lu-
8) Aristot. Top. I, 8, 103 b. 2, s. Gesch. d. Logik, Bd. I, S. 344.
V. Prantl: lieber Petrus Bamiis. 163
dicium, tritt unter Weglassung der Lehre vom ürtheile so-
fort die Syllogistik auf, welcli letztere uns in der Haupt-
eintheilung wieder an Sturm erinnert; auffallen mag es,
dass er bereits in dieser ersten Darstellung der Dialektik
die bei den rbetorisirenden Logikern sehr beliebten Themata
,,Enthymema, inductio, exemplum, sorites'' u. dgl. weglässt.
Den Schluss bilden Erörterungen über ,,methodus'\ welche
den Keim der später von Ramus gegebenen ausführlichen
Behandlung dieses relativ neuen Abschnittes der Logik ent-
halten, aber auch ihrerseits auf Vorbilder bei Sturm, welcher
aus aristotelischen Stellen schöpfte, und bei Jod. Willich
hinweisen. Kurz im Hinblicke auf diese Schrift müsste
Ramus in die ziemlich bunte Reihe der rhetorisch gefärbten
Aristoteliker eingestellt werden. Aber gleichzeitig gab er
ja auch in den Aristoteleae animadversiones (diese erste Be-
arbeitung derselben hat uoch keine Einth eilung in Bücher)
seiner Abneigung gegen Aristoteles in mancherlei Schmäh-
worten und in einzelnen Einwendungen eineu ziemlich leb-
haften Ausdruck, welcher jedoch im Vergleiche mit der
zweiten Bearbeitung immerhin noch als relativ gemässigt
erscheint; nebenbei erstreckt er hier seinen Tadel auch auf
Trapezuntius , Faber Stapulensis , Titelmann und Cäsarius,
deren Schriften ihm als allzu aristotelisch erscheinen.
Diesen Muth, gegen den aristotelischen Strom zu
schwimmen ( — wofern wir eben anf die jugendkräftige
Kühnheit blicken wollen — ) musste Ramus büssen, indem
ihm im Jahre 1546 verboten wurde, über Dialektik lind über-
haupt über Philosophie Vorlesungen zu halten. Bald her-
nach aber gewann durch den Regierungswechsel, als nach
dem Tode des Königs Franz I. (1547) Heinrich IL den
Thron bestieg, der hohe Gönner des Ramus, Cardinal Carl
Guise von Lothringen, entscheidenderen Einfluss, und hierauf
sich stützend veröffentlichte Ramus bereits im Jahre 1548
eine neue Bearbeitung der Animadversiones Aristoteleae
164 Sitzung der philos.-phüdl. Classe vom 2. November 1878.
(eingetheilt in 20 Büclier), wobei er in unablässiger Be-
schimpfung des Aristoteles das Möglichste leistete, so dass
in dieser Beziehung höchstens noch Franciscus Patritius als
sein Rivale erscheint. Versuchen wir überhaupt aus den
Schriften des Ramus eine Blumenlese seiner anti-aristotelischen
Wuthausbrüche zn geben, so sind es bald persönliche Attri-
bute, wie: loquax, inconstans, fallax, perversum ingenium,
fatuus, confusionis et tenebrarum amantissimus, admirabilis
nugator, sophistarum lanista, archisophista , impostor, Cha-
mäleon somnians et stertens u. dgl. ; bald sind es schmähende
Bezeichnungen der schriftstellerischen Thätigkeit, wie: de-
mentia, fatuitas, fabulositas, caecitas, vanitas, asperitates,
salebrae, infinita confusio, barbara foeditas, superstitiosa
opinio, aculeatae spinae, amentissima desidia, delira somnia,
nugatoria obscuritas, miserrimae tenebrae, in hoc misero luto,
coenosi et turbidi fontes, cacotechnia, mataeotechnia, chamä-
leontina perissologia, infra asinos pecudesque omnes amandat,
u. dgl. Die Mehrzahl dieser Stil-Uebungen findet sich in
der genannten zweiten Redaction der Animadversiones.
Forschen wir aber nach den sachlich wissenschaftlichen Ein-
wänden, so empfangen wir in der Hauptsache den Eindruck,
dass eben Aristoteles es dem Ramus überhaupt nie recht
machen kann, weil er es nicht so macht, wie jener es
macht. In widerwärtig häufiger Wiederholung spricht er
rechthaberisch das Grundm.otiv seiner Polemik in den Worten
aus, dass bei Aristoteles Unnöthiges confus vorgetragen sei
und gerade das Nothwendige vermisst werde; ein anderer
ebenso oft wiederkehrender Einwand liegt in dem entrüsteten
Ausrufe „Nil inventionis, nil dispositionis vel iudicii" ; ferner,
die ganze Syllogistik sei überflüssig und gänzlich nutzlos,
die dabei verwerthete Lehre von der ümkehrung der Ur-
theile 'sei ein Delirium, die vier Modi der ersten Schluss-
figur (die sog. indemonstrabiles) seien lediglich eine petitio
principii, das einfältigste aber seien die modalen Syllogismen,
V. Prantl: lieber Petrus Eamits. 165
von welchen daher öfters gesagt wird ,,non gustabit asinus.''
Staunen aber oder Heiterkeit mag es erregen, wenn Ramus
neben all solcher Verhöhnung der Syllogistik dem Aristoteles
hinwiderum vorwirft, dass er die hypothetischen Schlüsse
unbeachtet gelassen habe, oder wenn Ramus seinerseits jene
kategorischen Syllogismen vermisst, deren Obersatz ein sin-
guläres Individuum zum Subjecte hat. All solche Polemik
aber weist auf den eigentlichen Hintergrund hin, dass seine
eigene Darlegung der Dialektik eine ,,leuchtendeFackel" sei,
und hiefür erscheint wiederholt als das hauptsächliche Motiv
der Umstand, dass auch er eine Kategorienlehre entwickle,
und zwar eine bessere, als die aristotelische, nemlich eben
jene von ihm au die Spitze der Inventio gestellte Topik,
auf deren Gliederung und Eintheilung er sich überhaupt
stets viel zu Gute that. Einmal verkündet er ^j, dass durch
seinen Unterricht ein Schüler in drei Monaten grössere
logische Bildung gewinne, als diejenigen, welche drei und
ein halbes Jahr hindurch sich mit dem aristotelischen Or-
ganen beschäftigen, ja dass jener Schüler selbst den Ari-
stoteles übertreffen werde (,,ipsum Aristotelem superabit").
Sind wir hiemit in der That begierig, zu erfahren, wie
dieser viel verheissende Autor ( — um nicht sofort zu sagen
„Renommist" — ) im weiteren Verlaufe der Jahre seine eigene
Doctrin der Logik entwickeln und darstellen werde, so ent-
rollt sich uns wohl ein eigenthümliches Bild.
Zunächst hielt er im Jahre 1551, als. er seinen akade-
mischen Lehrstuhl wieder erlangt hatte, eine Antritts-Rede
„pro philosophica Parisiensis Academiae disciplina", an welche,
weil sie eben eine Rede ist, wir nicht einen strengen Mass-
stab anlegen werden. Er bespricht darin die praktische
Aufgabe der Dialektik, durch welche die natürliche Anlage
des Menschen ausgebildet werden und daher stets die Ver-
9) Animadv. Aristot. 1548, p. 123, 125,
166 Sitzung der philos.-pJdloJ. Classe vom 2. November 1878.
bindung mit Grammatik und Rhetorik in Sicht bleiben soll,
während die scholastische Logik einen ebenso abscheulichen
als unnützen Wust darbiete. Die Gesinnung, welche er
gegen Aristoteles hegt , drückt er durch den Witz aus,
man solle fürder nicht mehr „Aristotelei", sondern „Kaki-
stotelei" sagen.
Nun aber veröffentlichte er 1553 eine neue Bearbeitung
der Partitiones dial. unter dem Titel „Institutionum dialec-
ticarum libri tres*' (welche Schrift bis zum Jahre 1591 in
14 Auflagen erschien) und sodann 1556 eine dritte Bear-
beitung unter dem Titel „Dialecticae libri duo" (wovon bis
zum Jahre 1672 an verschiedenen Druckorten mindestens
31 Auflagen erschienen); dazwischen liegt die oben erw^ähnte
französische „Dialectique^' (1555). Die Haupteintheilung
ist in allen dreien die gleiche, und so bildet überall die
inventio den Anfang, d. h. die Topik nach der neu er-
fundeneu Eintheilung, welche in den drei Schriften nur
geringe Abweichungen zeigt. Die Verbindung der Logik
mit der Rhetorik erscheint hier am ausgedehntesten in der
Bearbeitung von 1553, welche eine ausserordentlich grosse
Anzahl von Beispiel-Stellen aus Cicero und fast sämmtlichen
römischen Dichtern enthält. Der zweite Haupt-Theil, welcher
1553 „dispositio", hingegen 1556 ausschliesslich ,,iudicium''
heisst, enthält 1553 (ebenso, wie in den älteren Partitiones)
kein Wort über die Lehre vom Urtheile, hingegen 1556
und in der französischen Bearbeitung wird die bei den rheto-
risirenden Logikern übliche Eintheilung der Urtheile ent-
wickelt, während die Lehre von der Entgegensetzung, Um-
kehrung und AequipoUenz weggelassen bleibt. Die Syllo-
gistik, welche doch, wie wir sahen, dem Ramus als völlig
überflüssig erschien, tritt nun in allen drei Bearbeitungen
auf, jedoch merkwürdiger Weise verschiedentlich, indem 1553
und 1555 die vierzehn Modi der aristotelischen drei Figuren
in Beispielen entwickelt werden, hingegen 1556 nur zwei
V. Prantl: Ueher Petrus Eamus. 167
Schlussfigiiren in folgender Reihe der Modi „Cesare, Ca-
mestres, Festino, Baroco, Barbara, Celarent, Darii, Ferio"
Berücksichtigung finden ; seiner obigen Forderung von Schluss-
weisen mit singulären ürtheilen genügt er nur 1553 und
1555, die hypothetischen Syllogismen aber fehlen in keiner
der drei Bearbeitungen. Die früher verschmähten Erör-
terungen über enthymema, inductio u. s. w. sind plötzlich
1553 aufgenommen, jedoch nur um 1555 und 1556 wieder
zu verschwinden. Der Abschnitt über ,,methodus" ist 1553
am ausführlichsten dargestellt, während in den beiden anderen
Bearbeitungen viele Theile dieses Gegenstandes, welche man
für wesentlich halten möchte , wieder weggelassen sind.
Staunend stehen wir vor einer solchen Art der Schrift-
stellerei, welche bei den wichtigsten Puncten auch nicht
ein Wort der Rechtfertigung des so sprung weisen Wechsels
der Darstellung darbietet, und in der That müssen wir zu
der Annahme gelangen, dass Ramus diese Bücher eiligst
in den Tag hinein geschrieben habe.
In dem nemlichen Jahre 1556, in welchem die letzte
Bearbeitung der Dialektik erschien, publicirte Ramus auch
eine dritte Redaction der Animadversiones Aristoteleae (gleich-
falls in 20 Bücher getheilt), welche ausserdem auch mit un-
bedeutenden Ergänzungen unter dem Titel „Scholae dialec-
ticae" öfters wieder gedruckt wurde. Auch hier spricht
Ramus in mehreren der oben angeführten Schwähworten
über Aristoteles, aber einerseits sind derlei giftige Ergüsse
entschieden minder zahlreich, und andererseits hatte Ramus
nunmehr zu dem obigen Motive der älteren Humanisten
eine entscheidende Beweisstelle gefunden und verwerthet.
Nemlich die bekannte Erzählung bei Strabo und Plutarch
betreffs der Schicksale der aristotelischen Schriften ^^) schien
10) Strabo, XIII, 1, 54, p. 608. Plutarch., Sulla, c. 26. Näheres
b. Zeller, Phil. d. Gr. II, 2 (2. Aufl.) S. 81 ff.
168 Sitzung der pkilos.-pliilöl. Classe vom 2. November 1878.
ihm nun die wohlbegründete Berechtigung darzubieten, all
dasjenige, was ihm bei Aristoteles subjectiv nicht gefiel, in
die Gruppe des zahlreichen Unächten einzureihen, dessen
Beimischung ja nach Strabo's Zeugniss ausser Zweifel sei.
Somit träumte er sich rechthaberisch in den Gedanken
hinein, dass er und nur er allein unter Ausscheidung des
Unächten den wirklich ächten Aristoteles vertrete und dem-
nach unter all seinen Zeitgenossen gegenüber den scholastisch
gesinnten und gegenüber den rhetorisirenden Logikern der
einzig wahre Aristoteliker sei. Hiedurch erhielt auch diese
letzte BearbeituDg der Animadversiones im Vergleiche mit
den früheren eine vielfach verschiedene Fassung, indem sie
sich häufig auf Grund eines ziemlich reichen aus den Com-
mentatoren geschöpften Materiales lediglich erklärend und
erläuternd bewegte, dabei aber Einzelnes, was eben als un-
ächte Lehre erschien, kritisch ablehnte. So finden wir hier
z. B. die Fragen über die Universalien, deren Entfernung
aus dem Orgauon und Ueberweisung an die Grammatik er
früher lebhaftest vertreten hatte, wirklich in acht aristo-
telischem Sinne erörtert, und namentlich in den Büchern,
welche sich auf die zweite Analytik, auf die Topik und
Soph. El. beziehen, bewegt er sich überwiegend in engem
Anschlüsse an Aristoteles.
Drei Jahre vor seinem Tode knüpfte Ramus einen
Briefwechsel mit dem Tübinger Schegk an, wobei manche
Meinungsverschiedenheiten über logische Fragen ausgetauscht
wurden und sichtlich aus Rechthaberei und Rauflust Hess
er diesen Briefwechsel drucken (1569), worauf Schegk mit
einer Schrift „Hyperaspistes" anwortete (1571). Die hierauf
rasch folgende Duplik des Ramus hat den merkwürdigen
Titel „Defensio pro Aristotele adversus Jacobum Schecium"
(1571), und hier nun zeigt sich in widerlicher Weise die
Eitelkeit des Mannes, welcher sich in den Gedanken, der
einzige wahre Aristoteliker zu sein, hineingeredet hatte.
V. Prantl: Ueber Petrus Ramus. 169
Er wiederholt in heftigster Weise alle hauptsächlichen
früheren Differenzpuncte und betheuert , dass seine Ein-
theilung der Dialektik in der ächten Gestalt des Organons
begründet sei, dass seine Gruppirung der Topik die rich-
tige Kategorienlehre enthalte, dass er die Lücken der durch
die Tradition corrumpirten aristotelischen Logik ergänze u. s. w.
Jedes Capitel der ,,Defensio" schliesst emphatisch mit den
stets wiederholten Worten: „Ramus Aristotelem sequitur
Schecius Aristotelem deserit et oppugnat." Schliesslich möge
als ein Curiosum erwähnt sein , dass Ramus bezüglich der
früher von ihm verdammten Syllogistik jetzt zu der Ein-
sicht gelangt zu sein glaubt, dass die dritte Schlussfigur
eigentlich die erste sei, weil dort der Mittelbegriff beide
Male im Prädicat stehe, das Prädicat aber das Allgemeinere
sei und auf dem Allgemeinen grundsätzlich das entscheidende
Gewicht liege.
Somit empfangen wir allerdings den Eindruck, dass
der Ruhm des Ramus als eines Reformators der Logik sich
kaum auf irgend Gründe zu stützen vermag, und dass die
lebhafte Parteinahme für denselben, welcher wir bekanntlich
nicht nur in Frankreich, sondern auch in Deutschland bis
in das 17. Jahrhundert hinein begegnen, nur aus dem all-
gemeinen Chararakter einer Zeit erklärt werden kann, welche
ohne Sinn und Talent für tiefer liegende Fragen der Philo-
sophie ein Wohlgefallen an eitlem Schulgezänke fand.
Herr v. Christ legt vor:
,, lieber drei verlorene Tragödien des Euri-
pides'* von Prof. Wecklein.
1. Antiope.
Von der Antiope steht der Gang der Handlung im
Grossen und Ganzen durch Hyg. fab. 8 mit dem Titel
Eadem (nämlich Antiopa) Euripidis quam scribit Ennius^)
fest und die neueste Behandlung dieses Gegenstandes von
0. Jahn „Antiope und Dirke" Archäol. Zeit. 1853 Nr. 56—57
weicht von der Reconstruction Welcker's Gr. Tr. S. 811 ff.
nur in wenigen Punkten ab. Welcker gliedert das Stück
in drei Hauptmassen : 1) Ankunft und Abweisung der
Antiope mit der bekannten Disputation der Brüder. 2) Dirke.
3) Die Erkennungsscene der Mutter und ihrer Söhne und
was folgt. Mit Recht hat 0. Jahn das Gespräch der beiden
Brüder vor die Ankunft der Antiope verlegt; abgesehen
von anderem fehlt nach ihrer Ankunft, nachdem einmal
die Handlung in Fluss gekommen ist, die Ruhe für eine
so gedehnte Erörterung, die dann nur als lästiger Verzug
empfunden würde. Damit ergibt sich für 0. Jahn folgende
Reihenfolge der Scenen : 1) Prolog. 2) Aufzug des Chors
thebanischer Greise. 3) Amphion und Zethos. 4) Antiope
1) „Verwechslung des Ennius mit Pacuvius bei Hygin ist wohl
möglich." Welcker Gr. Tr. S. 812. Diese Vermuthung hat Härtung
Eur. rest. II, p. 415 mit Recht zur Geltung gebracht. Vgl. auch 0.
Ribbeck die Römische Tragödie S. 281.
Weclclein: Ueher drei verlorene Tragödien des Eurijyides. 171
zu den vorigen. Sie wird abgewiesen. 5) Dirke tritt auf
von einem Chor von Bacchantinnen umgeben. Antiope aut
irgend eine Weise ergrijffen wird vor Dirke geführt. Nach-
dem Dirke die grausame Strafe bestimmt und mit deren
Ausführung Zethos und Amphion beauftragt hat, tritt 6) der
Hirte auf, erkennt Antiope und führt die Erkennung herbei.
7) Die Scene der Wiedererkennung wird unterbrochen durch
die Rückkehr der Dirke. Ihre Bitten sind vergeblich; die
Brüder führen sie fort und ein Bote erzählt ihr Schicksal.
8) Lykos erscheint ; der Zorn der beiden Brüder wendet
sich auch gegen ihn. Da thut 9) Hermes Einhalt und ge-
bietet dem Lykos seine Herrschaft an Amphion abzutreten.
Wir haben zunächst in Betreff des Prologs eine Be-
merkung zu machen. Nachdem Valckenaer Diatr. c. VH
p. 60 irriger Weise der Antiope den Prolog zugetheilt,
nehmen Matthiae, Welcker, Härtung, 0. Jahn einen Gott
und zwar vermuthungsweise den Hermes als Sprecher des-
selben an. Dem widerspricht fr. 179
OlvOT]
ovyxOQta valco jtedia Talg i' ^EXsvd-EQalg.
Diese Worte kann nur der Hirte sprechen, dem sie
auch die genannten Gelehrten ausser Härtung^) zuweisen.
Wo anders aber wird man eine solche Bestimmung der
Oertlichkeit erwarten als im Prolog, in welchem die Sce-
nerie beschrieben werden muss. Welcker meint, der Alte
spreche in der späteren Scene von seinem ehemaligen Wohn-
orte, wo er die verlassenen Kinder aufgefunden. Allein
warum soll der Hirte seinen Wohnort gewechselt haben?
Da Amphion und Zethos bei dem Hirten auferzogen worden
1) Härtung ändert in nicht nur unmethodischer, sondern auch
ungeschickter Weise vcdo) in rcdayv und gibt die Worte dem den Prolog
sprechenden Gott, in dessen Erzählung dieselben sich auch auf den
Hirten beziehen sollen.
172 Sitzung der ;philos.-phildl. Classe vom 2. November 1878.
sind, so spielt die HandluDg uaturgemäss vor der Wohnung
des Hirten. Damit stimmt das freilicli lückenhafte fr. 202
überein: evdov öe d^a'ka^oig ßovKoXov . . KOjuwvTa 7,i00(^
OTvlov evtov d-eov. Ebenso Pacuv. Ant. fr. III loca horrida
initas , X nonne hinc vos propere a stabulis amolimini ?
Der Hirte stellt sich offenbar mit jenen Worten vor und
gibt den Schauplatz der Handlung an. Er wohnt in der
Gegend von Hysiä in der Nähe von Oenoe und Eleutherä,
wo einst Antiope ihre Kinder ausgesetzt.^)
Man könnte glauben , dass auch Nauck, welcher jenes
Fragment an den Anfang stellt, jedenfalls in dem richtigen
Gefühle , dass die Beschreibung der Oertlichkeit nur dort
am Platz ist , diese Ansicht gehabt habe. Das kann aber
nicht der Fall sein; denn sonst hätte er in fr. 181 (Et.
M. p. 411, 12)
Tov fxev x/xZry(jx£ Zri&ov ' ^^rjrrjos yccQ
zoyiOLOiv evfiaQsiav rj Tsxovoa vtv
nicht die Aenderung von Valckenaer xtxArJaxet aufnehmen
können. Wenn wir den Prolog dem Hirten zuweisen, müssen
wir ihm natürlich^) auch dieses Bruchstück geben und
yiinlriöyicx) schreiben^). Diese Ansicht wird noch durch eine
1) Harpocr. p. 180, 7 'Yacai, rijs BoicoTiag nolis , fjg (xvrifjiovsvsi
xal Ev(}i7ii6rjg iv 'Ayiion^. Steph. Byz. p. 651, 17 'Halo6og <5' sp *^YQia
triv ^Avrionriv qjtjal yeviad-ca, EvQL7Tt&t]g <5' iy '^Yaictig , vgl. Paus. I
38, 9 aTVojT£Q(o 6€ 6'kiyov (von Eleutherä) anrfkuiov iotip ov fxiya xccl
naQ^ avto vSatog nrjy^ xpv^Qov ' ?.Ey6rai 68 ig fxtv z6 ani^Xaiop (og
AvTionri tsxovaa xatccß-oito ig avxo rovg nalöag, ti&qI 6k rrjg ntjyijg
TOP TioifXEva EvQovTa xovg nalSag ivtavxia acpag "kovaat TiQCüZoy,
änokvaavTa x(ov cnaQydviav.
2) Vgl. Hyg. f. 7 dolor eam (Antiopam) in ipso bivio coegit partum
edere. Quos pastores pro suis educarunt et appellarunt Zethon ano rot
^rirtiv toTiov, alterum autem Araphionem ort iv 6i66(a ?J ort afJLcpl
6&6y ccvTor erezey.
3) Aehnlich ist in fr. 206, wo Ammonius Valck. p. 86 xvovacc
Tix.nu gibt und Valckenaer xvovffa, rly.i^o 9' hergestellt hat, dies bei
Wecklein: XJeher drei verlorene Tragödien des Euripides. 173
weitere Beobachtung unterstützt. Nach der bisherigen Auf-
fassung ist es ziemlich auffallend und überraschend , wenn
man plötzlich erfährt, dass der Hirte die Antiope kennt
und in die Geheimnisse der Abkunft des Amphion und
Zethos eingeweiht ist. Dass Euripides die Sache anders
gestaltet hat, zeigt fr. 218
yioofxog de Giyiq oteyavog^) dvÖQog ov kukov.
x6 d' e-Ä.Xa'kovv tov^' i^Sovfig (.isv ccTtTeTaty
Tiay.ov ö' djiiihj/Li% doS^eveg de xal jcoXu.
Welcker, Härtung, Ribbeck meinen wie Matthiae, der
Hirte entschuldige bei der Bekanntgabe seines Geheimnisses
das bisherige Schweigen. Dass dieses nicht der Fall ist,
zeigt ein Blick auf die Worte xo 6' hJkakovv rov-d^'' iqöovijg
fxev ccTtteTai. Es drängt den Hirten das Geheimniss seinen
Pflegekindern mitzutheilen ; er entschliesst sich aber doch
Schweigen zu beobachten. Dieser offenbare Sinn der Worte
gestattet nur, sie an den Anfang des Stückes d. h. in den
Prolog des Hirten zu setzen. Wie sehr dadurch die Moti-
virung der Anagnorisis gewinnt, brauche ich nicht weiter
auszuführen. Wieviel der Hirte weiss und auf welche
Weise er es erfahren hat, lässt sich nicht mehr erkennen.
Vielleicht hat der Dichter die Vermittlung einem Gott und
zwar dem Hermes ähnlich wie im Jon beigelegt. Dem Be-
richt über das Auftreten eines Gottes können die Worte
Pacuviani pastoris (ex ine. fab. I) angehören: exorto iubare,
noctis decurso itinere. Man wird freilich einwenden : wie
konnte dem Hirten die Kenntniss dessen beigelegt werden.
Eustath. Od. p. 1799, 54 in xvovaa zUtov übergegangen. — Was im
Text von Nauck gesagt ist, gilt auch von Eibbeck S. 284, welcher
zuerst zwischen Bacchus und dem Hirten schwankt, dann sich für den
Hirten entscheidet, aber doch zuXi^axei beibehält und auch die weiteren
Polgen einer solchen Annahme nicht in Betracht zieht.
1) aiyri artyupog für aiyrig OT8(pavog ist eine treffliche Emenda-
tion von Herwerden.
[1878. I. Philos -philol.-hist. Cl. Bd. II, 2.] 13 ■
174 Sitzung der phitos-phüoL Classe vom 2. November 1878.
was nach Joh. Malalas p. 49 bei Euripides vorkam , dass
Zeus in einen Satyr verwandelt die Antiope überrascht habe ?
Allein dieser Einwand weist nur auf eine weitere Bestä-
tigung unserer Ansicht hin. Welcker meint, in den Prolog
des Hermes gehöre der grössere Theil von Hygin's Erzähl-
ung Nyctei regis — devenit ad filios suos. Aber der Dichter
lässt das Nämliche nicht zweimal erzählen. Alles das theilt
nachher Antiope bei ihrem Auftreten dem Amphion und
Zethos selbst mit, wie die beiden Bruchstücke 206. 209
Kvovoa, riKTCü d^ rjvr/,^ rjyo/Lirjv itaXiv •
ovSi yccQ Xad^Qcc doxw (Amphion spricht)
g)CüT6g KaxovQyoi: gx^I^glt^^ eK{.u^ov^evov
öol Zriv sg evvriv wo7teQ av^qionov f^oXelv
deutlich lehren. Die Worte cpcoTog %ay,ovQyov . . oxr^fxaz'
i/,IÄi/j,ov 1.16V ov weisen mit Bestimmtheit auf die Verwandlung
des Zeus hin, Antiope hat also vorher von dem Satyr er-
zählt. Der Hirte brauchte folglich nur eine allgemeine
Kenntniss von der Abstammung seiner Pilegesöhne und ge-
wisse Kennzeichen zu haben ^).
Der Chor thebanischer Greise (Schol. zu Eur. Hipp. 58)
ist bei Pacuvius fr. IV mit Astici (nach Orelli's Emenda-
tion) bezeichnet, weil er von der Hauptstadt aufs Land zu
dem Gehöfte des Hirten kommt. Man hat vermuthet, sein
Auftreten sei mit der Feier eines Festes und zwar nach
fr. 202 eines dionysischen im Kithäron motivirt. Es stimmt
damit überein, wenn nachher Dirke mit einem bakchischen
d^iaoog (nach dem a. Schol. u. Hyg. f. 8 per bacchationem
Liberi) dahin gelangt. Es wird also die dionysische Trieteris
gefeiert, wo die Frauen elg OQog elg OQog schwärmen. Wahr-
scheinlich war diese Festfeier mit dem für Athen wichtigen
Dionj^suskultus in Eleutherä in Zusammenhang gebracht.
1) Bemerkenswert}! ist, dass in der o. a. Stelle Paus. I 38, 9 die
anaQyava besonders erwähnt werden. Uebrigens vgl. auch Schol. zu
Apoll. Rh. IV 1090 movaa de 'A^cpiovu xal Z^d^oy i^E&rjXtv sV rw
Kid-cciQOjpi nccQcc ßovKoXat Zivi.
WecMein: Ueher drei verlorene Tragödien des Ewripides. 1V5
Der Chor trifft zunächst auf Amphion, der mit der
Lyra vor dem Gehöfte sitzt, und fragt ihn über das ihm
unbekannte Instrument aus, Pacuv. fr. IV
Amphio
Quadrupes tardigrada agrestis humilis aspera,
Brevi capite, cervice anguina aspectu truci,
Eviscerata inanima cum animali sono.
Astici (d. i. XO.)
Ita saeptuosa dictione abs te datur,
Quod coniectura sapiens aegre contuit:
Non intellegimus, nisi si aperte dixeris.
Amphio
Testudo {xiXvg).
Daran schliesst sich aufs beste fr. 190^) an, die Er-
klärung, wie die %eh)g zu dem Namen kvqa gekommen sei:
'kvqa roivvv jrQOorjyoQevd-rj ÖLct xo Xvtqov vtco '^Eq/liov dedood-ao
rrjg y,Xo7irjg tcov ßocZv tov ^TtoXXojvog, xad^aTtEQ q)rjolv Ev-
QLTrlörjg ev ^4vti6tc7j ,XvQa ßocov . . qvot e^eqqvoaxo'. Zethos,
wahrscheinlich von der Arbeit nach Hause kommend, gibt
seinem Unwillen über den Müssiggang des Bruders Ausdruck,
womit sich jene gefeierte Disputation der Brüder anspinnt.
Der qrjoLg des Zethos gehören fr. 184 — 188, Pacuv. ex
ine. f. II an. Fr. 184
fA.ovoav Ttv' CLTOTtov eloayeig dovfxcpoQöv,
aqyovj (piXoivov %Q7]i,iaxojv, dTrjf.isXrj .
war nicht weit vom Anfang entfernt. Jedenfalls darf nicht
fr. 183 (Fiat. Gorg. p. 484 E)
SV TOVTCü [ye tol]
Xaf.i7CQog ^' exaoTog KccTtl tovt' eTceiyeraL
1) Von Nauck mit Unrecht in die später folgende Qriaig des Am-
phion gesetzt. Richtig ist die Anordung bei Härtung.
13*
176 Sitzung der phüos.-philol Classe vom 2. November 1878.
ve^cov TO TtleiOTOv r^^eqag tovxco f^igog^
%v avTog avTov Tvyyjtvu ßekciGxog cov
dem fr. 184 vorausgesetzt werden. Man könnte daran
denken, dieses nach fr. 185 einzufügen. Allein weder der
gelassene ruhige Ton noch der unbefangen urtheilende fried-
fertige^ Gedanke, dass jeder am meisten Trieb und Neigung
zu dem fühle, wozu er die meiste Anlage habe (vgl. Pacuv.
ex ine. f. IIP) Tu cornifrontes pascere armentas soles),
entspricht dem erregten Wesen und bäurisch befangenen
Sinne des Zethos. Allerdings gibt der Scholiast ausdrücklich
an: ra laf^ißela ram' eovtv e^ ^^vriOTrrjg . . £x rrjg Zrjd-ov
Qrjoecog ftqog tov (xdsXg)6v !A(xq)LOva . Allein man darf nicht
glauben, dass der Commentator das Stück des Euripides
eigens zur Hand genommen habe ; er schöpfte seine Kennt-
niss bloss aus der bald nachher folgenden Angabe des Plato
mvdvveva) ovv TVETtovd^evai vvv otibq 6 Zri-Sog jvqdg tov
Af-iqjiova 6 EvQtnidov ovttsq hivrjoS^tjv. Der Gedanke wider-
spricht auch dem was Zethos fordert; denn dieser verlangt
gerade von Amphion, dass er ohne Rücksicht auf Nei-
gung und Anlage nur das betreibe, was materiellen Werth
habe. Dagegen eignet sich die Sentenz trefflich für Am-
phion, der fr. 196, 4 sagt; rl ötjt'' ev olßto (äjj oacpel ße-
ßri%oxeg ov t,(x)(j.Ev tog rjÖLora ^rj hjTtovf.ievoL] Es entwickelt
sich daraus auch die Widerlegung des Vorwurfs, den Zethos
(fr. 185) dem Amphion macht, dass er bei seiner Beschäf-
tigung nicht lerne Kriegsruhm erwerben und in der
Volksversammlung sich auszeichnen. Man konnte ja dem
Euripides den gleichen Vorwurf machen und dieser konnte
1) Dem Amphion von Welcker S. 821 zugewiesen. Auch Härtung
p. 420 bemerkt : Amphioni haec etiam contra scholiastae Platonici auc-
toritatera tribuenda esse intelligitur ex fragraento Pacuviano ,Tu.. soles',
quibus verbis illam orationem continuari manifestum est. Ebenso sagt
Ribbeck S. 228, dass nach seinem Gefühle der mildere objektive Ton
dieses Spruches an sich eher dem Amphion zuzutrauen wäre.
WecMein: lieber drei verlorene Tragödien des Euripides. 177
mit Amphion entgegnen : quam quisque norit artem, in hac
se exerceat. Die anderen Fragmente der Gegenrede des
Amphion scheinen bei Nauck richtig geordnet: 191 — 201.
Nur muss man sieh wundern, dass er fr. 220
yvcojLiaig yccQ avÖQog ev iniv olKOvvTai TZoXetg,
ev d^ oixog el'g t' av Ttolefnov lo^vst f^iiya *
öocpov yoLQ 'ev ßovXevi-ia rag noXkdg %£Qag
vin^, ovv oxXco S' dfxa&la 7tXs7GTOv KaKOv^
welches schon Gataker und Yalckenaer der Rede des Am-
phion zugewiesen haben, in einen späteren Theil des Stückes
gesetzt hat. Der Gedanke, dass die Weisheit und Einsicht
eines Einzelnen im Haus, im Staate, im Kriege höhere Be-
deutung und grösseren Erfolg habe als die körperliche
Kraft der Menge (vgl. Sali. Cat. 1), bildet die beste Wie-
derlegung jenes Vorwurfs, dass das Studium der Weisheit
den Menschen für den Krieg und die Leitung des Staates
untauglich mache (vgl. Plat. Lach. p. 197E), und schliesst
sich auf das beste an fr. 199 an:
To d' dod^evig f^ov Kai t6 driXv owfxaTog
KaKwg efAefAcpS^Tjg * el ydq ev cpQOvelv «x^,
KQeIoGOV Tod^ SOtI KaQTEQOV ßQa%LOvog.
Auch fr. 221 kann in diesen Zusammenhang gehören;
doch ist der Gedanke zu unbestimmt, um eine sichere Ent-
scheidung zu gestatten. Ebenso verhält es sich mit fr. 189
ex navvog av rig Ttqay^aTog öiaocov Xoycov
dywva deiT^ av, el leyeiv eli] oocpog,
Valckenaer gibt die Worte dem Chor; Härtung und
Nauck stellen sie mit Matthiä an den Anfang der Rede des
Amphion. Dass beides der Fall sein kann, zeigt ein ähn-
licher Gedanke otav Xaßr^ rig tcov Xoyiov dvr^^ Goq)dg naldg
d(fOQ(xdg^ ov (Äey' eqyov ev liyeiv , welcher Bacch. 266 den
Anfang der Gegenrede des Tiresias bildet, Hec. 1239, Herc.
236 dagegen dem Chorführer in den Mund gelegt ist. Am-
178 Sitzung der phüos.-phüol. Classe vom 2. November 1878.
phion widerlegte Punkt für Punkt die Rügen des Bruders
und wie der Schluss des Zethos gelautet (fr. 188):
aXX^ e^ol fCLd-ov '
Ttavoai fj.eXttjöcüv, fcolsfiiav^) 6' eviuovolav
aoxei ' ToiavT^ aeide^), y,al do^eig (pqoveiv^
GAamcüv, ccQCüv yii(\> xre .,
so schloss entsprechend Amphion (fr. 201):
syco IX8V ovv aöoL/UL Aal HyoL/nl tl
oocpov^ TaQaGOcov ^r^dev cov noXig voöet
und sprach dies recht eigentlich im Namen des Dichters.
Aus der folgenden Scene zwischen Antiope und ihren
Söhnen lassen sich nur einige Punkte feststellen. Die Ordnung
der Fragmente bei Nauck dürfte kaum richtig sein. Antiope
erzählt ihre Schicksale : fr. 203. 206. Den Eindruck, welchen
die Schilderung auf den Chor gemacht, gibt der Koryphaios
zu erkennen mit fr. 210:
(pev (pev^ ßQOTsicov nrj^axcov ooai xvyai
oöai te f.WQ(pai ' T^Q(.ia (J' ovy, ilnoi zig av .
Amphion spricht verschiedene Bedenken über die Erzäh-
lung der Antiope aus: fr. 208. 209. Diesen Bedenken
tritt Antiope entgegen; sie beginnt mit fr. 205
w Ttaiy yevoivx'' av ev Xekey^evoi Xoyoi
ipevdeig, snwv 6i xalleoiv vlkmsv av TccXrjdeg ' xre.
Die Anrede w nal ist für die Zuschauer bedeutungs-
voll. Ebenso fr. 207, welches ohne Zweifel dieser Wider-
legung angehört:
el d'' i^f.ieX7Jd^rjv ex -d-ecov Kai tcoIö'' Sf^w,
sxec Xoyov Kai rovro • tcov jtoXXwv ßqoTOJv
dei rovg ixev eivai övOTvysig^ xovg (5' evTvxeig.
1) So habe ich für nolefx^v geschrieben ; gewöhnlich wird Val-
ckenaer's Aenderung nolefiiiov aufgenommen, die unrichtig scheint, da
nolsfxiojv hostium bedeuten würde.
2) Unnütz ist Cobet's Aenderung routvta S^egös.
WecTdein: lieber drei cerlorene Tragödien des Eiiripides. 179
Es geht hieraus hervor , dass Amphion der Antiope
auch entgegengehalten, Zeus würde, wenn deren Angabe
richtig wäre , besser für deren Kinder gesorgt haben : die
Zuschauer wissen, dass es geschehen ist. Nachdem Antiope
die Bedenken des Amphion entkräftet hat, geht sie zu
rührenden Bitten über und , sucht besonders durch die er-
greifende Schilderung der Leiden ihrer Knechtschaft Mitleid
zu erwecken. Dahin gehört fr. 216
To dovlov 00% OQag ooov Ka-nov]
wahrscheinlich auch fr. 204
g)QOvcd ^' a Ttaoxco, xal i;66'' ov 0(,uy,qdv xazw'
TO [.iq elöivai yaQ ridovr^v eyei rivd
voGovvra, xeQSog (5' ev %aKolg dyvcooia. '
Der Gedanke findet sich öfter bei Euripides; Herc. 1291,
Iph. T. 1117, Hei. 417, fr. 287. Für Antiope ist die
Knechtschaft um so unerträglicher , weil sie schon einmal
das Glück der Freiheit genossen hat und den Unterschied
von Freiheit und Knechtschaft kennt. Ferner gehören zu
dieser Schilderung Pacuv. V — VIT. Vgl. auch Propert. IV
15, 13 ff. Der Chorführer spricht seine Empfindung aus
mit fr. 217:
g)sv q)ev^ to öovXov cog aTtavTax^ yevog
ftQog Tfjv elaoocü (xdlqav wqiosv d-eog.^)
Amphion wird gerührt. Es kann Pacuv. ex ine f. frg. V
cepisti me istoc verbo , miseretur tui , welches Ribbeck
der Antiopa zuweist, hieher gesetzt werden. Während der
humane Amphion das richtige Gefühl hat, erkennt der rauhe
Zethos in der Mutter nur eine entlaufene Sklavin und weist
sie ab.^)
1) Die Interjektion q)ev cpiv ist auch in dem vorhin erwähnten
fr. 210 gehraucht; ebenso z.B. Hec. 1238 hei einem solchen Stimmungs-
ausdruck des Koryphaios, cctat Hec. 331 ulaT ^ ro dovXop wV xaxov
necpvx' ael Tokfxa i9-' « fxri /Qtj tfi ßia. vi^oofxevov,
2) Vgl. Propert. a. 0. et durum Zethum et lacrimis Amphiona
möllern experta est stahulis mater abacta suis.
180 Sitzung der pMlos.-philol. Glasse vom 2. November 1878.
Aus deu folgenden Scenen, wo Dirke mit ihrem bak-
chi sehen Schwärm auftritt, ist nichts mehr erhalten. Wenn
die Vermuthung Valckeuaer's ^) richtig ist, dass Aristot.
Poet. c. 14 p. 1454a 8 xßt ev t^ '^'EXXrj o v\6q, zr^v f^rjTiqa
SKÖLÖSvat i^iXXcov dveyvcoQiaev für'EXXrj zu lesen sei lävTiOTCiß,
so muss man annehmen, dass einer der Brüder (Zethos)
oder beide fortgeschickt werden, um Antiope einzufangen
und sie der Dirke auszuliefern. Wie darauf die Erkennung
durch den Hirten erfolgt, wissen wir nicht; nur das eine
erfahren wir bei Hygin, dass Antiope von Dirke fortge-
schleppt wird und die Söhne von dem Hirten unterrichtet
nacheilen. Nicht also beauftragt Dirke die Brüder jene
Strafe zu vollziehen, sondern reisst selber ihre Sklavin zum
Tode fort, nachdem sie wahrscheinlich die beabsichtigte
Todesart bekannt gegeben. Lebendige Stiere zu fangen und
zu bewältigen ist die Weise von Bacchantinnen , wie wir
aus Eur. Bacch. 743 wissen. Der Plan der grausamen To-
desart setzt den Peinigungen, welche Antiope vorher be-
richtet hat, die Krone auf. Aus Pacuv. gehören hieher fr.
Xn und ex ine. f. IV 2)
Agite, ite, evolvite, rapite coma,
Tractate per aspera saxa et humum,
Scindite vestem ocius, cervicum
Floros dispendite crines.
1) Mit Recht bemerkt Valckenaer : nullum fuisse arbitror Euripidis
drama. in quo talis matris uvaypu)Qt,o^ds locum invenerit praeterquam
in Antiopa. Wenn Matthiä entgegnet : Hygini narratio non satis cum eo
quod est apud Aristotelem consentit : nam secundum Aristotelem Zethus
matrera ix6i66pccL ^xs^lei, secundum Hyginum traditam iam consecuti filii
eripueruntj so bedeutet der Einwand nichts. Wenn der Bruder Antiope
ausliefert, sie aber vor ihrem Tode wieder befreit, so kann immerhin
Aristoteles in seiner kurzen Weise sich so ausdrücken wie er sich aus-
drückt, da die Sache sich gleich bleibt.
2) Von Härtung p. 426 verbunden.
WecJclein: lieber drei verlorene Tragödien des Euripides. 181
Diese Worte ruft Dirke ihreai bacchischeu Schwärme zu.
Dem Hirten scheint fr. X nonne hinc vos propere a
stabulis amolimini? anzugehören in dem Sinne einer Auf-
forderung an die beiden Pflegesöhne, schleunigst sich auf-
zumachen und der Mutter nachzueilen^).
Aus dem Bericht von der Bestrafung der Dirke ist
erhalten fr. 222, Pacuv. fr. IX und XV. Der Bote kann
am Anfang oder vielmehr am Schlüsse seines Berichts
fr. 223 sprechen. Aus dem folgenden Chorgesang stammt
fr. 224:
XQOVLOQ ' all' oficog vnorceoovö' elad^ev,
OTav eyrrj tlv^ doeßrj ßQOTcov^).
Bei Pacuvius (fr. XIII) begrüsst Antiope ihre Söhne mit
salvete, gemini, mea propages sanguinis ; allein über die Ausge-
staltung dieser Scene lässt sich nichts bestimmtes sagen;
ebenso v^^enig über das Auftreten des Lykus und den Plan
ihn zu ermorden. Nur das Schol. zu Apoll. Rh. 1090 zrjv
de ^iQyiTjv 6^ ayqiov zavQOv TrQOoSrjGavTeg diacpdeiQOvOL '
(ÄetaTtefÄipajiievot de rov ^vxov wg eKÖwoovreg rrjv ^vziOTtrjv
GcpaTTEiv SfxelloVy ^EQiLirig de excolvoe, tcü yivy.cü ös jvQOoha^ev
TtaQaxcoQ^oai z^g ßaGiXelag auzolg wirft ein Licht darauf
und lässt uns eine durchaus dramatische Erfindung erkennen ;
Lykus geht hier auf ähnliche Weise in sein Verderben wie
Lykus im Herakles ; es ist eine TteQiTvheia nach Aristotelischer
Definition: Lykus kommt in der Absicht zu tödten dahin
wo er seinen Tod finden soll. Dem Einhalt gebietenden
Hermes gehört das von Nauck aus einem Bruchstück des
1) Ganz anders versteht Härtung S. 425 die Worte und verbindet
sie ohne das verschiedene Versmass zu beachten mit fr. IX minitabili-
terque increpare dictis saevis incipit.
2) Der Sinn der Stelle ist nicht klar und der Text nicht in Ord-
nung. Vielleicht ots fj,€re^x^^^^ ^''^' äasßij ßgoxiov.
182 Sitzung der pliilos.-phüol. Classe vom 3. November 187 8.
Komikers Eiibulos gewonnene und mit Recht liielier ge-
setzte fr. 225 an:
Ztj^ov fxev sld-ovS-^ ayvov ig Qiqßrjg jcidov
xXsivdg ^4d-rjvag sxTteQav ^}.iq)lova^).
Wenn das Fragment nicht ganz mit den Worten des
Hygin : Lycum cum occidere velleut, vetuit eos Mercurius
et simul iussit Lycum concedere reguum Amphioni über-
einstimmt, so hatte der römische Dichter keinen Grund
Athen hereinzuziehen und gestaltete die Sache einfacher.
So übersehen wir im Allgemeinen den Gang und die
Motive der Handlung, wenn uns auch Einzelnes in der
Anlage unbekannt bleibt. Um so überraschender ist es, dass
fünf Fragmente und zwar solche , welche nicht allgemeine
Gedanken enthalten, so dass sie zu jedem Stück und jeder
Stelle passen , sondern bestimmte Motive bringen , in der
Antiope nicht untergebracht werden können. Es sind das
zuerst folgende vier:
211 el vovg eveoTLV el öe fiiq^ tl 6 et xaX^g
yvvai%6g^ el ^ri Tag (pqivag xQT^iOzag eyoi ;
212 Tiögog de jravcwv %al yaq e% '/,aXki6vo)v
XexTQOLg £71^ aloxqdlg eidov eyiTteTcXriy^evovg,
daiTog de TtXrjQCo&elg Tig aofxevog naXtv
cpav'kri ÖLaiTiß TtQooßaXwv rjod^t] orof^a.
213 x^Sog xax^' amov %6v oocpov yiTcco&ai xQSCov.
214 ^äöt ö' ayyeXXco ßqoTÖlg
eo&lcüv an dvÖQcov evyevrj oneiqeLV T€xva^).
Antiope war allerdings schön; allein ihre Schönheit
1) Wahrscheinlich ist nach olxslv xtlevco eine Lücke anzusetzen,
worin der Grund angegeben war, wie Eubulos eine lächerliche Begrün-
dung folgen lässt.
2j Für Eod-liov un^ kvSqcov muss es, wie ich Stud. z. Eurip.
S. 421 bemerkt habe, iad-lwv «ti' u16x(üp heissen.
WecJclein: lieber drei verlorene Tragödien des Etiripides. 183
bildet keiu Motiv der dramatischen Handlung; nicht um
ihrer Schönheit willen will Amphion sie aufnehmen. Und
wer kann von Antiope sagen, dass sie ein schönes Weib
ohne Verstand sei? In welcher Beziehung könnte dieses
gelten ? Ein Kreon kann dergleichen von Antigone be-
haupten; der Antiope aber kann es Dirke nicht vorwerfen.
Das zweite der angeführten Fragmente soll nach Valcke-
naer's Ansicht Antiope sprechen als Erwiderung auf den
Einwand des Amphion ovös yccQ Xdd^Qq 6oy,cü . . . goI Zrjv^
ig evvriv Sotueq avd-qcojtov (xoXelv. Mit Recht bemerkt da-
gegen Matthiae : mihi vero mirum videretur ullam unquam
mulierem tarn sui dissimilem fuisse, ut deum vel hominem
e potentioribus aliquem suos amplexus expetiisse satietate
aliarum mulierum etiam pulchriorum captum diceret. Mat-
thiae will die Worte dem Hirten zuweisen, der damit die
Zweifel des Amphion zu beschwichtigen suche. Es stünde
schlecht um die Wahrscheinlichkeit der Erkennung, wenn
sie in solcher Weise erörtert und bewiesen werden müsste.
0. Jahn gibt fr. 211. 212 der im Festschmuck der Antiope
gegenüberstehenden Dirke: wer verschmäht die Schönheit
der Dirke (koqoq di TtavTcov) oder soll sie verschmähen ?
Auf die Gedanken Hartung's p. 422 brauchen wir gar nicht
einzugehen, da sie theils auf keiner lieber lief er ung, theils
auf falscher Lesart beruhen und trotzdem für fr. 212 keine
passende Stelle gewinnen*). Zu fr. 214 bemerkt Matthiä :
verba videntur esse Antiopae, sese filiorum ope servituti
1) Doch hat Ribbeck S. 289 durch eine ähnliche Gedankenver-
bindung dieses Bruchstück mit fr. 196 in Zusammenhang zu bringen
gesucht. Aber der Wechsel von Glück und Unglück im Leben u. die
Unsicherheit der Glücksgüter (vgl. fr. 197 u. Pacuv. fr. VIII) ist ein ganz
anderes Thema als der Gedanke, dass der Mensch auch den Genuss des
schönsten und besten satt bekomme. Dieser Gedanke hat keine Stelle
in der Rede des Amphion, wohl aber jener, wie sehr deutlich der Schluss
von fr. 196 zeigt: rt <5^t' cV oA^w ^utj aa^el ßeßrpcoteg ov ^w^ey cos
184 Sitzung der phüos.-philol. Classe vom 2. November 1878.
ereptam gratulantis; er nimmt dazu auch fr. 213 und 211.
Sollen alle sterblichen Frauen sich mit Zeus vermählen und
kann eo^Xcov djt'' dvögiov sich auf Zeus beziehen? Soll die
Verbindung mit Zeus ein Krjöog Kad'' avxov sein? Alle
diese vergeblichen Versuche für Fragmente so ausgeprägten
und begrenzten Inhalts irgend einen möglichen Platz zu
finden, lassen deutlich erkennen, dass überhaupt für sie im
Stücke kein Raum ist.
Das fünfte der fi-aglichen Bruchstücke ist fr. 219:
TQELg eloLv (xQSTai, Tag xqecüv a' doKSiv, zeKvov,
d-fiovg re tl^iclv lovg xe d^qixpav'rag yovrjg
vofxovg TS Koivovg ^EXXadog ' %al rama öqwv
yidlXiGTOv £^£ig orecpavov EvyiXslag dal.
Matthiä bemerkt: videntur esse verba Antiopes ad Ze-
thum; nam Amphioni hoc praecipi vix opus erat. Allein
auch Zethos hat , sobald er seine Mutter erkannt , seine
Elternliebe bewiesen. Und v^^enn er seine Mutter, weil er
sie nicht kennt und für eine flüchtige Sklavin ansieht, ab-
v^eist, braucht er desshalb nicht über die Pflichten der
Elternliebe belehrt zu werden. Welcker gibt mit Heyne die
Worte dem Hirten: ,, rührend ist es, wie der alte Hirte
zum letzten Mal jedem Einzelnen wahrscheinlich väterliche
Lehren gibt.'' Warum der Hirte jene Lehren nicht beiden
zugleich geben soll, dürfte kaum ersichtlich sein; die un-
wahrscheinliche Annahme ist nur wegen des Singulars ös
rsKvov gemacht, welcher deutlich zeigt, dass die Ansicht
von vornherein unrichtig ist. 0. Jahn weiss nichts rechtes
mit den Worten anzufangen^). Es fehlt eben dem Stücke
sowohl die Person, welche als Vater oder in väterlicher
Weise einem Jüngeren solche Ermahnungen gibt, als auch
die geeignete Situation.
1) Ribbeck S. 300 denkt sogar an den deus ex machina am Schluss,
lässt jedoch auch den Abschied nehmenden PÜegevater gelten.
Wecklein: Ueher drei verlorene Tragödien des Euripides. 185
Wir werden hiernacli berechtigt sein diese fünf Bruch-
stücke einem anderen Drama des Euripides zu vindicieren.
Sie stehen alle fünf in dem Florilegium des Stobaeus; das
fünfte wird auch sonst häufig citiert : aber der Name des
Stücks ist nur bei Stobaeus angegeben. Bei demselben steht
auch fr. 215 :
ov xQiq noT avöqa dovXov ovx' sJ.evd'iqaq
yvwfiaQ Sicjxeiv ovS' eg aqyiav ßXeTzeiv.
Die Handschriften M Vind. geben EvqiTtlöov ^AvriOTtiß^
A dagegen Evqctclöov ^ÄvTLyovrj. Gaisford hat bereits dieses
Fragment der Antigone zugewiesen. Wir glauben, mit Recht.
Es ist in der Antiope zwar von der Sklaverei der Antiope
die Rede und Nauck hat das Fragment mit den betreflPenden
216 und 217 zusammengestellt. Allein schon avöqa SovXov
verbietet die Worte auf Antiope zu beziehen. Bei eXsvd^iqag
yvco/.iag und ccgyla läge es zunächst, an die Philosophie des
Amphion zu denken, und Matthiä bemerkt : et pastor servus
erat et Amphion et Zethus pro servis edacati. Allein wenn
Zethos die Worte spräche, so würde er damit ein unwider-
legliches Argument geben und würde der Gegenrede des
Bruders von vornherein allen Grund und Boden entziehen ;
denn ein Sklave hat allerdings keine Zeit zu wissenschaft-
lichen Beschäftigungen. Ueberhaupt wird der Dichter sich
gehütet haben bei dem Hirten wie bei Amphion und Zethos
die Knechtschaft in den Vordergrund zu stellen. Doch wie
das auch immer sich verhalten mag^), das Schwanken der
Handschriften zwischen Antiope und Antigone ist für uns
ein Fingerzeig, wohin wir jene fünf Fragmente zu setzen
haben. Die Leichtigkeit der Yerwechslung von ^vtiottt]
und Idvriyoviq lehrt auch das Tragödienverzeichniss der
Euripidesstatue der Villa Albani, wo sich der Steinmetz
1) Es lässt sieb ja immerhin die Möglichkeit denken, dass der
Hirte im Prolog- etwaige Reflexionen damit abgebrochen habe.
186 Sitzung der phüos.-phüol. Glasse vom 2. November 1878.
oder seine Vorlage den gleichen Fehler hat zu Schulden
kommen lassen. Zu fr. 213 bemerkt schon Nauck: in lem-
mate fortasse IdvTLyovrj scribendum. Bei fr. 211 erhält unsere
Ansicht eine überraschende Bestätigung dadurch, dass wie
wir unten sehen werden, die Verbindung desselben mit
einem Bruchstück der Antigone diesem letzteren erst Ver-
ständniss bringt. Bei fr. 219 endlich ist zu bemerken,
dass nur die Ausgabe von Trincavelli EvQiTtiöov ^^vTiOTtrj
bietet, während die Handschriften A M EvQCTtlörjg "Hqa-
xleldatg haben. Ferner muss man beachten, dass die Euri-
pideische Antigone öfter auf die des Sophokles Rücksicht
nimmt und mehrfache Beziehungen zu ihr hat. Wenn nun
Kreon fr. 219 spricht, so werden jene Ermahnungen von der
geeignetsten Persönlichkeit gegeben und es tritt auch jener Scene
der Sophokleischen Antigone wo Kreon den Gehorsam seines
Sohnes belobt, eine ähnliche Scene der Euripideischen An-
tigone gegenüber. Wie leicht überhaupt die Namen der
Tragödien von gleichen Anfangsbuchstaben bei Stobaeus
vertauscht wurden, lehrt fr. 154, von dem nicht nur die
Anrede K^iov ^ sondern auch ganz entschieden der Inhalt
die Zugehörigkeit zur Antigone erweist , so dass es als un-
methodisch erscheint durch Beseitigung von Kqeov das
Lemma Lävöqoixeöag zu retten.
2. Antigone.
Die Annahme Welcker's (S. 566), dass Hygin fab. 72
den wesentlichen Inhalt der Euripideischen Antigone wie-
dergebe, ist von Härtung besonders mit der Bemerkung ab-
gewiesen worden, dass nach fr. 176 der Leichnam des Poly-
neikes noch unbeerdigt daliegt, während nach Hygin schon
eine Reihe von Jahren seit der Zeit vergangen sein muss.
Die Annahme musste schon an der Unmöglichkeit scheitern.
WecJclein: Üeher drei oerlorene Tragödien des JEuripides. 187
die durch fr. 177 bezeugte Erscheinung des Dionysos unter-
zubringen. Natürlich kann, wie bereits Böckh bemerkt hat,
Dionysos nur die Rolle eines deus ex machina haben; denn
wenn er den Prolog sprechen und darin vorbringen sollte,
dass er den Thebanern die Sphinx geschickt habe (fr. 178),
so könnte er nicht mit riv OlöiTCovg to tcqlotov evdaljAcov
avujQ, was wir als Anfang kennen (fr. 157), anheben, son-
dern müsste sich erst wie Hermes im Jon, Aphrodite im
Hippolytos, Dionysos in den Bacchen vorstellen; noch^we-
niger aber wäre die Erwiderung w Ttal zJuovTqg, log eq)vg
l^ieyag -d'eog, JiovvGe, d^vrjToig t' ovöaf,icüg vjioGxaxog denkbar *).
Wenn aber schon Herakles aufgetreten , kann nicht zum
Schluss Dionysos noch als deus ex machina erscheinen,
zumal wenn Hämon und Antigone bereits todt sind. Ueber-
dies lässt sich die bestimmte Angabe in der Hypothesis der
Sophokleischen Antigone, weiche von Aristophanes von By-
zanz herrührt, xelTai tJ (.ivdoTtoda Kai itaqd EvqlttIöt] ev
^Avnyovri ' Ttlrlv ixel q)coQa^eliGa ^ezd tov ^i/^iovog dlSoxaL
jCQog ydi^iov ycoivcovlav Kai tskvov tIkt£l tov Malova^) mit
der Fabel des Hygin nur auf gewaltsame Weise vereinigen.
Es kann bei unbefangener Erklärung q)CüQad^elGa f^ierd tov
^ifA,ovog nur auf die Bestattung des Polyneikes bezogen
und als derjenige, dem Antigone zur Gemahlin gegeben
wird, nur Hämon verstanden werden. Man hat sich über
die eigenthümliche Verbindung der Handlungen in jener
Angabe gewundert; man hat daraus auf eine möglichst
1) Den Sinn der Worte scheint Kibbeck a. 0. S. 487 wenig zu
berücksichtigen, wenn er meint, es scheine damit Jemand im Prolog
den Dionysos als den Urheber alles Unheils zu bezeichnen.
2) So Nauck nach Hom. J 394 Malwv Ai^ovi6rig für Jl'fxova
(Laur.), Mat^ova (am Rande des Laur. von alter Hand), Mcci(j,ova
(Par. A). — Aehnlich ist die Angabe des Schol. zum Schluss: otl
(d. i. to / o'Cc) öia(pi()hi rrig EvQintöov 'Avriyovrig avtr], otc (p(üQa^€vacc
ix-fifti Su} TOV AXfxovog equotu s^eSo^rj n^og ydfxor.
188 Sitzung der phüos.-phüol Classe vom 2. November 1878.
grosse Aehnlichkeit der Stücke schliessen zu dürfen geglaubt;
allerdings erweckt sie diesen Eindruck ; man muss aber er-
kennen , dass Aristophanes der Aristotelischen Theorie fol-
gend die abweichende Art der tcXo-üti ^^^^ 'kvoug kenn-
zeichnet^) , wobei man an die freilich nicht ganz klaren
Worte des Aristoteles Poet. c. 18 p. 1456 a 7 dUaiov de
Kai TQaycüölav ccllrjv xal xrjv avTrjv Xkyuv ovöbv Yacog t(^
/uvd^oj' Tovro de, cov rj avTiij 7cXoKri ^^^ ^voig denken muss.
Euripides hat die ^cXoktJ und Xtoig geändert nnd so,
das will Aristophanes sagen , eine wesentlich verschiedene
Tragödie geschaffen. Damit muss erst recht aller Zweifel
schwinden und die etwaige Annahme, als ob alles was von
der Fabel des Hygin abweicht in den Prolog gesetzt werden
könnte, als unmöglich erscheinen. Nach Hygin besorgt An-
tigone die Bestattung mit der Wittwe des Polyneikes Argia,
was offenbar eine gesuchte Neuerung ist, nachdem Euripides
der Antigone ihren Verlobten zugesellt. Welcker bemerkt:
,,bei Hygin übergibt Kreon Antigone dem Hämon, um seine
eigene Verlobte selbst vom Leben zum Tode zu bringen,
ganz angemessen seiner bekannten Härte und Grausamkeit
und nach einer ächten, altgriechischen Königslaune. Denn
so schickt auch Hipponoos seine Tochter Periböa zu ihrem
Liebhaber Oeneus um sie zu tödten^)." Ein solches Ver-
1) Nicht ganz richtig bemerkt also ßibbeck S. 486, Aristophanes
sage über den eigentlichen Gang der dramatischen Handlung bei Euri-
pides nichts.
2) Das Beispiel ist unrichtig. Apollod. I 8, 4 muss anders ver-
standen werden: Die Art wie Oeneus Periboia, die Tochter des Hippo-
noos, zur Gemahlin erhielt, wurde verschieden angegeben. Nach der
Thebais soll er sie bei einem Kriege gegen Olenos als Ehrengeschenk
erhalten , nach Hesiod soll der Vater der Periboia , wie er fand , dass
seine Tochter von Hippostratus schwanger sei, sie zu Oeneus geschickt
haben um sie zu tödten. Andere wieder behaupten, dass Hipponoos,
als er bemerkte, dass Periboia von Oeneus geschwängert sei, dieselbe in
diesem Zustande zu Oeneus geschickt habe, - nicht aber um sie zu
tödten, sondern um sie als Frau zu behalten.
WecMein: Ueher drei verlorene Tragödien des Euripides. 189
fahren des Kreon Hesse sich nur denken, wenn Kreon irr-
thümlicher Weise bei seinem Sohne einen gleichen Unwillen
über die Verletzung des köuiglichen Gebotes voraussetzte,
lässt sich aber psychologisch nicht rechtfertigen, wenn
Hämon bei der That der Antigone betheiligt und mitschul-
dig ist. Für die Annahme Welcker's spricht nur fr. 166
(Stob. fl. 90, 1):
TO jucüQOv avTi^ Tov TtaTQog voorifx svl '
cptXet ycLQ ovccog sk ytaKiov eivai xaxovg.
Wenn die Lesart avT(^ richtig ist, so muss von einem
Sohn Hämons die Rede sein, wie es der Fabel des Hygin
entspricht. Es dürfte aber kaum auf der griechischen Bühne
ein Knabe eine solche Rolle spielen, dass ein Ausspruch
der Art gegen ihn gerechtfertigt wäre. Ferner lehrt die
Beziehung auf Soph. Ant. 471 drjlol to ysvvrjfj.'' cü(.icv e^
cofiov TtaxQog rijg TtaiSog, welche ebenso hervortritt wie die
von fr. 165 auf Ant. 563, dass Oedipus unter dem Yater
zu verstehen ist. Die Emendation von Süvern avxfi ist
darum unbedenklich und nothwendig. Ausserdem fügen sich
fr. 168 und 161:
ovo^aTi (.lE^TCTOv xo vodov, 1^ cpvOig d' Yöyj '
rjQOJv ' TO jualveGd^ai (5' ccq^ tjv egtog ßgorolg
sehr gut in die Anordnung von Welcker, werden sich aber
auch einer anderen Hypothesis einreihen lassen.
Jedenfalls geht jene Fabel des Hygin auf eine dra-
matische Bearbeitung zurück. Dies geht vornehmlich
aus zwei Punkten hervor. Einmal aus der bildlichen Dar-
stellung (auf einer rothfigurigen Amphora des Museums
Jatta in Ruvo), welche Heydemann ,,über eine nacheuri-
pideische Antigone" Berl. 1868 veröffentlicht hat. In der
Mitte des Bildes tritt aus einem Tempel Herkules, rechts
davon steht Kreon , links Antigone die Hände auf den
Rücken gebunden, gehalten von einem doQvcpoqog ^ hinter
diesem Hämon. Hinter Kreon (rechts) steht ein Knabe,
[1878. I. Philos.-phüol.-hist. Cl. Bd. II, 2.] 14
190 Sitzung der phüos.-philol. Classe vom 2. November 1878.
der in der rechten Hand eine Schale drängt , hinter
ihm eine Frauengestalt, in der Höhe Ismene. Herkules,
Antigene, Hämon, Ismene sind durch Inschriften kenntlich
gemacht. In der älteren Matronengestalt erkennt Heyde-
mann mit Recht die Mutter des Hämon Eurydice. Der
Knabe muss wohl als Sohn des Hämon Mäon betrachtet
werden, der ja gewissermassen das corpus delicti in dem
augenblicklichen Streite bildet. ,,Die oben rechts und links
vom Tempel aufgehängten Pateren und langen Tänien sind
sicher als Andeutungen der aufgeputzten Bühnenhinter-
wand aufzufassen." Das sicherste Kennzeichen aber für die
dramatische Quelle jener Fabel erblicken wir in den Worten :
hunc Creon rex, quod ex draconteo genere omnes in cor-
pore insigne habebant, cognovit. Denn daraus erkennt man
deutlich, dass die neue Gestalt der Sage für die dramatischen
Zwecke der avayvajQioig erfunden ist. Wie die modernen
Dichter zu ihrem Stoff eine Liebe erfinden, so brauchte
der spätere griechische Tragiker eine Erkennung. Zufällig
haben sich noch die Worte, welche jene Erkennung be-
treffen , erhalten , Arist. Poet. c. 1 6 Anf. , wo mit Xoyyriv
riv q)OQOvai yrjyevslg'^) ein Beispiel für die Erkennung von
Körpermalen angegeben wird.
Mit Recht hat also Heydemann in der Fabel des Hygin
den Stoff einer nacheuripideischen Antigone erkannt. Wir
wagen den Verfasser derselben zu bestimmen. Aristoteles
citirt die Worte ohne Angabe des Dichters und der Dichtung
wider seine Gewohnheit ; wir denken , nach dem Tadel,
welchen er vorher über solche Erkennungszeichen ausge-
sprochen, wollte er den Namen seines Freundes Theodektes
verschweigen. Allein damit ist nichts erwiesen. Das ent-
1) Dieser Ausgang des Triraeters genügte Aristoteles zur Bezeich-
nung der Sache ; der Dichter hat sicher geschrieben ^oyzv^ ' ' yrjyiy^is \
anaQToi vgl. Eur. Phoen. 940 xQvaonijXTjXce aza/vy anaQxujv und die
bei Nauck tr. gr. fr. p. 662 angeführten Stellen.
Wecklein: lieber drei verlorene Tragödien des JEuripides. 191
scheidende ist die auffallende Aehnlichkeit dieser Antigene
und des Lynkeus von Theodektes, die auch Welcker (p. 1077)
nicht entgangen ist. Hypermnestra tödtet ihren Bräu-
tigam Lynkeus nicht , wie ihr befohlen worden , sondern
hält ihn geheim ; die Frucht ihrer geheimen Ehe , der
Knabe Abas, wird entdeckt und verräth den ungehorsam
der Tochter (Aristofc. Poet. c. 18. 1455 b 29 u. c. 11. 1452 a
27J. Hämon soll seine Braut Antigone tödten, tödtet sie
aber nicht, sondern hält sie bei Hirten versteckt; der
Knabe, der aus der heimlichen Ehe entsprossen ist, verräth
den Ungehorsam des Sohnes. Wir denken, wenn eine Sage
in ziemlich willkürlicher Weise so auffallend nach einer
anderen umgemodelt ist, den gleichen Dichter erkennen zu
müssen. Dies um so mehr , da die Gleichzeitigkeit der
beiden Dichtungen sich aus folgender Erwägung ergibt.
Welcker sah natürlich in der Euripideischen Antigone das
Original, in dem Lynkeus die Copie. Die Verschonung des
Lynkeus wider den Befehl des Danaos war bereits durch
die Sage gegeben ; die Verschonung der Antigone nicht.
Eine solche Bearbeitung der Autigonesage war ohne das
Vorbild der Danaidensage kaum möglich. Folglich erscheint
der Lynkeus als Original, die Antigone als Nachahmung.
Der Lynkeus wurde zur Zeit des Aristoteles gedichtet; da-
mals war aber auch schon die Antigone vorhanden , wie
das Citat ^oyxrjv . . yrjyeveiQ zeigt; diese fällt also in die-
selbe Zeit wie das Original. Welcker rechriet nach, dass
Theodektes fast in jedem Jahre eine Tetralogie geschrieben
haben müsse ; die schnelle Art des Arbeitens wird solches
Sichselbstabschreiben sehr begreiflich erscheinen lassen.
In Betreff des Inhalts der Euripideischen Antigone er-
gibt sich aus jener Notiz des Aristophanes von Byzanz und
dem Schol. zu Ant. 1350 nur das wenige, dass Antigone
die Hilfe, die sie bei Sophokles von Ismene vergeblich for-
dert, von Hämon wirklich erhält, dass also de- iiQcog des
14*
192 Sitz^mg der pliüos.-pJiÜol. Glasse vom 2. November 1878.
Liebenden mächtiger ist als die q)iXia der Schwester; dann,
dass durch das Dazwischentreten des Dionysos der unglück-
liche Ausgang in einen glücklichen verwandelt wird, indem
Hämon Antigone zur Gattin erhält. In die Rede des Dio-
nysos passt trefflich fr. 176
^avaTog yccq ccv^qcoicoigi vecxeiov riXog eyet ytre.
Welcker hält es für ungereimt, Nachkommenschaft pro-
phezeien zu lassen, da solche von einem jungen Paare von
selbst zu erwarten sei. Allein es ist nicht ungereimt, wenn
Dionysos anordnet , dass der Sohn , welcher aus der Ehe
hervorgehen werde, den Namen Mäon erhalte, und wenn
zugleich in echt Euripideischer Weise dieser Name von
(.laieo^ai abgeleitet und mit der Liebe des Hämon zur An-
tigone erklärt wird.
Was den weiteren Gegenstand der Handlung be-
trifft, so muss zunächst Antigone den Hämon bestimmt
haben an der Bestattung Theil zu nehmen. Diese Scene
muss aus leicht begreiflichen Gründen vor das Auf-
treten des Chors verlegt werden. Antigone spricht also
den Prolog, von dem noch zwei Verse (fr. 157, 158) er-
halten sind. Pr. 159 eTtl xqvOBOvcoxov aOTcida rav KaTtavicog
erinnert an die Parodos der Antigone, so dass uns schon
zum dritten oder vierten Mal Beziehungen auf die Antigone
des Sophokles entgegen treten. Man wird also darin gleich-
falls ein Bruchstück der Parodos erkennen. Nun aber fragt
es sich, wie der weitere Theil bis zur Entdeckung der Be-
stattung dramatisches Leben erhalten habe. Bei Sophokles
erfolgt eine überraschende Wendung damit, dass Kreon
hinter der Bestattung der Leiche eine Haupt- und Staats-
action vermuthet und an seinen politischen Gegnern ein
Exempel zu statuieren gedenkt, nachher aber ein schwaches
Mädchen, ein Mitglied seiner eigenen Familie als Thäterin
entdeckt. Da bei Euripides Hämon an der Bestattung Theil
nimmt, so entsteht eine überraschende Wendung, wenn in
WecMein: Ueher drei verlorene Tragödien des Euripides. 193
diesem Bunde das Gegentheil von dem zu Tage tritt, was
vorher erwartet oder gefürchtet wurde. Und wirklich finden
wir ein deutliches Anzeichen dessen in fr. 160
vioi vioLöi övvvoöovöL xacpavrj.
Es sind geheime Zusammenkünfte der Antigone entdeckt
worden , wie eine solche in der vorhergehenden Scene
den Zuschauern vorgeführt worden ist. Was kann in den
Augen des Kreon anders der Grund sein als geheimer
Genuss der Liebe? Darauf und auf die Absicht, Hämon's
Umgang sorgfältig zu überwachen, weist fr. 162 hin:
dvdQog d' OQCovTog elg Kvtcqlv veavlov
dcpvXa%Tog r^ TtjQijoig, cog kccv (pavlog jj
Tall\ elg sQcova jtäg ccptIq Goq)CüTeQOg *
rjv J' ccTtOQog fj tco Kvjtqig^ tJöiotov Xaßelv^)
,, Schwer ist ein junger Mann zu bewachen, der Genuss
der Liebe im Auge hat ; denn mag sonst einer aach unbe-
deutenden Geistes sein, wenn es sich um Liebe handelt, ist
jedermann scharfsinniger. Und wenn dem Genuss Schwierig-
keiten sich in den Weg stellen, ist der Reiz am grössten."
So wird denn Kreon enttäuscht und muss aufs höchste ent-
rüstet werden , wenn er erfährt, dass die geheimen Unter-
redungen Hämons und Antigones einen ganz anderen, direkt
gegen ihn gerichteten Zweck gehabt haben. Wir müssen
uns begnügen , dieses Motiv erkannt zu haben ; über die
weitere Gestaltung lassen die spärlichen Bruchstücke nicht
viel mehr mit Bestimmtheit angeben. Wenn fr. 215, wovon
oben S. 185 die Rede gewesen ist, in die Antigone gesetzt
werden muss, so scheint ein alter Diener den von Kreon gege-
benen Auftrag, den Hämon genau zu bewachen, mit fr. 162
abzulehnen und die Schwierigkeit einen Jüngling in solchen
Dingen zu hüten darzulegen , Kreon aber mit fr. 215 ihn
zurechtzuweisen. Die Liebe bringt den Hämon dazu sich
1) iiv 6' änoQog fi reo habe ich im N. Rh. Mus. 1878 S. 121 für
das sinnlose ^V <5' cip nQoa^rai geschrieben.
194 Sitzung der phüos.-phüol. Classe vorn 2. November 1878.
gegen das Staatsgebot zu vergehen; die Leidenschaft der
Liebe wächst an Widerstand. Auf diesen Widerstand weist
fr. 166 To (J.OJQOV avzy xov TtazQog voorj^i^ evi xt£ . hin:
Kreon*) kann eine Ehe mit der leidenschaftlichen Antigone,
welche das unbesonnene Wesen ihres Vaters geerbt und
überhaupt aus einer gräulichen Ehe hervorgegangen, nicht
dulden (vgl. Soph. Ant. 571 xaKccg eyco yvvamag vUaiv
öTvyco). So gewinnen wir das Motiv der folgenden Scene
zwischen Kreon und Hämon. Kreon beginnt die Scene
ähnlich wie bei Sophokles mit einer eindringlichen Er-
mahnung fr. 219*) (s. oben S. 184)
xqeig eloLv agerai, zag yqecov a' doxeiv, reKvov,
deovg ze zi^äv zovg ze d^Qeipavzag yovrjg %ze.
Kreon wird seinem Sohne eine seiner besseren Abstam-
mung und seinem guten Sinne entsprechende Ehe (KrjSog
%ax^' avzov fr. 213) anrathen. Darauf weist fr. 164
aqiozov dvÖQL Kzrj/^a ov/LiTiad^rjg yw-q
hin, wenn anders Nauck richtig, wie es scheint, in Stob,
flor. 67, 13 f. die Lemmata EvqltilSov ^vziyovrj und '^Itttio-
x^owvzog vertauscht hat. Hieher gehören dann die oben S. 182
behandelten Fragmente 211. 212. 213. 214. Mit 212 gibt
Kreon seinem Sohn die Lehre, bei der Wahl einer Gattin
nicht auf Schönheit zu sehen: ,,Der Reiz der Schönheit
vergeht; alles wird man überdrüssig; denn manchen Mann
habe ich im Besitze von noch schöneren Gattinnen von der
Liebe zu hässlichen Frauen hingerissen gesehen; und an
üppiger Tafel übersättigt hat mancher gern wieder mit
gemeiner Kost vorlieb genommen." Demselben Gedanken-
1) Dass die Worte dem Kreon, nicht wie Soph. Ant. 471 dem
Chore gehören, geht aus dem Ausdruck ex xaxMv eii/ai xajcovg hervor.
2) Wie hei diesem Fragment, so haben auch bei fr. 848 Hand-
schriften de? Stobaeus das Lemma Evq. 'Hqccxleiöojv. Der Inhalt von
fr. 848, den Gehorsam gegen die Eltern auf das ernstlichste zu Gemüthe
führend, passt sehr gut für unsere Stelle,
Wecldein: Ueber drei verlorene Tragödien des Euripides. 195
gang gehört 211 an. Mau begreift kaum, wie der Ge-
danke von fr. 163
dvÖQog cpllov de XQvaog djiia^lag ^ixa
axQrjOTog^ el jurj xdQeTrjv e^tov TvyOL .
in der Antigene eine Stelle finden soll, wenn mau nicht
fr. 211 damit verbindet. So aber stehen, wie es Soph. Ant.
650 heisst iIwxqov TtaQayKctXto^a tovto yiyveTai yvvri Kay,ri
^vvEvvog SV SofÄOig' tl yccQ yivoix^ av ekxog i,ieiC,ov ij cpiXog
xaKog ; beide Fragmente im besten Gedankenzusammenhang :
„ein schönes Weib ist recht, wenn sie Verstand hat;
Schönheit aber ohne tugendhaften Sinn ist unbrauchbar,
wie der Reichthum eines Freundes ohne Verstand unnütz
ist." Kreon ermahnt also seinen Sohn bei der Wahl einer
Lebensgefährtin wie bei der Wahl eines Freundes sich nicht
von äusseren, sondern von inneren Vorzügen bestimmen
zu lassen. Die Rede konnte zusammenfassend schliesseu
mit 214
TVCcGL J' dyysXXco ßgoTolg
iod^lcov djt^ akoyoiv svyevrj otceiqsiv xiyiva^
worin sowohl sod^Xcov cctv^ dXoycov als auch evyevfj tey.va
ein Punkt ist, welchem Hämon Widerspruch entgegensetzt.
Auf das erste weist fr. 167
el ydq c^oxeT gol jiaTqdoi nalöag ely,evaL,
xd TtokXd Tavxri ' yiyveTai de y,a/X7taXLV ^)
mit Beziehung auf fr. 166 hin; auf das andere fr. 168
ovo^axL (xei^iTtTov to vod-ov, rj cpioig S^ Xöyj'
Hämon und Antigone werden bei der Bestattung be-
troffen und vor den König geführt. Hämon bezeichnet die
kritische Lage mit fr. 169
£7r' dyiQav rjzofxev yQafXf.i7]v xaMov .
1) Der Text ist sehr unsicher: el yccQ Soxsi aou hahe ich nach
Nauck (^ yuQ 6ox€i aoi) für ij yccQ Sozrjatg und yCyyeTccc di xccf4,nakiy
mit Weil für yiyi^ercct xEKva niqi geschrieben.
196 Sitzung der phüos.-phüol. Classe vom 2. November 1878.
Man könnte glauben, dass auch fr. 170
ovii SOTL Tleid-ovg \eqdv aXXo ttIi^v Xoyog
y,al ßiüfxog avTrjg £(Tt' sv dvdqcojxov cpvoei.
von Hämon oder Antigone in dieser Situation gesprochen
werde; allein die Worte scheinen vielmehr dem Koryphaios
anzugehören, der nach einer überzeugenden Rede des Hämon
oder der Antigone seinem Staunen über die Kraft der
Rede Ausdruck gibt. Während Kreon wie bei Sophokles
die Nothwendigkeit des unbedingten Gehorsams gegen das
Staatsgebot und die Vorzüge der Alleinherrschaft der in
Parteien gespaltenen Volksherrschaft gegenüber darlegt
(fr. 173)
ohslog dv&QCüftOLOc yiyveodai cpdel
TtoXsfAog ev doxölg, rjv SixooraT^ TioXig,
vertritt Hämon die Herrschaft des Gesetzes und verwirft
die absolute Gewalt des Alleinherrschers, fr. 171, 172
Sei röioL noXkölg xov Tvqavvov avddveiv.
ov%' UY.og aqx^^^ ovTe xQrjv avev vofxov
Tvqavvov eivat ' jucoglav d' ocpXioxdvei.,
og TCüv 6(A.0LWv ßovXexai Kgavelv (xovog^).
Dieses Thema gehört ja auch sonst zu den beliebten Stoffen
des Euripideischen dy(jjv öocpiag . Antigone wird von Kreon
mit fr. 165
axovoov ov yaQ oi xay,wg TtSTCQayoxeg
avv xaig TvyaiGi %ovg Xoyovg aTtcüXeoav
angeredet. Während es sich bei Hämon um den politischen
Standpunkt handelt, muss Antigone die Vertheidigung der
religiösen Pflicht übernommen haben.
Noch bleiben, abgesehen von dem ganz allgemeinen
1) fxcüQLccv (f' ocpXiaxavei habe ich für /uioqicc Se xcci d-slSLp ge-
schrieben. So gewaltsam die Aenderung scheint, bedarf sie doch für den
Sachverständigen keiner Bechtfertigung.
Wecklein: Ueher drei verlorene Tragödien des Euripides. 197
Gedanken von fr. 175 zwei Bruchstücke übrig, die schwer
zu bestimmen sind. Das eine ist fr. 161
riqojv' TO naiveodai ö' aq' rjv SQOjg ßqoxdlg ,
Die AVorte scheinen dem Hämon anzugehören und aus
einer Stichomythie zu stammen , die sich in der eben be-
handelten Scene an die längere Rede desselben anschloss.
Hämon brauchte ja nicht zu läugnen, dass er aus Liebe zu
Antigone an der Bestattung Theil genommen. Das andere
Fragment (174)
^11] ovv d^ele XvTieiv oavrov eldwg oti
TtoXla-üLg xo XvTvovv vozegov yaqav ayei
Kai TO ytaxov dyad^ov ylyverat TvaQaiTiov .
hat schon einen bedenklichen Text und anch seine Zuge-
hörigkeit zur Antigone wird bezweifelt. Jedenfalls erfordert
der Sinn, beziehungsweise das Metrum die Verbesserung
f£?y fiiXle IvTceiv öavxov s^eiöwg ort
TtoXkolg %6 IvTCovv vGTEQOv xaQotv ayei xrl^).
Haben die Worte ihre Stelle in der Antigone gehabt , so
können sie einer Ermahnung angehören , die etwa von
Tiresias an den König gerichtet war, seinem Sinne Gewalt
anzuthun und wenn auch widerwillig von seinem starren
Entschluss abzulassen.
Endlich ist, wie schon oben erwähnt, fr. 154
KPE. TO Krjv acpsvTsg ro xazd yijg tl(ä(Joo' Yoo)g'^).
XO. yievov y' • orav yccQ ^^ Tig, emvxel^ Kqiov .
aus der Andromeda in die Antigone zu setzen, was zuerst
Fritzsche bemerkt hat (zu Aristoph. Thesm. p. 516). Die
höhnische Erwiderung des Kreon: „Das Leben scheint für
1) s'^€i&(og und noXkolg hat Hermann vorgeschlagen. Für nollaKis
will Heimsoeth ead' oze setzen, 0. Hense (pilsl.. ayetv . Das letztere
kann kaum richtig sein, da auch die Behauptung ro xaxop,. yiyvtxat
nagatriov nicht allgemein ist, also ylyvead^ai stehen müsste.
2) Ich habe ro xatd yrig für ro xatd yrjy geschrieben; tcfnaa^
%aujg für rcfxcüol aov hat Herwerden hergestellt.
198 Sitzung der philos.-phitol. Classe vom 2. November 1878.
sie keinen Werth, Werth nur was im Hades ist zu haben"
erinnert an Soph. Ant. 524 narco vvv eX&ovG\ el (pilrjTsov,
g)tX€L ey-elvovg. Die betreffende Unterredung zwischen Kreon
und dem Koryphaios findet nach der Entdeckung des Be-
gräbnisses statt.
Hiernach lässt sich über den Gang der Handlung im
Allgemeinen ungefähr Folgendes festsetzen : Antigone gibt
nach Darlegung der vorausliegenden Begeben'heiten ihren
Entschlnss zu erkennen, den Polyneikes zu bestatten. Hämon,
von Antigone zu einer Unterredung bestellt, erscheint und
wird von der Geliebten gewonnen, bei der Bestattung be-
hülfiich zu sein. Kreon, der von der Zuneigung des Hämon
zu Antigone und den geheimen Zusammenkünften der Lie-
benden vernommen hat, sucht seinen Sohn von Antigone
abzuziehen und will ihm eine standesgemässe Heirat em-
pfehlen. Hämon schlägt die Heirat aus und bleibt der
Antigone treu. Er hilft ihr den Polyneikes bestatten auf
die Gefahr hin mit ihr zu sterben. Sie werden auch wirk-
lich ergriffen und vor den König geführt. Sie sollen die
festgesetzte Strafe erleiden und alle Einreden vermögen den
starreu Willen des Königs nicht zu beugen. Da sie zum
Tode abgeführt werden sollen , erscheint Dionysos in der
Höhe. Ihm muss Kreon sich fügen. Nach dem Willen des
Gottes erhält Hämon zur Belohnung seiner treuen Liebe
Antigone zur Gemahlin. Der Sprössling der Ehe soll zur
Erinnerung an jene Liebe Mäon genannt werden.
3. Telephus.
Für das Argument des Telephus kommen ausser den
Bruchstücken (nr. 697 — 727b bei Nauck) vornehmlich
Hygin fab. 101 und die Parodien des Aristophanes in den
Acharnern und Thesmophoriazusen in Betracht,
Wecklein: lieber drei verlorene Tragödien des Euripides. 199
Um die Reconstruction der Handluug hat sich nach
Geel de Telepho Annal. Inst. Belg. 1830, Welcker die
griech. Trag. S. 477 — 492, A. Schoell Beitr. z. Gesch. der
griech. P. 1839 S. 134—137, Härtung Eur. rest. I p.
196—216 besonders 0. Jahn „Telephos und Troilos." Kiel
1841 ein Verdienst erworben. In dem Relief einer etrus-
kischen Aschennrne {R. Rochette Mon. ined. pl. LXVII 2
Taf. 1), wo ein Mann mit einem kurzen üntergewand, das
Arme und Beine grösstentheils bloss lässt, und einem kleinen
Mantel bekleidet, den linken Schenkel verbunden, auf einem
Altare sitzt und mit der Linken einen Knaben festhält,
mit der Rechten das Schwert drohend über ihm gezückt
hat, während eine Frau einen Fürsten, der, ebenso wie
zwei Krieger hinter ihm , wüthend auf jenen Mann vor-
stürzen will, ängstlich zurückhält — in dieser Darstellung
hat Jahn vortrefflich die Scene erkannt, wo Telephus sich
in der Noth des Augenblicks des kleinen Orestes bemäch-
tigt und ihn sofort zu tödten droht, wenn man ihm etwas
zu Leid thun wolle. Jahn führt diese bildliche Darstellung
auf das Drama des Euripides zurück und sucht darnach
den Gang der Handlung genauer zu bestimmen. Er weicht
besonders darin von (Geel u.) Welcker ab, dass er die
Scene des Bildes als theatralische Hauptscene mehr in den
Mittelpunkt der Handlung rückt und der Klytämnestra eine
bedeutendere Rolle gibt. Die Handlung wird in folgender
Weise entwickelt : Telephus eröffnet als Bettler verkleidet
das Drama. Er setzt seine Schicksale, die Veranlassung
seines Thuns weitläufig auseinander, auch dass er sich der
Klytämnestra entdeckt und welchen Plan er mit ihr ver-
abredet habe. Dann folgt eine Unterredung mit Klytämnestra,
deren Groll gegen Agamemnon die Theilnahme für den
Fremdling rechtfertigt. Sie wird von Telephus mit den
Worten empfangen (fr. 704):
200 Sitzung der iMlos-philol. Classe vom 2. November 1878.
avaoöa TtQccyovg rovöe Kai ßovlevfAarogy
TL (.lOL Gxvd^Qcoitog B^elrilvd-aQ S6f,uov .
Welche Umstände sie für das Misslingen des Planes be-
sorgt machten, lässt sich nicht angeben. Endlich erklärt
sie sich bereit, im Falle dass Telephus erkannt würde, das
Leben ihres Sohnes anfs Spiel zu setzen, um ihn zu retten,
wohin vielleicht fr. 727a:
a/reTcrvö' sx^qov g)Cür6g eyß^iorov tskoq
zu setzen ist, wenn es wirklich in den Telephus gehört.
Nachdem der Chor aus griechischen Kriegern aufgetreten
ist, entwickelt sich der Zwiespalt der griechischen Fürsten,
namentlich des Agamemnon und Menelaos, wegen der Fort-
setzung des Krieges*). Agamemnon weigert sich Theil zu
nehmen, weil das Gelingen des Planes in dem Orakel, das
nachher auf die Führung des Telephus gedeutet wird, an
eine Bedingung geknüpft ist, welche unerfüllbar scheint.
Odysseus steht auf Seite des Agamemnon, Achilles tritt
Agamemnon entgegen. Telephus redet die griechischen Heer-
führer an ; er erzählt das Märchen, dass er, ein Kaufmann,
nach Phrygien gekommen und dort von Telephus verwundet
worden sei, dem er alles Böse wünsche. Hierauf wird nach
Telephus gefragt, dieser verräth sich und wird erkannt.
Nun stürmt die Wuth der Griechen auf ihn ein. Da er-
greift Telephus den Orestes. Dadurch wird ein neuer Zwie-
spalt hervorgerufen ; die zornerfüllten Argiver , an ihrer
Spitze Achilles,- verlangen den Tod des Fremdlings. Hierauf
1) Jahn folgt hierin der Vermuthung von Geel, welcher nach der
Erkennung des Telephus den Streit zwischen Menelaos und Achilles
wegen der durch die Heilung des Telephus bedingten Fortsetzung des
Kampfes ausbrechen und soweit kommen lässt, dass der Plan der Er-
neuerung des Krieges aufgegeben und Telephus gestraft werden soll,
worauf Herakles, der Vater des Telephus, als deus ex machina die Lös-
ung bringt. Welcker bezieht den Streit nur auf die Heilung des Te-
lephus.
Wecklein: lieber drei verlorene Tragödien des Euripides. 201
tritt ^Klytämnestra auf, erklärt sich als die Urheberin der
List und verlangt, dass man den Telephus frei gebe. Dem
Telepbus wird zunächst freie Rede zugesagt und er ver-
theidigt sich. Odysseus sucht ihn durch Schlauheit zu wi-
derlegen. Die Vertheidigung hat den Zwiespalt nicht ge-
hoben, Agamemnon will den Sohn gerettet, den Telephus
geheilt wissen ; andere, vor allen Achilles, bestehen auf der
Rache, bis die endliche Lösung durch Deutung der Orakel-
sprüche erfolgt. Dem Telephus wird Leben und Heilung
zugesagt gegen das V^ersprechen die Griechen zu führen
und der letzte Einwand des Achilles wird besiegt durch
die Aufklärung, dass nicht er, sondern die Lanze die Heil-
ung bewirken solle. Da nach Hygin Odysseus es ist, der
diese Aufklärung gibt, so lässt Jahn mit Welcker den von
Geel angenommenen deus ex raachina fallen: „dem Cha-
rakter des Odysseus, welcher weniger der Leidenschaft fol-
gend , mit Klugheit und Gewandtheit die Verhältnisse in
ihren verschiedenen Bezügen scharf aufzufassen weiss, scheint
es angemessen durch die Deutung des Orakels auch hier
die Vermittlung herbeizuführen.'^
Bernhardy Gr. Lit. H 2^ S. 447 gesteht dieser Resti-
stution einen hohen Grad von Evidenz zu. Wir wollen zu-
erst nachweisen , dass sie in einem wesentlichen Punkte
verfehlt erscheint, und dann, so weit es bei den wenigen
Bruchstücken und spärlichen Notizen möglich ist, den wirk-
lichen Gang der Handlung darzulegen suchen.
Eine wichtige Rolle spielt in der Herstellung von
Welcker, Scholl, Härtung und Jahn Klytämnestra mit dem
Rathe, den sie dem Telephus gibt, den kleinen Orestes zu
ergreifen und mit der Drohung ihn zu tödten sich Rettung
zu erzwingen. Für Scholl ist diese Rolle der Klytämnestra
der Anhaltspunkt, das gemeinsame Thema der Tetralogie:
Kreterinnen, Aikmäon in Psophis, Telephus, Alkestis nach-
zuweisen. Nach seiner Ansicht war im ersten Drama das
202 Sitzung der pMlos.-phüol. Classe vom 2. Novemher 1878.
buhlerische Weib dargestellt als Verderberin des Hauses,
im zweiten das edel, aber unglücklich vertrauende, im dritten
das männliche Weib gezeichnet und im letzten das rein
weibliche, liebevoll sich aufopfernde gefeiert (vgl. dazu auch
0. Jahn a. 0. S. 34). Die Rolle hat man zunächst aus
Hygin fab. 101 entnommen. Dafür dass die Fabel des Hygin
auf Euripides zurückgeht, kann besonders, wie neuerdings
von Bakhuyzen de parodia in com. Arist. p. 9 hervorge-
hoben worden ist, die üebereinstimmung der Worte quam
(hastam) cum rasissent remediatus est mit fr. 72 "3 JiqiOToloi
^oyxTjg d^iXyETat QLvrjf.maiv angeführt werden. Einen zweiten
Beweis für die Rolle der Klytämnestra findet man ^) in
fr. 704 avaooa jrqayovg touÖs xat ßovXevj^iaTog, einen dritten
in der Parodie des Aristophanes, der sowohl in den Achar-
nern wie in den Thesmophoriazusen , in welchen beiden
Stücken vorzugsweise der Telephus des Euripides herhalten
muss, die Scene wo Telephus den Orestes ergreift lächerlich
macht, indem Ach. 325 Dikäopolis , der sich nachher als
Bettler Telephus kostümiert, von Acharnern bedrängt und
in Lebensgefahr gerathen den Kohlenkorb nimmt und ihn
zu vernichten droht, Thesm. 689 aber der verkleidete Mne-
silochos, nachdem er erkannt ist, einer Frau ihr „Kindlein"
(einen Weinschlauch) entreisst um sich zu retten. Einen
weiteren Beweis mag noch das von 0. Jahn erläuterte Bild
abgeben, da vorzugsweise Euripides der bildenden Kunst Stoffe
geboten hat (vgl. 0. Jahn a. 0. S. 13). Doch da auch bild-
liche Darstellungen, welche auf Aeschylus und Sophokles
und spätere Dichter zurückgehen, bekannt sind und die
Sage von Telephus von mehreren Dichtern behandelt wor-
den ist, kann diesem Beweise nur schwache Kraft beige-
messen werden. Trotz aller dieser Beweise lässt sich dar-
thun , dass die Ergreifung des Orestes und folglich auch
1) Vgl. Vater „die Aleaden des Sophokles" S. 18.
Wecklein: lieber drei verlorene Tragödien des Euripides. 203
die Rolle der Klytämnestra , die ohne jene zwecklos wäre,
im Drama des Euripides nicht vorgekommen ist. Einmal
haben wir dafür die ausdrückliche Angabe des Schob zu
Ach. 332: tcc de j^ieyaXa jiaS^rj mcoTvaiC^ei Trjg iQaycoSiag^
Sftel iiial 6 TriXecpog Kava tov ZQaycoöoTtoidv ^loxvlov , %va
Tvy^'U 7taQd Tolg '^'EllrjOL GcoTTjQtag^ tov ^OQeOTrjV elye ovXXa-
ßwv . TtaQaTvlrjOLOv de xl ymI Iv Talg OeGf.iO(poQLaKovGaLg
ETtolrjOsv. Der Scholiast führt die Parodie des Aristophane^,
obwohl vorher und nachher immer von Euripides die Rede,
auf Aeschylus zurück: wir müssen daraus schliessen , dass
man im Telephus des Euripides nichts entsprechendes vor-
fand. Auch Geel schloss so , hielt aber an der Rolle der
Klytämnestra fest und glaubte, dass bei Euripides Telephus
eine andere List mit Klytämnestra verabredet habe. Bei
der Unsicherheit der Angaben des Hygin muss eine solche
an und für sich unwahrscheinliche Vermittlung als unstatt-
haft erscheinen. Vater ,,die Aleaden des Sophokles'' S. 19
hält es für sicher, dass in dem Scholion der Name des
Aeschylus und Euripides verwechselt sei, und Härtung,
Dindorf und wie es scheint auch Nauck stimmen ihm bei.
Dies kann schon desshalb nicht zugegeben werden, weil von
den drei Fragmenten, die von dem Telephus des Aeschylus
noch übrig sind, sich zufällig eines (nr. 235) :
^ — aTtlrj yccQ oii^og elg '^.töov (peqei
auf die Drohung des Telephus augenblicklich den Orestes
in den Hades zu liefern zu beziehen scheint . Vater bemerkt
noch: ,,und selbst wenn Aeschylus' Name feststeht, müssten
wir nicht doch glauben, dass die Anlage des Euripidei-
schen Stücks dieselbe gewesen sei?" So lassen auch O.Jahn
a. 0. S. 36 und 0. Ribbeck a. 0. S. 105, 107 den Vor-
gang beiden Dichtern gemeinsam sein und meint Wold.
Ribbeck in der Ausgabe der Aeharner S. 213: ,,die Ver-
muthung von Vater, der Scholiast habe eigentlich EvQL7CLÖrjv
siM^4ioyvlop schreiben wollen, hat wenig wahrscheinliches,
204 Sitzung der philos.-philöl. Classe vom 2. Novemher 1878.
da nachher so vieles als aus dem Telephus des Euripides
parodirt angegeben wird. Die Verwechslung in diesem einen
Fall wäre nicht recht erklärlich. Ich sehe an der Sache
nichts, was des Aeschylus unwürdig wäre. Euripides konnte
recht gut den Zug von ihm entlehnt haben.'* Dagegen
wendet Bakhuyzen a. 0. S. 9 mit Recht ein : nonne per-
mirum est, scholiastam quem hoc non lateret, Aeschylum
nominasse, Euripidem silentio praeteriisse ? Es hätte ja
auch in diesem Falle der Komiker den Euripides, nicht
den Aeschylus im Auge gehabt und daran hätte der alte
Commentator gewiss ebenso gut zunächst gedacht wie wir.
Dem Aeschylus lag auch die Erfindung bei der frischen
Erinnerung an die Aufnahme des Themistokles bei dem
Molosserkönig (Plut. Them. 24, Corn. Nep. Them. 8) näher
als dem Euripides (vgl. 0. Jahn a. 0. S. 37). Wer sieht
nicht, dass eben an die Stelle der Wegnahme des Orestes
bei Euripides die Bettlerkleidung getreten ist? Wenn
die Sage, wie Telephus sich in die Mitte seiner bittersten
Feinde wagt, dramatisch behandelt werden sollte, musste
für ihn irgend eine Sicherheit geschaffen werden. Diese
Sicherheit erhielt er bei Aeschylus durch den Besitz des
Orestes, bei Euripides durch die Verkleidung. Der unbe-
kannte Bettler bedarf des Orestes nicht; Telephus kann
auch nicht vorhaben sein Incognito aufzugeben ohne seiner
Sache gewiss zu sein; die ganze Verabredung mit Klytäm-
nestra passt also von vornherein nicht zu der Verkleidung.
Und ein zweites äusseres Mittel müsste die künstlerische
Wirkung der Handlung sehr beeinträchtigen; was bei Eu-
ripides Sache des aywv Gocplag ist, würde in etwas Mecha-
nisches verwandelt. Doch ist es Zeit zu den sichersten In-
dicien überzugehen. Diese sind in zwei Bruchstücken des
Dramas selbst enthalten. Fr. 727 a
ctTtsTCTVo^ 8%d^Q0v cpcoTOQ e%^^iOTOv tixog
wollte Welcker in den Likymnios setzen, offenbar weil er
WecMein: lieber drei verlorene Tragödien des Euripides. 205
es im Telephus nicht unterzubringen wusste. Auf das uns
ganz unbekannte Stück weist nur etwa der Name Tlepo-
lemos bin in der Angabe des Scbol. zu Aristoph. Frie. 528,
der uns das Fragment erbalten bat : £Gti ös Ev^ltvISov e%
T7jXeg)0v rj TlrjTTokefiov to ,d7t . . . Tfxog/ Meineke bat
rj TXrjTtoleiLiov mit Recbt getilgt. Wenigstens baben wir
keinen Grund zu zweifeln, dass das Bruchstück dem Tele-
pbus angehöre, und erbalten eine Bestätigung dafür in
einem erst neuerdings entdeckten, Welcker und Jahn noch
unbekannten Fragment (727 b)
loxccliov oItov {olxov loxalov).
Jahn hat, wie wir gesehen baben, jene Worte aneitTvö^
ytTE. der Klytäranestra selbst in den Mund gelegt^): die
Gattin könnte von einem verhassten Manne, nicht aber die
Mutter in dieser Zeit und Situation von einem ganz ver-
hassten, auch nicht von einem um des Mannes willen ver-
hassten Kinde reden. Die Worte kann kein anderer als
Telephus sprechen ; dann aber gehören sie in den Prolog ;
dann aber enthalten sie die Abweisung des von Aescbylus
gebrauchten Mittels. Wir kennen die Weise des Euripides
einen Seitenblick auf seine Vorgänger zu werfen und eine
Sentenz zu kritisieren oder die schwache und gewöhnliche
Motivierung zu rügen; so kritisiert er Phoen. 751 f., El.
527 ff. die entsprechenden Stücke des Aescbylus (Sieben
g. Tb., Choephoren), in der Antigene fr. 165 die Antigone,
Hei. 1056 wie es scheint die Elektra des Sophokles. Der
Dichter lässt offenbar den Telephus Mittel zu seiner Rettung
aussinnen und überlegen , ob und wie er sich des Sohnes
des Agamemnon bemächtigen solle. Dadurch fällt auf ein-
mal ein Liebt auf das räthselhafte Fragment oTtov Xoxcäov;
denn wenn das Getraide das Epitheton Xoyaiov d. i. xe/Xi-
likvov h iß eoTi Xoxrjoat nach der Erklärung des Etym. M.,
1) Ebenso Ribbeck S. 110.
[1878. I. Philos.-philol.-hist. Cl. Bd. II, 2,] 15
206 Sitzung der phüos.-phüol. Classe vom 2. November 1878.
wo das Citat gegeben ist, erhält, so muss von einem loyßv
die Rede sein. Telephus besinnt sich also, ob er sich etwa
im Getraide versteckt halten und dem Knaben wenn er
von dem Pädagogen spazieren geführt werde oder viel-
mehr auf dem Spielplatze körperliche üebungen mache,
woher in der Medea die Kinder des Jason kommen, auf-
lauern solle. Da dergleichen Mittel als wenig geeignet er-
scheinen, wird mit drcsTtTvo' 8%^qov g)WTdg sx^lotov TSKog
der ganze Plan verworfen. Den weiteren Zusammenhang
wollen wir später zu bestimmen suchen. Wenn mit dem
Wegfall des Planes , den Orestes zu ergreifen, auch die
Rolle der Klytämnestra wegfallen muss, so fragt es sich
zunächst, was wir von dem Fragment 704
avaOGa Ttqayovg TovSe xal ßovXevjLiaTog
zu halten haben. Dasselbe stammt aus Arist. Lys. 706, wo
darauf folgt t/ f^oi Gxv&QWTtog e^eXrjXv&ag d6fj,cov; die
Führerin des Frauenchors redet damit die auftretende Lysi-
strate an. Das Scholion dazu heisst: ccvaooa Ttqayovg' ix
TTTjUcpov EvQLTtlöov . Wir dürfen demnach nur den Vers
avaooa . . ßovlevf^aTog^ nicht mit Valckenaer Diatr. p. 210
auch den zweiten in den Telephus setzen. Nauck setzt nach
avaooa ein Komma, betrachtet also avaooa als Anrede wie
z. B. Soph. Trach. 291. Dagegen spricht die Parodie des
Aristophanes , nach der wir TtQccyovg . . ßovXevfxaTog von
avaooa abhängig machen müssen. Thun wir aber das, so
müssen wir avaooa ebenso auffassen wie ava'^ in ipevSwv
avaKzeg Androm. 447. Damit fällt die Nothwendigkeit, den
Vers als Anrede an Klytämnestra zu betrachten, weg. Wir
haben vielmehr avaooa Ttqayovg xovöe Kai ßovXeviLiaTog als
Apposition zu ipvxtj oder Kaqdia zu betrachten. Telephus
redet seinen Geist an etwa mit w xaXaiva /.aqSia^ avaooa
Ttqayovg Tovde y,al ßovXevfj-aTog . Solche Anreden liebt Eu-
ripides und parodiert Aristophanes. Wenn wir darum in den
Worten Ach. 483 ff. Ttqoßaive vvv w &vfxi.. aye vvv, w
Wecklein: Ueher drei verlorene Tragödien des Euripides. 207
raXatva yiaqdia , afreXS-^ Ixeioe . . roXiLirjOov , I'^l . . aya^ai
naQÖlag eine Beziehung nicht blos auf Euripides überhaupt,
sondern den Telephus insbesondere finden, so wird diese
Ansicht nicht nur durch die Umgebung der Stelle unter-
stützt, sondern auch durch das Verhältniss der Stelle zu
dem Gang der Handlung, worauf wir nachher zu sprechen
kommen werden, bestätigt. Es scheint sogar, dass wir in
fr. 720
ToXjna av yCdv tl rqaxv veli^icoGcv d^eol
die Fortsetzung von w raXaiva Kaqdia , avaooa . . ßovXev-
liaxog haben. Denn seitdem Nauck die angegebene Form
hergestellt hat, brauchen wir das Citat bei Stob. flor. 51,8
nicht mehr anzuzweifeln. Mit dem Nachweise, den wir ge-
liefert haben, entfällt uns ein Hülfsmittel der Restitution:
wir können die Fabel des Hygin nicht mehr als Grundlage
benützen. Allerdings weist die oben angeführte Uebereiu-
stimmung darauf hin , dass sich dieselbe eng an Euripides
anschliesst und wird werden vielleicht nicht fehl gehen,
wenn wir das gleiche Verhältniss wie bei fab. 8 annehmen,
wo wir auch den Schluss des Euripideischen Stücks geän-
dert finden , und die Fabel als argumentum des Telephus
Euripidis quam scribit Ennius betrachten. Wenigstens ist
im Stück des Ennius die Rolle der Klytämnestra vorge-
kommen, wenn in fr. VIII Te ipsum hoc oportet profiteri
et proloqui Advorsum illam mihi Welcker illam richtig auf
Klytämnestra bezogen hat.
Wir wollen nun die einzelnen Bruchstücke ins Auge
fassen, um zu sehen wieviel sich für den Gang der Hand-
lung daraus entnehmen lässt. Der als Bettler kostümirfce
Telephus, der eine zerrissene Kleidung, einen mysischenHut,
einen Stock, einen Brodsack mit einem Becher und einem
Topf trägt (vgl. die Angaben bei Nauck mit fr. 726 ^wy,-
TYjQ... TtorrjQLOv elSog^ C(5g Evq. T.) , tritt auf und beginnt
die Erzählung seiner Schicksale mit fr. 697:
15*
208 Sitzung der philos.-phüot. Classe vom 2. November 1878.
CO yaia TtaTqlg^ rjv Ililoip ÖQi^eTai^
%aLQ\ og re Tterqov ^Aqxadoyv dvoxeiy.eqov
ndv ifißaTeveig, evdev svxojLiaL yivog.
u4.vyri yccQ ^^.liov Jtcug (xe, to) TiqvvS-Iw
TmTBL Xad^Qalcog ^H^ayilsl' ^vvotö^ OQog
HaQd^ivLOVy tvd^a j.irjTeq' ioSivcov sfÄTJv
e'lvGEv EiXel^via. ^)
Daran scWiesst sich, wie nach Geel und Welcker 0.
Jahn p. 20 Anm. 21 des weiteren dargethan hat, die An-
gabe bei Strabo XIII p. 615 unmittelbar an: EvQiTTidrjg
ö^ V7tö IäKeov (pr^ol Tov TTJg Avyi^g naxqog elg laQvaKa zijv
uävyrjv xaraTsdeloav a^xa r^j Ttaidl ^^r^Mcpc^ KaTajcovrco&rjvai^
^d^rjvag öe TZQOvola yreqaico&eloav exireoelv elg ro oto/xa
rov Katyiov , tov de Tevdoavva dvaXaßovra rd aoj}j.ara rfj
{.lev cog ya^erfj xQrioaod^ai, tot 6' cog eavvov Jtaidi. Weiter
musste er seine Verwundung, seine Reise nach Delphi, das
Orakel, das er erhalten, den Zweck seiner Hieherkunft, die
Gründe seiner Verkleidung angeben. Da setzt fr, 698 ein:
TiTcoyJ djLKpißXrjOTQa ao)fiaTog Xaßtov qdxij
dq^xrjQLa Tvyjjg.
Für dqxTriQLa, welches kein Wort ist, hat Bernhardy dl-
KTT^Qia vermuthet. Auch Tvyrjg ist unbrauchbar : Dindorf
1) Die Worte, mit denen Dionys. von Halik. de comp. verb. 26
vol. V p. 219 sq. das Citat anführt, geben zu einem Bedenken Arilass
Es heisst da: ix de rrjg nonjcF^cog trjg lafxßiK^g r« EvQinCSov ravri
,(o yuia . . X^^Q' ' ^^ nQUiiov u^Qi^ rovrov y.ooXop . ,0Gze . . i{xßccrtv8Lg\
xö 6(:VTeQ0P f^s/Qt TQvde . ,ev9f:V . . yspog\ rovto rö xqLxov . xtt
[/,cP TiQoxEQcc fxsi'^opcc GXixov , xovxo 6'' eXftxxov . , Avyri . . ^Hqk-
xlef, fZETcc xovxo ,^i:poi6' , . TlaQS-svtop'' ' ovSixfQop ccvxojy cxi/ut
GvfißiXQovfxivov . elx'' ccv^ig exsQOP axi/ov r' elaxxoy xai oxC-
X ov fxeii^oy ^tvd-a . . Eiltid-vici' xccl xd e'^rjg xovxoig 7iaQan2.rjcna. Man
könnte hiernach vor epS-a . . Etleidvia ein Kolon das nicht den Um-
fang eines Verses erreicht, erwarten. Da aber nichts ausgefallen sein
kann, so muss Dionysius so geschrieben haben: ovSexegop avxcop «rrt/w
(TvfXfj,€XQovf^ipop, «AX« xd fxhp €X€Q0P (Txi/ov fiet^op , xo Si eXaxxov
€?t' av^i-g exEQOP (rxi/ov fiic^op ,epda . . ElXeid-via^ xxe.
Weclclein: Ueher drei verlorene Tragödien des Euripides. 209
und Nauck führen die Conjektur von Dobree \pv%ovg an ;
aber um sich gegen Kälte zu schützen, zieht man nicht
zerrissene Kleider statt der guten an. Die Vermuthung
von Ribbeck dX/.TiqqL' aixfxrjg gibt nicht den passenden Aus-
druck, Wahrscheinlich ist tvxijq in z'evxrjS zu verwandeln.
Die schlechte Kleidung soll einmal die Bitte des Telephus um
Heilung unterstützen, dann aber besonders ihn gegen Miss-
handlung schützen, wie es Ennius fr. 111 heisst: caedem caveo
[hoc] cum vestitu , squalida saeptus stola. Darnach kann
man vermuthen, dass aQKTnjQia aus d^ijoyd) und {dX)xT7]QLa
zusammengewachsen ist, und dem Dichter etwa den Vers
geben :
doioyd t' Evyß](; v^ctl cpovcov dXxzrjQia,
Diesem Bruchstück setze ich Aristoph Ach. 384
evGKSvdoaadal f-i' Oiov dd^hwiaTOv
voraus. Denn dass dieser Vers aus der Tragödie kommt,
beweist die Wiederkehr 436 und aus welcher Tragödie soll
er anders stammen als aus derjenigen, aus welcher eben
dort die Verkleidung entnommen wird? Darauf folgt fr. 699
= Acharn. 440 sq.
Sei yaQ ine öo^ai /tTcoyov elvai rriJLieQOv^
eivai jLiev oottsq elf^ii, cpaiveöd^ai öe fArj.
Der Scholiast bemerkt: ol duo orr/ot ovzot 1% Trikkpov
EvQi7ildov. Der Ausgang des ersten Verses eivai Tr]{.ieQOv
kann nicht von Euripides herrühren. Meineke hat dafür
bIq to öJjfxeQOv schreiben wollen ; allein es fehlt auch der
nothwendige Zusammenhang der beiden Verse. Aristophanes
hat offenbar den Sinn komisch verdreht. Bei Euripides soll
Telephus sagen : »denn ich muss für einen Augenblick als
Bettler erscheinen und einen äusseren Schein annehmen,
der meinem inneren Wesen keinen Eintrag thun kann. Er-
scheine ich auch als Bettler, bleibe ich doch König«, vgl.
Accius Teleph. fr. VI nam si a me regnum Fortuna atque
210 Sitzung der phüos.-phüol. Classe vom 2. November 1878.
opes Eripere quivit, at virtutem nee quivit. Ursprünglich
muss also etwa gestanden haben:
öei yaq (xs öo^ai Tcxo^yov \l.v 7taQ0VTi~\ Kai
etvat juiv oojteq el/Ät, cpaiveod^ai de fj-rj.
D. i. Kai ovTa oaneq elfxl (ßaGiXea) iJ.rj cpaivsod^ai. Im
Munde des Dikäopolis lautet es: »denn ich muss heute
Bettler zu sein scheinen, zu sein der ich in Wirklichkeit
bin (ein Bettler), aber nicht zu erscheinen.« Der komischen
Verdrehung kommt es auf das minder passende cpaiveöd^aL
db ixrj nicht an.
Schloss sich nun an diese Erzählung gleich die Be-
rathschlagung der Mittel und Wege an, die wir oben
aus fr. 727 a und b entnommen haben? Es könnte scheinen,
wenn nicht eine zufällige Notiz etwas anderes andeutete.
Zu Acharn. 472 Kai yaQ sIiä' ayav oxXrjQog^ ov öokwv fxe
KOiQccvovg OTvyeiv haben wir das Scholion : ox^Qog, ov öokwv
fiev KOiqavovg: rovro 7tE7taQ(pör]Tai dorifiwg e^ Olviwg Evqi-
Tiidov 6 Se 2vjLijLiaxog Kai sk Tr^Xecpov g)r]Glv avxo. Es
kam also auch im Telephus etwas ähnliches vor. Und was
kann der Weise des Euripides entsprechender, man möchte
sagen hier nothwendiger sein als eine ähnliche Scene
wie Hei. 435 if., wo der mangelhaft bekleidete Menelaos
vor den Palast kommt und zuerst von der alten Dienerin
sehr unfreundlich behandelt wird, dann aber weitere Aus-
kunft erhält und bereits erfährt, dass seine Gemahlin Helena
im Hause ist. Die Wiederholungen Acharn. 456 XvTCTqQdg
Yod-^ cov Karto%(aQrjoov öo/j-cov, 460 ^ioS-' oxhjQog wv So/xotg^
472 Kai yccQ elfx' ayav ox^Qog (vgl. Eur. Hei. 452 ox^Qog
Xöd^ tov) lassen auf einen Vers des Telephus etwa wie
ox^riqdg wv aneX&s Xatvcov araS^fxwv.
schliessen. ^) Vor allem aber weist die letzte Bitte, welche
1) Nach Ach. 449 rovzl lußiav uuEk^e 1. at. Vgl. Nauck zu
Adesp. 27. In dem Text des Aristophanes mehr Parodien anzunehmen
WecMein: Ueber drei verlorene Tragödien des Euripides. 211
Dikaiopolis, nachdem er fast schon die ganze Tragödie Tele-
phus abgebettelt hat, an Euripides richtet Acharn. 474 S7te-
Xa&6f.iirjv 8v cüTTSQ eori ftavTa (äol xä TtQccyfxaTa . . /.ay.LOT''
cc7ioXoli,irjv, ii TL (j' ahrjoatf.i'' en tcXtjv cV }.i6vov, tovtI f.i6vov,
GycdvöiKa j.iol Sog ixrjTQO&ev öedeyiAevog, auf eine Parodie des
Telephus hin. Der Scholiast bemerkt: xal sv rolg "^IitTtevoc
öedrilcoraL otl tj jurjTrjQ EvqltvlÖov jtojXelv sleyero GKavdinag.
Allerdings bezieht sich der Scherz auf die XaxccvoTtwlTjTQia
(Thesm. 387) ; allein er wäre ganz unvermittelt und ohne
irgend welche Würze, wenn nicht (.irjxqod^ev Ö€Öey{.iivog eben
aus dem Telephus stammte und dort auch der wichtigsten
und letzten Bitte, die der Bettler Telephus an den Diener
oder die Dienerin des Agamemnon richtet, angehörte. Wir
schliessen daraus auf die Bitte des Telephus :
Tov Ttalöa fxoL Sog (.nqxqod^ev öedey^evog.
Darauf konnte folgen:
TL d\ (X) TaXag, oe tovö^ e%ei tskvov XQ^^Sy^)
Wie Euripides auf jene Bitte hin die Thüre zuschlägt, Di-
kaiopolis trostlos klagt : co dvfx' avsv onavdiyiog sjUTVOQevTea
und die Gefahr bedenkt, dann aber mit Ttqoßaive vvv o)
d-v^e . . Ol)-/, et Karaiticüv EvQiTtidrjv ; STtjjveo'' ' aye vvv o)
raXaiva Kagdla sich zu Muth und Selbstvertrauen aufrafft,
als die Schollen angeben, dürfen wir kein Bedenken tragen. Nur zu-
fällig erfahren wir z. B. anderswoher^ dass Acharn. 659 if. die Parodie
einer Euripideischen Stelle sind. Was kann klarer sein als dass in
Thesmoph. 735 w d^8(}fi6rarac ywalx^g, (o noxiGzatai, xdx navxog vfMelg
[A,rj)((xi^(jofA,£vai ntetp das Fragment einer Tragödie xcc^ navidg vfxelg
^rixccvoofxepai xctxov enthalten ist?
1) Nach Arist. Ach. 454 rl 6\ cS raXccg, ae tov&' %f« nXixovg
XQEog. Auch Frie, 528 hat der Komiker nUzog an die Stelle von rixog
gesetzt. Der Schol. bemerkt allerdings: xccl rovio nccQu r« sk TtjU-
cpov Ev()i7ii6ov, rC <5' w~ rccXag, av zmSs nsiS-EGd-cu ^iXXeig'' (fr. 714),
Allein die blossen Worte tt 6\ cJ xdlag können die Parodie nicht be-
gründen.
212 Sitzung der philos.-phüol. Classe vom 2. November 1878.
so wird auch Telephus, mit seiner Bitte abgewiesen, zuerst
sich der Grösse der Gefahr bewusst werden und nachsinnen,
ob er sich des Sohnes von Agamemnon auf andere Weise
bemächtigen soll, dann aber mit aTcs/tTvo' sx^Qov q)COTdg
e%Ü-iGtov T€Kog den ganzen Plan aufgeben. Es lässt sich
vermuthen, dass bei Aeschylus Telephus gleich im Besitze
des Knaben erschien,^) Absichtlich lässt dann Euripides
die Handlung so beginnen, dass die gleiche Anlage sich zu
ergeben scheint, dann aber den Gang plötzlich sich ändern.
Einen ähnlichen Fall haben wir in der Elektra des Sopho-
kles, wo V. 80 Orestes den Vorschlag macht zu warten und
die Klagen der Elektra anzuhören, woraus sich die gleiche
Anlage wie in den Choephoren entwickeln würde, die Auf-
forderung des Pädagogen aber der Handlung die neue Wen-
dung gibt. Den Thürhüter mochte Telephus zunächst bitten,
den Agamemnon herauszurufen, wie in den Thesm. 65 Eu-
ripides durch den Diener den Agathon will herausrufen
lassen. Er konnte dann auch die gleiche Antwort erhalten :
fxrjSev iKarev'' ' avrog yccQ s^eiGiv xayji.
So konnte Telephus weiter erfahren, dass Agamemnon be-
reits eine Versammlung beschieden hat, um zu berathen,
wie an Telephus wegen der erlittenen Unbilden Rache zu
nehmen sei. Dies konnte in ihm das Verlangen wecken,
den Sohn des Agamemnon zu erhalten, um mit demselben
sich am Altare als Schutzflehender niederzulassen. Da die
Bitte abgeschlagen war und ihm die Gefahr in ihrer ganzen
Grösse vorschwebte, konnte er wie Thesm. 76 Euripides in
1) Bei Accius wenigstens, der vorzugsweise Äescbylus zum Vor-
bild genommen zu haben scheint, wird Telephus zunächst nicht aufge-
führt , sondern über ihn berichtet : fr. III —V, X, wahrscheinlich auch
VII sind diesem Bericht entnommen. Er muss also an irgend einem
Altare des Hauses oder vielmehr eines nahen Tempels sitzen mit dem
Orestes im Arm.
WecMein: lieber drei verlorene Tragödien des Euripides. 213
seiner Noth ausruft: Z'^de d^iqf-dqa yiQid^rioexai elV' «W IVi
twg flV' aTToXcoV EvQi7ridrjg ^), aucli sagen :
SiT €GT £Ti Lcov ELT oAcüAs IrjAecpog.
Wir haben also in Thesm, 66 und 76 f. eine wahr-
scheinliclie Parodie des Telephus gefunden. Auch der da-
zwischen stehende Vers 71 co Zev r/ dqäöaL ötavoel fie xx]-
f.ieQOv erweckt abgesehen von der Form xjifxeQOv eine solche
Vermuthung. Die Vermuthung wird nicht der Form, wohl
aber der Sache nach bestätigt durch fr. 705
Doch wir wollen das Gebiet blosser Vermuthungen v/ieder
verlassen und zu einer neuen Scene übergehen. Nur die
eine Bemerkung haben wir noch nachzutragen, dass fr. 719
fxo%d^eiv avayxrj zovg d-elovTag evrvxsiv
sehr wahrscheinlich jener Ueberlegung des Telephus ange-
hört, wo er sieh mit co raXaiva -üagdlay avaooa nqayovg
TOVÖE nal ßovleviÄatog, r6lf.ia ou %av tl tqu^v veifxojOLV deoi
zu Muth und entschlossenem Handeln ermuntert.
üeber die Parodos und die Zusammensetzung des Chors
erfahren wir nichts. Zunächst erhalben wir Bruchstücke
aus zwei Reden des Telephus. Der vor dem Palaste des
Agamemnon sitzende Bettler tritt hervor mit den Worten
(fr. 701):
el nTOiyjog lov veTXrjyC ev eodloloiv XeyeLv.
Mit Unrecht will Bakhuyzen p. 121 diesem Bruchstück
fr. 706 vorausgehen lassen. Augenscheinlich führt sich
1) Die dictio tragica in diesen Worten bemerkt auch Bakhuyzen
p. 112.
214 Sitzung der philos.-philol. Classe vom 2. Nov&mher 1878.
Telephus mit TeT%rjyC Iv iod-XolaLv Xsyeiv erst eio, während
fr. 706, wie wir sehen werden, eine längere Theil nähme am
Gespräche voraussetzt. Weiter lassen wir fr. 705 folgen.
Sehr glücklich hat Nanck die Worte, welche Acharn. 430
Earipides spricht oiö' avdqa Mvoov Trj'keq)Ov mit der schon
oben berührten Notiz des Olympiodor zu Plat. Gorg. 521 B
et OOL Mvoöv ye rjötov xaXelv : rj TraQOLf^la avTrj sk tov Trj-
Xecpov sovlv EvQLJtidov ' sksI yccQ sQona rig neql tov Trjke'
(fov y,al cprjol xo ^MvGov Ti^Xeq)ov. edre ds Mvaog rjv elts
aXXoS-ev uod-ev , Ttcoq on 6 TTjleffog yvco^lCeTai.^ Nauck
sucht das Fragment in folgender Weise herzustellen ;
old^ avöga Mvoov TriXeq)Ov' [^Ivog d^ oöe\
iix' eorl Mvoog elts xaXXod-iv Ttod-ev,
ex Tov TtQoocoTtov TTqXscpog yvwQi^eTai.
So würden die Worte dem Odysseus gehören, der in dem
Bettler den Telephus erkennt. Wenn Odysseus den Tele-
phus an den Gesichtszügen erkennen würde, so wäre nicht
nur eine solche Erkennung sehr unkünstlerisch, sondern es
würde auch ein längeres Zwiegespräch zwischen Odysseus
und Telephus vor der Erkennung unmöglich sein. Ein
solches findet aber, wie wir sehen werden, thatsächlich statt.
0. Jahn a. 0. S. 28 macht sich selbst den Einwand , dass
er möglicher Weise zu viel Gewicht auf das Wort yvioQi-
'C.erai lege. Das hat auch Nauck gethan und dabei die Worte
SQCor^ Tig Tteql tov Tr^Xiq)Ov ausser Acht gelassen. Die
Frage rccog . . yvojQi'QeTai; muss stehen bleiben. Wenn
wir auch noch das überlieferte etTs . . r]v m Betracht ziehen,
so müssen wir eine Erzählung vergangener Ereignisse er-
kennen. Wir werden demnach so zu urtheilen haben: Mit
oI(J' avÖQa Mvoov Tr^Xeq)Ov — ^ —
beginnt Telephus sein falsches Spiel: »ich kenne den Myser
Telephus, von dem ihr sprecht ; ich bin nämlich einmal nach
Mysien gekommen (fr. 700) :
WecMein: lieber drei verlorene Tragödien des Euripides. 215
KWTtTjQ dvaoacov yianoßdg elg Mvolav
Er wird , weil er nachher Hass gegen Telephus vorgibt,
weiter erzählen, dass er Hilfe suchend zu Telephus gekom-
men, von ihm aber schnöde abgewiesen worden sei. Darauf
kann er fortfahren: »war er nun ein Myser von Geburt
oder anderswoher, wie ist Telephus den Griechen bekannt
geworden?«, also etwa:
EITS 08
MvGog [ysycogl r^v eItb xakXod-iv Ttod-ev^
Ttwg TÖlg [^%ato7g] TrjXecpog yvcoQiterai;
Aus Ach. 442 tovg juiv d^eardg elSevai ^u' og eifx' eyw, rovg
(J' av xOQevrdg r^XiS^lovg TtageoTavat, OTtcog dv amovg qrj^a-
Ttoig OKi^allocü vgl. 416 Sei yaQ f,ie Xi^ai tco %oqi^ qrjaiv
(ÄaxQav scheint hervorzugehen, dass Telephus zuerst mit dem
Chore allein verhandelt. Allein die Anrede dvöqeg ^EXkrivwv
ccKQOi scheint doch auf die Anwesenheit der Fürsten hin-
zuweisen, so dass man bei Aristophanes die Hervorhebung
der Choreuten damit erklären muss, dass eben dort Dikäo-
polis es mit dem Chor der Acharner zu thun hat. Genauer
sind wir in dieser Beziehung unterrichtet über eine weitere
Rede des Telephus, die ein besonderer Glanzpunkt des Stückes
gewesen zu sein scheint. Sie wurde gehalten in Gegenwart
des Agamemnon (fr. 706) und suchte die Vorwürfe, die
Odysseus gegen Telephus erhoben, mit der Entgegnung,
dass was für die Griechen recht, auch für den Telephus
billig sei (vgl. besonders fr. 710 und 712) zu entkräften.
1) STQccvfÄarCaS-r]!/ für ixQav^axiad-ri hat Nauck vermuthet. Diese
Aenderung ist nothwendig, weil nach dem Citat bei Aristot. Rhet, III 2
p. 1405 a 29 x6 6k wV 6 Trilf(pog EvQiniSov (prioi Telephus selbst es
sagt, die Verwundung aber von keinem anderen als von dem Heilung
suchenden Telephus ausgesagt werden kann. Die Beziehung auf Ther-
sandros (Ribbeck S. 106) ist unmöglich.
216 Sitzung der pJiüos.-phüol. Clause vom 2. November 1878.
Dies erfahren wir aus der Angabe, welche der Schol. zu
Aristid. vol. II p 19 rov ös TrjXecpov ov% o^tei xä avxa Tavra'^
(vgl. fr. 711) macht: Tig twv TtoirjTwv eiodyei rov TT^Xeg)Ov
IXeyyovxa xov "OSvoaea ix tcov amcov Xoycov ovg nqdg tov
Trjlecpov eine, um die Reconstruction dieser Rede hat
sich Bakhuyzen a. 0. S. 20 ein besonderes Verdienst er-
worben. Angeregt durch eine Bemerkung von Fritzsche zq
Thesm. 518 hat er den gleichen Gedankengang in der Rede
des als Bettler verkleideten Dikaiopolis Ach. 497 — 556 und
des als Frau verkleideten Mnesilochos Thesm. 466-519 zum
Theil auf Angaben der Schol. gestützt auf die qr^oig des
Telephus zurückgeführt. Nur in wenigen Punkten müssen
wir von seinen Aufstellungen abweichen. Dikäopolis sagt:
1) Gestattet mir eine Widerrede: ich bringe zwar Arges,
aber nur Gerechtes vor (vgl. fr. 706) und jetzt kann mir
Kleon nicht nachreden, dass ich vor Fremden die Stadt an-
schwärze; denn wir sind unter uns.
2) Ich hasse wohl die Lacedämonier ; denn auch mir
sind die Weinstöcke umgehauen ; aber was beschuldigen wir
die Lacedämonier? Wir haben den Krieg angefangen; wir
haben die Megarer aufgereizt u. s. w.
3) Es wird vielleicht der eine oder der andere meinen :
»es hätte nicht sein sollen, aber was hätte denn sein sollen?«
(fr. 707). Hätten die Lacedämonier dergleichen gethau,
wäret ihr ruhig zu Hause sitzen geblieben? Noch langer
nicht (fr. 710). Ihr hättet gleich dreihundert Schiffe ins
Meer gezogen u. s. w. Das hättet ihr gewiss gethan; von
Telephus aber glauben wir es nicht? Dann habt ihr keinen
Verstand (fr. 711).
Mnesilochos vertheidigt den Euripides mit folgender Rede :
1) Dass ihr Frauen auf Euripides heftig ergrimmt seid,
ist kein Wunder. Denn auch ich, so wahr ich wünsche Freude
an meinen Kindern zu erleben , hasse jenen Mann ; sonst
WecUein: lieber drei verlorene Tragödien des Euripides. 217
müsste ich närrisch sein. Aber doch müssen wir uns Rechen-
schaft geben ; wir sind ja unter uns.
2) Was haben wir für einen Grund jenen zu beschul-
digen und ihm gram zu sein? Wenn er uns zwei oder drei
üble Dinge nachredet, so lassen wir uns ja tausend zu
Schulden kommen.
3) Thun wir das nicht? Ja wahrhaftig! Und dann
zürnen wir dem Euripides, obwohl wir nicht mehr erlitten
als gethan haben (fr. 712).
Hieraus ergibt sich deutlich der Gedankengang der Rede
des Telephus. Dieser beginnt mit fr. 706 :
^^yafisfÄVOv, ovo' el TceXe^vv sv xeqolv ^ym>
(.liXkoi Tig elg 7tQa%r]Xov ejußaleh sfj,6v,
GiyrjOOfiai dUaid / avTsirvelv e'x^v.
und fährt fort: »es ist kein Wunder, wenn ihr den Tele-
phus hasst; auch ich hasse den Maun (fr. 702):
[luiow yoLQ avrog avÖQ' skeIvov el de ^t^',]
yMKwg s'xoi /^ol, TijXeqjco d' äyto qjQOvcd.^)
„Aber wir müssen uns Rechenschaft geben : "
avTol yaq EGf.tevJ)
1) Vgl. Enn. fr. IV qui illum di deaeque magno mactassint iiialo.
Der erste Vers ist aus Thesm. 469 f. gemacht : xavTrj yaQ eyu)y\ ovrcog
opalfxrjp T(i)V rixviüv , fiKSÖ) rov avög' ixf.iroi', &l fxrj jucciyo/uat. Der
zweite Vers ist bei dem Schol. zu Arist. Ach. 446 evSai^ovoCrig- Trikecpco
6^ ay(o cpQofm überliefert: nagd zd ex Tt]7.€(pov Ev^mlSov ,xcil(t)g s/oi/ui,
Tt]l€<pa) <5' dyu) (pqovoii\ Die Aenderung xaxojg s/oc fxoi, welche durch
den Sinn und den Dativ TriU(p(a gefordert wird, rührt von Dobree her.
In der Stelle des Aristophanes hat Meineke mit Recht aus Athen. V
p. 186 C si) aoc yspoizo für EvJ^cci/uoyoLtjg, welches 457 am Platze ist,
aufgenommen. Die Verwandlung von xaxcog s/oi fj,ot in fv ooi yiyoiro
entspricht eben der komischen Verdrehung.
2) Die Wiederholung dieser Worte Ach. 504, Thesm 472 beweist,
dass sie aus dem Telephus stammen.
218 Sitzung der pMlos.-pMlol. Classe vom 2. November 1878.
,,Wir haben zuerst Unreclit gethan; wir sind in das Land
des Telephus eingefallen ; haben alles verheert. Er musste
sich wehren."
eiTa örj S^vjLiovjueda ♦
Ttad^ovTsg ovSiv fxetCov tj dedgaytoTsg; (fr. 712)
sqeI Ttg, ov xQYiv ' dXka 7t wg ^) xQ^^ sl'/taTs. (fr. 707).
,,Wenn Telephus mit einem Heere in Griechenland einge-
fallen wäre,
Kad-^od-' av SV öoi-iOLöiv ; ri 7tollov ye Sei. (fr. 710)
Ihr hättet vielmehr mit den Waffen in der Hand den frechen
Eindringling abgewehrt."
lyam'' av, oacp"" old\ eöqaTe] ' %ov de Tr^'keq)Ov
ovK olofxeG&a; vovg aq' ovy. eveöTi Goi. fr. 711 ^)
Auf diese Scene des Telephus folgte wie auf die des
Dikäopolis und Mnesilochos eine erregte Scene, aus welcher
Ach. 577
CLTtaoav Tj^cov zrjv TtoXiv KaxoQQod-et
von dem Schol. als Euripideisch bezeugt wird (fr. 713) und
wahrscheinlich auch fr. 723
w noXig ^Liqyovg, \ylve^'' ola Xeyei]
herrührt. Ich brauche nicht auszuführen, dass die Person
des Telephus vorderhand noch unbekannt ist. Die ävayvco-
1) Bei Aristoph, Ach. 540 heisst es alld tl i/Qn^ Dinare. Das
der tragischen Sprache passende ncog %Q^y bat Erfurdt hergestellt.
2) Bei Aristoph. Ach. 555 heisst es ravT' olS' otc av sSQare . .
yovs ccq' vfj.lv {nfiiv) ovx t'vi. Nach dem Schol. tov 6h Tr{kicpov'. xal
Tccvra Trikscpov EvQiuiSov ist das vorhergehende nicht aus dem Telephus.
Ein ähnlicher Gedanke aber musste vorausgehen. Nauck dachte an ravi\
ol&a, xäv sSgazf. Zu dem Scbluss bemerkt Nauck richtig: nee vera
est tradita lectio neque i^fj^of aut i^>/uiv forraam Euripides usurpavit. Da
bei Euripides Telephus den Odysseus widerlegt, habe ich dem entsprechend
geändert.
Wechlein: lieber drei verlorene Tragödien des Euriiyides. 219
QLGig musste nunmehr folgen. In der Erregung bracMe
jedenfalls Telephus Dinge vor, aus denen ein schlauer Mann
wie Odysseus das wahre Sachverhältniss errieth. Man kann
vielleicht, wie Bakhuyzen p. 121 meint, aus Ach. 593, wo
Lamachos dem Dikäopolis zAiruft : xavxl Myeig öv top otqu-
Tr]ydv TCXioyjoQ, cov ; und Dikäopolis entgegnet : eyco yag eljxi
TüTOJxog; (dlld xig ydq el;) oorig; TtoXlTijg xQrjOTÖg xTf.,
entnehmen, dass Telephus gereizt selbst erklärte, er sei kein
Bettler, sondern König von Mysien. Oder vielmehr wird
er bloss erklärt haben, er sei kein Bettler, und dann zur
Rede gestellt, wer er sei und nun in Furcht, er möge wegen
seiner Vertheidigung des Telephus erkannt werden, um dies
zu verhüten gerade solches vorgebracht haben, woraus Odys-
seus auf seine Person schliessen konnte. Dann war die dva-
yvüJQLGig jene, welche Aristoteles Poet. c. 16 p. 1455a als
avvd^exrj st, TtaQaXoyiOfiov [xal övXXoyLGj.wv] xov d^atsQOv^)
bezeichnet.
Fügen wir zu dem, was uns bisher die Parodie des Ari-
stophanes an die Hand gegeben hat, noch die Beobachtung,
dass Ach. 492 f. ooTig 7taQ(xo%iov xri rcoXu xöv avyha drcaGi
\xtllug ug Myeiv Tavavxia und der ganze Scherz, dass Di-
käopolis über einem Hackblock spricht (318 wreq STti^rivov
■d-eli^oco TTavd''' oo' dv Xeyco liyeLv^ 355 ff.) augenscheinlich
auf die Worte des Telephus fr. 706 ovd' el irtkf^vv h yje-
Qoiv Ijcjüv ixeXXoL Tig elg rqdxrj'kov SjußaXelv ey.6v zurückgeht,
so sehen wir, dass die ganze Scene von 394 x«/ ^ol ßadi-
oxe" eoTLv cog EvqlttIötjv bis zu dem Auftreten des Lamachos
eine wenn man so sagen darf treue Carikatur des Euripi-
1) Obwohl sich zu awd-er^ leicht aus dem vorhergehenden, wo
die dvayvwQLGig sx avlT^oyiafxov behandelt wird, i^c avll. ergänzen lässt,
so scheint doch die Beifügung von rov ^axegov die Einsetzung von xal
avXkoyiGfxov zu fordern: aus dem 7iaQaloyafj,og des Unbekannten ergibt
sich der avXloyiajuog des anderen und damit die Erkennung.
220 Sitzung der phüos.-philol. Classe vom 2. November 1878.
deischen Telephus ist, was unserer bisherigen Restitution
eine nachträgliche Bestätigung bringen dürfte.
Für den weiteren Fortgang der Handlung haben wir
leider nur ganz spärliche Bruchstücke, die uns wenig lehren.
Der Rede des Telephus, mit welcher er nach seiner Erken-
nung sein Thun rechtfertigt, kann fr. 708 angehören :
TL yaq f,ie jilovrog coq)eXei voaovvrd ys ; ^)
GjuiKQ^ av ^eloijLit Kai Tacp^^) rj^iSQav eytov
ahvTtog oIkeIv jnaXXov fj tcXovtcov voaetv.
Den Eindruck, welchen die Rede auf den Chor gemacht,
können im Munde des Koryphaios die Worte fr. 709 :
ov tccq' 'Odvooevg gotiv aifxvXog fAOvog '
XQeia öidaOKei, '/.av ßqaövg xig j^, öocpöv
schildern. Doch ist die Zuweisung au den Chor ungewiss.
Nach der dvayvcoQioig muss eine Aussöhnung zwischen
Telephus und Agamemnon zu Stande kommen, da nachher
Agamemnon für Telephus gegen MeneJaus und Achilles auf-
tritt. Diese Wendung müssen wir nicht blos der Beredt-
samkeit des Telephus, auf welche unter anderem die Be-
merkung des Aristophanes Ach. 429 Ttgooaizaiv GxwfxvXog
ösivog Xiyeiv hinweist, sondern vor allem der politischen
Klugheit des Odysseus zurechnen , der in dem entdeckten
Telephus den durch das Orakel angedeuteten Führer gegen
Troja erkennt. Es entspricht ganz dem Charakter des Odys-
seus, wenn er, der vorher der heftigste Gegner des Telephus
1) Wenn vöcrov als Lesart der Handschriften feststeht, kann man
ri yccQ ^' e/opta n^Miitog corps'ket p6aoi^\ vermuthen. Aber vielleicht
ist auch dann das durchaus passende voaolvTu ye die richtige Enien-
dation.
2) tc((p' rjfxEQav habe ich für zad^ -^fjLSQav geschrieben. Denn da
■Kai nicht „auch", sondern nur „und" heissen kann, ist nach afiUQcc ein
zweites Objekt nöthig. Mit tdcp' iq^egay vgl. z. B. EL 429 Trjg 6' icp'
^fiEQccv ßoQag xai afxUQov ccqxel.
Wecklein: Ueber drei verlorene Tragödien des Euripides. 221
gewesen, nunmehr dessen eifrigsten Fürspreclier macht. Nach
der Aussöhnung handelt es sich darum, den Achilles zur
Heilung des Telephus zu bewegen. Achilles tritt auf; fr. 724
öv d' elyC dvayxrj xal &edlOL (xri (xd^ov *
roXfxa öe TXQooßXeiceiv fj.s Kai q)QoviqfxaTog
xdXa. xd TOI ixkyiöxa TtollaKig S^eog
TaTtelv' sd^rjKs Kai ovvioTsiXev TcdXiv
spricht Telephus zu Achilles ; d-edloi f^rj (Jidxov bezieht sich
auf das Orakel o TQCuaag /.al Idaevai. Agamemnon unter-
stützt die Bitte des Telephus. Achilles entgegnet fr. 714:
tI ö^ üj TaXag ; av Tq)ös Tteldeod^al fx SQelg ; ^)
Dem Achilles gilt auch die Ermahnung fr. 715:
coQa oe d^vfxov KQSLOaova yvwfxrjv eyeiv.
Achilles weigert sich entschieden den Telephus zu heilen,
einmal weil er, wie es bei Hygin heisst, die Heilkunst nicht
verstehe, das Orakel also falsch und Telephus ein Lügner
sei, dann aber auch weil er es für pflichtwidrig halte, einem
Feinde wie Telephus zu nützen. Das letztere Motiv ergibt
sich aus Enn. fr. V : verum quorum liberi leto dati Sunt
in hello, non libenter haec enodari audiunt. Denn haec
enodari kann sich nur auf die schliessliche Deutung des
Orakelspruches o xqcßoag yial Idoerat beziehen. Von fr. 910
TCQog tav^^ 0 tl xq^ xal TvaXajj,do&co
y,al näv e/r' e^ol TSKTaLveod^co '
t6 yaQ ev f.ier'' i/nov
xal To öiKaiov Gv/2i.iaxov eoTai
Y.ovJl.nq Ttod-' dXcd xaxd Ttqdöoov,
hat Bergk, weil die Stelle Ach. 659 ff. parodiert wird, ver-
muthet, dass das Bruchstück dem Telephus angehöre ; dieVer-
►
1) ja' i^Eig habe ich für (xellecg geschrieben; Valckenaer hat d-i-
Xeig, Geel f^e ^tjg, Nauck ^af ?.ijg vermuthet.
[1878. I. Philos.-philol-hist. CI. Bd. II, 2.J 16
222 Sitzung der pfiilos.-philol. Classe vom 2. November 1878.
muthung wird durch das obige noch wahrscheinlicher gemacht.
Wir werden die Worte wegen ftqoq xavra mit Imperat.
(,,an meinem festen Entschluss kann er nichts ändern"),
besonders aber wegen ov f.ir^ 7to&'' aXto Kaxd /tqccoocov nicht
dem Telephus geben dürfen ; dagegen sind sie sehr geeignet
im Munde des Achilles; er spricht sie dann am Ende der
Scene, nachdem Agamemnon bereits unter Drohungen in
den Palast getreten.
In einer neuen Scene tritt Menelaos dem Agamemnon
gegenüber. Menelaos ergreift natürlich Partei für Achilles ;
er will nicht, dass die Freundschaft und Hülfe eines Helden
wie Achilles der Theilnahme für Barbaren zum Opfer ge-
bracht werde. Ihm werden darum fr. 717 und 718
'"Ellrjveg ovxeg ßaQßccQOig dovlevooiAev;
xcfxwg oXoiaT' ' a^LOv yaq "^Ellaöi.
zuzuweisen sein. Auch fr. 716
-/.aytog tlq eöti nqo^evio gol x^w^iEvog
ist gegen Agamemnon gesprochen, an welchem Telephus
einen Gönner und Beschützer gefunden hat ; ob von Achilles
in der vorhergehenden Scene oder von Menelaos, ist un-
gewiss. Agamemnon hält dem Menelaos entgegen, dass der
Feldzug nach Troja ohne die Führung jdes Telephus un-
möglich sei ; darum schliesst die Scene mit den Worten des
Agamemnon fr. 721 und 722:
l'^' OTTOi xQji^sig ' ovx aTtoXovixai
Trjg Grjg '^Elevr]g eive'Ka
2/taQTr]v sXaxsg^ y,6ivr]v ycoGfiei,
rag de Mvxit^vag r^i^ieig Idla.
Für beide Scenen erhalten wir also den gleichen Schluss
mit Anapästen, was die obige Anordnung nur zu bestätigen
geeignet ist.
Wecklein: Ueher drei verlorene Tragödien des Euripides. 228
Der zur äussersten Erbitterung und Heftigkeit ent-
wickelte Streit droht die Einigkeit der griechisclien Fürsten
vollständig aufzulösen und das nationale Unternehmen zu
vereiteln : da wird durch die richtige Deutung des Orakels,
dass nicht Achilles, sondern die Lanze gemeint sei, welche
abgeschabt die Wunde heile:
TCQLöxdiöi loyxrig d^k'kyB.xai QLviqfxaGLV (fr. 725)
der Grund des Streites beseitigt ; der allgemeinen Zufrieden-
heit steht nichts im Wege. Ob eine solche Aufklärung und
allgemeine Befriedigung bei Euripides nicht eher von einem
Gotte als von dem Scharfsinn des Odysseus ausgehe, muss
zweifelhaft bleiben. Bei Hygin gibt Odysseus die Lösung :
den Odysseus konnte der römische Dichter, an den wir oben
gedacht haben, eher brauchen als einen deus ex machina.
16*
224 Sitzung der philos.-philol. Classe vom 2. November 1S78.
Nachträge zu Herrn Bursian's Aufsatz
Die wissenschaftlichen Ergebnisse der Aus-
grabungen in Dodona.'
Zu S 12, Anm. 1 : Mit Tfl. 34, 1 ist, wie Prof. F. Blas s
bemerkt hat, das Bruchstück Tfl. 35, 4 zu verbinden: da
nun dort Z. 2 das Femininum des Artikels f ^ d. i. a
lautet, so ist auch Tfl. 34, 1 Z. 2 -j" ^ sils ein blosses
Versehen des Schreibers für j- ^ zu betrachten
Zu S 16, Z. 6 ff.: Das eMBOYNIMAIG der Steinschrift
ist, wie Director Dr. Lud. Wen i ger in Eisenach erkannt hat,
als ifj. BovvLjLiaig aufzufassen, d. h. nach dem Kalender der
epeirotischen Stadt Bunimä (oder Buneima) : vgl. Steph.
Byz. unter BovveifJ-a und unter TQa(,inva.
Herr T r u m p p machte vorläufige Mittheilungen über das
äthiopische Adams-Buch.
Historische Classe.
Der Classensecretär Herr v. Giese brecht legt vor:
„Die Instruction des Kurfürsten Maxi-
milian I. für den Hofmeister Ferdinand
Maria 's vomJahre 1646'' von Studienlehrer
M. Rottmanuer.
Der verdienstvolle Lipowskj bemerkt, wo er in seiner
Biographie des Kurfürsten Ferdinand Maria von Bayern von
dessen frühester Jugend spricht^): im Drang der Geschäfte
und des Krieges habe sich Kurfürst Maximilian I mit der
Erziehung seines Sohnes nicht genugsam und nach Wunsch
beschäftigen können; da habe denn die Mutter, die Kur-
fürstin Maria Anna, das Kind, dann mit Hilfe zweier Jesuiten
den Knaben erzogen und unterrichtet. Nach dem Abschluss
des westphälischen Friedens habe Maximilian I mit Ver-
gnügen wahrgenommen, welch grosse Fortschritte der Kur-
prinz in verschiedenen Künsten und Wissenschaften, in der
lateinischen, französischen und italienischen Sprache mittler-
weile gemacht hatte.
1) Des Ferdinand Maria Lebens- und ßegierungsgeschichte, S. U flF,
226 Sitzung der historischen Classe vom 2. November 1878.
Verveaux, der Beichtvater Maximilian's I und später
Ferdinand Maria's, der die Verhältnisse des damaligen kur-
bayerischen Hofes aus unmittelbarer und persönlicher An-
schauung kannte, gibt an, dass Ferdinand Maria schon in
seinen Knabeujahren einen seiner hohen Geburt und seiner
künftigen Stellung geziemenden Unterricht in wissenschaft-
lichen Dingen und in ritterlichen Uebungen empfangen habe ;
doch versäumt er nicht, die persönliche Sorgfalt des Vaters
für die Heranbildung des Sohnes und Nachfolgers hervor-
zuheben.^)
Für die Richtigkeit der letzteren Behauptung Verveaux',
welche an und für sich der Glaubwürdigkeit nicht entbehrt,
liegt jetzt ein unwidersprechlicher Beleg vor. Es war im
Herbste des Jahres 1646, dass der kurbayerische Hof vor
den Schrecknissen der französisch-schwedischen Invasion die
Hauptstadt München verliess und sich nach Wasserburg
flüchtete. Gerade um jene Zeit wurde Ferdinand Maria,
geboren den 31. Oktober 1636, zehn Jahre alt; man be-
schloss , ihn der Kinderstube und Frauenaufsicht zu ent-
nehmen und der Leitung eines Hofmeisters zu übergeben,
unter dessen Befehl nicht blos die gesammte Dienerschaft
des Prinzen stand, sondern auch die beiden Kammerherren
desselben, die jede Woche abwechselnd den Dienst hatten,
und der Präceptor, der dem Prinzen den Unterricht in der
Religionslehre, in der lateinischen Sprache, in der Geschichte
u. s. w. ertheilte. Zum Hofmeister seines Sohnes bestimmte
Maximilian I einen seiner Geheimen Räthe und Kämmerer,
Johann Adolph Baron Wolf genannt Metternich ; in welchem
Grade dieser das Vertrauen seines Herrn besass, geht daraus
hervor, dass er von Maximilian I in seinem Testamente
unter die Zahl der Administrations- und Vormundschafts-
räthe aufgenommen wurde , denen das Wohl des Landes
1) Adlzreiter, Boicae gentia annales, P. III. 1. XXXIV. § 12.
Bottmanner: Die Instruction des Kurfürsten Maximilian I 227
während der Minderjährigkeit Ferdinand Maria's (1651 —
1654) überantwortet war.^) Als nun aber Metternich in
sein Amt als Hofmeister eintrat, liess ihm Maximilian I
als Richtschnur für die Erfüllung seiner Pflichten eine In-
struction einhändigen, welche die Grundsätze enthielt, nach
welchen die Erziehung Ferdinand Maria's geleitet werden
sollte ; der Kurfürst folgte hierin dem Beispiel der Kaiser
Ferdinand I und Maximilian II, sowie dem Vorgange seines
Grossvaters Albrecht V und seines Vaters Wilhelm V,
welche ebenfalls den Erziehern ihrer Söhne eingehende Vor-
schriften hatten zustellen lassen.^) Die Tradition von der
Instruction Maximilian's I. ist im Munde des Volkes noch
nicht erloschen ; das Concept derselben aber hat sich im
Cod. ital. 632 der k. Hof- und Staatsbibliothek zu München
erhalten; das Verdienst auf dies merkwürdige Schriftstück
aufmerksam gemacht zu haben, hat der Secretär der k. Hof-
und Staatsbibliothek Herr Wilhelm Meyer zu beanspruchen.
Die Instruction für Metternich ist in italienischer
Sprache abgefasst und vom 1. Dezember 1646 datirt ; als
Ort der Ausstellung ist Wasserburg angegeben. Das Con-
cept kann nicht von Maximilian's I eigener Hand herrühren ;
die Schriftzüge sprechen nicht weniger dagegen als der Ge-
brauch der italienischen Sprache, die in der Hofkanzlei aus-
I
1) Westenrieder : Beiträge zur vaterländischen Historie , Bd. X.
S. 17. 51. S. ausserdem Lipowsky, S. 45 und 50; Cod. ital. 632, 61a
und 61 1.
2) Adlzreiter, P. III. 1. I. § 6 und § 10. Die Instruction Wil-
helm's V. v. J. 1584 ist im Cod. ger. mon. 2614 vorhanden, im ge-
druckten Handschriftenkatalog (Bd. V. S. 296) aber als Instruction
Maximilian's I. bezeichnet; abgedruckt bei Westenrieder Bd. HI. S. 146 ff.,
mit fehlendem Eingang und Schi uss bei Wolf : Geschichte Maximilian's I.
und seiner Zeit; vgl. Föringer in den Bayerischen Annalen, 'Jahrg. 1835,
S. 246 ff., Aretin: Geschichte des bayerischen Herzogs und Kurfürsten
Maximilian's des Ersten, I. S. 854 ff. und Stieve: Der Ursprung des
dreissigjährigen Krieges I. S. 60 ff.
228 Sitzung der historischen Classe vom 2. November 1878.
sdiliesslich zur Correspondenz nach Italien verwendet wurde,
während der Kurfürst selbst deutsch zu schreiben pflegte:
sind doch auch die Monita paterna, wie man jetzt gewiss
weiss, ursprünglich in deutscher Sprache abgefasst worden. ^)
Nichtsdestoweniger muss Maximilian I für die Autorschaft
des Documentes in Anspruch genommen werden , insofern
die hierin enthaltenen Erziehungsnormen nur mit seinem
Wissen und seiner Billigung, nur im Einklang mit seiner
Willensmeinung und seinen pädagogischen Ueberzeugungen
aufgestellt werden konnten, nicht in dem Sinne, dass diese
.Vorschriften von ihm erst erfunden und in eine zusammen-
hängende Form gekleidet wurden; denn die meisten dieser
Bestimmungen finden sich schon in der sehr reichhaltigen Lit-
teratur der vorausgehenden Jahrhunderte über Erziehung der
Vornehmen und über Fürstenpflichten verzeichnet, sowie in der
eben erwähnten Instruction Wilhelm's V, von welcher aus-
drücklich überliefert wird, dass ihr ähnliche Zusammenstell-
ungen zu Grunde gelegt worden waren. ^) Ja es scheint
sogar, dass aus solchen im Laufe der Zeit sich anhäufenden
Erziehungsregeln allmählich ein bestimmtes System entstand,
das für den jedesmaligen Fall des Gebrauchs vorgenommen
und denspeciellen Verhältnissen gemäss nur modificirt wurde;
anders lässt sich die auffallende üebereinstimmung in den
Principien , manchmal sogar im Wortlaut nicht leicht er-
klären , wenn man z. B. die Instruction des lutherischen
Herzogs Heinrich Julius von Braunschweig für die Hof-
meister seiner Söhne Rudolf, Friedrich Ulrich und Christian
aus dem Anfang des 17. Jahrhunderts^) mit den Anord-
nungen des römisch-katholischen Kurfürsten von Bayern
vergleicht : so sehr begegnen sich die Ansichten dieser Fürsten
1) Söltl: Der christliche Fürst, S. 4.
2) Adlzreiter, P. III. 1. I. § 6.
3) Opel: Der niedersächsisch-dänische Krieg, I. S. 138 ff.
Rottmanner: Die Instruction des Kurfürsten Maximilian I 229
in den Forderungen der religiös-sittlichen Ausbildung ihrer
Söhne, der genauen üeberwachung ihrer Umgebung, in der
Bestimmung der ünterrichtsgegenstände und Erholungs-
mittel u. s. w. Auch die Anordnungen , welche der refor-
mirte Kurfürst Karl Ludwig von der Pfalz zur Erziehung
seines raugräf liehen Sohnes Karl Eduard 1678 traf^, ent-
halten manche Berührungspunkte mit den vorhergenannten
Instructionen.
Natur gemäss aber lehnte sich der Plan Maximilian'« I
zur Erziehung Ferdinand Maria's nach Form und Inhalt
zumeist jenen Vorschriften an, nach denen seine eigene
Jugend geführt worden war, nämlich der Generalinstruction
Wilhelm's V für den Hofmeister und den Präceptor seiner
zwei ältesten Söhne. ^) Wenn von dieser gerühmt wird,
dass sie Winke enthält, die ,,von gesundestem ürtheile tiefer
pädagogischer Weisheit und echt christlichem Sinne Zeug-
niss geben" ^) , so lässt sich dies auch auf Maximilian's I
Anweisungen anwenden ; denn auch er betrachtete es ,,als
das vor allem anzustrebende Ziel, dass sein Sohn mit Gottes-
furcht erfüllt, zu christlicher Vollkommenheit herangebildet
und von inniger , ihres Grundes und Inhaltes bewusster
1) Kazner: Louise Raugräfin zu Pfalz. Leipzig 1798, IIL S. 132—168.
2) Wolf I, S. 77 spricht von nachträglichen Modificationen dieser
Instruction, die durch die Vorstellungen des Propstes von Altötting,
Minucci,* herbeigeführt worden seien. Eine solche Modification hat Fö-
ringer (Bayer. Annal- Jahrg. 1835, S. 250) nachgewiesen. Wilhelm V.
hatte die „heidnischen Schwätzer und Fabelhansen" (eine Bezeichnung
der alten Classiker, welche wie Stieve 1. c. Note 5 zu S. 60 anführt,
schon in der bajer. Schulordnung v. J. 1548 vorkommt), aus der Fürsten-
schule im Alten Hof ursprünglich ausgeschlossen und durch neulateinische
Autoren ersetzt. Nichtsdestoweniger erhielten Maximilian und Philipp
den Unterricht in den alten Sprachen nach classischen Mustern (Cod.
ger. 813). lieber Minucci s. Stieve, Die Politik Bayerns 1591-1607,
Erste Hälfte, bes. 126' und 542 ff.
3) Stieve: Der Ursprung des dreissigj ährigen Krieges, L S. 60
230 Sitzung der historischen Classe vom 2. November 1878.
Glaubensüberzeugung durchdrungen werde". ^) Wenn nun
so neben manchen Aeusserlichkeiten wie z. B. der Tages-
ordnung manche Motive häufig fast wörtlich wieder er-
scheinen, so zeigt sich andrerseits doch auch mancher durch
Zeit und Erfahrung bedingte Fortschritt: so hat beispiels-
weise das System körperlicher Züchtigung, das Wilhelm V
nach alttestamentlicher Auffassung als ein heilsames Mittel
zur Erzwingung des Gehorsams bei seinen Söhnen anzu-
wenden nicht blos gestattet, sondern sogar befohlen hatte,
in der Instruction Maximilian's I keine Stelle mehr. Selbst-
verständlich: denn wenn er gleich selbst ,,mit ascetischer
Strenge die Fastengebote bis zur Gefährdung des eigenen
Lebens beobachtete und den Leib insgeheim mit ,, gräulichen
Marterwerkzeugen'' kasteite",^) so siegte doch da, wo die Be-
handlung des künftigen Thronfolgers in Frage kam, das ihm
innewohnende, stark ausgeprägte Gefühl der fürstlichen
Würde über jene Anschauungen, die ihm anerzogen und
gleichsam zur zweiten Natur geworden waren. Und diese
seine Emancipation ist um so bemerkenswerther, als andere
Bestimmungen der Instruction den seit Maximilian's I
Jugend ungemein vermehrten Einfluss des Jesuitenordens
deutlich erkennen lassen. Gerade zu jener Zeit hatte der
Mariencultus durch die Jesuiten eine ausserordentliche Aus-
dehnung gewonnen; der Sieg bei Prag hatte diesen Auf-
schwung der Verehrung bei Maximilian I noch gesteigert;
erst 1638 waren zu den bereits herkömmlichen Marfenfest-
tagen zwei neue hinzugefügt worden. ^) Wilhelm V hatte
es genügt, seine Söhne fünfmal des Jahres, zur Zeit grosser
kirchlicher Feste , zur Beichte gehen zu lassen : Maximi-
lian I hingegen dehnte bei seinem Sohne diese Verpflichtung
auf alle Marienfesttage aus und verordnete zugleich, dass
1) Ibid.
2) Ibid. S. 63.
3) Adlzreiter, P. III. 1. XXIII. p. 402.
Eottmanner: Die Instruction des Kurfürsten Maximilian I 231
Ferdinand Maria in jedem Monat an einem Sonn- oder
Feiertage das Gleiche thue , wie das seit 1637 in den von
den Jesuiten geleiteten x\nstalten zur Gewinnung eines Ab-
lasses üblich war. ^)
Uebrigens geht aus Maximilians 1 Instruction (§ 8
und 13) hervor, dass nicht bloss der Hofmeister, sondern
auch der Beichtvater des Prinzen, der natürlich dem Jesu-
itenorden angehören musste, und der Präceptor, dieser in
Bezug auf die Methode und den Umfang des Unterrichtes
und in Bezug auf die Wahl der Autoren , mit speciellen
Anweisungen ausgestattet wurden ; eine vom Kurfürsten er-
lassene Kammerordnung regelte die Pflichten und das Ver-
halten des Hofmeisters, des Präceptors, des Arztes, der
Kammerherren und der Dienerschaft hinsichtlich der dem
Prinzen gegenüber zu beobachtenden Formalitäten. Um den
pünktlichen Vollzug aller seiner Vorschriften kümmerte
sich der Kurfürst unablässig und persönlich; er forderte
von dem Hofmeister Relationen über das Betragen und die
Fortschritte seines Sohnes; für unvorgesehene oder ausser-
ordentliche Fälle musste die Entscheidung des Vaters oder
der Mutter eingeholt werden ; tagtäglich befand sich der
Kurprinz einige Stunden, Mittags und Abends, in der Ge-
sellschaft der Eltern und verwerthete in ehrerbietigem Ge-
spräche mit denselben — eine allzugrosse Vertraulichkeit
ward ferngehalten — die frischgewonnenen Kenntnisse
in den modernen Sprachen, deren auch der Hofmeister
kundig war.
Welche Bedeutung die Institutionen Maximilian's I
zur Erziehung seiner Söhne (denn auch der zweitgeborene
Prinz, Maximilian Philipp, ward dem nämlichen Hofmeister
unterstellt und nach den nämlichen Principien ausgebildet),
1) Kropf: Historia Provinciae Societatis Germaniae Superioris, P.
V. p. 396,
232 Sitzung der historischen Classe vom 2. November 1878.
noch später hatten , kann man aus Folgendem ersehen,
Ferdinand Maria's ältester Sohn , Max Emanuel , empfing
den ersten Unterricht in der Religions- und Sittenlehre, im
Lateinischen u. s. w. ebenfalls von Jesuiten; aiser 10 Jahre
alt geworden war , erhielt er einen Hofmeister , Heinrich
Marquis von Beauveau; von den modernen Sprachen lernte
er das Französische und das Italienische; das Spanische,
das sein Vater sich hatte aneignen müssen (§ 47), blieb
ihm erapart ; dagegen wurden ritterliche Hebungen nicht
ausser Acht gelassen. ^)
Wenn man aus diesen Nachrichten die Vermuthung
schöpfen darf, dass Max Emanuel nach der Instruction
Maximilian's I erzogen ward , so wissen wir dagegen jetzt
ganz gewiss , dass Ferdinand Maria dem Hofmeister seines
zweiten Sohnes Joseph Clemens, Simon Herrn von und zu
Weichs, jene Bestimmungen zur Befolgung zustellen Hess,
nach denen er selbst unter Metternichs Leitung herange-
bildet worden war. Die Instruction , welche Ferdinand
Maria dem Herrn von und zu Weichs ausstellte (8. April
1678) , ist uns in deutscher Sprache im Cod. ger. 3298,
f. 31 — 62, erhalten; sie ist nichts anderes als eine bis auf
die unvermeidlich nothwendigen Aenderungen wörtliche
Uebersetzung der Instruction Maximilian's I für Metternich
und zwar der Paragraphe 1, 2, 5 — 15, 19 — 53, 63, 64. Dass
hier eine Uebersetzung, nicht ein deutsches Original vor-
liegt, beweist der Titel der Handschrift;^) dass die Ueber-
1) Lipowsky, S. 223 ff.
2) „Liber Vitae. Leben Josephi Clementis Hoch-Fürstlichen Durch-
leicht Herzogs in Bayrn etc. Von dero Hochseligisten, und durchleich-
tigisten Anherrn Maximiliano, und Herrn Vattern Ferdinando Maria
Weiland Churfürst, und Herzogen in Bayrn etc. Zu einem Exempl,
ynd nachuolg vorgeschriben Vnd iezt im zwölfften Jahr seines alters in
telitsch ybertragen. München den 5. Dec. Ao. 1682." Der 5. Dezember
war der Geburtstag des Prinzen Joseph Clemens.
Bottmanner : Die Instruction des Kurfürsten Maximilian I 233
Setzung niclit früher als in's Jahr 1682 fällt, geht eben
daraus hervor ; somit muss das dem Hofmeister des Joseph
Clemens 1678 übergebene Exemplar in einer fremden Sprache,,
wohl italienisch abgefasst gewesen sein. Cod. germ. 3298
enthält aber noch zwei weitere Urkunden in deutscher
Sprache: f. 63 — 73 die von Ferdinand Maria für den
Dienst des Prinzen Joseph Clemens gegebene Kammer-
ordnung, datirt vom 8. April 1678, vermathlich identisch
mit der in der Instruction Maximilian's 1 mehrmals er-
wähnten Kammerordnung, und f. 2 — 30 die üebersetzung
von 53 Paragraphen aus den Monita paterna. Da aber
diese letztere mit dem lateinischen Text in den Annales
Boicae gentis (P. III. p. 613 — 621) so wenig wörtlich über-
einstimmt, als mit dem im k. Hausarchiv aufbewahrten
deutschen Originalaufsatz Maximilian's I , so ist die im
Cod. ger. 3298 vorhandene Uebertragung auf eine uns un-
bekannte lateinische Quelle zurückzufahren ; nicht minder
ist klar, dass schon vor 1682 die Kunde von der ursprüng-
lichen Abfassung der Monita paterna in deutscher Sprache
verloren gegangen war.
Ordini di Noi Massimigliano, Conte Palatino del Reno, 1
Duca deir un' e f altra Baviera, Principe Elettore del sacro
Romano Imperio, et
Instruttione
per il maggiordomo del nostro diletto figlio primogenito et 2
Elettore Duca Ferdinando Maria, come doverä diportarsi in
detta sua carica circa la Christiana educatione et alli ministri
et intorno all' amaestramento de IIa servitü et ogni altro
particolare del medemo.
Ancorche l'omnipotenza e bontä di Signore nel tempo 3
del mio si longo, diflficile e pericoloso governo, anzi in tutt'
il corso di nostra vita ci habbi fatto molte e singolar gratie
234 Sitzung der historischen Classe vom 2. November 1878.
e benefici, per le quali maiposiamo^) ringratiarlo abastanza:
stimando uulladimeuo con raggione fra le maggiori il dono
delli due figli havuti per singolar providenza e decreto del
cielo in questa nostra assai grave etä con la presente nostra
dilettissima Signora Consorte Maria Anna, nata Principessa
d'Ougaria e Bohemia, Arciduchessa d'Austria etc., per con-
solatione e sollievo d'entrambi, si ancbe per maggior stabili-
mento e fundamento della nostra Elettorale casa e succes-
sione, istessamente tanto a beneficio, utile e vantaggio de
nostri stati e sudditi quanto della Religione Catholica nell'
Imperio Romano, c'incombe piü tanto maggiormente il procu-
rare con ogni paterna sollecitudine, studio e cura, che detti
nostri figli per il fine preaccennato e principalmente in rin-
gratiamento, bonore e gloria del Signore, dal quäle li hab-
biamo ricevuti , in questa loro verdeggiante etä venghino
educati et amaestrati nel timore di Dio, pietä, virtü e co-
stumi degni di Principe e per altro lodevoli et incaminati
ad una vera perfettione.
Sebene dunque tocca generalmente a noi l'invigilare
in ciö sopra de' nostri figlii, perche nulladimeno il maggiore
Ferdinando Maria come primogenito , se Dio gli concederä
si longa vita come speriamo, sarä tanto per raggione natu-
rale come delle leggi Imperiali et osservanza delle famiglie
dei principati, singolarmente della nostra casa per succeder-
ci si nella dignitä Elettorale come nel governo delli nostri
stati Elettorali, e per l'Iddio gratia e giä arivato ad una
etä assai matura: quindi babbiamo giudicato ispediente e
necessario il le\rarlo dalla guarda fanciulesca , il confidarlo
ad un maggiordomo e per sua miglior , singolar e piii con-
facevole educatione il provederlo di gente a ciö necessaria:
acciö subito in questa sua verde etä si ponga in lui fonda-
mento di buon allievo, tempestivamente s'avezzi ad ogni
1) Dergleichen Eigen thüralichkeiten in der Schreibweise sind bei-
behalten worden.
Bottmanner: Die Instruction des Kurfürsten Maximilian I 235
bene e venga alontanato da ogni male e col continuo es-
sercitio facci progressi da una virtü all' altra e successiva-
mente passaggio a tal perfettione, che possa riuscir un saggio
e ben qualificato Principe Regente e vagli a suo terapo
lodevolmente applicare ciö che haverä appreso nella sua
gioventü a maggior gloria di Dio, a pro et utile universale e
de suoi stati et a beneficio sao proprio e di sua eterna salute.
Havendo noi dunque in ciö riposto ogni confidenza nel
nostro Consigliere Segreto e Cameriere, Giovanni Adolfo Baron
Wolf detto Metternich, per le sue da noi conosciute buone
qualitä e lodevol modo di vivere e fatta rissolutione di ser-
virsi del medemo per maggiordomo dell' antedetto nostro
figlio Ferdinando, consegniamo perciö, affidiamo e raccom-
mandiamo il medemo nelle di lui iidissime mani come nostro
carissimo e preggiatissimo pegno, e vogliamo che per carico
della sua conscienza debba generalmente far, osservar e com-
mandar tutto quello che puö ridondar di nostra sodisfatti-
one ad honor, utile e profitto, singolarmente perö alla salute
deir anima d'esso nostro figlio. AU' incontro prohibisca
tutto ciö che puö contrariare alla buona educatione , ho-
nesta e lodevoli costumi ; e sopra d'ogni altra cosa e nostra
ferma volontä, intentione e commando ch'esso maggiordomo
in questa sua carica e servitio debba conformarsi in tutto
a questa nostra instruttione et ordini.
Ordiniamo all' incontro che nostro figlio Ferdinando, il
quäle sarä anche di qnaud' in quando da noi con la viva voce
in ciö paternamente amonito et avertito, che debba prestar
la conveniente ubedienza al maggiordomo assegnatogli, che
lo rispetti et in tutto senza contraditione l'ubedisca, col
dimostrarsegli per ogni verso tale, che ad esso maggiordomo
non resti occasione di doglianza contro del medemo: perche
se contro ogni nostra speranza ciö accadesse, non manca-
ressimo al certo di proceder seco con rigore e precipitarebbe
da se nella disgratia paterna. Dove all' incontro con la
236 Sitzung der historischen Classe vom 2. November 1878.
dovuta ubedienza e buoni portamenti puö promettersi la
beneditione del Signore e da noi ogni gratia, vantaggio et
affettione.
Vogliamo parimeute che li gentilliuomini serventi detti 7
camerieri destinati a nostro figlio nobili o titolati cbe siino,
il precettore, paggi, ajutanti di camera, portieri, staffier!
et altri snoi ufficiali e vservitori siino sottoposti alla carica
e commandi del maggiordomo e che siino tenuti di por-
targli il dovuto rispetto e d'ubidirlo, ladove egli come vero
dirrettore del medemo saprä come reger e ben ordinäre tutta
la servitü, perö nelle cose gravi con nostra presaputa, ap-
provatione e coramando.
Haveüdo perö col maggiordomo ordinato etiandio due 8
camerieri a nostro figlio, che doverano continuamente ritro-
varsi al servitio col cangiarsi d'una settimana in l'altra,
come pure un precettore, che lo dovera instruir non meno
nel timor di Dio che nelli studii, habbiamo ben si prescritto
a quelli Tordine camerale et a questo fatta spediro e con-
segnare una particolar instruttione , il che dovera in tutto
esser sempre osservato ; perche ad ogni modo al maggior-
domo come supremo dirrettore s'acconviene la general in-
spettione sopra di tutto , e perciö se gli aspetta etiandio
il tenir diligente cura, che e li uni e li altri nostri ordini
e commandi vengano da cadauno essatamente et inaltera-
bilmente osservati e pratticati : quindi per qaesti rispetti
habbiamo fatto consegnar ad esso maggiordomo copie dell'
ordine camerale, quäle unitamente riguarda la sua persona
e carica in piü ponti speciali, e dell' instruttioni del precet-
tore, perche da quelle s'informi bene; e non solo facci e
procuri, che con ogni ansietä e diligenza e con fedeltä ven-
ghino esseguiti, ma osservi etiandio con non minor diligenza
e cura ciö che intorno la sua persona e carica in quelli vien
disposto, alli quali perciö totalmente ci rimettiamo col com-
mandare alli camerieri e precettore di portar il dovuto ri-
Bottmanner: Die Instruction des Kurfürsten Maximilian I 237
spetto al maggiordomo, corrispondendo seco diligentemente
in tutto, secondandolo possibilmente nella sua carica et ube-
dendo alli suoi ordini.
Perche anche in questa instruttione si contengono 9
molti ponti che riguardano si li portamenti di nostro figlio
come del maggiordomo, i quali sono gener almente da osser-
varsi da esso , ma etiandio dalli camerieri e precettore si
per regolar se medemi et astradar esso figlio non meno
cli'il maggiordomo, e questo non poträ forsi, massime la
notte, per altri affari ritrovarsi sempre presente all' esser-
citio delia sua carica : quindi e nostra gratissima intentione
e commando, che ogni quäl volta il maggiordomo sarä
assente, il cameriere, che all' hora haverä il servitio ordi-
nario e si ritroverä presente , debba supplire alla di lui
caricha et in tutto essercitar le sue vicende, e questo si
debba rispettar et ubedir come il maggiordomo medemo: et
acciö i camerieri habbino la precisa informatione e notitia,
come in tal caso in ogni capo haveranno da diportarsi,
doverä communicarsi ad entrambi de medemi sicome al precet-
tore et ad ogni uno di essi un estratto di quest' instrut-
tione del maggiordomo in quelli ponti, i quali a loro unita-
mente s'aspettano, e poi questa osservarsi e da lor adempirsi
con uguale diligenza come le loro particolari instruttioni.
E perche, come si e detto, tutti quelli del servitio di 10
nostro figlio sono sottoposti al maggiordomo, cosi quando
osservasse, che li camerieri o precettore contro ogni nostra
speranza non sodisfacessero opportunamente alle loro cariche
et instruttioni et a questo che altro conviene, tocc/^erä al
medemo il farne contro i medemi i dovuti risentimenti o
secondo la qualitä delle cose portarne le notitie a noi o
alla nostra dilettissima Signora Consorte. Rispetto poi alli
altri servitori, se cometteranno mancamenti, li castigherä
1-^ secondo le persone o se il delitto fosse tale, ne porgerä a
noi riverentemente l'avviso.
[1878. I. Philos.-philol.-hist. Gl. Bd. II, 2.] 17
238 Sitzung der historischen Classe mm 2. JSfovemher 1878.
Doverä all' incontro proteger ciascheduno nella sna 1 1
carica et assistir a chi indebitamente fosse aggravato , e
massime i camerieri e precettore, et a questi tre sarä con-
cesso di correger opportunamente con la viva voce et amo-
nire con prudenza e discrettione nell' essercitio delle loro
cariche esso nostro figliuolo ; o per qiiello riguarda li gen-
tilhuomini serventi e precettore, se fosse stimato necessario,
l'avisarne il maggiordorao , acciö secondo la qualitä dell'
affare vagli rimediarvi o prenderne da noi o dalla nostra
Signora Consorte le ressolutioni.
Doverä parimente il maggiordomo non solo lui medemo 12
mantener presso ciascheduno la sua riputatione, ma pro-
curar che ciö osservino etiandio li camerieri e precettore,
e cooperare alla manutentione dell' authoritä e rispetto di
cadauno. E li sodetti camerieri e precettore riguarderano
di non rendersi troppo famigliari con persone di bassa
conditione: unitamente poi terrano cura, che tutta la
servitü di nostro %lio ne discorsi e sue attioni si portino
con modestia e senza scandalo, e cio tanto per il mante-
nimento della dovuta e necessaria reputatione del medemo,
quanto per proprio honore. II che e quanto riguarda ge-
ueralmente Tauthoritä e carica del maggiordomo.
Hör toccando in specie l'educatione et allievo di nostro 13
figlio, perche ogni bene vien dal cielo e la divotione e
timor di Dio e il fondamento e principio d'ogni buona
educatione e della sapienza, anche d'ogn' altra virtü, dono
e gratia , vogliamo percio e commandiamo primariamente,
che si debba principiare col radicar il timor di Dio et a
quello venga con diligenza e frequentemente amonito e
spesso e vivamente con saggie e ben fondate raggioni e
con essempii cavati si dall' historie sacre come profane
rimonstrato l'obligo, necessitä, utile e bellezza di questo et
all' incontro la deformitä del peccato et il gran danno si
temporal come eterno , che nasce da questo ; che venga
Bottmanner : Die Instruction des Kurfürsten Maximilian I 239
amaestrato et amonito ad un ordinata pietä e divotione si
la matina e sera come in ogn' altro tempo, all' udir quoti-
dianamente con singolare raodestia e riverenza la santa
messa , all' assistenza de divini officii , prediclie et altri
essercitii spirituali e saute fontioni : e come meglio singo-
larmente circa la division del giorno segue e diffusamente
appare dalla instruttione del suo confessore, e rispetto all'
altre regele da quella del precettore.
Acciö nostro figlio vivi tanto piü certo e sicuro nella 14
gratia di Diö et in tutte le siie attioni vagli tanto maggi-
ormente sperare la beneditione et assistenza del Signore,
doverä nella sua gioventü esser avezzato et indotto a fre-
quenti confessioni e penitenze e pratticar queste ordinaria-
raente ogni mese, sicome in tutte le feste maggiori e della
Beatissima Yergine con un confessore stabile , che doverä
esser della Societä di Giesü ; et il maggiordomo e precettore
doverä avvisar prima et avertir il confessore delli manca-
menti piü frequenti del medemo. Rispetto alla santa com-
munione ordinaremo opportunamente a suo tempo : intanto
doverä esser diligentemente instrutto et animato ad una
singolar divotione e veneratione del Santissimo Sacramento
e della Santissima Croce, come contrasegno gloriosissimo e
salutare della nostra redentione.
E perche noi et i nostri gloriosi antenati habbiamo 15
sempre nudrito singolar divotione, amor e confidenza alla
gloriosissima Regina de Cieli e Madre di Dio Maria e doppo
Dio havuto, riverito e ricconosciuto questa per la maggior
Protettrice e Patrona delf Elettorale nostra casa, sadditi e
paesi e tale quotidianamente l'isperiraentiamo : quindi e
nostra precisa intentione e commando, che il nostro caro
figlio Ferdinando in tutti li accidenti e bisogni venga ani-
mato continuamente et amonito ad una consimil divotione
e veneratione ferventissima di questa nostra Avvocata e
Protettrice; che non lasci mai transcorrer il segno dell'
17*
240 Sitzung der historischen Classe vom 2. November 1878.
Ave Maria senza publica divotione, e debba venerar la
Madonna Santissima tutti li sabbati e vigilie secondo l'in-
struttione del suo padre confessore. Subito poi che con
l'ajuto del cielo sarä arrivato a piü matura etä, sarä cura
di detto padre confessore il pensare che detto nostro figlio
venga aggregato alla Venerabile Congregatione dell' Annon-
ciatione della Beatissima Vergine et instrntto nella recitatione
deirofficii. Acciö facci le sue orationi con meglior attione
e maggior frutto tanto in chiesa come fuori, non se gli
tolerarä il correr o mirar in qua e lä ne il cianciare, e
sarä vietato et impedito tutto ciö che puö caggionar di-
strattione o dal maggiordomo o dal cameriere , uno de
quali doverä sempre essergli assistente nella chiesa e correger
le distrattioni et osservarä.
Tutto ciö che serve all' incitamento di Christiana di- 16
votione, come libri spirituali, pitture, Pater Noster, Agnus
Dei , reliquie e cose simili, doverä da nostro figlio esser
tenuto con ordine e valersi delli Agnus DEi con rivefenza.
Sebene per causa della sua gioventü e poca capacitä 17
non puö per anche apprender il vero frutto delle prediche
e promulgatione della parola di Dio , acciö nulladimeno
pian piano venga reso capace e stimolato ad una diligente
attentione, gli doverä ogni volta il maggiordomo, cameriere
o precettore, che fra il giorno vi sarä assistente, a tempo
opportuno raccontar succintamente qualche cosa della pre-
dica passata con addimandar all' incontro il figliuolo e
farsi raccontare quello vi haverä notato lui.
Quando il maggiordomo osservasse , che nostro figlio 18
nudrisse desiderio di qualche cosa honorata e riguardevole,
come di qualche regallo o cosa simile, ^e conoscesse ciö di
che vorebbe supplicarne noi o la nostra Signora Consorte
o altresi ott euere, se gli doverä insegnare, che tutto ciö
debba ricercare per via d'humiltä e divotione, come sarebbe
mediante la promessa di recitar certa oratione, et a con-
Bottmanner: Die Instruction des Kurfürsten Maximilian I 241
teütarsi, quando ben anche nou rottennesse, acciö s'avezzi
e sappi, che doverä ottenner ogni bene da Dio e con
opere sante.
Perche la conversatione di persone religiöse e divotel9
et il buon essempio de snperiori et altri, che vi si ritrovano
sempre assistenti, molto vagliono non solo per ravivar, ma
etiandio per mantener et accrescer la divotione e timor di
Dio : quindi ogni quäl volta lo darä Toccasione e che ciö
poträ seguire senza transcurar altre cose necessarie, procu-
rerä il maggiordomo , che da nostro figlio vengan persone
religiöse, singolarmente di quelle di qualche ordine, e che
discorrino seco di cose utili alla pietä, salute delP anima,
alla Cognition di Dio e suoi commandamenti ; e non solo
stesso fargli strada presso li divini ufficii et ogni altro
luogo con atti di edificatione e buon essempio, ma amonir
in ciö tutta l'altra servitü con scaciar, vietar et levar tutto
ciö che puö impedir il timor di Dio e riuscir di pregiudicio
air anima del figlio.
E perche la certa e vera veneratione e servitio di Dio 20
si ritrova solamente presso la Santa Catolica et Apostolica
Romana Chiesa e sua rehgione e fuori di questa non vi e
gratia, salute ne beatitudine, ma come fuori dell' arca di
Noe e ogni cosa diluvio di morte e dannatione eterna:
quindi nostro figliuolo, per quanto ama la gratia di Dio e
nostra come di padre e per quanto stima il sfugir le pene
temporali et eterne, si mantenirä constante sino all' ultimo
suo fine nella nostra vera santa, illuminante e salvificante
religion Catolica portataci dalli nostri gloriosi antecessori e
per singolar gratia di Dio intieramente conservata nelli nostri
stati, senza mancar mai in alcun modo dalla medema , col
tenersi sempre mai lontanissimo e separato da tutto ciö che
contraria la medema.
Perciö il maggiordomo come anche il cameriere e pre-21
cettore doverano cooperare a ciö con ogni diligenza e cura,
242 Sitzung der historischen Classe vom 2. November 1878.
pratticando tutto quello che in questo particolare puö ser-
vire ad una buona instruttione , col vietar seriamente al?
incontro tutto ciö che con discorsi, lettura, curiosi et inutili
trattati o scartafacci, dispute o in altra forma puö occupar
un animo giovanile altresi inclinato alla curiositä e per
opera dell' astuto Serpente ingannarlo presto, senza rispettar
o riguardar in ciö alcuno.
Doppo il timore di Dio e divotione segue la riverenza, 22
cordialitä, fedeltä et amore verso de genitori e quelli che
sono in luogo di Dio e de parenti: al quäle c'obliga ogni
lege naturale e divina. Perciö il maggiordomo , precettore
et altre persone assegnate a nostro figlio doveranno procurar
con ogni diligenza e far si che il medemo a noi et alla
nostra dilettissima Signora Consorte come a suoi cari geni-
tori facci conoscer in tutto ogni riverenza, amor figliale,
fedeltä et ubedienza, che in presenza nostra ci dimostri sin-
golar rispetto e riverenza col star sempre a capo scoperto,
quando noi non lo facessimo coprire, in che specialmente
doverä esser con ogni diligenza amaestrato dal maggiordomo
e precettore, considerando che doppo Dio egli da noi ha
ricevuto la vita et hereditato la sua gran nascita, conditione
e stato et ha da aspettare non solo ciö che serve al man-
tenimento di questo, ma anche altro sostentamento. Istes-
samente doverä portar il dovuto rispetto a prossimi con-
gionti, singolarmente al nostro Fratello Elettor di Colonia,
sicome al Duca Alberto et entrambi suoi figliuoli , come
quelli che si ritrovano quivi, e ben spesso presso d'esso
nostro figlio dimostrando loro ogni aiFettione e confidenza.
In luogo di Dio e de genitori sono etiandio quelli c'hanno 23
enra dell' anima, come i confessori et altri sacerdoti et
ecclesiastici ; poscia il maggiordomo, precettore e simili per-
sone sopraintendenti di nostro figlio, a quelli sicome a per-
sone attempate, massime a primarii del paese, a nostri prin-
cipali ministri e consiglieri, delli quali ci serviamo piü delli
Bottmanner: Die Instruction des Kurfürsten Maximilian I 243
altri per promover tanto meglio e felicitare li affari della
nostra regenza , secondo il stato di ciascheduno dimostrar
ogni rispetto, honor e cortesia e cosi far cosa grata tauto
a Dio quanto al mondo.
Col nostro figlio minore Massimigliano come con suo 24
fratello carnale viverä sempre con fraterna dilettione, con-
fidenza et unione, sfugirä tutto ciö clie puö caggionar colera,
disgusti e dissensioni, lo compatirä come piü giovine, piü
debile e meno intelligente, ne seco certarä in altro che nel
timor di Dio, virtü e dottrina : a ciö lo stimularä con lode-
voli essempi e con piacevoli documenti, ne lo doverä stimar
o tener per inferiore a se, ma considerarä sempre, clie di-
pende solamente dalli decreti e providenza divina, al quäle
di loro vogli compartir piii doni e gratie et in avenire la
snccession nel governo. Ladove il maggiordomo doverä tenir
cura singolare e saprä come impedir fra loro ogni scon-
certo et inconvenienza.
Come nel resto il nostro figlio Ferdinando si debba di- 25
portare opportunamente, cbristianamente e da principe con
il sno prossimo et ogn' altra persona di alta e bassa con-
ditione, lo ricaverä dalle virtü e buoni costumi. E sebene
la virtü e una tauto preggiata e bella cosa, che essalta
et adorna tutti li buomini, di qualonque grado o condi-
tione siino, s appartengono nulladimeno queste singolarmente
a principi, i quali vengono amoniti dal medemo titolo e
predicato ,,Serenissimo", che loro debbono fra tutti li
altri far risplendere le loro virtü. Perciö sicome nostro
figlio vien predicato col titolo di Serenissimo, cosi deve con
ogni diligenza e studio procurare di rendersi serenissimo e
splendidissimo nelle belle virtü e signoril costumi et acciö
con ogni cura amonirlo e disponerlo con tutti li mezzi op-
portun! il maggiordomo, impedendo e sradicando all' incontro
ogni impropietä e vitio punibile col impatronirsi bene a
quest' effetto dell' inclinaiioni e natura del medemo, e ten-
244 Sitzung der historischen Classe vom 2. November 1878.
dendo questa da se medema alle virtü confirmarla et asso-
darla, ma quando per fragilitä humana deviassero, con buoni
avertimenti , dottrina , essempi e disciplina ridurla e con-
servarla su la buona strada.
Principalmente doverä esso nostro figlio ben imprimersi 26
la veritä e costanza nelle parole, come qualitä desiderata
siügolarmente ne principi: istessamente la santa giustitia,
della quäle ne doverä a suo tempo render conto a Dio,
framiscbiandola perö sempre, per quanto poträ esser, e tem-
perandola con la misericordia. Parimente essercitarä la
benignitä, suavitä, compassione e caritä verso de poveri, e
doverä a suo tempo udir quelli clementemente e volentieri
ajutandoli nel medemo modo, come al tempo della necessitä
egli desiderarä esser essaudito et ajutato da Dio, che ciö
commanda.
Oltre di questo sono la generositä e mansuetudine e27
misura nel mangiar, bere e vestire, come anco la puritä della
mente virtü tali, senza le quali il governo d'un principe non puö
mai ben sussistere. Perciö nostro figlio doverä tempestivamente
esser essercitato in queste, onde dal maggiordomo doverä ben
spesso esser avertito, che in tutte le sue cose procuri di
operare con modestia, avertenza, rifiessione, sottigliezza,
perö con realtä, resolutione e constanza. E quando esso
nostro figlio si ritrova fra il giorno presso la Serenissima
nostra Consorte o in luogo, ove per altro si ritrovino donne,
doverä bensi il maggiordomo additargli, che con atti di mo-
destia lor facci il conveniente honore, perö anche avertire
di tenerlo, che ne in fatti ne in parole passi ad alcuna
particolar famigliaritä.
Fra le predette virtuose qualitä, le quali nel stato po- 28
litico sono utili 3 necessarie a tutti e singolarmente a gran
principi, la frugaütä e parsimonia non e l'inferiore, e molto
importa, che uno nella sua gioventü irapari e s'usi il tenir
cura del suo et il non Spender inutilmente e senza bisogno,
Bottmanner: Die Instruction des Kurfürsten Maximilian I 245
acciö parimente sappi ben valersi et impiegare ciö clie rice-
verä dalla bontä del Si^nore.
Doverä dunque il maggiordomo di nostro figlio instru- 29
irlo etiandio in questa virtü e dimostrargli spesso, quanto
sii pernitioso il vitio di chi noii ha cura delle sue cose ne
le conserva, ma fuori di proposito, fondamento e misura
dona ad altri ciö che a lui medemo bisogna, o in altra forma
inutilmente consuma: come all' incontro sii una virtü bella
e lodevole di chi si nell' isparmiare come nel spendere il
suo serva una tal misura, che senza raggiouevol causa non
sii troppo liberale e quando occorre e per altro la conve-
nienza lo richiede, non sii troppo parco.
L'humiltä, della quäle quivi si parla neir ultimo, do- 30
verebbe raggionevolmente preceder ogn' altra virtü, come
quella ch' e quasi l'anima delle medeme e lor da veramente
lo esser, virtü e vigore, e che accresce e nobilita tutte le
lodi d'un principe, senza la quäle anzi non puö un principe
elevar la mente ne al servitio di Dio ne ben ordinäre e
disporre le cose alli utili del suo stato. Si cava anche dalli
essempii e quotidiana isperienza , che gran potentati con
humanitä e cortesia si sono a loro grand' utile e vantaggio
guadagnato in tal modo et il cuore et animo delli huomini,
che cosi ottennero ciö che per altro lor non sarebbe riuscito :
e piü grande di conditione e stato ch' e il signore dotato
della Vera humiltä, tanto maggior e la lode e la gloria, che
gli acquista. Doverä perciö il maggiordomo raccommandar
singolarmente questa virtü e ben radicarla in nostro figlio
e mostrargli con bella maniera, quäl temperamento debba
opportunamente usar secondo il stato di ciascheduno, con
frequenti persuasioni, che ne da Dio ne dal mondo possa
ottenner cosa megliore per farsi stimar grande e riguarde-
vole che Tabassar et humiliar prima se stesso.
A nobili e belle virtü si conformano meritamente sin- 31
ceri e civili costumi et habilitä del corpo, singolarmente
246 Sitzung der historischen Classe vom 2. November 1878.
presso principi et altri personaggi di gran conditione, e
queste dauo la vera forma et appareuza a quelle nella me-
dema maniera, come quando si presenta una pregiatissima
o preciosissima gioja in un bei, artificioso e polito vaso.
Doverä perciö il maggiordomo procurar a tutto potere, che
questo si alla mensa come in conversationi et ogn' altro
affare, in parole e fatti si porti con modestia, prudenza e
civilmente, perö con attentione e riputatione, che aprendi
etiandio con diligenza et osservi opportuuamente l'usanze
e consuetudini della nostra corte, singolarmente quando in
questa si ritrovassero principi o altri gran personaggi, e
indaghi perche si osservi piü o meno con un e Taltro prin-
cipe e con ambasciadori, facendosi sopra di ciö informare.
Hör tutto ciö che generalmente potesse servire ad una 32
piü essata e melior iustruttione et coltura delle virtii e buo-
ni costumi in nostro figlio, sii con l'introduttione di per-
sone honorate, prudenti, dotte e virtuose, con utili conver-
sationi e discorsi^ con historie appropriate o con altri con-
simili mezzi pratticabili pratticato: et il maggiordomo non
mancherä in ciö di accudir in tutto alli utili e vantaggi
del figlio.
Doverä singolarmente esso maggiordomo usar la do-33
vuta diligenza nel procurar, che nostro figlio nelle conver-
sationi e discorsi sii animoso, perö anche cauto e prudente,
che volentieri discorri di cose sante, heroiche, politiche,
militari e d'altre consimili, le quali stanno bene in un prin-
cipe e l'aprofittano: ladove esso et altri che si ritroveranno
assistenti a nostro figlio, si nella recreatione come in altri
tempi opportuni usarano simili discorsi, col darne cosi oc-
casione e farne venir voglia anche al medemo , sendo che
l'isperienza insegna, esser tale l'indole nelli figli de principi,
che piü facilmente, piü volentieri e d'avantaggio apprendono
dalla conversation di persone discrete et erudite, dalli ama-
estramenti fatti con la viva voce e discorsi piacevoli con
Bottmanner: Die Instruction des Kurfürsten Maximilian I 247
ritener ciö e meglio applicarlo, che all' usanza delle schuole,
dalli libri, col continuo sedere, molesto e longo studiare.
Doverä nulladimeno osservare il maggiordomo, che niuno de
nostri camerieri, gentilhuomini serventi o consiglieri aulici,
del trattar e discrettione de quali non si sia ben sicuro, vi
si ingerisca, e niun altro, sia chi esser si voglia, senza la
precedente dovuta insinuatione de medemo e licenza d'esso
maggiordomo venga admesso a nostro figlio.
Acciö poi nostro figlio vagli aprofittarsi di ciö che cosi 34
vede, ode et apprende, e sappi por questo in atto prattico,
doverä il maggiordomo farlo pratticar spesso con persone
considerabili et intelligenti e ben conosciute, lasciandolo
conversar con medemi tanto nella sua presenza come anche
tal volta con persone di conosciuta discretione a solo : al
quäl eifetto le domenicÄe , giorni festivi , come anche li
giorni di lavoro, quando sarä commodo e senza transcurar
altre necessarie facende parerä al maggiordomo, verrä esso
figlio al nostro servitio, acciö cosi habbi la commoditä di
parlare e discorrere con li principali ministri, consiglieri
secreti et altri officieri presenti, e singolarmente anche con
persone forastiere di conto, che si potessero ritrovar in
anticamera. E quando vi fossero principi o altri personaggi
considerabili, il maggiordomo doverä prima opportunamente
informarlo, come a misura del stato di ciascheduno doverä
diportarsi con loro si ne discorsi come in altro, hör massime
nel principio, sinche divenga alquanto piü animoso e prat-
tico ; ne doverä dargli travaglio o lasciarsi divertire, quando
ben anche ciö paresse cosa dura al figlio e venisse tal volta
forse confuso, perche e meglio, che si rompa tempestiva-
mente il giaccio che doppo longo tempo e quando e troppo
tardo, o forse quando riesce ancor piü difFicile. E doverä
il maggiordomo osservarvi o con bella maniera e senza che
se n'aveda il figlio indagar da nostri ofi'icieri e consiglieri,
cd' quali nostro figlio parla a solo, come in simil conver-
248 Sitzimg der historischen Glasse vom 2. November 1878.
satione si sii diportato, et havendola passata beiie, lodar-
nelo per tanto meglio cosi animarlo ; ma quando in qualche
<;onto havesse sbagliato, non per questo si doverä diriderlo
per non renderlo piü arrossito, timido e men rissoluto, ma
dimonstrarglisi Terror e in privato con bella destrezza e
meglio informarlo.
Hör sicome noi speriamo, che nostro figlio sarä in 35
questa forma instruito et essercitato nel vero timor di Dio,
buone virtü e lodevoli costnmi, secondo ricerca ogni conve-
nienza, cosi e nostra seriosa intentione e commando, che
tutto ciö che gli puö riuscire contrario, pregiudiciale o d'im-
pedimento , o dar ansa et occasione a nostro figlio a cose
disdicevoli, venga oviato dal maggiordomo con soma dili-
genza , prudenza e cura ; e che non se gli toleri alcuna
buggia ne parola vitiosa o imprudente, niun"* alterigia ne su-
perbia, non la colera o malanimo, meno la superfluitä nel
mangiar e bevere, non prodigalitä ne leggierezza o altri
simili mali. Ne anche doverä dissimularsi o tolerarsi, che
quando forse nel discorso si mostrasse imprudente o spen-
sierato, ciö lo scusi o si discolpi col dire, che non Thabbi
pensato in questa forma, ma, come si e giä detto, doverä
in ogni modo esser amonito et avezzato , che ne suoi dis-
corsi sii veridico e sincero, e se pur conosce d'haver forse
mal parlato, ciö stesso in se emendi, senza glosare questo
et interpretarlo diversamente.
Nel medemo modo doverä avertire il maggiordomo, che 36
niun, al quäl non sii da fidare, con le genti di nostro figlio
s'ingerisca o porti avvisi ; ladove e da porsi l'occhio sopra
sconosciuti forestieri: item che forsi non vi capitino ridi-
coli, buffoni, ciarlatani o altra simil canaglia : e quando pur
per cause rilevanti fossero tal volta per admettersi, che
ciö non segua che con nostra presaputa e dando noi la li-
cenza, si usi in ciö tal prudenza e cautela, acciö non nasca
da questo alcun scandalo o altro male : che perö si com-
Bottmanner : Die Instruction des Kurfürsten Maximilian I 249
manderä seriamente al portiere, che nella camera o anti-
camere di nostro figlio uon lasci entrar alcuno se non quelli,
a qnali ciö s'aspetta , ma che stando in dubio, se ciö non
fosse specialmente stato commandato dal maggiordomo, debba
prendersi le deliberationi dal medemo. Avertirä special-
mente il maggiordomo di non admetter o lasciar passar,
ove sta alloggiato nostro figlio e suoi , alcuna dona sotto
qualonque pretesto, ne anche quelle, che hanno cura della
biancheria et altro : in che userä ogni particolar cura.
Alla presenza di nostro figlio non doveranno intro- 37
dursi discorsi vani, vitiosi o empii; alla mensa, quando per
accidente dovesse mangiar solo, et in altre conversationi
doveranno totalmente omettersi discorsi inutili e quelli rac-
conti , i quali non servono alla buona educatione d'un
principe.
II maggiordomo doverä haver sommamente a petto, che 38
a nostro figlio, da chi che sia, non venga data alcuna oc-
casione di dishonestä et altro simile, ne coramunicato alcun
libro pernicioso, canzone o altra cosa scandalosa.
Non doverä mai lasciarsi nostro figlio solo o con un39
solo giovine o servitore separato e meno ad un discorso
secreto, per quäl si sia causa, anche di necessitä, quando
al maggiordomo non consti, che nostro figlio presso quella
persona sii in buona custodia e senza pericolo ; ma doverä
sempre ritrovarvisi presente o almeno vicino esso maggior-
domo o 1 cameriere, che vi haverä quella settimana il ser-
vitio , o il precettore. Vietamo con ciö a nostro figlio il
commandar qualche cosa ad un ajutante di camera o altro
servitore o il mandarlo fuori senza la presaputa et assenso
del suo dirrettore, sicome giä e stato piü difFusamente pro-
visto neir instruttione camerale, alla quäle doveranno badar,
come si deve, i dirrettori e non permettere, che nostro figlio
si facci troppo famigliare co' servitori, ne questi molto con
il medemo conversino, scrivino lettere o dalla cittä portino
250 Sitzung der historischen Classe vom 2. November 1878.
avisi et intricchi o questi in altra forma mandino in qua e
la, invigilando sopra tutti e singolarmente sopra li ajutanti
di Camera, col osservar e per quanto sarä fattibile, inquirer
diligentemente sopra ogni lor' andamento et attione, insti-
tuendo specialmente il maggiordomo fra di loro ogni setti-
mana uu special e segreto essame, in modo che l'uno non
lo sappi deir altro, come in ogni luogo le cose passino, e
quello l'uno habbi osservato dell' altro da non potersene
render buon conto ; e di ciö che ritroverä di disdicevole, ne
darä li castighi, opportunamente ordinando et emendando
il tutto.
Perche anco niuna cosa serve di maggior occasione4:0
alli vitii, peccati et altre inconvenienze del maledetto otio,
il maggiordomo terra diligente cura, che nostro figlio mai
si ritrovi senza honesta occupatione, ma che impieghi tutto
il tempo con orationi, studii, essercitii approvati, utili con-
versationi, convenienti recreationi e se ne serva bene in
altro modo.
Perche poi anche Tallievo di nostro figlio Ferdinando 41
et il radicarvi virtü e buoni costumi dipende molto dalla
discretione, prudenza, maniere e procedere del maggiordomo,
delli camerieri, che suppliscono nell' altrui absenza, e del
precettore, come quelli che devono esser governatori d'ogni
sua attione : doveranno quesfci tanto rispetto a fatti come
alle parole ritrovar un hello, maturo, costante, grave e ben
discreto modo d'operar con nostro figlio, scansar, per quanto
si poträ, il molto contendere e gridare, acciö non si avezzi
alle reppliche et al far nuove parole.
Tutte i'essortationi et amonitioni doveranno farsi in 42
tal occasione e tempo, quando lo giudicheranno al meglio
disposto , acciö che il tutto facci maggior impressione e
frutto. Non doveranno anche publicamente confonderlo, ma
quando pure fosse necessaria qualche correttione in pre-
senza d'altri, ciö farlo co' qualche giesto o cosi piano, che
Bottmanner: Die Instruction des Kurfürsten Maximilian I 251
niuno cle circonstanti sene aveda. In che con la loro dis-
cretione doveranno ben ponderare, se tal volta con lodi e
buone parole non sii per ottenersi meglio e piü facilmente
d'avantaggio o il medemo, che per altro si procura con re-
prensioni e rigoroso procedere. In caso perö che lo ritro-
vassero d'altra dispositione, procederano a dritura e secondo
la loro instruttione con avertir etiandio a se medemi, acciö
ne in fatti ne in parole alla presenza di esso lascino apparir
cosa disdicevole, non gran colera, rancore o insolita melan-
colia, che vagli istessamente alterarlo o moverlo a nojosi
e sinistri pensieri.
Sicome non devono tolerar nel medemo Tusar sopra- 43
nomi, parole piccanti et indecenti contro servitori o alcun
altro, cosi doveranno astenersi di usarne anche essi contro
il medemo o in sua presenza contro d'altri, molto meno
batterlo o urtarlo, ma quando contr' ogni nostra speranza
facesse qualche gran e considerabil mancamento , prender
da noi o nostra Signora Consorte le rissolutioni rispetto al
castigo.
Quando fors' anche via da questo in qualche cosa si44
riferisse a noi , procederano nulladimeno , come si deve, a
dritura contra del medemo, sin tanto che da noi ne rice-
vano altro comando, ne per le sue richieste et instanze do-
veranno facilmente deviare dalle loro instruttioni o da ciö
che per altro giudicano di suo utile e vantaggio, meno at-
terirsi o dimostrarsi timidi, quando ben anche usasse contro
di loro parole minacianti, il che pure non deve mai suc-
cedere, perche ciö assolutamente gli prohibimo e ne lo
vogliamo castigar severamente,
Doveranno perciö tempestivamente persuaderlo, che con- 45
sideri e sappi, che ogni suo far e dire in virtü del lor giu-
ramento devono riferirlo a noi e nostra Signora Consorte,
ne mai promettergli, che vogliuo di lui tacer qualche cosa,
ma lasciarsi tempestivamente intendere, che non siino per
252 Sitzung der historischen Classe vom 2. November 1878.
ajutarlo ancorche ad una minima cosa clie disdica, meno
dissimularla , ma che sono sempre et in tiitti li casi per
haver riguardo a Dio , alla loro conscienza, giuramento e
commandi, e precisamente al suo vero, fermo, temporal et
eterno bene, di che a suo tempo, quando haverä perfetto il
giudicio, li ringratiarä gr andemente, e per il contrario esser
per riuscir tardo il pentimento et incolpar loro avanti Dio
e se medemo.
Quanto a studii li rimettiamo intieramente alla parti-46
colar instruttione del precettore, copia della quäle vien con-
segnata al maggiordomo per sua informatione ; e perche
habbi l'occhio, che venga diligentemente osservata. In questa
secondo il bisogno si contiene precisamente, quali precetti
et arti debban assignarsi a nostro figlio per impararli, quali
authori gli doveranno esser letti, come da una disciplina e
scienza doverä far il passaggio all' altra. Hör quivi e sol
in genere nostra intentione e commando, al quäle il mag-
giordomo doverä con ogni diligenza accudire, che nostro
figlio mediante una buona e fondamental dottrina nell' ora-
tione catholica et in altre opere et essercitii santi venga prin-
cipalmente amaestrato nella lingua latina, poscia essercitato
neir historie e cose politiche come quelle che singolarmente
ad un principe regnante sono utili e necessarie, e dechiarato
etiandio ciö che puö servire a questo studio con altre scienze
ad un principe confacevoli, cioe la cosmographia, geometria,
mathematica, arithmetica e simili, et in quelle con necessarie
instruttioni e buon fondamento iustituito.
Fra l'altri studii di nostro figliuolo se gli doverä eti- 47
audio dechiarar le lingue italiana, francese e spagnola, cui
gli servino tanto per il discorso quanto per lo scrivere, al
quäl effetto gli manteniremo un particolar maestro di lin-
gue, acciö lo instruisca nell' infradesignate höre e tempo :
acciö perö le apprenda tanto piü facilmente e presto, il
maggiordomo et altri intendenti delle lingue, che sono asai-
Bottmanner: Die Instruction des Kurfürsten Maximilian I 253
stenti a nostro figlio , subito clie questo vi haverä fatto
qualche profitto , procurerano con diligenza di essercitarlo
e di perfettionarlo sempre piü ipso usii.
Perche poi anche non contraria alla riputatione d'au48
principe, ma gli serve piü tosto di ornato e riesce per ogni
verso utile , anzi in un certo modo necessario , che habbi
intelligenza nelP architettura, pittura, giojelaria e nell' arti
d'orefici e stuccatori et altre consimili cose mecbaniche, e
ne discorra non solo di ciascheduna co' proprii e dovuti
termini, ma etiandio con giudicio, e questo debba servirgli
di recreatione : quindi il maggiordomo di nostro figliuolo gli
farä a ciö animo admettendogli a certi tempi persone in
simiii scienze et arti ben fondate, di stima e valore, ma di
conosciute buone qualitä e costumi, et affatticandosi acciö
detto nostro figlio n'acquisti buona peritia e cognitione e
se ne possi a suo tempo servire : con questo perö cbe in
ciö non si passino i limiti, ne fuor di tempo o con lasciar
il piü necessario venga a ciö applicato, meno in questa
forma sii data occasione a qualche disordinata brama, spesa,
inutile curiositä o ad altro che potesse contrariar alle virtü
e buoni costumi: ma si proceda per ogni verso con la do-
vuta riflessione, nostra presaputa e secondo la capacitä di
nostro figlio, e ciö servi per l'hore della recreatione.
E perche con li studii et altre cose serie, che fattigano49
l'animo e Tintelletto, per una necessaria variatione si ricer-
cano etiandio honeste recreationi et utili essercitii del corpo
e deir animo, come quelli che piacevolmente contemperano
le fatticose attioni dell' huomo e lo fanno piü habile e du-
rabile nella reassuntione de medemi, anche per il manteni-
mento delle forze e della salute , come pure perche molto
servono all' assetamento e buon portamento della vita e
sono in parte necessarie, lodevoli e decorose in un principe :
admettiamo perciö a nostro figlio non solo tutto ciö che di
sopra si e detto delle cose mechaniche, ma etiandio e prin-
[1878. T. Philos.-philol.-hist. Cl. Bd II. 2.] 18
254 Sitzung der historischen Classe vom 2. November 1878.
cipalmeiite , che vagli essercitarsi e recrearsi nel schermire,
cavalcare, ballare, giochi di palla e pallamaglio , item nel
mistier della caccia, nelli giochi della tavola e scacchi, come
pure uel sbarro d'arcobuggi et azzaio, nelP uccellare, volo
de falconi, pesche et altro consimile : il tutto perö a suo
tempo secondo l'etä e possibilitä del medemo e con la do-
vuta misura e prudenza, avertendo specialmente esso mag-
giordomo, che non si facci troppo grande Tansietä della
caccia e radicata e che l'affetto a simili cosi non facci posporre
e transcurare le fontioni necessarie, ne mai permetta, che
nostro figlio nelle stanze di sua habitatione tenga arcobuggi,
battifuoghi, polvere o altra cosa pericolosa. Doverä istes-
samente essergli vietato il lotar con pericolo , nuotare , il
correr fortemente e lontano et altro consimile che apporta
pericoli e disdicesi in un principe.
Vogliamo efciandio, che nostro figlio col tempo e quando 50
vi haverä le forze, venga instrutto in ogni sorte d'esser-
citii cavallereschi, come uel correr all' annello e quintana,
ue tornei a piedi, nel raaneggio e giochi di picea, perö con
la predetta moderatione, e piü perche sappi il modo di ser-
virsene e pratticarli, che perche debba tarne professione.
Sebene e anche ispediente e necessario, che venga dis- 5 1
segnato il tempo et höre precise per li studii, altri esser-
citii e recreationi, di che qui a basso ne vien fatta special
mentione, potiamo nulladimeno ben figurarci, che non poträ
cosi strettamente venir osservato, massime nelli essercitii e
variatione de medemi. Rimettiamo percio alla discretione
del maggiordomo e precettore il commutar tal volta il gior-
no e l'hore di uno nell'' altro et il dispensarle secondo
il tempo e varietä delle staggioni, delli giorni festivi o di
lavoro e della dispositione del corpo del figliuolo o per quello
richiederä la presenza delle persone et altre considerationi,
come pure l'eleger, secondo lor parerä, un giorno di riposo
ogni settimana, mentre non vi corra giorno di festa. Di
Bottmanner : Die Instruction des Kürfürsten Maximilian I 255
questo perö il maggiordomo dovera ricercare spesso da noi
o dalla nostra Signora Consorte li nostri piacinienti e dando
la relatione circa li portamenti del figliuolo tanto ne stadii
come nelli essercitii et altre cose permessegli udire le nostre
deliberationi intorno a ciö che resterä poi da farsi, Dovera
perö anche serapre osservare, che quando nostro figlio nel
tempo de studii sarä con noi condotto a spasso o haverä
qualche altra vacanza, venga risarcito ciö che haverä negletto
ne studii, nelle sussequenti höre di ricreatione.
Oltre di ciö tanto il maggiordomo come il precettore e 52
camerieri, quali in ciö doveranno corrisponder assieme dili-
gentemente, haveranno singular cnra della salute di nostro
figlio et a tutto ciö che riguarda nna buona conservatione
della medema, vietandogli cibi malsani e frutti et ordinando
col dovuto riguardo alla medema tanto li studii come li
altri essercitii e recreationi et altro in modo che tutto ciö
che puö riuscirgli di danno, venga impedito et all' incontro
ordinato e procurato tutto quello che puö servirgli di pro-
fitto ; e perche ciö tanto meglio venga effettuato, doverano
sempre badare alla complession et ogni attione del medemo,
quando dorme, quando vigila, quando mangia e beve, e con-
formarsi all' instruttione per tal rispetto concepita da nostri
medici di camera : ne studii singolarmente dovera osservarsi,
che venga interpreso ciö che [di]serve per essercltio della
memoria, la matina e subito il doppo pranso ; e quando fa
gran caldo, non venga interpreso niun affar yiolento; et in
tutti li essercitii del corpo, da quali potrebber nascer danni
al medemo et infermitä, riguardare, che nostro figliuolo non
usi troppo violenza, e quando forse si riscaldasse, col mu-
tarsi de panni vagli pian piano rinfrescarsi.
E perche per conservatione della salute e molto utile 53
un viver aggiustato e la ordinatione d'ogni affare in deter-
minate höre del giorao riesce di grandissimo stimolo alli
affari medemi : quindi il maggiordomo, precettore e camerieri,
18*
256 Sitzung der historischen Glasse vom 2. November 1878.
ciascheduno secondo Topportunitä de loro officii e cariche,
attenderano diligentemente e procureranno di tenir in buon
ordine non solo nostro figliuolo, ma anche altri con il me-
demo. E seben in ciö non puö esser prescritta una certa,
universale e stabile regola, ma doverä mutarsi bor V un'
bor Taltra cosa secondo cbe portarä Toccasione: vogliarao
nulladimeno e commandiamo benign amen te, cbe quando non
vi saranno singolar impedimenti e riguardi, cbe con nostro
figliuolo debba diligentemente e continuamente, per quanto
sarä possibile, osservarsi pontualmente il seguente ordine e
ripartition del giorno, ne facilmente in alcun conto riceder
da questa.
Doverä dunque la mattina levarsi alle 6 bore dal letto : 54
e quando in absenza del raaggiordomo esso a quell' bora
tuttora dormisse, il cameriere e precettore, cbe dormono
nella camera del medemo , modestamente svegliarlo, amae-
strandolo et essortandolo con ogni assiduitä, cbe debba
sempre inalzar il suo primo pensiero a Dio : e subito cbe
sarä destato , si premunisca in letto col reiterato segno
della Santa croce. Hör quando baverä termiuato di vestirsi
e di pulirsi, si portarä subito nel suo oratorio, ove per un
quarto d'bora con la dovuta divotione farä le sue orationi
matutine, senza cbe avanti in alcun luogo principii o inter-
prenda cosa ver' una: acciö cosi dalla santa oratione il gior-
no sortisca un fortunato principio e venga prosperamente
incaminato ; e queste orationi saranno prescritte e di quand'
in quando Ordinate secondo il bisogno e capacitä del figli-
uolo dal suo padre confessore. Un quarto avanti le sette
prenderä il suo brodo e poi udirä la santissima messa, fa-
cendo sotto quella le sue divotioni senza tralasciarvi mai
giorno, eccettuato la dominica o li festivi, quando assiste
alla predica e messa cantata. Doppo la messa darä prin-
cipio al studio, premetteudo una breve oratione, cioe »Veni,
sancte Spiritus, reple tuorum corda fidelium etc.« o »Actiones
Rottmanner: Die Instruction des Kurfürsten Maximilian I 257
nostras, quaesumus, Domine etc.«, e lo contiuuerä sino alle
9 höre.
Dalle 9 höre sino a mezzo le dieci doverä amaestrarsi55
nella scherma e ballo , alternando questi essercitii ogni
giorno.
Alle 10 höre servirä noi e la nostra Signora Consorte 56
sino alla mensa; e doppo il mangiare ci resterä appresso
sino alle dodeci incirca o sino a tanto che noi medemi
gli daremo licenza di partirsi.
GH vien poscia concessa recreatione sino all' un' hora, 57
quäle sarä impiegata secondo la discretione e parere del
maggiordonio con lento passeggio nella stanza o in altro
luogo della nostra residenza o anche secondo la constitutione
del tempo nel giardino con allegra, utile et essemplar con-
versatione , overo con qualche leggier essercitio, quäle non
ricerchi con violente commotione del corpo.
Air una e mezzo si darä nuovamente principio al studio 58
e si continuerä sino alle tre.
Da questa hora sino alle cinque höre poträ instruirsi59
nelle lingue francese, spagnola et italiana, come anche nelle
cose mechaniche, con applicar et divider questo tempo se-
condo r opportun itä.
Doppo di questo sarä nuovamente recreatione sino alle 60
6 e poträ fra tanto pro ratione temporis intraprendersi
qualche essercitio, recitando prima della mensa second' il
consueto quotidianamente il rosario. Avicinando le 6 do-
verä nuovamente servir noi e la nostra Signora Consorte
alla mensa et doppo la cena restar presso di noi sino alle
7 overo 8 höre, secondo che noi gli commandaremo di
fermarsi.
Hör quando haverä da noi ottennuto licenza di partire,61
o che si recrearä come doppo il pranso con modesto pas-
seggio e buona conversatione e singolarmente col rifletter a
ciö che nel passato giorno haverä appreso si nelli studii et
258 Sitzung der historischen Classe vom 2. Novemher 1878.
altri essercitii , se vi sarä tempo in avantaggio ; o che, se
si avicinasse il tempo dell' oratione e di andar a dormire,
legerä qualche cosa spirituale e fra Taltre le commemora-
tioni delle vite de santi di quel giorno, portandosi poscia
al riposo, concludendo il giorno con Toratione e ringratia-
menti a Dio per li beneficii e gratie ricevute, come ogni
volta gli sarä prescritto dal confessore , e finalmente col
quotidiano essame di conscienza, che da lui non doverä mai
esser tralasciato, regolando in modo tale si l'oratione come
il spogliarsi, che alle 9 bore possa gir a letto. Avanti
perö che si spogli, recitarä con le sue genti le Litanie Lau-
retane et usarä la medema divotione nel corcarsi come nel
levarsi, si che Tultimo suo pensiere sii del Signore Dio.
Ancorche nelli prescritti ordini oltre il schermir e dan- 62
zare non sii stato statiiito cosa sicura rispetto alli essercitii,
ma siamo per dar successivamente li ordini , come oppor-
tunaraeute et in quäl giorno et hora debba intraprendersi
una cosa doppo l'altra : e nulladimeno nostra inten tione,
che a nostro figlio per questa volta debba incomber princi-
palmente il cavalcare, e debba almeno due volte alla setti-
mana, cioe il martedi e giovedi, portarsi alla cavallerizza,
e sarä cura singulare del nostro granscudiere l'avertire, che
nostro figlio in questo essercitio per via di qualche sforzo
straordinario del corpo non riceva alcun nuocumento o danno.
Ciö che il maggiordomo haverä da osservare intorno63
alle gioje , vestimenti et altri utensili di nostro figlio, si
contiene sufficientemente nell' ordine et instruttione camerale,
alla quäle in ciö lo rimettiamo. Ci promettiamo percio non
solo come padre, che da nostro figliuolo debba con ogni
accuratezza esseguirsi tutto ciö che si e predetto, mentre e
nostra precisa intentione e commando, che acciö intorno a suoi
portamenti habbi meglior informatione e quasi una sicura
regola e filo per ordinär le sue attioni, gli vengan fatti e
consegnati certi estratti si dell' instruttioni del maggiordomo
Mottmcunier: Die histniction des Kurfürsten Maximilian I 259
come del precettore e clelli ordini camerali, per quauto con-
vien, che sappi per suo utile , affinche come certa regola e
modo di vivere con frequente lettura e matura riflessione
l'imprimi nella sua memoria, anzi nel suo animo, quella
habbi sempre avanti Tocchi et a quella si conformi : ma
commandiamo in virtü di questo etiandio unitamente, nuova-
meute e nel di piii al suo maggiordomo , che niente meno
si conformi con ogni dovuta fedeltä, diligenza e potere e
secondo il giuramento da lui prestato a tutti li preaccennati
articoli e generalmente a tutto ciö che puö ridondar a pia-
cimento nostro e della nostra Signora Consorte, utili e van-
taggi del figlio , e che riuscendoli qualche cosa difficile o
che per altro tale, che habbi bisogno di sentir la nostra in-
tentione, debba insinuarsi presso di noi per riceverla : e quello
noi poscia in ciö gli commandaremo con la viva voce o alla
presente instruttioue in avenire di nuovo aggiongeremo in
scritto, debba parimente osservarlo et esseguirlo e senza
nostra special presaputa fuori d'un' inevitabile necessita da
ciö non discostarsi , ne in ciö da alcuno lasciarsi impedire,
avertendolo per fine e di bei nuovo dell' importanza della sua
caricha e ravivandogli la singolar conlidenza, che in lui te-
nemo, acciö vagli di tutto renderne buon conto a Dio, a noi
e nostri e riportarne dall' onnipotente Signore e noi il guider-
done dovuto : in che pure non poniamo nel medemo alcuna
diffidanza o dubio.
AI quäl fine habbiamo fatto consegnare ad esso Barone 64
di Metternich come a maggiordomo da noi deputato a nostro
figlio Ferdinando et obligato questa instruttione con nostra
sottoscrittione e firma.
In Basserburgo il primo Decembre 1646.
Herr Cornelius hielt einen Vortrag über den angeb-
lichen politischen Charakter des Processes gegen
Michael Servet in Genf im Jahre 1553.
Sitzung vom 7. December 1878.
Philosophisch-philologische Classe.
Durch den Classensecretär wurde vorgelegt eine Ab-
handlung des Herrn G. F. Unger:
„Der Eridanos in Venetien.'*
In den Strom Eridanos stürzte, wie der Mythos er-
zählt, der Heliossohn Phaethon , als der Blitzstrahl des Zeus
ihn traf; an den Gestaden seiner Mündung beweinten die
Schwestern den Unglücklichen so lange, bis die erbarmende
Gottheit sie in Schwarzpappeln verwandelte; ihre noch
immer fliessenden Thränen erhärtete die Sonne zum gold-
strahlenden Bernstein. Da den Alten ihre Mythen, so lange
sie an die Götter glaubten, als Geschichte galten, so müssen
sie den Eridanos für einen wirklichen, irgendwo nachweis-
baren Fluss gehalten haben ; dies ist auch der Fall gewesen,
aber der herkömmlichen Ansicht zufolge waren sie über
seinen späteren Namen nicht einig und dachten manche
an einen Strom des Nordens, andere an den Rhone, die
meisten an den Po. Da somit die alten Schriftsteller über
die Lage des Flusses selbst uneins sind, da der Name des-
selben acht griechisch (ihn führte ein Bach bei Athen) und
sein frühestes Vorkommen in der Literatur (bei Hesiodos)
mit einem Mythos, eben der Sage von Phaethon, verknüpft
262 Sitzung der phüoii.-jiifiüol. Clüsi^e oom 7. Decemher 1878.
ist; da ferner am Po und am Rhone nach den theils aus-
drücklichen theils indirekten Zeugnissen eines Herodot, Diodor,
Plinius und Lucian kein Bernstein zu finden war und dieses
Baumharz nicht der Schwarzpappel sondern einer unter-
gegangenen Tannenart angehört : so ist man , scheint es,
vollauf berechtigt den Bernsteinfluss Eridanos zum Welt-
strom Okeanos und den Hyperboreern in's Reich der Fabel
zu verweisen, um so mehr als schon im Alterthum von
Herodot, Aratos und Strabon die Existenz desselben ent-
schieden geleugnet worden ist.
Der Eridanos gilt für einen mythischen Fluss und ein
Versuch, ihm eine Stelle auf Erden anzuweisen, kann wenig
auf Theilnahme und Ermunterung rechnen, üoch an Eines
darf erinnert werden : die für die jetzt herrschende Ansicht
massgebend gewordene Darlegung von Joh. Heinr. Voss in
der Alten Weltkunde ist schon 1804 erschienen, und der
einzige Forscher , welcher sich seitdem selbständig und er-
folgreich auf diesem Gebiete bewegte, Karl Müllenhoif
(Deutsche Alterthumskunde I 212 flF.) hat sein Augenmerk
mehr auf Pytheas und die den nordischen Bernstein betref-
fenden Fragen gerichtet, in Sachen des Eridanos aber sich
ausgesprochener Massen im Wesentlichen an Voss ange-
schlossen. Eine Revision der einschlägigen Stellen schien
daher nicht unzeitgemäss und sie ist auch, wie uns be-
dünken will, nicht ergebnisslos geblieben. Vorliegende
Auseinandersetzung will den Beweis erbringen : dass mit
Ausnahme weniger , durch falsche Auslegung ihrer Quelle
auf Abwege gerathener Schriftsteller die Alten überein-
stimmend den Eridanos für einen Fluss Oberitaliens gehalten
haben ; eigentlich jedoch nicht für den Po selbst , welcher
erst in der alexandrinischen Periode durch ein leicht er-
klärliches Missverständniss zu jener Benennung kam, sondern
für einen im Podelta mündenden Fluss Venetiens; endlich
dass Eridanos nur eine Hellenisirung des einheimischen
G. F. ünger: Der Eridanos in Venetien. 263
Namens ist, welcher sowohl Eretenos als Reteno lautete
und in regelrecht modernisirter Form noch jetzt den Ober-
lauf des Flusses bezeichnet.
Die hie und da auftretende Ansicht, dass die Benenn-
ungen Eridanos und Padus sich zu einander ähnlich ver-
halten wie die Namen Istros und Danubius, dass die erste
ursprünglich und vorzugsweise den Griechen, die andre den
Lateinern eigen sei, ist schon im Alterthum ausgesprochen
worden, s. Plinius hi^t. nat. III 117 Padus Graecis dictus
Eridanus; XXXVII 31 electrum fundere Eridanum quem
Padum vocamus dixere Aeschylus Philoxeuus etc. ; Solinus
2,25 Padus a Graecis dictus Eridanus; Hyginus fab. 154
hie amnis a Graecis Eridanus dictus. In der That wird
von den griechischen Schriftstellern der Kaiserzeit der Po
fast constant Eridanos genannt und zwar nicht bloss von
Dichtern und Literaten sondern auch von Geschichtschreibern,
Geographen und andern Vertretern der trockenen Prosa ^)
wie Aelianus hist. anim. XIV 29 £v^a 6 Tavagog ytal 6
^Hqiöavdg GVfÄßdXXeTOv ; XLV 8 (s. u.) ; Agathemeros II 10
alXoL f^eydXoL nozaiLwl ^HQiöavog ycal ol df.i(pl '^Podavov ;
Herodianus VIII 7 ccTto rr^g ^Faßivv^]g aqag eTtiorr] ^KvXrjla
diaßdg tcc zerdyrj a vno ^Hqidavov nXrjQOVf^eva eTiid oto-
fxaoiv eg ^aXaTTav SAxelrai ; Dio Cassius XXXVII 9 oi
rifxrjral 7ieQl zwv vjteQ tov ^HQiöavov oIkovvtwv (de Trans-
padanis) ÖLOiyiovvTeg ; XLI 36 FaXaraig xdlg svTog twv
Z4X7tswv VTTSQ TOV ^HQiöavov olxovoi ; Zosimos V 37 tag
€7T€%eiva TOV ^HgiSavov xeif^ievag TtöXug AXtwov Kai Kqe-
(Acova u. a. Zwar gebraucht Plutarch im Caesar 20. 25
und Marcellus 6, ebenso Appianus Hannib. 5. 7 fg. den
Namen Padus; aber aus Plut. im Marius 24 diaßdg tov
1) Dies bemerkt auch C. Müller zum Skylax § 19, übersieht aber
die Zeitgrenzen dieses Gebrauchs und gelangt dadurch zu einer falschen
Erklärung der citirten Stelle.
264 Sitzung der pldlos.-i)hilol. Classe vom 7. Decemher 1878.
^Hqidavov eiQyeiv STteiQccto Ttjg svTog 'iTallag tovg ßaqßä-
qovg ; Otho 5 h Bgi^ilo) tveqI tov ^Hqiöavov EXeicpd^rj ; 1 1
Tteql TOV ^Hgidarov dycova yeviod^ai und aus App. b. civ. I
109 d^cpl Toig Ttrjyaig tov ts ^Podavov yial ^HQiSavov ist zu
schliessen, dass sie die Bezeichnung Padus der Benützung
lateinischer Quellen verdanken ; eine ähnliche Erklärung gilt
für Ptolemaios geogr. III 1,24.
In der griechischen Prosa jedoch ist dieser Sprachge-
brauch erst zur Kaiserzeit herrschend geworden; noch mehr:
er ist in jener erst von da an nachweisbar. Noch zu An-
fang der Regierung des Tiberius braucht Strabon keine
andere Benennung vom Po als Pados ; im Jahr 7 v. Ch.
schreibt Dionysios von Halikarnassos ant. rom. I 18 ^Qog
€vl TCüv TOV Uadov GTO/AaTcov OQ/^iiGa/iisvoi ^TtivrJTL KaXov-
fisvco; bald nach Caesars Tod Diodoros V 23 Oaf-^'OVTog
TieoovTog Tcqog Tag eKßoXdg tov vvv Uddov y,aXov/^€vov Tto-
TaiLiov, t6 Si naXaLOv ^Hqiöavov TTQOoayoQevofxevov ^) ; Me-
trodoros von Skepsis, der im J. 70 von Mithridates getödtet
wurde, erklärt bei Plinius bist TU 122 den Namen Padus
aus dem Gallischen und führt die ligurische Benennung
Bodincus an; Polybios , am 130, nennt den Strom nur
Pados. Aus einem Gewährsmann dieser früheren Zeit hat
wohl auch Arrianus bei Eustath. zu Dion. Per. 378 ^Evbtol
(pyJaS-rjoav ftqdg Tldöto tm TioTafxuj ytai t^ eTviy^wqia yXijJTTiß
BsvcTol ig TovTo etl KkrjlCovTai geschöpft.
Den meisten von diesen Schriftstellern war auch die
Benennung Eridanos für den Po bekannt: aus Diodoros a.
1) Diodor a. a. 0. leugnet nicht , wie Müllenhoif D. A. 474 be-
hauptet, dass die Sage von Phaethon und dem Bernsteinfluss Eridanos
den Po angeht, sondern, dass an dem jetzt Padus genannten Eridanos
der Bernstein gefunden werde; er hält wie andere den alten Eridanos
für den Po und glaubt , dass dort die Sage von Phaethon und dem
Bernstein spielt, leugnet aber, dass an der Sage etwas Wahres ist.
G. F. Unger: Der Eridanos in Venetien. 265
a. 0. und Appianus b. civ. I 109 Ilaöog dvri ^Hqidavov
l^iezoroj-iaGd^elg ist zn erkeniieE, dass man den ursprünglichen
und eigentlichen Nameu wieder in sein Recht einzusetzen
meinte, wenn man sich der Form Eridauos bediente, und
aus Polyb. II 16,6 6 IlaSog 7toTaj^i6g vjto 08 rcov 7coli]tcov
^Hqiöavog ^QvlXovjiievog schliessen wir, dass der Anstoss zn
dieser Neuerung von den Dichtern ausgegangen war: durch
das Ueber wiegen der schönen Literatur wurde darin in der
Kaiserzeit der aus Büchern hervorgesuchte Name zur stehen-
den Bezeichnung im allgemeinen Sprachgebrauch der grie-
chischen Schriftsteller. Der erste, bei welchem sich derselbe
nachweisen lässt , ist Apollonios von Rhodos , im Anfang
des zweiten Jahrhunderts vor Christus (Argon. IV 596. 610.
623. 628) ; ob vor den Alexandrinern in der Poesie der
Name vom Po gebraucht worden ist, erscheint uns zweifel-
haft : ein sicherer Schluss ist aus den Worten des Polybios
bloss auf die seiner Zeit am nächsten stehenden Dichter zu
ziehen. Durch den Einfluss der Alexandriner ging dann
der Sprachgebrauch auch auf lateinische Dichter über, unter
welchen hier vor allen Vergilius zu nennen ist, georg. I
482 fluviorum rex Eridanus ; IV 372 gemina auratus taurino
cornua vultu Eridanus, quo non alius per pinguia cultu in
mare purpureum violentior effluit amnis ; ferner Lucanus II
409 — 418; Claudianus IV consul. Honor. 17; VI consul.
Hon. 149 u. a. Aber ein grosser Theil derselben hat sich,
wie wir unten sehen werden, von dieser Neuerung fern
gehalten.
Nicht für den Po selbst sondern für einen Nachbar-
fluss desselben haben die alten Geographen und Historiker^)
den Eridanos gehalten: dafür bürgt uns das bestimmte
1) Den Theoporapos ausgenommen , falls diesem , worauf manche
Anzeichen zu führen scheinen, Apollonios seine Angaben über den Eri-
danos verdankt (p. 291).
266 Sitzung der philos.-phüol. Classe vom 7. Decemher 1878.
Zeugniss eines Schriftstellers, welcher mit der einschlägigen
Literatur innig vertraut war, des Strabon V 1,9 "HQiSavov,
nlrjüLov lov Ilaöov leyo/xevov. Jener Nachbarfluss stand
aber mit dem Po derartig in Zusammenhang, dass sein Aus-
fluss für eine von den Pomündungen gehalten werden konnte
und auch von Manchen dafür erklärt worden ist, und da
die Sage vom Sturze Phaethons gerade an der Mündung
des Eridanos spielt, so begreift es sich leicht, wie man
schliesslich dazu kommen konnte, den vielgefeierten und bei
seiner grossen Entfernung von Hellas ebendesswegen auch
wohl unwillkürlich für einen grossen Strom gehaltenen Eri-
danos ganz mit dem grössten FJuss jener Gegend zu iden-
tificiren. Als in der Kaiserzeit diese Confusion bereits über-
hand genommen hatte, wurde durch sie auch die Erklärung
der alten Schriftsteller beeinflusst und es ist daher keines-
wegs sicher, ob Aischylos Euripides Philoxenos und die
andern Dichter, welchen Plinius XXX VlI 31 (Phaethontis
sorores fletu mutatas in arbores popalos lacrimas electrum
fundere iuxta Eridanum amnem quem Padum vocamus et
electrum vocatum plurimi poetae dixere primique ut arbitror
Aeschylus Philoxenus Nicander Euripides Satyrus) Gleich-
setzung des Eridanos mit dem Po zuschreibt, dieselbe auch
wirklich sämmtlich angestellt und nicht vielmehr an einen
Seitenfluss des letzteren gedacht haben. In Betreff des
Aischylos erkennen wir aus dem Fragment der Heliaden
bei Bekker Anekd. 346 , 10 "AÖQLavai Te yvvalxeg rqoTtov
e^ovöi yowv und in Bezug auf Euripides aus Hippol. 735
cqd-eiiqv eitl jiovtlov xvfza xoq y^ÖQirjväg axzäg HqiSavov
'S-'vöcoQ, evd-a Ttoqcpvqeov GTaXaGGovo'' elg oidfia jtazQog tqi-
raXatvai TioqaL (Daid-ovTog oXi^TCtj day.Qvwv Tag r^XeKTQOcpaslg
avydg nur so viel, dass sie den Eridanos in jenen Gegenden
dachten , in welchen auch der Po mündet. ^) Von Schol.
1) Bestimmteres wird sich unten ergeben : das Zeugniss des Po-
G. F. Unger: Der Eridanos in Venetien. 267
German. Arat. 366 ab Arato et Pherecyde Eridanus Padus
esse pntatur , vgl. Hyginus fab. 154 hie amnis ab Graecis
Eridanus dicitur quem Pherecydes primus voeavit, gilt (we-
nigstens den Pherekydes betreffend) dasselbe wie von dem
Ausspruch des Plinius über die obgeuannten Dichter. Aus
Pherekydes Fr. 33 bei Schob Apoll. Ehod. IV 1396 al
NvfÄipai al JiOQ, xal Qe^iLÖog oixovoaL sv OTirjlalq) tisql
Tov ^Hqiöavov vjte&evTO '^HgaKlel ^a^elv 7caqa NrjQecog und
seinem Ausschreiber Apollodoros bibl. II 5, 11, welcher
den Herakles vom makedonischen Flusse Echedoros durch
Illyriea zu den Nymphen des Zeus und der Themis an den
Eridanos wandern lässt, geht zunächst weiter nichts hervor,
als dass der Logograph den Fluss im nordöstlichen Italien
gedacht hat. *)
Von Aratos von Soloi, dem Zeitgenossen des Antigonos
Gonatas^ besitzen wir eine eigenthümliche Aeusserung in
den Phainomena 360 : das Gestirn Eridanos sei der einzige
Ueberrest des vielum weinten Flusses {oiov yccQ Kaxelvo S^ecov
V7td Ttoool q)oqslxai Xeiipavov ^Hqidavolo, ■itoXvnXavTOv tio-
Ta(A.oio). Wir dürfen daraus schliessen, dass geflissentlichen
lybios , dass die Tragiker den Fluss sich in Venetien , also vom Po ver-
schieden und entfernt dachten, hat seine Geltung sicher auch für Phe-
rekydes und alle älteren Schriftsteller, die von diesem Flusse sprachen,
1) Die Höhle der Orakelgöttin Themis in der Nähe des Eridanos
ist vielleicht keine andere als die von Claudian idyll. 6, 40 ff, beschrie-
bene des Aponus (j. Abano) nicht weit von Padua und dem Bacchiglione,
wo sich ein Orakel befand, das später dem Geryones zugeeignet wurde,
Suet. Tib. 14 cum iuxta Patavium r.disset Geryonis oraculum, sorte tracta
monebatur, ut de consultationibus in Aponi fontem talos aureos iaceret;
vgl. Plinius bist. XXXI 32 und Vopisc. Firm. 3 sortes Aponinae; Lu-
canus VII 192 Euganeo augur coUe sedens, Aponos terris ubi fumifer
exit. Auf das Orakel des Geryones führt Mommsen corp. inscr. I 267.
V 271 die an einem nicht näher bekannten Ort der Transpadana ge-
fundenen sortes zurück.
268 Sitzung der phüos.-philol. Classe vom 7. December 1878.
Erkundigungen an Ort und Stelle, von welchen er erfahren
hatte, es nicht gelungen war das Vorhandensein eines Eri-
danosflusses in der von den älteren Schriftstellern bezeich-
neten Gegend zu entdecken ; also dasselbe was Strabon
V 1 , 9 sagt : ra jcolXa tcov juvd-evojLihcov t] KaTeipsvOfievcov
aXXcog häv öeT, owv rd Tcegl Oaed^ovra y,al rag \Hhdöag
Tccg ccTTaLyeLQOVfxevag neqi tov Hqtöavdv , tov iätjÖ a (äov
yrig ovTa^ 7tXr]OL0v de tov Tlaöov Xeyofxevov, %al xdg ^Hke/c-
TQLÖag vrjGovg rag tcqo tov Tlddov %al (xeXeayqidag ev av-
Toig ' otöi yccQ tovtcov ovdiv eoTiv ev Tolg To/rotg. Beiden
hat wahrscheinlich dieselbe Quelle vorgelegen, so dass wir
auch bei Aratos annehmen dürfen , dass (der ihm bekannten
Ansicht zufolge) nicht der Po selbst sondern ein Seitenfluss
desselben dem Eridanos entsprochen hatte. Während Strabon
aus dem Fehlergebniss der Forschung nach dem Eridanos
als ein Kritiker den Schluss zieht, dass der Fluss sammt
allem was an seinem Namen hing, erdichtet und erfunden
sei, hat der Dichter eine poetische Lösung vorgezogen :
die Götter haben all dem Jammer dadurch ein Ende gemacht,
dass sie den Eridanos unter die Sterne zu ihren Füssen
versetzten. Für uns aber ergibt sich daraus, dass der Pa-
dus niemals Eridanos geheissen hat: denn die Forschenden
haben jedenfalls am Po selbst gelandet und in dessen Um-
gegend Erkundigungen eingezogen. Dass, wie wir sehen
werden, manche doch den Fluss auffanden und den Namen
Eridanos zu hören glaubten , andere aber denselben wieder
verkannten , erklärt sich aus der Form des Namens : er
lautete etwas anders und Eridanos ist bloss eine Helleni-
sirung desselben; wer buchstäblich genau den Namen Eri-
danos suchte, fand ihn nicht, während für andre er unschwer
zu finden war.
Zu den Entdeckern des Eridanos gehört der Verfasser
oder Gewährsmann des Periplus, welcher unter dem falschen
Namen Skylax bekannt ist. Dieser schreibt, an der Ost-
G. F. TJnger: Der Eridanos in Venetien. 269
küste Italiens von Süd nach Nord gebend, § 17 Meva 6s
To ^OjLißQtxdv TvQQYjvol . SiriKOvaL Si nal ovtol cltco tov
TvQQTjvixov Tteldyovg e^cod-ev elg rov Iddqiav dirjxovTsg . yial
TtoXiq €v avTy ''EXXrjvlg y.al 7tOTa(x6g ' ytal avaftlovg elg ri]v
TtoXiv yiaTcc fvoxa^idv (x)g -/! aradicov und 18 Merd de Tvq-
QYjvovg eioi KeXrol e-d-vog drcoXeKpd^lvTeg Trjg OTQaxeiag, litt
OTEvcov fxe%qi yiöqiov ' evxavd^a öe eonv 6 f^v^og tov LäÖQiOv
Kolnov. 19. Metd ös KeXrovg '^Evezol elotv sd^vog y.al no-
Tafxdg ^HQLÖavog iv avTolg. hxevd^ev de TtaqaTvXovg eozlv
ejt' avTTJg dno nlo7]g (1. ^7TLvrjg) noXecog r^/^ieqag j^iag.
20. Merd de ^Evszovg eioiv e^vog ^'lörqoi.
Kritik und Erklärung dieser Stelle erheischen eine
längere Auseinandersetzung. Obgleich der Periplus im
J. 347 V. Gh., 40 Jahre nach der grossen gallischen Wan-
derung geschrieben ist '), welche im Lauf eines Jahres den
Etruskern und ümbern die ganze Poebene entriss, schreibt
er doch letzteren noch die ganze, den Etruskern wenigstens
einen Theil der Küste za, welche sie vor der gallischen In-
vasion am adriatischen Meere besessen hatten ; wahrscheinlich
desswegen, weil nach Strabon V 1, 7. 10. 11 und Plinius
bist. nat. III 115 zu schliessen die Küstenstädte Ariminum,
Ravenna, Butrium, Spina und wohl auch die andern ihren
bisherigen Bewohnern geblieben waren. Die Hellenenstadt,
welche § 17 an der etruskischen Küste genannt wird, ist
offenbar und anerkannt Spina, die einzige Stadt Nordost-
italiens welche allgemein und von jeher für hellenisch galt,
s. Dionys. Hai. ant. I 18. Justin XX 1, 9. Strab. V 1, 7.
Plinius bist. III 120. Da der Periplus bei allen Städten,
zumal den hellenischen, den Namen angibt, so hat C. Müller
Geogr. gr. I 25 wohl daran gethan, nach dem Vorgang
I
1) Unger, die Abfassunsrszeit des sog. Skylax, Philologus XXXIJ
29 ff., und Römisch-griechische Synchronismen vor Pyrrhos, Akadem.
Sitzungsberichte 1876. I 540 ff.
[1878. 1. Philos.-philol.-hist. Cl. Bd. IL 2.] 19
270 Sitzung der philos.-phüol. Classe vom 7. Decemher 1878.
anderer ^rclva hinter ^EXkrjvig einzusetzen, und die Richtig-
keit dieses Verfahrens erweist sich daran, dass die Worte
§19 (XTtd nlorjg noXsiog die vorhergegangene Nennung dieses
offenbar aus ^Tzlvrjg verdorbenen Stadtnamens voraussetzen.
Auch die Flussnamen gibt der Periplus in der Regel an ;
doch steht § 102 ^aQTtrjöcov Ttohg eqrjfxog %al Ttoraf^ög;
104 UaXalTVQOg rtoXtg Kai TtOTa/xog öid fieorjg qel %al Ttokig
(E'/,dl7t)7tcov Kai TtoTafiog ^) und in unserem Fall wird das
Fehlen des Namens durch Kara Ttorafxov bestätigt : im andern
Fall wäre Kazd rov 7ioTa[xdv zu erwarten wie § 102 7t o-
tafiog nvQaf-iog Kai Tcohg MaXXog elg iqv 6 dvajcXovg Kaxd
xov TTOTafxov j 33 I^SXQ^ IlrjveLOv Kai ''O^oXiov MayvrjTm^g
TtoXecog, rj eori Tiaqd tov Jtoxafxov.
Von Spina , das bereits am Po , wenn auch nur an
seinem südlichsten Mündungsarme lag, und der etruskischen
Küste, welcher der Periplus die Stadt zutheilt, ist demnach
Venetien mit dem Eridanos durch die gallische Küste ge-
trennt. Ueber die Grenzen und Ausdehnung, welche er
der gallischen und der venetischen Küste gibt, über den
f^vxog und den Eridanos sind verschiedene, zum Theil recht
abenteuerliche Meinungen ausgesprochen worden , welche
ausführlich zu behandeln wir desswegen unterlassen können,
weil die richtige Erklärung sich überall mit Sicherheit auf-
stellen und darlegen lässt. ^) Die Veneter haben gegen
Süden hin - gerade diese Seite ist es, um welche es sich
1) Eine Ausnahme würde auch § 68 (69) machen, wenn dort mit
Bursian (Rhein. Mus. XXI 217) nölecg ip avzolg '^EXXrjt/iSsg ccl'Sf
TvQig Zeel 7T0Tcc{j,dg (cod. Tv()is norafiog), Nucopcoy nolig zu schreiben
wäre. Es liegt aber näher Tvgcg [nolig xccl Tv()ccg] 7iota[x6g zu er-
gänzen.
2) Auch von den Textversetzungen, welche C. Müller vornimmt,
genügt es zu bemerken, dass sie unnöthig sind.
k
(r. F. Unger: Der Eridanos in Venetien. 271
für uns handelt ' — allzeit eine und dieselbe Grenze gehabt :
ihr Gebiet blieb unangetastet als die Etrusker sich in den
Besitz der Poebenen setzten, Liv. V 33, 9 incoluere Tusci
trans Apenninum coloniis missis, quae trans Padum orania
loca excepto Venetorum angulo usque ad Alpes tenuere ;
ebenso als die Gallier an die Stelle der Etrusker traten,
Polyb. II 17, 5 td nqog tov ^AÖQiav rcqooriyiovTa yivoo, aXko
TTccw TiaXawv diaKaTeG^e (retinuit), nqooayoqevovTai de Oveve-
TOi; als dann die Römer mit den Galliern zu thun bekamen,
schlössen sich die Veneter sogleich an jene an und die
Treue, mit welcher sie den Bund mit denselben bewahrten,
sicherte ihnen den ungeschmälerten Fortbesitz ihres Gebietes.
Wir dürfen daher die Grenzen, welche sich zwischen Vene-
tien und dem eigentlichen Gallierland an der adriatischen
Küste unter den Römern vorfinden , getrost auch für die
Zeit des Periplus annehmen, um so mehr als sich nirgends
eine Angabe findet, welche auf eiue Verschiebung derselben
hindeutet. Nach For biger Handbuch d. alt. Geogr. III 577
u. a. bildete diese Grenze die Etsch; nach dem, was unten
mitzutheilen ist , haben sie auch einen Theil des rechten
Ufers derselben bewohnt, aber vom Flussgebiet des Po selbst
nichts besessen. Es ist daher entschieden zu verwerfen,
wenn C. Müller zu Skyl. 18 den schmalen Landstreifen,
welchen dem Periplus zufolge das gallische Gebiet an der
Ostküste bildet, von der spinetischen Mündung nach Norden
bloss bis zur Volanemündung reichen lässt : der einzige von
ihm angeführte Grund besteht darin, dass er den von dem
Küstenbeschreiber nach Venetien verlegten Eridanos für den
Po hält und demgemäss die Hauptmündung des Po den
Venetern zutheilt.
Plinius bist. III 121 rechnet sämmtliche Pomündungen
zur achten Region, welche nach § 115 Ariminum , den Po
und Apenninus zu Grenzen hat, ganz Venetien dagegen zur
zehnten (III 126 decima regio, cuius Venetia); Atria er-
19*
272 Sitzung der phüos.-philol. Classe vom 7. Decemher 1878.
scheint nicht unter den III 130 aufgezählten Städten der
Veneter, sondern § 120 in der achten Region. Darum lässt
er XXXVII 44 Transpadani mit § 43 Veneti abwechsehi.
Als Flüsse Venetiens nennt der Geograph von Ravenna IV
36 p. 290 (s. u.) die Küstenfllisse von der Etsch bis zum
Tagliamento; dagegen den Po und seinen letzten nörd-
lichen Zufluss, den Tartarus, an welchem Atria lag, schliesst
er von der Aufzählung derselben aus, vgl. IV, 36 p. 289,
10. Dem entspricht es, dass Atria die Hauptstadt der
Etrusker an jener Küste gewesen war, Varro 1. lat. V 161
atrium appellatum ab Atriatibus Tuscis; Livius V 33, 7
Atria Tuscorum colonia ; Plin. bist. III 120 nobili portu
oppidi Tuscorum Atriae ; Plut. Camill. 16 aTto TvQQrjviy,^g Jto-
Acwg ^dglag ; Steph. Byz. l4rqLa TioXig TvQQr]vlag ; Etymol. m.
l^TQLa Ttolig TvQQ7]viag. Durch die gallische Einwanderung
ging die Stadt den Etruskern verloren : sie wurde also
gallisch ; aus dem Periplus ersehen wir , dass nur in den
Städten südlich von Spina die etruskische Bevölkerung vor-
herrschend blieb. Welchem Gallierstamm wohl Atria mit
seinem Gebiet zufiel ? Die Cenomanen haben sich nicht bis
zur Küste ausgedehnt (Liv. V 35, 1 ; Polyb. II 17, 4 u.a.);
die Senonen reichten nach Norden bloss bis zum Utis,
welcher südlich von Ravenna mündet, Liv. V 35, 3 Senones
ab ütente flumine ad Aesim fines habuere ; die Küste zwischen
Utis und Athesis gehörte also jetzt den Lingonen, Pol. II
17, 7 €^rjgTovTcov (twj^ ßolwv) cog Ttgog tov Iddqiav ^lyywveg.
Diese werden aber nur in der Geschichte der Wanderung
genannt; sie sind in den Boiern, mit welchen vereinigt sie
in das Land gekommen waren (Liv. V 35, 2), aufgegangen,
Plinius bist. III 116 in hoc tractu interierunt Boi, item
Senones, und dem entsprechend führt Ptolemaios geogr. III
1, 21 — 25 von Süd nach Nord die Küsten der Picener,
Senonen, Boier und Veneter auf. Atria lag also im
Gebiet der Boier, was Steph. Byz. Ldrqia p. 143, 19 eoxt
G. F. Unger: Der Eridanos in Venetien. 273
/,al aXXi] Tvolig Bottov e^vovg KelTt/tov ^) ausdrücklich
bestätigt.
Das Gebiet der Gallier von Atria reichte östlich bis
zum Meer , wo sie einen Hafen besassen ; es umfasste die
Hauptmündungen des Po nördlich vom spinetischen Arm
mit den sog. Sieben Meeren, Plin. HI 120 Atrianorum pa-
ludes quae Septem maria appellantur, vgl. 119 Padus de-
ductus in flumina et fossas inter Ravennam Altinumque,
tamen qua largius vomit Septem maria dictus facere ; land-
einwärts von der Stadt verrathen die Inschriften der Gegend
von Rovigo am Adigetto atriatisches Gebiet, während weiter
westlich Lendinara und Badia rechts der Etsch den Venetern
von Ateste gehört zu haben scheinen, s. Mommsen corp.
inscr. lat. V 221. 236. Die grössere Hälfte des Südens von
Venetien, die ganze Südküste stand unter Patavium; sie
reichte mindestens bis zum Hafen Edro oder Medoacus, j.
Chioggia nördlich der Etschmündung , Mommsen a. a. 0.
219. Das Stadtgebiet von Atria fällt also ganz oder zum
grössten Theil mit der keltischen Küste des sog. Skylax
1) Dass er sie von der ehemaligen Etruskerstadt unterscheidet,
beweist nichts gegen die Identität beider : Stephanos ist kein Geograph
sondern ein Grammatiker, der die geographischen Namen zusammenstellte,
um die Formen ihrer Derivata zu bestimmen. In seiner Unkenntniss
begegnet es ihm oft, dass er eine Stadt verdoppelt, vgl. z. B. Steph.
'Ad^rm, Alvog, "Jqyog. Wenn Ptolemaios III 1, 25. 80. den Fluss von
Atria (Argiavog) und die Stadt selbst nach Venetien verlegt, so verdient
das nicht mehr Beachtung als seine Ansetzung des Tilavemptus und
Natiso und der Städte Concordia und Aquileia in Carmen (§26 und 28)
oder seine Erwähnung eines Landes der Senonen und der Boier, die
schon seit mehreren Jahrhunderten vom Boden Italiens verschwunden
waren. Von der politischen Geographie versteht er so wenig wie Ste-
phanos : er hat auf eigene Faust eine veraltete Landeintheilung Italiens
durchzuführen gesucht und dabei die Grenzen vielfach verschoben. Die-
selbe Beobachtung kann man bei seiner Beschreibung Makedoniens und
andrer Länder machen.
274 Sitzung der phüos.-philol. Classe vom 7. Decemher 1878.
zusammen und dass bereits im vierten Jahrhundert , aus
welchem dieser Periplus stammt , dasselbe den Galliern ge-
hörte, beweist Livius X 2, 9 in dem Bericht über die Land-
ung des Spartaners Kleonymos an der venetischen Küste im
Jahre der Stadt 452 : haec ubi Patavium sunt nuntiata —
semper autem eos in armis accolae Galli habebant — in
duas partes iuventutem dividunt. Da die Pataviner östlich
vom Meer, nördlich westlich und südwestlich von Venetern,
den Bewohnern der Gebiete von Altinum Vicetia und
Ateste, begrenzt waren, so können die benachbarten Gallier,
von welchen sie fortwährend im Harnisch erhalten wurden,
nur die Einwohner von Atria gewesen sein. ^)
An die gallische Küste setzt der Periplus „den Winkel
des Adria". Als solcher wird von Polybios, Strabon u. a.
der Meerbusen von Triest bezeichnet , was Niebuhr R. Gesch.
11 171 auf den seltsamen Einfall brachte, die Veneter nach
Istrien zu setzen. Gar. Müller denkt mit Letronne an die
Einbiegung der Küste bei der Volanemündung. Diese wäre
aber, gesetzt auch, dass die Küste damals schon dieselbe
Gestalt gehabt hätte wie jetzt, viel zu unbedeutend, als dass
sie einen Seefahrer zu der Ansicht hätte veranlassen können,
hier sei die tiefste Einbuchtung des Meeres. Wenige Küsten
von Europa haben im Lauf der Jahrhunderte so grosse
Veränderungen erlitten wie die von Aquileia bis Ravenna.
Polybios kennt nur zwei Mündungsarme des Po, Plinius
(die Canäle abgerechnet) schon fünf, jetzt sind ihrer dadurch,
1) Ob die Nachricht im Etym. "ASqiccs, dass Dionysios I Adria
colonisirt habe, auf diese oder auf die picentische Stadt sich bezieht,
ist ungewiss: das von Ritscbl ergänzte Datum Olymp. 98 passt jeden-
falls nicht zu der ersteren, weil in jener Zeit der Einbruch der Gallier
in Oberitalien stattfand und Dionysios nach Justin XX 5 mit diesen
erst 381 v. Gh. bekannt wurde ; sie müsste sich auch nur kurze Zeit in
griechischem Besitz erhalten haben, weil Skylax dort keine Griechenstadt
gefunden hat.
»
r
6r. F. Unger: Dar Eridanos in Venetien. 275
dass immer mehr Land angeschwemmt wurde nnd die alten
Arme sich dort wieder th eilten , über zwölf geworden.
Mommsen corp. inscr. lat. V 219. 221 findet daher den
Nachweis der von Plinins u. a. angegebenen Mündungen,
Orte und Entfernungen nicht mehr vollständig durchführbar
und erklärt die Thatsache, dass östlich von Atria keine In-
schriften gefunden werden, aus der späten Entstehung
jenes Landstriches. Atria selbst muss seinerzeit der Küste
sehr nahe, nicht wie jetzt über acht Stunden von ihr ent-
fernt gewesen sein : sonst hätte das adriatische Meer nicht
von dieser Stadt seinen Namen erhalten können. Die erste
Mündung des Po von Süden her bei Plinius, der Canal
Padusa oder Augusta fossa, ist jetzt verschwunden, Forbiger
Handb. II 505. So steht auch zu vermuthen, dass das
schmale Ufer, welches jetzt die grösste aller Lagunen , die
Valli di Comacchio, vom Meere trennt, einst nicht oder
nur in Gestalt von einzelnen Inseln vorhanden gewesen ist :
denn Spina (j. Spino), an ihrem Südrande gelegen, war zur
Zeit des sog. Skylax nur 20 Stadien vom Meer entfernt,
während zu Strabons Zeit die Küste sich schon wie jetzt
um 70 Stadien weiter nach Osten ausdehnte, Str. V 1, 7
(paolv ETcl d^aXaTTTj VTcaq^ai^ vvv d^ sgtlv sv /iieooyaia Ttsql
evevr^ycovTa rijg d^aXazTrjg oraSlovg ccTtexor. Wir folgern
hieraus , dass, als Spina noch am Meer lag , die Lagune
von Comacchio eine Meeresbucht gewesen ist : und durch
diese ragte in der That das adriatische Meer so tief (von
Spina nach Westen fast zweimal so weit als dieser Ort jetzt
nach Osten hin vom Meer entfernt ist) ins Land hinein,
dass ein griechischer Seefahrer, der von dem berühmten
Winkel des Adria gehört und den Golf von Triest noch
nicht gesehen hatte, ihn sehr wohl bei Spina suchen
konnte.
Wider seine Gewohnheit gibt der Verfasser des Peri-
plus die Länge der gallischen Küste nicht an; dafür be-
276 Sitzung der phüos.-phüoL Classe vom 7. Decemher 187
rechnet er aber die Ausdehnung der venetischen von Spina
an, d. i. die Tagfahrt, welche er nennt, bezeichnet die
Länge beider Küsten mit einander. Warum verfährt er so?
Nach unsrer Ansicht desswegen, weil er oder sein Gewährs-
mann nicht in die Bucht der gallischen Küste hinein, sondern
von Spina aus in gerader Richtung nach Norden gefahren
ist; er kann daher die Länge der gallischen Küste allein
gar nicht angeben und bemerkt bloss, dass sie (von der
hohen See aus augesehen) sehr schmal ist. Diese Wahr-
nehmung hilft uns zur richtigen Behandlung der seltsamen
Worte § 19 evxev&ev de 7iaQO[7tXovg sotIv en avryß aico
^jtivrjg TColewQ rjiAiqag latag. Dass evTsvd^Ev nicht heissen
kann von hier (von Venetien) aus erhellt von selbst ;
ebenso wenig aber heisst es, wie Klausen will, ^hieher\
Dies kann hrevd^ev nie heissen und, wenn auch, so wäre
es doch unpassend: Skylax will weder angeben, wie weit
von Venetien wo andershin, noch wie weit von Spina bis
Venetien ist. Auch an der von ihm für seine Deutung ci-
tirten Stelle § 100 hat das Wort jenen Sinn nicht; das
Citat selbst aber ist treffend. Dort, am Schlüsse der Küsten-
beschreibung von Lykien, heisst es: ivzevd^ev TtaQanXovc,
eotIv cctvo udvKiag ri{Ä£Qag y,al vvKtog. Statt evrevd^ev
schreibt Fabricius evd^vg df, C. Müller STt' ev^eiag^ Bursian
(Rh. Mus. XXI 217) evrav&6i\ alles unnöthig. Letzterer
bemerkt richtig, dass djto yivyiiag , entfernt von Lykien' be-
deutet : der Küstenbesch reiber meint auch dort die Ent-
fernung bei der Fahrt auf offener See, weil die Küste selbst
viele Einbuchtungen hat; er fügt selbst hinzu: eoti yaq
'AoXTtojSrjg . 6 de TtaQo, yr^v dinlccGiog tovtov. Da nun
svTBvd^ev so viel ist als ccTto tovtov^ so ist auch das Adverb
so zu erklären wie ctTto ^vxlag oder vielmehr diese Worte
sind als Epexegese von hxevd^ev anzusehen : entfernt von
hier, nämlich von Lykien. Dasselbe Verhältniss findet bei
der keltisch-venetischen Küste statt, nur dass der Verfasser
G. F, Unger : Der Eridanos in Venetien. 277
hier bloss die eine Länge, die in gerader Linie bei der
Fahrt auf hoher See , gemessen hat. Wir schreiben stv'
ev&elag statt e/r' avTrjg. Der Satz bedeutet dann : in einer
gewissen Entfernung von hier, in gerader Linie, beträgt die
Küstenfahrt von Spina an nur einen Tag.
Erst jetzt, nach einer langen aber durch die Umstände
gebotenen Abschweifung können wir zum Eridanos zurück-
kehren. Dass der Periplus unter ihm nicht den Po ver-
steht, dürfte aus ihr mit Gewissheit hervorgehen : Venetien,
in welches er jenen versetzt , hat im Alterthum nie bis an
den Po selbst gereicht. Schon die Art und Weise, in welcher
er sich über den Fluss ausspricht (7roraf.wg ^Hgiöavog iv
avTo7g), weist auf einen weniger bedeutenden Fluss hin, auf
ein Gewässer welches in Venetien nicht bloss seine Mündung
sondern auch seinen Ursprung oder wenigstens den grössten
Theil seines Laufes hatte. Vor den andern Küstenüüssen
hebt er ihn nur wegen seines in der hellenischen Sage be-
rühmten Namens heraus , wie er denn allenthalben auf die
von den Dichtern gefeierten Namen des Auslandes besondere
Rücksicht nimmt, z. B. § 8 auf das Grab des Elpenor, 16
das Heiligthum des Diomedes, 22 die Lotophagen.
Durch den oben gelieferten Nachweis *), dass Venetien
südlich nur bis zur Etsch gereicht hat, gewinnt nicht nur
die Angabe des Skylax sondern noch eine ganze Reihe von
Zeugnissen anderer Schriftsteller ihre richtige Erklärung.
Auch Martialis, der jene Gegenden aus eigner Anschauung
kannte (vgl. z. B. III 67), setzt den Eridanos nach Venetien:
dies beweist ep. IV 25 aemula Baianis Altini litora villis
et Phaethontei conscia villa rogi quaeque Antenoreo
1) Die Sache selbst ist nichts Neues ; aber weil hie und da, z. B.
auf Kiepertschen Karten die Grenzen Venetiens im Süden bis zur Volane-
mündung ausgedehnt werden, erschien es nothwendig, sie fester zu be-
gründen als bisher geschehen ist.
278 SitziDifj der iMlos.-philöl. Clause vom 7. December 1878.
Dryadum pulcherrima Fauno nnpsit ad Euganeos sola lacus
et tu Ledaeo felix Aquileia Timavo, und ausdrücklich sagt
Propertius I 12, 4 quantum Hypanis Veneto dissidet Eri-
dano. Dasselbe thaten die Tragiker nach Polybios II 17, 5
Oveveroi, ttsqI wv oi TQaycoöioyQacpOL ttoXvv riva TtejtoiiqvtccL
Xoyov xal TTolXrjv dLatid^evrat TEQarelav : denn einen andern
in jenen Gegenden spielenden Stoff als die Sage von Phae-
thon und Eridanos haben die Tragiker nicht behandelt und
Polybios bezieht sich auf diese auch II 16, 13 fg. in ähn-
lichen Worten : zalXa xa. Tteql tov TCOTafÄOv tovtov Ioto-
Qovf^eva Ttaqd roig '^'EllrjGi , Xeyw dij %a mqi 0as^ovTa Kai
TYiv exelvov tttwoiv^ en öi %a dccKQva tcov alyelgcov yial
Tovg iLieXaveLjiiovag lovg Ttegl top 7ioTa(.idv omovvxaq^ ovg
(paOL Tag eoStjTag eloeTi vvv q)OQEiv TOiccvTag and tov xaTa
(Dai&ovra /rivd-ovg, Kai näoav örj Trjv Tqayi%riv Kai TavTrj
TigoGsoiKvlav vXrjv hil tov rcaqovTog V7t€QS^rjo6(,isd^a. Die
Schwarzgekleideten sind also die Veneter. Hiedurch be-
stätigt sich eine von Meineke in dem sog. Skymnos vor-
genommene Versetzung. Die Verse 395 — 401 ^Hqiöavög,
og '/.(xXXlgtov tJXextqov q)iqei^ o cpaoiv dvai Sukqvov aTioXi-
d-ovfAsvov, diavyeg alyelqcov aTTOGTaXayfxa xi * Xeyovoi yaq
örj TTv K£Qavvwoiv 7ZQ0T0V Trjv TOv Oaid^ovTog devQO yeyovsvai
Tiveg ^) ' dio nal to. TtXrj^rj Ttavxa tcov oiyttjTOQCov fieXa-
vsif^ovslv TE Tievd^Lnag t^ eyßiv OToXag hat die Hand-
schrift in dieser abgerissenen Fassung zwischen 391 — 394
^EvETtov e%ovTaL Ogansg ^'Iotqoi XeyofÄSvot . ovo Se xazr'
avTovg sIgi vrJGOi -/.uf-ievai^ %aooLTeqov aL öokovoi ytaXXtOTOv
q)eQeLv . vttsq Si TOVTovg ^'Ig^bvol ytal MivToqeg und 402
^ TtXrjGLOv %coqa ds tovtwv xeLfiievrj vtvo tcov HeXayoviov y,al
Aißvqvwv KaTexeTai, wodurch der Fluss unrichtig an die
1) Durch diesen Ausdruck wird es sehr zweifelhaft, ob von dem
V. 37 angeführten Theopompos auch der Inhalt dieser Verse ausgegangen
ist; auch hat jener wahrscheinlich den Eridanos als einen Arm des Po
angesehen (s. unten p, 30).
G. F. Unger: Der Ihidanos in Venetien. 279
Ostküste des Adria gebracht und zugleich der geographische
ZusammenhaDg der Liburner mit den Istrern aufgehoben
wird. Klausen zu Hekataios p. 60 wollte die störenden
Verse zwischen V. 374 und 375 setzen; dort sind sie aber
weniger am Platz, wo von den Inseln und Völkern der
adriatischen Küste im Allgemeinen gesprochen wird. Meineke
stellt sie passend zwischen V. 390, der von den Venetern
handelt, und 391, wo der Dichter von ihnen zu den Istrern
übergeht. Wegen der Abgerissenheit der Form nimmt
Klausen, Meineke und C. Müller Geogr. I 213 ohne Noth
Ausfall von 1 — 2 Versen vor ^Hqidavog an ; es ist einfach
mit Fabricius y,al ^Hgiöavog (y,riQidavdg) zu schreiben , wo-
durch die Construction und Verbindung mit den vorherg.
Versen 387 — 390 ^Everwv ö' elat nevTriKovTa tvov TtoXeig iv
avx(^ ytelfievai Ttqog t(ü f^wx^i^ ? ovg drj ^erekd^elv q)aoLv sy,
rr^g IIaq)Xay6vcov xcoqag ytazoiKT^Gal te Tteql tov ^4öqiav voll-
kommen hergestellt wird: xat ^Hgidavog erhält seine Er-
gänzung aus eiol iv avTco Kelfj-evai, also ytelraL ev avT(^,
näml. rc5 ^ÖQiaTLxi^ noXTtü) (V. 375).
Also nicht bloss Martialis und Propertius sondern auch
der sog. Skymnos , ferner Ps.-Skylax und die Tragiker,
vielleicht auch Pherekydes und die meisten älteren Schrift-
steller haben den Eridanos nach Venetien gesetzt. Damit
ist entschieden , dass sie alle den Po nicht gemeint haben.
Denn diesen in Venetien suchen hiesse ebenso viel als den
Rhein desswegen einen belgischen Fluss nennen, weil die
Maas, welche ihre Mündung mit der seinen vereinigt, durch
Belgien fliesst.
Die besten Aufschlüsse über unsre Frage gibt eine von
den Neueren nicht bloss, wie es mit der Angabe Strabons
geschehen ist, missachtete und unterschätzte sondern geradezu
übersehene ^) Stelle des Aelian , bist. anim. XIV 8 TtoXig
1) J. G. Cuno, Forschungen im Gebiete der alten Völkerkunde I
224, welcher Eretenos als Narae des Po bei Aelian a. a. 0. anführt
280 Sitzung der philos.-phüol. Glasse vom 7. Deceniber 1878.
eorlv ev rolg vito tiqv sOTteqav xcoqioig ^Irahxi^ , ovofxa
avTTJ Tlaiaßiov . rqjöe reo HaraßUo jcoXig yeiTvia eTeqa
iiial B ly i]r lav xaXovGiv avTrjv xal Jtaqaqqei noTa^og
avrfi Hqer ev oq ovofj-a y,al Ttagaf^ielßsTocL ovtog yrjv ov%
oXiyr]v, eira elg tov ^Hqiöavöv Sfußaklei yial dvaKOivovrat to
vömq"^). Vigetia ist, wie die Erklärer erkannt haben, das
jetzige Vicenza: die ächte und gewöhnliche Namensform
im Alterthura, aus welcher Vicentia durch Latinisirung her-
vorging, war Vicetia, s. Mommsen corp. inscr. lat. V 306 ;
dazu verhält sich Vigetia wiff vigesimus trigesimus zu dem
älteren vicesimus tricesimus. Der Ausdruck TtoXig yeirvia
trifft vollkommen zu : denn die Mark von Patavium war,
wie oben bemerkt wurde, von den Gebieten der Städte
Atria, Vicetia und Altinum umgeben. Das Wichtigste an
unsrer Stelle ist aber nicht die Erwähnung des Eridanos
(unter diesem versteht Aelian nach der Sitte seiner Zeit,
wie oben p. 3 gezeigt wurde, den Po) sondern die des
Eretenos. Hier haben wir einen grösseren Fluss Venetiens
genau so wie wir ihn brauchen: einen von denjenigen,
welche ihre Mündung mit der des Po vereinigen, und mit
einem Namen, der nicht ganz wie Eridanos lautet, so dass
die Identität beider von vielen verkannt werden konnte
(den Alten gereicht das um so weniger zum Vorwurf, als
den in solchen Untersuchungen besser geschulten Neueren
dasselbe begegnet ist) , und doch so ähnlich lautend,
dass er die ersten griechischen Besucher an den Namen
des Baches Eridanos bei Athen erinnern und zur Hel-
lenisirung mittels Uebertragung desselben einladen, spä-
teren aber wie dem angeblichen Skylax als identisch
mit dem sagenberühmten Eridanos erscheinen konnte. Die
Form des Namens steht textkritisch durch seine Wieder-
und im Heliadenfragment des Aischylos Identification des Eridanos mit
dem Rhodanus findet, hat offenbar beide Stellen nicht gelesen.
*) Plercher BusTiay und ^H^irmvos.
G. F. Unger: Der Eridanos in Venetien. 281
holung im Folgenden fest: ev diq reo ^HqeTeva) eyyjleig
ylvovTai fxiyiöTai^ woran sich eine Beschreibung der eigen -
thümlichen Aalfischerei daselbst schliesst, um deren willen
Aelian des Flusses Erwähnung thut. Vicenza liegt am
Bacchiglione und obgleich der Name Eretenos in seiner
heutigen Gestalt nur einem kleineren Flusse angehört,
welcher bei Vicenza in jenen mündet, so gibt ihn doch
Aelian von Vicenza an dem Bacchiglione selbst, wie daraus
hervorgeht dass er ihn noch viel Land durchfliessen und
zuletzt mit dem Po zusammenkommen lässt.
Cluverius deutet den Eretenos auf die Etsch, veranlasst
durch die Bedeutung des Namens von Anguillara, einem
unter gleichem Längengrad mit Padua am linken Ufer jenes
Flusses gelegenen Orte, welchem er die von Aelian geschil-
derte Aalfischerei zuschreibt. Dieser kann aber wegen seiner
Lage zwischen den Marken von Atria und Patavium nur
zu letzterer Stadt, oder allenfalls zu Ateste, nicht aber zu
Vicetia gehört haben und wie Aelian die Etsch oder einen
Nebenfluss derselben nach Vicenza setzen konnte, wäre un-
begreiflich. Die Identität des Eretenos mit dem Bacchiglione
wird überdies ausser allen Zweifel gesetzt durch die Existenz
einer alten Nebenform des Namens. Um 570 schreibt der
Dichter Venantius Fortunatus, ein geborener Veueter aus
Treviso, in der Vita S. Martini IV 677: si Patavina tibi
pateat via , pergis ad urbem etc. ; hie tibi Brinta fluens,
iter est Retenone secundo ; ingrediens ^) Athesim Padus
excipit inde phaselo; inde Ravennatem placitara pete dul-
cius urbem. Die grössten Flüsse, welche man auf der Reise
von Norden her nach Ravenna überschreiten muss, heissen
ihm Brinta, Reteno, Athesis und Padus, jetzt Brenta, Bac-
1) Nominativus absolatus, wie Migne erka nt hat; dieser führt
ähnliche Beispiele aus Venantius an, die sich aus andern Schriftstellern
jener Zeit vermehren Hessen.
282 Sitzung der phüos.-phüol. Classe vom 7. December 1878.
chiglione, Etsch und Po, in der That die vier grössten jener
Gegend. Reteno ist offenbar die kürzere Nebenform von
Hqsrevog^ vgl. Strab. VII exe. 49 6 vvv ftOTafj,dg '^Ptyivla
ev Qqcxytrj naXovfxevog ^Eqiycov riv xalovi^iEvog, in Latium Astura
und Stura, ^Toqag, in Achaia ^PvTreg oder "'AqvTceg (Etymol.
m. 150, 22) u. a. ^)
Wir erkennen denselben Fluss und Namen auch bei
einem Schriftsteller des VII. Jahrhunderts, dem Geographus
Ravennas IV 36 p. 290 in provincia Venetiarum sunt di-
versa flumina, inter cetera quae dicuntur Retron quod Re-
denovo dicebatur , Astago, Brinta, Sile, Liguentia, Plave,
Taliamentum. Zu Retron bemerken Pinder und Parthey :
^i. e. Qsl^QOv^ una ex fossis quae sunt inter Padum et Athesin?'
Der Verfasser will aber nur die Flüsse, nicht die Canäle
Venetiens aufzählen , wie er denn von den vielen Canälen
des Po und der venetischen Flüsse sonst keinen einzigen
angibt; auch haben alle diese Canäle nur lateinische oder
norditalische Namen , keiner einen griechischen ; endlich
heisst auch qel^qov nirgends Canal sondern Fluss oder
Flussbett. Wie zu helfen ist, erkennt man bei Beachtung
eines andern Fehlers : zwischen Po und Etsch fliesst gar kein
selbständiger Fluss, während doch der Geograph nur die
bedeutenderen Gewässer herausheben will und keiner von
den andern , die er nennt , ein Zufluss ist. Daraus folgt,
dass die Ordnung gestört ist: Astago (die Etsch) muss an
den Anfang gestellt werden , als der Grenzfluss Venetiens
gegen die Gallia togata, beim Geogr. gegen die Flaminia
Ravennatis (IV 29. 247). Ferner ist zu beachten, dass in
dieser Aufzählung der Bacchiglione nicht fehlen kann, der
viel bedeutender ist als der Silis und die Liquentia. Wir
schreiben : quae dicuntur Astago, Retrone [quod Redenone
1) Zwar nicht die sachliche aber doch die sprachliche Identität
von Reteno mit Eretenos und Eridanos hat Cuno a. a. 0. erkannt.
G. -F. Unger : Der Eridanos in Venetien. 283
dicebatur], Brinta, Sile, Plave, Liguentia, Taliamentum ^) ;
damit sind die grössten Küstenflüsse Venetiens aufgezählt :
Etsch, Bacchiglione , Brenta, Sile, Piave, Livenza, Taglia-
mento. Wie bei Aeliau, so führt auch bei Venantius und
bei dem Anonymus von Ravenna der Bacchiglione von Vi-
cenza an den Namen seines Nebenflusses, welcher bei Vicenza
von Südwest kommend , nachdem er die Nordabhänge der
Monti Berici umflossen hat , in den Bacchiglione fällt und
diesen schifl'bar macht. Heut zu Tage heisst er, den Reise-
handbüchern von Bädeker Ital. I 191 und Gsell-Fels Oberit.
I 613 zufolge, Retrone 2); Cluverius gibt ihm die Namen
Rerone und Reuone. Rerone ist offenbar aus Retrone ab-
geschliffen, wie Piero aus Pietro u. a. ; Retrone aber und
Renone führen beide auf Retnone, Retenone, Keteno zurück.
Mit Reteno Renone vgl. Rhodanus, franz. Rhone; Reteno
Retrone stellt sich zu den von Diez rom Gramm. I 218
aufgezählten Beispielen : franz. ordre diacre pampre timbre
Londres Langres aus ordinem diaconum pampinum tynipanum
Londinium Lingones ; prov. cofre Rozer fraisser aus co-
phinum Rhodanum fraxinum; span. sangre aus sanguinera.
1) Auch bei den Zuflüssen des Po p. 288 fg. und den Küsten-
flüssen der Flaminia p. 291 wird die geographische Ordnung eingehalten ;
desswegen haben wir Plave vor Liguentia gestellt. Die Worte quod
Redenovo dicebatur haben Parthey und Pinder aus einer jüngeren Hand-
schrift hinzugefügt, welche viele werthvolle aber nicht von dem Geo-
graphus herrührende Zusätze gibt. Dieser zählt die Flüsse der Flaminia
in der Ordnung von Nord nach Süd, die venetischen in der umgekehrten
auf: offenbar mit Rücksicht auf ihr geographisches Verhältniss zu seiner
Vaterstadt Ravenna , der bisherigen Metropole Italiens. Zu Retrone
und Redenone vgl. p. 288 Amalune j. Malone, p 289 Tidone j. Tidone,
201 Argaone und Nengone.
2) Cuno, Forschungen I 225, welcher Revone als die heutige
Namensform angibt, wiederholt wohl nur einen Druckfehler des von ihm
citirten, mir dermalen nicht zugänglichen Walckenaer, geographie an-
cienne des Gaules I 7.
284 Sitzung der phüos.-phüol. Glasse vom 7. Decemher 1878.
Bisher war für den Bacchiglione bloss die Benennung
Meduacus (Medoacus) minor aus der Peutingerschen Tafel,
vgl. mit Plinius bist. III 121 Meduaci duo, bekannt; Me-
doacus maior ist die Brenta, die Namensgemeinscbaft der
zwei Flüsse erklärt sich aus der Vereinigung der Mündungen,
Plin. a. a. 0. Aedronem (portum faciunt) Meduaci duo ac
fossa Claudia. Ihre Identität mit Bacchiglione und Brenta
wird für den über Padua fliessenden Bacchiglione durch
Strab. V 1, 7 £x^l (Ilazaoviov) ds^) &aXaTTrjg dvaTclow
7i0TafÄ(^ Sid Tcöv sXiov cpeQOfjevcü OTaSlojv 7tEVT'Yi%ovra %al
SiaKOGicüv EK Xiiuevog f^eydXov . KaXelTai d' 6 Xi^rjV MeöoaKog
bixojvv^wg TCO ftoTafxco (vgl. Liv. X 2, 6) gesichert. Dass^
wie wir jetzt sehen, bei der Mehrzahl der Schriftsteller ein
anderer, von dem kleineren der zv^ei bei Vicenza sich ver-
einigenden Flüsse hergenommener Name vorkommt, ist ohne
Zweifel aus dem Bedürfniss einer eigenen und einfachen,
keiner Verwechslung mit der Brenta ausgesetzten Benennung
zu erklären.
Es gibt noch andere Zeugnisse, deren richtige Behand-
lung durch die bessere Erkenntniss der Bedeutung des Eri-
danos möglich wird. So die Glosse des Hesychios Beßerj-
xog, 0 ^Hqidavog vico raiv ^Evstcov. In der Voraussetzung,
dass Eridanos der Po sei, hat Palmerius Boösyxog, Vossius
Bedeyy.og an die Stelle von Beßsrjxog gesetzt, dessen dritter
Buchstabe sich an der Stellung der Glosse — sie steht
nach Beßvafievov, Beßcora und vor BeiiXoTceg, BeUag — als
verdorben erweist; vgl. Polyb. II 16, 12 (Tldöog) Ttaqd
olg eyxcjqioig v.aXÜTai Boösynog; Plin bist. III 122 Me-
trodorus Scepsius dicit Ligurum lingua (Padum) Bodincum
vocari, quod significet fundo carentem. cui argumento ad-
est oppidum iuxta Industriam antiquo nomine Bodincoma-
gum, ubi praecipua altitudo incipit. Sie übersahen, dass
1) sehr, o' ex.
G. F. Unger: Der Eridanos in Venetien. 285
Hesychios von den Venetern, Metrodoros dagegen und
wahrscheinlich auch Polybios von den Ligurern spricht *) ;
ferner dass jene Benennung auch nicht von den Ligurern
auf die Veneter übergegangen sein kann, da jene in der
historischen Zeit nur noch am obern ^), diese in der Nähe
des untern Po wohnten und zwischen beiden Völkern weite
Strecken Landes lagen ; endlich dass die Veneter gar nie
einen Anlass gehabt hatten, dem Po einen Namen zu geben,
einem Flusse der ihr Land gar nicht berührte. Der von
Hesychios erwähnte Eridanos muss in Venetien selbst ge-
sucht werden; dass es der ächte Fluss dieses Namens ist,
darf auch aus der Beschaffenheit der Glosse selbst ge-
schlossen werden : der Gewährsmann derselben war an Ort
und Stelle gewesen und dadurch mit der Lage des wahren
Eridanos bekannt geworden. Von den drei leichtesten
Besserungen, welche hier möglich sind, Beder^xog^ Be^€r]y,og
und Bed-€r]y.og, wählen wir die erste : sie liefert eine ähn-
liche Nebenform zu Medoacus, Meduacus wie Bastuli und
Bastetani zu MaOTiavol, dem älteren Namen der Iberer um
Malaca, s. MüUenhoff D. A. 153; vgl. ferner Steph. Byz.
166 BrjXog tj xal MrjXog TtQog Talg '^Hqay.Xeovg oxrjXaig,
afÄq)OT€Qa)v STVfxwg Isyofxevwv; Strab. VII, 5, 12 Maqyogj
Tiveg ÖS BccQyov q)aolv ^ jetzt Morava, bei Herod. IV 49
Bqoyyog ; aus dem Venetischen selbst lässt sich wenigstens
der Wechsel von Tilaventum, TiXaoieiXTcrog und Taliamentum,
Tiliamentus vergleichen.
Das bisher Beigebrachte dürfte genügen, das alte Vor-
urtheil von der Identität des Eridanos und Po zu Fall zu
bringen. Um es vollständig zu vernichten, muss auch die
letzte Stütze desselben gebrochen werden. Als eine solche
1) Die Gallier, des Stromes einzige Anwohner ausser den Ligurern,
kann Polybios nicht meinen : ihrer Sprache gehörte , nach Metrodoros
a. a. 0., der Name Padus an.
2) Dort, in der Nähe von Turin, lag auch Bodincomagum.
[1878. 1. Philo8.-philol.-hist. Cl. Bd. II. 2.] 20
286 Sitzung der philos.-phüol. Classe vom 7. Decemher 1878.
von niclit geringer Kraft durfte mit Fug eine Angabe
gelten, die mit so grosser Bestimmtheit auftritt wie die
des Plinius III 120. Dieser will es genau wissen, welche
von den Mündungen des Po in alten Zeiten den Namen
Eridanos geführt hatte : proximum ostium ^) magnitudinem
portus habet qui Vatreni dicitur. hoc ante Eridanum ostium
dictum est, ab aliis Spineticum ab urbe Spina. Wenn
der Gewährsmann, welchem Plinius hier folgt, so gut in
der älteren griechischen Literatur bewandert gewesen wäre
wie er sich den Anschein gibt, so hätte er wissen müssen,
dass dieser Arm früher nicht (oder wenigstens nicht allein)
27tivr]TLy,dv orofxa geheissen hat sondern schlechtweg 2tci-
vrig wie ein eigner Fluss, vgl. Hellanikos bei Dionys. Hai.
ant. I 28 OA Uekaoyol enl ^Tvivr^xi 7toraixc7) sv toj Iovloj
koXtcoj Tag vrjag yiaTahnovreg Kqoxojva elXov ; Steph. Byz.
584 ^TtJva Ttolig 'Italiag . soti de y,al Ttorafidg ^Ttlvog
(viell. 27tivrjg) -nalovfievog; Dion. Hai. ant. I 18 ^Qog svl
Twv Tov ndSov OTO/xarcüv OQjUioajuevoi ^TtivrJTc KaXovfAevco.
Er hätte ferner den Namen des nördlichen Hauptarmes
{Ilaöoa Polyb. 11 16, 11) wissen müssen. Die Belesenheit
dieses Schriftstellers in den Alten war also keineswegs so
gross, desto grösser aber seine Productivität in Conjecturen :
ausgehend von der in einem gewissen Sinne nicht unbe-
rechtigten Ansicht, dass ein Arm des Po bei den Griechen
den sagenberühmten Namen Eridanos geführt habe, verfiel
er auf den Gedanken, ihn da zu suchen, wo eine in alter
Zeit namhafte Griechenstadt stand ; in seiner Unkunde der
Lage des wahren Eridanos suchte er diesen gerade am ver-
kehrten Ende und wir werden bald zeigen, dass ein in der
alten Literatur ungleich besser bewanderter Alexandriner
ihn wirklich als den nördlichsten Padusarm bezeichnet hat.
1) Von Süden her die zweite, eigentlich aber, weil Padusa nur
ein Oanal war, die erste.
G. F. Unger: Der Eridanos in Venetien. 287
Hiedurch wird die von Plinius beigebrachte Angabe vollends
als eine unglückliche Conjectur erwiesen; es ist keineswegs
die einzige, welche sich, in apodiktischer Form auftretend,
unter die geographischen Notizen des Plinius eingeschlichen
hat. Bei Gelegenheit der Thermopylen schreibt dieser III
28 : mons ibi Callidromus , oppida celebrata Hellas Halos
Lamia Phthia Arne. Die Erklärer der alten Epiker stritten,
ob Hellas und Phthia Städte oder Länder gewesen seien:
Recht hatten die, welche an Länder dachten ^) ; aber auch
diejenigen, welche gleich dem Gewährsmann des Plinius sie
für Städte ansahen, suchten sie nicht bei den Thermopylen
sondern nördlich von Othrys. Arne hiess die Hauptstadt
der Boioter , als diese noch in Thessalien sassen, und bis-
weilen wird auch ihr Land so genannt ; es lag aber eben-
falls nördlich vom Othrys und die Stadt Arne oder Kierion
ist dort im Gebiet des oberen Peneios nachgewiesen worden.
Authentisch sind von allen Namen, welche der Antiquar
des Plinius um Thermopylai und Trachis versammelt, bloss
Callidromus und Lamia; die andern hat er aus dem SchiflP-
katalog B 683, wo Hellas, Alos und Phthia neben Trachis
als Gebiet des Achilleus angeführt werden, und aus Hesiods
Schild des Herakles 380 Tiaoa de MvQfuiöovwv te TioXig
'üXeiTTi T* YawAxGg Aqvtj r' i^ö^ "^EXiy.r] Z4vd^£ia ts Tcoir^eooa
cpcüv^ V7t' dfxcpoTEQWv fxeydl'' \ayov zusammengestoppelt. In
hyperbolischer Weise wird dort geschildert, wie der Kampf-
ruf so gewaltiger Heroen wie des Herakles und des Keyx
von Trachis bis in jene Städte drang; diese Stelle und die
andere, V. 473 o% q' iyyvg valov itoXiog xXsltov ßaailrjog
'^v&rjv MvQ/xiöovcüv ze tcoXw -/.XeiTriv t' ^laojXyiov ^qvtjv
t' i^ö'' ^Eli-KYiv missdeutend verlegte er sie alle an den Oeta.
Die ältesten uns erhaltenen Schriftsteller , welche den
Eridanos mit dem Po zusammenbringen , haben dies noch
1) Unger, Hellas in Thessalien. Philologus Suppl. II 640.
20*
288 SiUung der philos.-philol. Classe vom 7. December 1878.
in einer Weise getlian , welche der geographischen Wahr-
heit nicht zu nahe tritt, und so, dass das Ergebniss der
obigen Untersuchung sowohl bestätigt als vervollständigt
wird. Als die Argonauten, so erzählt Apollonios von Rhodos
IV 566 ff., von Istrien her bei den illyrischen Inseln an-
gelangt waren , bei Schwarz-Kerkyra und Melite , als sie
schon von ferne die keraunischen Berge zu sehen glaubten,
da wurde das Schiff auf einmal vom Sturm erfasst, welcher
es nach Nordwesten zur östlichsten der Elektriden-Inseln zu-
rückschleuderte ; von da gelangten sie an die ^innerste' Münd-
ung des Eridanos, dorthin wo Phaethon sein Ende gefunden
hatte : IV 596 ij c5' eoGvTO ixoXkov stcittqo laiifeoLv eg t'
eßaXov (xv%aTOv qoov ^llqidavöio. Die innerste oder am
weitesten hinten gelegene Mündung des Eridanos von Hellas
aus betrachtet war die nördlichste, diese ist aber keine
andere als die der Brenta, dem Bacchiglione und einem
Canal gemeinsame am Hafen Aedro, welche auch Plinius
III 121 in seiner von Süd nach Norden gehenden Auf-
zählung als die letzte bezeichnet : pars eorum et proximum
portum facit Brundulum, sicut Aedronem Meduaci duo ac
fossa Claudia *). bis se Padus miscet ac per haec effunditur.
Am Porto di Brondolo mündet jetzt ein von der Etsch
(auf diese und die von Plinius mit ihr vorher genannten
Gewässer bezieht sich eorum) ausgehender Canal; nördlich
von ihm am Porto di Chioggia (Claudia) die grosse Lagune,
in welche von Süden her die mit dem Po zusammenhängenden
Canäle, von Nordwest der Bacchiglione und die Brenta
münden.
Nicht lange nach Apollonios schrieb der falsche Ari-
1) Der römische Name beweist nicht, dass ein Claudius (vielleicht
ein Kaiser) den Canal angelegt , sondern nur dass er ihn ausgebessert
oder wiederhergestellt hat, wie Augusta fossa der von Augustus erneuerte
Theil des Canals Padusa hiess.
G. F. Unger: Der Eridanos in Venetien. 289
stoteles 7t€Ql d-avfxaaicov äyiova/naTiov , s. Westermann Pa-
radoxogr. XXVIII; seine Schilderung des Schauplatzes der
Phaethonsage stimmt mit der des Rhodiers überein und
stammt höchst wahrscheinlich aus derselben Quelle. Neben
der Mündung des Eridanos kennen beide einen See, rauchend
von heissen Dämpfen, in welchen Phaethon gestürzt war:
kein Thier trinkt aus ihm, darüber fliegende Vögel fallen
todt hinein ; an seinen Ufern ^) stehen die Schwarzpappeln,
welche Phaethons Schwestern gewesen waren : ihre Thränen
erhärten an der Sonne zu Bernstein, welchen der Wind
vom Strand in den Eridanos führt. Der Aponos, in welchem
Voss diesen See wiederfinden wollte, hat mit ihm nichts
gemein als die Wärme des Wassers; im Uebrigen war er
nur ein Quell (fons Suet. Tib. 14. Claudian idyll. 6, 1.
Cassiodor var. 2 ep. 39; fontes Martial. VI 42) und nicht
durch schädliche Dünste sondern im Gegentheil durch seine
besondere Heilkraft und ein Orakel (oben p. 7 Anm.) be-
kannt, lag auch nicht in der Nähe des Meeres sondern tief
im Binnenland südwestlich von Padua, jetzt Abano genannt.
Der See an der Eridanosmündung hatte nach Ps,-Aristoteles
und Steph. Byz. p. 300, 3 nicht weniger als 200 Stadien
im Umfang und eine Breite von 10 Stadien : wir dürfen
ihn für den südlichen Theil der grossen Lagune ansehen,
welche sich von Brondolo und Chioggia nach Norden bis
Venedig untl Altino ausdehnt; ein genaues Zutreffen der
angegebenen Ausdehnung und der Eigenschaften des La-
gunenklimas wird man in dieser Gegend , in der so vieles
sich geändert hat, nicht erwarten. Auch die Elektriden
des Apollonios kehren bei ihm wieder; ihre Entstehung
erklärt er richtig aus den Anschwemmungen des Flusses
(tavTag rag vt]Govg cpaol nQonsxw^svcti tov ^HqLÖavov) und
1) Das widersinnige «V bei Ps.-Aristot. {elvai 6^ iv avt^ cciysiQovg)
ist in €7i' zu verbessern; Apoll. IV 603 schreibt äfi^L
290 Sitzung der philos.'phüol. Glasse von 7. Decemher 1878.
wir erkeünen daraus, dass auch er den Eridanos für den
Po ansieht, vgl. Strab. V 1, 8 idg ^HXey.TQiöag rac; fcqo
Tov nädov. Man verstand also unter den Elektriden ur-
sprünglich die Inseln , in welche das Alluvium der nörd-
lichen Pomündungen durch die Verästungen und Verbind-
ungsarme derselben zerfällt; entfernte griechische Leser
mochten sie dann weiter östlich im Meere gelegen denken.
Es wäre wichtig zu wissen , welches der Schriftsteller
ist, den Apollonios und der falsche Aristoteles ausgeschrieben
haben ; allem Anschein nach war er es , der die Deutung
des Eridanos auf den Po in die Literatur einführte, wie
andrerseits seine beiden Ausschreiber, zwei im Alterthum
viel gelesene Schriftsteller, bedeutenden Antheil an der Ver-
breitung derselben gehabt haben. Nach Müllenhoff D. A.
I 340, welcher in dieser Frage den Apollonios nicht mit-
berücksichtigt, wäre unter den von dem Aristoteliker nach-
weislich benützten Quellen am wahrscheinlichsten an Lykos
von Rhegion, den Vater des Dichters Lykophron zu denken ;
nicht an Timaios, weil dieser den Bernstein von einer Insel
des nördlichen Oceans kommen Hess, noch an Theopompos,
der (bei Skymnos 392) ausser den Elektriden auch Kassiteriden
im Adriameer genannt habe, wozu die Erwähnung der
zinnernen Bildsäule auf einer der Elektriden bei Ps.-Ari-
stoteles nicht passe. Von Inseln des Namens Kassiteriden
bei Istrien spricht Skymnos a. a. 0. [ovo de zöt' avTOvq
eioi vrjooL xeiinevai, naöOiTeQOv av öokovgi -KaX^LOTOv cpeqeiv)
zwar nicht und gerade der Name Kassiterides würde, da
die Abstammung der adriatischen Küstenbeschreibung des
Skymnos aus Theopompos ohnehin mit Sicherheit bloss bis
V. 387 zvg)wvag angenommen werden kann ^), gegen eine
Erwähnung von Kassiteriden in Theopomps Schilderung des
1) Vgl. oben p. 19 und bei den Hylleern V. 412 die Berufung
auf Timaios und Eratosthenes.
G. ¥. Unger: Der Eridanos m Venetien. 291
Adria sprechen; s. Skymn. 370 GeoTto^Ttog avayQdq)ei de
zavTTjg TTjV d^ioLV^ tag öi] ovvLOd^fultovGa ^cqog rt]v UovTiKrlv
VTqoovg sxei Toig KvnlaGLv efxq)eQeoraTag^ tovtwv öi zag
liisv Isyoiusvag LdxpvQXiöag ^HlexTglöag zs , tag öi y,(xl jLi'
ßv()VLdag, wo nothwendig neben den Elektriden auch die
Kass^teriden zu erwarten wären , wenn Theopompos auch
sie in den Adria verlegt hätte. Andrerseits halten wir die
Annahme der Nähe zinnführender Inseln für keine noth-
wendige Voraussetzung der Behauptung, dass auf einer der
Elektriden eine Zinnsäule aufgestellt gewesen sei. Gerade
die drei so eben aus Theopompos angeführten Inselgruppen
finden wir nun auch bei Apollonios und nur bei ihm sämmt-
iich wieder, s. Argon. IV 506. 515. 564, ebenso dessen
Ansicht von der Gabelung des Ist er IV 325 und der Isth-
mosgestalt ^) des Landes zwischen Adria und Pontus IV
307 ; es ist daher nicht unwahrscheinlich , dass die Schil-
derung des Apollonios und Ps.- Aristoteles, welche den Eri-
danos mit dem Po identificirt, auf ihn zurückgeht.
Mit dem Po soll der Rhone um die Ehre gestritten
haben, die Stelle des alten Eridanos einzunehmen. Mit
Gewissheit lässt sich diese Ansicht kaum einem einzigen
Schriftsteller zuschreiben, nämlich dem Aischylos bei Plinius
hist. XXXVII 32 Aeschylus in Hiberia, hoc est in Hispania,
Eridanum esse dixit eundemque appellari Rhodanum ^), und
nur insofern, sich keine passendere Erklärung als diese auf-
stellen lässt, die an dem Uebelstand leidet, dass der Rhone
1) Die Ansicht von der Gabeltheilung des Ister war schon vor
Theopompos verbreitet (Skylax § 20. Aristot. hist. anim. VIII 18), da-
gegen die vom illyrisch-thrakischen Isthraos ist ihm eigenthümlich , s.
Fr. 140 bei Strab. VII 5, 9 und Skymn. 871.
2) Das gleiche Zeugniss über Aischylos bei dem sog. Apuleius de
orthogr. p. 9 Osann ist ohne Werth, weil diese Schrift erst im XV. Jahr-
hundert angefertigt worden ist.
292 Sitzung der philos.'phüol. Classe vom 7. Dezember 1878.
zwar in früherer Zeit die Grenze Iberiens gebildet hat, aber
eben nur an den Grenzen dieses Landes, nicht innerhalb der-
selben, geflossen ist, vgl. Strab. III 4, 19 ^IßrjQiav med
jLisv Tcov TTQOTeQcov KaXeiod^ai TTaoav rrjv e^w tov '^Podavov
y,al rov lod^^iov tov vno twv FaXaTixwv koXttcov Gcptyyofisvov ;
Skylax 4 «tto ^IßTqqcov 8%ovTai yllyveg %ai ^'ißrjgeg ^lyadeq
(neXQ^ ^otafiov "^Podavov cltto ^Ejj-TtOQiov; Plutarch Aem.
Paul. 6 ^lyveg tcc Klv^o/xeva tco TvQQrjvrjicp Trelayet nal
TtqoQ TTiv ^ißvtjv dvxaiqovra viiuovTai fxeixiyfxivoi FaXaraig
y,al Toig Ttagalloig ^Ißi^Qcov. Hat aber Aischylos wirklich,
im Widerspruch mit der aus seinen Heliaden citirten Stelle,
in irgend einem andern Drama den Eridanos für den Rhone
erklärt, so sind wir der Meinung, dass er dasselbe Miss-
verständniss begangen hat, wie das welches noch gegen-
wärtig in Betreff der Ansicht des Philostephanos von Ky-
rene besteht ^).
Diesem hiess der Eridanos Rhodanos, aber nur zu
seiner Zeit und bei den Eingebornen, Schol. Dionys. Per.
289 (prjol di OiXoaTe(pavog vno twv eyxtoqiwv tovtov tov
XQOvov ^Poöavov covoj^ccod-ai^). Er hat also nicht, wie an-
genommen wird, den Rhonestrom gemeint, welcher im Alter-
thum überall und allezeit Rhodanos hiess und in der grie-
chischen Literatur lange vor der Zeit des Philostephanos
(dem Ende des dritten vorchristlichen Jahrhunderts) unter
diesem Namen bekannt war, vgl. Aristot. meteor. I 13
7C€qI tr^v ^AiyvGTiytYJv ovx sldoowv tov '^Poöavov Kata7[iveTal
rig Ttora^iog; Strab. IV 1, 8 Tteql twv tov 'Podavov öto-
1) Dionys. Per. 290 Scoficctcc KeXrcoy dy/o^t nrjyd(oy xcc^hgQoov
'HqiSupoio durfte nicht als Beweis angeführt werden, dass dieser Byzan-
tiner den Eridanos für den Rhone hält; Ke^rooy ncciSes (v. 291) sind
ihm die Cisalpiner.
2) Auch Gloss. Lugd. Serv. zu Verg. georg. I 482 sagt: ubi sit
Eridanus multi errant; ipsum esse ßhodanum putant propter multitu-
dinem (viell. similitudinem, näml. nominis).
6r. F. Unger: Der Eridanos in Venetien. 293
jLiaTwv UoXvßiog e7tiTif,i^ Ti^iaiq) (pn^oag elvac f-irj Ttevtd-
OTOfxov (xXXa ÖLGtofxov. Jener Zusatz vito twv eyxwqiwv hat
da seine Stelle, wo von zwei gleichzeitigen Benennungen
die Rede ist und die eine von ihnen als den griechischen
Schriftstellern fremd bezeichnet werden soll, z. B. bei Poly-
bios II 16, 12 (o Hadog) /taqd zolg eyxioqioLg %akÜT:ai Bo-
Ssyxog; Arrian b. Eustath. zu Dion. Per. 378 ly sttlxwqlcü
ylwrxiß Beverol eg rovTO IVt dvil '^Evercov xlrjl^ovTai ; Schol.
Arat. 359 o ^Hqidavog Kalelrai vtvo tcZv iyxcoQicov Bo%eQöog
u. a. Zur Zeit des Philostephanos dachte bei dem Namen
Eridanos Niemand an einen andern Fluss als an den ita-
lischen; einen andern also hat auch er nicht im Sinne ge-
habt. Wer die Existenz des Eridanos leugnete, hatte dazu
zwei Gründe: dass weder der Bernstein noch der Name
jenes Flusses sich in Venetien vorfand; letztere Erschein-
ung aber erklärt sich daraus, dass Eridanos nur Helleni-
sirung von Eretenos, dieser Name selbst aber in der Blüthe-
zeit der classischen Literatur nur selten zu finden war: er
wurde ' durch die kürzere Nebenform Reteno , Redeno ver-
drängt. Hatten die ersten griechischen Besucher in Ere-
tenos den Namen Eridanos wiedergefunden , so konnten
wohl auch deren Nachfolger durch Reteno an Rhodanos
erinnert werden ; vielleicht darf aber , da die Mündung des
Flusses, also gerade die Stelle, an welcher die Sage von
Phaethon spielt, an der Grenze der Veneter gegen Atria
lag, angenommen werden, dass wir in Rhodanos die
ligurische Form und Aussprache seines Namens zu er-
kennen haben. Die Vermuthung , dass beide Namen
stammverwandt sind, liegt von vornherein nahe; Ligurer
aber waren die ältesten Anwohner der Mündungen so-
wohl des Rhone ^) als auch (was Müllenhoff D. A.
1) Von der Küste östlich des Rhone ist dies anerkannt; westlich
von ihm wohnten um 350 nur iberische Mischlinge neben Ligurern
i^Skylax 4) und das Hauptvolk zwischen dem Strom und den Pyrenäen»
294 Sitzung der phüos.-philol. Classe vom 7. Deceniber 1878.
218 mit Uureclit leugnet) des Po. Plinius hist. III 112
sagt: ab Ancona Gallica ora incipit Togatae Galliae cog-
nomine. Siculi et Liburni plurima eius tractus tenuere, in
primis M Palmensem Praetutianum Hadrianumque agrum.
ümbri eos expulere, hos Etruria, hanc Galli. Die Sikeler
waren ligurischer Abstammung ; ein Schriftsteller (vielleicht
der p. 567, 9 am unrechten Platz citirte Menippos) bei
Steph. Byz. 568 sagt: twi^ ös vtjguotcov oi ^lev id^ayevelg
TTaXai ^lyveg s§ ^haXuxg 'Sixelot kiyovrai , ol de 87C7jXvSeg
''EXXrjveg eloi 2r/.sXiwTaL , wg iTaluoTaL und Philistos bei
Dionys. Hai. ant. I 22: ed-vog t6 öiaKO/nLod-iv e^ ^haXlag
ovre 2r/,€Xco)> ovz' ^voovcov ovt^ ^EXv(xo)v dXXa jLiyvoiv (rjv),
ayovTog avxovg ^ixeXov . a^avaotijvai Sa sy, rrg eavtiov
tovg udiyvag vjco ts ^O/j-ßgiytiov Kai lleXaoywv ; durch die
Namen der Völker, von welchen sie vertrieben wurden,
deutet er offenbar an, dass ihre frühere (oder genauer ge-
sprochen früheste) Heimat die Poebene gewesen war. lieber
Abstammung und Verwandtschaft der Liburner sind keine
Nachrichten vorhanden ; für unsere Frage kommt aber darauf
nichts an: in Betreff der Gegend an den Mündungen des
Eridanos und Padus besitzen wir noch Ueberlieferungen,
welche deren Bewohner geradezu als Ligurer erkennen
die Elisyker, wird von Hekataios bei Steph. Byz. 469 für ligurisch er-
klärt; Hispanien heisst dem Eratosthenes b. Strab. II 1, 40 Aiyvanxtj
olxQcc, Auf Corsica, dessen Eingeborne ligurischen Stammes waren
(Sallust. hist. II 8. Seneca cons. ad Helv. 8. Solin. 3, 3), war ein Fluss
Rotanus (Ptolem. III 2, 5) : sein Name bildet den Uebergang von Rho-
danos zu Reteno, Eretenos.
1) Dieser Ausdruck ist widersinnig: da die drei auf ihn folgenden
Namen picentischen Gauen gehören, kann von einer hervorragenden Be-
deutung derselben in Gallien nicht die Rede sein. Auch spricht Plinius
nicht von einer hervorragenden Rolle in der früheren Bewohnerschaft
der Gallia cisalpina, sondern von deren früherer Gesammtbevölkerung.
Es ist „in Piceotibus" zu schreiben.
G. F. Ünger: Der Eridanos in Venetien. 295
lassen. Kykaos, der Freund und Verwandte Phaethons,
um dessen Tod er klagte bis er in einen Schwan verwan-
delt wurde, war ein König der Ligurer, Ovid. met. II 367
Ligurum populos et magnas rexerat urbes (nach dem Ele-
giker Pbanokles, s. Lactantius narr. fab. Ovid. 2, 4); Pau-
sanias I 30, 3 (s. u.) ; Serv. zu Aen. X 189.
Mag nun die Form Rhodanos dem Namen des jenseits
der Alpen fliessenden Stromes angepasst oder von den Li-
gurer d der untern Poeben e auf ihre Nachfahren, die ümbern
Etrusker und Gallier übergegangen sein: dass sie den
wahren Eridanos in Venetien angeht , bestätigt ein Aus-
spruch des Euripides, welcher seinerseits wieder aus dem
des Philostephanos seine Erklärung gewinnt. Plinius a. a.
0. sagt, nachdem er das Zeugniss des Aischylos über den
iberischen Eridanos angeführt hat: Euripides rursus et
Apollonius in Hadriatico litore confluere Rhodanum et Padum.
Euripides meint denselben Rhodanos wie Philostephanos,
den Eretenos, welcher auch nach Aelianus zuletzt mit dem
Po sich vereinigt: dies geht mit Klarheit daraus hervor,
dass er den Zusammenfluss an die adriatische Küste setzt.
Die Fabelei von einem Zusammenfluss des Rhone und Po
an dieser Küste auszuhecken war dem Zeitalter todter Buch-
gelehrsamkeit vorbehalten : ApoUonios von Rhodos ver-
stand den Namen Rhodanos von dem Rhone und da er
wusste, dass dieser westlich der Alpen mündet, so erfand
er nach dem Vorbild der Istergabelung eine Theilung des-
selben in zwei Arme, von welchen der eine nach Ober-
italien dem Eridanos, wie er den Po nennt, zugeflossen sei,
Arg. IV 627 s% ös toS-ev ^Podavoio ßa^vv qoov sioavi-
ßrjoav, 0(7t' elg Hgiöavor {^eravloOETai, a/^ifj^Lya ö' vÖcoq ev
^vvoxy ßeßQv%e ixvKcof.ievov. Er gewann dadurch eine neue
Route für die Rückfahrt der Argonauten, welche auf diese
Weise aus dem Po unmittelbar in den Rhone und auf diesem
in das sardoische Meer gelangten; dass ihr Schiff dabei
296 Sitzung der pMlos.-philol. Classe mm 7. December 1878.
über die Höhen der Alpen fahren musste, bedachte er nicht.
Einen Irrthum dagegen , welcher ihm ausserdem noch auf-
gebürdet wird , hat er nicht begangen ; die Besprechung
desselben führt uns zu der Ansicht über den Eridanos,
welche durch Voss herrschend geworden ist.
Die bedeutende Rolle, welche der Eridanos in der alten
Literatur spielt, verdankt er nicht seiner Grösse — er ge-
hörte nicht einmal, wie jetzt klar ist, zu den grossen Flüssen
— sondern einzig und allein der uralten Ueberlieferung,
dass an seiner Mündung sich der im Alterthum so hoch-
geschätzte Bernstein finde. Bereits in hesiodischen Ge-
dichten wurde Phaethous Ende am Eridanos und die Ent-
stehung des Elektron daselbst aus den Thränen der Heliaden
besungen, Schol. Odyss. XI 326. Hygin fab. 154. Lactant.
narr. fab. Ov. 2, 3. Schol. Strozz. German. Arat. 366,
und die Erwähnung des Flusses in der Theogonie 366 er-
klärt sich eben wegen der geringen Grösse desselben nur
aus dem Bestehen dieser Ueberlieferung. Aber gleich bei
dem ersten Erwachen der Kritik stiess sie auf entschiedenen
Widerspruch. Nicht bloss Diodor V 23 , Plinius a. a. 0.
und Lucian electr. 4 bezeugen ausdrücklich, dass zu ihrer
Zeit sich kein Bernstein dort vorfand : schon Herodot III
115 hält sich an die Thatsache, dass der Bernstein welcher
den Griechen zuging nicht vom Po sondern vom Norden
Europas eingeführt wurde. Es ist daher begreiflich, dass
die neueren Forscher auf den Gedanken kamen, nach alten
Zeugnissen von einer nordischen Lage des Eridanos zu
suchen, und Voss hat eine Reihe von Stellen zusammen-
gebracht, welche dafür zeugen sollen; eine nähere Besich-
tigung ergibt aber, dass wir es hier nur mit theils alten
theils neuen Missverständnissen zu thun haben.
Nicht vom Eridanos, wie Voss und MüUenhoff be-
haupten, sondern vom Rhodanos d. i, vom Rhone sagt
ApoUonios a a. 0. , dass er in drei verschiedene Meere,
G. F. Unger: Der Eridanos in Venetien. 297
in das adriatische , das tyrrhenische und in den Okeanos
sich ergiesse, IV 632 avraQ 6 yalrjg ix iÄV%aTY]g, %va t'
uöl TtvXai %al eöiS^Xia Nvxrogy evd-ev aTtOQvvfj-evog t^ (xsv
t' hceqevyeTai ax^ag ^£2y.eavov r^ d'' avTe i^iez'' ^lovirjv aXa
ßaXket T^ (5' eTtl 2aQd6vwv ntkayog y.al arteiQOva xoXtcov
BTCxa dia OTOjuaTcov ist qoov. Der Lauf des Po war seit
dem zweiten punischen Krieg bekannt, seinen Ursprung
konnte man nicht an den Sitz der Nacht d. i. in den
äussersten Norden setzen, um so weniger als er dem grössten
Theil seines Laufes nach die Richtung von West nach Ost
einhielt; dagegen den Oberlauf des Rhone lernte man erst
spät (Müllenhoff p. 194), durch die Peldzüge der Römer
jenseit der Alpen kennen und da der untere Rhone von
Lyon an in gerader Richtung von Nord nach Süd fliesst,
so ist es begreiflich, dass man seine Quelle in den äussersten
Norden, in die dem Okeanos nahen Gegenden setzte. Vom
Rhone , nicht vom Po ist es auch verständlich , dass ihm
ein Abfluss zum Weltmeer gegeben wurde, eine Ansicht die
sich nicht bloss bei Apollonios sondern auch im Hexaemeron
des ßasilius von Caesarea hom. 3, 6 vorfindet : rl Sei
Tovg aXXovg (Ttozafiovg) dnaQi^fxelod^aL ovg a\ '^Flrcai yev-
vwGL zd v7t£Q Tjjg ivöoTazw ^yiv&lag oqtj . lov ioTi y,al o
Poöavog *) fÄSTcc /^vqlojv oXXcov jiOTafxwv xal avTÜv vavoi-
TtOQcov j ov rovg eOTteQiovg FaXarag %al KeXxovg xat xovg
nqooexug amdlg ßaqßdqoig TcaQaf^enpafievoi eTtl t6 sotvsqiov
7tdvTeg eloxiovtai jtiXayog.
Dass Ovidius den Eridanos in den Norden Europas
versetzt, geht aus met. II 323 quem (Phaethonta) procul a
patrio diverso maximus orbe excipit Eridanus fumantiaque
abluit ora keineswegs hervor ; die richtige Erklärung findet
sich in den Schulausgaben, z. B. bei Siebeiis: ^orbe wie
1) Die falsche Lesart 'HqiSccpos hat Müllenhoff p. 228 endgültig
beseitigt.
298 Sitzung der phüos.'phüol. Glasse vom 7. Decemher 1878.
I 94 peregrinum ut viseret orbem ; diverso seiner Heimat,
dem Orient, entgegengesetzt, also im Occidenfc\ Er unter-
scheidet ihn wie vom Rhone so auch vom Po, met. II 258
fors eadem Ismarios Hebrum cum Strymone siccat Hesperios
amnes Rhenum Rhodanumque Padumque cuique fuit rerum
promissa potentia Thybrim ; da man an die Verschiedenheit
des venetischen Eridanos, welchen Ovid offenbar meint,
vom Po nicht dachte, so konnte man auf den Gedanken
kommen , den Fluss in entfernteren Ländern zu suchen,
hätte aber doch nur Gallien oder Hispanien, nicht die Ost-
seeküsten jensei t Germaniens ins Auge fassen dürfen.
Nach Gallien setzt ihn Pausanias I 3, 5 ol Falaiav
ovTOt vefiovrat Trjg EvQCOTir^g xd bOyjOLxa Inl S^aXccTTT] TTolXfj
ytal eg tcc jieqaTa ov TtXcolfxc^ ^ 7t.aqiyjE.zcii Si afiTtcoriv nal
qaxictv ycal ^7]Qla ovöiv ioiTtoza xdlg ev d^aXdaarj t?) Xoltv^
Kai oq)LGi ötd Trjg ycogag qsI Tiovafxog ^HQiSavog, S(p^ o) zag
-dvyazegag zov *^HXlov oSvqeod^ai vo^lC^ovöl z6 tceqI Wasd^ovza
Ttdd-og. Vergleicht man damit die bodenlose Verwirrung
bei Paus. I 30, 3 uiiyvcov zwv "HQidavov fceqav VTtsQ yr^g
zrig KeXzixr^g Kvy,vov avöqa {hovolkov yeveoS^ai ßaoilea
(paolv, wo die Ligurer seiner Zeit hinter Gallien und doch
jenseit des Eridanos, also nördlich des Po oder westlich des
gallischen Eridanos gesetzt werden, so erhellt leicht, dass
auf die Ortsbestimmungen dieses der Geographie jener Ge-
genden gänzlich unkundigen Schriftstellers gar nichts zu
geben ist: er hörte, dass der Eridanos d. i. der Po in
Gallia , nämlich cisalpina, liege und da westlich von diesem
Ligurien ist, so setzte er dieses hinter Keltike und jenseits
des Eridanos. Valerius Flaccus V 431 und Philostratos
imag. I 11 geben gar keine Andeutung über die Lage des
Eridanos. Woher die Nachricht des Choirilos in d. Gloss.
lugdun. Serv. zu Verg. georg. I 482 Chaerilus in Germania,
in quo flumine Edion (sehr. Phaethon) exstinctus est ge-
nommen ist, bleibt ungewiss ; jedenfalls enthält diese Be-
G. F. Unger: Der Eridanos in Venetien. 299
hauptung eine eigenmächtige Neuerung gleich der des in
derselben Glosse citirten Ktesias , welcher den Fluss nach
Medien verlegte, oder der Angabe des Euripides und Chares,
Phaethon sei in Aethiopien umgekommen (Müllenhoff 221).
Ungleich besser beglaubigt erscheint das älteste der
Zeugnisse, welche für einen nordischen Eridanos beigebracht
werden, das von Herodot III 115 als unglaublich angeführte:
ovT£ lycoys evöeKOf^ai ^HQiöavov xiva Kalieo&ai ttqoq ßaq-
ßaqwv TtOTafÄOv , enöiSovTa eg d-cXaoöav rrjv uQog ßoQrjv
ave(xov, dq)' otev to ijleyiTQOv cpOLxäv loyog iozl, ovte viqoovg
OLÖa KaooLTEQLÖag eovoag, sk tcov 6 ycaoGLTeQog rj[/lv (poLTa.
Er bekämpft dasselbe mit zwei Gründen : erstens sei der
Name Eridanos griechisch^), also jener Barbarensprache
nur angedichtet; der zweite lautet wörtlich: tovto öi ov-
ÖEvog avTOTtTeco yevojxevov ov övvafxai dxovGaL , tovxo (äeXe-
tcdv^ OKwg ddlaood ioti xd Irci^uva xr^g EvQWTtrjg. Der
Wortlaut der von Herodot angefochtenen Nachricht nöthigt,
wenn jener ihn treu wiedergegeben hat, keineswegs zu der
Annahme, dass ihr Gewährsmann den Fluss nördlich von
Europa gesucht hat : diese Ansicht hat ihm , wie uns
scheint, erst Herodot missverständlich untergeschoben. Der
alten, bis zum Bekanntwerden von Gadeira und Tartessos
alleinherrschenden Weltanschauung des Griechen volkes war
Okeanos ein Strom, der die bewohnte Erde umfloss ; unter
d^aXaooa, dXg, jtovxog, itekayog als einem Ganzen verstand
man daher das Mittelmeer, s. Forbiger Handb. d. a. Geogr.
I 4; 22. Dieser Anschauung wurde zwar schon in der
zweiten Hälfte des siebenten Jahrhunderts die Grundlage
entzogen, als der Samier Kolaios und nach ihm die Phokaier
die Säulen des Herakles erreichten und dort anstatt eines
1) Ursprünglich geht der Name bloss den Bach hei Athen an, ist
also nicht von ^ql früh' sondern von ?f()< ^ira Frühling' abzuleiten, d. i.
Giessbach, torrens ; vgl. 'fl7r«<5az/oV von rjntos , Nehen^. des 'Eyt-nevs
(reissend, von ivirc'^).
300 Sitzung der philos.'phüol. Classe vom 7. December 1878.
Stromes sich ihren Blicken ein neues grösseres Meer darbot;
aber bei den Massen brach sich die neue Erkenntniss nur
allmählig und langsam Bahn: wie die ptolemäische Welt-
anschauung noch lange nach Copernicus fortherrschte und
in der Sprache sich heute noch geltend macht, so dauerte
es bei den Griechen noch mehrere Jahrhunderte, bis die
geographische Umwälzung vollständig durchgeführt war.
Während der üebergangszeit finden wir in Folge dessen
einen doppelten Sprachgebrauch bei den Ausdrücken, welche
sich auf das Meer beziehen: neben der alten Bedeutung
erhebt sich die neue, welcher die Zukunft gehört, und ringt
mit ihr um die Existenz; der Ausdruck wird doppelsinnig
und es kann daher leicht vorkommen, dass ein Schriftsteller
den andern missversteht.
Bei mehreren von diesen Ausdrücken ist das Schwanken
der Bedeutung theils nicht beachtet theils die ältere weniger
richtig erklärt worden. Zur Bezeichnung des Weltmeers
diente der neuen Auffassung ausser ^Q-aeavog auch rj fXEyaXr]
-d^alaooa, s. Skymnos bei Schol. Apoll. Rh. IV 284. Polyb.
III 37, 11. Cicero rep. III 74. Plinius bist. III 74. Favo-
rinus b. Steph. Byz. 707, 1 u. a.; der älteren Anschauung
kann das ^grosse Meer', da dieser Ausdruck das Vorhanden-
sein kleinerer Meere neben ihm voraussetzt, nicht wie Klausen
zu Hekataios p. 39. 148 und Forbiger I 49. II 14 will
das ganze Mittelmeer sondern nur die weiten und offenen
Flächen desselben östlich von Hispanien und westlich von
Italien, nördlich von Africa und südlich von Kreta bezeichnet
haben , im Gegensatz zu den engen und eingeschlossenen
Theilen, dem Adria Archipel und Pontus. In diesem Sinne
sagt ein Zeitgenosse des Aristoteles, Herakleides Pontikos
bei Plut. Camill. 22 cctto T^g €G7t€Qag loyov xaraoxslvj
wg OTQUTog s^ '^YTisQßoQscov H^wv e^co-^sv fiQri^ei noXiv 'E^-
Xrjvida Pwfxrjv SKel ftov xariJj^rjfÄevrjv tibqI rr^v fÄsyaXrjv ^a-
XaTtav; ebenso ohne Zweifel auch Hekataios bei Arrian
6r. F. Unger: Der Eridanos in Venetieu. 301
exp. AI. IL 16, 5 vrjoov Tiva 'EqvO-eiav e^w 'lijg i.L^yakrjg
d^aXaoorjg. Erst ein Spätling wie Orosias I 1 konnte niare
magnum und mare nostrum für völlig gleichbedeutend an-
sehen. Auch eine andere häufig gebrauchte Benennung
des Weltmeers, i) sxTog oder e^io x^alaoaa ( Aristot. meteor.
I 13. Polyb. III 37. 57. XVI 29. XXXVII 10. Strab. II
5, 18 u. a.) , ist der ältesten Geographie entlehnt und be-
zeichnet in dieser dasselbe wie rj f-ieyalrj dalaoöa : gleich
dieser Bezeichnung findet sie sich im älteren Sinuc noch
lange nach Herodot, s. Skylax § 17 TvQQrjvla sotI diri-
ycovGa med zr^g e^codsv &aXatT7jg f'cog eig xov ^Adqlav '/.ol-
Ttov und F-*lut. Perikl. 26 ^tteI jtavzelwg '/.aTey.Xeiod^i]Gav o«
^afXLOL, eTtXevoav eig cov e^io novrov^ eig Kvtvqov oxeXXo-
fievog.
Das Kronische Meer setzen Philemon bei Plinius bist.
IV 95 (vgl. 104), Plut. de facie in orbe lunae 26, Ptole-
maios geogr. II 2. Agathemeros II 14, Claudian. laud. Stilic.
I 479, Dionys. Per. 32 u. a. nördlich von Europa ; wenn
Apollouios von Rhodos IV 327. 509. 548 es bei Istrien
und Illyrien sucht, so wird das allgemein, auch von Müllen-
hofF D. A. I 220, als Neuerung des Apollonios betrachtet.
Das Verhältniss ist aber gerade umgekehrt. Philemon, der
älteste der so eben für die nordische Lage des Meeres citirten
Schriftsteller, schrieb, wie Müllenhoft p. 412 fg. richtig be-
merkt, frühestens im ersten Jahrhundert vor Christus: er
weiss, dass Morimarusa ein cimbrisehes Wort ist und todtes
Meer bedeutet (Plinius a. a. 0.) , schrieb also wenigstens
hundert Jahre später als Apollonios. Die Ansicht des letz-
teren ist , wie der Scholiast desselben zu IV, 1 behauptet,
die ältere : 7,aTrjv£x&r]Gav eig tov LäÖQLCtv xal eTxsQaiwd^rjGav
eig ro jtctXai xaXovf.ievov Kqovlov ; dies wird bestätigt durch
Aischylos Prom. 836 evTev^ev (von Dodona) olGTQtjGaGa
xiqv TtagaKTiav yieXevd-ov fl^ag Ttqog ^dyav '/,6Xnov jRf'ag?
XQOvov de TOV fxeXXovra jtovxtog fxvxog , Gacpwg eTtiGzaGo^
. [1878. 1 Philos.-philol.-hist. Cl. Bd. II. 2.] 21
302 Sitzung der philos.-philol. Classe vom 7. Dceemher 1878.
^lovLog y.ey.li^oeTai, vgl. Tzetzes zu Lykophr. 630 ttqoteqov
Kqoviog y.at '^Peag yolnog elsyero, eiTa ^loviog. Der Name
hing zusammen mit dem sonst unbekannten aber schwerlieh
von einem Erklärer erfundenen einer Insel des Adria bei
Eustath. zu Dion. Per. 32 TtaQCc ^TtoXltüvlw svQr]Tai Kqovia
Xsyofiivr] ^dlaooa y,at 6 juvyog tov 'Iovlov xoXnov ccTto vrioov
Tivog Kqoviag yaXovfAlvrjg ttjv TOLavrrjv KXrjoiv Xaywvj und
wurde wohl sammt diesem mit der Wohnung des Kronos
im hohen Norden, am Sitze der Nacht, zusammengebracht,
vgl. Schol. Apollon. IV 327 tov ^ÖQiav q^rjolv. svTac^a
yccQ TOV Kqovov y,aTCü}ir]x€vai. Den veralteten Namen suchte
man später nach Erweiterung der geographischen Kenntnisse
nördlich von Britannien und Germanien; zur Zeit als man
vom Weltmeer noch nichts wusste, konnte man unter dem
nördlichen Meer nur den Adria verstehen: denn dieser ist
der am weitesten nach Norden sich erstreckende Theil des
Mittelmeers, so weit es zur Zeit der Epiker bekannt war.
Er heisst auch geradezu das nördliche Meer, Plut. Camill,
16 T^Jv ßoQsiov daXaooav l^Sglav '/.aXovoiv, ttjv de ^rgog
voTOv ysKliinevrjv avTixQvg TvQorjviycov nfXayog, eine Benenn-
ung, welche nicht von Italikern sondern von Griechen aus-
gegangen ist, vgl. Plin. bist. III 75 ab eo (Ligustico mari)
ad Siciliam insulam Tuscum , quod ex Graecis alii Notium
alii Tyrreuum, e nostris plurimi inferum vocant.
Denselben Trrthum wie Philemon und andere mit dem
Kronischen Meer, hat nach unserer Ansicht Herodot mit
dem ^Meer im Norden' begangen, in welches laut Angabe
seines Gewährsmannes der Eridanos mündet : er schiebt
diesem unwillkürlich die erweiterte Kenntniss Europas ui^ter,
zu welcher er sich selbst aufgeschwungen hat. Dies anz-u-
nehmen veranlassen uns zwei Gründe. Erstens der Um-
stand, dass das ganze Alterthum mit unbedeutenden Aus-
nahmen als das Meer, dem der Eridanos zufliesst, den Adria
betrachtet: uuter den älteren Schriftstellern nachweislich
G. F. TJnger: Der Eridanos in Venetien. 303
Euripides, Herodots Zeitgenosse, und vor ihm Pherekydes
und Aischylos. . Zweitens wie Herodot selbst erklärt , dass
so viel ihm bekannt sei noch kein Reisender ein Meer im
Norden Europas gesehen habe, so hatte man überhaupt bis da-
hin vom Weltmeer weiter nichts kennen gelernt als die kurze
Strecke von den Säulen des Herakles bis zur Südwestspitze
Iberiens ; wer also von einem Meer im Norden sprach , der
faselte entweder oder er meinte den Adria. Herodot aber
hatte noch einen besonderen Anlass, das Nordmeer in seiner
Weise zu deuten : er wusste , dass der Bernstein ebenso
wie das Zinn vom hohen Norden bezogen wurde ; drum fügt
er zum Schlüsse hinzu : l^ lo%arijg d'' cov o ze y,aooi'
T€Qog rifuv (pOLta Y.al t6 rjXeKTQOv.
Die Frage, wie es kommt dass die ältesten Schriftsteller
als Fundstätte des Bernsteins eine Gegend am Adria be-
zeichnen, während schon zu Herodots Zeit derselbe nur aus
dem hohen Norden bezogen wurde, haben schon unter den
Alten manche zu beantworten gesucht. Plinius XXXVH 44
meint, man habe desswegen Venetien für die Heimat des
Elektron angesehen, weil dort die Frauen dasselbe vielfach
theils als Schmuck theils als Amulet trugen ; ähnlich Solinus
20, 10: weil man den Bernstein dort zuerst gesehen habe.
Beide schöpfen aus gleicher Quelle; sie fügen hinzu, dass
er den Venetern aus Pannonien, einem Hauptstapelplatz
dieses Artikels, zugekommen sei. Neuere behaupten, im
Anschluss an diese Meinung, von Pannonien aus habe er
durch den Handel den Weg an die Pomündungen gefunden ;
dort hätten ihn die Phoiniker in Empfang genommen und
den ältesten Griechen zugeführt. Pannonien und Venetien
war aber nur für Italiker und Römer das Durchgangsland
und an diese denken Plinius und Solinus, wie auch letzterer
von Venetien ausdrücklich sagt : quod ibi primum nostri
viderant, ibi etiam natum putaverunt. Zu den Griechen
führte der Weg von der Ostsee nicht über die illyrischen
304 Sitzung der philos.-philöl. Classe vom 7. Decemher 1878.
Küsten, geschweige denn über Venetien. Wir keimen keine
Erklärung, welche es wahrscheinlich macht, dass man irr-
thümlich dies Land für eine Fundstätte des Bernsteins ge-
halten, und vermuthen daher , dass einst wie an so vielen
andern Gestaden auch am Strande Venetiens der Bernstein
sporadisch gefunden und diese Gegend daher als die den
Griechen nächste von einem oder dem andern für das eigent-
liche Vaterland des kostbaren Steines gehalten worden ist
Aehnlich ging es mit den Bernsteinfunden der deutschen
Nordseeküste. Diese, nicht das Samland, ist wie MüllenhoiF
zeigt die Bernsteingegeud des Pytheas und Timaios; trotz
ihrer geringfügigen Ausbeute erklärt Diodor V 23 darauf
hin: hier und nirgends anders auf der Erde ist die Heimat
des Elektron.
Sitzungsberichte
der
königl. bayer. Akademie der Wisseuschaften.
Philosophisch-philologische Classe.
Sitzung vom 7. December 1878.
Herr L a u t h hielt einen Vortrag über :
Die ägyptische Tetraeteris.
Im Verlaufe meiner Untersuchungen ^) über die chrono-
logischen Denkmäler Aegyptens musste das wichtige Element
der Tetraeteris öfter erwähnt und besprochen werden.
Da der Unterschied des Wandeljahres vom fixen Sothisjahre
in dem Vierteltage gipfelt, dessen viermalige Wiederholung
den Schalttag und damit zugleich den vierjährigen Schalt-
cyclus der Tetraeteris gestaltet, so ist ersichtlich, dass dieser
Zeitkreis das Fundament der ägyptischen Chronologie bildet,
aus welchem die Hoffnung auf endgültige Feststellung der
1) „Les Zodiaques de Denderah" 1865. — ,,Die Schalttage des
Euergetes I unl des Augustus". — „Die Sothis- oder Siriusperiode"
1874. — „König Nechepsos, Petosiris und die Triakontaeteris" 1875
(Sitzungsberichte). — Vergl. auch Boeckh's: „lieber die vierjährigen
Sonnenkreise der Alten" Berlin 1863.
[1878. I Philos.-phil.-hist.Cl. Bd. IL 3.] 22
306 Sitzung der phüos.-jihüol. Classe vom 7. Deceniber 1878.
Zeitreihe erwächst, und dass folglich die specielle Behand-
lung dieses Themas sich um so mehr empfiehlt, als das
ägyptische Quadriennium zugleich einen integrireuden Theil
der Sothisperiode bildet. Ich habe um so dringendere Ur-
sache und Veranlassung, dieses in Angriff zu nehmen, als
ich in einem grösseren Werke ^) die vollständige Reihe der
Epochen aufgezeigt habe, welche selbst wieder nur durch
die vierjährige Verschiebung der beiden ägyptischen Jahres-
formen zu gewinnen waren. Es kommt also darauf an, den
Nachweis zu lieferD, dass die Aegypter sich der vierjährigen
Periode oder Tetraeteris bewusst gewesen sind und auf welche
Weise sie dieses zum Ausdrucke gebracht haben. Da die
Theorie fast erledigt ist , so werde ich mich hauptsächlich
auf praktische Beispiele beschränken und diese gleichsam
rückläufig, d. h. von der jüngeren Zeit zur älteren, auf-
steigend, vorführen , wobei ich mich indess auf das Noth-
weudige beschränke.
T.
Die Existenz d^r Tetraeteris bei den Aegyptern wird
zunächst durch eine Stelle des Horapollon II 89 bezeugt,
wo er uuter der Ueberschrift Ttwg avd-QWTtov KrjOavTa ze-
Xelov ßtov (orjf^aivovai) die Antwort ertheilt, dies geschehe
durch die Zeichnung einer todten Krähe; denn diese lebe
hundert Jahre: to Ss erog /.ax AlyimTiovg TeTTCcQov
Ev lav TW V. Er gibt also dem fcVog den Umfang von vier
8viavTol, womit doch nichts Anderes als die Tetraeteris
gemeint sein kann. Nur bleibt fraglich , ob der Beisatz
xaz' AlyvTtULOvg sich nur auf die jüngere dem Horapollon
zunächst liegende Zeit bezieht, oder auch auf die früheren
Jahrhunderte und Jahrtausende der ägyptischen Geschichte
anwendbar sei. Ich nehme das Erstere an und glaube, dass
2) „Aegyptische Chronologie" 1877.
Lauth: Die ägyptische Tetraeteris. 307
der im vierten nachchristliclien Saeculnm lebende Verfasser^)
nur den vierjährigen Schaltcyclus gemeint hat, wie er seit
der Kalenderreform unter Augustus (25 v. Chr.) in Aegypten
üblich war, in Folge dessen alle vier Jahre ein sechster
Epagomen eingeschaltet wurde.
Ein kleines bilingues Denkmal^) des Bulaqer Museums
besagt im griechischen Texte , dass ein gewisser Apollonios
mit dem Titel yiiß^oyqa^^axEvg einen Bau hergestellt habe
L ZZ Ttßeqiov KaioaQog ^sßaOTOv Tvßrj lt]. Der demoti-
sche Text ist ausführlicher, wie Brugsch in seiner Mit-
theilung scbon bemerkt hat, auch in BezAig auf das Datum;
denn er besagt: ,,Im Jahre 17 des Tiberios Kaisaros des
(Sohnes des) Gottes (Augustus), am 18. Tybi des Joniers
(pe-üinen), welches gleich ist dem 1. Mechir des Aegypters.''
Die sehr einfache Berechnung dieses Doppeldatums ergibt
den 13. Januar 31 n. Chr. des julianischen Kalenders.
Die Verschiebung beträgt 14 Tage oder 14 X 4 = 56 Jahre:
genau so viele, als zwischen 25 v. Chr. und 31 nach Chr.
liegen. Ist schon hiemit die Tetraeteris bewiesen, so gibt
die Gegenüberstellung von ,,Jonier'' und ,,Aegyptier" zu-
gleich die Thatsache an die Hand , dass das seit Augustus
fixirte Jahr seinen Namen von den alexandrinischen Griechen
erhielt, während das Wandel jähr als das eigentlich ,,aegypt-
ische" bezeichnet wurde. Dieses galt natürlich auch als
das ältere, daher statt xair' ^lyvTctlovg öfter Kaz' aQxalovg^
sowie statt xöt' Läle^avdqdg auch xazr« tlov ^EXXtjvcov (sie !)
getroffen wird.
Wenn also Horapollon II 89 den Ausdruck xöt' ^lyvTt-
TLOvg gebraucht, so scheint es, dass er zugleich das alte
Wandeljahr im Auge gehabt habe. Da jedoch vier ägyptische
3) Vergl. meine akad. Abhandlung: „Horapollon" 1876 (Januar-
Sitzungsberichte).
4) Zeitschr. f. ägypt. Sprache. 1872, 27—29.
22*
308 Sitzung der philöl.-philos. Classe vom 7. Decemher 1878.
Wandeljahre nur in Rücksicht auf den stabilen Hintergrund
des fixen Sothisjahres eine Einheit bilden , so ergibt sich
daraus die Schlussfolgerung, dass Horapollon das ägyptische
Doppeljahr gekannt und bezeichnet hat. Ist dies ja noch
viel später in Anwendung gekommen ! Denn die Berech-
nung des Sothisaufgangs am 29. Epiphi durch den Mathe-
matiker Theon von Alexandrien, sowie die 25jährigeu Cyclen
der Handtafeln des Ptolemaeus, dessen Alraagest jener com-
mentirte, ergeben, zusammen combinirt, wieder das ägypti-
sche Doppeljahr und zwar so, dass das Wandeljahr, wie es
nicht anders möglich war , unter einer einzigen Form er-
scheint, während das fixe Jahr in zwiefachem Sinne auftritt,
als alexaudrinisches und als Sothisjahr. Gerade so dürfen
wir die Stelle des Horapollon TI 89 deuten: t6 ydq cTog
xöt' ^lyvTT'ciovg xecTaqcov {ßoriv) sviavTcov. Jedenfalls ist
durch Obiges die Existenz der Tetraeteris für den Zeit-
horizont des Verfassers erhärtet.
Noch näher, weil phonetisch, wird der vierjährige Schalt-
cyclus bezeichnet in einer anderen Stelle Horapollon's I 5,
die ich im ,,Manetho," „Horapollon" und in „Trojas Epoche"
bereits erörtert habe. Sie lautet: Erog t6 iviOTainevov
yqacpovTeg^ xkxaqxov ccQOvqag yQaq)ovOiv . . . ßovl6f.ievot xe
erog ehcelv, ztxaQTOv (aQOVQag) Isyovoiv^ eneLÖri cpaoi^ yiaxa
rvjv dvaTolrjv lov aoiQOv xtjg ^co^ecog, i^ey^Qi xrjg dXlrjg
dvaroli^g, t ixaqxov rj^dqag jCQogvid-eo&ai^ cog eivai t6 exog
Tov dsov TQiaKOolcüv e^Tjxovxa /tevzs iqiusQcov ' o&ev yial did
TeTQasxrjQiSog 7reQiGorjv rjjLieQav aQLx)^(ÄOVöiv ^lyvmioi ' %d
yccQ xioaaQa %i%a{jxa i^iueQav CiTtaQxitei.
Mit Beiseitelassung des Kritischen, z. B. dass dieConjectur
des Salmasius hinter ,,365 iqixeoiZv ein %al xexdqxov — gegen
alle Codices! — einzuschieben, unnöthig sei, beschränke ich
mich auf die Constatirung, dass Horapollon hiemit uns die
Phonetik ß g"^ h a s o p ,,ein Viertel Ackers" als a e n i g -
Lauth: Die ägyptische Tetraeteris. 309
matiscbe Bezeichnung des A.ufangsjahres der Tetraeteris
darbietet- Brugsch hatte darin den Begriff annee future
zu sehen geglaubt, was allerdings zu sviOTaj^evov erog annus
instans stimmt. Indess scheint es mir, dass der Bestandtheil
svi aus der Glosse ivLavTog abgekürzt od. fälschlich (statt to ev?)
in den Text gekommen ist. Vergl. weiterhin das koptische
d^ct^cooT! annus primns. Denn in der That treffen wir
die Gruppe '^^ g © ha-sop mit den Varianten ^^^' j^
und i ^?i^ als Ausdruck für das erste Jahr einer Te-
traeteris in der jüngeren Zeit , der der Ptoleraaeer, öfter.
Ich citire aus der grossen Inschrift von Edfu ^}, welche der
Zeit des Neodionysos anzugehören scheint, auch des Caesarion,
wie Naville annimmst — sowie des Augustus — und den Kampf
des Horus wider Typhon zum Gegenstande hat, die Stelle:
^-^ \a nnn ill '^ f \ ° 1 ■?" '^ ^cl- sop 363 en
nnn ^ ^^ -^ * ^^^
Repa Ba-HarmacM anch-djet ,, Leitjahr 363 des Stamm-
halters Ra-Harmachis des ewig lebenden". Dieses Datum
bezieht sich auf den siegreichen Zug des Horus wider Typhon.
Fasst man es mit mir als Bezeichnung der „Tetraeteris 363'',
so ergibt sich die gewiss überraschende Erscheinung, dass
diese göttliche That auf den 3. Epagomen des Wandeljahres
verlegt ist, welcher als fn ' P:nJ „Geburt des Set-Typhon"
bezeichnet wird — um so passender, als der nächst voran-
gehende Tag: der 2. Epagomen, die Signatur (n ' ^^
,, Geburt des Horus" trägt. Hiemit ist bewiesen, dass dem
Horus, der ja ohnehin der Repräsentant aller Götter ist
— ^^ steht in jüngerer Zeit stets für | nuter UOT^ deus —
die Durchschnittsdauer einer 1460jährigen Sothisperiode eignet.
5) Naville, textes relatifs ä Horus pl. XII.
310 Sitzung der philos -philol. Glasse vom 7. December 1878.
Aber ausserdem, dass hiedurch ein bisher unverstan-
denes Datum seine rechte Deutung erhält, wird auch das
koptische di».c?i^O)OTi primus annus dadurch authentisch er-
läutert, indem dieses Compositum sich als Abschleifang aus
einem ursprünglichen g^esw-ct^iooTi — ^ q © ^^ ha-sphoui
darstellt. Da nun die Endung OTi in älterer Zeit dem
Dualis eignet , so scheint es , dass q "@ s o p con vicissi-
tudo eigentlich eine Zeit von 2 Jahren ausdrückt. Aber
auch in dem Falle, dass OTi einen Plural bezeichnet, wie
^fiHO'y! opera von g^iofe opus, bleibt der Gruppe ha-sphoui
die Bedeutung ^^dux (g^H, £ä.) vicium" d.h. Vorjahr, Leit-
jahr, Anfangsjahr, gerade wie es Horapollon's [sv]loTaiii6vov
srog bezeichnet. Abgesehen von Redensarten wie eviaxaod^aL
bdov ,, einen Weg antreten" und mit Berücksichtigung der
Conjectur : kxog t6 [hiavTov tov] lorafAEvov^ leitet schon der
Ausdruck lorafÄevov im Gegensatz zu cpd^ivovTog (^rjvog) auf
den Begriff „Anfangsjahr". Man wird es daher nicht miss-
billigen können, dass ich in ,,Troja's Epoche" des Eratosthenes
ro TiQorjyovixEvov ezog Ttov TtQWTcov 'OlvfiTiuov mit Horapollon's
To [ev]iOTa/u£vov erog parallel gefunden und durch Diodor's
I, 4 TtQorjyovfdsvai TQslg ßlßXoi erläutert habe.
Betrachten wir jetzt noch einmal das Datum ,,hasop 368^''
des Textes von Edfu , so werden wir überzeugt sein , dass
damit wirklich die 3 63. Tetraeteris einer Sothis-
periode gemeint ist. Es vertritt also in diesem Falle das
hasop oder „Leitjahr" zugleich die drei weiteren Jahre der
Tetraeteris, wie wir ja analog mit dem Schlussjahre den
ganzen vierjährigen Schaltcyclus bezeichnen können, so dass
z. B. ein am 29. Februar Geborener mit 80 Jahren seinen
20. Geburtstag feiert.
Um die Bedeutung des koptischen [g^Jd^ct^woTi primus
annus noch besser hervortreten zu lassen, ziehe ich ein ver-
Lauth: Die ägyptische Tetraeteris. 311
wandtes Beispiel ans Denderah hieher. In der grossen Wand-
inschrift ®) ist die Rede von der Treppe , welche zum Saale
führt. In diesen wird ,, eingetreten von Seiten ^ |j = 4
der Hathor, der Herrin von Denderah; es ist der Götter-
kreis auftauchend hinter ihr, nachdem sie geschaut die
Strahlen ihres Erzeugers (des Sonnengottes) | 2 ^ U ^ö^ ] m
ter n uan VIII u „zur Zeit des Umkehrens der (acht) Jahre",
Das Zeichen ], ein umgekehrtes ■|^), zeigt acht Kerbe,
die ich auf die acht Jahre einer Doppeltetraeteris be-
ziehe. Nun beachte man den koptischen Ausdruck g^Ä. - n -
OTWüioiT! annus vertens. Es ist nicht der Plural von
othott hora , wie Parthey in seinem Lexicon meint , mit
Praefigirung des articulus indefinitus pluralis g^^^w, sondern
es ist so zu trennen, wie ich es gethan habe, und ein ur-
sprüngliches ^"^-^ V V H ^^ \\ ^<^*"^-^^*^^^^ dux (princeps)
anniversariorum vorauszusetzen. Die nicht abzuweisende
Analogie dieses g^dw - ti - OTTitcooir! mit g^Ä.-(ii)-ct^iooir!,
besonders nach Einsetzung des facultativen w, im Zusam-
menhalte mit den 8 Kerben L gewährt uns die Ueber-
6) Dümichen in Zeitschr. f. ägypt. Sprache. 1876, 34.
7) Aehnlich wird wohl die Gruppe I^IJ a/ I (ßrugsch , Drei Fest-
kalender Taf. X, 11) als „eine Menge von Tetraeteriden" zu fassen sein,
indem der Schreiber statt des j mit 4 Kerben das Zeichen I gesetzt
hat. Damit harmonirt es, dass col. 13 die analoge Gruppe Mm
en heh-sed d. h. „eine Menge von Triakontaeteriden" folgt. Erst col. 28
steht Mm ^^'^'^^ 1 ffi „eine Menge von (Einzel-) Jahren "
312 Sitzung der philos.-phüol. Classe vom 7. December 1878.
Zeugung, dass uan „Wendung, Urakelir'^ die ganze Te-
traeteris bezeichnet, während s o p die halbe Tetraeteris
zu vertreten scheint. Es ist auch wohl zu beherzigen, dass
,,die Zeit der Doppelwendung" in Verbindung steht mit
dem symbolischen Akte des Hinauftragen s der Hathor auf
das Tempeldach von Denderah , um den heliakalischen
Frühaufgang der Hathor- Sothis zu versiunlichen. Denn
der Tempel von Denderah eignet , wie ich schon in den
,,Zodiaques de Denderah" dargethan habe, dem chronologisch
wichtigen Akte der Siriusbeobachtung, welche den Unter-
schied der beiden Tetraeteriden um */4 oder 1 Tag frühzeitig
ergab und die gesammte Chronologie Aegyptens auf unver-
rückbarer Grundlage herstellte.
Ebenso ausgemacht ist die Wechselbeziehung der beiden
Heiligthümer von Denderah und Edfu (Apollinopolis magna).
Die gegenseitigen Besuche des Horus und der Hathor be-
deuten nicht etwa leere Caerimonien, sondern sind, wie ich
schon in meinen ,,Aegyptischen Reisebriefen" hervorgeboben
habe, von eminent chronologischer Wichtigkeit. Indem ich
mich auf den Nachweis der Tetraeteris beschränke und mit
dem jüngsten Beispiele beginne, um allmälig zu den älteren
aufzusteigen, treffe ich zuerst auf das 25. Jahr des Ptole-
maeus XIH Neos Dionysos. Am Pylone des Tempels von
Edfu findet sich eine Inschrift, deren Enträthselung ich zu-
erst ^) unter der Aufschrift „Ueber aenigmatische Datirungen"
in Angriff genommen habe. Der Text besagt , dass die
Vollendung der beiden Thürflügel des Eingangsportales,
sowie das sich daran schliessende Baufest stattgefunden hat
8) Ztsch. 1865, 78. Es freut mich constatiren zu können, dass
mein Vorgang später (1870—1872) so folgenreiche Erweiterung in den
Aufsätzen vmi Brugsch und Dümichen erfahren hat.
Lauth : Die ägyptische Tetraeteris. 313
„Tag diesen glücklieben im Anfangs- Jahre (hasop) 25, Vso
des Kahika.'*
AAAAAA „
Anderwärts ist geradezu ' '^ ' ^liJo f ^' ^' ^^^ ^' ^^^i^^^
und als Bauherr Ptolemaeus XIII Neos Dionysos mit seiner
Gattin Kleopatra Trupaina (TQtg)atva) genannt. ^)
Nun trifit aber das 25. Jahr des Ptolemaeus XIII,
welcher im Jahre 82 v. Cbr zur Regierung gelangte, mit
dem Sommerjabre 57-56 v. Cbr. zusammen und dieses
bildet in der That den Anfang ein er Tetraeteris.
Freilich darf man nicht mit Einigen z. ß. Lepsius und
Dümichen, den Beginn der Sotbisperiode mit dem Jahre
1322 V. Cbr. zusammenfallen lassen, — in diesem Falle
würde das 25. Jahr des Neos Dionysos nicht das Anfangs-
jabr, sondern das Schlussjahr einer Tetraeteris bezeichnen
und die Tetraeteris würde unpassend mit einem Schalt-
jahre beginnen -- sondern man muss, wie ich mit Des
Vignoles, v. Gumpach und Junker stets getban , z. B. bei
Gelegenheit der Besprechung des Jahres 25 v. Chr. als
Epoche der Kalenderreform unter Augustus, und des Jahres
5 V. Chr. als Epoche des Augustus - Harmais, als erstes
Quadriennium 1325 — 1322 v. Chr. ansetzen. Ich denke,
unser vorliegendes Datum, worin ,,Jabr 25" ein |"^^
hasop oder ,, Anfangsjahr'', zwingt zur Annahme des rich-
tigen Ansatzes 1325—1322 v. Chr. Vergleicht man dieses
Datum mit dem oben besprochenen ,,hasop 363" so er-
gibt sich der Unterschied, dass dort, weil in einer Götter-
geschichte, das ,, Leitjahr" zugleich die ganze Tetraeteris
mitbezeichnet, während hier, bei der Datirung eines mensch-
lichen Dynasten, hasop seine eigentliche Bedeutung als
9) Ztsch. 1870, 12. Die aenigmatische Bezeichnung des 1. Choiahk
als „VsodesKahika" deutet selbst auf die hanti, d. h. die 120 (30x4)
jährige Verschiebung hin.
314 Sitzung der philos.-pMlol. Glasse vom 7. JDecember 1878.
einzelnes „Leitjahr'' an der Spitze der betreffenden Tetrae-
teris behauptet Glücklicherweise bietet uns der grosse
Bautext ^^) des Edfutempels noch weitere Beispiele dieser
eigentlichen Bedeutung. Die Grundsteinlegung des Yorder-
saales, welcher die Mitte der Seiteukapellen bildet, fand statt
l'^ ^ ö i^ m „hasop 30, den 9. Payni'' des Königs
Ptolemaeus IX Euergetes IL Das 30. Jahr dieses Königs,
welcher seine Jahre von 170 v. Chr. an rechnete und zählte,
entspricht dem Jahre 141/140 v. Chr. und dieses ist richtig
wieder das Anfangs jähr einer Tetraeteris, und desshalb
als h a s o p bezeichnet.
Weiter aufwärts steigend, treffen wir als Datum der
Aufrichtung des grossen Holzthores und der beiden Thür-
flügel des 12 säuligen Saales: 1 if^' '^ "j," (Wl ^ "^ ()
„hasop 5, ^/3o des Monats Seh afb et (Tybi) (des Königs
Ptolemaeus VII Philometor). Da sein 5. Regierungsjahr
mit dem 6. October 177 v. Chr. beginnt, so sieht man
augenblicklich, dass damit eine Tetraeteris anhebt, also
die Bezeichnung hasop gerechtfertigt ist, da von 177 bis
174 eine Tetraeteris läuft.
Aus diesen vier Beispielen ergibt sich mit Nothwendig-
keit die Schlussfolgerung, dass hasop in den Texten von
Edfu regelmässig das „Anfangs-'' oder „Leitjahr", also eine
Tetraeteris bezeichnet, und | ^j^ nicht eine blosse Spie-
10) Ztsch. 1870 Tafel II lin. 37 und lin. 26 niitgetheilt und be-
sprochen von Dümicben.
11) In dem Paralleltexte (Dümichen Tempelinsch. XCV, 17) steht
abgekürzt ] (ohne "^j^) tind dabei I I | i 1 1 sehs Jahresstriche. Da nur
5 richtig sind, so liegt entweder ein Fehler vor, oder einer der 6 Striche
gehört zu j
Lauth: Die ägyptische Tetraeteris. 315
lerei für ] q ist, die gewöhüliche Schreibung von „Jahr'\
Zugleich wirft sich hier die Frage auf und erheischt Beant-
wortung, warum bisher nur in den Texten von Edfu sich
diese Bezeichnung hasop für das erste Jahr des vierjährigen
Schaltcyclus gefunden hat. Die Baugeschichte des betreffen-
den Tempels hilft uns auf die Spur.
Herr Dümichen hat überzeugend dargethan, dass der
Gründer des Neubaas zu Edfu Ptolemaeus III Euergetes I
gewesen ist. Sowohl die eigentliche Bauurkunde nennt sein
10. Jahr, als auch die zweite Zeile der Ganginschrift, und
jedesmal ist der 7. Epiphi als Datum genannt. Der voll-
ständige Text lautet: | ^^.^l 2 T nTnl^;! O P
^■"^S^l^ [ptolemaeus III Euergetes Oj ^ 1 f
0 r ,"] ]^ ^ » ^ — l]^ (Ptolemaeus IX Euergetes 1 1 j '
„Tag diesen glücklichen im Jahre 10, Vs + Vao des Api
(Epiphi), zur Zeit des Königs Ptolemaeus III Euergetes I,
welcher war der Vater des göttlichen Erzeugers vom Vater
des Königs Ptolemaeus IX Euergetes II." Zwischen den
beiden genannten Königen stehen Ptolemaeus IV Philopator,
Ptol. V Epiphanes und Ptol. VII Philometor, letzterer als
älterer Bruder des Ptol. IX Euergetes II. Der Text nennt
also richtig Ptol. III ürgrossvater des Ptol. IX und bedarf
der Correctur nicht, die ihm Dümichen angedeihen lassen
will, indem er noch einmal öl tef ,,Vater'^ einsetzt, ein
sehr missliches Expediens ! Man darf nur, wie ich gethan,
I n^ ^^^ selbstständiges Glied der Serie und nicht als Appo-
sition zum ersten tj 8 tef „Vater*^ auffassen, so ist Alles
in der Ordnung.
316 Sitzung der phüos.-philol. Classe vom 7. Decemher 1878.
Nun zur Beantwortung der Frage : warum erst in
Edfu die Tetraeteriden durch liasop bemerklich gemacht
sind. Die Inschrift von Tanis (Decret von Kanopus) be-
lehrt uns in authentischer Weise, dass Ptolemaeus III Euer-
getes I (als Vorläufer des Augustus) zuerst die Kalender-
Reform eingeführt hat, wonach das fixe Jahr zu 365 V^ Tagen
oder der vierjährige Schaltcyclus zu 1461 Tagen auch für
das bürgerliche Leben Geltung haben sollte. Da also das
Wandeljahr hiemit verschwand, so machte sich das Bedürf-
niss, die Anfaugsjahre jeder Tetraeteris zu notiren, besonders
geltend und als Bezeichnung dieser Neuerung wählte man
hasop, jene Gruppe, die ich sattsam besprochen habe.
Es fehlt aber auch nicht an Beweisen, dass gerade in Edfu,
selbst nach Ptolemaeus III Euergetes I, das fixe Jahr noch
in Uebung geblieben war.
Der ganze innere Tempelbau, mit Ausschluss des später
zugefügten 18 säuligen Saales, wurde fertig gestellt im Jahre
28, den 18. Mesori des Königs Ptolemaeus IX Euergetes IL
Dieses Datum kehrt öfter wieder und zwar in doppelter
Gestalt ^'^), indem dafür bisweilen der 23 Epiphi eintritt,
was sich nur durch Annahme des Doppeljahres erklärt.
Die mittels der Mondeponymien ausgedrückten Daten stellen
sich so dar : \\ ^^.^ A | ,^'==^ ^^^^ '-" ß ^
— - ^g O = ^? \j^ y — TTT ^^ "^^^ Aahfest des
4. der Schomsaison (Mesori) ~ ^/2 + Vio des 4. der Schom-
saison — 2. Dena-Fest = d. 23. Epiphi". Brugsch dachte
wegen der Mondeponymie: 2. Denafest -- 23. Epiphi, an
die Gleichung: „Anno 28 Ptolemaei IX, 18. Mesori (vagus)
— 25. Epiphi anni lunaris". Allein seine Rechnung ergibt
kein zufriedenstellendes Resultat, und auch an sich betrachtet,
ö IUI
12) Ztsch. 1872, 14/15 und 41.
Lauth: Die ägyptische Tetraeteris. 317
liegt in der Anbringung der Mondeponyraien kein Zwang,
an das Mondjahr zu denken, da ja der 18, Mesori eben-
falls durch eine Mondeponj^mie bezeichnet ist und doch
nicht wieder auf das Mondjahr gedeutet werden kann.
Dümichen fasste das Doppeldatum von Anfang an richtig,
indem er den 18. Mesori dem Wan delj ahre, den 23. Epi-
phi hingegen dem fixen Jahre zuwies. Ich habe in
meiner Abhandlung ,,Die Schalttage des Euergetes I" p. 71
not. 15 zu dieser Gleichung nur ganz kurz bemerkt: ,,In
der That 25 Tage = 25 X 4 oder 100 J.'' Der Sinn
dieser etwas lakonischen Anmerkung ist, dass die Differenz
von 25 Tagen zwischen dem 23. Epiphi und dem 18. Mesori
(8+17 = 25) genau einem Jahrhundert entspricht. Um
so viel hatte sich das unterdessen immer noch fortgeführte
Wandeljahr gegen das von Euergetes I fixirte Jahr im
Jahre 28 des Euergetes II verschoben. Man sieht jetzt
auch den Grund ein, warum gerade dieses Doppeldatum
vorkommt und kein anderes mehr : offenbar wollte Euer-
getes II, sowie er durch seinen Beinamen an Euergetes I
anknüpfte, auch in Beziehung auf den Bau des Tempels
von Edfu an den Begründer des Heiligthums
und derKalender- Reform erinnern. Den Beweis
hiefür liefert die ßauurkunde selbst, indem unmittelbar
hinter dem eben besprochenen Datum ,,Jahr 28, den 18. Me-
sori zz: 23. Epiphi" das Gesammt - Facit seit der Grundstein-
legung durch Euergetes I bis zur Einweihung oder dem
Eintrittsfeste unter Euergetes II auf runde „95 Jahre" an-
gegeben wird. In der That verfliessen zwischen ,,J. 10 des
Euergetes I" und „J. 28 des Euergetes II" genau gerechnet 95
Jahre, sowie zwischen dem Kalenderreformjahre = 242 v. Chr.
und dem 28. Jahre des Euergetes II = 142 v. Chr. 25 X 4
oder 100 Jahre liegen. (Ersteres natürlich xard to 7vq6-
TEQOv ilirjq)LOiiia.)
Eine Partialsumme wird auch gezogen zwischen dem
318 Sitzung der phüos.-philöl. Classe vom 7. December 1878.
Jahre 10 des Euergetes I und dem Jahr 10 des Philopator I,
unter der Form '^^o^ nert 25 = „25 Jahre". Die
Gleichung des Horapollon yvip = sviavTog hatte ich schon
1865 in meinen „Zodiaques de Denderah" bestätigt gefun-
den. ^^) Im gegebenen Falle ist die Summe 25 Jahre um
so bedeutsamer, als sie, wie Brugsch richtig gesehen hat, auf
den 25jährigen Apis-Cyclus hinweist, obschon Brugsch sonder-
barer Weise den Ausdruck „Apiskreis" bei dieser Gelegen-
heit nicht gebraucht. Dass es sich wirklich um einen
25jährigen Cyclus handelt, ergibt sich mit zwingender Noth-
wendigkeit aus dem Beisatze, wonach das Datum ,,Jahr 10
des Euergertes I, am 7. Epiphi" und das gleiche Datum
„Jahr 10 des Philopator, am 7. Epiphi" jedesmal mit einer
Sexta www ^ d.h. einem Sechsten — Tagsfeste im Mondkalen-
der zusammenfiel. In der That ereignen sich nach je 25
Wandeljahren, die nur um 1 Stunde, 8 Minuten, 33 Sekun-
den länger sind als 309 mittlere synodische Monate, die-
selben Mondsphasen an den nämlichen Kalendertagen wieder.
Wie wichtig dieser monumentale Anhaltspunkt für die Con-
struction des Apiskreises zu werden verspricht, gedenke ich
in einer späteren Abhandlung nachzuweisen. Hier lege ich
den Nachdruck auf die Thatsache, dass die 25 Jahre, analog
den 25 Tagen Verschiebung zwischen Euergetes I und II
(242 — 142 V. Chr.) hauptsächlich den Apiskreis und die
identische Mondphase andeuten sollen, wesshalb das be-
treffende Jahr des Philopator selbst als nebensächlich er-
scheint und der Ton auf der Sexta liegt. Es wird nun
auch nicht mehr befremden, dass dieses ,,Jahr 10" des Euer-
getes I, welches „kein hasop^^ war, durch die gewöhnliche
Jahresgruppe j q ronpe' i poMni (t), ausgedrückt ist.
13) Brugsch hat in der Zts. 1871, 59 dieselbe Entdeckung als neue
bekannt gemacht. Vgl. auch meinen „Horapollon", wo mir yvip:=:^nert^=yvyrf.
Lauth: Die ägyptische Tetraeteris. 319
Aber dass das Jahr 10 des Philopator, welches 25 Jahre
später liegt, also 238/337 — 25 = 213/12, welches doch
ein hasop war, ebenfalls durch \ q bezeichnet ist, lässt
sich nur daraus erklären . dass wegen der 25jährigen Aus-
gleichung der gleiche Ausdruck beliebt wurde, üebrigens
gebrauchen wir ja auch selbst die Bezeichnung „Schaltjahr'^
z. B. für 1876 höchst selten; ebenso mochte ein altägypti-
sches hasop oder Zeitjahr unter der gewöhnlichen Schreib-
ung 1 Q ^ auftreten, ohne dass man daraus folgern
dürfte, dass dem Schreibenden das Bewusstsein der Tetrae-
teris abging.
. Die Beendigung der Revolution, welche auch auf den
Tempel von Edfu Bezug hatte, setzen die Texte einstimmig
in das 19. Jahr des Ptolemaeus V Epiphanes. Die demo-
tische Urkunde, welche Revillout unter den Schätzen des
Louvre entdeckt und in der Revue arch. besprochen hat,
erwähnt ebenfalls dieses Jahr 19, nebst den Namen der
Gegenkönige des Epiphanes: Anchtu und Har . . . (uzat?)
Aber statt der Gruppe j q S bietet die Ganginschrift
|S, um ,,Jahr 19" auszudrücken. Dieses Jahr entspricht,
da Epiphanes (vergl. die Inschrift von Rosette) 205 v. Chr.
zur Regierung gelangt war, dem Jahr 187/186 v. Chr.
Dieses ist aber kein hasop oder Anfangsjahr der Tetrae-
teris, also scheint das Zeichen | ha (== _jg)) fehlerhaft
zu sein. Allein da es immer höchst misslich ist, eine Mo-
numentalangabe zu corrigiren und da andrerseits mein in
14) In Bezug auf die Phonetik bringt jetzt Mariette Karnak pl.
45, e 3 die entscheidende Legende "^^^ • . i rerqieiu —. \ q\
320 Sitzung der phüos.-phüol. Classe vom 7. Decemher 1878.
Betreff des hasop erzieltes Resultat unanfechtbar sein
dürfte, so suche ich"] anders zu erklären.
Ich hahe schon oben vermuthet, dass g^^^cö^cooTJ
primus annus wegen der Dualendung oiri auf die Bedeut-
ung „2 jähriger Kreis** für g"@ con schliessen lasse. Ich
will kein Gewicht darauf legen, dass Hathor-Sothis in Den-
derah öfter ,, Herrin der 730" (Tage) genannt wird, was
doch auf 2 Jahre hinausläuft; auch die Symbolik des zwei-
öhrigen | Schakalkopfes und das Wegfallen des vier-
füssigen -^^ Schakals will ich nicht weiter urgiren. Allein
die Gruppe j^ ronpet-sop, die uns weiterhin be-
schäftigen wird, scheint mir entschieden die Bedeutung
,, Mitte der Tetraeteris'* zu fordern. Ebenso bezeichnet §
ähä im Kalender des Pap. Sallier IV die zwischen den
dies fasti und uefasti mitten inne stehenden indifferen-
ten Tage und in der Scene der Psychostasie (Todt. c. 125)
bedeutet dieses nemliche ^ ^^-s Gleichgewicht der beiden
Wagschalen.
Wenn also das Zeichen | beim Jahr ,,19" des Epi-
phanes richtig ist, so kann dieses h a g^d., oh initium, sich
nur auf 187 als den Beginn der zweiten Hälfte der Tetrae-
teris 189 — 185 beziehen und wäre somit^ besonders wenn
man das wortspielende ^ berücksichtigt, gerechtfertigt.
IL
Das im vorigen Abschnitte besprochene h a s o p oder
Leitjahr der Tetraeteris , welches auch für den ganzen
4 jährigen Schaltcyclus eintreten mochte, hat sich bis jetzt
Lauth : Die ägyptische Tetraeteris. • 321
nur iu Edfu und zwar im Anschlüsse an den Bau und die
Kalender-Reform des Euergetes 1 gefunden. Die Inschrift
von Tanis oder das Beeret von Kanopus, worin diese Neuer-
ung in fast lehrhafter Weise vorgetragen wird, gewährt
uns zugleich ein Mittel, die Existenz der Tetraeteris unter
anderer Gestalt auch für die frühere Zeit nachzuweisen.
Nachdem die Unzureichendheit des Wandeljahres zu
365 Tagen geschildert ist, fährt der Text lin. 22 also fort:
<- f
pn g:» K ■ — ^ sJ ,,Man soll hinzufügen 1 Tag als
II. I. X^i .^-
Panegyrie der beiden Götter Eiiergeten von heute an alle
4 Jahre als Zuthat zu den 5 Epagomenen , anzufügen un-
mittelbar vor dem Neujahrstagfeste" =: ärco tov vvv fxiav
r^^iqav s oqz lijv twv EveQysTwv &scdv eTtayeo&aL Sid Tsaod-
Qcov 8Vidv sfil Talg Ttewe Talg ercayo^ivaig , tcqo tov vaov
sTOvg. Das Zeichen welches hier durch eoQTVj über-
setzt ist, wird sonst durch 7tavr\yvQ;Lg ausgedrückt und er-
hält auch die Form JL . So z. B. erscheint es mit der
phonetischen Legende (1 "^^^ Oj ^ aftu i^qTe quatuor,
zum klärlichen Beweise, dass diesem Zeichen der Begriff
Tetraeteris eignet. Bestünde noch ein Zweifel an dieser
Thatsache, so würde er vollständig gehoben durch den Ge-
brauch desselben Zeichens für die Zahl 4. Es würde za
15) Zeitsch. 1873 p. 114 not. 2 cf. Plan vom Edfutempel Taf.
6 I, 4. ,,auf den 4 Seiten des Edfiitempels''. Das räumliche Corollar
dazu ist tj ^^ cz:izj „das Viereck''; das numerale 4^^^=^ MM ist
ohnehin bekannt.
[1878. I. Philos.-philol.-hist. Cl. Bd. II, 3.] 23
322 Sitzung der pMlos.-pMlol. Classe vom 7. December 1878.
weit führen, alle hiefür sprechenden Beispiele heranzuziehen ;
beschränken wir uns auf die Inschriften des Tempels von
Edfu, so tritt uns in den reichhaltigen Angaben über die
Ellenzahl der Zimmerräume das fragliche Zeichen mit dem
Werthe 4 sehr häufig entgegen z. B: / PI <=> \~ 1 ''[die
Tempelküche an ihrer (der Halle) Westseite verhält sich in
ihren Maassen] wie 10:4. Die grosse Bauurkunde, welche
uns für h a s o p so schlagende Belege geliefert hat , bietet
lin. 40 als letztes Jahr des Euergetes II das 54. unter der
Form I n n f\\ \^ worin also das Zeichen der Panegyrie
wieder den Zahlenwerth 4 beansprucht und zugleich andeutet,
dass das Schlussjahr 117 v. Chr. zugleich der Beginn einer
Tetraeteris ist. Es lässt sich zwar bis jetzt nicht nach-
weisen, dass dieser Gebrauch über die Zeit des Euergetes I
und seiner Kalender-Reform zurückreicht. Allein die Be-
deutung Tetraeteris eignet dem fraglichen Zeichen sicher-
lich schon viel früher als in der sogenannten Ptolemaeer-
zeit oder hasse epoque , wo die Schreiber sich in allerlei
Anspielungen (nicht Spielereien \) gefielen. Die so oft wieder-
kehrende Formel „Der Gott gewährt dir Millionen von
1^
Billionen von ] ] ] - erscheint schon sehr frühzeitig.
Der Gegensatz „Jahre" verbietet absolut, das Zeichen UUi
mit dem allgemeinen Ausdrucke „Panegyrien" zu übersetzen ;
ich denke dargethan zu haben, dass man Tetraeteris
darunter verstehen müsse.
Denselben Werth einer Tetraeteris hätte ich schon
im „Manetho" p. 72 für das Panegyrienzeichen durch die
16) ßrugsch Ztsch. 1871, 41.
17) Dümichen Tempelinschriften pl. XXVII 10/11.
Lauth: Die ägyptische Tetraeteris. 323
Proportion ermitteln können : ^1 ' fp ft ~ Q ® Q •
Da in dieser Antiklimax die nächst geringere Einheit j das
Jahr ist, so hat man die Wahl zwischen Triakontaeteris
und Tetraeteris. Das Zeichen ft ft phonetisch hanti,
bezeichnet die 120jährige Periode, welche eben durch die
Monatsverschiebung des Wandeljahres gegen das fixe Sothis-
jahr entsteht. Die 120 jährige Periode resultirt aber aus
dem Multiplicat 30 X 4. Nach dem oben Beigebrachten
leidet es für mich keinen Zweifel , dass mit | J die Te-
traeteris gemeint ist. Denn die Triakontaeteris, von der
ich früher eigens gehandelt habe, wird durch zwei Zeichen
ausgedrückt, deren phonetische Schreibung sich so darstellt:
IJ^Qnp^ffl ^^^i"«^^- ^^^ ^^ Un^ge Titel
KVQiog TQiayiOVTasTrjQLÖajv^ den uns der demotische Text des
Decretes von Memphis (Inschrift von Rosette) zuerst unter
der Form neh en-na renpetu en hehse(d) „Herr der Jahre des
Festes Sed" kennen gelehrt hat, steht immer in Verbindung
' als y,vQLog
mit dem Gotte Ptah. Wenn daher
tQiayiovTasTrjQLÖoJv auftritt, so ist dies entweder fehlerhafte
Copie, oder abgekürzte Schreibung; denn eigentlich würde
ja damit yivQwg TSTQaetrjQidcov bezeichnet.
Bisweilen erscheinen die zwei Festzeichen in umgekehrter
Ordnung, so z. B. in der vielbesprochenen Inschrift von
Hamamät, worin'^ie Feier einer Triakontaeteris unter Phiöps-
Menophres (Moeris) und zwar in seinem ,,18. Jahre darnach*'
(d. h. nach der Epoche 2785 v. Chr.) erwähnt wird:
®f P'^Slfi I ' "^^s*®s ^^1 ®^^®^ Triakontaeteris'^ Hr.
18) Brugsch : Recueil LXXV 4.
23'«
324 Sitzung der phüos.-philol. Classe vom 7. Decemher 1878.
Brugsch ^*) fasst die Gruppe © w sep-tep als „la premiere an-
nee fixe d'une tetraeteris" und „trotz der Gegenbemerkungen
des Herrn de Rouge ^^)'' behauptet er mehr als je, „dass
hiedurch der Anfang einer vierjährigen Schaltperiode be-
zeichnet wurde." Allein ich hoffe in meiner Abhandlung
über ,,Nechepsos, Petosiris und die Triakontaeteris'' evident
gemacht zu haben, dass die Gruppe sep-tep nur das
,, erste Mal'' bedeutet und auch für den Begriff ,,Urzeit''
angewendet wurde.
Lassen wir also hier, wo es sich um die ohnehin ver-
wickelte Frage der Tetraeteris handelt, dieses sep-tep
ganz aus dem Spiele. Haben wir ja ohnedies denselben
Bestandtheil sep in der Gruppe j ^ ronpet-sep zu er-
ledigen. Diese Verbindung kehrt ein halb Dutzend mal
wieder und zwar im Vereine mit einer Triakontaeteris, die
auf den Felsen von Silsilis und an den Architraven des
grossen Isistempels von Philae ^ ^) in folgender Gestalt zum
Ausdrucke kommt: (@^n^©|Var (®)Q^(o^^^]
,,Sop-Jahr 30 , erstes Mal einer Triakontaeteris des Königs
Ravesu - ma sotepenra (Oöv^avövag). Es ist dies offenbar
und unbestritten Ramses H Sesostris und da sein 30. Jahr
express genannt ist , so hat die erstmalige Feier einer Tria-
kontaeteris ihren guten Sinn. Nur die Beigabe des Zeichens
© zu i statt des gewöhnlichen o erheischt eine besondere
Erklärung, die sich indess erst nach Erlemgung der weiter
folgenden Feste geben lässt.
I
19) Materiaui p. 75; cf. Ztsch. 1871, 59.
20) Ztsch. 1865, 81.
21) Brugsch: Recueil pl. LXXXII, 5, 6; pl. LXXXIII 1, 2, 3.
Lauth: Die ägyptische Tetraeteris. 325
Als das durch | ^^^ n e m „Wiederholung" oder
„zweites'' bezeichnete Fest oder Sop-Jahr ist zweimal sein
34., einmal sein 33. Jahr gesetzt. Beide Angaben können
nicht gleich richtig sein. Ich entscheide mich für 34, weil
die Majorität der Stimmen dies verlangt und weil offenbar
die Tetraeteris mit hereinspielt.
Zum dritten Male: 'JJ erscheint als Sop-Jahr sein 37.
Var. 39. Jahr, Ziehen wir das Mittel und setzen als richtige
Zahl 38, so haben wir wieder eine Tetraeteris.
Das vierte''" Sop-Jahr ist nur einmal vorhanden:
i T n i) ^^^^ ^^^ ^^-1 ^^ ™^^ ^^^^ ^^^ ^^ erwarten sollte.
Denn das nächste oder fünfte Sop-Jahr hat die Legende :
\ Q (sie) rl 1} 1 1 . also das 46. und dieses wird lin. 4 des
Textes eiffens bezeichnet als ^ \ I i Nl das sechste
Fest", während doch „das fünfte" stehen müsste. Ange-
nommen, der Text sei richtig copirt, so erklärt sich diese
wie die andere Verschreibung daraus, dass das Verzeichniss
post festum von einem Schreiber verfasst wurde, der die
Tetraeteriden der Sothisperiode mit den Sop - Tetraeteriden
verwechselte, die sich an das 30. Regierungsjahr der Seso-
stris anlehnen.
Ich komme hier auf eine Vermuthung zurück, die ich
bereits oben geäussert habe, dass nämlich mit dem „sop-
Jahr'' die Mitte der eigentlichen Tetraeteris be-
zeichnet werde. Nachdem ich bei einer früheren Gelegen-
heit im Anschlüsse an den Namen "Oaagovq)^^) über die ver-
schiedenen Bedeutungen des Wortes sop genugsam ge-
handelt habe, kann ich mich hier um so kürzer fassen.
22) Z. DMG XXV 139 sqq.
326 Sitzung der phüos.-phüol. Classe vom 7. December 1878.
TU.
Als Grundbedeutung von s o p g"^ con glaube ich
die verbale aufstellen zu dürfen, wie sie sich in 5D5<
„sammeln" darbietet. In einer Tempelinschrift ^^) treffen wir
den Parallelismus: ^ ^" ^ ^ j ü© ^j„ "^ -^ 1 I
f 2 ^ I ^ i Ö G ^ ^'^' ^"^^ ^^^^^ ^^^ ^^^^' '^^^ ^'^^'
hyq pautu; Pautape cheper m hat „congregator hominum,
collector superorura ; dominus totius, princeps deorum ; Dens
princeps (IIGTEG ^*) existens ab initio/' Da sich hier
offenbar tut (-ecooTTT, totht congregare) und sop ent-
sprechen , so ist „Sammeln" der Grundbegriff der Wurzel
sop.
Handelt es sich also um einen aus mehreren Theilen
bestehenden Zeitbegriff wie z. B. Tetraeteris, so würde das
als ronpet-sop bezeichnete Jahr das Centraljahr sein.
In einem grösseren Werke ^^) habe ich, ohne die Theorie
der Tetraeteris zur Anwendung zu bringen, bloss auf Grund
des astronomischen Horoscops im Ramesse um (Osyman-
dyaeum) den Regierungsantritt des Ramses-Sesostris auf
1577 V. Chr. gesetzt, welches Jahr zugleich eine Tetraeteris
einleitet. Nach diesem Ansätze würde also das 30. Jahr
allerdings auf die Mitte einer Tetraeteris fallen und die
fünfmalige Wiederkehr der Gruppe ji ^ ronpet - sop bei
den Jahren 30, 34, 38, 42, 46 ihre genügende Erklärung
finden.
23) Dümichen pL XXXIII 14.
24) Im Lexicon von Parthey ist dieser koptische Ausdruck wieder-
gegehen durch Deus Aegyptius qui respondet Saturno — ich glaube in
der Form paut-ape das Prototyp dazu entdeckt zu haben.
25) „Aeg. Chronologie"; vergl. den Aufsatz über Sesostris in der
AUg. Zeitung 1877, 80./31. Januar.
Lauth: Die ägyptische Tetraeteris. 327
Das sechste Beispiel der Gruppe ronpef-sop findet sicli
in dem einzigen Beispiel einer Aera: dem vielbesprochenen
Datnm 1 @ | | i,Sop - Jahr 400 (des Hyqschos Setaape-
hati Nubti)". ^^) Nach dem Zusammenhange der Inschrift
muss das Datum oder der terminus ad quem in den An-
fang der Regierung des Ramses 11 Sesostris fallen, weil der
betreffende Beamte Sutecbi (Sethosis) das Denkmal in des
Königs Namen dem Vater desselben : Sethosis I, aufgestellt
hat. Setzen wir 1575 v. Chr., also das dritte Jahr Ramses II,
so haben wir ein „Sop-Jahr" und zugleich die Mitte der
Regierung des Hyqschos ^raav (Nubti), welche von 2000 —
1950 V. Chr. sich erstreckt. Das aquo- Jahr 1975 ist als-
dann wirklich 400 Jahre vor 1575 und die ganze Inschrift,
sowie das exceptionelle Datum , erklärt sich befriedigend.
Auch hier muss ich bemerken , dass ich den Ansatz
der Regierung des ^radv unabhängig von meiner Theorie
der Tetraeteris so getroffen hatte, wie er hier begründet ist.
Es sind mir bis jetzt sichere Beispiele von ronpet-sop
weiter nicht aufgestossen. Vielleicht liegt dies an der schwer
unterscheidbaren Schreibung, besonders auf Stein , wo sich
oft 'j Q darzubieten scheint, während in Wirklichkeit viel-
leicht j ^ geschrieben steht. Sollten sich noch weitere
solcher ronpet-sop finden, so werden sie ebenfalls Central-
jahre der Tetraeteris bezeichnen.
IV.
Es fragt sich nun zunächst, ob uns die Denkmäler
ausser den bisher aufgeführten Mitteln zur Bestimmung der
Tetraeteris noch andere Kennzeichen liefern, aus denen dieser
Zeitkreis ermittelt werden kann. Bereits in meinen „Zodia-
26) Zts. t aeg. Sprache 1865, 35 besprochen von Chabas.
328 Sitzung der phüos.-phüol. Glasse vom 7. December 1878.
ques de Denderah'' habe ich das Stier viertel als solches
augesehen, das stufenweise Vorkommen von einem bis zu
vier Vierteln nachgewiesen und übersichtlich zusammenge-
stellt. Zugleich habe ich daselbst die Legende mI M ^ <f^^^^
mesecJd (Ampliativum) ,,das grosse (Stier-) Viertel'' (vergl.
pi ^ J{ rzi seba c£ic porta Ttvlrj mit H jj ® | sehecht Jtvlojv)
mit dem koptischen -eep-MiCS quartus (T^p pars) adae-
quat gefunden. V^enden wir dieses Ergebniss an, zunächst
in Bezug auf die astronomische Darstellung des Osyman-
djaeums und des Setbosisgrabes.
In ersterem erscheint der einfache Schenkel, mit dem
Stierhaupte versehen und von der Legende ffj # '^ mesecht
begleitet. Es ist also das erste Jahr einer Tetraeteris ge-
meint, wo der Ueberschuss über die 365 Tage ^M Tag be-
trägt: ein solches ist aber in der That das Jahr 1577 v.
Chr. Dass das Stier viertel vom Sternbilde des grossen
Bären hergenommen ist, dessen sieben Sterne ^ ^ -^ ^'c x dem
Conventionellen Stierviertel ^^^^^^ ähneln , hatte Lepsius ^ ')
zuerst bemerkt und ich des Weiteren ausgeführt, nament-
lich darauf hinweisend, dass ,,der grosse Schenkel des Nord-
himmels'^ so oft in unmittelbare Verbindung mit dem Sirius
angerufen wird (z. B. in den Rhind-Papyri) ^ weil sie eben
begrifflich zusammengehöreu .
Auch den Streit der Embleme des Monats Phamenoth
(Drache beim Nordpol, zugleich Jahresmitte) und des Me-
sori (letzten Monats, an den die Epagomenen und das
Viertel angehängt wurden), wie er in Philae dargestellt ist,
hatte ich beigezogen. Wenn nun meine Hypothese, dass
uns das Stierviertel in seiner Abstufung als einfacher, doppelter,
27) „Chronologie der Aegypter'
Lauth : Die ägyptische Tetraeteris. 329
dreifacher Schenkel M] ^ '^ und als ganzer Stier ^^ ^i®
vier Jahre einer Tetraeteris ergibt, richtig sein soll, so muss
im Grabe des Sethosis , wo das Horoscop des Todes dieser
Persönlichkeit dargestellt ist, im Gegensatze zu dem ein-
fachen Stierviertel im Osymandyaenm, welches den Regier-
ungsantritt seines Sohnes Vesu ma nuti-aa COovf-iavövag)
bezeichnet, der ganze Stier oder die 4 Viertel erscheinen. Dies
ist thatsächlich der Fall, wie ein Blick auf die betreffende
DarvStellnng lehrt.
Noch beweiskräftiger als diese beiden Beispiele ist ein
Bruchstück aus Biban-el-moluk ^^). Wir sehen da als Theil
der von mir als Einschaltung gefassten Scene einen Stier
auf der Drehscheibe oder etwas Aehnlichem. Ueber dem
Stiere ^5^ steht UU , das Zeichen der Tetraeteris,
welches ich oben hinlänglich erörtert habe. Es ist also
hiemit das betreffende Jahr als das vierte und letzte einer
Tetraeteris und zwar in doppelter Weise bezeichnet.
Dazu kommt unterhalb ein Kalendarisches Charakteri-
sticum, welches unzweifelhaft damit im innigsten Zusammen-
hange steht. Es sind zwei Daten : "TTT ^^ n I ! I "^®^
26. Athyr'' und ^ M^ | j| „der 6. Choiahk'^ •'') d. h. eine
D e ca d e in einem Jahre, dessen erste Decade mit dem 6. Thoth
beginnt. Ein Denkmal des Louvre ^^) liefert die Ergänz-
ung dazu, wie schon der geniale Champollion erkannt hat.
Die erste der erhaltenen Legenden lautet :
„j, :y^^^^^^^^^ „Choiahk Tag 21 bis Tag 30"; un-
^O
28) Brugsch: ßecueil pl. XX unten.
29) In Brugsch's Copie sind die Schlussstriche als etwas zerstört
angegeben, aber sicher so zu ergänzen.
30) Young : Hieroglyphics pl. XXVII „months" Louvre D 37.
330 Sitzung der philos.-philol. Classe vom 7. December 1878.
mittelbar dahinter folgt: lzttzd O <=> p| „Tybi Tag 1 bis
Tag 10". Von der dritten Tetramenie : ] ^ $^ ^ ^ ^O^
„Pachons Tag 11 bis Tag 20''. Diesse drei Beispiele ge-
nügen, nm sich den Decadenlauf während des ganzen Jahres
zu construiren, dessen erste Decade mit dem 1. Thoth be-
gonnen hatte. Bei dem Wandeljahre von 365 Tagen be-
greift es sich von selbst, dass das erste und das dritte Jahr
ihre Decaden von 1 — 10, 11—20, 21—30; hingegen das
zweite und das vierte Jahr einer Tetrateeris ihre Decaden
von 6—15, 16—25, 26 — 5 zählen. Ein Jahr letzterer Art
liegt vor in dem Grabe von Biban-el-moluk ; dass wir uns
für ein viertes Jahr der Tetraeteris zu entscheiden haben,
dazu zwingt die Anbringung des ganzen Stieres ^^ (der
vier Viertel) und des Zeichens
M
So wie nun ferner die Decaden astronomisch durch
je einen Decan vertreten werden, so hatte ich in meinen
,,Zodiaques'^ auch für den aus vier Vierteln erwachsenden
Schalttag einen Decan vermuthet und in der Gruppe
von Denderah: 5 [k pesiuuä = Stella unica gefunden. Sein
Symbol, ein kleiner Widder mit der Tages- oder Sonnen-
scheibe auf dem Kopfe, so wie seine Phonetik mit dem
Deutbilde )k steht genau in der Mitte zwischen den Decanen
2fxdT und T7i7]OfxdT ,,Theiler, Kopf des Theilers" welchen
die Nummern 18 und 19 in der Reihe zukommen. Also
stand der Decan des Schalttages accurat in der Jahres-
mitte, wie es der oben erwähnte Anexions versuch des
Phamenoth andeutete.
Ich habe nun auch noch einen Text ^^) gefunden, worin
31) Mariette: Les papyrus egyptiens du musee de Boulaq Nr. 3,
pl. XIII lin. 6—8, dem Priester Heter zukommend, dessen Tod in's
7. Jahr Hadrian's fiel. Vgl. meine erste Asbeit Z D M G 1863.
LaufTi: Die ägyptische Tetraeteris. 331
dieser Einzelstern neben Sonne, Mond, Osiris-Sahu
(d. h. Orion, dem Vertreter der öEpagomenen) sowie
der S o t h i s eine religiöse Bedeutung hat. Dem Verstorbenen
wird zugerufen : „Du ergreifst den Mond in der Nacht, du
gehst auf am Tage wie das schöne Licht des glänzenden
Sonnengottes. Es sind alle Länder beleuchtet in der Nacht
vom Monde dem schönen, an dem Feste des 15. Monats-
tages, um zu schaffen Freudestunden im Gefolge der Strahlen.
Du erglänzest am Firmamente ^\ j % ]_fl v \\ ^^' ^^^'^^
uati als Ei n z e 1 s t e r n ( - g o 1 1) ; du bist ein Sahu am Leibe
der Nut (Himmel). Dein Scheinen innerhalb dieser Welt
ist wie das des Mondes, wenn er sein üzatauge ^g erfüllt
(beim Vollmonde); Isis ist mit dir als göttliche Sothis
I A ^ S ^1 ^^ Himmel : nicht trennt sie sich von dir in
Ewigkeit''.
Mit dieser Erhärtung des Schalttages in seinem astro-
nomischen Repräsentanten: dem Einzelstern, ist der
Beweis für meine Thesis, dass die alten Aegypter die Tetra-
eteris gekannt haben, zwar erhärtet, aber noch nicht voll-
endet.
V.
Kann die Kenntniss der Tetraeteris bei den Aegyptern
noch früher als für die Blüthezeit des Reiches unter Seso-
stris und Sethosis nachgewiesen werden ? Wenn man die
Sache bloss ausser lieh betrachtete, so könnte man dies aus
der Originallegende S u p d = ^cod-ig selber schliessen , da
dieser Stamm Wesensgleichheit mit dem bisher besprochenen
Sop con vices zu zeigen scheint, das uns wiederholt in
Verbindung mit der Tetraeteris aufgestossen ist. Allein
1 « A^^ ^®^g^ ^^^ wurzelhaftes ^, welches in @**^ con
332 Sitzung der phüos.-phüol. Classe vom 7. Decemhcr 1878.
niemals zum Vorschein kömmt und ausserdem verbietet das
Determinativ A, welches bei sop und seinen Variauten nie-
mals getroffen wird, beide Stämme zu amalgamiren. An sich
wäre übrigens diese Vermengung bei Weitem besser gerecht-
fertigt, als die Zusammenstellung der Sothis mit dem
Monatsnamen Thoth, wie dies sich bei Boeckh^^) und
Biot^") noch findet, aber gründlich und endgültig aufgegeben
werden muss.
Aber andererseits ist zu betonen, dass die Existenz der
Sothiserscheinung an und für sich allein schon den Begriff
der Tetraeteris involvirt. Denn da die Sothis oder der
Frühaufgang des Sirius den Aegyptern den Anfang eines
fixen Jahres zu 365 V* Tagen bezeichnete, so musste sich
von selbst ein Quadriennium von 1461 Tagen d. h. eine
vierjährige Schaltperiode bilden , ob man nun daneben ein
Wandeljahr zu 365 Tagen ohne Einschaltung zulässt oder
nicht. So heisst es im Papyrus Bulaq No 7 (pl. 38 bei
Mariette)
^^^fT^^^k-a-lÄ
] (^ Q ,,der Pharao lebe auf (gehe auf) mit seiner Mutter
der göttlichen Sothis früh Morgens'' (sie rette ihn vor allen
schlimmen Dingen dieses Jahres j, f ,,^ etc.) Indess
habe ich längst die Ueberzeugung gewonnen, dass sich das
Wandeljahr, nach welchem die Inschriften datirt sind, bis
in die Urzeit Aegyptens verfolgen lässt und dass ebendahin
die wenn auch spärlicheren Spuren der Sothisbeobachtung
führen. Damit ist zugleich der Nachweis geliefert, dass die
Kenntniss der Tetraeteris eben so weit zurück reicht.
32) „Manetho und die Hundssternperiode."
33) Brugsch: Materiaux p. 30 oben.
Lauth: Die ägyptische Tetraeteris. 333
Nehmen wir zum Ausgangspunkt den Regierungsantritt
des Osymandyas-Sesostris. Auf dem Plafond sagt der Be-
gleittext der astronomischen Darstellung des sogenannten
Ramesseums : ,,du leuchtest auf V Ij ^ A S ^= ^ f=^ i< [1
^ CO \/^ 1 gleichwie Isis-Sothis am Himmel dem Morgen
des Jahresanfangs/' Ich habe in einer eignen jetzt veröffent-
lichten Abhandlung^*) dargethan, dass dieser Frühaufgang
des Sirius, der zugleich ein Neujahr begründet, dem 3. Epi-
phi des Wandeljahres entspricht, woraus sich das absolute
Datum: 1577 v. Chr. ergibt.
Folglich fiel die Sothiser scheinung am 1. Epiphi noch
in die Regierung des Sethosis und damit fand ich die viel-
besprochene Legende im Einklang: 1 q^I I (m V ' ""^^^^
1 der Wiedergeburt (Neukrönung) des f O y] t^ J Ramen-
mät d. h. Sethosis I,'' also dem Jahre 1585 entsprechend
und Veranlassung zu seinem Epochenamen "E7va(pog (ETteicpi),
Bei Ramses IX ^•'^) begegnet uns die Legende nem mesu
wiederholt.
Ganz analog steht das Verhältniss in Bezug auf die
nächstfrühere Blütbezeit des Reiches unter Thutmosis III,
der ähnlich die XVII. Dynastie einleitet, wie Sethosis die
XIX. Auf einem Sitzbilde mit einem funerären Texte , der
sich auf einen Beamten Namens "^ ' ^^ Vesur bezieht,^®)
werden in üblicher Weise die Todtenfeste aufgeführt : die
34) „Busiris und Osymandyas" in den Denkschriften der kgl. bayr.
Akademie 1878.
35) Vergl. „Troja's Epoche" in den Denkschriften der kgl. Akad.
1877.
36) Mariette: Karnak pl. 32, g.
334 Sitzung der philos.-philol. Classe vom 7. Decemher 1878.
Neomenie, der 2. Monatstag, die Sexta, das Halbmonatsfest;
dann das Pirt- und Semfest; hierauf das Fest der grossen
Pirt und daran schliesst sich ^^ A ^^ Pirt-Supd-heb d. h.
,,das Fest der S othis er scheinung." Es folgen noch vier
weitere Feste nebst dem allgemeinen Ausdrucke: ,,alle Pa-
negyrien des Amon." Der Zusammenhang lehrt, dass das
Fest der Sothiserscheinung (pirt- Sapd) nur wegen der
beiden andern pirt an die concrete Stelle gesetzt ist, sich
also aus dieser Stellung im Jahre kein absolutes Datum
ableiten lässt.
Dieses hat sich mir auf einem ganz anderen Wege er-
geben. Ein Berliner Papyrus ^^) (No VI) enthält die Stelle:
W^\ '^ I ^ ffl P^ „Königlicher Befehl des wieder-
geborenen (neugekrönten) Horus.'*
Der betreffende König ist Thutmosis III ; die Neuzähl-
ung seiner Regierungsjahre kann sich nur auf die Zeit von
seinem 48. bis zum 54. beziehen, welch letzteres uns die
von Ebers mitgetheilte Grabinschrift des Amenemheb als
sein Todesjahr kennen gelehrt hat. Da nun der Epochal-
name Horus sich auf den Har-chenti, den Eponymus des
Monats Fayni bezieht, so ergibt sich daraus die bestimmte
Epoche 1705 v. Chr. für das 48. Jahr des Thutmosis III,
da sein 47. Jahr in der gewöhnlichen Zählung noch vor-
kommt.
Begeben wir uns reichlich acht Jahrhunderte aufwärts
bis zur denkmalreichen XII. Dynastie, so treffen wir auch
da ein Fest des Sothisfrühaufgangs verzeichnet und zugleich
einen König mit dem bedeutsamen Titel nem-mesu.
In einem der Gräber von Benihassan, dem des Chnum-
37) Von Goodwin raitgetheilt in Zts. 1873, 39.
Lauth: Die ägyptische Tetraeteris. 335
hotep, Sohnes von Nehera^^) erscheint unter den Funeral-
festen auch folgende Gruppe : \^ ^^^r^::^ ^ffi c. [| ^_^ i ^ A ^
„Fest der Stromfahrt (TteQiTtlovg), der Aufnahme des Ueber-
schwemmungsgewässers, der Sothiserscheinun g"". Diese
dreifache Feier ist als einheitliche dargestellt, weil in der
That der Frühaufgang des Sirius mit der Ergiessung des
Nils über seine Ufer in die Caiiäle und sonstige Behälter
identisch ist. Es ist also nicht eigentlich eine fete de la
crue de fleuve; denn die Texte sprechen ausdrücklich von
der Ausgiessung des Flusses z. B. | A ^^ ^^^3:^ ^^ -j ^ ^ ^
I [S O ,oC^
<l 9.9.
39
,o°°^ <~> ^ i»^i6 göttliche Sothis, die Herrin des
Jahresanfanges, welche ausgiesst (seti cit projicere transire)
den Nil zu seiner Zeit." Ja aus diesem wortspielenden
Seti^ Soti erklärt sich am besten, wie aus der Legende Supd
2wx^Lg entstanden ist.
Wenn hiemit die Existenz der Tetraeteris für den Zeit-
horizont der XII. Dyn. als erwiesen gelten darf, so fehlt es
glücklicherweise auch nicht an anderen Symptomen, welche
eine genauere Bestimmung, ja sogar die Fixirung eines ab-
soluten Dstums gestatten. Ich meine auch hier wieder den
bedeutsamen Titel nem-mesu^ der monumental dem Dynastie-
haupte Amenemba I eignet.
Obgleich Lepsius in seiner bahnbrechenden Arbeit
,,über die XII. ägyptische Königsdynastie'' behauptete, dass
von dem Könige Amenemhät I nur wenige Denkmäler vor-
38) Brugsch: Monn. pl. XVII, 2, 24; de Horrack : Notice sur
le nom egyptien du cedre p. 6.
39) Brugsch : Materiaux p. 30.
336 Sitzung der philos.-philol. Classe vom 7. Decemher 1878.
banden sind," so reiclien diese doch hin, um zu constatiren,
dass er epochemachend war, und ausserdem sind in neuerer
Zeit weitere Funde*^) gemacht worden, welche in Verbind-
ung mit den vorherbekannten , besonders einer Stele des
Louvre, uns die Gewissheit verschaffen, dass er in seinem
19. Regierungsjahre seinen Sohn Veturtesen I zum Mit-
regenten angenommen hat. eine Sitte, die sich innerhalb
dieser Dyn. noch öfter wiederholte.
Nehmen wir sein NamenprotocoU, wie es Mariette neu-
lich aus dem ältesten Theile des Tempels von Karnak aus-
gegraben hat: f ^ / ^^ V 0^^^^"^]
nebst der Bannerdevise, so begegnet uns der Titel // fn ^
nem-mesu ,,der wiedergeborene , neugekrönte". Auch in
Denderah (Dümichen : Baugeschichte pl. III f.) führt Ame-
nemha die Bannerdevise ,^nem-mestu.^'' Da ich diesen Titel
sowohl bei Ramses IX und zwar in triplo , dann bei Se-
thosis I und Thutmosis III, also im Ganzen bei vier Königen
einer Phase der Sothisperiode entsprechend getroffen habe, so
unterliegt es für mich nicht dem geringsten Zweifel, dass Ame-
nemhal im Laufe seiner Regierung eine Neuzählung seiner Jahre
eingeführt hat. Das wievielste Jahr dies gewesen, lehrt uns
Manetho, indem er von Amenemes I 16 Jahre zum I. Bande
und zur XL Dyn. rechnet. Also hat sich die Epoche mit
dem Beginne seines 17. Regierungsjahres ereignet. Welcher
Art diese Epoche sei, dafür gibt uns der Laterculus des
Eratosthenes mit seiner Nummer 31 den erwünschten Auf-
schluss : nazead^vQTjg ertj ig'. Offenbar ist dieses Petea-
thyres wegen der identischen Zahl 16 ein Beiname des
40) Mariette': Boulaq grand Vestibüle Nr. 44; Karnak 8 d, e ;
Maspero: la stele eg. du Musee de Rennes.
41) Es steht fl, aber offenbar fälschlich statt ^ |.
La,uth: JDie ägyptische Tetraeteris. 337
Amen eines I und da sich derselbe ungezwungen in ,,die
Gabe der Hathor" zerlegt, welche die eponyme Gottheit des
Monates A t h y r (Hathur) ist , so erhalten wir hiedurch
ein absolutes Datum: der Frühaufgang des Sirius am 1. Athyr
entspricht dem proleptischen Jahre 2545 v. Chr. , welches
das 17. des Amenemha I gewesen ist. Derselbe regierte im
Ganzen 29 Jahre, wie uns die Sothisliste No. 9 !AfxevE^rig
ST7] Xi9^' und die Spuren des Turiner Königspapyrus beweisen.
In idealem Zusammenhange mit diesem Epochalnamen
IleTea&vQrig steht es wohl, dass nach Amenemha I der Name
Se(n)-Hathor ,,Sohn der Hathor" so häufig erscheint. So
z. B. auf einem kleinen Pylon des British Museum* 2), wo
6^" Ja'^:^ S^-HatJwr dargestellt und das übliche Todten-
opfer erbeten wird, und zwar an den Tagen üaJca (17.Thoth),
Tahuti (19. Thoth) ,,and in the festival of the mani-
festation of Sothis." H. Birch bemerkt dazu: At
this time it will be observed that the tiaJca , a moveable
feast, preceded that of Thoth, and Thoth the heliacal rising
of Sirius, so that the calendar could not have been that
of a f ixed year,'' — Da hier nicht, wie oben auf der Stele
aus der Zeit Thutmosis' III, die <3? A J durch andere ^?W
ihre concrete Stellung erhalten hat, so könnte man schliessen,
dass der Sothisfrühaufgang nach dem Monate Thoth —
warum also nicht im Laufe des Athyr? — stattgefunden
hat, welcher bis zum 1. Jahre des Amenemha III dominirte.
Hier trat dann die Epouymie des Choiahk ein und daraus
erklärt sich der Epochalname ^ov^ig, ^aovxrjs^ Petesuchis,
ein Compositum der Bestandtheile - — J *%, aa, ^v^ 5«, §
42) Birch in Ztsch. 1874, 111.
[1878. 1 Philos.-philol.-hist. Cl. Bd. IL 3.] 24
338 Sitzung der phüos.-philol. Classe vom 7. Becemher 1878.
pe-ti mit dem Namen der eponymen Göttin ' y ® J) Suchet
des Monats Choiahk. In der That nennt Se-Hathor als
seinen Herrn den König Amenemha II, der die Mitte hält
zwischen I und III, den beiden Epoche-Herrschern. Die
Stellen der XI. Dynastie werden durch mehrere Mentuhotep
und Antef ausgefüllt. Von letzteren beansprucht Antef II
hier eine nähere Betrachtung.
Im Papyrus Abbott ^^) ist unter andern Plünderungen
auch die des Grabmals vom König Äntef-aa erwähnt mit
dem Beifügen, dass sich dort die Stele befinde, auf welcher
der König stehend mit seinem Hunde (dhasem ,, Knurrer")
Namens Bahuka zwischen seinen Beinen getrofi'en werde.
Nun hat Mariette die leider an ihrem oberen Theile abge-
brochene Stele wirklich aufgefunden , und Birch dieselbe
in einer Abhandlung der Transactt. IV, I behandelt. In
der That erscheinen darauf vier Hunde, wovon einer: No 1,
Bahuka heisst. Ich erkläre mir den Namen , den Birch
wie so manches Andere unerklärt gelassen hat, aus dem
Stamme J 8 y^ ^^"^ hahu ,, jagen" mit AfPigirung des äthio-
pischen artic. post. ka, der auch an den Königsnamen
Schaba-ka, Schabata-ka, Tahar-qa sich findet. Also dieser
eigentliche Jagdhund Jj X ^^ ^^ (I Bahuka mit 3 anderen
und seinem V^^ärter kz:^ <=> ^ Tekenru, dessen Name eben-
falls unägyptisch klingt, ist auf der Stele mit dem Könige
abgebildet Die 6. Columne des Textes enthält das wichtige
Datum :
Aj^^IJI mIA das heisst: Jahr 50, Aufstellung dieser
43) Vergl. meine acad. Abhandlung hierüber.
Lauth: Die ägyptische Tetraeteris. 339
Stele vor [dem Grabe] des Horas wah-anch^ des Königs,
Solines der Sonne Antef-aa, des Wiedergeborenen
(neiigekr ön ten). Den letzten Bestandtheil des Proto-
kolls hat Birch ebenfalls iinübersetzt gelassen und doch ist
er der wichtigste. Denn er berechtigt mich, weil er den epoche-
machenden Titel nem-mesu darstellt, den König A.ntef-11-
aa mit dem Epochenjahre 2665 v. Chr. in Verbindung zu
bringen. Birch 1. 1. erwähnt die Lejdener Stele (worüber
De Rouge, Revue arch. 1849, 557 flgd.) mit den Namen
Antefaqer und Amenu. Letzterer gedenkt seines ürgross-
vaters mit demselben Amte unter n^v Qt" Antefll (aa)'^
Die Stele ist gesetzt im Jahre 33 des Vesurtesen I und die
4 Generationen zu 133^3 Jahren gerechnet, führen aller-
dings in die Zeit, welche ich dem Antef II anweise. „In
this inscription Antef has not the usual cartouche ; but
this is not uncommon in the Antef liue." Dasselbe bemerke
ich auf dem mir jetzt erst verständlich gewordenen Papyrus
Boulaq No 8 col. 6: |\ ^ Antef, der coi. 7 ^J^ Pharao
und col. 8 [ ^. li ^ ] Hcir-tep und am Schlüsse wieder |
nj I nem-mesu genannt wird. Er ist offenbar der ^s. F=q ( ^ )
der Ahnenkammer, da zunächst der ^^. ^ Mentuhotep folgt.
Wegen der Schreibung li ™ — j7 und ^ , vergleiche meine
„Schalttage des Euergetes", wo hebes )l9 = ß j ' ^ V ^^^
meinen ,, Alexander in Aegypten", wo ^ ^^ ' f I dem
griech. tüv tv^cotcov (pilcov entspricht. Dass ich anderwärts **)
44) Aeg. Chronologie p. 108 -112.
24:
340 Sitzimy der phüos.-iMlol. Classe vom 7. December 1878.
den König ( 0 X -^ 1 Achetus^ "Exexoq , ^4y.Tig-avrjg D^H
2^nc^ ^^d-orjg ^ das Haupt der Herakleopolitendynastie IX
(und X), mit ebenderselben Epoche verbunden habe, invol-
virt keinen Widerspruch , da ja der Titel ^^ a^/wna t ^^-
mun(s)ch^ woher Semunus, „Sohn des Mun(s)ch'' (Name des
Ptah als Eponymus des Monates Phaophi) der mittleren
oder Hauptlinie zukommen mochte, wie nem-mesu dem Ver-
treter der thebanischen Linie (XI. Dynastie). Ja ich habe im
Turiner Papyrus Fragm. 152, 3 die Legende des Memphiten
(vt\^^00\ Hanti auf die 120 jährige hanti bezogen
und darin eine Andeutung derselben Monatsverschiebung
gefunden. — Wir besässen somit in Antef 11 aa | fn ' U
in Acht hoes -Semunus und in H a n t i 3 Repräsentanten
der Epoche 2665 v. Chr., entsprechend der Dreitheilung
des Reiches in Diospoliten, Herakleopoliten und Memphiten.
Nachdem so die grosse Kluft zwischen Dynastie XII
und VII überbrückt ist, können wir mit einer gewissen
Zuversicht in der thatenr eichen VI. Dynastie nach der
Sothiserscheinung und der Tetraeteris Umschau halten. Da
treffen wir denn auf einem Opferaltare der Turiner Samm-
lung die Gruppe ^g a A^S P^^^~'^^P^ , ^Erscheinung der
Sothis^^ in Verbindung mit dem Namen des Königs Merira-
Pupui d. i. Molqtg oder Mev6cpQt]g (Dlioip, Ich will die
vielfachen Beweise für meine Thesis, dass dieser König mit
der Hauptepoche der Sothisperiode : 2785 v. Chr. zusammen-
fiel, wo der Frühaufgang des Sirius am 1. Thoth des Wandel-
jahres erfolgte, hier noch einmal kurz zusammenfassen.
Die Stelle des Mathematikers Theon von Alexandria zu
des Ptolemaeus Almagest setzt ccTto MevocpQSiog (XriSscog)
wie Herodot II 13: Molql ovxco yjv Uvea sivaytoGia rere-
Xt vti]x6t i als Ende der Sothisperiode, die von 2785 —
Laiith: Die ä(/ijpHscJic Tetraeterk. 341
1326 V. Chr. iuclus. läuft. — Diodor I 51 setzt analog den
MoiQLg um 12 Geschlechter hinter den OvyoQsvg'NeiXog. Da
dieser kein anderer ist als Ramses III auf der Epoche 1325,
so haben wir hierin, nur in umgekehrter Ordnung, denselben
Ansatz , und die dc6öey.a yeveal sind nichts anderes als die
zwölf haidi oder Monatsverschiebungen des Wandeljahres
während einer ganzen Sothisperiode. — Eratosthenes hat
den Namen ^d^cod^rjg mit der Uebersetzung ^Eq^oyevrjg. Dies
ist kein Irrthum , sondern die richtige Wiedergabe der
Legende -^ — '■' *^ .5^ Aa-Dhuti ,,Spross des Thoth", den
Moeris von der Epoche erhielt, wie ja auch seine Frau
analog "^ "^^ ,, Tochter des Thoth'' beigenannt wurde.
Die Versetzung des Namens liddd-yjg im Laterculus rührt
daher, daes Moeris-Phiops zum Vorgänger den Tutiia hatte,
wie Menes zum Nachfolger den Atuta , wozu noch kommt,
dass Moeris die Pyramidoi'de Mennefer des Menes zu einer
vollständigen Pyramide ausbaute. Daher die so häufige
Verwechslung beider Könige z. B. bei Diodor I 44, 45 (und
Plinius 36, 13): aTto MvQLaöog (MoiQiöog) ^ wo der Sinn
Mdviöog (Mrjvdöog?) erheischt.
Rechnet man dazu noch den Ausdruck 1 ^ ^^^ ^^
„Jahr darnach", der in Inschriften des Moeris-Phiops wieder-
holt angetroffen wird, und zwar in Verbindung mit einer
Triakontaeteris , so dass sein Regierungsanfang 1 2 Jahre
vor die Epoche 2785 fällt, weil mit seinem 18. Jahre die
30 voll werden — erwägt man endlich, dass die grosse In-
schrift des üna unter Moeris-Phiops während 17 Tage des
Epiphi einen so niedrigen Wasserstand des Nil constatirt,
dass ein Transport nicht stattfinden konnte, was sich ge-
nügend erklärt, wenn das Waudeljahr mit dem Sothisjahr
damals gleichen Schritt hielt: so wäre es wirklich ein Zeichen
von üngenügsamkeit, wenn man sich durch alles dies nicht
342 Sitzung der phüos.-philol. Classe vom 7. December 1878.
für überzeugt halten sollte, dass Moeris-Phiops in der That
Epochalkönig für 2785 v. Chr. gewesen ist.
Für die vor der YI. Dynastie liegenden Zeiten wird die
Existenz der Tetraeteris bewiesen durch die Notiruug der
Sothiserscheinung in mehreren Gräbern. Brugsch*^) erwähnt
unter den Nummern 37, 38, 47, 49 ,,apparition de Sothis",
das letzte Mal unmittelbar vor der Gruppe ,,nouvel an" und
bemerkt im Contexte ,,dates caleudriques des tombeaux de
Memphis appartenant aux plus anciennes dynasties de
l'histoire d'Egypte." Lässt sich auch aus der Stelle, wo
sich diese Sothiserscheinung augemerkt findet, nämlich nach
den beiden pirt: ,,grande apparition (d'Osiris) und appari-
tion de Min,'' kein auch nur annähernd richtiges Datum ge-
winnen, so ergibt sich daraus doch jedenfalls so viel, dass
der Frühaufgang des Sirius beobachtet und notirt wurde,
was für die Behauptung , dass damit die Tetraeteris ange-
deutet sei, vollständig hinreicht. Nimmt man dazu, dass
auf Blöcken der Pyramide von Abusir, die dem König Ve-
surenra (Vesyres = Sisires) eignet, Monatsdaten auftreten,
die ganz und gar den üblichen des Wandeljahres ent-
sprechen, so ist es gewiss kein übereilter Schluss, dass
auch die Verschiebung des Wandeljahres innerhalb des fixen
Sothisjahres bekannt gewesen sein muss. — Es wird sich nun
auch der Mühe lohnen, andere Symptome sorgfältiger Zeit-
notirung in diesen uralten Gräbern der V. und IV. Dynastie
einer etwas genaueren Betrachtung zu unterziehen.
VT.
Die Kenntniss dor Tageseintheilung in 24 Stunden ist
den Aegyptern von jeher eigen gewesen. Zwar trifft man
eigentliche Kiepshydren oder Kleppsammidien erst in der
45) Materiaux p. 22, 24, 2"*® tableau.
Laiith: Die ägyptische Tetraeteris. 343
Ptolemaeerzeit iiisebriftlicli'^^') an ; allein die häufige Gruppe
scheb ujon vicissitudo temporis (wenn dieses
^J
nicht =z ;;^ ^ schop) bezeichnet sicher schon früher ein
Instrument der Zeitmessung, wie ja auch Horapollon 1 16
angibt : sv rolg vögoloyloig avvwp ^lyuTtTWi 'avvo-
xifpalov -/^ad^rifxevov yqacfOvOLv. Ein ähnliches Instrument,
das ich in Ermangelung einer eigenen Type durch die 3 Zeichen
^^ t=a=3 wiedergebe, führt den Namen ^^^ ^ oder "^"^
Mertech oder Melchet^ womit ich Aie\^!^vT considerare
vergleiche. Es ist ein Messinstrument, wie Dümichen in
der Ztsch. 1872, 40 richtig gesehen bat, vielleicht ein Vi-
sirinstrument, und kommt schon auf einem Ostrakon (ibid.
1867, 37) vor in dem Satze: ,,Pentaur (der Dichter der
aeg. Ilias ?) machte Beobachtungen , Betrachtungen ^"^ J
(des Himmels?)", nicht aber, wie Chabas übersetzt: ,,Pen-
tasur a fait ce qui lui a plu : ^_^ ^_^ I •
Wie das dem Koptischen Tcopi yvw^wv entsprechende
Zeichen phonetisch dargestellt wurde, darüber fehlt bis jetzt
ein entscheidendes Beispiel. Indess hätte ich in meiner
Abhandlung über Bokenchons *') die Gruppe \ *^~rrj tarn
,, deren Schäfte bis zum Himmel reichen" ebenso gut mit
diesem Tcopi, als mit *2iHpe „Pfeiler" — itc<^Ä.i columnae
inscriptae zusammenstellen können. Im Romane ,5der zwei
Brüder" 16 ult. wird erzählt, dass bei der Tödtung des
in einen Stier verwandelten Batu (Bytes), zwei Blutstropfen
nach beiden Seiten des li (1 ^j [1 ^^ n ^^ grossen
46) Cf. meine Abhandlung: „Alexander in Aegypten".
47) Z. DMG 1863.
344 Sitzung der phüos.-phüol. Ölasse vom 7. Becemher 1878.
Gnomon des Pharao verspritzt und in 2 grosse Pfirsichbäume
verwandelt worden sein. Das Wort tairaa gleicht obigem
taru (Plur.), nur dass der Hausplan cr3 für ^ als Determi-
nativ angewendet ist, cf. li<P\ „bezeichnen, beschreiben."
Die Person ification der Stunden als Frauen ist eine
sehr natürliche, da sowohl ^^ 5 ^ unnu't othot M als
I Q t'eb-t *2wGn^ d.'2£(€)n(T) cf. y^^JJ digitus = '^ (j -^ |
t'ebä oh£i — generis feminini ist. Ersteres bezeichnet also
eigentlich die Nachtstunden, letzteres die Tagstunden, und
demgemäss tragen die Stundenfrauen bald den Stern ^ bald
die Sonnenscheibe O auf ihren Häuptern. Es war also den
Aegyptern ein Leichtes , die aliquoten Theile des Tages zu
bezeichnen , wie denn der uns beschäftigende wichtige
Viertel tag ::^ 6 Stunden, in dem uralten auf die Zeit
des Königs ( o t^ LI ] Menker sm^ MeyxsQrjg, MvyceQlvog
zurückgeführten cap. 64 des Todtenbuches erscheint: „die
24 Stunden des Tages der Mitte des Orion (36. Decan)
gehen insgesammt, eine um die andere bis zu 6: t=3=i V
D<
A D ^''■'^^ IISIIS ^''" Di^ ^^öi Tageszeiten Morgen,
Mittag, Abend werden häufig erwähnt. So wurden z. B.
der Hathor*^) Gussopfer dargebracht ®. drei Mal: ^^
^Odas eine Morgens (beq cf. np.2), N^ ®"; das zweite Mit-
tags (hur g^o^rp interius) ; ^J_L J^ y^ ^^ , das dritte
Abends" (mascher cf. r\'^^12 meta). Dazu kommt die Bezeich-
48) Mariette: Denderah I 64, b, 1,
Lauth: Die ägyptisclie Tetraeteris. 345
uung „Mitternacht'' clurcli ^^,* ^ | "T^*^^ „Hälfte der
Nacht" (ma-n-garhu e«scopg), wo der betreifende Gerheb-
priester aufzuwachen hatte.
Entsprechend dem Sonnenstande treffen wir in den
höchst merkwürdigen Darstellungen des Discusfanatikers
Chuenaten (Amenhotep IV ^^j zu Tell-Amarna öfter drei
Stelen ISI T ^Q erwähnt, welche je auf einem Berge
^ und zwar als östliche, mittlere (südliche) und westliche
aufgestellt waren. Offenbar waren sie nach dem jedesmaligen
Sonnenstande zu den 3 Tageszeiten orientirt, was nicht zu
verwundern ist, da ja Chuenaten sich den Sonnendiscus
J/wvwv zum Centrura seines Credo gemacht hatte.
Herr Brugsch ^ ^) glaubt , dass die so häufige Gruppe
a"© Jji 1^1 Var. -L^j. ) ne se prete pas toujours au sens de
quatre fois" und erblickt vielmehr darin ,,quatre quarts'^
der Tetraeteris. Allein die Anbringung dieser Formel
hinter gewissen Gruppen besagt doch nur , dass sie vier-
mal wiederholt werden sollen. Es liesse sich vielmehr an
die 4 Tageszeiten denken , die sonach ein zeitliches Seiten-
stück zu dem ebenso häufigen räumlichen ß^^^'^^jg^^ ,,die
vier Himmels(gegenden)" bilden würden.
Vorstehende Bemerkungen mögen als Ueberleitung
dienen zu gewissen Darstellungen in Gräbern der V. Dy-
nastie, wo augenscheinlich uralte Beispiele eines ägyptischen
Gnomon aufstossen. Herr Vic. de Rouge ^^) bemerkt
darüber: ,,0n ne peut se defendre de penser qu'un semblable
49) Dümichen: Kalenderinschriften XXXV col. 45/46.
50) Prisse: Mönn. XIII.
51) Materiaux p. 76.
52) Monn. VI. prem. dynn. p. 289, 290, 296, 301, 310 (bis).
346 Sitziuig der philos.-philol. Glasse vom 7. Decemher 1878.
moniimenfc etait une sorte de gnomou gigantesque." In
der That legt das Bild selbst einen solchen Gedanken nahe :
auf einer abgestumpften Pyramide /I\ steht ein Obelisk
|1 und dieser selbst wird überragt von einem Discus O.
Die Phonetik, welche diesem dreifach componirten Zeichen
vorangeht, ist ebenfalls eine dreifache, welche sich nach
Aufhebung der Schriftinversion so darstellt : © ,^ O Sop-
nuter-Ra „göttliches vSop des Sonnengottes^'. Offenbar hat
hier © sop eine örtliche oder gleichsam materielle Bedeut-
ung, die sonst das Determinativ Sockel r|D „Schwelle",
hinter sich hat und wahrscheinlich mit dem P]1D „ßnde,
(Spitze?)" zusammenhängt. Indess wissen wir aus dem Pap.
Anastasi P'), dass die verwandte Gruppe (I QA g"@^ ® asop-
sep nicht „par deux fols (quinze, deux coudees)" bedeutet,
sondern die Basis bezeichnet, da der Gegensatz ^. ,
bis zum Kopfe" dabei steht.
Die einfachere Schreibung ® Sop - Ra ohne nuter hat
dasselbe Determinativ hinter sich; es handelt sich beide
Male um den nämlichen Gnomon (des Vesurkaf OiaeQx^Qf]?)
dessen Theodule oder Priester der betreffende Beamte heisst.
Eine andere Gestalt bietet die Gruppe 'O'^^^Ä^O
oder vielleicht in der Ordnung ^S^ "Ö" O (ohne das Gottes-
zeichen). Da das Deutbild des vieldeutigen shepu fehlt,
so lässt sich sowohl ujon accipere als ujenujon illumi-
nari beiziehen. Die Beigabe des Herzens "Ö" erscheint auch
in der dritten Schreibung : jj ^ ^ O as' het nuter Ra für
I
53) Chabas: Voyage p.48, 50. Es handelt sich das zweite Mal
um einen Obelisken.
Laiith: Die ägyptische Tetraeteris. 347
denselben Gnomon. Da jj ä, auch allein als Name eines
Obelisken vorkommt ^^), so empfiehlt es sich, das „Herz des
Sonnengottes'*, zum zweiten Gliede der Construction zu
machen und zu übersetzen: ,, Aufnahme (igon receptio)
oder ,, Beleuchtung des Sonnengottherzens". Man erinnert
sich hiebei unwillkürlich an die Nachricht eines arabischen
Schriftstellers, sowie an die Stelle des Plinius, welcher be-
hauptet, dass : ,,obeliscos . . . Solls numini sacratos ;
radiorum ejus argumentum in effigie est, et ita signifi-
catur nomine Aegyptio.'' ^^) Dies scheint die Auffassung
des ^^ als illuminatio zu rechtfertigen.
Trotz der Unsicherheit im Einzelnen ergibt sich aber
doch aus dem Gesammteindrucke dieser drei Legenden des
Gnomons, besonders mit Berücksichtigung des Determinativs,
dass die Sonne dabei die Hauptrolle spielt und das Ganze
mit dem Gnomon des biblischen Königs Ahaz^^) eine un-
verkennbare Aehnlichkeit darbietet. Hat ja doch auch der
Obeliscus Divi Augusti im Campo Martio als Sonnenuhr ge-
dient! Den Untersatz: die abgestumpfte Pyramide A, kann
man sich recht wohl stufenförmig /\ vorstellen, so dass die
nl^yo nicht blosse Grade, sondern wirkliche gradus be-
zeichnen.
Nimmt man dazu, dass das Epitheton „göttlich" dem
ägyptischen Gnomon wegen des Sonnengottes gebührte,
dessen Name ja ohnehin in den meisten Ringen der Könige
erscheint, woher sich auch der Cult desselben durch einen
y I Theodulen oder f^ Priester er klärt; bedenkt man ferner,
54) 1. 1. p. 303.
55) Vergl. meine acad. Abb. „Obell. u. Pyramiden" 1866.
56) Jesaias XXXVIII vergl. den Commentar v. Delitzsch p. 374
u. v. Gumpach.
348 SitziDig der philos.-philol. Clause com 7. Decemher 1878.
dass der Tcope yv(Of.iwv., den ich oben doppelt nachgewiesen
habe, mit dem Palaste des Pharao verbunden war, so lässt
sich seine officielle Bedeutuug für die Zeitmessung nicht
wohl anzweifeln.
Weniger positiv muss ich mich äussern in Betreff einer
Gruppe, die in der Legende der Prinzessin Merisanch vor-
kommt. Zwischen Chufu und Chafra, den Erbauern der
zwei grössten Pyramiden gleichsam als Bindeglied mitten
inne stehend, erhält diese Persönlichkeit die höchsten Titel,
wie sie nur einer Königin zukommen.^') Hier sollen uns
nur zwei derselben beschäftigen. Sie wird „Theodule des
Thoth" genannt, wozu de Rouge bemerkt: „ce qui impli-
que probablement un degre d'instruction superieure'S und
ausserdem „Theodule }c^ ,^ " n *^-=— ^^ i also einer gött-
liehen Persönlichkeit in Stiergestalt. De Rouge übersetzt
die phonetische Gruppe mit „venientis in hora sua (dei)''
,,celui qui saisit son heure, son moment", fügt aber vor-
sichtig hinzu : ,,I1 nous est impossible d'affirmer qu'il s'agisse
ici, soit d'Apis, soit de Mnevis, mais il y a lä une indication
tres precieuse pour l'histoire du symbolisme ; puisqu'elle
parait faire coincider la naissance d'un des taureaux divi-
nises avec une epoque determinee, des le commenceraent de
cette superstition."
Letzteres ist mir durchaus nicht einleuchtend und über-
haupt scheint mir der Gedanke an einen der genannten
hl. Stiere schon desshalb ausgeschlossen, weil keiner derselben
unter obiger Benennung jemals getrofPen wird, obschon die
betreffenden Texte reichlich fliessen.
Die Seltenheit des Vorkommens dieser Legende
@ gx^ (die freilich zwei unbekannte Grössen enthält:
57) De Rouge 1. 1. p. 276, 277, 279.
Lauth: Die ägyptische Tetraeteris. 349
X n.Y, da sowohl ^^ als @ g vieldeutig sind) — denn sie
findet sieb bis jetzt nur in diesem Falle — brachte mich
auf den Gedanken, ob hier nicht jener Stier gemeint sei,
den ich oben aus den astronomischen Grab - Darstellungen
als Repräsentanten des aus 4 Vierteln successive entstehen-
den Schalttages erhärtet habe. Seine Stellung auf dem
Gerüste;^**) die Erinnerung an die Drehscheibe .ui^ oder
■"IT"- worauf er sonst steht; der parallele Titel „Theodule
des Thot" bringen mich auf die Vermuthung, dass (C^
□ @ i^e.^ ,,der Festhalter seines Postens'' zu übersetzen sein
dürfte. Aus den Pap. Prisse^^) habe ich, freilich in anderem
Zusammenhange , die Stelle 33^ ^ ' 1 □ "© ^^-=*— so über-
setzt : „der nicht jemals auf seinem Posten ist." (Wirklich ist
dieses positive hersop-f Eigenname des Wächters der Windung
desOrcus (Todt. c. 17, 67, 68) - . Unmittelbar vorhergeht der ^
^ ^^ "^ li^ "^ „Wegüberschreiter''. Es Hesse
sich ?\^\S ,,Thron" (Ztsch. 1873, 44) wegen seiner Ver-
wandtschaft mit dem Gerüste ^^^ allenfalls beiziehen. Dass
die so ermittelte Beziehung auf den Schalttag von der
höchsten Wichtigkeit auch für die Tetraeteris wäre, wird
Jedermann einräumen.
VII.
Wir gelangen nunmehr zu den grössten Weltwundern:
den Pyramiden der Könige Chufu, Chafra, Menkeura =
58) So wird er öfter z. B. Todtenbuch c. 7/8 neben dem Schakal,
Ibis, Sperber als viertes Emblem getroffen; ist aber nach der
Richtung des Contextes zu urtheilen, der erste auf dem v-^k— •
59) Vero-1. hierüber meine acad. Abhandlung 1870.
350 Sitzung der phüos.-philol. Classe vom 7. Deceniber 1876.
Xeoii.>, XecpQTjVj MeyxsQivog (MeyyjQrjg). Nur die erste soll
hier berücksichtigt werden , nicht weil sie die allergrösste
ist, sondern weil an ihr die sänimtlichen Eigenthümlich-
keiten des Pjramidenbaues zum Vorschein kommen, darunter
auch diejenigen, welche einen Schluss auf die astronomische
Chronologie und zuaächst auf die Frage der Tetraeteris
erlauben.
Während uns im vorigen Abschnitte das Amalgam von
Pyramide und Obelisk in dem Gnomom begegnet ist, treffen
wir zu Cheops Zeit beide gesondert. So hatte sein Sohn
Merhet, dessen Grab Lepsius ins Berliner Museum verpflanzt
hat, unter andern hohen Titeln auch den eines Priesters von
^^"^öfl©^#^K.=_^y^ d. h. einer Localität, die
durch einen Obelisken des Chufu ansehnlich war. Der Riesen-
bau der Pyramide selbst wird in einem benachbarten Grabe
(der Prinzessin Hontsen) in Anlehnung an den bereits vor-
handenen Sphinx X ^ .^^ Hu, kurz so ausgedrückt l ^
baute seine Pyramide zur Seite des Tempels dieser Göttin'^
(Isis, im CoDtexte X^^ „Gebieterin der Pyramide" bei-
genannt.) In der Fortsetzung des Textes heisst es : 1 4^^
%s^ ^^<i^ 1^^ Rex utriusque terrae Cheops fecit
60) Cf. de Rouge : Monn. des VI. pr. dyn. 263, 265, 266, 267 etc.
61) Mariette und Karnak pl. 42, col. ]
\ sapt mit t=£±=j und ^ aber ohne A .
61) Mariette und Karnak pl. 42, col. 10 und 18 steht " " "^ ^
Lauth: Die ägyptische Tetraetens. 351
matri suae Isidi, divinae matri Hathori, dominae dßvooov.
Den letzten Theil übersetzt de Rouge : disposuit titulum
positum in stela", bemerkt jedoch in der Note, dass statt
A ti vielleicht A als Deutbild zu 1£ 5ej?w^ stehe, was je-
doch den Sinn nicht ändere. Da derselbe (f als se(s)cha
Ok^ umschreibt und dieses das Objekt zu dem Anfangs-
stehenden a,vvwn fecit würde , so stünde nichts entgegen,
o A' ^^® ^^ steht, als ^coS^ig zu fassen und auf Isis-Hathor
zu beziehen. Denn diese Göttin ist in Denderah beständig
Supd-^iodtg beigenannt, und als Verbum betrachtet würde
1^ A doch ein Personal- oder Participial- Affix haben müssen.
Jedenfalls garantirt uns schon Isis-Hathor allein die Sothis
und damit die T e t r a e t e r i s.
So darf man denn auch im kunstvollen Bau der Pyra-
mide des Chnemu-Chufu — Xefxßrjg-Xeoifi etwas Besseres
als einen „Steinhaufen'' erblicken, dessen allmählige Ent-
stehung der ,, Gelehrte" des ,, Baedeker" p. 362 so anschau-
lich zu schildern weiss : „die Stätte , wo ein König ruhte,
sollte königlich bezeichnet und weithin sichtbar sein , sein
Grabmal sollte alle anderen überragen, seine Grabkamraer
sollte am wenigsten zu eröffnen sein. So mochte man zu-
erst Steinblöcke (!) auf das geschlossene Felsengrab
eines Königs wälzen oder einen Erdhügel darüber auf-
schütten , wenn Sand und Erde in der Nähe waren. Die
heftigen Winde (!) , welche aus der Wüste her wehten,
machten es jedoch nöthig , diese Erdhügel mit Steinen (!)
zu befestigen und zu bekleiden. Dadurch gewannen die
Grabeshügel allmählig (!) eine bestimmte Gestalt, sie wurden
(warum ?) viereckige nach oben verjüngte Bauten, die dann
mit breiter Basis und starker Neigung zur Pyramiden-
352 Sitzung der pJiilos.-pMlol. Classe vom 7. Decemher 1878.
form (!) übergingen und dadurch die grösstmögliclie Festig-
keit und Solidität erlangten." ^^)
Dieser Theorie des allmähligen Steinhaufens, der ja zu
einer Kegel form hätte führen müssen , stelle ich meine
Ansicht entgegen, dass die Pyramide des Cheops vom Ent-
würfe an eine planvolle Anlage darstellt. Schon die
genaue Orientirung nach den vier Weltgegenden verräth
astronomischen Charakter. Dazu kommt die Anbringung-
verschiedener Färbung in den Innenräumen, welche auf ab-
sichtliche Wahl zum Ausdrucke der Begriffe von Sonne, Mond
und fünf Planeten schliessen lässt. Was aber die Haupt-
sache ist : der Winkel des schrägen Eingangsschachtes, der
regelmässig an der Nordseite angebracht ist, weist auf
den jeweiligen Nordpol hin und so konnte von HerscheP^)
schon auf Grund astronomischer Berechnung das Jahr 3443
V. Chr. als Zeit der Erbauung vermuthet werden. Ich habe
in meinem Aufsatze „die Pyramide des Cheops'' ein astro-
nomisches Horoscop darin erblickt und dabei bemerkt, dass
der Stern a Draconis, auf welchen der Schacht hinweist,
nicht ganz genau den beabsichtigten Punkt des Himmels
bezeichnet, dass also wegen dieser, wenn auch geringen
Abweichung eine kleine Schwankung in der Zeitbestimmung
zu statuiren sei. In der That habe ich seitdem gefunden,
dass Chufu's Regierungsantritt mit dem Jahre 3362 v. Chr.
zusammenfällt.
62) Trotz dieser seiner Theorie adoptirt derselbe „Gelehrte" p. 369
stillschweigend und fast verstohlen meine Erklärung des Beinamens von
Chufu, nämlich Chnemu (Diodor's Xi^ußrjg) „der Erbauer, Baum eister'^
Man begreift nur nicht recht, wie die Errichtung eines grossen, ja gi-
gantischen Steinhaufens dem Cheops diese Benennung eines Künst-
lers (denn chnemu bedeutet die Kunst des Zusammenfügens) bei
seinen Zeitgenossen eingetragen haben sollte.
63) Cf. Piazzi Smyth: „The great Pyramid".
Lauth: Die ägyptische Tetraeteris. 353
In gewissem Sinne also darf man bei der Pyramide
des Cheops von einer ,, gemauerten Chronologie*'^*) sprechen,
wenngleich H. von Gumpach in der Kritik des citirten
Buches ^^) es bedenklich fand, die alten Aegypter mit einer
vollendeten Astronomie zu beschenken. Denn es ist , um
von der religiösen Seite dieses Grabmals hier ganz zu
schweigen, doch sicherlich kein Zufall, dass der Zugang zu
der Königskammer und dem ganzen astronomischen
T h u r m e , welcher den Kern des Baues bildet, die einzige
Zahlenangabe bietet, welche sich überhaupt dort vorfindet:
Pllj 24 d, h. die Jahre des Chufu als König. An der
Aussenseite entsprechen diesem Datum 6 X 36 = 216
Stufen, welche, als Decaden gefasst, wegen der Vierseitig-
keit der Pyramide, die 4 X 6 = 24 Jahre des unmittel-
baren Vorgängers Snefru ergeben. Ich schätze mich glück-
lich , jetzt den Beweis erbringen zu können, dass die
Aegypter wirklich den Steinblock zum Ausdruck für
Decade gewählt haben.^^)
64) Freilich nicht so , wie Hekekyan-Bey in seinem Buche : A
Treatise on the Chronology of Siriadic Monuments etc. den Gedanken
nebelhaft durchführt — auch nicht, wie Piazzi Smyth , ohschon dieser
astronomischer verfährt.
65) Ztsch. für aeg. Sp. 1864 p. 48.
66) Auch werden die 36 Decane nicht selten erwähnt; so z. B.
im Pap. Bulaq No 3 pl. 12 lin. 13 : ,,Es treten ein die Talismane der
Götter des Südens und des Nordens zu dir aus den 36 Gauen; du
wandelst damit als vollkommene Seele, du thust dein Belieben inner-
halb des Himmels ; du bist zusammen mit den (göttlichen) Sternen ; deine
Seele ist die 36 h e i t der göttlichen Sterne , in welche du dich ver-
wandelst." PI. 11 , hn. 10/11 werden „36 Binden (t^Mc) verordnet,
dieweil es 36 Götter sind, zu denen seine Seele sich am Himmel erhebt
und es auch 36 Gaue sind, in denen die Caerimonien des Osiiis gefeiert
werden." Die Decade selbst ist öfter daselbst z. B. pl. 7, ult. und 9, 4
durch O n ^ vjede Decade" ausgedrückt.
[1878. I. Philos.-philol.-hist. Cl. Bd. II, 3.] 25
354 Sitzung der philos -philöl. Classe com V.Becemher 1878.
In meinen ,,Zodiaques de Denderah" hatte ich schon
vor zwölf Jahren auf Grund der griechischen Inschrift:
TißeQLOv l'zovg Kä ^eßaoTfj {rifxeqa) die Ansicht aufgestellt,
dass der rechtwinklige Thier kreis auf den Geburtstag des
Kaisers: den 17. November 34 n. Chr. gemünzt sei. Wirk-
lich erscheint die strahlende Sonnenscheibe am fiOQLOv der
Himmelsgöttin aus 11 Schichten mit je 17 Dreiecken ge-
staltet, doch wohl um 17/11 d. h. den 17. November zu
bezeichnen. Dass dieses der Fall ist, lehrt der dabei ange-
brachte H a t h o r köpf (mit Kuhohren) auf einem Untersatze,
der aus einem Doppelblocke gebildet ist. Was dieses
Emblem zu bedeuten habe , lehrt die Gegenseite gleichsam
als Gegenprobe: Hathor sitzt mit einem kleinen Jungen
auf der Hand und hat hinter sich wieder ein Doppelbild :
eine Schlange nebst einem rechtwinkligen Steinbl o ck.
Die Schlange mit Kopf, 4 Doppelwindungen und Schweif,
etwa in der Form des Zeichens >=oo , bezeichnet offenbar
die Decade, eigentlich zunächst den Decan. Denn
Clemens Alex. ^^) bietet die Stelle: ra f^iv yccQ twv aXXwv
aOTQiov^ dtd Tiqv TtOQSiav Tiqv lo^rjv, og)ecov owfxaoiv a/rfitza-
'Qov (^lyvTtTiOi)' Tov 6e '"H.XiOv tw tov y, av d- a q ov.
Wirklich kommt die Sonne aus dem /xoqlov der Himmels-
göttin zu Denderah in Gestalt eines Käfers zum Vorschein.
Da nun der 17. November = 21. Athyr und dieser
den Anfang der dritten Decade bezeichnet, so sind also für
die Zeit des beabsichtigten Horoscops zwei Decaden
zurückgelegt. Desshalb hat die Hathor , die eponyme
Göttin des Monats Athyr, die Schlange und den Stein-
block einmal hinter sich, das andre Mal zwei Stein-
b locke unter sich.
Der Block hat die Form | | . Es ist gewiss nicht zu-
67) Stromm. V (Pott II 657).
Lauth: Die ägyptische Tetraeteris. 355
fällig, dass in dem geometrischen Papyrus ^^) des British
Museum die Langseite der Figuren | | »
~~] (1 *^^- c-Z] a Square of ten" je 10 und 20
^=»-7^ canes (Ruthen) misst. Dass man dabei an die De-
caden blocke gedacht hat, geht daraus hervor, dass die
Pyramide Y J ^v*^~~^ A abmer mit schwarzer Spitze
gezeichnet ist, was sich gerade so an den Pyramiden von
Gizeh (ursprünglich) und in den bildlichen Darstellungen
von Pyramiden regelmässig wiederfindet. Es ist eben der
Nachthimmel, an welchem die Decane zur Erschein-
ung kommen.
Noch mehr. Auf dem Rundbilde von Denderah ist
der 36. Decan — und nur dieser allein unter allen —
wieder durch einen solchen Block j | mit einer ge-
krönten Schlange darüber TiMA bezeichnet — warum? Nun
ich dächte, aus demselben Grunde, wesshalb an der grossen
Pyramide des Cheops gerade die 'öQ. Decadenschicht durch
grössere Dimensionen ausgezeichnet ist Da nun in beiden
Fällen, sowohl an der Pyramide als im Thier kreise, gerade
die 36. Decade hervorgehoben ist, so bleibt doch wohl
nichts Anderes übrig, als mit mir anzunehmen, dass die
36 Decaden des Jahres gemeint sind. Auch dürfte
die Zahl der vielen dazu erforderlichen Tausenden von
Arbeitern: 360,000 (36 Myriaden bei Diodor I 63) nicht
ausser Beziehung zu den Decadenschichten stehen. Die
Herübernahme der Hieroglyphen oder Schriftbilder von den
68) Ztsch. 1868, 110; 1874, 148; 1875, 26—29; Eisenlohr: „Ein
Mathematisches Handbuch der alten Aegypter."
69) Die Kantenseite heisst: c=:^=3 ^ ^^^^ '^ \\ U3 Piramus,
woher wolil livQcc^uig stammt.
25*
356 Sitzung der pMlos.-pJiilol. Classe vom 7. December 1878.
Himmelszeichen erwälmt Sanchuniathon bei Eusebius pr. ev.
I 39: Taavtog fxtfxrjodixevog xov ovqavbv . . . öiervTtojasv
Tovg leQOvg tcov otolxeLov xaqaKTrJQag.
Diese sind aber nur die chronologisch - irdischen Ab-
bilder der astronomisch-himmlischen Decane. Wird man
nun bald einräumen, dass die Pyramide des Cheops nicht
bloss Sonne Mond Planeten , Decane , sondern auch das
Sternbild des Nordpunktes , ja sogar durch die beiden so-
genannten „Luftlöcher'', die ich aber mit besserem Rechte
als Tuben bezeichne, den Meridiandurchgang der Sothis
and den grossen Schenkel des Nordhimmels als Ausdruck
des fixen Sothisjahres und der Tetraeteris beab-
sichtigt hat? Eine Ahnung dieses wahren Sachverhaltes
liegt auch in dem Distichon: ^^)
^'Oaaav btt'' OvXv/HTtw Kai Tlrihov vifjco&svta
^evdi^g lOTOQirjg Qr^aig dvsTrXaaaro'
IIvQafxldsg d^exi vvv Neilwtdeg, ay,Qa ^ufTW^ra,
KvQOVGi xqvoeoig aorqaöL nXrjiaöojv.
„c'est-ä-dire ^Jusqu'au cief
Mit lÄSTcoTCov bezeichneten die Griechen eigentlich die
Stirne, dann die Fronte eines Baues und fast scheint es, als
ob (XKQa {ueziOTta eine Uebersetzung von IIvQafAldeg dar-
stellen solle; die Legende Piramus: die schräge Kanten-
seite, die sich dem Auge darbietet, passt dazu, und da
Pollux ^izwTtov ziz f^£o6q)Qvov setzt, so könnte wirklich die-
selbe Höhe gemeint sein , wo die Tuben die Oberfläche
70) Letronne: inscrippt. grecques II 513 — 516 im Anschlüsse an
das Distichon des Maximus:
MvT^fxata Kcci(pQrlv6g te xcu avtid-dov MvxiQtivov
Kai XeoTiog xccti^oSp, Ma^LfMog i^yaaccfxrjy,
sowie an das Scholion zu Clemens Alex. Strorara. IV, 113:
IIvQCi^iSsg, oixoöofiT^jUccra j?V Jiyvnzco, aneQ (pxoSofxrj^r] iig f^rtj-
jLiccTOiy xüjQay , (og fiaQXVQÜ ro ev ccvraTg eniyQK^^u ovxiag e/ov :
MyrjuaTa etc.
Lauth: Die ätjyptische Tetraeteris. 357
nach A.ussen durchstechen. Dass er die „goldnen Plei'aden-
sterne" als Zielpunkt dieser Tuben gedacht hat, kann nicht
einfach „jusqu'au cieP' bedeuten , noch auch den Zenith,
wohin die schwarze Spitze der Pyramide weist, sondern es
ist diejenige Declinationshöhe gemeint, in welcher dem
Aegypter die Plejaden erschienen. Dieses Sternbild hat der
Dichter gewählt, weil es in Griechenland das am meisten
beobachtete war , während in Aegypten der Orion : Osiris-
Sahu als Vertreter der 5 Epagomenen und Sothis : Sirius,
wie die glänzendsten, so auch die wichstigsten Gestirne waren.
Auf der entgegenstehenden Seite bildete das Sternbild der
Menat (Drache) bezeichnenderweise sowohl die Jahresmitte
als den Monat Phamenot und daran schloss sich bis-
weilen unmittelbar „der grosse Schenkel des Nordhimmels
(Bär — Wagen) sowie in jüngerer Zeit der Schakal (kl.
Bär , Mechir) , als Repräsentanten des Vierteltages,
dieses für die Tetraeteris so wichtigen Elementes.
Der eben erwähnte Stiervorderschenkel, inschriftlich
^ ^''^^a mesech't^ mit dem koptischen e^ep-Mici pars
quarta verwandt und also, weil Ampliativum, „das grosse
Viertel" bedeutend , dient in vielen Tempelinschriften
>COO
geradezu als Variante zu 8 ^ mhet Mg^iT Norden, sep-
temtrio, wie ja dieses lateinische Wort auch von dem
Siebengestirne (gr. Bär, Wagen) hergenommen ist.
Diese Weltgegend wird nun ausschliesslich in's Auge ge-
fasst , wenn es sich um die 0 r i e n t i r u n g der Bauten
handelt, so z. B. sehr häufig in Edfu. '^)
Aber auch in Denderah (Ta-n-tarer = TevTvqa)^ dem
Tempel der Hathor-Isis-Sothis, wird nebst den Caeremonien
71) Vergl. Ztsch. f. aeg. Spr. 1870, 154 sqq.
358 Sitzung der philos.-pJiilol. Glasse vom 7. December 1878.
des Erdaufhackens (ersten Spatenstiches), Sandschüttens, des
Ziegelstreichens und der Grundsteinlegung von Seiten des
Königs (also in offizieller Form) die Beobachtung des Nord-
p unkte s als unerlässliche Vorbedingung vollzogen. Die
Legende ^2) bezieht sich auf den Kaiser Augustus mit dem
chronologisch wichtigen Beinamen H a r m a (h) i s ^^), ist also
auf das Epochaljahr 5 v. Chr. gemünzt, wo der Frühauf-
gang des Sirius (Sothis) am 1. Mesori (Monat des Harmachis)
erfolgte. Sie lautet: „Es lebe der gütige Gott, der Sohn
des (ibisköpfigen) Asdes (Form des Dhuti) ^ genährt von
der Erhabenen (Muse) (II^DH) in dem Hekahause ! Der
Herrscher des Landes spannt aus den Messstrick mit
Frohlocken, das Angesicht richtend nach dem
Mittelpunkte des grossen Stier vier telgestirnes
^"^ I ^ I M (11 P^'^^^' ^^^^^^ ®^ ^®^* (errichtet er) den
Tempel der Herrin (oder der „goldenen" L4q)qodk7fj in Den-
derah, so wie derselbe es war seit der Urzeit."
Es ist also hier die astronomische Beobachtung zuerst und
zunächst auf den (Mittel-) Punkt des gr. Bären gerichtet,
wie wir dies analog aus dem schrägen Nordschachte der
Pyramiden erschliessen mussten.
Zugleich ist diese nicht umsonst mit dem Titel ,,Sohn
des Thot" (wie oben eine Princessin ,, Tochter des Thot
und Priesterin des quadriennalen Stiers" geheissen hat) in
Verbindung gebrachte Thätigkeit unzertrennlich von der Scene
des Strickspannens und Pflockeinschlagens.
Die Göttin Safech ^ (Klio) und Augustus stehen
einander gegenüber; sie hält mit der Rechten, er mit der
Linken einen Pflock; beide Pflöcke sind mit einer Schnur
72) Bei Dümichen: „Baugeschichte des Denderahtempels" pl. 44.
73) Vergl. hierüber meine acad. Abhdl. „Augustus-Harraais" 1877.
Lauth: Die ägyptische Tetraeteris. 359
umspannt; in der andern Hand führt jede der beiden Per-
sönlichkeiten einen Schlägel, um die Pflöcke einzutreiben. Die
Begleitlegenden sind sehr einfach und klar: ,,das Ausspannen
des Messstrickes im Tempel der mächtigen (Göttin)" — das
Entfalten des Strickes^*) im Treppenhause des rothen Pracht-
baues'^ Die Göttin spricht: „Gepackt habe ich den Pflock
und den Schlägel in Gemeinschaft mit Sr. Majestät (dem
Kaiser), gegründet habe ich den Wohnsitz der Sonnentochter
(der Hathor-Isis-Sothis)." Der Kaiser spricht: ,,Ich nahe
dem Strahlenhaus der Tochter des Sonnengottes mit Froh-
locken, um zu fundiren den Grundplan ihres Adytums."
Am wichtigsten für den vorliegenden Zweck ist der
Passus: v (I ^ ^^^^"^"^^ i)SO wie es war (orientirt) daselbst
seit der Urzeit,'^ um so bemerkenswerther, als derselbe Tempel
von Denderah in einem seiner geheimen Corridore^^) den
Satz darbietet : „der ursprüngliche Grundplan von Denderah
(An*t) war eine Restauration, gemacht von Thutmosis III,
nachdem er aufgefunden war in einer alten Schrift aus der
Zeit des Königs [#^2^.«=^ j Ghufu {Xeoxp ^ 2ovg)ig)^''
Es ist schon hiedurch streng erwiesen , dass man dem
Baumeister Chufu: Chnemu, wie die Orientirung des
Tempels von Denderah nach dem Nordgestirne des grossen
Stierviertels, so auch die absichtliche Richtung des Schachtes
74) Hier nicht <:=^ ser, sondern jO jO ivmva genannt. Es
scheint mir, dass der Ausdruck 'J^neS-o-y-ccnrcu bei Clem. Alex, aus
Democrit mit der sicheren Bedeutung „Seilspanner'* aus dem Prototype
^==j4p ) ^J^ ^ ^ ^ Har-ped-o-n-hapt „Oberer des Ausspannens
das Seil der Eckung" [jcvfxdnop OCOTIT) zu erklären sein mag.
75) Dümichen : Bauurkunde pl. XVI a, b, cf. pl. XV col. 35—39.
360 Sitzung der philos.-phüoL Classe vom 7. Decemher 1878.
seiner grossen Pyramide nacli dem nämlichen Mittelpunkte
des Nordhimmels zutrauen darf.
Die Parallelstelle zu der eben citirten besagt, dass Thut-
mosis III den ursprünglichen Plan des Denderahtempels in
einer alten Schrift auf Ziegenhaut aus der Zeit der ,,Horus-
diener n I i ^^^ ^' entdeckt habe, welcher in der Zeit des
Königs Moeris-Phiops in einer Umfassungsmauer aus Ziegel-
stein aufgefunden worden. Abgesehen von der Epochen-
haftigkeit der Könige Thutmosis HI (1705) und Moeris-
M€j^o<5p^^g - Phiops (2785) beansprucht hier der Ausdruck
„Zeit der Horusdiener'' unsere besondere Aufmerksamkeit.
Ich habe anderwärts dargethan, dass damit die praehistori-
schen Könige von Ann (On) gemeint sind. Weiteres siehe in
meiner „Aegyptischen Chronologie".
Obgleich der obeo erwähnte Dichter die Sage über die
Aufthürmung des Ossa und Pelion zum Olymp os eine
Fabel nennt, so hat er doch unbewusst in seiner Zusammen-
stellung dieses Conglomerates mit dem Pyramidenbau viel-
leicht das Richtige getroffen. Denn ist nicht der Mythos
über Ossa und Pelion (Olympos) ein Nachklang der Sage
über den Thurm von Babel? Besagt nicht diese Himmiel-
stürmerei der titanischen Vorzeit einfach den astrono-
mischen Thurm, wie ich ihn im Kerne des Cheops-
Pyramide aufgezeigt habe?
Wem dies Alles problematisch erscheint, den muss ich
auf folgende Thatsachen hinweisen. Herodot hat II 77
die Bewohner des besä'ten Aegyptens, womit er hauptsäch-
lich das Delta meint, als diejenigen bezeichnet, welche von
allen Menschen zumeist die fnviqfxr] d. h. das geschichtliche
Andenken üben und sie desshalb XoycwTatoi genannt. Man
bemerke, dass er dies im Anschlüsse an den Bericht über
den Vogel des Thot, den Ibis, thut. Noch näher bestimmt
er dies II 3, wo er von Memphis spricht, von Theben und
Lauth: Die ägyptische Tetraeteris. 361
Heliopolis d. h. den drei Hauptstädten des Landes, mit dem
Beifügen : ol yccQ ^HhovTtoXlTat leyovrai AlyvTtrimv slvai
Xoyiwxaxoi, '^)
Aber nicht nur hieraus erweist sich Anu-Heliopolis(On)
als Urhauptstadt (vor Theben und vor Memphis), sondern
auch aus den aegyptischen Texten und Thatsachen selbst.
Aus A n u (On) oder Taui- Anu stammten die T h e e i -
n y t a e , die Herrscher der beiden ersten Dynastieen. Ich habe
sogar einen der praehistorischen Könige oder „Horasdiener"
(Theokrat) in Manetho's Bytes und in dem urkundlichen
(^3) Jj 'Baten erhärtet. Daher werden alle heiligen
Satzungen auf Anu zurückgeführt (vergl. das Todtenbuch).
In Anu bestand eine Gelehrtenschule „Haus der Schriften'S
worin von jeher gelehrte Bildung geübt wurde, wie der Pap.
Anastasi I beweist, dessen Held Mesu (Moses) diese Anstalt
besuchte; nach ihm sogar Ausländer, von Pythagoras Thaies
Solon Piaton herab bis zu Eudoxos und andern Griechen.
Ja, Diodor bezeugt an mehreren Stellen, dass auch Homer,
Orpheus etc. dahin gezogen seien.
Für Anu's Parallel nun passt allein der conventionelle
Ansatz des S o t h i s frühaufgangs ' ^) ; dass der Phönix und
der Mnevis dort geheiligt wurden , hat ebenfalls astrono-
mische Bedeutung. Insbesondere aber ist es ein Bau , der
in dieser Hinsicht die grösste Beachtung verdient * il "^ J
J(A/WW
A A „Haus der beiden Spitze(n)'^ Statt des Deter-
76) Nach Naville: teites rel. a Horus hätte Diodor (?) die Helio-
politen die ältesten Aegypter gemeint. Auch Strabo (Geogr. I 2 p. 37)
bezeichnet zienalich deutlich den astronomischen Thurm von
Heliopolis.
77) Vergl. meine „Sothis o^er Sothisperiode".
362 Sitzung der phüos.-pMloh Classe com 7. December 1878.
minativs des Pyramidions Avird bisweilen die Pyramide
selbst A^ oder ein Obelisk 11 gesetzt. Aber ursprünglich
war es keines von beiden, sondern ein Tliurm von eigen-
thümlicher Form , welche auf Galerie , Innentreppe und
Tuben deutlich hinweist. Statt der Legende Benhen trifft
man auch eben so oft Berber = Belbel^ Babel ^DS, ein
Reduplicativ, dessen einfacher Stamm sich in oßelog (Tlrjhov?
veru?) wiederfindet. Die astronomische Bedeutung dieses
Thurmes von Hatbenben ergibt sich z. B. auch aus folgen-
der Stelle des Pap. Bulaq No 3: „Dein Ruheplatz ist Ha(t)-
B e n b e n an vielen Festtagen ; dein Ruheplatz ist der grosse
Bau (im Sonnentempel zu Heliopolis) an den Feiertagen ; du
bist als Bennu (Phoenix) die Form des Ra; du siehst deinen
Namen in allen Gauen (verehrt) ; es schaut deine Seele vom
Himmel deinen Körper in der Nekropole, deine Statue in
den Tempeln. Du bist lebend ewiglich, du verjüngest dich
immerdar." Nun ist aber factisch diese Oertlichkeit stets
mit dem ägyptischen Babylon zusammengestellt worden;
in der koptischen Zeit — schon der Brief Petri ist von
diesem RÄ.R*F\IIIII datirt, — steht es geradezu für On-
Heliopolis an der Stelle von Alt-Kairo, welches ja auch ähn-
lieh das oberhalb gelegene *^^-^ ^ Ta-rovu T^o/a, Tura
unter der kurzen Form Rovu :=z Aiotti attrahirt hat.
Gibt dies nicht Berechtigung, einen geschichtlichen Zu-
sammenhang zwischen dem Babelthurm am Euphrat und
dem Belbelthurme in Heliopolis zu vermuthen ? Das Zeichen
der Stadt Anu f| ^ dient im geometrischen Pap. geradezu
als phonetische Bezeichnung von A; das ist wohl Belb el.
Mit Gewinnung dieses astronomischen Thurmes aber,
den ich schon in der Cheops- Pyramide nachgewiesen habe,
Lauth: Die ägyptische Tetraeteris. 363
ist zugleich die Basis hergestellt, auf welcher sich der Bau
der Chronologie aufführen lässt: die nachgewiesene Beob-
achtung des Himmels von Seite der ältesten Heliopoliten
gewährleistet uns die Zeitrechnung überhaupt und insbe-
sondere die Kenntniss der Tetraeteris bis zu meinem prae-
historischen Bytes hinauf, den H. v. Pessl in seinem
„Chron. System des Manetho" so lakonisch und ohne nähere
Bezeichnung seiner Quelle adoptirt, um darauf ein ganzes,
freilich unhaltbares eignes System aufzubauen. Ueber diese
Schrift und das Buch des H. ünger: „Chronologie des Ma-
uetho," worin minder willkürlich verfahren wird, gedenke
ich bei einer anderen Gelegenheit mich ausführlicher zu
äussern.
Sitzung vom 7. December 1878.
Historische Classe.
Herr Gregorovius hielt einen Vortrag :
„üeber die Stellung Papst Urban's VHL
zu Spanien und dem Kaiser.'*
Derselbe wird in den „Abhandlungen'' veröffentlicht
werden.
* Herr Kluckhohu legte eine Abhandlung des Herrn
Fr. V. Bezold:
„üeber die letzten Jahre der Pfalzgräfin
Elisabeth, Gemalin Johann Casimir's"
vor. Dieselbe wird in den „Abhandlungen" veröffentlicht
werden.
Herr Friedrich legt vor :
„Augsburger Relationen'' bei Gelegen-
heit der Visitatio liminum Aposto-
lorum.
Die Visitatio liminum Apostolorum erhielt eine neue
Einrichtung durch die Constitutio „Romanus Pontifex''
Sixtus' V. (1585). Seit dieser Zeit hatten die einzelnen
Bischöfe in fest bestimmten Zeiten persönlich oder in wohl-
begründeten Verhinderungsfällen durch einen Delegirten in
Rom eine schriftliche Relatio über den Zustand ihrer Diö-
cesen bei der Congregatio Concilii Tridentini Interpretum
zu überreichen.
Solcher Relationen sind nur äusserst wenige in die
Oeifentlichkeit gekommen Im Nachlasse Amort's (Cod. lat.
Mon. 1837. Fol. 236 — 77) finden sich nun mehrere über
die Augsburger Diöcese aus dem 17. Jahrhundert, welche
nicht ganz ohne historisches Interesse sein dürften , da sie
in die Zeit des dreissigjährigen Krieges und nach dem
westfälischen Frieden fallen.
Von früheren Relationen erwähnt Steiner, Acta selecta
Ecclesiae Augustanae, Aug. Vindel. 1785, mehrere, aber nur
366 Sitzung der histor. Classe vom 7. December 1878.
gelegentlich. So aus einer vom Jahre 1597 von Bischof
Johann Otto von Gemmingen (1591 — 1598), dass das
römische Missale und Brevier in der Diöcese eingeführt sei
(pag. 135) und dass das Lesen der heiligen Schrift in der
Volkssprache in seiner Diöcese nicht verboten werden könne :
„Die Pfarrer, schreibt er, können der deutschen Bibel nicht
entbehren , weil sonst Gefahr wäre , dass manche derselben
die Schrift für die Predigt schlecht übersetzen würden ; die
Laien aber werden weder um die Erlaubniss, die deutsche
Bibelübersetzung lesen zu dürfen , bitten , noch sich die
Bibeln , in deren Besitz sie sind , vom Bischöfe entreissen
lassen, wo er der weltlichen Jurisdiction entbehrt. Ausser-
dem wäre auch noch Gefahr, dass die Häretiker den Katho-
lischen vorwarfen, sie hätten bisher eine nach dem Urtheile
ihrer Geistlichen gefälschte Bibel gehandhabt, weshalb sie
nunmehr der Schrift ganz beraubt werden und sich nur auf
menschlichen Glauben stützen sollten. Das würde den
Glauben der Schwachen erschüttern und die Kritik der Ge-
lehrten verschärfen" (p. 143). Ein Citat aus der Relatio
Heinrich's V. von 1629 über die Visitation und Exemtion
der Klöster findet sich bei Steiner pg. 205 — 7. Ausserdem
erwähnt dieser noch zwei Relationen von 1634 und 1635
(p. 182), wobei jedoch ein Druckfehler unterlaufen sein
muss, denn in zwei aufeinander folgenden Jahren fand keine
Visitatio liminum Apostolorum statt ; es muss offenbar die
letztere Zahl 1639 heissen, aus welchem Jahre die erste bei
Am ort befindliche Relation stammt. Dieselbe stimmt auch
inhaltlich zu der kurzen Angabe Steiner's. Auf die von
demselben Autor erwähnte Visitatio liminum im Jahre 1650,
welche ebenfalls bei Amort vorliegt , werde ich später zu
sprechen kommen ; auch hier hat er die Relatio um ein
Jahr zu spät angesetzt, indem sie die Jahreszahl 1649 trägt
und auch nach den Bestimmungen der Sixtinischeu Con-
stitution als 16. Quadriennium auf 1649 fiel.
Friedrich: Augsburger Belationen. 367
Die erste Relation fällt in das Jahr 1639 und ist von
Bischof Heinrich V. (von Knöringen) eingesandt. Der
Zustand der Diöcese ist begreiflich ein völlig zerrütteter :
die Cathedrale, die Collegien, Klöster und Pfarreien sind
theilweise verlassen, theilweise nur noch von einigen wenigen
Geistlichen oder Mönchen und Nonnen besorgt ; und wenn
früher die Diöcese mehr als 1100 Pfarreien hatte, so sind
1639 nur noch sehr wenige Pfarrer vorhanden, welche in
den Pfarreien residiren. Einzelne derselben mussten zwei,
drei, auch vier, sechs und mitunter noch mehr Pfarreien
zugleich verwalten. Und was die Zahl der Diöcesanen an-
geht, so sei, sagt der Bischof, auch nachdem Kaiser Fer-
dinand Augsburg den Feinden wieder entrissen hatte, kaum
der zwanzigste Theil derselben restituirt worden : ganze
Städte und Dörfer seien verlassen. Diesen allgemeinen Bemer-
kungen folgt dann eine Statistik der ganzen Diöcese, so-
weit sie hergestellt werden konnte : über die Cathedrale, die
Collegiate, die Klöster der verschiedenen Orden und religiösen
Gesellschaften, über die Deutschherren und Johanniter und
über die 42 Dekanate.
Die zweite Relation ist aus dem Jahre 1649 und wäh-
rend der Minderjährigkeit des Bischofs Sigmund Franz,
Erzherzogs von Oesterreich (1646 — 1665), von dem Ad-
ministrator der Diöcese Johann Rudolph von Rech-
berg abgefasst. Dieselbe ist eine fortlaufende Klage über
den eben abgeschlossenen westfälischen Frieden : derselbe
müsse, heisst es, den gänzlichen Untergang der katholischen
Religion im Bisthum herbeiführen. Dann bespricht er die
Aenderungen, welche die Durchführung des Normaljahres
1624 in der Diöcese verursachte. An eine Bekehrung der
Protestanten zur katholischen Kirche sei nicht mehr zu
denken ; dagegen sei zu fürchten , dass gewisse Katholiken
weltlichen Vortheils wegen protestantisch würden. Eine
Disciplin unter den Geistlichen und Laien sei jetzt nach
368 Sitzung der histor. Classe vom 7. Decemher 1878.
der Gewährung der „Glaubensfreiheit" gar nicht mehr zu
handhaben : sobald eine Züchtigung der Geistlichen statt-
finden solle, schreien sie über Verletzung des Friedens und
nennen sie sich Protestanten. Die Laien aber, Fürsten,
Grafen, Barone, Edle, Städte und Magistrate, seien sie
katholisch oder protestantisch, erlauben sich Alles, und ant-
worten den Bischöfen und geistlichen Oberen : ,,Wenn die
Bischöfe und Oberen nicht aufhören, das was ich will, zu
verhindern, so werde ich einen häretischen Prädicanten, der
mir keinen Widerstand leisten wird, rufen oder selbst die
Religion, deren Freiheit im Reiche besteht, annehmen."
Weiterhin wird geklagt , dass in Folge des Friedens auch
das kräftigste, von Bischof Heinrich gehandhabte Mittel zur
Wiedergewinnung der Protestanten ganz versage. Dieser
Bischof entliess nämlich in katholischen Territorien Ge-
borene, welche in Augsburg und anderen protestantischen
Städten gemischte Ehen eingehen wollten, nicht eher, als
feststand, dass sie eine katholische Ehe schliessen wollten.
Die Folge davon sei gewesen, dass häufig der protestanti-
sche Theil vorher zur Rückkehr zur katholischen Kirche
gezwungen wurde und so eine ,, unglaubliche Zunahme"
der katholischen Religion in und ausser Augsburg statt
fand. Endlich bespricht er auch noch die Temporalien der
Diöcese.
Diese Relation konnte selbstverständlich in Rom keine
grosse Freude erwecken, wie es auch die Congregation in
einem Schreiben vom 11. Juni 1650 aussprach. Ausserdem
erinnerte sie den Administrator Rechberg zugleich daran,
dass seine Relation unvollständig sei, indem er weder die
Diöcesanvisitation , noch die Diöcesansynode erwähnt habe.
(Steiner, 1. c. pag. 236.)
Eine kürzere Relation schickte derselbe Administrator
1654 nach Rom unter Berufung auf die vorausgehende, da
Friedrich: Augsburg er Relationen. 369
die in dieser geschilderten Zustände nocli immer im Ganzen
fortdauerten und auch nicht andere würden, bis nicht der
westfälische Frieden geändert werde. Doch ergreife er jede
Gelegenheit, um aus demselben, namentlich aus dem Nor-
maljahre für die katholische Kirche Vortheile zu ziehen.
So in Grönenbach, Kaufbeuern. Andererseits gebe es doch
hie und da auch erfreulichere Erscheinungen. Die Bewohner
von Lindach wären in Folge des Friedens zum Protestan-
tismus zu reduciren gewesen, allein alle Drohungen und so-
gar der Kerker habe sie nicht dazu bewegen können. Auch in
Bezug auf Augsburg habe er zuviel befürchtet. Das Volk sei
allerdings stets wegen zeitlichen Yortheils veränderlich ; aber
dennoch hätten nur Wenige aus ihm sich zum Abfalle ver-
leiten lassen. Im Gegentheil hätten einige Männer und
Frauen von höherem Ansehen und sogar Einzelne aus dem
Volke den katholischen Glauben angenommen. Schwankende
bringe man aber alsbald, sogar unter Anrufung der katho-
lischen Fürsten und Mächte, auf den Weg der Sicherheit.
Diesmal berichtet er auch über die Visitation der Diöcese,
der sich nur in unirten Pfarreien exempte Regularen wider-
setzt hätten ; von der Diöcesansynode aber schweigt er.
Die vierte Relation ist von 1670 datirt und von dem
Bischof Johann Christoph (von Freyberg) 1665, resp.
1666 — 1690, eingesandt. Nach ihr ist der gegenseitige Be-
sitzstand abgeschlossen und ein fester geworden. Dazu sei
aber ein noch weit schlimmeres Uebel gekommen, dem erst
er Herr werden konnte. Durch die im westfälischen Frieden
festgesetzte „Religionsfreiheit'' sei im Welt- wie Regular-
klerus eine allgemeine Desertion entstanden, und zwar auch in
jenen Gegenden, wo bis dahin eine straflose Apostasie un-
möglich gewesen sei. Säculargeistliche , noch weit mehr
Klostergeistliche, und zwar aus einem und dem anderen
Kloster jährlich drei, vier und mehr, seien in häretische
Orte entflohen und haben dort incestuose Ehen eingegangen.
[1878. IPMlos.-phil.-hist.Cl.Bd.II.3.] 26
370 Sitzung der histor. Ölasse vom 7. December 1878.
Dem habe er mit allem Nachdruck entgegenwirken müssen
und es sei ihm gelungen , diesen Skandal zu beseitigen da-
durch, dass er selbst die ganze Diöcese, auch die seiner
Jurisdiction unterworfenen Collegiatstifte und Klöster visi-
tirte, Ruralsynoden einführte, die kirchliche Disciplin wieder
herstellte, die Lasterhaften züchtigte, die Unverbesserlichen
proscribirte oder so züchtigte, dass sie sich besserten und
nunmehr gut führen. Aber auch die Exemten der Diöcese
mahnte er , zu bessern was zu bessern sei und nach ihren
Regeln zu leben. Die Jesuiten seien wieder in Kaufbeuern ;
aber Grönenbach könne er nicht erlangen gegen die Macht
der protestantischen Fürsten und die Schweizer, er werde
jedoch nicht nachgeben. Auch die Streitigkeiten mit dem
Herzog von Württemberg werden erwähnt. Der Stand des
Klerus sei wieder ein solcher , dass fast alle Pfarreien mit
einem eigenen Pfarrer besetzt und so viele Geistliche vor-
handen seien, dass nicht einmal allen Beneficien übertragen
werden können. Neue Kirchen werden erbaut, andere er-
halten neuen Schmuck, die Paramente werden erneuert, als
ob die Zeiten des Krieges die Gläubigen für den Kult
ganz besonders angeregt hätten.
Die fünfte Relation ist von dem nämlichen Bischof
Johann Christoph, aber ohne Datum. Da er jedoch
erwähnt, dass er schon 19 Jahre Bischof von Augsburg sei,
so wird die Relation in das Jahr 1686 fallen. Es wird
zunächst constatirt, dass nunmehr eine Hoffnung nicht
mehr sei, der westfälische Friede könnte rückgängig ge-
macht werden, jedoch sei es daneben tröstlich, dass Fälle
der Apostasie unter den Laien und dem Volke selten seien,
unter den Geistlichen und Religiösen kaum einer mehr vor-
komme. Auf der anderen Seite sei durch die Unterstützung
und Geldmittel der welthchen Fürsten auch dafür gesorgt,
dass Convertiten bis zur Erlangung einer anderen Susten-
tation bequem leben können. Tm Uebrigen sehen wir den
Friedrich: Augsburg er Relationen. 371
Zustand der Diöcese bereits so beschaffen , wie er bis zur
Säcularisation bestand. Die regelmässigen Katechisationen
und Predigten sind eingeführt, ebenso das lOstündige Ge-
bet; die Ablässe sind in neuem Aufschwünge; die Bruder-
schaft zum allerheiligsten Sacrament zählt über 100,000
Mitglieder; das Seminar ist in Blüthe und die Zahl der
Geistlichen grösser als die der Beneficien. Nur die Bene-
diktiner, welche die Exemtion anstreben, und die Collegiat-
stifte in Augsburg, welche von der Residenzpflicht eximirt
zu sein behaupten, machen dem Bischof einige Sorgen.
Die sechste und letzte Relation ist von Bischof Ale-
xander Sigismund eingesandt und vom Jahre 1690
datirt. Sie beschäftigt sich ganz ausführlich mit Beschwer-
den über die Benediktineräbte unter seiner Jurisdiktion.
Was sie sonst berührt, ist von keiner Bedeutung.
Die Ortsnamen, wenn auch hie und da in schlechter
Form gegeben, sind alle erkenntlich und brauchen des-
halb nicht nach der gegenwärtigen Schreibweise angegeben
zu werden.
I.
Relatio status ecclesiae, et totius dioecesis
Augustanae provinciae Moguntinensis
anno 1639.
Beatissime Pater. Henricus Episcopus Augustanus
Provinciae Moguntinensis Sanctitatis Vestrae sacros pedes
pro humillima veneratione osculans, sacrisque Constitu-
tionibus, maxime Sixti Papae quinti, fei. rec, aliisque con-
stitutionibus apostolicis obedientissime insistens plurimum
dolet, quod in tam luctuosa et iniqua tempora inciderit,
ut nee in persona, nee per nuntios afflictae ecclesiae suae
statum citius exponere, Sanctitatisque Vestrae sauctissimis
26*
372 Sitzung der hisfor. Classe vom 7. Becernher 1878.
solatiis roborari potuerit. Ne taraen eo , qnod hactenus
semper e visitatione liminura ab annis quadraginta, quibus
ecclesiae Augustanae praeest, diligenter quovis tempore
peracta sensit, apostolico solatio diutius careat, humillime
per hunc nuntium sacra visitare intendit limina apostolorum,
et brevissime Yestrae exponit Sanctitati , quod ecclesiae
Augustanae statu s per calaraitosissima bella tarn misere per-
tnrbatus sit, ut Sanctitatis Vestrae animum continuis curis
occupatum longiori tristitia , et luctuosa bujus calamitatis
enarratione detinere vereatur, sufficit episcopum ipsum
memoratum summa in senectute huic raiseriae esse prae-
sentem, cui profecto tristius accidere potest nihil, quam
oculis videre miserabilem cladem ab haereticis tam in clero
regulari et saeculari , quam in dioecesano populo per tam
diuturnas infestationes acceptam, et finem calamitatis ap-
parere nullum.
Redditus certe mensae episcopalis non solum ab hoste
Sueco aliquot annos sedem episcopalem, episcopo in exiliüm
fugato , occupante , sed etiamnum hodie a milite Augu-
stissimi Imperatoris et Serenissimi Electoris Bavariae diutius
per totam dioecesin hibernante ita diminuti sunt, ut epis-
copus summo in senio non solum dignitatem suam episco-
palem non tueri, sed habere non possit, unde officiales ad
regendam dioecesin necessarios sustentare queat.
Accedit, quod dictus episcopatus ab integro fere saeculo
pluribus tum ob bellum adversus Turcas et haereticos pro
conservanda et augenda religione catholica tantis debitis in
subsidium belli contractis oneratus sit, ut censibus persol-
vendis redditus tam accisi nullo modo sufficiant.
Has ipsas ob causas ecclesia cathedralis, quae ante haec
bella canonicos habuit quadraginta, totidem vicarios, capel-
lanos, plures mansionarios , et alias personas ecclesiasticas
raultas, ob summam paupertatem comraode hoc tempore
non potest quatuor aut quinque canonicos et sex capellanos
Friedrich- Ätigsbaryer Belationen. 373
sustentare ; adeo ut res divina gravissimo cum omnium dolore
et illachrimatione magna ex parte intermittenda sit, quodque
nunquam ab ipsis ecclesiae hujus primordiis contigit, matu-
tinum aliaeque horae praeter vesperas decaiitari nequeant.
Id, quod similiter in pluribus ecclesiis collegiatis tum insig-
nibus tum aliis omnino depauperatis fieri oportet.
Et licet monasteria ac collegia tarn virorum quam foemi-
narum aliorumque regularium per dioecesin plurima olim per
dei gratiam ita fuerint in temporalibus benedicta, ut in iis
laus dei in amplissimo numero fuerit jugiter decantata,
attamen pleraque nunc vel sunt deserta, vel ita comparata,
ut in iis ob paupertatem res divina vel intermitti, vel a
paucis personis fieri debeat.
Quam vis etiam dioecesis Augustana, e Germaniae episco-
patibus amplissimis una, numeret parocbias plus quam mille
et centum, attamen in bis omnibus ob saepe repetitam patriae
calamitatem, et destructa bona ecclesiastica non nisi parocbi
perpauci residere possunt. Quam ob causam unus sacerdos
subinde duarum , subinde trium , subinde quator , sex et
plurium parochiarum curam sustinere cogitur, et ex tot labo-
ribus tantum comparare non potest, ut honeste sese susten-
tare queat.
Et licet numerus ovium dioecesanarum , postquam
Augusta ante annos quinque cum dioecesi Ferdinandi Impe-
ratoris armis hosti erepta fuerat, nonnibil fuerit auctus, vix
tamen vigesima dioecesanorum pars restituta est, adeo ut
integra oppida, pagi, villae magna ex parte maneant deserta,
dioecesisque olim populosissima in vastitatem et solitudinem
migraverit. Nihilominus tamen saepedictus episcopus Augus-
tanus non intermittit opportune importune vigilare et labo-
rare, ut animarum cura ubique cum cultu divino restituatur
ac conservetur, uti nee de reductione deperditarum per bae-
resin animarum ad fidem catbolicam faciendam animum
remittit. — — —
374 Sitzung der histor. Classe vom 7. December 1878.
Status totius dioecesis et ecclesiae Augustanae
post bellum Germano - Suecicum anno 1639,
in Septembri descriptus.
Quantas iniurias et calamitates R. E. et 111. Princeps
ac d. Henricus Episcopus Augustanus jam ab anuis octo, qui-
bus bella haeretico-suecica in hodiernum usque diem invales-
cunt, perpessus fuerit, et adhuc patitatur, in relatione priore
pro visitatione liminum apostolicorum conscripta abunde
expositum fuit. Quomodo vero tota dioecesis et ecclesia
Augustana post horribilem hanc tempestatem sese habeat,
ex sequenti descriptione manifestum fiet.
Ecclesia cathedralis.
Ecclesia cathedralis Augustana canonicos habet quadra-
ginta ; capellanos seu vicarios totidem ; quatuor canonico-
rum vicarios sacerdotes ; vicarios duos canonicorum dia-
conos ; duos subdiaconos ; lectores partim diaconos, partim
subdiaconos sex ; cantores sexdecim , et alias personas com-
plures.
Ex his Omnibus ob paupertatem ecclesiae cathedralis,
et devastatos fructus beneficiorum vix canonici quatuor aut
quinque, vicarii sex circiter; ex reliquo toto numero vix
quatuor aut sex residere, indeque aegre aut vix se sustentare
possint. ünde necesse est, ut horae canonicae in choro ob
praedictam paupertatem cum gravi catholicorum dolore can-
tari nequeant.
Ecclesiae collegiatae in civitate Augustana.
1. Ecclesia collegiata s. Mauritii Augustae praeter duas
dignitates praepositi * et decani habet canonicos duo-
decim ; vicarios seu capellanos octodecim ; cantores
quator. Ex his non nisi tres canonici, sex capellani
resident, nee se e fructibus ecclesiae, sed aliunde alunt.
2. Collegiata s. Petri habet praepositum et quinque cano-
nicos. Ex his tres resident, sed aliunde se sustentant.
Friedrich: Äuyshimj er Relationen. 375
3. Collegiata s. Gertrndis habet praepositum et quatuor
canonicos. Ex liis duo resident et aliunde vivunt.
Collegiatae extra civitatem.
1. Collegiata s. Viti in Elwangen exempta habet praepositum
Principem Imperii, decanum et plures canonicos et capel-
lanos. Ex quibus nunc pauci resident cum Principe.
2 Collegiata b. Virginis in Feichtwangen in manibus est
haereticorum.
3. Collegiata s. Petri in Dillingen habet praeceptorem (?)
et aliquot capellanos. Pauci resident, reliquis ob de-
fectum sustentationis exulantibus.
4. Collegiata s. Udalrici in Häbach habet praepositum,
decanum et sex canonicos. Excepto praeposito omnes
resident, et simul parochias ipsorum ecclesiae incorpo-
ratas administrant ; quia alpibus sunt vicini et hactenus
ab hostibus liberiores.
5. Collegiata ss. Pilippi et Jacobi habet decanum et ali-
quot canonicos. Solus decanus residet, sed aliunde
vivit, quod ob calvinistas hanc ecclesiam vexantes hac-
tenus redditibus gaudere non potuerit.
Monasteria Ordinis s» Benedicti omnia Ordinario subjecta.
1. Monasterium s. Udalrici etAfrae in civitate Augustana
ob destructos redditus religiosos suos aegre alit.
2. Monasterium Ottobeuern religiosos residentes e parochiis
unilis, ad quas administrandas eos emittere cogitur,
alit, reliquis exulantibus.
3. Monasterium s. Magni in Fiessen religiosos e peste et
hello reliquos habet omnes.
4. Monasterium Ursen s. Mariae Virginis misere destruc-
tum religiosos suos habet in parochiis unitis , nee ipse
d. abbas hactenus in monasterio habitare potuit.
5. Monasterium Fultenbach s. Michaelis residentem habet
abbatem et unum religiosum e parochiis se alentes.
Reliqui religiosi exulant.
376 Sitzung der histor. Classe vom 7. Decemher 1878. •
6. Monasterium Anhausen ad Brenziam ab haereticis recens
recuperatum habet duos religiosos residentes, abbate
exulante.
7. Monasterium Lorch recens ab haereticis recuperatum
detinetur a monachis s. Blasii, dioecesis Constantiensis.
8. Monasterium in Elhingen habet abbatem et paucos
religiosos residentes, reliquis exulantibus.
9. Monasterium s. Crucis Werdeae habet abbatem et
paucos religiosos residentes.
10. Monasterium in Neresheim habet abbatem et paucos
religiosos residentes.
11. Monasterium in Döggingen habet abbatem et duos
religiosos residentes, caeteris exulantibus.
12. Monasterium Benedictobeuern ad alpes abbatem et religio-
sos habet omnes residentes, tametsi multa bona perierint.
13. Monasterium in Wessenbronn similiter uno excepto
habet abbatem et religiosos omnes residentes.
14. Monasterium in monte sancto Andechs habet abbatem et
complures religiosos ob celebrem peregrinationem resi-
dentes.
15. Monasterium Dirhaubten habet abbatem et plerosque
religiosos residentes.
Monasteria Ordinis ejusdem s. Benedicti virginum
Ordinario subjecta.
1. Monasterium in Hohen warth s. Georgii habet abbatissam
et complures virgines residentes.
2. Monasterium in Kiebach s. Magni habet abbatissam et
complures virgines residentes, quibusdam Fuldae rema-
nentibus.
3. Monasterium s. Johannis Bapistae in Holtz ob nimiam
ruinam et paupertatem inhabitari non potest. Abba-
tissa proinde cum tribus sororibus in quadam villa
misere moratar, reliquis virginibus ad 40 in diversa
monasteria aliarum dioecesium distributis.
Friedrich: Augsburger Relationen. 377
4. Monasterium in Liezheim per haeresin dirutum est.
Monasteria nobilium sive canonissarum saeculariiim
Ordinario subjecta.
1. Monasterium s. Stephani in civitate Augustana. In eo
ob dir Uta bona aegre se sustentat abbatissa cum
paucis nobilibus virginibus.
2. Monasterium s. Jobannis Baptistae in Edelstetten. In
hoc abbatissa cum una aut altera nobili virgine aegre se
sustentat.
Monasteria canonicorum regularium s. Augustini
Ordinario subjecta.
1. Monasterium s. Georgii in civitate Augustana suum
praepositum et aliquos paucos religiosos cum magna
difficultate sustentat, uno adhuc exulante.
2. Monasterium s. Crucis in eadem civitate Augustana
praepositum et mediam partem regularium nunc habet
residentem, reliquis alibi exulantibus.
3. Monasterium B. M. V. in Wettenhausen misere solum
praepositum cum uno alterove religioso alere potest ;
reliquis omnibus procul exulantibus.
4. Monasterium in Herbrechtingen paucos ante annos ab
haereticis receptum cum difficultate alit suum praepo-
situm et alterum religiosum.
5. Monasterium B. V. M. in Diessen habet domi suum
praepositum et reguläres plerosque. Floret insigniter
in disciplina.
6. Monasterium Salvatoris in Pollingen habet suum prae-
positum et omnes reguläres.
7. Monasterium s. Martini in Berenriedt habet suum prae-
positum et omnes reguläres residentes.
Monasteria Ordinis Cisterciensis virorum exempta.
1. Monasterium in Kaisersheim sive Caesarea habet ab-
batem.
378 Sitzung der hist. Classe vom 7. Decemher 1878.
2. Monasterium in Königsbronnen paucos ante annos ab
haereticis receptum habet abbatem.
Monasteria Ordinis Cisterciensis virginum exempta.
1. Monasterium in Oberscbönenfeld habet abbatissam.
2. Monasterium in Kirchheim Rhetiae habet abbatissam.
3. Monasterium in Niederschönenfeld habet abbatissam.
4. Monasterium in civitate Lauingen hoc tempore destruc-
tum est.
Monasteria Ordinis Praemonstratensis exempta.
1. Monasterium in Roggeuburg habet abbatem.
2. Monasterium in Ursperg belli injuria combustum habet
abbatem.
3. Monasterium in Staingaden habet abbatem.
Monasteria Ordinis s. Dominici virorum exempta.
1. Monasterium B. V. in civitate Augustana jam paucos
habet religiosos.
2. Monasterium in civitate Nördlingen adhuc sab mani-
bus haereticorum est.
3. Monasterium in civitate Gamundiae Suevorum etiam
non multos religiosos jam alere potest.
4. Monasterium in Kirchheim vix duos jam alit religiosos.
Monasteria Ordinis s. Dominici virginum sub cura
Ordinarii.
1. Monasterium s. üdalrici in civitate Dillingana. Hae
virgines partim domi in magna paupertate, partim in
exilio dispersae vivunt.
2. Monasterium s. Ursulae in civitate Augustana ; omues
quidem virgines adsunt, sed difficulter se alunt.
Monasteria Ordini s. Dominici virginum exempta.
1. Monasterium s. Catharinae in civitate Augustana habet
ultra 40 virgines, quae nunc difficulter se alunt.
Friedrich: Augsburg er Belationen. 379
2. Monasterium in Mödiugen. Virgines ob turbas bellicas
se in oppidum Lauiugen receperunt, et vivunt misere.
3. Monasterium Cellae dei , vnlgo Gottszell , extra muros
civitatis Gamundiae.
4. Monasterium in Mediingen. Hoc nondum est restitutum .
Monasteria Ordinum s. Francisci exempta.
1. Conventualiam.
1. Monasterium in civitate Augustana paucos ante annos
ex parte receptum est; in eo vix quatuor religiosi se
alere possunt.
2. Monasterium in civitate Gamundiae.
3. Monasterium in civitate Nördlingen adhuc ab haere-
ticis occupatur.
4. Monasterium ß. M. in Mayingen ; olim pertinebat ad
sorores s. Brigittae.
II. Fratrum de observantia.
1. Monasterium s. Sepulchri in civitate Augustana ; in eo
ante bellum erant fratres sexaginta ; nunc vix decem.
2. Monasterium ad B. V. in campo Lyci.
III. Fratrum de observantia strictiori sive Reformati.
1. Monasterium s. Stephani in Fessen ab 111. et R. R.
Principe d. Henrico Episcopo Augustano aedificatum.
2. Monasterium s. Annae in Reitten a Seren. Archiduce
Leopoldo aedificatum.
3. Monasterium in oppido Weilheim.
IV. Fratrum Capucinorum.
1. Monasterium in civitate Augustana; in eo sunt fratres
decem ; ante bellum ad 30.
2. Monasterium in civitate Danuw^erdana ; pauci in illo
sunt fratres.
3. Monasterium in civitate Ginzburg; etiam hie ob
paupertatem incolarum non multi morantur.
380 Sitzimg der histor. Classe vom 7. Decemher 1878.
4. Monasterium in Dunkelspül.
5. Duo etiam fratres Capucini in parochia Haidenheim pro
convertendis haereticis resident.
Monasteria Ordinum s. fVancisci virginum partim exemptii,
partim Ordinario subjecta.
I. Conventualium exempta.
1. Monasteriam ad stellam Augustae. Sorores magna in
paupertate vivunt, quaedam exulant.
2. Monasterium Congregationis sororum in civitate Ga-
rn undiae.
IL Sororum de observantia sub cura Ordinarii,
1. Monasterium maioris Congregationis Dilingae : in hoc
pleraeque virgines dorai sunt ; quaedam tamen ob pauper-
tatem adliuc exulant.
2. Monasterium in Weiden. Sorores ob nimiam pauper-
tatem omnes alibi vivunt, nee ulla domi se alere
potest.
3. Monasterium in civitate Ginzburg. Hae maiori in
parte resident, reliquis adliuc exulantibus.
III. Sororum de observantia sub cura fratrum.
1. Monasterium in Hocbhaltingen ; in eo paucae resident.
2. Monasterium ad s. Annam Campiduni ; boc adbuc ab
haereticis occupatur ; virginibus extra civitatem in
locum Lenzfrid vocatum pulsis.
3. Monasterium in civitate Memmingen ; resident pleraeque,
sed pauperes valde.
4. Monasterium in civitate Mindelheim ; etiam hie plerae-
que resident.
5. Monasterium in civitate Kauffburae; quaedam resident,
quaedam exulant.
6. Monasterium in Klosterbeurn. Sorores pleraeque exu-
lant; quia bona omnia sunt destructa.
Friedrich: Augshiirger Relationen. 381
Studia sub cura Patrum Societatis Jesu.
1. In civitate Dilingaua Universale' gravissimam passum est
cladem per haec tempora bellica, ita ut professoribiis
sustentatio praeberi vix possit.
2. Studium philosopbiae et theologiae moralis ad s. Annam
in civitate Augustana.
3. Studium litterarum humaniorum in collegio Societatis
Jesu ad Salvatorem Augustae.
4. Studium litterarum humaniorum in civitate Neuenburg
in collegio Societatis Jesu ad Danubium.
5. Studium litterarum humaniorum in collegio Societatis
Jesu in civitate Mündelheim.
6. Studium litterarum humaniorum in domo probationis
Societatis Jesu Landspergae.
Collegia Patrum Societatis Jesu.
1. Collegium Dilinganum, in quo vix tertia pars Patrum
sustentari potest.
2. Collegium ad Salvatorem Augustae, Etiam in hoc vix
tertia pars ali potest.
3. Collegium s. Annae in civitate Augustae. Monasterium
hoc Societati Jesu a Sede ap. traditum est.
4. Collegium in civitate Neuenburg.
5. Domus probationis in civitate Landsperg.
6. Collegium in civitate Mündelheim.
7. Collegium in civitate Kauffbeurn.
Monasteria Carthusiensium.
1. Monasterium B. V. in Buxheim ; in eo hoc tempore
vix quatuor se alunt.
2. Monasterium horti Christi in Rhetia. Hoc paucos ante
annos ab haereticis fuit receptum, a quibus et hodie
magnopere infestatur. Vix duo hie se alunt.
Hospitalia Ordinum.
1. Hospitale in Memmingen Ordinis s. Spiritus habet
382 Sitzung der histor. Classe vom 7. December 1878.
magistrum et aliquot fratres, plerosque in parochiis
residentes.
2. Hospitale fratrum misercordiae b. Joannis dei in civi-
tate Neoburgensi.
Monasteria S. Antonii.
1. Praeceptoria in Memmingen; detinetur ab haereticis.
Monasteria Ereraitarum S. Augustini.
1. Monasterium in civitate Memmingen; paucos habet
religiosos.
2. Monasterium in civitate Gamundiae Suevorum.
Monasteria fratrum Carmelitarum.
1. Monasterium discalceatorum Augustae. Hi patres loco
Carmelitarum olim ad s. Annam habitantium in civi-
tatem sunt recepti.
2. Monasterium in Dunklspül vix duos habet religiosos.
3. Monasterium in civitate Nördlingen occupatur ab hae-
reticis.
Commendae Ordinis b. Virginis Teuthonicorum. 1. Com-
mend: in Kaphenburg. — 2. Commend: in oppido
Oettingen. — 3. Commend : Werdeae ad Danubium.
4. Commend : in Bluomendal.
Hae omnes maxima damna passa sunt.
Commendae S. Joannis in Hierusalem. Erlingen juxta
Nördlingen.
Parochiae et Beneficia in civitate et dioecesi Augustana.
In Civitate Augustaua Septem sunt parochiae, quae hoc
tempore omnes juxta debitum, tum e coUegiatis, tum e
monasteriis providentur.
Friedrich: Augsburg er Belationen. 383
In Archidiaconatu.
Achidiaconüs sub sno regimine extra civitatem regit
parochias duodecim. Hoc tempore habet parocbos residentes
Septem; reliquae proprios paroclios ob redditus destructos
alere non possunt, sed aliis conjunguntur.
Beneficia simplicia extra civitatem in Archidiaconatu.
Primissaria sive capellania in pago Geggingen.
Reliquae parochiae et beneficia extra civitatem in
quadraginta duo in districtu Sueviae Capitula sive decanatus
sunt divisae.
1. Capitulum sive decanatus Fiessen. In hoc capi-
tulo parochiae sunt octodecim. Parochi hoc tempore resi-
dent omnes excepto uno in Rieden.
Beneficia simplicia sunt similiter viginti et unum ;
beneficiati resident tres.
2. Kempten. Capitulum Kempten habet parochias 26 ;
parochi hoc tempore resident 18.
Parochia s. Magni in Kempten est in manibus haereti-
corum, cum beneficiis septendecim et monasterio s. Annae
virginum.
3. Ottobeurn. Ottobeurense capitulum habet paro-
chias quinquaginta unam, beneficia non parochialia triginta
quatuor.
Ex his Memmingensis parochia ad s. Martinum cum
viginti beneficiis ab haereticis occupatur ; aliae quoque decem
parochiae sunt haereticae. Praeter nas una Erchaim nomine
ad instantiam R. R. et 111. Ordinarii catholico parocho ab
Imperatore restituta est ; vehementer tamen ab haereticis
Memmingensibus iterum sollicitatur. Reliquae parochiae
habent parochos hoc tempore undecim residentes. Aliae ex
monasteriis Ottobeurn, Buxheim, Hospitali in Memmingen,
Campiduno, et a vicinis residentibns parochis administrantur.
Capellaniae aliae hoc tempore ob paupertatem et perditos
radditus non habent possessores.
384 Sitzung der liistor. Classe vom 7. December 1878.
4. Kauffbeurn. Hoc capitulum habet parocbias tri-
ginta duas, in quibus hoc tempore nonnisi octo resident
parochi ; reliquae parocbiae sunt conjunctae, vel e monasteriis
vicinis providentur.
Eodem in capitulo decem sunt beneficia simplicia, quae
hoc tempore ob paupertatem sunt deserta.
5. Oberdorff. In capitulo hoc parochiae sunt 26,
beneficia 5. Beneficia omnia vacant ob paupertatem ; in
parochiis resident 8 sacerdotes; reliquae parochiae subinde
2, 3, 4. conjunctae sunt.
6. Schongau. Hoc capitulum habet parochias 24;
beneficia 7 ; quae omnia exepto uno in Schongau ob pauper-
tatem sunt deserta. In parochiis resident parochi novem,
reliquae aliis pro commoditate sunt conjunctae.
7. Schwabmönchingen. Hoc capitulum parochias
habet 24 , beneficia 7. Duo beneficia ob nullos redditus
deserta sunt. In parochiis habitant parochi decem ; reliquae
sibi invicem sant conjunctae.
8. Baisweill. In hoc sunt parochiae 22, capellaniae 6;
beneficia ob nullos redditus sunt deserta. In. parochiis sunt
8 parochi ; reliquae aliis sunt conjunctae.
9. Walkar sthoven. Habet parochias 28, beneficia 10 ;
quae beneficia hoc tempore omnia sunt deserta. In paro-
chiis habitant parochi decem , reliquae parochiae subinde tres,
quatuor, aliis sunt conjunctae.
10. Mündelheim. Habet parochias 32; in quibus resi-
dent parochi octo. Reliqui providentur vel per religiosos
proxime adjacentium monasteriorum, vel aliis parochiis pro
administratione conjunctae sunt.
Capellanias habet septendecim, in quibus resident capel-
lani duo, reliquae ob defectum reddituum sunt desertae.
11. Oberroth. Habet parochias decem et novem; in
quibus resident parochi quinque; reliquae aut aliis resi-
dentibus parochis commissae, aut omnino sunt desertae.
Friedrich: Äirgshurger Belationen. 385
In hoc capitulo sunt capellaniae sive beneficia simplicia
septemdecim , in quibus resident capellani quatuor , reliqua
ob defectum proventuum deserta,et capellanis destituta manent.
12. Weissenhorn. Habet parochias 28, qnarura duae
sunt in manibus baereticorum ; in reliquis resident parochi
duodecim, octo providentur per religiosos ex vicinis monaste-
riis ; caeterae ob defectum reddituum vel aliis vicinis parochis
commissae, vel omnino sunt destitutae.
In hoc capitulo sunt capellaniae 19, quarum tres loco-
rum parochis sunt adjunctae , reliquae ob defectum reddi-
tuum vacant.
13. Ichenhausen. Habet parochias 30; e quibus una
Leipheim nuncupata est in manibus haereticorum , in reli-
quis non plures quam sex parochi hoc tempore resident,
caeterae vel per religiosos e vicinis monasteriis administran-
tur vel injuria belli adeo sunt devastatae , ut propterea et
parochis et magna ex parte etiam incolis sunt destitutae.
In hoc capitulo sunt 27 capellaniae , in quibus non
plures quam tres capellani existunt, reliquae et capellanis
et redditibus sunt destitutae.
14. Jettingen. Habet parochias 27, inter quas una
Burtenbach nuncupata est in manibus haereticorum, in
quibus resident parochi 7, per quos una, duae, aut tres paro-
chiae simul administrantur ; nonnullae tam parochis, quam
incolis sunt destitutae.
In hoc capitulo sunt capellaniae sedecim , in quibus
residet unicus capellanus, ceterae aut locorum parochis in
subsidium sustentationis sunt adjunctae, aut omnino vacant.
15. Agawang. Habet parochias 28; in quibus resident
parochi duodecim, reliquae ex dispositione R. R. et 111. d.
Ordinarii pro opportunitate locorum proxime residentibus
parochis in administratione curae animarum commissae sunt.
In hoc capitulo sunt duae tantummodo capellaniae, quae
locorum parochis in subsidium sustentationis commissae sunt.
[1878. 1 Philos.-philol.-hist. CL Bd. II. 3.] 27
386 Sitsumj der histor. Classe vom 7. December 1878.
16. Wertingen. Ha^et parochias 21, in quibus resi-
dent parochi quinque, quatuor providentur per religiöses
monasterii in Fultenbach ; reliquae aut residentibus parochis
pro commodiore sustentatione commissae, aut omnino desti-
tutae sunt.
In hoc capitulo sunt capellaniae undecim, quarum nulla
proprium capellanum alere potest, sed omnes desertae manent.
17. Weschendorff. Habet parochias 23, in quibus
resident parochi quatuor ; reliquae aut per viciniores parochos
providentur, aut omnino desertae ac destitutae sunt.
In hoc capitulo sunt capellaniae sex, quarum nulla pro-
prium capellanum habet, neque alere potest.
In districtu Bavariae.
18. Weilheim. Habet parochias 36, in quibus resi-
dent parochi seu sacerdotes saeculares quatuordecim, reliquae
partim per religiosos diversorum monasteriorum , partim
Canonicos ecclesiae collegiatae in Heubach , quibus incor-
poratae sunt, providentur.
In hoc capitulo sunt capellaniae 13, in quibus residet
unicus capellanus, videlicet in Murnau, caeterae vel locorum
parochis pro commodiore sustentatione sunt adjunctae vel
propter defectum reddituum vacant.
19. Oberalting. Habet parochias 28, in quibus resi-
dent sacerdotes saeculares quatuordecim, quibus etiam simul
aliae una aut altera pro commoditate locorum commissae sunt,
et quatuor per religiosos monasteriorum, quibus incorporatae
existiint, providentur.
In hoc capitulo sunt capellaniae Septem, quarum tres tri-
bus parochis ejusdem capituli in subsidium sustentationis
conjunctae sunt ; caeterae ob defectum reddituum vacant.
20. Seh wab hausen. Habet parochias 18, in quibus
resident parochi 14 ; reliquae vicinioribus commissae sunt.
In hoc capitulo sunt capellaniae quinque, in quibus
Friedrich- Augsburger Relationen. 387
nullus proprius capellanus residet, et earum duae locorum
parochis sunt conjunctae, reliquae destitutae manent.
21. Landtsperg. Habet parocliias 24, in quibus resi-
dent parochi undecim; reliquae per alios viciniores parochos
pro locorum opportunitate providentur.
Capellaniae in civitate Landtsperga 14, quarum non-
nullae propter reddituum tenuitatem sunt unitae, in quibus
hoc tempore resident capellani quatuor.
22. Bairmenching. Habet parochias 18, in quibus
hoc tempore resident parochi 14; reliquae vicinioribus
parochis ad providendum commissae sunt.
In hoc capitulo sunt capellaniae quinque, in quibus
unus residet capellanus ; reliquae, utpote omnibus redditibus
destitutae, vacant.
23. Fridtberg. Habet parochias 36, in quibus resi-
dent parochi 20 ; reliquae vicinioribus parochis pro locorum
opportunitate ad providendum commissae sunt.
In hoc capitulo sunt octo capellaniae , in quibus duo
tantummodo capellani resident; reliquae ob defectum red-
dituum vacant.
24. Aichen. Habet parochias 29, in quibus resident
parochi 18; reliquae pro locorum opportunitate per vici-
niores parochos providentur.
In hoc capitulo sunt capellaniae 23 , in quibus resident
capellani quatuor: reliquae aut locorum parochis in subsi-
dium sustentationis commissae sunt, aut ob defectum reddi-
tuum destitutae manent.
25. Hochenwarth. Habet parochias 32, in quibus
resident parochi 2 1 ; reliquae providentur per viciniores
parochos.
In hoc capitulo sunt capellaniae 12, in quibus resident
capellani quinque; reliquae aut locorum parochis in subsi-
dium sustentationis conjunctae, aut ob defectum proventuum
desertae sunt,
27*
388 Sitzung der histor. Ciasse vom 7. December 1878.
26. Rhain. Habet parochias 28,mquibus hoc tempore
resident parocbi 14: reliquae ob tenuitatem proventuum ant
vicinioribus parochis ad providendum comraissae sunt, aut
omnino desertae manent,
In hoc capitulo sunt capellaniae 20 , in quibus resident
capellani tres; reliquae aut locorum parochis pro commo-
diore sustentatione adjunctae sunt , aut propter defectum
reddituum omnino desertae manent.
Capitula in Palatinatu.
27. Burckhaim. Habet parochias 18, in quibus hoc
tempore resident 4. Reliquae partim per viciniores paro-
chos providentur, partim bellorum injuria et parochis et in-
colis destitutae sunt.
In hoc capitulo sunt duae capellaniae sine capellanis
ob defectum reddituum.
28. Neuburg. Habet parochias 23, in quibas resident
parochi octo ; reliquae providentur pro opportunitate locorum
per viciniores residentes parochos.
In hoc capitulo nulla est capellania.
29 Heckstött. Habet parochias 14, aliquot beneficia
simplicia in civitate Heckstött. In parochiis hujus capituli
nunc quator resident parochi , reliquae vel vicinis parochiis
vel monasteriis sunt conjunctae, vel omnino desertae, quia
haec loca continao a milite infestantur. Simplicia beneficia
per temporum injuriam vel fuerunt ab haereticis suppressa
vel nunc ob redditus destructos deserta siint^
Parochia Heckstött paucos ante annos catholicis est resti-
tuta. Conversio pro temporum conditione utcunque succedit.
30. Lauingen. Habet parochias 16; beneficia olim
complura. In parochiis resident nunc quinqiie, reliquae
parochiae vel a vicinis parochis admiuistrantur , vel populo
sunt destitutae; in beneficiis simplicibus residet unus Lau-
ingae. Reliqua beneficia sub haeresi suppressa fuerunt.
Friedrich: Äugshurger Relationen. 389
31. Elchingen. Hoc capitulum habet parochias 24,
beneficia decem ; ex bis parochiis quinque solum sunt catho-
licae ; in quibus resident duo parochi ; reliquae catbolicae
providentur a vicinis, et e monasterio Elcbingen. Omnes
aliae parochiae uti et beneficia in manibus sunt baereticorum.
32. Dilingen. Hoc capitulum habet parochias 8, in
quibus resident parochi tres ; reliquae aliunde providentur,
uti et beneficia, quae supersunt.
33. Neresheim. Hoc capitulum habet parochias 18,
in quibus nullus prorsus residet clericus saecularis eo quod
redditus omnes sint amissi, populus fere nullus. Praesen-
tibus parochianis succurritur non nihil e monasterio Neres-
heim, vel a vicinis parochis. Beneficia simplicia sunt qua-
tuor, omnia jam olim deserta.
34. Giengen. Hoc capitulum habet parochias 9, e
quibus aliquae sunt hisce annis catholicis restitutae, et pro-
videntur e vicinis monasteriis, et residet unus parochus. Bene-
ficia olim erant complura ; sed pleraque per haeresin perierunt.
35. Haidenheim. Habet parochias 17, ex quibus
pleraeque a Serenissimo Electore Bavariae, cui toparchia haec
a Caesare data est, catholicis ante annos tres sunt resti-
tutae; in quibus residet unus parochus. Reliquae reguntur
a vicinis monasteriis , dum redditus restituantur. Beneficia,
si quae fuerunt, per haeresin perierunt.
36 et 37. Laubra et Lorch sive Gmünd t. Haec
duo capitula habent parochias 35, in quibus resident 9 ; reli-
quae vel sunt Lutheranae , ■ vel aliis parochiis conjunctae.
Beneficia erant olim complura, e quibus aliquot in civi-
tate Gamuudiana suos adhuc habent possessores ; cae-
tera perierunt.
In bis capitulis ante tres annos convertit se nitro quidam
nobilis de Adelmansfelden ad fidem^^catholicam ; ad quam
etiam duae ad ipsum pertinentes parochiae nomine Scheching
et Hocbenstat convertuntur.
390 Sitzung der histor. Classe vom 7. Decemher 1878.
38. Elwangen. Hoc capitulum habet parochias 28, e
quibas quinque cum pluribus beneficiis in oppidis Imperialibus
Aulen et Popfingen sunt haereticae ; in caeteris habitant paro-
chi hoc tempore octo, et alias sibi habent adjunctas parochias.
39. Dunkel spül. Hoc capitulum habet parochias 28,
quae omnes exceptis quinque sunt in manibus haereticorum.
In catholicis unus tantum residet parochus. Reliquae binc
inde quoquomodo providentur. Beneficia simul omnia vel
in potestate haereticorum vel deserta sunt.
40. Wallerstain. Hoc capitulum habet parochias 40,
ex quibus novem occupant haeretici. In catholicis hoc tem-
pore resident parochi novem ; reliquae ipsis vel aliis sunt con-
junctae. Beneficia similiter sunt 40 , in quibus vix duo
resident ; reliqua vel ad haereticos detinentur, vel ob reddi-
tus amissos sunt suppressa.
41. Nördlingen. Hoc capitulum habet parochias 26,
e quibus omnibus nonnisi quator sunt catholicae ; reliquae,
uti beneficia 40, in manibus sunt haereticorum.
42. Danauwerth. Hoc capitulum habet parochias 16,
ex quibus Septem sunt catholicae, in quibus unicus residet
parochus in Danuwerdt; erant etiam olim in eo beneficia
aliquot, quae hoc tempore sunt deserta.
II.
Beatissime Pater ! Joannes Rudolfus Baro de Rechberg
Episcopatus Augustani Apostolica authoritate constitutus
administrator , Sanctitatis Vestrae sacros pedes pro humil-
lima veneratione osculans sacrisque constitutionibus, maxime
Sixti P. V. f. r. aliisque constitutionibus apostolicis insistens
limina apostolica per ecclesiae cathedralis canonicum prae-
sentem R. d. Leonardum Pappus, cum, ut ipse a dioecesi
absit, et in persona hoc faciat, luctuosa haec tempora uon
concedant, visitare, ecclesiaeque et dioecesis statum expo-
nere intendit, humillimeque exponit.
Friedrich: Augshurger Relationen. 391
Posteaquam felicissimis Ferdinand! Augustissimi Impe-
ratoris auspiciis armisque a deo benedictis religionis catho-
licae splendor vel maxime in dioecesi Augustana reflores-
cere, sacra loca, jura bonaque ecclesiastica olim ab baere-
ticis distracta , diuque occupata restitui, plurimique in hae-
resin temporum iniquitate relapsi ad fidei catbolicae veri-
tatem redire cum maxima omniura laetitia coeperunt, nemini
dubium fuit, quin brevi tota dioecesis ad ovile Cbristi et ec-
clesiam dei nemine excepto reverteretur. Attamen nunc,
pro dolor, et Sedes apostolica, quae ad boc commune Ger-
maniae gaudium vel maxime suum potentissime attulerat
auxilium et ecclesia Augustana, quae pro reducendis seductis
ovibus et restituendis ecclesiarum bonis nihil unquam vel con-
silii vel auxilii intermiserat, eo tristitiae et calamitatis adduci-
tur, ut non solum spes, quam de recuperatione totius dioecesis
ob memoratam felicitatem jam ceperamus, prorsus abjecta,
et dioecesis nunc tanto in periculo constituta sit, ut baereti-
corum odio in catbolicos concepto totum quasi Imperium deti-
nentium propter bella male gesta, pejus forte intermissa, pau-
cos post annos fides catbolica tot saeculis illaese conservata
ex antiquissimo Germaniae episcopatu prorsas proscribatur.
Pacis siquidem Monasterii et Osnabrugae in Westphalia
initae conditiones ita sunt comparatae, ut catbolicae reli-
gionis exitium prorsus conclusum esse videatur; cujus prin-
cipium ex eo manifestum est, quod quae bactenus vigi-
lanti SS. Pontificum cura, Imperatorum liberalitate e fauci-
bus haereticorum erepta fuerant, simul baeresi restituuntur.
Omnia enim et singula et in ecclesiasticis et politicis eum
in statum, quo prima die Januarii anni 1624 fuerant, plena-
rie et pure cassatis omnibus interim in istiusmodi causis ratis,
publicatis, et institutis sententiis, decretis, transactionibus,
pactis, seu deditiis, seu aliis executionibus reducuntur.
Hinc ergo incredibili cum luctu in civitate Augastana
haereticis ecclesiae, monasteria, fundationes, jura, privilegia
392 Sitzung der histor. Classe vom 7. Decemher 1878.
cum libero sectae suae exercitio, quae Calendis Januarii anno
1624 habuerant, expulsis iude clericis, religiosis et aliis per-
sonis ecclesiasticis et laicis catholicae fidei addictis restituta,
simulque praedicantes , quorum alias hactenus a pluribus
annis in civitate Augustana duo tantum aderant, reversi
fuerunt. Quod licet sit acerbissimum, gravius tarnen et
catholicae religioni pernitiosius est, quod in eadem urbe
praeter hanc reductionem magistratus catholicus media ex
parte exauthoratus , et in exauthorati magistratus locum
haeretici cum mauifesto catholicae religionis interitu repositi
fuerint, ita ut nunc principes magistratus, qui duumviri vo-
cantur, et totus reliquus magistratus cum omnibus offi-
ciis servitiisque media ex parte sint catholici, media ex
parte haeretici, cum tamen summa rerum antehac, quamdiu
haeresis viguit, penes catholicos semper extiterit. Id, quod
ad excidium catholicorum pertinet manifestum. Rebus enim
sie comparatis nemo amplius ut antehac, saltem paucissimi
ad catholicae iidei veritatem convertuntur. Sed timendum,
ut catholici quidam temporalis commodi illecebra adacti
potius fidem deserant et neglecta animae salute corporis
emolumenta, quae sibi in haeresi poUicentur, sequantur. In
reliqua dioecesi haec pacificationis regula aliquot monasteria
Wirtenbergiae et ßhetiae utpote monasterium celeberrimum
olim Benedictinorum in Lorch, Cisterciensium in Königsbron,
Anhusanum itidem S. ßenedicti, Herbrechtingen canonicorum
regularium s. Augustini, monasterium in Zimeren olim
monialium, monasterium in Roth monachorum s. Benedicti,
Carthusia in horto Christi pleraque episcopo subjecta, una cum
civitatibus Imperialibus Aula et Popfingen cum plurimis
parochiis et aliquot millibus animarum, magna ex parte ad
catholicam fidem conversarum, jam sustulit, et in haereticas
manus tradidit. Quantum, Dens optime, et quam lugubre
spectaculum, videre animas pretioso Christi sanguine redemp-
tas in barathrum praecipitari !
Friedrich: Augsburg er Relationen. 393
Juxta ecclesiam collegiatam Groenenbachensem, ubi olim
eraut complures canonici, reddituum administatione sublata
Calvini exercitinm introductnm, et timendnra est, ut e de-
fectu necessariae sustentationis, qui parochiam loci et vicinas
curabat, parochus etiam inde depellatur.
E civitate Kaufburana, in qua hactenus, deo ])enedicente,
opera parochi et Patrum Societatis Jesu catholicoram nume-
rus vehementer creverat, niemorati Patres expulsi et catho-
lici, qui imicum habent parochum, sacramentorum administra-
tione ita privati sunt , ut pro sua devotione confessarios et
missarum commoditatem habere nequeant. Contendunt equi-
dem haeretici acerrime, ut omnes religiosos, qui anno 1624
Calendis Januarii ejusmodi in civitatibus non fuerant, expel-
lant, clericisque saecularibus, qui substitui possint, nihil pror-
sus subministrent. Quam ob causam etiam vehementissime la-
borant dicti haeretici, ut e civitate Augustana Carmelitas dis-
calceatos, qui tamen fundos pro monasterio propriis coeme-
rant pecuniis, ejiciant, tauta in catholicos ubique rabie in-
citati, ut Memmiugae processiones , quae juxta catholicos
ritus subinde extra ecclesiam instituuntur, campanarum pul-
sum, ac lumen coram venerabili sacramento ardens infestare
non dubitarint.
Praeter haec omnia, quorum singula catholicam reli-
gionem evertere possuut, luctuosissimum est, quod catholici or-
diues et status in Germania a centum annis et amplius nee
in publicis totius Imperii comitiis, nee in privatis Electorum
sacri Imperii conventibus unquam concesserant, nee ut con-
cederent, periculis evidentibus terreri potuerant, nunc tandem
in publica Germaniae pacificatione impunem credendi liber-
tatem, quam autonomiam vocant, cum evidentissimo catho-
licae religionis excidio ita admiserint, ut deinceps archiepiscopi,
episcopi, praelati, et ceterae ecclesiasticae et laicae personae
fidem catholicam mutare et ad haeresin transire, nee supe-
riores, uec quisquam alias illos ab bis consiliis abstrahere
394 Sitzung der histor. Classe vom 7. December 1878.
possint, aut valeant, nisi fractae pacis rei esse velint. ünde
episcoporum autoritas, qua hactenus ecclesiastica disciplina
fuerat conservata in clerum et subditos quosvis tarn eccle-
siasticos quam laicos prorsus enervata et luxata est, adeo ut
contra enormia clericorum et laicorum vitia nee episcopi nee
alii superiores tarn saeculares, quam reguläres procedere pos-
sint, reis ac vitiosis, quam primum correctionem sentiunt, pacis
libertatem, ejusque violationem inclamantibus, per quam sibi
sive catholicis sive haereticis, quorum e numero se esse
vociferantur, impune, servatis quoque honoribus, esse liceat.
Cum ingenti ergo dolore et opprobrio episcopi et supe-
riores coguntur correctionem intermittere, quam primum hujus-
modi sceleratus clericus et religiosus in justissimo et necessario
correctionis acta saepe flamma et triremibus dignus se Calvi-
nistam, Lutheranum, seu qualemcunque haereticum profitetur.
Hanc ipsam ob causam laici, principes, comites, barones,
nobiles, civitates et magistratus catholici et haeretici libere
ac impune bona ecclesiastica invadunt, usurpant, rapiunt,
diripiunt. Quia si illorum cupiditati episcopi et alii eccle-
siastici superiores se opponant, reclamare et opponere non
dubitabunt : Si episcopi et superiores hoc, quod volo, impe-
dire non desistent ; praedicantem haereticum, qui mihi non
resistet, accersam, vel ipse religionem, cujus in imperio liber-
tas est, suscipiam; id quod per hanc impiam, et blasphe-
mam pacis transactionem libere ac impune facere possunt.
Hactenus profecto episcopi Augustani , praesertim pro-
xime demortuus Henricus, salutaria excogitaruut remedia,
quibus catholica religio in hac civitate et dioecesi Augustana
mirifice fuerat aucta, ac haeresis repressa : illi siquidem, qui
e catholicis territoriis oriundi in hac et aliis haereticis civi-
tatibus matrimonium inire cupiebant, tamdiu non dimitte-
bantur, donec constabat, illos matrimonium amplecti catho-
licum, qua de causa subinde haeretici, qui cum illis se jüngere
volebant, prius ad catholicam fidem redire cogebantur, et hac
Friedrich: Augsburg er Belationen. 395
ratione fiebat, ut catholica religio tum in hac civitate, tum
in reliqua dioecesi incredibiliter augeretur. Verum cum
haec omnia, quae hactenus tantos produeebant fructus, media
juxta pacis transactionem sub gravissima poena iatermit-
tenda sint, de religionis catbolicae incremento prorsus vi-
detur esse desperatum.
Quanta vero in bonis temporalibus, sine quibus spiri-
tualia subsistere non possunt, episcopatus Augustanus per
hanc pacis constitutionem detrimenta capiat, dici non potest.
Solum ut pacis pretium, quo pax a Suecis pretiose redempta
.fuit , sua pro parte persolvatur , necessario omnes totius
dioecesis subditi in egestatem, summamque calamitatem re-
digi, vasa sacra, campanae, agri, fundi vendi, oppignorari,
aes alienum mutuo sumi debet : ita, ut propterea res divina
in cathedrali, aliisque ecclsiis collegiatis pro rei dignitate
agi non valeat, sed magna ex parte intermitti debeat, nee
nisi pace per Dei gratiam integre restituta subditisque nonni-
hil ab intolerabili contributionum bellicarum onere, militum-
que hospitio, praedationibus praesertim perpetuis, ut agri-
cultura tuto resumi possit, sublevatis, tandem aliquando nitor
rei divinae reduci possit.
Hanc ipsam ob causam cura animarum per dioecesin,
licet operose ubique constituatur , redditibus tamen pleris-
que per expositas supra calamitates devastatis, uni sacer-
doti duo , tres^ aut plures parochiae committi debent ; quo-
rum multi ex omnium fructibus vitam aegre producunt. Multi
diuturna calamitate, paupertate et miseriis devicti vel moriun-
tur, vel alio se conferre coguntur.
Ex quibus omnibus facile perspicitur , quanta nunc in
miseria, et quam periculoso statu ecclesia et dioecesis
Augustana sit constituta , imo in quanta pericula sit Ven-
tura , sive illa quae tot annis in rei catholicae perniciem
constituta est pax, consistat, sive bellum pace iterum neglecta
consequatur. Catholica profecto religio quotidie magis ac
396 Sitzung der histor. Classe vom 7. Decemher 1878.
magis decrescet, quia nemo est, qui ejus patrocinium susci-
piat, sed per iniquissimam pacis autonomiam cuilibet, quod
amplecti et fovere vult, libere ac impune , ut faciat , con-
cessum est.
Administrator tarnen episcopatus Augustani, licet haec
omnia a pluribus annis, quibus pacis transactio Monasterii
et Osnabrugae inter ordines Imperii durabat, tractarentur,
non modo ullis tractatibus, quae catholicae ecclesiae, sedis-
que apostolicae , Augustanae praesertim ecclesiae Jura , res,
immunitatem, et verbi (verae?) fidei ac religionis catholicae
dignitatem, omniumque et singularum dioecesis eccelesiarum,
personarum praetensiones concernebant, nunquam consensit,
sed aperte semper contradixit, episcopatus et dioecesis, omni-
umque raembrorum jura per publicas protestationes, saepius
saepiusque, ubi necessitas id postulabat, iteratas, repetitas,
ad publicam Imperii cancellariam ad perpetuam rei memo-
riam repositas reservavit, ac contra omnes futuras actiones
se et dioecesin juxta copias hisce conjunctas cum capitulo
cathedrali munivit. üti horum tenore per expressum pro se,
episcopis Augustanis futuris, capitulo cathedrali, omnibus epis-
copatus membris quibuscunque quomodocunque exprimendis
protestatur, quod paci et pacis articulis, in quantum catho-
licae religionis, sedis apostolicae, episcopatus Augustani, om-
niumque membrorum ad dictum episcopatum quomodocun-
que sive per subjectionem sive per exemptionem pertinen-
tium juribus , rebus, personis, immunitatibus adversantur,
eaque qualitercunque laedunfc, aut laedere possunt, non con-
sentiat, aperte contradicat, imo hac reservatione, et protesta-
tione apud sedem apostolicam iterum reuovata, ejusque in
custodia perpetua deposita ad omnes actiones per pacis cousti-
tutionem abdicata et ablata repetendi, per se recipiendi in-
stituendas reservet.
Haec itaque, Beatissime Pater, Vestrae Sanctitati ad-
ministrator episcopatus Augustani a Sanctitate Vestra con-
Friedrich: Augsburg er Belationen. 397
firmatus de dicti episcopatus et dioecesis moderno, attamen
fanesto et lugubri statu exponit, deumque Optimum ardenti-
bus precibus cum afflicto clero et populo dioecesano devo-
tissime obsecrat, ut ecclesiae suae Sauctitatem Vestram diu-
tissime salvam ac incohimem conservare velit. Eidem deo
optimo, beatissimaeque virgini matri Mariae, sanctis aposto-
lis Petro et Paulo, necnon S. Udalrico et omnibus sanctis
sit honor, gloria in saecula saeculorum. Amen.
III.
Relatio status ecclesiae et dioecesis Augustanae 1654.
Beatissime Pater ! Joannes Rudolphus episcopatus Augu-
stani provinciae Moguntinensis apostolica autoritate consti-
tutns administrator, electus in praepositum ac dominum El-
vacensem Sanctitatis Vestrae sacros pedes pro humillima
vener atione osculans sacraeque ordinationi Sixti P. V. f. r.
aliisque constitutionibus apostolicis insistens limina aposto-
lica per ecclesiae cathedralis Augustanae canonicum prae-
sentem r. d. Caroltim Philippum de Ulm Baronem de Erbach,
cum, ut ipse memoratus Joannes Rudolphus a dioecesi ab-
sit, et in persona boc faciat, cura animarura, aliaque gravis-
sima impedimenta non concedant, visitare ecclesiaeque et
dioecesis statum exponere intendit bumillimeque Sanctitati
Vestrae exponit.
Quod episcopatus et dioecesis Augustana adhuc eo in
statu consistat, in quo post Germaniae pacem de quo co-
piose quatuor ante annos relatum fuit, constiterat ; quae
enim in ducatu Wirten bergico, Comitatu Oetingano aliisque
in locis tum ad civitates imperiales haeresi infectas , tum
alios haereticos pertinentibus, catholicae religioni erepta, vel
ipsis in civitatibus baeresi adjudicata fuerunt, ea omnia illa
tam lugubri ac tristi perversione juxta memoratae pacis arti-
culos ab imperii ordinibus vel nitro vel coacte admissos,
donec e singulari dei beuignitate pro re catbolica felicior
398 Sitzung der histor. Classe vom 7. Decemher 1878.
aspiret aura, mutari non possunt. Non tarnen intermittitur,
ubi pacis instrumentum aliquantulum favere videtur, ut vel
pro reducenda religione, sicubi nimis praecipitanter per bae-
reticorum artes expulsa, vel haeresis malitiose introducta
fuerat, implorato Caesareae Majestatis auxilio , vel aliis ad-
hibitis subsidiis in suam cuncta reducantur integritatem.
Insigni Calvinistarum Ä-aude et non absque perjurii
vitio Calvinianus praedicans in CoUegiatam ecclesiam Grö-
nenbacensem, ac oppidum vicinum ab altero pacis executore
ill. duce Wirtenbergico reductus est. Quia vero compertum,
quod in anno 1624, ad quem in Germania omnia confir-
mantur, quod in dicta ecclesia nee praedicans Calvinianus nee
exercitium baereticum fuerit, Adniinistrator Episcopatus eo
semper Caesaream Majestatem deduxit, ut pacis executoribus
negotium jam datum sit, ut catbolica religio dicta in Colle-
giata eum in statum reduceretur, in quo anno 1624 fuerat.
Idem Administrator omni quoque studio ac labore
contendit, ut Patres Societatis Jesu in civitatem imperialem
Kauffburanam, unde similiter per ducem Wirtenbergicum
ejecti fuerant, autboritate Caesarea per serenissimam Bavariae
Electricem reducerentur, prouti ante bienuium reducti sunt,
ubi hactenus sumptibus praedicti Administratoris, ut religio
catbolica, si eo in loco Patres non essent, facile extinquere-
tur, sustentati fuerunt. Effectum quoque est, ut tametsi
quidam antebac in Wirtenbergia certo in pago, cui nomen
Lindacb, conversi et per pacis obligationem ad haeresin re-
ducendi fuerint , illi tamen ingenti zelo et fervore accensi,
minis, vinculis et carceribus a duce Wirtenbergico ad defec-
tionem adhibitis non cesserint, sed bactenus constantes per-
manserint.
Et licet in ipsa civitate Augustana magistratus et officia
catholicos inter et haereticos ex aequo fuerint divisa, pari-
tasque in omnibus, ac religionis libertas cum impunitate
concessa catbolicjs subinde etiam temporalium cupiditate ad
Friedrich: Augsburg er Relationen. 399
alia inclinatis ad defectionem non parva potuerit esse ille-
cebra, per dei tarnen singularem gratiam factum est, ut
non nisi pauculi e plebe, omnem in partem facile ob com-
modum temporale et respectum mobiles, defecerint. Vicis-
sim tarnen aliquot majoris authoritatis viri ac feminae ad
ecclesiae catholicae gremium, uti et alii quidam de plebe
verae fidei lumen agnoverunt ; ita ut optimus deus ex lapi-
dibus, hoc est, pace, quae omnibus videbatur iniquissima, ac
rei catholicae exitiosa, etiam filios Israel excitare soleat.
Quem in finem non parum facit, quod tametsi in pacis
constitutione complura subsidia, quibus catholicae rei incre-
mentum promovebatur, sublata fuerint, attamen cura habetur
sollertissima, ut illi, qui in fidei periculo versantur , mature
in securitatis semitam invocato etiam catholicorum prin-
cipuiii ac potestatum brachio reducantur.
Nee dubitatur, quin optimus deus ferventissimis catho-
licorum precibus, quae tam in civitate Augustana, quam non-
nullis aliis dioecesis in locis per totum annum continuantur,
clementissime flectendus, et tandem eam benignitatem da-
turus sit , ut terra nostra fructum fidei totius catholicae
datura sit.
Visitatio in dioecesi cleroque tam saeculari quam regu-
lari constanter ac ita producitur , ut , si non fere singulis
annis, quod ob raagnitudinem subin fieri nequit, per diversos
saltem visitatores singulis bienniis, monasteriorum autem sin-
gulis trienniis aut citius absolvatur; quamvis in quibusdam
unitis parochiis exempti reguläres non sine gravi fastidio
se opponere , ordinariique visitationem eludere conentur ;
cujusmodi insolentia magnopere scandolosa ante sesquian-
num ad s. congregationem concilii Tridentini relata ac pro
jure episcopi determinata fuit.
Quantum sacramentorum administrationem attinet, ea
deo benedicente per dioecesin a pastoribus et curatis sine
querela diligenter frequentatur , numerusque eorum , qui
400 Sitzung der histor. Glasse vom 7. December 1878.
tempore paschali confessi et communicati sunt, siügalis annis
maior redditiir. In obeunda dioecesi hoc triennio confir-
mationis sacramentum ultra viginti millia dioecesanis colla-
tum est.
Ceterum hoc in dioecesi Augustana adhuc incomraodi
cadit , quod cum ob redditus per bella destructos, tum per
sacerdotum similiter per temporum iniquitatem amissorum
penuriam singulae parochiae per singulos curatos ac rec-
tores non possint regi, uni sacerdoti plures parochiae, dum
per dei misericordiam et redditus et sacerdotes augeantur,
committi debeant. — — ~-
IV.
ßelatio Status ecclesiae Augustanae 1670.
Beatissime Pater ! Joannes Christophorus episcopus
Augustanus Sanctitatis V^^f® sacros pedes pro humillima veue-
ratione exosculans, sacrisque constitutionibus, maxime Sixti
Papae V. f. m. insistens limina apostolica per ecclesiae
cathedralis Augustanae canonicum praesentem r. d. Marcam
Albertum ßaronem de Freyberg, cum, ut ipse episcopus hoc
in persona faciat, haec tempora et occupationes non per-
mittant, visitare, ecclesiaeque et dioecesis statum exponere in-
teudit, humillimeque exponit.
Et inprimis breviter in memoriam revocat ea, quae de
pacis in Germania ac Imperio constitutae et autonomiae
luctu per antecessores in episcopatu Augustano antehac
ad sedem apostolicam relata sunt, ünde status in dioecesi
Augustana mirum in modum laesus est per surreptionem
nobilissimorum monasteriorum ecclesiarumque tarn parochia-
lium, quam aliarum, civitatum quoque et oppidorum ac
regi on um, e quibus catholica religio penitus proscripta, ejus-
que loco haeresis introducta est cum multorum millium
Friedrich: Augsburger Belationen. 401
jactura animarum ; quarum complures jam in vinea domini
sanatae plurimaeque in spe conversionis constitutae fuerant.
Quod quidem tolerabilius fuisset, si catholicae religionis
jactura hie constitisset ; quia vero autonomiae seu religionis
libertas veluti porta eorum , qui in clero tarn saeculari
quam regulär i jugum correctionis excutiunt, accessit ; mirum
dictu est, qupi'tum exinde catholica religio detrimentum ca-
piat, etiam illis in locis , ubi hactenus usque ad banc por-
tae exitialis apertionem via ad impunem apostasiam non pa-
tuerat. Nunc vero intellecta hac libera vivendi impuneque
apostatandi libertate quidam saeculares clerici, immo longa
plures et non pauci religiosi ad libidinem proclives et ab-
jecti se ad loea haeretica proripiunt et incestuosas nuptias
amplectuntur ; ita ut ex uno alterove monasterio uno anno
tres , quatuor , et plures religiosi cum grandi scandalo et
tristitia catholicorum et gaudio baereticorum profugerint.
Huic malo se potenter episcopus Augustanus opponit,
qui post assumptionem ad episcopatum antiquius nibil ba-
buit, quam ut der um utrumque ab boc immani periculo
contineret Ideo propria in persona totius dioecesis et epis-
copatus Augustaui monasteria suae jurisdictioni subjecta,
ecclesias collegiatas, parocbias, beneficia visitaverit. Sjnodos
rurales , quia propter temporum iujuriam totalem et gene-
ralem synodum contra animi sui voluntatem bactenus cele-
brare non poterat, instituit, disciplinam exclesiasticam,
quantum per Dei subsidiuui poterat, restituit, vitiosos casti-
gavit, incorrigibilium et malorura plurimos proscripsit, vel
ita castigavit, ut ad emeudationem redirent et nunc se
laudabiliter gerant. Cura quoque eidem fuit, ut exemptos
etiam in dioeeesi Augustana constitutos zelose moneret, et
moneri curaret , ut ipsi suis in monasteriis, quae correc-
tione indigebaut, normam adbiberent, et vigilarent, ne eo-
rum subdiii üagitiosa bac libertate abuterentur.
Ingenti quoque cum labore Patres Societatis Jesu in
[1878. 1 Philos.-philol -hist CI. Bd. II. 3.] .28
402 Sitzung der histor. Clas.se vom 7. Deceniber 1878.
civitatem Kauifburanam per Caesaream Majestatem sollici-
tante et urgente ordinario Augustano reducti sunt, quorum
ope et studio catholici ibidem in religione laudabiliter conti-
nentur et coufirraantur. Laborat modernus episcopus AugU"
stanus, ut in loco Grönenbach dicto exercitium Calvinisti-
cum expellatur, quod in anno 1624 ibi non fuerat, cuius
tarnen desiderio haeretieorum potentia extra et intra Impe-
rium adversatur ; adeo ut electores, duces, principes Imperii
acatbolici omnes contra conatus episcopi Augustani quasi
conjurarint , et in subsidium Helvetios liaereticos evocave-
rint. Quibus tamen omnibus non obstantibus saepedictus
episcopus omnem lapidem Caesaris auxilio implorato movet,
ut locus praedictus in Grönenbach ab exercitio Calvinistico
prorsus purgetur. Similes quoque controversias babet epis-
copatus Augustanus cum duce Wirtenbergico, qui diversis
in locis supprimere conatur catbolicam religionem ; cui autem
pro viribus resistitur. Caeterum licet post pacificationem
in Imperio haereticos inter et catholicos cum tanto detri-
mento factam dioecesis Augustana, uti prioribus in visita-
tionibus sacrorum liminum ad sedem apostolicam relatum
est, tantam in solitudinem redacta fuerit, ut cleri saecularis
exigua pars superstes esset, et subinde tribus et quatuor paro-
chiis vix unus sacerdos praefici posset, nunc tarnen ita deo
benedicente clerus saecularis in dioecesi Aagustana auctus
est, ut non so! um, parocbiae fere singulae ^ngulos obtin-
eant sacerdotes, sed plures supersint, quibus beneficia cpn-
ferri nequeant.
Catbolicis in locis, deus sit benedictus , res divina ite-
rum efflorescit, sacramentorumque usus ubique conserva-
tur ; ecclesiae novae aedificantur et pulchre exornantur,
nitorque paramentorum tantus visitur, ut bellorum iniqui-
tates videantur fidelium animos ad ecclesiarum cultum po-
tius animasse, quam minuisse.
Redditus vero ecclesiastici adbuc se. non omnino re-
Friedrich: Augsburg er Delationen. 403
colligere potuerant fundis per dioece^in neglectis, et in sal-
tus sylvescentibus. Quam ob causam complura beneficia
exiguos habent redditus, clero vix ad sustentationera suffi-
cieutes. — - - -
V.
Beatissime Pater ! Joannes Christoph orus ecclesiae Augu-
stanae provineiae Mognutinae novemdecim jam annos epis-
copus maximo studio ac bumillima erga Sanctitatem Vestram
et sedem apostolicam observantia semper allaboravit, ut
praeter alia omnia ss. Pontificum decreta, maxime etiam
Sixti f. r. V. de liminum b. Petri et Pauli apostolorum visi-
tatione constitutionem observaret, atque statutis temporibus,
qui Sacra limina visitarent, statumque dioecesanum demissis-
sime expouerent, obedientissime ablegaret.
Sane, cum post lapsum quadriennii ipsum ob gravis-
sima impedimenta et occupaliones tantum iter suscipere
et a dioecesi abesse nequeat , idcirco praeyio Sancti-
tatis Vestrae sacrorum pedum osculo hoc ipsum nunc
denuo per ecclesiae catbedralis Augustanae canonicum prae-
sentem Christopborum Benedictum Liber, Baronem de
Frejberg praestare atque statum ecclesiae Augustanae
in subsequentibus exponere intendit. Atque inprimis re-
fert se ad priores visitationes , in quibus saepius lucu-
leiiter expositum fuit, quod gravia praejudicia per pacem
cum baereticis initam catholicae religioni irrogata sint , et
quod doloris sensum adauget, spes nulla affulgere videatur,
hanc plurimorum malorum in ecclesia dei radicem facile
evelli posse, licet solatio sit, quod rari admodum boc tem-
pore apostasiae casus in laicis et plebe, in clericis vero et
religiosis vix ullus contingat. »
Econtra in id sedulo iucumbere continuat episcopus
Augustanus, ut errantes oviculae ad caulam dominici gregis
couvenientibus modis invitentur, constitutis ad boc principum
28*
404 Sitzung der histor. Glasse vom 7. Decemher 1878.
saecularium subsidiis et pecuniis, quibus ejusmodi conversi,
donec alia sustentatiouis media acquiraut, commode vitam
tolerent.
üt autem catholicus populus et iideles suae dioecesis
in fidei catbolicae fundamentis instruantur, roborentur, et
coDserventur, sicuti insistendo s. concilii Tridentini decretis
et synodalibus statutis in oranibus ecclesiis parochialibus et
aliis curatis toto anno singulis dominicis catecbesis sive
doctrina christiana hucusque tradebatur, singulis insuper
dominicis et festivis diebus per parocbos aliosque sacerdotes
tarn saeculares, quam religiöses publicae conciones habeban-
tur, ita deinceps tradetur et babebuntur.
Continuatur etiam in urbe Augustana devotio compre-
cationis decem horarum singulis fere dominicis et festivis
diebus, alternandae per totum annum in ecclesiis parocbialibus
et religiosorum , magno sane populi concursu et devotione,
ut omnipotens deus ad largiendam suis fidelibus maxime in
hac dioecesi misericordiam iucessanter quasi imploretur.
Insuper ad augendam devotionem et percipienda iden-
tidem divinorum dona charismatum non modo praescriptis
ad lucrandas a ss. Pontincibus concessas varias indulgen-
tias operibus, maxime quae singulis mensibus etiara deten-
tis in purgatorio animabus applicari possunt, magno fer-
vore insistitur, sed etiam ex variis confraternitatibus a s.
sede apostolica approbatis et indulgentiarum thesauro
condecoratis ingentes animarura fructus redundant, inter
quos facile primum locum sibi vendicare videtur recens ea
confraternitas, quae sub titulo perpetuae adorationis ss.
Sacramenti nuncupatur, utpote tanto zelo per totam
dioecesin Augustanam bucusque p^antata, magnoque confra-
trum et consororum uHra CGiitum millia numero adaucta
est, ut benignissimus deus min^m sane in modum exinde
laudetur, eoque major spes co,:'C'pi possit ad adipiscendam
ecclesiae suae sanctae afflictacque misericordiam salutarem.
Friedrich: Augsburg er Belationen. 405
Et dum priori anoo nefarius Tiircarum tyrannus formidabili
sua potentia regnum Hungariae et archiducatum Austriae
coeterasque Imperator is Romani provincias et ditiones haere-
ditarias in suam potestatem redigere clademque in alias
etiam vicinas christianas ditiones proferre, omniaque tyran-
nidi suae subjicere moliebatur, episcopus Augustanus non
tantum gratias apostolicas ad excitandam devotionem et fer-
vorem emanatas, ea qua par est demississima observantia per
totam dioecesin quantocyus publicari, sed et alias devo-
tiones comprecationesque per illam institui fecit, eo sane
fervore bucusque continuatas , ut per illas divina ira
hominum flagitiis provocata, placata et tot prosperi suces-
sus armis cbristianis a clementissimo deo impetrati esse
videantur.
Porro cum maxime intersit, ut ea, quae salubriter statuta
et introducta sunt, inviolabili observantia condecorentur, si
qui errores obrepant, tempestive corrigantur, et maximum
rei pondus in diligenti dioecesis visitatione consistat , ideo
episcopus Augustanus aut ipse, quantum aliae occupationes
episcopales permittunt, hinc et inde visitationes instituit,
aut certe pro ratione amplissimae dioecesis hanc normam
indesinenter observari curat, ut pro tota dioecesi consti-
tuti tres visitatores generales demandatum sibi munus rite
peragant, et quivis assignatum districtum sedulo visitet,
quo quidem modo fit , ut juxta Tridentinum concilium et
synodalia decreta visitationes annuae aut localiter aut capitu-
lariter instituantur, in cleri et populi mores et vitam sedulo
inquiratur, utrumne decani cum subjectis parochis et cu-
ratis synodos rurales quotannis celebrent, suaque capitula
ipsi visitent. Qua in re ea rursus in memoriam reducuntur,
quae in prioribus visitationibus ss. liminum exposita sunt ;
certum numerum parochorum et beneficiatorum aliis vi-
ginti, aliis triginta, et aliis longo plurium.
Praeterea, ne etiam in Lac ampla dioecesi populo
406 Sitzung der histor. Classe von 7. Deceniber 1878.
catholico inter gentem pravam existenti accessus ad-salubre
confirmationis sacramentum desit, episcopus suo suffraganeo
certas regiunculas singulis annis peragrandas praescripsit,
eo maiori solatio , quod ingens semper confluxus id ardenti
devotione suscipere intendat.
• Quod autem integrum corpus dioecesis Augustana« con-
cernit, sicuti juxta deuuo hie appositam designatiouem ea
potissimum tribus districtibus constafc , magna nimirum Suer
viae seu Alemanniae, non modica Bavariae, et demum ea
Sueviae parte, quae trans Danubium particulari nomine Rbae-
tiae indigitatur, cui etiam aliqua pars Palatinatus Neoburgici
cobaeret. Ita praeter catholicas horum trium . istrictuum
parochias adliuc complures ab haercticis in hac ipsa urbe
Augustana per instrumenta pacis, quoad religionem mixtam,
pro dolor ! detinentur, immo totus fere adhuc nuper comi-
tatus, nunc vero principatus Oettingamis in supra memorata
Rbaetia, utpote haeresi jam dudum infectus, dioecesi Augu-
stanae subtractus est. Idipsum contingit in conterminis
finibus ducatus Wirtenbergiae et cum aliis civitatibus Im-
perialibus, nempe Nerdlinga, Memminga, Ala, Gienga,
Bopfinga ex integro, Dinkelsbula et Kauffbura vero utro-
bique ex parte, uuoque insuper et altero Castro et prae-
diis, cui tarnen malo hisce malignis temporibus ob initas
de facto transactioues conveniens remedium cum effectu
non suppetit.
Quae sit episcopi Augustani in diversorum Ordinum s.
Benedict]', cauonicorum regularium s. Augustini aliorumque
monasteria a plurimis saeculis jurisdictio, vi cujus ex prae-
scripto concilii Tridvjiitini visitationes, .ut plurimura vero per
deputatos visitatores peraguntur, alia vero quaedam utrius-
que sexus olim monasteria nunc extincta in potestate omni-
moda haereticorura supradictorumprincipum^c civitatum cum
plena perceptionefructuum baereant,jam proximis relationibus
SS. sedi cum luctu expositum, et iuterira in futurum melior
Friedrich: Augshurger Belationen. 40^
reruni status solis votis a deo expectandus est. Ea vero, quae
adhucdum a religiosis incoluntur , et, ut supra , visitationi
episcopi subjecta mansernnt , in bono statu et regiilari dis-
ciplina reguntur et vigent, ita ut sub omnino vano prae-
textu i'eformatioms per noviter sollicitatam congregationem
praesertim praelati nihil aliud quaerant, quam ut exempti
fiant ab illis, qui eorum actiones observare et disciplinae
regulari conservandae studiose invigilare solent ; certe si ab-
batum intentio ad reformationem collimaret, parum illorum
interesset, imo sibi gloriae ducerent, quod regulärem disci-
plinam ad aedificationem tarn fidelium quam haereticorum
publice eontestari possent. Sed episcopus Augustanus refert
se ad illa, quae jam ante hoc solidis fundamentis in con-
trarium produci fecit, nee sibi persuadere potest, quod S.
Sanetitas, ciii ss. conciliorum, et canonum et particulatim
s. eoncilii Tridentini observantia usque adeo cordi est, ab-
bates Benedictinos contra eorum sacrosanctas dispositiones
inspectioni et jurisdictioni pastorali subtrahere velit.
Inhaerendo nunc ulterioribus super distincta relatione
facienda emanatis dispositionibus non est, quod de poeniten-
tiaria theologali in ecclesia cathedrali, similiter etiam tam in
monasteriis subjectis quam exemptis ullus defectus allegari
queat. Viget etiam seminarium juxta ss. eoncilii Tridentini (sie)
intantum, , ut pro ratione annuorum reddituum subinde vi-
ginti alumni inde alantur, numerusque theologorum et sacer-
dotum numerum beneficiorum et conditionem transcendat.
Quoad residentiam canonicorum in ecclesia cathedrali
antiquissimorum forma statutorum exacte observatur, nee
distributiones quotidianae iis obveniunt, qui rei divinae non
intersunt. Idem quoque in aliis beneficiatis tam curatis,
quam simplicibus, tam etiam in caeteris ecclesiis collegiatis
usuvenit, exceptis tarnen eorundem praeposituris, quarum tres
in sola civitate Augustana recensentur, praetendentes immuni-
tatem ab omni residentia sub fulcro apostolicorum indultorum-
408 Sitzung der histor. Classe vom 7. December 1878.
Unum adhuc, quod episcopo Augustano iucumbit, est
celebratio synodi. Cum autem impedimenta, quae hactenus
executionem, magno desiderio exoptatam, impediverunt, prout
neminem latet , adaucta potius fuerint, quam decreverint,
idcirco cogitur episcopus Augustanus humillime rogitare,
ut s. Sanctitas benignissime permittat, hoc synodi negotium
aliquantisper adhuc differre, donec divina benignitate ejus-
modi obstacula cessaverint. — — —
VI.
Beatissime Pater! Alexander Sigismundus Comes Pala-
tinus Rheni , Bavariae, Juliae, Cliviae et Montium dux etc.
antehac episcopatus Augustani provinciae Moguntinae a
Sede apostolica confirmatus Coadjutor, postquam Joannes
Christophorus episcopus Augustanus coadjutus die 1. Aprilis
hujus decurrentis anni pientissime obiit, regimen et tempo-
rale et ex speciali indulto Sanctitatis Vestrae defecüiim ae-
tatis supplente spirituale assumens nihil amplius coi'di habet,
quam ut omnia ss. Pontificum decreta et inter illa id f. r.
Sixti P. V. et Clementis X. b. m. mandacum per s. con-
gregationis Concilii declarationem de liminum sacrorum
visitatione observet. Hinc est, cum post lapsum quadriennii
ipse dicta sacra limina ob graviora impedimenta et totius
s. Imperii periculosissimum statum (sie) iter suscipere, et a
dioecesi abesse nequeat, praevio Sanctitatis Vestrae sacrorum
pedum pro humillima veneratione osculo, hoc ipsum per
ecciesiae cathedralis Augustanae Canonicum praesentem
Christophorum Benedictum liberum Baronem de Freyberg
peragere intendit, statum ecciesiae et dioecesis Augustanae
subsequentibus humillime exponendo.
Et ante omnia se ad priorem visitationem anteces-
soris praesertim supramemorati nuper defuncti p. m. coad-
juti se refert, in quibus gravia illa praejudicia quae per
Friedrich: Äugsburaer Belationen. 409
pacem cum haereticis quondam initam dioecesi irrogata fue-
runt, lußuleDter exposita fuerunt ; nee eorum maloram radi-
cem evelli posse ulla spes concipi valet, licet solatio sit,
quod hoc tempore rari apostasiae casus in laicis et in reli-
giosis vero vix ullus contingat.
Econtra episcopus Augustanus vestigiis antecessoris sui
similiter inhaerendo in id sedulo incumbere continuat, ut
errantes ad caulam dominici gregis convenientibus modis
invitentur et reducantur, in quem finem, ut indultum apo-
stolicum, vi cujus alia inter etiam potestas absolvendi ab hae-
resi ad certum numerum conferri consuevit , quantocius reno-
varetur, tarn sollicite supplicari fecit, et etiam obtinuifc. Ut
autem catholicus populus et fideles suae dioecesis in fidei
fundamentis instruantur, roborentur et conserventur , sicuti
insistendo ss. Concilii Tridentini decretis et synodalibus
statutis in omnibus ecclesiis parochialibus et aliis curatis
toto anno singulis dominicis catecbesis sive doctrina chri-
stiana hucusque tradebatur, singulis insuper dominicis et
festivis diebus per parochos aliosque sacerdotes tarn saecu-
lares quam reguläres publicae conciones habebantur, ita et
modernus episcopus Augustanus, ut et deinceps taliter quam
studiosissime tradantur et habeantur, indefessa pastorali
cura invigilabit.
Sane is eapropter, ut tam disciplina saecularium sacer-
dotum ecclesiastica, quam monasteriorum jurisdictioni epis-
copali subjectorum regularis magis magisque floreat, proinde
si qui errores irrepant, illi efficacius corrigi queant, quam-
primum consecratio jam quidem ad certum antebac diem
determinata, sed ob luctuosissimum Seren, d. P. antea S.
R. J. Electoris obitum hucusque dilata, non multum post
consecuta fuerit, amplam suam dioecesin praeter visita-
tiones tribus visitatoribus generalibus commissas, qui in
cleri et populi mores ac vitam necnon , utrum decani
cum subjectis parochis et curatis synodos rurales quot-
410 Sitzung der histor. Glasse vom 7. Becemher 1878.
annis celebrent suaque capitula ipsi visitent, sedulo in-
quirere teneäntur, etiam in propria persona visitabit.
Valde autem eundem afüigit, quod, licet quatuor illa mo-
nasteria virorum Ordinis s. Benedict! in districtu Bavariae,
Benedictoburum nimirum, Thierhaupta, Wessofontum et ad
montem sanctum (Andecbs), sub regimine et jurisdictione
Ordinarii semper in bono statu et regulari disciplina per-
vigili et indefessa sollicitudine conservata fuerint, nibilo-
minus eorum abbates sub vano praetextu reformationis, an-
tecessore suo et aliis interessatis Ordinariis inauditis , non
tantum erigendae congregationis , sed etiam exemptionis
Breve apostolicum sub- et obreptitium obtinueriut, qui ut
haud temere suspicari potest, nihil aliud quaerebant, quam
ut exempti fierent ab illis, qui eorum actiones observare et
disciplinae regulari conservandae studiose invigilare solebant.
Siquidem, si abbatum intentio ad reformationem collimasset,
parum illorum interfuisset, quin gloriae sibi duxissent, quod
regulärem disciplinam ad aedificationem tarn fidelium quam
haereticorum publice contestari potuissent; sed episcopus
Augustanus refert se ad illa , quae jam antehac immediatus
antecessor solidis fundamentis in contrarium produci fecit,
nee sibi persuadere potest, quod Sua Sanctitas, cui ss. con-
ciliorum et canonum ac particulatim ss. concilii Tridentini
observantia usque adeo cordi est, abbates Benedictinos contra
eorum sacrosanctas dispositiones inspectioni et jurisdictioni
pastorali subtrabere velit, et quidem eo minus, quod etiam
ipsi conventus praedictorum nionasteriorum , si ab impar-
tiali commissione pro consensu etiam ab apostolica Sede re-
quisito requisiti fuissent, in ejusmodi congregationis, sal-
tem exemptionis erectionem minime consensissent, ipsa ex-
perientia optime edocti, quod nimius abbatum commodis et
libertati suae inserviendi pruritus nullo alio efficaciori me-
dio, quam Ordinarii interveniente autoritate mitigari et ad
decentiae terminos constringi queat Ad cujus confirmationem
Friedrich: Augsburger Belationen, 411
illorum abbatiim ab Ordinariis abalienata mens vel exinde
patet, quod licet a sede ap. rebus per abbates congrega-
tionis Bavaricae compositis juxta congregationis ad hoc nego-
tium deputatae Judicium Regul, et Episcop. successive reso-
lutum fuerit, ut in electione certa forma servaretur atque
ad talem electionis actum commissarius Ordinarii admitte-
retur, attamen in nupera electione Benedictoburae neutrum,
prent pluribus demonstrari possei, observatum fuerit, quia
in summum sui ordinariatus contemptum litterae noti-
ficationis actus electionis ita sero ad episcopum Augu-
stanum Ordiuarium directae fuerunt, imo peracta jam elec-
tione ad manus pervenerunt, ut neminem illuc deputare
potuerit, nibilominus tamen contigit^ quod abbas Scbyrensis
congregationis . . * Gen. negotium illud in se susceperit,
proinde eleetus abbas Benedictoburanus conventusque ejus-
dem hac culpa immunis extiterit, ut non relicto jure or-
dinariatus confirmatus fuerit ex commissione episcopi Augu-
stani. De reliquo episcopo Augustano innotuit, quatenus mona-
steria supramemorata circa unionem parocbiarum quid mo-
liri praesumant, demississime proin is rogitat, ut inaudito
ordinariatu in illius grave praejudicium nihil statuatur.
Alia monasteria canonicorum regulariam et sanctimonia-
lium quod attinet, illa ex praescripto concilii Tridentini per
deputatos rite visitantur, et sie in regulari disciplina con-
servantur. Multa autem utriusque sexus olim monasteria
nunc extincta in omnimoda potestate haereticorum princi-
pum et civitatum cum plena perceptione fructuum hae-
rent, et ut in prioribus relationibus s. sedi cum luctu ex-
positum reperitur , melior status solis votis a deo expec-
tandus est ... .
Die Lücke ist in der Handschrift.
Einsendungen von Bruckschriften. 412
Yerzeichniss der eingelaufeuen Büchergeschenke.
Vom Harzverei/n für Geschichte und Alterthumskunde m
Wernigerode:
a) Zeitschrift. 11. Jahrg. 1878. 8^
b) Geschichtsquellen der Provinz Sachsen. Bd. VI. Urkunden-
buch des Klosters Ilsenburg. II. Hälfte. Halle 1877. 8°.
Vom Historischen Verein für Schwaben tmd Neuburg in Augsburg :
Zeitschrift. Jahrgang IV. 1877. 8^.
Vmn, westfälischen Provinzial- Verei/n für Wissenschaft und Kunst
in Münster:
6. Jahresbericht pro 1877. 1878. 8^.
Vom Verein für nassauische Alterthumskunde imd Geschichts-
forschung in Wiesbaden:
Römische Ansiedlungen in der Umgebung von Wiesbaden, von
K. Reuter. 1876. 8^
Vom historischen Verein für Ober franken zu Bamberg:
40. Bericht über Bestand und Wirken im J. 1877.
Von der Philomathie in Neisse:
19. Bericht. Mai 1874 — Mai 1877. 1877. 8^
Einsendungen von Druckschriften. 413
Von der gelehrten esthnischen Gesellschaft m Borpat:
Sitzungsberichte 1877. 1878. 8^.
Von der deutschen morgenländischen Gesellschaft in Leipzig:
Zeitschrift. Bd. 32. 1878. 8^
Von der Gesellschaft für Schleswig - Holstein - Lauenhurgische
Geschichte in Kiel:
a) Zeitschrift. Bd. 8. 1878. 8^
b) 35. Bericht zur Alterthumskunde Schleswig - Holsteins.
Von Heinrich Handelmann. 1878. 4^.
Vom Verein für Kunst und Älterthum in Lim und Olerschwdben
in Ulm:
Münster-Blätter, hsg. von Friedr. Pressel. Heft I. 1878. 4°.
Vom historischen Verein in Lusern:
Der Geschichtsfreund. Bd. 33. Einsiedehi 1878. 8°.
Von der allgemeinen geschichtsforschenden Gesellschaft der Schweig
in Bern:
a) Quellen zur Schweizer Geschichte. Bd. IL Basel 1878. 8®.
b) Jahrbuch für Schweizerische Oeschichte. Bd. HI. Zürich
1878. 8^
Von der Antiquarischen Gesellschaft in Zürich:
Mittheilungen. Bd. XX. Heft I. II., 1. 1878. 4^.
Vom Je. statistisch-topographischen Bureau in Stuttgart.
Württemb ergische Jahrbücher für Statistik- und Landeskunde.
Jahrg. 1877. 1878. gr. 8«.
Vom Museum Francisco- Carolinum in Ling :
a) 35. u. 36. Bericht. 1877—78. 8^.
b) ürkundenbuch des Landes ob der Ens. Bd. 7. Wien
1876. 8^
414 Einsendungen von Druclcschriften.
Vom historischen Verein für TJnterfran'ken und Aschajfenburg
in Würzburg :
a) Jahresbericht 1877. 1878. 8^
b) Die Gescliicbte des Bauernkrieges in Ostfranken von Ma-
gister Lorenz Fries, hsg. von Aug. Schäffler und Th.
Henner. 2. Lief. 1877. 8^
Vom historischen Verein für SteiermarJc in Gxaz:
a) Mittheilungen. 26 Heft. 1878. 8^
b) Beiträge zur Kunde steiermärkischer Geschichtsquellen.
15. Jahrg. 1878. 8^
Von der Gesellschaft für Pommersche G-eschichte in Stettin:
Baltische Studien. 28. Jahrg. 1877 — 78. 8^.
Vom historischen Verein, des Kantons St Gallen in St. Gallen:
a) Das Psalterium aureum von Sanct Gallen mit Text von
L Rud. Rahn. 1878. fol.
b) Joachim v. Watt deutsche historische Schriften. 1875 — 77.
gr. 8^
c) St. Gallische Gemeinde - Archive bearb. von J. Hardegger
und H. Wartmann. 1878. 8^.
Von der Universität in Kiel:
Schriften. Jahrg. 1877. Bd. XXIV. 1878. 4«.
Von der Universidad de Chile in Santiago:
a) Anales de la Universidad de Chile. 1875 und 1876.
1875-76. 4«.
b) Memoria del Interior (2 voll.) , de Relaciones esteriores,
de justicia , culto e instruccion publica , de hacienda, de
guerra j marina. en 187G. 6 voll. 1876. 4^-
Einsendungen von DntcJcschriften. 415
c) Sesiones de la cämara de dipütades en 1875, 2 voll.
Sesiones de la cämara de Senadores en 1875, 2 voll.
Sesiones de la commision conservadora en 1876. 1876- 4^
d) Anuario estadistico de la Eepiiblica de Chile. Tom. 17
1876. 4^
e) Quinto Censo jeneral, 19. Avril 1875. Valparaiso 1876. 4^
f) Memoria del Intendente de Valparaiso. 1875 — 76
' 1876. .8^
g) La crönica de 1810 porMignel Luis Amunätegui. 1876. 8^
h) Historia de Chile durante los cuarenta anos 1831 — 1871
1875. 8^.
i) Le Chili tel qu'il est. Par Ed. Söve. Valparaiso 1876. 8^
Von der Äcademie imperiale des sciences in St. Petershourg:
Bulletin. Tom. 25. 1878. 4^
Von der Äsiatic Society of Bengal in Cälcutta:
Bibliotheca Indica. Old Series Nr. 237. 238. 240. New Series
Nr. 374 — 375. 384. 385. 389. 390. 1877. 8^
Von der B. Äceademia dei Lincei in Born:
Atti. Anno 275. 1877-78. Transunti Vol. II. (Schlussheft.)
1878. 4^
Von der Soeiete des sciences in Lille:
Me^moires. 4" Serie. Tom. IV. 1878. 8^.
Vom Instituto di corrispondenza arclieologica in Bom:
a) Bullettino per l'anno 1877. 8^.
b) Monumenti. 1877. 1877 fol.
Von der Gommission Imperiale archeologique in St, Petersburg:
Compte-rendu pour l'annöe 1875 mit Atlas. 1878. fol.
416 Einsendungen von DrucTcschnften.\
Von der SocieU frangaise d'archeologie pour la conservation et
la description des monuments in Caen:
Congrös archäologique de France 41® et 42® Session. 1874 — 1875.
Paris 1875—76. 8^
Von der Accademia della sciense delV Istituto in Bologna:
a) Memorie. Tom. IX. 1877—78. 4<>.
b) Rendiconto 1877-78. 1878. 8^.
Von der Beate Accademia dei Lincei in Born:
a) Atti. Serie III. Classe di scienze morali. 1877. 4^.
b) Nuovo statuto. 1875. 4^.
c) Constitutiones Lynceorum. 1876. 8®.
d) Triplice omaggio aUa Santitä di Papa Pio IX. 1877. fol.
Von der Beal Academia de hellas artes de San Fernando in
Madrid :
a) Resumen de las actas de la Real Academia de beilas artes
de San Fernando durante el ano 1877. 1878. 8^.
b) Discurso leido ante la Real Academia de beilas artes de
San Fernando por Jose Maria Avrial. 1878. 8^.
Von der Academia Beal das Sciencias in Lissabon:
a) Historia dos estabelecimentos scientificos de Portugal, por
J. S. Riteiro. Tom. 5—7. 1876 — 78. 8^
b) Becada ICi da Ilistoria da Inc'ia por Ant. Bocarro. 1876. 4*^.
c) Historia do Congo, obra posthuma do Visconde de Paiva
Mansu. (Documentos.) 1877. 8^.
d) Relatorios das sessoes 1875—77. 1875—77. 8^.
e) Conferencias celebradas na Academia Real das Sciencias.
1877. 8^
f) Theatro de MoMere. 0 Doente de scisma (Le malade ima-
ginaire). 1878.
Einsendungen von Druckschriften. 417
Von der Gesellschaft für Nordische AUerthumsJcunde in Kopen-
hagen :
a) Aarboger. 1877. Nr. 1 — 4. 1878. Nr. 1. 1876. Tillaeg.
1877-78. 8".
b) Memoires de la Society Royale des Antiquair es du Nord.
Nouv. Serie 1877 (Schlussheft) 1878. 8^
Von der k. 7c. Akademie der Wissenschaften in Krahau:
a) Rocznik. Eok. 1877. 1878. 8'*.
b) Rozprawy. Histor.-philos. Cl. Tom. 8. 1878. 8^.
c) Monumenta medii aevi historica, Tom. 4. 1878. 4^.
Von der französischen Regierung in Paris:
Le Livre des Rois par Abou'lkasim Firdousi publik par J. Mohl.
Tom. VII. 1878. fol.
Von der h. Akademie der Wissenschaften in Kopenhagen:
Oversigt. 1878. 1878. 8.
Von der Smithsonian Institution in Washington:
List of Publications of the Smithsonian Institution. July 1877.
1877. 8^
Von der Spiridione de' Medici Dillotti in Linguaglossa (Sicilien) :
Le ultime ore e l'apoteosi di V. Emanuele II. Palermo 1878. 8^.
Vom Verein für Geschichte und Alterthumskunde in Frankfurt a. M.
a) Neujahrsblatt für d. J. 1877 u. 1878. A^.
b) Archiv für Frankfurts Geschichte. Neue Folge. Bd. VI.
1877. 8^
Vom historischen Verein in Osnabrück :
Mittheilungen. Bd. XI. 1878. 8°.
[1878. 1 Philos.-philol -bist Cl. Bd. II. 3.] 29
418 Einsendungen von Druckschriften.
Vom Ilennehergischen alterthumsforschenden Verein in Meiningen :
Einladungsschrift zum Jahresfeste am 14. November 1878. 8".
Von der h. preussischen Akademie der Wissenschaften zu Berlin :
a) Abhandlungen aus d. J. 1877. 187t. 4".
b) Corpus Inscriptionum AUicarum. Vol. III. 1. Inscriptiones
Atticae aetatis Romanae ed G. Dittenberger. 1878. fol.
Von der Äcademie de Metz:
Mömoires. LVIIP annöe 1876—77. 1878. 8''.
Vom fürstlich Fürstenbergischen Hauptarchiv m Donaueschingen :
Fürstenbergisches Urkundenbuch. Bd. III. Tübingen 1878. 4^.
Vom historischen Verein des Kantons Bern in Bern:
a) Katalog der Bibliothek. 1876. 8^.
b) Katalog der Flugschriften - Sammlung der Bibliothek.
• 1876. 8^
c) Archiv des historischen Vereins des Kantons Bern. Bd. IX.
Heft 3. 1878. 8^.
Von der schlesischen Gesellschaft für vaterländische Gultur in
Breslau:
a) Jahresbericht f. d. J. 1877. 1878. 8^
b) Fortsetzung des Verzeichnisses der in den Schriften der
schlesischen Gesellschaft von 1864 — 1876 enthaltenen
Aufsätze. 1878. 8**.
Von der Universität Leiden:
Annales Academici 1874 — 75. Lugduni Bat. 1877. 4®.
Vom Kgl. Instituut voor de Taal-, Land- en Volhenhunde van
Nederlandsch-Indi'e im Haag :
Bydragen tot de Taal-, Land- en Volkenkunde van Nederlandsch-
Indie. 4^' Volgrecks. Deel. I. IL s'Gravenhage 1878. 8'^.
Einsendungen von JDruckseh/riften. 419
Von der Royal Irish Academy in Dublin:
Proceedings Ser. II. Vol. III. 1877. 8^.
Von der südslavischen Akademie der Wissenschaften in Agram:
a) Rad. Bd. 44. 1878. 8^
b) Monumenta spectantia ad historiam Slavorum meridiona-
lium. Vol. VII. 1877. 8^
Von der Sociedad cieniißca Argentina in Buenos Aires:
Anales. Tomo VI. Entrega 4. 1878. 8".
Von der Redaktion des Athenaeum in Athen:
'i^r^vaiov. Tom. 7. Heft 3. u. 4. 1878. 8^
Vom Geschichts- und Alterthums- Verein in Leisnig .
Mittheilungen. Heft 5. 1878. 8^
Von der Archäologischen Gesellschaft in Berlin:
Theseus und Minotauros. 38. Programm zum Winkelmanns-
feste von Alex. Conze. 1878. 4^.
Von der k. k. Akademie der Wissenschaften in Wien:
a) Archiv für österreichische Geschichte. Bd. 55 u. 56. 1877.
8^ Bd. 57. 1 Hälfte 1878. 8^
b) Almanach. 27. Jahrg. 1877. t. 28. Jahrg. 1878. 8^.
c) Sitzungsberichte. Philosophisch -historische Classe. Bd. 88.
89. 1878. 8^
d) Denkschriften. Philosophisch-histor. Classe. Bd. 26. 1877.
4^ Ed. 27. 1873.4".
e) Fontes rerum Austriacarum. Abth. II. Bd. 40. 1877. 8".
29*
420 Einsendungen von DrucJcsehriften.
Von der Je. k. Universität in Graz:
Zur Geschichte des deutschen Volksthums im Karpathenlande
von F. Krones. 1878. 4.
Vom Verein für siehenhürgische Landeskunde in Hermannstadt:
a) Archiv. Neue Folge. Bd. XIV. 1877. 8*^.
b) Jahresbericht für 1876/77. 1877. 8".
c) Bericht über das Frh. Samuel v. Brukenthal'sche Museum
in Hermannstadt. I. Die Bibliothek von Lud. Reissenberger.
1877. 8«.
Vom historischen Verein für Niedersachsen in Hannover:
Zeitschrift. Jahrg. 1878. 1878. 8^
Von der Verwaltung der k. Sammlungen in Dresden:
Bericht für die Jahre 1876 u. 1877. 1878. 4^.
Von der Äcademie Boy die des Sciences in Brüssel:
a) Mömoires. Tom. 42. 1878. 4^
b) Mömoires couronn^s. Tom. 40. 41. 1876—78. 4'^
c) Memoires couronnäs. Collection in 8^. Tom. 27. 28.
1877/78. 8^
d) Biographie nationale Tom. V, 2. VI. 1. 1876 — 77. 8^
e) Table chronologique des chartes et diplömes imprimös
par Alph. Wauters. Tom. 5. 1877. 4^
f) Chroniques rel. ä l'histoire de la Belgique sous la domi-
nation des Ducs de Bourgogne , publ. par Kervyn de
Lettenhove. Tom. III. 1876. 4^
g) Ly Myreur des histors chronique de Jean des Preis, publ.
par St. Bormans. Tom. 4. 1877. 4^
h) Collection des voyages des Souverains des Pays-Bas publ.
par M. Gachard. Tom. I. 1876. 4^
i) La Bibliothöque nationale ä Paris. Notices et Extraits
par M. Gachard. Tom. IL 1878. 4°.
k) Correspondance du Cardinal de Granvelle publ. par Edm.
Poullet. 1877. 4^^
Einsendungen von Druckschriften. 421
Von der Academia Olimpica in Vicenza :
a) Giangiorgio Trissino o Monografia di un letterato nel se-
colo XVI di Bernardo Morsolin. 1878- 4^^
b) Scritti vari di Ambrogio Fusinieri illustrati da G. Can-
toni. 1878. 4.
Vom B. Istituto Veneto di seiende in Venedig:
a.) Atti. Serie V tom. 3. 4.
b) Memorie. Vol. XX. 1876. 4^.
Vom Äteneo Veneto in Venedig:
Atti. Ser. II. u. III. 1877-78. 8^
Vom Hjelmstjerne-Rosencroneske Stiftelse in Kopenhagen:
Script or es rerum Danicarum medii aevi, quos coUegit Jac.
Langebek. Tom. IX. 1878. fol.
Von der B. Äccademia delle scienze in Turin:
Atti. Vol. XIII. 1877—78. 8^
Vom Kirchlich-historischen Verein für Geschichte in Freiburg i. Br. :
Freiburger Diöcesan- Archiv. Bd. XII. 1878. 8^.
Von der Gesellschaft für Pommersche Geschichte in Greifswald:
Geschichte der Stadt Greifswald von Theod. Pyl. 1879. 8^
Vom akademischen Leseverein in Graz:
11. Jahresbericht 1878. 8^
422 Einsendungen von Druckschriften.
Vom Herrn Michael Zirwik in Salzburg.
Grundzüge einer wissenschaftlichen Grammatik der griechischen
Sprache. 1878. 8®.
Vom Herrn Äug. Dillmann in Berlin.
Verzeichniss der abessinischen Handschriften der k. Bibliothek
zu BerHn. 1878. 4^.
Vom Herrn Joh. Jos. Schwickert in Diekirch :
a) Pindar's olympische * Siegesgesänge in durchgreifend ge-
läutertem Texte nebst Uebersetzung. Trier 1878 8^.
b) Commentationis Pindaricae liber singularis. Augustae
Trevirorum. 1873. 4^.
c) De l'AUemagne litt^raire et philologique. Luxembourg.
1879. 8^
Vom Herrn JE. Wagner in Karlsruhe:
Die Grossherz. Badische Alterthümersammlung in Karlsruhe.
II. Heft. 1878. fol.
Vom Herrn Karl von Weher in Dresden:
Archiv für die Sächsische Geschichte. N, Folge. Bd. 5.
Heft i. Leipzig 1878. 8^
Vom Herrn Wilhelm Pertsch in Gotha:
Die arabischen Handschriften der herzogl. Bibliothek zu Gotha.
Bd. 1. Heft 1. 2. 1877 78. S^'.
Vom Herrn Jos. Wormstall in Münster:
Hesperien. Zur Lösung des religiös-geschichtlichen Probleme
der alten Welt. Trier 1878, 8".
Einsendungen von Druckschriften. 423
Vom Herrn Leopold von BecJch- Widmanstetter in Trient :
Studien an den Grabstätten alter Geschlechter der Steiermark
und Kärntens. Berlin 1877 — 78. 8".
Vom Herrn Charles ScJioebel in Paris:
a) L'histoire des rois Mages. 1878. 8*^.
b) L'äme humaine. 1878. 8".
Vom Herrn L. Ph. C. van der Bergh im Haag :
Beschrijving der \roegere Nederlandsche Gemeentezegels in het
Rijks-Archief. s'Gravenhage 1878. 8^.
Vom Herrn M. Amari in Florenz:
Su la data degli sponsaH di Arrigo VI. con la Costanza erede
del trono di Sicilia. Roma 1873. 4'^
Vom Herrn Giovanni Grozsadini in Bologna:
a) Delle torre gentilizie di Bologna. 1875. 8^.
b) Giovanni Pepoli e Sisto V. 1879. 8".
Vom Herrn Wilhelm von Christ in München:
Aristotelis de arte poetica liber reo. Guil. Christ. Lipsiae.
1873. 8^.
Vom Herrn Konrad Maurer in München:
Udsigt over de Nord germaniske retskilders historie. I. Hälfte.
Kristiania. 1C7C. C^.
Vom Herrn C. Mehlis in Dürhheim:
Materialien zur Vorgeschichte des Menschen im östlichen Europa
von Albin Kohn und C. Mehlis. Bd. I. Jena 1378. e'\
424 Einsendungen von Druckschriften.
Vom Herrn Julius Swiecianowski in Berlin:
Die musikalische Scala in der Welt. 1877. 8^.
Vom Herrn Leopold JDelisle in Paris:
Notice sur un manuscrit mörovingien. 1878. fol.
Vom Herrn James Henry in Dublin:
Aeneidea, or critical, exegetical and aesthetical Remarks on the
Aeneis. 2 vols. 1877 — 78. 8^
Vom Herrn Charles Schmidt in Strassburg:
Histoire littöraire de l'Alsace. 2. vols. Paris 1879. 8".
Vom Herrn Hermann Lotze in Göttingen:
Metaphysik. Leipzig. 1879. 8^
Sach-Regiöter.
AU Sa'id 38.
Adae et Evae Vita 150.
Adamsbuch, das äthiopische 224.
Aegyptisch-aramäische Inschriften 97.
Aegyptische Tetraeteris 305.
Aethiopischer Taufritus 37.
Annalen von Weihenstephan 150.
Augsburger Relationen bei Visitatio 365.
Cento Vergilianus 29.
David von Augsburg über die Waidesier 87.
Dodona, Ausgrabungen in 1, 224.
Elisabeth, Pfalzgräfin 364.
Eridanos in Venetien 261.
Euripides, drei verlorene Tragödien des 170.
Geschichts werke, bayerische und pfälzische im k. Archiv 150.
Inschriften, ägyptisch-aramäische 97.
Maiimilian's 1. (Kurfürsten) Instruction für den Hofmeister Fer-
dinand Maria's 225.
[1878. 1 Philos.-philol -bist. CI. Bd. II. 3.] 30
426 Sach-Begister.
Ramus Petrus 157.
Eubä'is des Abu Sa'ld 88.
Servet Michal, Process gegen 260.
Taufritus der äthiopischen Kirche 37.
Urhan VIII 364.
Venetien, der Eridaiios '261.
Vergilianus Cento 29.
Visitatio liminura apostolorum 365.
Vita Adae et Evae 150.
Waldesier, die 37.
Weihenstephan, Annalen von 150.
Würzburger Handschriften 71.
Namen-Register.
T. Bezold 364.
Bursian 1, 29, 224.
Conze (Wahl) 151.
Cornelius 260.
Ethe 38.
Föringer 160.
Friedrich 365.
Gozzadini (Wahl) 152.
Gregorovins 364.
Hillebrand (Wahl) 152.
Huber Alph. (Wahl) 152.
Krehl (Wahl) 152.
Kuhn (Wahl) 151.
Laubmann 71.
Lauth 97, 305.
Leier (Wahl) 152.
428 Namen-Register.
Meyer 150.
Micha&lis fWahl) 152.
V. Prantl 157.
Preger 37.
Eockinger 150.
Rottm anner 225.
Schmidt (Wahl) 152.
Stieve (Wahl) 151.
Trnmpp 37, 38, 224.
ünger 261.
Wecklein 170.
Weinhold (Wahl) 152.
Würdinger (Wahl) 161.
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AS Akademie der- Wi-ssenschaf ten,
182 Munich. Philo sophisch-
MB23 Historische Abteilung
1878 Sitzungsberichte
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